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Full text of "Handbuch der hygiene .."

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TRANSFERRED  TO 
YALE  MEDICAL   LIBRARY 


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Digitized  by  the  Internet  Archive 

in  2012  with  funding  from 

Open  Knowledge  Commons  and  Yale  University,  Cushing/Whitney  Medical  Library 


http://www.archive.org/details/handbuchderhygie06weyl 


HANDBUCH  DER  HYGIENE. 

IN  ZEHN  BÄNDEN. 

BEARBEITET   VON 

Dr.  Albrecht,  Berlin ;  Prof.  Assmann,  Berlin ;  Geheimrat  Dr.  Baer,  Berlin ;  Prof. 
R.  Blasius,  Braunschweig ;  Dr.  Agkes  Bluhm,  Berlin ;  Sanitätsrat  Dr.  Braehmer, 
Berlin ;  Oberrealschulprofessor  Dr.  L.  Burgerstein,  Wien ;  Prof.  Büslng ,  Berlin- 
Friedenau;  Direktor  Dr.  Edelmann,  Dresden;  Prof.  Finkelnburg,  Bonn;  Prof. 
v.  Fodor,  Budapest;  Sanitätsrat  Dr.  Füller,  Neunkirchen;  Landwirt  Georg  H. 
Gerson,  Berlin ;  Dr.  F.  Goldschmidt,  Nürnberg ;  Privatdozent  Dr.  Helnzerling, 
Darmstadt ;  Oberstabsarzt  Dr.  Helbig  ,  Dresden ;  Prof.  Htjeppe  ,  Prag ;  Stadt- 
Elektriker  Dr.  Kallmann,  Berlin ;  Privatdozent  und  Baumeister  Knauff,  Berlin ; 
Prof.  Kraft,  Brunn;  Prof.  Kratschmer,  Wien;  Dr.  D.  Kulenkampff,  Bremen; 
Prof.  Loeffler,  Greifswald;  Bergrat  Meissner,  Berlin;  Direktor  Merke,  Moabit- 
Berlin;  Dr.  E.  Metschnikoff,  Paris;  Prof.  J.  Munk  ,  Berlin ;  Prof.  Neisser, 
Breslau ;  k.  k.  österr.  Sekretär  im  Min.  d.  Innern  Dr.  Netolitzky  ,  Wien ; 
Privatdozent  Dr.  H.  Neumann  ,  Berlin ;  Prof.  Chr.  Nussbatjm  ,  Hannover ; 
Oberingenieur  Oesten,  Berlin;  Dr.  Oldendorff  ,  Berlin;  Baurat  Osthoff, 
Berlin;  Bauinspektor  E.  Richter,  Hamburg;  Ingenieur  Rosenboom,  Kiel;  Reg.- 
und  Medizinalrat  Dr.  Roth  ,  Oppeln ;  Bauinspektor  Ruppel  ,  Hamburg ;  Berg- 
assessor Saeger,  Friedrichshütte;  Physikus  Dr.  Schäfer,  Danzig;  Fabrikinspektor 
Schellenberg,  Karlsruhe;  Dr.  Schellong,  Königsberg  i.  P. ;  städt.  Ingenieur 
Schmidt,  Dresden ;  Bauinspektor  R.  Schultze,  Köln ;  Inspektor  Dr.  Sendtner, 
München;  Dr.  med.  Sommerfeld,  Berlin;  Direktor  Dr.  W.  Sonne,  Darmstadt; 
Baurat  Stubben,  Köln ;  Prof.  Stutzer,  Bonn ;  Direktor  Dr.  J.  H.  Vogel,  Berlin ; 
Prof.  Weber,  Kiel ;  Reg.-  und  Medizinalrat  Dr.  Wehmer,  Coblenz ;  Prof.  Weichsel- 
baum, Wien;    Medizinalrat  Dr.  Wernich,   Berlin;    Dr.   Th.  Weyl,   Berlin;    Dr. 

Zadek,  Berlin. 

HERAUSGEGEBEN   VON 

Dr.  med.  TH.  WEYL,, 

PRIVATDOCENTEN    DER   TECHNISCHEN    HOCHSCHULE    ZU 
CHARLOTTENBURG-BERLIN. 


SECHSTER  BAND. 
MIT  90  ABBILDUNGEN  IM  TEXT. 


JENA, 

VERLAG  VON  GUSTAV  FISCHER. 

1897. 


HANDBUCH  DER  HYGIENE. 


HERAUSGEGEBEN  VON 


DR.  MED.  TH.  WEIL, 

PRIVATDOCENTEN    AN    DER    TECHNISCHEN    HOCHSCHULE    ZU 
CHARLOTTENBURG-BERLIN. 


SECHSTER  BAND. 

SPECIELLE  BAUHYGIENE. 

TEIL  B. 

BEARBEITET 

VON 

San.-Eat  Dr.  Bkähmer  in  Berlin ;  Prof.  F.  W.  Büsing  in  Berlin-Friedenau ;  Ober- 
stabsarzt Dr.  Helbig  in   Dresden;    Baumeister  Knauff  in  Berlin;    Dr.   Kulen- 
kampff  in  Bremen ;  Baurat  Osthoff   in  Berlin ;  Bauinspektor  Schultze  in  Köln ; 
Privatdozent  Dr.  med.  Th.  Weyl  in  Berlin. 

MIT  90  ABBILDUNGEN  IM   TEXT. 


GENERALREGISTER  Züffl  SECHSTEN  RANDE. 


JENA, 

VERLAG  VON  GUSTAV  FISCHER. 

1897. 


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Alle  Rechte  vorbehalten. 

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Inhalt. 

(Den  einseinen  Abteilungen  sind  eingehendere  Inhaltsverzeichnisse 

vorgedruckt.) 


Seite 

1)  Markthallen  und  Viehhöfe:  von  G.  Osthoff  in  Berlin.     .  1 

2)  Volks-  und  Hausbäder;  von  R.  Schultze  in  Köln  ...  85 

3)  Sicherheit  in  Theatern  und  größeren  Versammlungsräumen ; 

von  F.  W.  Büsing  in  Friedenau-Berlin 117 

4)  As}de    und    niedere  Herbergen;    von    M.  Knauff  und  Th. 
Weyl  in  Berlin .  145 

5)  Schiffshygiene;  von  D.  Kulenkampff  in  Bremen    .     .     .  185 

6)  Eisenbahnhygiene;  von  0.  Brähmer  in  Berlin      ....  237 

7)  Hygienische  Ansprüche  an  militärische  Bauten ;  von  H  e  1  b  i  g 

in  Dresden 315 

Generalregister  zum  sechsten  Bande 349 


ANLAGEN 

FÜR  DIE  VERSORGUNG  DER  STÄDTE 

MIT  LEBENSMITTELN. 

MARKTHALLEN,  SCHLACHTHÖFE 
UND  VIEHMÄRKTE. 


BEARBEITET 

VON 

GEORG  OSTHOFF, 

REGIERUNGS-BAUMEISTER    UND    STADT-BAURAT    A.    D.,    VORSTAND    DER    GESELL- 
SCHAFT   EUR    MARKT-    UND    KÜHLHALLEN    IN    BERLIN. 

MIT  22  ABBILDUNGEN. 


HANDBUCH   DER   HYGIENE 

HERAUSGEGEBEN  VON 

DR.  THEODOR  WEYL. 
SECHSTER  BAND.     ERSTES  HEFT. 


JENA, 

VERLAG  VON  GUSTAV  FISCHER. 

1894. 


Inhaltsübersicht. 


Seite 

Einleitung 1 

I.  Die  Wochenmärkte 2 

1.  Allgemeines 2 

2.  Geschichtliches 3 

3.  Anforderungen,  welche  an  die  Wochenmärkte  gestellt  werden 
müssen.  —  Groß-  und  Kleinhandel 4 

4.  Allgemeine  Grundsätze  für  den  Marktverkehr 6 

a)  Kleinmarkt- Verkehr 6 

b)  Großmarkt- Verkehr 6 

5.  Vorteile  der  Markthallen 7 

a)  Schutz  vor  Wind  und  Wetter 7 

b)  Verhinderung  der  Warenentwertung  durch  das  Wetter     .  8 

c)  Zweckmäßige  Aufstellung  der  Waren  und  Ausdehnung  des 
Marktes 8 

d)  Begünstigung  des  Großhandels 9 

6.  Allgemeines  über  Markthallen 9 

7.  Die  Verwaltung  der  Markthallen 10 

a)  Die  Verwaltung  in  der  Kleinmarkthalle 10 

b)  „              „             „      „      Großmarkthalle 10 

8.  Die  Gebühren  und  die  Rentabilität  der  Markthallen     .     .     .  12 

9.  Die  Lage  der  Markthallen  in  der  Stadt .15 

10.  Die  bauliche  Anlage  und  die  inneren  Einrichtungen      ...  15 

IL  Die  Märkte  für  Pferde  und  Vieh .17 

III.  Die  Schlachthöfe  und  Schlachtviehmärkte      .     .     .  23 

A.  Die  Schlachthöfe 23 

1.  Allgemeines 23 

2.  Das  Grundstück 27 


IV  Inhalt. 

Seite 

3.  Die  Gestaltung  der  Anlage 29 

4.  Die  Schlachthäuser 30 

a)  Großvieh-Schlachthäuser 32 

b)  Kleinvieh-Schlachthäuser 35 

c)  Schweine-Schlachthäuser 35 

d)  Schlachthaus  für  Pferde 41 

e)  Schlachthaus  für  krankes  Vieh 41 

5.  Kaidaunenwäschen 41 

6.  Kühlanlagen 42 

A.  Die  Kältemaschinen 42 

a)  Allgemeines 42 

ß)  Die  Absorptions-Kältemaschinen 44 

y)  Die  Kompressions-Kältemaschinen 44 

1.  Kompressions  -  Kältemaschinen,   welche  mit  per- 
manenten Gasen  arbeiten 44 

2.  Kompressions  -  Kältemaschinen  ,      welche      mit 
flüchtigen  Flüssigkeiten  arbeiten 45 

a)  Die  Schwefligsäure-Kältemaschine     ....  45 

b)  Die  Ammoniak-Kältemaschine 45 

c)  Die  Kohlensäure-Kältemaschine 45 

B.  Die  Kühleinrichtungen 46 

a)  Allgemeines 46 

ß)  Kühleinrichtungen   mittels  Röhren ,    durch    welche 

kaltes  Salzwasser  strömt 46 

y)  Kühleinrichtungen    mit     unmittelbarer     Berührung 

von  Luft  und  Salzwasser 47 

ö)  Kühleinrichtungen    mit    Röhren,    welche    mit    der 

verdampfenden    flüchtigen  Flüssigkeit  (Ammoniak) 

in  Berührung  stehen 48 

C.  Die  Kühlräume 48 

7.  Stallungen 49 

8.  Düngerstätten 49 

9.  Talgschmelze  und  Albuminfabrik 51 

10.  Das  Verwaltungsgebäude 51 

11.  Die  Wasserversorgung,    Beleuchtung,    Kanalisation    und 
Abwässer-Kläranstalt 52 

12.  Die  inneren  Einrichtungen 53 

lo.  Das  Gewicht  des  Viehes  und  des  Fleischverbrauches      .  54 

14.  Die  Gebühren 55 

15.  Die  Anlagekosten 55 

B.  Die  Schlachtvieh-Märkte 56 

1.  Allgemeines 56 

2.  Die  Gestaltung  der  Anlage 59 


Inhalt.  V 

Seite 

3.  Das  Grundstück 60 

4.  Markthallen  für  Schlachtvieh 60 

a)  Markthallen  für  Großvieh 751 

b)  „              „     Kälber  und  Schafe 62 

c)  „               „     Schweine 63 

5.  Stallungen 63 

6.  Börse  und  Gastwirtschaft 63 

7.  Schlachthaus    für   krankes   Vieh    und  Stallungen    für   ver- 
dächtiges und  krankes  Vieh 63 

8.  Sonstige  Anlagen 64 

C.  Avisgeführte  Schlachthöfe  und  Viehmärkte 64 

1.  Der  Schlachthof  zu  Schwiebus 64 

2.  „              „              „    Osnabrück 66 

3.  „              „              „    Tilsit 66 

4.  „              „              „    Lübeck 66 

5.  „              „              „    Essen 70 

6.  „              „              „    Halle  a./S 70 

7.  „              „               „    Hannover 70 

8-     „              „              „    Leipzig 74 

9.     „              „              „    Berlin 74 

Litte  ratur 77 

Register 78 


Verzeichnis  der  Abbildungen. 

Fig.   1.     Markthalle  in  Berlin 18 

2  19 

»3.  „  „         „         20 

»4.  „  „         „         20 

»5.  „  „         „        20 

„      6.     Pferdemarkt  in  Wien 22 

„     7.     Rinderschlachthaus  in  Berlin 33 

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„     9.     Schlachthof  in  Cassel 34 

„   10.  „  „    München 37 

„   11.  „  „    Graz 38 

„   12.  „  „    Halle 39 

„   13.  „  „    Erfurt 40 


VI  Inhalt. 

Seite 

Fig.  14.     Schlachthof  in  Schwiebus 65 

15.  „           „   Osnabrück 67 

16.  „           „  Tilsit 68 

17.  „           „  Lübeck 69 

18.  „           „  Essen 71 

19.  „           „  Halle 72 

20.  „           „  Hannover 73 

21.  „           „  Leipzig 75 

22.  „           „  Berlin 76 


Einleitung. 

Je  größer  eine  Stadt,  desto  schwieriger  ist  ihre  Versorgung  mit 
ausreichenden  und  guten  Lebensmitteln,  und  desto  schwieriger  ist  die 
Durchführung   der  Kontrolle  über  Unschädlichkeit  und  Güte  derselben. 

Regelt  sich  in  den  kleinen  Städten  das  Angebot  der  Lebensmittel 
und  die  Preise  derselben  sehr  rasch  nach  der  Nachfrage,  sodaß  selten 
der  Bedarf  weder  ungenügend  gedeckt  wird,  noch  bedeutend  kleiner  ist, 
als  die  zum  Verkauf  ausgebotenen  Lebensmittel,  da  die  letzteren  stets 
aus  unmittelbarer  Nähe  der  betreffenden  Stadt  auf  den  Markt  gebracht 
werden,  so  hängt  das  Angebot  der  Lebensmittel  in  größeren  Städten 
schon  wesentlich  von  anderen  Faktoren  ab,  zumal  dann,  wenn  die  Stadt 
so  groß  ist,  daß  das  umliegende  platte  Land  den  Lebensmittelbedarf 
dieser  Stadt  entweder  zeitweilig  oder  überhaupt  nicht  zu  decken  vermag. 
In  diesem  Falle  ist  eine  Zufuhr  von  Lebensmitteln  häufig  aus  weiter 
Ferne  erforderlich,  welche  entweder  durch  größere  Gesellschaften  oder 
durch  eine  besondere ,  von  der  Stadt  eingesetzte  Verwaltung  derartig 
geregelt  werden  muß,  daß  zu  jeder  Zeit  Angebot  und  Nachfrage  sich 
decken  und  so  der  richtige  Massen-  und  Preisausgleich  ermöglicht  wird. 

Diese  von  einer  Stadt  verbrauchten  Lebensmittel  können  nun  solche 
sein,  welche  in  großen  Zwischenräumen  gehandelt  werden,  wie  das  Ge- 
treide, oder  zu  rasch  wiederkehrenden  Zeiten  oder  täglich,  wie  das 
Schlachtvieh,  wie  die  täglichen  Bedürfnisse  des  Menschen  an  Gemüse, 
Eiern,  Butter,  Geflügel  etc. 

Schon  in  den  ältesten  Zeiten  zeigt  sich  bei  den  verschiedensten 
Kulturvölkern  überall  da,  wo  sich  eine  große  Anzahl  von  Menschen 
angesiedelt  haben  und  ihren  Unterhalt  in  der  Betreibung  von  Handel, 
Gewerbe,  Viehzucht,  Ackerbau  etc.  suchen ,  das  Bedürfnis,  die  oft  be- 
nötigten Lebensmittel  an  einer  oder  mehreren  (Zentralstellen,  auf  Märkten, 
einkaufen  zu  können. 

Diese  Märkte  sind  nun,  den  Gegenständen,  welche  auf  denselben 
gehandelt  werden,  entsprechend,  sehr  verschieden  ausgebildet  und 
daher  in  folgende  Gruppen  zu  teilen: 

Wochenmärkte,  d.  s.  Märkte,  auf  denen  die  täglichen  Bedürfnisse 
einer  Stadt  an  Lebensmitteln  gehandelt  werden. 

Märkte  für  Getreide. 

Märkte  für  Pferde  und  Vieh,  welches  nur  zum  Besitzwechsel  auf- 
getrieben wird. 

Märkte  für  Schlachtvieh. 

Handbuch  der  Hygiene.   Bd.  VI.  1 


2  GEORG    OSTHOFF, 

Da  nun  für  uns  die  Märkte  für  Getreide,  welche  wohl  gar  keiner 
sanitären  Maßregel  unterliegen,  ohne  Bedeutung  sind,  so  beschränken 
wir  uns  hier  auf: 

1)  die  Wochenmärkte, 

2)  „    Märkte  für  Pferde  und  Vieh, 

3)  „    Märkte  für  Schlachtvieh. 

Für  die  Lebensmittelversorgung  einer  Stadt  genügt  es  nicht,  die 
zu  ihrer  Ernährung  notwendigen  Lebensmittel  in  der  erforderlichen 
Menge  zuzuführen,  sondern  es  muß  letzteres  auch  in  solcher  Weise  ge- 
schehen ,  1)  daß  die  betreffenden  Lebensmittel  von  gesundheitlicher  und 
guter  Beschaffenheit  sind;  2)  daß  das  Einführen  und  Feilbieten  der- 
selben die  gesundheitlichen  Verhältnisse  der  betreffenden  Stadt  nicht 
schädigt ;  endlich  3)  daß  der  Verkehr  in  den  Straßen  der  Stadt  und 
die  öffentliche  Sicherheit  überhaupt  nicht  beeinträchtigt  werden. 

Es  ist  somit  Aufgabe  der  Marktpolizei,  durch  Aufsicht  und  Unter- 
suchung festzustellen,  daß  die  feil  gebotenen  Erzeugnisse  der  Landwirt- 
schaft und  die  sonstigen  Rohartikel  weder  verdorben,  noch  in  anderer 
Weise  gesundheitsschädlich  seien ;  in  gleicher  Weise  ist  dafür  zu  sorgen, 
daß  das  Fleisch  geschlachteter  Tiere,  welches  zum  Verkaufe  ausgeboten 
wird,  gesund  und  genießbar  ist.  Ganz  besonders  ist  aber  bei  dem  Schlacht- 
vieh nicht  nur  Sorge  zu  tragen,  daß  die  zur  Untersuchung  benötigten 
Vorkehrungen  auf  dem  Markte  getroffen  werden,  sondern  es  ist  in  erster 
Linie  darauf  zu  achten,  daß  nur  gesundes  Vieh  geschlachtet  werde. 
Dies  ist  in  ausreichendem  Maße  aber  nur  dann  möglich,  wenn  alles 
Vieh  nur  in  einer  Centralschlachtstätte ,  auf  einem  öffentlichen 
Schlachthofe  geschlachtet  wird  J. 


I.    Die  Wochenmärkte. 

1.  Allgemeines. 

Die  Wochenmärkte,  d.  s.  also  diejenigen  Märkte,  auf  denen  die 
täglichen  Bedürfnisse  einer  Stadt  an  Lebensmitteln  feilgeboten  werden, 
bildeten  sich  mit  dem  Fortschritte  der  Kultur  bei  den  verschiedenen 
Völkern  mehr  und  mehr  aus  und  haben  in  England  und  Frankreich, 
z.  T.  auch  schon  in  Deutschland ,  eine  so  vollkommene  Durchbildung 
erfahren ,  daß  in  der  Versorgung  der  Millionenstädte  London ,  Paris, 
Berlin  mit  Lebensmitteln  niemals  eine  Stockung  eintritt. 

Die  Lebensmittel,  welche  unsere  Wochenmärkte  füllen,  bestehen 
aus  den  Erzeugnissen  des  Grund  und  Bodens  und  der  Fisch-  und  Vieh- 
zucht, also  aus  Gemüsen,  Hülsenfrüchten,  Obst,  Südfrüchten,  Kartoffeln, 
Fischen,  Fleisch,  Wild,  Geflügel,  Eiern,  Käse,  Butter  etc.  Diese  werden 
nun  in  den  Städten  entweder  gar  nicht  oder  nur  in  ungenügend  großen 
Mengen ,  dagegen  fast  ausschließlich  auf  dem  platten  Lande  erzeugt, 
und  es  benötigt  eine  Stadt  solche  Produkte  in  um  so  größeren  Massen, 
je  größer  diese  Stadt  ist,  und  es  muß  eine  Stadt  aus  um  so  größerem 
Umkreise  mit  diesen  Lebensmitteln  versorgt  werden,  je  größer  dieselbe 
ist  und  je  weniger  die  Gegend,  in  welcher  diese  Stadt  liegt,  selbst 
solche  Lebensmittel  hervorbringt.  Es  ist  demnach  der  Wochenmarkt 
bestimmt ,   eine  Stadt   mit   den  Erzeugnissen    einer   mehr  oder  minder 


Markthallen  und  Viehhöfe.  3 

großen  Fläche  des  umliegenden  platten  Landes  oder  ferner  Länder  zu 
versorgen. 

Wie  nun  die  Beschaffenheit  der  Gegenstände,  welche  dem  Wochen- 
markte zugeführt  werden,  zeigt,  sind  dieselben  z.  T.  durch  Regen  und 
Schnee  leicht  dem  Verderben  ausgesetzt,  z.  T.  sehr  empfindlich  gegen 
Staub  und  Hitze,  sodaß  die  Verkaufsgegenstände  einerseits ,  anderer- 
seits aber  die  Verkäufer,  sowie  das  auf  dem  Markte  verkehrende  Pub- 
likum durchaus  genügenden  Schutz  vor  der  Witterung  verlangen  und 
Anlagen  beanspruchen  können,  welche  das  Verderben  der  Produkte 
und  der  Kleider,  sowie  eine  nachteilige  Beeinflussung  der  Gesundheit 
von  Käufern  und  Verkäufern  hintanhalten. 

Solche  Anlagen,  welche  Käufern  und  Verkäufern  Schutz  gegen  die 
Unbilden  der  Witterung  gewähren  und  die  Waren  vor  dem  Verderben 
durch  Ueberdachung  schützen,  bestehen  in  der  Regel  aus  Hallen,  welchen, 
weil  in  ihnen  die  Wrochen-M ä r k t e  abgehalten  werden,  kurzweg  der 
Name  „Markthallen"  beigelegt  ist. 


2.  Geschichtliches  2. 

Schon  bei  den  Assyrern  und  alten  Aegyptern  sollen  Wochen- 
märkte bestanden  haben,  welche  besonders  bei  dem  letzteren  Volke 
ziemlich  entwickelt  waren.  Bestimmte  Nachrichten  über  Wochenmärkte 
im  Altertume  besitzen  wir  jedoch  erst  über  solche  der  Griechen 
und  Römer. 

Agora  hieß  bei  den  Griechen  und  Forum  bei  den  Römern  der 
Ort,  wo  entweder  unter  freiem  Himmel  oder  in  dazu  errichteten  Gebäuden 
Lebensmittel  und  andere  zum  täglichen  Bedürfnisse  erforderliche  Gegen- 
stände verkauft  wurden.  Die  Griechen  gaben  ihren  Marktplätzen  eine 
quadratische  Form  und  umgaben  sie  mit  geräumigen,  mehrschiffigen,  oft 
zweigeschossigen  Säulenhallen  zum  Schutze  der  Marktbesucher  gegen 
Sonne  und  Regen. 

Bei  den  Römern  hießen  die  Markttage  Nundinae,  weil  anfangs 
an  jedem  9.  Tage  die  Landleute  zur  Stadt  zu  kommen  pflegten.  Das 
römische  Wort  Mercatus,  welches  Handel  bedeutet ,  wurde  später  auch 
auf  den  Marktplatz  übertragen,  wie  wir  auch  heute  noch  unter  Markt 
sowohl  den  Marktplatz,  als  auch  die  Gelegenheit  verstehen,  von  vielen 
Verkäufern  auf  engem  Räume  einhandeln  zu  können.  Von  diesem  Worte 
„Mercatus"  ist  unser  deutsches  Wort  „Markt",  das  französische 
„marche",  das  englische  „market"  und  das  italienische  „mercato"  abgeleitet. 

Die  Marktplätze  der  Römer,  welche  ein  längliches  Rechteck  bildeten, 
wurden  oft  als  Arenen  für  die  Kämpfe  der  Gladiatoren  benutzt,  und  es 
waren  infolgedessen  die  Portiken  breiter  und  die  Säulenweiten  größer, 
als  bei  den  griechischen  Märkten.  Im  Mittelalter  und  in  der  Renaissance- 
Zeit  behielt  man  die  römische  Einrichtung  der  Märkte  bei,  wie  die  noch 
erhaltenen  Beispiele  in  Florenz  und  anderen  italienischen  Städten  zeigen. 
Anstatt  aber  die  Plätze  mit  selbständigen  Säulenhallen  zu  umgeben, 
wurden  die  angrenzenden  Häuserreihen  mit  solchen  versehen.  So  sind 
auch  die  Märkte  der  alten  deutschen  Reichsstädte  (z.  B.  Münster)  gebaut. 
Später  gab  man  diese  Säulenhallen  und  damit  die  einzigen  Räume  auf, 
welche  den  Waren,  den  Käufern  und  Verkäufern  bei  schlechtem  Wetter 
Schutz  gewährten. 

1* 
3 


4  GEORG    OSTHOFF. 

Fortschreitender  Luxus  und  das  Bedürfnis  nach  guten  Lebensmitteln 
ließen,  nachdem  sich  in  den  Städten  und  im  öffentlichen  Leben  neuer 
Aufschwung  kundgegeben,  von  den  offenen  Märkten,  welche  Waren, 
Verkäufer  und  Käufer  den  Unbilden  der  Witterung  aussetzten,  absehen. 
Man  suchte  Schutz  in  bedeckten  Hallen,  welche  Luft  und  Licht  in 
reichem  Maße  zulassen. 

Paris  nimmt  in  Bezug  auf  Anlage  vorzüglicher  Markthallen  eine 
der  ersten  Stellen  ein.  In  Paris  entstand  in  den  Jahren  1811  — 1820 
die  erste  große  Markthalle  zu  St.  Germain,  der  später  mehrere 
andere  folgten,  von  denen  die  Centralhallen  besondere  Beachtung  verdienen. 

—  In  England,  wo  die  Anlagen  der  Gesundheitspflege  überall  auf  der 
Höhe  der  Zeit  stehen,  findet  man  in  den  kleinsten  Städten  vorzüglich 
durchgeführte  Markthallen,  aber  entgegengesetzt  dem  in  Frankreich 
üblichen  Systeme  (wo  behördliche  Bevormundung  alles  schematisiert  und 
centralisiert,  und  die  Behörde  auch  die  Anlage  und  Verwaltung  der 
Markthallen  in  ihre  Hand  genommen  hat)  entstehen  in  England  Markt- 
hallen von  Gesellschaften  und  Privaten,  welche  dieselben  auch  verwalten. 

—  Belgien  und  Italien  huldigen  mehr  und  minder  dem  französischen 
Systeme  und  besitzen  in  neuester  Zeit  hergestellte  gute  Markthallen. 
— ■  In  den  meisten  größeren  Städten  Deutschlands  ist  man  erst  in  der 
allerjüngsten  Zeit  an  die  Verbesserung  der  Markteinrichtungen  gegangen. 
Berlin  hat  erst  seit  dem  Jahre  1886  etwa  15  vorzüglich  durchgeführte 
Markthallen  erhalten,  während  München,  Stuttgart,  Frankfurt  a.  M. , 
Köln  a.  Rh.  und  Oldenburg  schon  vorher,  dagegen  Leipzig,  Dresden, 
Hannover,  Chemnitz  und  Halberstadt  erst  nachher  mit  Errichtung  von 
Markthallen  zur  Hebung  des  Marktverkehrs  vorgegangen  sind. 

3.  Anforderungen,  welche  an  die  Wochenmärkte  gestellt  werden 
müssen.  —  Grofs-  und  Kleinhandel3. 

Jeder  Markt  soll  für  die  Verkäufer  eine  Gelegenheit  darbieten,  die 
gesammelten,  gewonnenen  oder  erzeugten  Produkte  und  Waren  zum  Ver- 
kaufe zu  bringen  und  zwar  zu  bestimmt  wiederkehrenden  Zeiten,  um 
die  größtmöglichste  Menge  Käufer  zu  bestimmen,  zu  diesen  Zeiten  sich 
auf  dem  Marktplatze  einzufinden.  Jeder  Markt  soll  aber  auch  dem 
Käufer  eine  Auswahl  liefera,  damit  derselbe  imstande  ist,  gerade  die- 
jenige Ware  und  dasjenige  Produkt  zu  kaufen,  welches  seine  Bedürfnisse 
befriedigt.  Die  wesentlichen  Bedingungen  jedes  Marktes  sind  daher  der 
Zusammenfluß  von  Käufern  und  Verkäufern  zu  einer  bestimmten  Zeit 
und  an  einem  bestimmten  Orte.  In  den  kleinen  Städten  muß  sich  das 
Verkaufsgeschäft  auf  wenige  Tage  der  Woche  und  auf  wenige  Stunden 
des  Tages  zusammendrängen,  während  die  großen  Städte  in  der  Lage 
sind,  täglich  und  während  des  ganzen  Tages  einen  Wochenmarkt  zu  be- 
völkern. 

Bei  der  Unentbehrlichkeit  der  meisten  Marktartikel  für  das  täg- 
liche Leben  liegt  es  wohl  in  der  Natur  der  Sache,  daß  es  sich  alle 
Städte  —  denn  eine  jede  Stadt  hat  und  muß  ihren  Wochenmarkt  haben  — 
angelegen  sein  lassen,  diese  Quelle  der  Ernährung  nicht  versiegen  zu 
lassen,  alle  Anordnungen  zn  treffen ,  welche  den  Besuch  des  Marktes 
erleichtern,  und  alle  Hindernisse  zu  beseitigen,  welche  ihn  stören  oder 
erschweren  können.  Was  kann  wohl  mehr  im  Interesse  einer  städtischen 
Bevölkerung  liegen,  als  möglichst  oft,  möglichst  wohlfeil  und  möglichst 


Markthallen  und  Viehhöfe.  5 

gut  die  unentbehrlichsten  Lebensmittel  erhalten  zu  können,  und  es  hat 
für  diese  Zwecke  gewiß  keine  untergeordnete  Bedeutung,  wenn  man 
Anordnungen  trifft,  welche  den  Wochenmärkten  durch  Ueberdachungen 
Schutz  gewähren,  wenn  man  Hallen  erbaut,  in  denen  diese  Märkte  ab- 
gehalten werden. 

Diese  Wochenmärkte  werden  der  Größe  der  Stadt  und  auch  des  Ver- 
brauchs der  Waren  entsprechend  eine  verschiedene  Gestalt  und  einen 
verschiedenen  Charakter  annehmen.  Zunächst  sind  es  die  Landleute, 
Gärtner,  Ackerbürger  etc.,  welche  den  Markt  besuchen  und  ihm  Ware 
zuführen.  Eine  solche  Zufuhr  kann  sich  jedoch  nur  auf  wenige  Meilen 
erstrecken.  Ein  solcher  kleiner  Umkreis  genügt  aber  nicht  für  eine 
große  Stadt,  es  müssen  hier  schon  Aufkäufer,  Kommissionäre,  Kaufleute  etc. 
auftreten,  um  die  Verzehrungsgegenstände  in  großen  Mengen  und  in 
größerer  Entfernung  aufkaufen  zu  lassen.  Ein  einzelnes  Land  ist  meist 
auch  nicht  imstande,  den  Markt  einer  Großstadt  mit  allen  nötigen  Markt- 
artikeln zu  versehen,  es  müssen  hier  wiederum  fremde  Länder  und  Erd- 
teile ihre  Beiträge  dazu  liefern. 

Bei  der  geringeren  oder  größeren  Ausdehnung  des  Marktverkehrs 
in  den  größeren  Städten  kann  es  nicht  ausbleiben,  daß  nach  und  nach 
ein  Großhandel  sich  Bahn  brechen  muß,  ein  Handel,  der  sich  nicht 
damit  beschäftigen  kann,  eine  große  Menge  Waren  in  kleinen  Teilen  zu 
verkaufen,  sondern  der  darauf  angewiesen  ist,  den  durch  den  Kleinhandel 
entstehenden  Verlust  sich  durch  einen  Abschlag  auf  den  Preis  der  Ware 
entschädigen  zu  lassen,  und  es  dem  Höker  überläßt,  aus  der  Differenz 
der  Einkaufs-  und  Verkaufspreise  eine  Quelle  der  Ernährung  zu  finden. 
In  dieser  Weise  gestaltet  sich  durch  den  natürlichen  Verlauf  des  Markt- 
verkehrs auf  den  Wochenmärkten  größerer  und  großer  Städte  ein  Groß- 
und  ein  Kleinhandel,  beide  gleich  wichtig,  beide  gleich  unentbehrlich, 
beide  der  sorgsamsten  Beachtung  wert. 

Wie  sich  der  Großhandel  durch  die  Natur  der  Dinge  entwickelt, 
so  pflegt  derselbe  auch  da  seine  Wohnung  aufzuschlagen,  wo  der  Klein- 
handel sich  befindet,  und  geht  mit  demselben  Hand  in  Hand.  Nur  in 
Erankreich,  wo  man  es  liebt,  scharfe  Grenzen  zu  ziehen,  um  auch  scharfe 
Kontrollen  üben  zu  können,  hat  man  bestimmte  Gebäude  für  den  Groß- 
handel bestimmt,  Märkte,  welche  die  Stadt  mit  allen  möglichen  Bedarfs- 
artikeln versehen,  und  zwar  in  solchen  Mengen,  daß  der  Vertrieb  nur 
im  Wege  des  Großhandels  möglich  ist  und  man  eben  deshalb  auch  dafür 
sorgen  zu  müssen  meint,  daß  dies  ebenfalls  nur  im  Wege  des  Großhandels 
geschieht.  —  In  England  sucht  der  Großhandel  zwar  auch  seine  be- 
stimmten Stätten,  keine  Behörde  denkt  aber  daran,  bestimmte  Regelungen 
vorzunehmen,  geleitet  von  dem  Grundsatze,  daß  jedes  künstliche  Ein- 
greifen in  einen  freien  Handel  immer  dazu  beiträgt,  den  Verkehr  zu  be- 
einträchtigen und  die  frei  sich  entwickelnde  Thätigkeit  zu  lähmen.  —  In 
Berlin  hat  man  für  den  Großhandel  die  2  Centralmarkthallen  errichtet, 
in  welchen  der  Großhandel  seine  Waren  aufspeichert,  um  daselbst  ver- 
auktioniert zu  werden.  Von  hier  aus  fließen  die  Waren  dann  den  großen 
Abnehmern  (Hotelbesitzern,  Restaurateuren  etc.)  und  den  Kleinmarkt- 
hallen zu. 

Die  Art  des  Verkehrs  bei  einem  Großhandel  und  bei  einem  Klein- 
handel veranlaßt  andere  Einrichtungen  für  jeden. 


6  GEORG    OSTHOFF, 

4.  Allgemeine  Grundsätze  für  den  Marktverkehr  4 . 

a)  Kleinmarktverkehr. 

Die  seit  vielen  Jahrhunderten  bestehenden  Wochenmärkte  haben 
allgemein  giltige  Grundsätze  herausgebildet,  welche  ohne  Nachteile 
für  den  Marktverkehr  nicht  verlassen  werden  dürfen,  sich  vielmehr  als 
unumstößliche  Wahrheiten,  volkswirtschaftliche  Anschauungen  und  For- 
derungen darstellen. 

Das  Wesen  eines  jeden  Marktes  bedingt  notwendigerweise  eine  freie 
Bewegung  auf  den  Märkten,  soweit  es  nur  immer  die  Aufrechterhaltung 
der  Ordnung  und  die  sonstigen  Verhältnisse  zulassen,  und  diese  Freiheit 
bildet  die  erste  und  sicherste  Grundlage  des  Bestehens  und  Gedeihens 
eines  Marktes.  Diese  Freiheit  ist  notwendig,  um  wahre  und  richtige 
Marktpreise  zu  erzielen,  also  Preise,  welche  sich  nach  der  Menge  der 
vorhandenen  Waren  und  nach  der  Zahl  der  Käufer  in  natürlicher  Weise 
regeln. 

Wird  der  Käufer  gezwungen,  zu  einem  Preise  zu  kaufen,  den  ihm 
der  Verkäufer  unwillkürlich  bestimmt,  oder  der  Verkäufer  veranlaßt,  nur 
zu  einem  festgesetzten  Preise  zu  verkaufen,  so  kann  nicht  mehr  von 
einem  Marktpreise,  sondern  nur  von  einem  Monopolpreise  die 
Rede  sein,  der  bald  Käufer  und  Verkäufer  von  dem  Markte  verjagen 
wird.  Ein  solcher  Zwang  braucht  aber  nicht  immer  in  direkter  und  in 
auffälliger  Weise  ausgeübt  zu  werden,  es  können  durch  Maßregeln  der 
Stadt  oder  der  Verwaltung  Hindernisse  für  Käufer  und  Verkäufer  bereitet 
werden,  welche  auf  den  Marktverkehr  einen  ebenso  nachteiligen  Ein- 
fluß haben  müssen.  Es  können  Anordnungen  getroffen  werden,  welche 
den  Verkäufer  vom  Markte  verscheuchen,  das  Angebot  verringern,  also 
die  Preise  erhöhen.  Der  freie  Handel,  der  freie  Verkehr  auf  den  Märkten 
ist  und  wird  immer  dasjenige  sein,  was  die  Marktpreise  am  besten  und 
angenehmsten  regelt,  und  es  wird  jede  Verwaltung  den  besten  Weg  ein- 
schlagen, wenn  sie  diese  Freiheit,  die  für  die  Erzeugung  und  den  Ver- 
brauch von  Lebensmitteln  unentbehrlich  ist,  so  wenig  als  möglich  hemmt 
und  beschränkt. 

Ueberall,  wo  Märkte  und  Markthallen  bestehen,  wird  es  für  not- 
wendig gehalten,  für  polizeiliche  Aufsicht  Sorge  zu  tragen,  und 
zwar  nach  3  Richtungen  hin :  Zunächst  ist  eine  Aufsicht  über  richtiges 
Maß  und  Gewicht  unentbehrlich,  um  das  Publikum  vor  Betrügereien  zu 
schützeu  und  den  ländlichen  Verkäufer  gegen  ungerechtfertigte  For- 
derungen der  städtischen  Käufer  sicherzustellen.  Sodann  muß  auch 
das  Publikum  gegen  Ankauf  von  Waren,  welche  der  Gesundheit  schäd- 
lich sind,  gesichert  sein.  Eine  solche  Aufsicht  fördert  den  Verkauf, 
weil  das  Publikum  mit  größerer  Ruhe  und  Zuversicht  an  das  Einkaufen 
geht.  Endlich  muß  ein  Organ  vorhanden  sein ,  welches  Ruhestörungen 
verhindert  und  Streitigkeiten  sofort  beilegt  oder  entscheidet. 

b)  Großmarkt  verkehr. 

Wenn  irgend  etwas  dazu  beiträgt,  den  Markt  mit  einer  genügenden 
Menge  WTare  zu  versehen ,  also  das  Angebot  zu  erweitern  und  die 
Preise  zu  ermäßigen,  so  ist  es  der  Großhandel  mit  Lebensmitteln,  welcher 


Markthallen  und  Viehhöfe.  7 

mit  der  Erweiterung  einer  Stadt  und  mit  der  Ausdehnung  der  Ver- 
zehrung in  gesteigertem  Maße  seine  Thätigkeit  entwickelt.  Es  bedarf 
diese  Art  des  Handels  der  sorgfältigsten  Beachtung  und  der  größten 
Unterstützung,  denn  nur  durch  diese  Art  des  Handels  ist  es  möglich, 
einer  großen  Stadt  die  entsprechende  Menge  von  Lebensmitteln  zu- 
zuführen. 

Je  größer  eine  Stadt  ist,  desto  weniger  wird  das  umliegende  platte 
Land  imstande  sein,  den  Verbrauch  an  Lebensmitteln  in  derselben  zu 
decken,  desto  höher  werden  die  Preise  derselben  steigen,  weil  einesteils 
die  Arbeitslöhne  in  der  Nähe  der  Großstadt  höher  sind,  als  in  Klein- 
städten, ferner  auch  weil  die  Nachfrage  größer  ist,  als  das  Angebot.  In 
größeren  Entfernungen  von  der  Großstadt  sind  die  Lebensmittel  billiger, 
aber  es  ist  der  Transport  nach  der  Großstadt  teuerer.  Hier  wird  nun  der 
Großhandel  seine  Flügel  entfalten,  die  billigen  Lebensmittel  in  großen 
Mengen  aus  der  Ferne  heranziehen,  den  Bedarf  mit  dem  Angebot  aus- 
gleichen und  die  Preise  der  Lebensmittel  so  regeln,  daß  die  Versorgung 
der  Großstadt  mit  Lebensmitteln  nicht  mehr  allein  abhängig  ist  von  der 
Menge  und  der  Güte  der  in  ihrer  Umgegend  erzeugten  Waren.  Eisen- 
bahnen, gute  Wege  und  Wasserstraßen  sind  ganz  besonders  geeignet, 
die  Märkte  zu  füllen,  also  das  Angebot  zu  vergrößern,  und  wie  diese 
Anstalten  überhaupt  den  Handel  unterstützen  und  befördern,  so  müssen 
dieselben  auch  dazu  beitragen,  den  Verkehr  auf  den  Märkten  zu  er- 
leichtern und  zu  beleben. 

5.  Vorteile  der  Markthallen  8. 

Von  ganz  besonderem  Vorteil  für  den  Handel  mit  Lebensmitteln 
sind  die  Markthallen ,  sowohl  für  den  Großhandel ,  als  auch  für  den 
Kleinhandel.    Die  Vorzüge  bestehen  in  folgenden: 

a)  Schutz  der  Käufer  und   Verkäufer  vor  Wind 
und  Wetter. 

Viele  Käufer  bleiben  bei  schlechtem  Wetter  zu  Hause,  weil  ihre 
Gesundheit  und  ihre  Kleidungsstücke  ihnen  mehr  wert  sind,  als  der 
kleine  Gewinu,  den  sie  beim  Einkaufe  von  Lebensmitteln  möglicherweise 
dann  erzielen  können,  wenn  sie  dieselben  auf  dem  offenen  Markte  und 
nicht  bei  Hökern  oder  Hausierern  einkaufen.  Ebenso  wird  bei  schlechtem 
Wetter  der  Markt  auch  von  den  Verkäufern  weniger  besucht,  und  so 
tritt  hierdurch  ein  Mißverhältnis  ein,  welches  auf  den  natürlichen  Ver- 
trieb der  Ware  und  auf  die  Verzehrung  von  ungünstigem  Einflüsse 
sein  muß.  Bei  schlechtem  Wetter  ist  der  offene  Markt  spärlich  besucht, 
und  der  Käufer  sucht  seine  Bedürfnisse  sich  in  anderer  Weise  zu  be- 
schaffen, wozu  die  Kellerwirtschaften,  welche  dem  Käufer  jeden  Ver- 
brauchsgegenstand übermitteln,  und  das  Hausieren  die  beste  Gelegenheit 
darbieten.  Ist  das  Marktpublikum  gegeu  die  Einflüsse  der  Witterung 
geschützt,  so  findet  auch  der  freie  Verkehr  zwischen  Verkäufern  und 
Käufern  keine  Hindernisse,  die  Ware  kann  zur  Prüfung  ausgelegt,  das 
Handeln  braucht  nicht  beeilt  zu  werden,  und  die  Märkte  erlangen  be- 
züglich des  Angebots  und  der  Kauflust  eine  gewisse  Gleichmäßigkeit 
und  Stetigkeit,  welche  für  die  Feststellung  der  Preise  ohne  Nachteil 
nicht  gut  entbehrt  werden  kann. 


8  GEORG    OSTHOFF, 

b)  Verhinderung    der    Warenentwertung    durch 
das   Wetter. 

Auf  die  Entwertung  der  Waren  haben  große  Wärme,  große  Kälte, 
Regen  und  Sonnenschein  bedeutenden  Einfluß.  Auf  dem  offenen  Markte 
kann  daher  eine  vollständige  Entwertung  einzelner  Waren  zu  Zeiten 
eintreten,  während  eine  Markthalle  die  Verkäufer  gegen  solche  Ver- 
luste schützt ,  was  wiederum  auch  für  die  Käufer  von  Bedeutung  ist, 
da  die  vordorbenen  Waren  der  Verzehrung  entzogen  werden ,  das  An- 
gebot also  abnimmt. 

In  ganz  besonderem  Maße  wirkt  günstig  auf  die  Verwertung  der  leicht 
verderbenden  Lebensmittel  die  Einrichtung  von  Kühl  räumen  in  den 
Markthallen,  welche  in  die  Kellerräume  der  letzteren  verlegt  werden 
können.  Solche  durch  Kältemaschinen  bis  auf  etwa  +2  °  C.  künstlich 
kühl  gehaltene  Räume  sind  für  die  Markthallen  ebenso  großes  Bedürfnis 
wie  für  die  Schlachthöfe  *). 

Welcher  Schaden  aus  Mangel  an  Kühlräumen  oftmals  entsteht, 
zeigen  besonders  die  Markthallen  Berlins,  in  denen  im  Sommer  mehr- 
fach für  viele  Tausende  Mark  Geflügel  und  Wild  verdirbt.  Solche 
Kühlräume  bieten  große  gesundheitliche  und  wirtschaftliche  Vorteile. 
Erst  die  Kühlanlage  macht  die  Markthalle,  als  Stapelplatz  aller  leicht 
verderbenden  Lebensmittel,  zu  dem,  was  sie  sein  soll,  zu  einem  Orte 
zur  Erhaltung  der  Lebensmittel.  Erst  durch  die  Kühlanlage  ist  die 
Marktballe  imstande,  die  Preise  der  Lebensmittel  möglichst  konstant, 
auf  dem  niedrigsten  Satze  zu  erhalten ,  weil  sie  noch  besser,  als  der 
Schutz  vor  Regen  und  Staub  allein,  ein  Verderben  dieser  Lebensmittel 
verhütet  und  es  ermöglicht,  die  an  einem  Tage  nicht  verkauften  Waren 
bis  zu  den  nächsten  Tagen  frisch ,  ansehnlich  und  verkäuflich  zu 
erhalten. 

c)  Zweckmäßige  Aufstellung  der  Waren  und  Ausdehnung 

des  Marktes. 

Die  beschränktere  Begrenzung  einer  Markthalle  fordert  die  Auf- 
stellung der  Waren  dicht  neben  einander  und  ermöglicht  eine  bequemere 
und  bessere  Uebersicht  über  dieselbe.  Ebenso  ist  eine  bessere  gesund- 
heitspolizeiliche Aufsicht  über  die  ausgestellten  Waren  möglich. 

Durch  den  auf  wenige  Vormittagsstunden  beschränkten  Verkehr  auf 
dem  offenen  Markte  entstehen  dem  Verkäufer  häufig  nicht  unbedeutende 
Verluste.  Denn  es  müssen  die  Verkäufer  gegen  Ende  der  kurzen  Markt- 
zeit ihre  Waren  oft  mit  Schaden  losschlagen,  um  dieselben  nicht  wieder 
mit  nach  Hause  nehmen  zu  brauchen.  Aus  dieser  Verlegenheit  ziehen 
Höker  und  Marktbesucher  oft  genug  Vorteile. 

Durch  die  Erbauung  von  Markthallen  —  also  durch  Bauten,  welche 
nicht  täglich  geräumt  und  anderen  Zwecken  dienstbar  gemacht  zu  werden 
brauchen,  wie  das  bei  öffentlichen  Plätzen  der  Fall  ist,  sondern  recht 
eigentlich  für  den  ungestörten  und  unausgesetzten  Marktbetrieb  be- 
stimmt sind  —  wird  ferner  der  Stadtbewohner   in    die   Lage   gebracht, 


*)  Es  ist  sehr  zu  bedauern ,  daß  die  vorzüglich  eingerichteten  Berliner  Kleinmarkt- 
hallen  solcher  Kühlräume  gänzlich  entbehren.  Er>t  jetzt  ist  die  neue  Fleichgroßhalle 
(Markthalle  Ia)  mit  einer  Kühlhalle  versehen  worden. 

8 


Markthallen  nnd  Viehhöfe.  9 

täglich  seine  Bedürfnisse  kaufen  zu  können,  und  er  ist  nicht  mehr  ge- 
nötigt, von  einem  Markttage  zum  anderen  sich  mit  Lebensmitteln  zu 
versorgen. 

Hierdurch  werden  dreifache  Vorteile  für  den  Käufer  erreicht:  erstens 
braucht  derselbe  nur  so  viel  Geld  täglich  zu  verausgaben,  als  er  täglich 
an  Lebensmitteln  nötig  hat ;  zweitens  kann  derselbe  stets  frische  Ware 
beziehen,  und  drittens  ist  er  in  der  Regel  in  der  Lage,  bei  eintretender 
Preissteigerung  eines  Artikels  diesen  nicht  heute  einzukaufen,  sondern  an 
einem  anderen  Tage,  an  welchem  das  Angebot  größer  ist  und  die  Preise 
niedriger  sind. 

Hervorgehoben  muß  noch  werden ,  daß  es  für  das  kaufende  Pub- 
likum von  Wichtigkeit  ist,  daß  der  Markt  nicht  nur  morgens  statt- 
findet, sondern  auch  auf  den  Abend  ausgedehnt  wird ,  da  eine  Menge 
Käufer,  z  B.  Arbeiter,  nur  abends  in  der  Lage  sind,  ihre  Bedürfnisse 
auf  dem  Markte  einzuhandeln. 

d)  Begünstigung  des  Großhandels. 

Alle  Vorteile,  welche  der  Kleinhandel  von  der  Markthalle  hat,  sind 
in  erhöhtem  Maße  für  den  Großhandel  vorhanden.  Erst  durch  Er- 
richtung von  Markthallen  ist  es  dem  Großhändler  möglich,  seine  Ware 
vor  dem  Verderben  sicher  zu  schützen  und  an  demselben  Orte  den 
Verkauf  vornehmen  und  bis  zur  Fortschaffung  der  Ware  diese  in  der 
bisherigen  Weise  lagern  zu  lassen. 

Bei  dem  Einflüsse,  den  die  Hallenverwaltung  auf  die  in  den  Markt- 
hallen vorzunehmenden  Geschäfte  auszuüben  im  Stande  ist,  bei  den  Ein- 
richtungen, welche  in  dieser  Beziehung  in  der  Halle  getroffen  werden 
können,  ist  es  sicher,  daß  ein  geordneter  und  ersprießlicher  Großhandel 
in  den  meisten  Eällen  erst  durch  die  Markthalle  überhaupt  möglich  ist 
und  so  recht  eigentlich  erst  ins  Leben  gerufen  werden  kann.  Die  Markt- 
halle giebt  dem  Produzenten  erst  Gelegenheit,  seine  Ware  in  größeren 
Mengen  zu  verkaufen  und  nötigenfalls  einen  raschen  Verkauf  zu  ermöglichen. 

6.  Allgemeines  über  Markthallen  6. 

Eine  Klein  markt  halle  hat  den  Zweck ,  die  Wochenmärkte 
unter  Dach  zu  bringen.  Es  werden  also  darin  die  täglich  benötigten 
Lebensmittel  im  kleinen  verkauft.  —  Eine  Großmarkthalle  dagegen 
ist  ein  Raum,  in  welchem  die  von  dem  Kaufmanne  aus  mehr  oder 
minder  großen  Entfernungen  mit  der  Eisenbahn,  mit  Schiffen  oder  Fuhr- 
werken in  großen  Mengen  ankommenden  Lebensmittel  aufgespeichert  und 
in  größeren  Mengen  verkauft  werden,  welche  dann  in  der  Regel  in  die 
Kleinmarkthallen  gelangen. 

Kleine  und  diejenigen  größeren  Städte,  welchen  ihren  Lebensmittel- 
bedarf aus  der  allernächsten  Umgebung  decken,  sind  einer  Großmarkt- 
halle nicht  bedürftig,  und  es  kann  der  Bau  einer  solchen  unterbleiben. 
Größere  Städte  jedoch,  welche  ihre  Lebensmittel  aus  größerer  Ent- 
fernung beziehen  und  in  denen  sich  ein  Großhandel  für  Lebensmittel 
schon  entwickelt  hat ,  müssen  der  Einrichtung  einer  Großmarkthalle 
teilhaftig   werden,   jedoch   wird    hier,    wie   in   Frankfurt   a.  M.   und  in 


10  GEORG    OSTHOFF, 

Leipzig ,  sehr  zweckmäßig  ein  Teil  einer  Kleinmarkthalle  gleich  von 
vornherein  für  den  Großhandel  bestimmt  werden  können.  Erst  in  großen 
Städten  von  mehr  als  500  000  Einwohnern,  welche  stets  gezwungen 
sind,  ihren  Bedarf  an  Lebensmitteln  aus  großem  Umkreise  zu  decken, 
ist  die  Ausführung  einer  Großmarkthalle  geboten,  da  die  Bevölkerung  sich 
sonst  einesteils  ganz  und  gar  in  die  Hände  von  Hökern  und  Auf- 
käufern giebt,  andernteils  zu  Zeiten  ihren  Bedarf  nicht  rechtzeitig  decken 
wird  und  denselben  stets  mit  unverhältnismäßig  hohen  Preisen  be- 
zahlen muß. 

7.  Die  Verwaltung  der  Markthallen. 

Die  Einrichtung  der  Verwaltung  ist  in  einer  Kleinmarkthalle  eine 
andere,  als  in  der  Großmarkthalle,  und  richtet  sich  überhaupt  nach  be- 
stimmten Handelsgrundsätzen,  welche  in  dem  betreffenden  Lande  oder 
der  Stadt  herrschend  sind.  Auch  wird  die  Verwaltung  in  einer  Markt- 
halle, welche  von  Privaten  errichtet  und  betrieben  wird,  sich  anders 
gestalten,  als  wenn  die  Markthalle  sich  in  den  Händen  der  Stadt  befindet. 

a)  Die  Verwaltung  in  der  Kleinmarkthalle. 

Eine  Kleinmarkthalle,  welche  hauptsächlich  den  Zweck  hat,  Käufern 
und  Verkäufern  ein  Obdach  zu  gewähren,  bedarf  einiger  Arbeiter  zur 
Reinhaltuug  der  Halle,  der  Polizei  zur  Verhütung  von  Unzuträglich- 
keiten und  zur  Schlichtung  von  Streitigkeiten,  ferner  Organe  zur  Un- 
tersuchung der  Genußfähigkeit  der  Lebensmittel,  eines  Hallenmeisters 
oder  Marktvogtes,  der  die  Plätze  anweist,  den  Markt  eröffnet  und 
schließt  und  die  Marktgelder  einkassiert,  und  endlich  eines  Wagemeisters. 
Die  Anzahl  der  Beamten  ist  demnach  nur  gering. 

b)  Die  Verwaltung  in  der  Großmarkthalle7. 

In  Paris,  Brüssel  und  Wien  wird  der  Großverkauf  in  der  Großmarkt- 
halle ausschließlich  durch  die  Markthallenverwaltung  besorgt,  welche 
ihn  mittels  öffentlicher  Versteigerung  vornimmt.  Mit  diesem  Marktbetriebe 
ist  die  Erhebung  von  Steuern  verbunden,  welche  in  französischen  und 
belgischen  Städten  der  Stadt,  in  Wien  dem  Staate  zufließen.  Bei  dieser 
französischen  Einrichtung  der  Verwaltung  sind  eine  Menge  von  Beamten 
mit  vielen  Funktionen  nötig,  und  es  ist  der  Aufsicht  und  des  Zwanges 
kein  Ende.  In  Wien  war  anfänglich  eine  vollständige  Hallendirektion 
eingesetzt,  welche  von  einer  städtischen  Kommision,  bestehend  aus  7 
Mitgliedern  des  Gemeinderates,  überwacht  wurde.  Außerdem  waren  Konzept- 
und  Kanzleibeamte,  Ober-  und  Unterkontrolleure,  Wagemeister  und  Diener 
angestellt.  —  Bei  der  englischen  Einrichtung  der  Verwaltung  ist  jeder 
berechtigt,  seine  Ware  in  die  Großmarkthalle  zu  senden  und  dort  selbst 
oder  durch  irgend  einen  beliebigen  Beauftragten  verkaufen  zu  lassen. 
Hier  ist  also  der  Großverkauf  vollständig  freigegeben,  und  es  beschränkt 
sich  die  Verwaltung  neben  der  Handhabung  der  Sicherheits-  und  Gesund- 
heitspolizei darauf,  die  Lagerung  der  Waren  anzuordnen,  den  vorschrifts- 
mäßigen Verkauf  zu  beaufsichtigen,  die  Gebühren  zu  erheben  und  für 
rechtzeitige  Bäumung  der  Halle  zu  sorgen.  Die  gleiche  Einrichtung  ist 
auch  in  Frankfurt  a.  M.  bei  der  gleichzeitig  mit  dem  Markthallenbau 
stattgehabten  Umwandlung  des  Marktwesens  eingeführt  worden.  Bei 
der    englischen    Markteinrichtung   hat    die  Verwaltung    nur    die  Baulich- 


Markthallen  und  Viehhöfe.  11 

keiten  der  Hallen  und  inneren  Einrichtungen  in  Ordnung  zu  halten,  für 
Reinlichkeit  zu  sorgen,  die  Plätze  in  der  Halle  zu  verteilen  und  die 
Platzgebühren  zu  erheben,  sodaß  stets  wenige  Personen  zur  Besorgung 
dieser  Geschäfte  genügen.  Wenn  nur  die  zur  Aufrechterhaltung  der 
Ordnung  gegebenen  Vorschriften  erfüllt  sind,  so  entziehen  sich  der 
Marktverkehr,  die  Verkaufsgeschäfte,  die  Art  und  Weise  des  Verkaufs 
jeder  Aufsicht  durch  die  Marktbeamten. 

In  deutschen  Städten  wird  man  wohl  stets  mehr  den  englischen 
Einrichtungen  sich  hinneigen.  Wenn  man  auch  aus  Vorliebe  für  polizeiliche 
Ueberwachung  eine  genaue  Marktordnung  erlassen  und  die  Beamten 
mit  der  Aufsicht  über  die  Einhaltung  derselben  beauftragen  wird,  so 
wird  man  behördlicherseits  sich  wohl  nirgends  in  die  Abwickelung  und 
den  Gang  der  Geschäfte  einmischen. 

Eine  Großmarkthalle  benötigt  außer  den  Verwaltungsbeamten  auch 
noch  Geschäftsvermittler,  sogen.  Makler  oder  Kommissionäre. 
Auch  bezüglich  dieser  besteht  in  Frankreich  und  England  ein  großer 
Unterschied.  In  Frankreich  ist  man  der  Ansicht,  daß  der  Verkäufer  nur 
Vertrauen  zu  einem  Vermittler  gewinnen  könne,  wenn  derselbe  zugleich 
Beamter  ist,  eine  Kaution  gestellt  hat  und  zugleich  verpflichtet  ist,  das 
Interesse  des  Eigentümers  der  Ware  soviel  als  möglich  wahrzunehmen. 
Aus  diesem  Grunde  hält  man  es  für  nötig,  diesen  Beamten  die  eingehende 
Ware  zu  überweisen,  denselben  den  Verkauf  solcher  unter  gewissen  Be- 
dingungen zu  übertragen  und  es  denselben  zu  überlassen,  sich  mit  dem 
Einsender  zu  verrechnen  und  hierbei  bestimmte  Gebühren  in  Ansatz  zu 
bringen.  Die  Verkaufsgeschäfte  werden  überdies  zur  größeren  Sicherheit 
des  Eigentümers,  aber  gleichzeitig  auch  zur  näheren  Prüfung  der  ein- 
gehenden Gebühren  von  der  Hallenverwaltung  beaufsichtigt,  wobei  sich 
jedoch  diese  Aufsicht  wesentlich  auf  die  Versteigerungen  und  auf  die 
dabei  erzielten  Preise  erstreckt.  —  In  England  dagegen  hat  die  Verwal- 
tung der  Großmarkthallen  mit  dem  Verkaufe  gar  nichts  zu  thun  und  be- 
schäftigt sich  nur  damit,  die  Platzgelder  zu  erheben.  Den  Verkauf  selbst 
besorgen  die  Eigentümer  der  Waren  oder  die  Kommissionäre.  Letztere 
sind  in  der  Regel  freie,  durch  keine  Behörde  ernannte  oder  beschäftigte 
Kaufleute,  deren  Geschäft  es  ist,  den  Verkauf  der  ihnen  vom  Eigentümer 
übertragenen  Ware  bestmöglichst  zu  vermitteln.  Diese  Kommissionäre 
sind  bei  dem  Großhandel  namentlich  für  das  Ausland  von  außerordent- 
licher Bedeutung,  und  dennoch  beruht  die  ganze  Abwickelung  der  Ver- 
kaufsgeschäfte und  die  Beziehung  zwischen  Verkäufern  und  Maklern 
lediglich  auf  gegenseitigem  Vertrauen.  —  Die  Wahl  zwischen  behördlich 
angestellten  (französischen)  und  freien  (englischen)  Maklern  wird  in  Deutsch- 
land wohl  durchgängig  zu  Gunsten  der  letzteren  ausfallen,  weil  diese 
das  Interesse  der  Auftraggeber  weit  besser  wahren  werden,  als  die  Be- 
amten, und  weil  die  freien  Kommissionäre  stets  befürchten  müssen,  daß 
die  auswärtigen  Geschäftshäuser  sich  ihren  Konkurrenten  zuwenden,  so- 
bald sie  beim  Verkaufe  die  ihnen  übergebenen  Waren  nicht  alle  Kon- 
junkturen ausnutzen.  Schon  dadurch,  daß  der  Eigentümer  keine  Wahl 
unter  den  kaufmännischen  Kräften  hat  und  den  von  der  Behörde  gestell- 
ten Kommissionär  nehmen  muß,  wird  gerade  das  richtige  Moment  bei 
jedem  Kaufgeschäfte,  die  Konkurrenz,    vollständig  beseitigt. 

In  Berlin  beschäftigt  sich  die  Verwaltung  der  Centralmarkthallen 
nicht  mit  dem  Verkaufe  von  Waren.  Hier  ist  ein  Mittelding  zwischen 
der  französischen  und  englischen  Einrichtung  geschaffen.  Es  sind  hier 
Kaufleute  als  Verkaufsvermittler  zugelassen,  welche  einen  guten  Leumund 


12  GEORG    OSTHOFF. 

besitzen  und  eine  Kaution  von  20000  Mark  bei  der  Stadt  hinterlegen 
müssen.  Diese  Kaution  dient  dazu,  die  Stadt  bezüglich  der  von  den 
Verkaufsvermittlern  gemieteten  Lagerräume  zu  decken,  aber  nicht  dazu, 
berechtigten  Ansprüchen  der  Großproduzenten  gerecht  zu  werden.  An 
diese  Verkaufsvermittler,  welche  ihre  Agenten  in  die  Provinzen  senden, 
haben  die  Produzenten  ihre  Waren  zu  schicken,  und  es  verkaufen  erstere 
je  nach  Wunsch  der  Absender  die  Waren  freihändig  oder  im  Auktions- 
wege. Diese  Verkaufsvermittler  beziehen  außer  der  Provision  und  der 
Rückerstattung  ihrer  baren  Auslagen  keine  weiteren  Gebühren. 


8.  Die  Gebühren  und  die  Rentabilität  der  Markthallen. 

Da  die  Wochenmärkte  dazu  bestimmt  sind,  den  hauptsächlichsten, 
wenn  nicht  ganzen  Bedarf  einer  Stadt  an  Lebensmitteln  zu  bestimmten 
Tagen  und  Stunden  zuzuführen ,  so  hängt  die  Lebensmittelversorgung 
einer  Stadt  fast  gänzlich  von  dem  Besuche  der  Verkäufer  auf  den 
Wochenmärkten  und  der  Menge  und  Güte  ihrer  Waren  ab.  Die  Markt- 
hallen schützen  nun  die  Waren  vor  dem  Verderben ,  die  Käufer  und 
Verkäufer  vor  der  Ungunst  der  Witterung,  führen  größere  Stetigkeit 
in  den  Preisen  der  Lebensmittel  und  in  Angebot  und  Nachfrage  herbei 
und  tragen  dadurch  zur  leichteren,  besseren  und  billigeren  Versorgung 
der  Stadt  mit  Lebensmitteln  bei.  —  Die  Annehmlichkeiten  und  Vor- 
züge, welche  die  Markthallen  für  Käufer  und  Verkäufer  mit  sich  bringen, 
gestatten  die  AuferleguDg  selbst  bedeutender  Abgaben  für  die  von  den 
Verkäufern  eingenommenen  Plätze  und  machen  daher  die  Verzinsung 
und  Amortisation  der  Anlagekosten  der  Markthallen  möglich,  ohne  die 
Preise  der  Lebensmittel  zu  steigern,  vorausgesetzt,  daß  diese  Anlage- 
kosten in  einem  richtigen  Verhältnisse  zu  der  Verwendung  der  Halle 
stehen. 

Nun  ist  aber  in  der  Regel  erst  dann  ein  Markt  fähig,  bei  geringen 
Platzgebühren  eine  Markthalle  rentabel  zu  machen,  wenn  die  Stadt  be- 
reits eine  gewisse  Größe  besitzt  und  sich  während  einer  Woche  ein 
mehrmaliger  Markt  als  notwendig  herausstellt,  und  es  ist  überhaupt 
die  Notwendigkeit  der  Errichtung  einer  Markthalle,  selbst  in  großen 
Städten,  auch  nur  dann  vorhanden ,  wenn  das  meiste  Publikum  seine 
Waren  auf  Wochenmärkten,  nicht  aber  von  Hausierern  einhandelt. 

Um  eine  Rentabilität  der  Markthallen  zu  erzielen  und  nur  geringe 
Standgebühren  zu  benötigen,  ist  es  unter  allen  Umständen  nötig,  ein 
Grundstück  zu  erwählen,  welches  geringe  Kaufkosten  erfordert,  sowie 
die  Halle  den  Erfordernissen  des  Marktverkehrs  anzupassen  und  mit 
geringen  Mitteln  herzustellen.  Sollte  ein  öffentlicher  Platz  nicht  zur 
Verfügung  stehen ,  so  werden  diese  Bedingungen  am  besten  erreicht, 
wenn  die  Halle  inmitten  der  Häuserblocks  erbaut  wird,  da  auf  diese 
Weise  elegante  und  große  Facaden ,  welche  hohe  Kosten  verursachen, 
vermieden  werden.  Wo  aber  die  Hallen  an  die  Straßen  gesetzt  werden 
müssen,  sind  den  ersteren  mit  Vorteil  Geschäftshäuser  oder  Läden 
vorzubauen ,  um  so  die  teueren  Facaden  zu  verwerten  und  zur  Ver- 
zinsung zu  bringen.  Ebenso  sollen  die  Hallen  und  ihre  inneren  Ein- 
richtungen zwar  dauerhaft,  aber  einfach  ausgeführt  werden,  um  auf 
diese  Weise  geringe  Anlage-  und  Unterhaltungskosten  zu  erzielen. 

Die  Kosten  der  Markthallen  sind  nun  sehr  verschieden.  Es 
kosteten : 


Markthallen  und  Viehhöfe.  K> 

1)  Die  Centralmarkthaile  in  Berlin,  bestehend  aus  Stein  mit  Eisen- 
konstruktion des  Daches,  mit  Keller  und  einem  Geschoß  mit  Gallerien,  160 
M.  p.  qm  bebauter  Grundfläche. 

2)  Die  Kleinmarktballe  am  Magdeburger  Platz,  bestehend  aus  Stein 
und  Eisenkonstruktion  des  Daches,  mit  Keller  und  einem  Geschoß  ohne 
Gallerien,   176  M.  p.  qm. 

3)  Die  Großmarkthalle  in  Wien,  bestehend  aus  Stein,   145,60  M.  p.   qm. 

4)  Die  Markthalle  in  Frankfurt  a.  M.,  bestehend  aus  Eisen  und  Glas, 
181,20  M.  p.  qm. 

5)  Die  Markthalle  zu  Leipzig,  bestehend  aus  Stein  mit  Eisenkonstruk- 
tion des  Daches,  mit  Keller,  einem  Geschoß  und  Gallerien,  ca.  312 
M.  p.  qm. 

6)  Die  Markthalle  zu  Heilbronn  (Projekt  von  Osthoff),  aus  Stein 
mit  Holz-Sheddach,  mit  Keller  und  einem  Geschoß,  veranschlagt  zu  83,50 
M.  p.  qm. 

7)  Die  Markthalle  zu  Halberstadt  aus  Stein  mit  einem  Sheddach, 
mit  Keller  und  einem  Geschoß,  106,20  M.  p.  qm. 

Der  Verfasser  berechnet  den  Raumbedarf  einer  Markthalle 
für  Städte: 

a)  mit  20  OOO  bis  30  OOO  Einwohnern  zu  35   qm  p.   IOOO  Einwohner, 

b)  ,,      30OOO     „     5OOOO  ,.  ,,    30      ,,      ,,         „  ,, 

c)  mit  mehr  Einwohnern  ,,    25      ,,     ,,       ,,  ,, 

Werden  in  einer  Markthalle  Kühleinrichtungen  ausgeführt,  was  in 
jeder  Weise  zu  empfehlen  ist,  so  vergrößern  sich  die  Baukosten  der 
Markthalle  nur  unbedeutend,  da  man  die  Kühlräume  mit  den  Maschinen 
etc.  in  den  Keller  anordnen  kann,  dagegen  kommen  noch  die  Kosten 
der  Dampfkessel,  Dampfmaschinen,  Kühlmaschinen  und  Kühlapparate 
hinzu. 

Man  kann  nun  annehmen,  daß 

a)  Städte  bis  zu  20000  Einwohnern  130  qm  Kühlraumfläche  in  der 
Markthalle  gebrauchen,  und  daß  dann  die  Kosten  für  Bau,  innere  Ein- 
richtung der  Kühlzellen,  für  sämtliche  Kessel,  Maschinen  und  Kühl- 
apparate 35  000  M.  betragen.     Eerner: 

b)  Städte  von  20000  bis  35  000  Einwohnern  180  qm  Kühlraum- 
fläche mit  42  000  M.  Kosten  benötigen. 

c)  Städte  von  35  000  bis  50  000  Einwohnern  mit  300  qm  Kühlraum- 
grundfläche bei  62  000  M.  Unkosten  auskommen. 

d)  Städte  von  50  000  bis  75  000  Einwohnern  400  qm  Kühlhaus- 
fläche bedürfen  bei  einer  Summe  von  82  000  M. 

e)  Städte  von  75  000  bis  100000  Einwohnern  600  qm  mit  116  000 
M.  beanspruchen. 

f)  Städte  von  100.000  bis  150000  Einwohnern  800  qm  mit  148000 
M.  benötigen. 

Um  nun  einen  ungefähren  Anhalt  über  die  Kosten  zu  haben,  welche 
die  Kühlanlagen  im  Betriebe  erfordern,  sei  hier  bemerkt,  daß  die  jähr- 
lichen Unkosten  bei  200  Betriebstagen,  inkl.  Amortisation  und  Unter- 
haltung der  Maschinen  etc.,  betragen : 


13 


14 


GEORG    OSTHOFF, 


Gröfse  des 

Kühlraumes 

Jährliche 
Unkosten 

Erforderliche  Miete 
der  Kühlzellen 
p.  qm  und  Jahr 

130  qm 
180     „ 
300     „ 
400     „ 

5540  Mk. 

73IO     „ 
13440     ., 
17400     „ 

64  Mk. 
61     „ 
67      „ 

65  ,. 

Die    Miete    für    die    Stände    in   der   Markthalle    ist   überall 
verschieden : 


a)  Leipzig. 


b)  Frankfurt  a.  M. 


p.  qm   und  Tag 


b.  monatl 
Zahlung 


b.  tägl. 
Zahlung 


1)  Fleisch,    Wild 

Geflügel 

40  Pf. 

50   Pf. 

2)   Süßwasserfische 

30     ., 

35    >. 

3)  Obst,  Grünwaren, 

Butter,  Käse, 

Eier,  Backwaren, 

Mehl,  trockenes 

Gemüse,  Blumen. 

Seife 

20      „ 

30    „ 

4)  Kartoffeln 

15      .. 

20    „ 

5)  Holzwaren  etc. 

IO     „ 

J5    >• 

1)  Für  die  Stände  p.  qm.  und  Tag. 

a)  am  Mittwoch   und  Sonnabend: 

im  Erdgeschofs  40  Pf. 

auf  der  Gallerie  30    ,, 
ß)  an  den  anderen  Wochentagen: 

im  Erdgeschosse  20  Pf. 

auf  der  Gallerie    15    „ 

2)  Für  die    nicht  numerierten  Plätze  p.  qm 
und  Tag   20  Pf.  an  allen  Tagen. 


c)  Berlin. 


pr.  qm  ur. 

d  Tag  bei 

monatl. 

täglicher 

Vergebung 

1)  Fleisch,  Wild, 

40 

Pf. 

50  Pf. 

Geflügel 

2)  Süßwasserfische 

30 

,, 

35     » 

(ohne  Wasser) 

3)  Seefische 

20 

„ 

30    ,, 

4)  Obst,  Käse,  But- 

ter, Eier,  Ge- 

müse,Blumen  etc. 

20 

,, 

30    „ 

5)  Kartoffeln 

20 

,, 

20     „ 

6)  Holzwaren 

IO 

11 

10    „ 

7)  Kellerräume 

5 

M 

10     „ 

d)  Halberstadt. 

Die    gröfste    Höhe  der    Gebühren    ist 
hier  festgesetzt  wie  folgt: 


am  Mitt- 

an den 

woch  und 

übrigen 

Sonnabend 

Wochentg 

pr.  qm  in 

Pfennig. 

Fisch-Stände  p.  Tag 

55 

40 

Fleisch-    ,,     „     ,, 

65 

45 

Gemüse-   ,,     ,,     ,, 

45 

35 

Keller-      „     ,,     ,, 

10 

10 

Die  Gebühren  sind  in  den  3  ersten  Städten  viel  zu  niedrig,  um  eine 
genügende  Verzinsung  der  Kosten  des  Grundstückes,  der  Gebäude  und 
der  inneren  Einrichtungen,  —  welch'  letztere  in  Frankfurt  a.  M.  aller- 
dings sehr  primitive  sind  und  den  Ansprüchen  der  Neuzeit  an  praktische 
Fleisch-  und  Fischstände  nicht  entsprechen,  —  zu  erzielen.  Dagegen 
scheinen  die  Gebühren  der  Markthalle  zu  Halberstadt  diesen  Er- 
wartungen zu  entsprechen. 


14 


Markthallen  und  Viehhöfe.  15 

9.  Die  Lage  der  Markthallen  in  der  Stadt. 

Für  die  Großmarkthalle  ist  die  Notwendigkeit  maßgebend,  die 
Halle  in  unmittelbarer  Nähe  eines  Bahnhofes  oder  eines  Schiffahrts- 
weges zu  haben,  damit  die  von  auswärts,  manchmal  aus  weiter  Ferne 
kommenden  Güter   unmittelbar   in   die  Halle   verladen   werden   können. 

Ganz  andere  Ansprüche  werden  an  die  Lage  der  Kleinmarkt- 
hallen gestellt.  Diese  sollen  im  Innern  einer  Kleinstadt  oder  im  In- 
nern eines  Stadtviertels  einer  Großstadt  liegen  und  zwar  dort,  wo  der 
Verkehr  am  größten  ist,  wo  früher  schon  ein  Wochenmarkt  bestand, 
oder  in  dessen  Nähe. 

Bei  der  Groß  mark  t  halle  ist  die  Bequemlichkeit  der  Anfuhr 
der  in  großen  Mengen  ankommenden  Lebensmittel  und  die  der  Abfuhr 
der  in  kleinen  Mengen  von  dieser  Halle  zu  den  Kleinmarkthallen  zu 
gelangenden  Waren  für  die  Lage  der  Großmarkthalle  maßgebend. 
Die  Lage  der  Kleinmarkthalle  richtet  sich  dagegen  hauptsächlich  nach 
der  Bequemlichkeit  des  Publikums.  Wie  der  schönste  und  größte  Laden 
wenig  besucht  werden  wird,  wenn  derselbe  in  einer  abseits  vom  großem 
Verkehr  liegenden,  wenig  besuchten  Straße  sich  befindet,  so  werden  auch 
diejenigen  Kleinmarkthallen  weit  weniger  vom  Publikum  benutzt 
werden,  welche  sich  abseits  von  den  Verkehrsmittelpunkten  der  Stadt 
befinden,  als  diejenigen,  welche  innerhalb  derselben  liegen  und  bequem 
zugängig  sind*). 

Der  gewöhnliche  WTochenmarkt,  dem  die  Ware  mit  Kiepen,  Wagen 
und  Karren  zugeführt  wird,  bedarf  keiner  großartigen  Verkehrszugänge 
durch  Eisenbahnen  und  Wasserverbindungen,  hat  seine  beste  Lage  da, 
wo  er  den  Käufern  am  nächsten  ist.  So  finden  sich  die  meisten  dieser 
Märkte  daher  auch  mitten  in  der  Stadt,  in  den  belebtesten  Teilen  der- 
selben. Erst  wenn  die  Entfernungen  des  Käufers  vom  Markte  zu  groß 
werden,  und  der  Gang  zum  Markte  zu  viel  Zeit  in  Anspruch  nimmt, 
bilden  sich  neue  Marktbezirke9.  In  dieser  Hinsicht  ist  Berlin  am 
richtigsten  vorgegangen,,  indem  es  die  ersten  8  Kleinmarkthallen 
in  bestimmten  Entfernungen  von  einander  erbaut  hat.  Hier  hat  sich 
gezeigt,  daß  die  Hausfrauen  schon  kaum  mehr  in  die  Markthallen 
wandern,  wenn  die  Entfernungen  von  der  Markthalle  mehr  als  20  Mi- 
nuten groß  ist,  wenn  dieselbe  also  etwa  1200  m  beträgt.  In  solchem 
Umkreise  von  den  Markthallen  haben  sich  überall  schon  Vorkostläden 
angesiedelt,  welche  ihre  reichliche  Verzinsung  finden. 

Leipzig ,  Frankfurt  a.  M. ,  Hannover ,  Dresden ,  Chemnitz  dagegen 
haben  nur  eine  Markthalle  erbaut  und  beanspruchen  von  vielen  Haus- 
frauen, daß  sie  eine  ganze  Stunde  weit  zu  Markte  gehen. 

10.  Die  bauliche  Anlage  und  die  inneren  Einrichtungen  der 

Markthallen  l  ° . 

Da  die  Markthallen  reine  Nützlichkeitsbauten  sind,  deren  Anlage- 
kosten  sich   durch   die  Standgelder  angemessen   verzinsen   sollen,   wie 


*)  Dies  hat  in  der  jüngsten  Zeit  Berlin  erfahren.  Im  vorigen  Jahre  sind  in  Berlin 
7  neue  Markthallen  zu  den  vorhandenen  8,  welche  innerhalb  der  eng  bebauten  Stadtviertel 
lagen,  hinzugekommen,  diese  aber  an  die  Peripherie  der  Stadt  gelegt  worden.  Einige 
dieser  neuen  Markthallen  ,  welche  abseits  der  Pferdebahn  und  an  der  Stadtgrenze  lagen, 
mußten  wegen  Mangels  an  Käufern ,  und  daraus  hervorgehend,  wegen  Mangels  an  Ver- 
käufern sehr  bald  wieder  geschlossen  werden. 

15 


16  ,  GEORG    OSTHOFF, 

auch  die  Verwaltungskosten  durch  sie  gedeckt  werden  müssen,  so  sind 
diese  Hallen  in  der  einfachsten,  aber  zweckentsprechendsten  Weise  her- 
zustellen. Wie  elegante  Fagaden  zu  vermeiden  oder  durch  Herstellung 
von  Läden  etc.  auszunutzen  sind,  ebenso  sind  eiserne  Prachtbauten,  wie 
die  Markthalle  zu  Frankfurt  a.  M.  unzweckmäßig,  weil  solche  Bauten 
im  Sommer  zu  heiß  und  im  Winter  zu  kalt  sind.  Die  Außenwände 
sollen  aus  starkem  Mauerwerke  bestehen,  welches  die  Kälte  und  Wärme 
von  dem  innern  abhält.  Hölzerne,  von  eisernen  Säulen  unterstützte 
Sheddächer,  welche  von  oben  Nordlicht  einlassen,  sind  einfach  und 
bequem,  beanspruchen  aber  eine  besondere  Ventilation  durch  genügende 
Zuführung  kalter  Luft  von  unten  auf  der  Nordseite  und  Abführung  der 
erwärmten  Luft  mittels  hochgeführter  Luftabsauger  (von  Alex.  Huber 
in  Köln  a.  Rh.). 

Die  Hauptbedingungen  für  den  Bau  einer  Markt- 
halle sind  folgende: 

a)  Die  Halle  soll  möglichst  viel  Licht,  aber  hauptsächlich  nörd- 
liches Licht  erhalten; 

b)  sie  soll,   bei   geringster  Zugluft  im  unteren  Teile ,    oben  vor- 
züglich gelüftet  sein ; 

c)  sie  soll  derart  starke  Außenmauern  besitzen,  daß  im  Sommer 
die  Hitze  und  im  Winter  die  Kälte  abgehalten  wird; 

d)  sie  soll  dem  Bedarf  entsprechend  geräumig  genug  sein, 

e)  genügend  viele  und  bequeme  Zugänge  besitzen,und 

f)  ein  geringes  Baukapital  beanspruchen. 

Von  wesentlicher  Bedeutung  für  die  Markthallen  sind  ihre  Zu- 
gänge. Es  ist  durchaus  erforderlich,  daß  die  in  die  Häuserblocks 
geschobenen  Hallen  in  bequemster  Verbindung  mit  den  umliegenden 
Straßen  stehen,  daß  diese  Verbindungen  genügende  Breite  haben  und 
daß  deren  so  viele  als  möglich  vorhanden  sind ,  weil  hierdurch  der 
Verkehr  am  meisten  geteilt  und  abgeleitet  wird. 

Diese  Zugänge  sind  aber  so  zu  legen,  daß  nicht  ein  Hauptgang 
zwischen  den  Ständen  und  sonst  nur  Nebengänge  mit  untergeordneten 
Ständen  geschaffen  werden,  sondern  derartig,  daß  alle  Gänge  gleichmäßig 
besucht  und  dadurch  alle  Stände  gleichwertig  werden.  Die  Zugänge  sind 
mindestens  3,5  m  breit  zu  machen  und  mit  Windfängen  zu  versehen. 

Wagen  und  breite  Karren  brauchen  in  die  Kleinmarkthallen  nicht 
hineinzufahren. 

Bei  der  Großmarkthalle,  wo  das  bequeme  Auf-  und  Abladen  der 
Waren  auf  und  von  den  Wagen  von  großer  Bedeutung  und  das  Publikum 
in  geringer  Anzahl  vertreten  ist,  wird  man  dafür  Sorge  tragen,  daß 
die  Wagen  und  Karren  in  die  Halle  fahren  können.  Dabei  erscheint 
es  rätlich,  die  Einrichtung  der  Eisenbahn-Güterschuppen  nachzuahmen 
und  den  Fußboden  der  Halle  zu  erhöhen,  sodaß  ein  bequemes  Be-  bezw. 
Entladen  der  an  den  Längsseiten  der  Halle  unter  Dach  vorgefahrenen 
Land-  und  Eisenbahnfuhrwerke  möglich  ist,  während  der  mittlere  Raum 
teils  den  Waren  als  Lagerplatz,  teils  dem  Publikum  als  Gang  dient. 
Von  besonderer  Wichtigkeit  aber  ist  es,  die  Waren  so  zu  legen,  daß 
das  Auktionsgeschäft  bequem  und  glatt  von  statten  geht. 

Das  Innere  der  Kleinmarkthalle  besteht  aus  Ständen,  welche  an 
Längsgängen  angeordnet  sind. 

16 


Markthallen  und  Viehhöfe.  17 

In  Entfernungen  von  etwa  30  in  sind  Quergänge  angeordnet.  Die 
Stände  sind  verschieden  geartet,  je  nach  ihrem  Zwecke.  Die  Gemüse- 
stände sind  Stände  aus  Gitter ,  welche  vorne  offen ,  nur  durch 
einen  Ladentisch  oder  Brett  vom  Gange  abgesperrt  sind,  seitlich  etwa 
1,5  m,  hinten  2,0  m  Höhe  haben  und  welche  mit  Bords  zum  Aufstellen 
der  Gemüsekörbe  etc.  versehen  sind.  Die  Fleischstände  dagegen 
sind  aus  Gitter  bestehende,  2,5  m  hohe  Läden,  welche  oben  einen  Gitter- 
boden haben,  vorne  einen  nach  oben  zu  öffnenden  Ladenverschluß  be- 
sitzen und  mit  Ladentisch,  Haublock  und  Hakenrahmen  ausgestattet  sind. 
Die  Stände  für  lebende  Fische  sind  Bassins  aus  Marmorplatten, 
welche  einen  stetig  fließenden  Wasserzufluß,  sowie  einen  Ueberlauf  und 
einen  mit  Verschlußstöpsel  versehenen  Bodenablauf  besitzen. 

Die  Stände  für  Gemüse  und  für  die  Fische  macht  man  in  Deutsch- 
land in  der  Regel  2  m  lang  und  1,8  bis  2,2  m  tief.  Die  Fleischstände 
dagegen  haben  eine  Länge  und  Tiefe  von  2,5  m  oder  mehr.  In  der 
Centralhalle  in  Paris  entfallen  auf  jeden  Stand  für  Fleischer  5  bis  9  qm, 
für  Frucht-  und  Blumenhändler  4  qm,  für  Gemüsehändler  2  qm  Grund- 
fläche. 

Die  Gänge  zwischen  den  Standreihen  sind  mindestens  2,3  m,  besser 
2,5  m  breit  zu  machen. 

Außer  dem  großen  Hallenraum e  für  Verkaufsgegenstände  müssen 
in  der  Markthalle  vorhanden  sein :  a)  ein  oder  zwei  Räume  für  Büreaux 
der  Verwaltung;  b)  ein  Raum  für  die  Marktpolizei;  c)  ein  Raum  für 
mikroskopische  Untersuchungen ;  d)  Aborte  und  Pissoirs,  Angenehm 
ist  den  Verkäufern  eine  kleine  Gastwirtschaft  mit  Kaffeeküche. 

Große  Keller  anzulegen,  hat  keinen  Zweck,  es  sei  denn,  dieselben 
würden  durch  Kühlmaschinen  kühl  gehalten.  In  diesem  Falle  werden 
sie  auch  nur  benutzt. 

In  den  Keller  müssen  mehrere  bequeme  Steintreppen  von  mindestens 
1,5  m  Wangenbreite  mit  15  cm  Steigung  und  30  cm  Auftritt  hinabführen. 
Aufzüge  werden  selten  benutzt. 

An  geeigneten  Orten  sind  Sammelgruben  zur  Aufnahme 
derAbfälle  anzulegen  (siehe  hierüber  in  E.  Richter:  Straßenhygiene 
[Bd.  II,  Abteilung  1  dieses  Handbuches]).  Eine  künstliche  Beleuch- 
tung mittels  Gas  oder  elektrischen  Lichtes  ist  durchzuführen,  ebenso 
wie  die  Anlagen  der  Zuführung  reinen  Wassers  und  der  Abführung  der 
Schmutzwasser  geboten  sind. 

Als  Beispiele  sind  hier  3  Markthallen  in  Berlin  vorgeführt,  welche 
als  mustergiltig  betrachtet  werden  können. 

(Fig.  1—5  S.  18,  19  und  20.) 


II.  Märkte  für  Pferde  und  Vieh. 

Wohl  fast  in  jeder  Stadt  über  10000  Einwohnern  sind  im  Jahre 
mehrere  Tage  festgesetzt,  an  denen  ein  Auftrieb  und  ein  Handel  mit 
Pferden  und  Vieh  stattfinden  kann,  und  es  ist  für  solche  Märkte  ent- 
weder ein  freier  Platz  in  der  Stadt,  oder  ein  Platz  außerhalb  der  Stadt 
zur  Verfügung  gestellt.    In  großen  Städten  dagegen  ist  häufig  ein  Platz 

Handbuch  der  Hygiene.    Bd.  VI.  2 


18 


GEORG    OSTHOFF, 


Kleinmarkthalle  zu  Berlin  zwischen  der  Dresdener  Strafse  und  dem  Luiseuufer. 
Arch.   Blankenstein. 


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Fig.  1. 

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Markthallen  und  Viehhöfe. 


19 


Kleinmarkthalle  zu  Berlin  an  der  Eisenbahnstrafse. 
Arch.  Blankenstein. 


Fig.  2. 


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GEORG    OSTHOFF, 


Kleinmarkthalle  zu  Berlin  auf  dem  Magdeburger  Platze. 
Arch.  Blankenstein. 


Fig.  3. 


Fig.  4. 


Fig.  5. 
20 


Markthallen  und  Viehhöfe.  21 

für  solche  Märkte  besonders  hergerichtet  und  mit  den  nötigen  bau- 
lichen Anlagen  versehen.  In  mittleren  Städten  begnügt  man  sich  mit 
einfachen  Schranken  von  Holz  oder  Eisen,  an  welche  die  Pferde 
und  das  Hornvieh  angebunden  werden,  während  die  Schweine  und  Schafe 
in  leichte,  wegnehmbare  Hürden  gesperrt  werden.  Die  Märkte  der 
kleineren  Städte  entbehren  dagegen  durchweg  fast  jeder  der  oben 
erwähnten  Einrichtungen.  Hier  werden  Pferde  und  Hornvieh  an  die 
in  einer  Reihe  aufgefahrenen  Wagen  gebunden,  während  Schweine  und 
Schafe  auf  den  Wagen  verkauft  werden. 

Wie  ein  gut  durchgebildeter  Pferdemarkt  herzustellen  ist,  möge 
an  dem  Entwurf  für  einen  Pferdemarkt  in  Wien  (Fig.  6,  vom  Baurate 
Paul  in  Wien)  gezeigt  werden11: 

Dieser  Markt  teilt  sich  dem  Zwecke  nach  in  2  Hälften,  nämlich 
einerseits  für  den  Verkauf  von  Reitpferden  und  andererseits  für  den  von 
Wagenpferden.  Beide  Märkte  haben  eine  Rundbahn  erhalten,  eine  für 
das  Probereiten  und  eine  andere  für  das  Probefahren.  Der  von  der  Bahn 
umschlossene  Kreis  bildet  den  Raum  für  die  Käufer,  Verkäufer  und  Zu- 
schauer. Die  ganze  Anlage  verlangt  eine  Grundfläche  von  208,7  m  Länge 
und  174,0  m  Breite.  Für  die  Reitabteilung  hat  der  kreisrunde  Platz  einen 
Durchmesser  von  82  m.  Die  Bahnbreiten  betragen  7,0  m.  Die  Reitbahn 
ist  mit  einem  gegen  den  Zuschauerplatz  weit  vorspringenden  Dache  zu 
überdecken,  damit  die  Zuschauer  bei  Regenwetter  unter  dem  Vordache 
Schutz  finden  können.  Die  Pferdestände  ordnen  sich  im  Vierecke  rings 
um  die  genannten  Rundbahnen  an  und  dienen  entweder  nur  für  die 
Marktstunden  als  Verkaufsstände  oder  auch  für  längere  Einstallung. 
Letztere  sind  in  der  Abbildung  als  Pferdestallung  bezeichnet.  In  ersteren 
genügt  die  Standbreite  von  1,4  m  und  die  Standlänge  von  2,5  m  für 
ein  Pferd ;  letztere  müssen  aber  bequemer  (mit  Standabmessungen  von 
1,6  m  Breite  und  3,5  m  Länge)  eingerichtet  werden.  Auch  haben  die 
Stallungen  Futterböden  zu  erhalten.  Zwischen  den  Stallungen  und  der 
Fahr-  und  Rennbahn  ist  der  Platz  zu  pflastern,  um  denselben  für  Probe- 
fahrten mit  schweren  Zügen  benutzen  zu  können.  Das  Verwaltungs- 
gebäude hat  die  Räume  für  den  Aufenthalt  der  Tierärzte,  für  die  Schreib- 
hilfe, für  die  Parteien  und  Pferdewärter  und  endlich  eine  Wohnung  für 
den  Marktaufseher  zu  enthalten.  Zu  beiden  Seiten  dieses  Gebäudes 
sind  die  reichlich  mit  Fenstern  zu  versehenden  Durchgangsräume  der 
Pferde  (a  in  der  Zeichnung),  welche  von  Tierärzten  untersucht  werden, 
anzuordnen.  Diese  Tierärzte  verweilen  während  der  Ankunft  der  Pferde 
in   den  Nebenräumen  b. 

Die  Schranken  zum  Anbinden  der  Pferde  und  des  Hornviehes  sind 
so  zu  stellen,  daß  der  Käufer  imstande  ist,  jedes  Tier  von  allen  Seiten 
zu  besehen.  Die  Schranken  sind  demnach  so  anzuordnen,  daß  das  Vieh 
nur  an  der  einen  Seite  an  dieselben  angebunden  werden  kann  und 
zwischen  den  nächstliegenden  Schranken  noch  ein  Gang  von  mindestens 
1,5  m  frei  bleibt.  Hinter  2  Reihen  von  Tieren  ist  ebenfalls  ein  Gang 
von  3,0  m  erforderlich. 

Vollkommnere  Einrichtungen  zum  Aufstellen  von  Hornvieh,  sowie 
zum  Unterbringen  von  Kleinvieh  und  Schweinen  sind  in  dem  Kapitel  in 
„Schlachtviehmärkte"  zu  finden. 


22 


GEORG   OSTHOFF, 


Entwurf  eines  Pferdemarktes  in  Wien. 
Arch.  Paul. 


Wagen -Auf  Stellungsplatz 

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174  00- 

Fir.  6. 


Markthallen  und  Viehhöfe.  23 


III.  Schlachthöfe  und  Schlachtviehmärkte. 

Es  würde  logisch  richtig  sein,  hier  zunächst  die  Schlachtviehmärkte 
den  übrigen  vorher  besprochenen  Märkten  anzuschließen  und  zuletzt  die 
Schlachthöfe  zu  behandeln.  Da  aber  die  Anlage  der  Schlachtvieh- 
märkte wesentlich  von  der  Anlage  der  Schlachthöfe  abhängig  ist,  und 
überdies  mit  wenigen  Ausnahmen  nur  eine  dem  Schlachthofe  dienende 
Anlage  ist,  erscheint  es  wünschenswert,  zunächst  die  Schlachthöfe  und 
dann  die  Schlachtviehmärkte  zu  besprechen. 


A.  Die  Schlachthöfe12. 

1.  Allgemeines. 

Schlachthöfe  sind  Anlagen,  in  welchen  diejenigen  Tiere,  deren  Fleisch 
den  Menschen  zum  Genüsse  dient,  getötet,  bis  zur  Zerteilung  ausge- 
schlachtet, im  lebenden  und  getöteten  Zustande  auf  ihren  allgemeinen 
Gesundheitszustand,  sowie  auf  die  Genußfähigkeit  ihres  Fleisches  tier- 
ärztlich untersucht  werden,  und  endlich,  in  welchen  das  gesunde  Fleisch 
bis  zum  Bedarfe  aufbewahrt  und  konserviert  wird. 

Infolgedessen  besteht  ein  Schlachthof  aus  vielen  Gebäuden  oder 
Räumen,  in  welchen  die  Einstallung  des  Viehes  (in  Ställen),  das  Schlachten 
desselben  (in  Schlachthäusern),  die  Aufbewahrung  und  Konservierung 
des  Fleisches  (in  Kühlräumen),  die  Reinigung  der  Eingeweide  (in 
Käldaunenwäschen),  die  Beseitigung  des  Düngers  (in  Düngerhäusern) 
vor  sich  geht,  und  welche  zur  Unterbringung  der  Verwaltung  und  der 
Beamten  (Verwaltungsgebäude),  zur  Reinigung  und  zum  Aufenthalte  der 
Meister  und  Gesellen  (Meister-  und  Gesellenstuben),  zur  Aufstellung 
der  Dampfkessel  (Kesselhaus)  und  der  Maschinen  und  Pumpen  (Ma- 
schinenhaus) dienen. 

Ein  solcher  Schlachthof  wird  aus  gesundheitlichen  Gründen  erbaut 
und  dazu  bestimmt,  sämtliche  Schlachtungen  im  gesamten  Gebiete  der 
Gemeinde  in  sich  aufzunehmen,  und  es  ist  alsdann  die  Ausübung  des 
Schlachtens  an  irgend  einem  anderen  Platze  verboten. 

Die  Zusammenlegung  aller  Schlachtungen  einer  Stadt  an  einem 
einzigen  Orte  oder,  wie  in  Paris,  Wien  oder  in  anderen  großen  Städten, 
an  einzelnen  wenigen  Plätzen  oder,  mit  anderen  Worten,  das  Errichten 
„öffentlicher  Schlachthöfe  mit  allgemeinem  Schlacht- 
zwange", hat  in  erster  Linie  den  Zweck,  eine  genaue  und  zu- 
verlässige Ueberwachung  über  die  Gesundheit  des  Tieres  und 
Fleisches  und  über  die  sonstige  Beschaffenheit  des  Fleisches  aus- 
zuüben. Eine  solche  Ueberwachung  ist  nicht  möglich,  wenn  jeder 
Metzger  die  Tiere  in  seinem  Hause  schlachtet,  und  ist  um  so  we- 
niger durchführbar,  je  größer  die  Stadt,  also  je  größer  die  Anzahl 
der  Metzger  ist.  Eine  solche  Ueberwachung  wurde  von  Jahr  zu  Jahr 
notwendiger,  nachdem  im  Jahre  1858  in  Preußen  die  Abdeckereigerecht- 
same aufgehoben  wurden  und  sich  herausstellte,  daß  die  Trichinose- 
erkrankungen immer  häufiger  auftraten. 

Das  Bedürfnis  nach  einer  sachgemäßen  Fleischbeschau  und  die  Ein- 
sicht, daß  die  Ueberwachung  über  die  Güte  des  Fleisches  nur  in  einzelnen 

23 


24  GEORG   OSTHOFF, 

Hauptschlachtstätten  ausgeübt  werden  könne,  führte  in  Preußen  zu  dem 
„Gesetz  vom  18.  März  1868  und  den  Abänderungen  und  Ergänzungen 
vom  9.  März  1881",  welche  Gesetze  den  Gemeinden  die  Macht  in  die 
Hände  geben,  innerhalb  ihres  Bezirks  die  Metzger  zu  zwingen,  in  einem 
einzigen  Schlachthofe  ihre  Tiere  zu  schlachten  und  alle  diejenigen  em- 
pfindlich zu  strafen,  welche  frisches  Fleisch  von  auswärts  in  die  Stadt 
einführen,  ohne  dasselbe  im  öffentlichen  Schlachthofe  tierärztlich  unter- 
suchen zu  lassen.  Vergl.  hierüber  H  e  r  t  w  i  g :  Fleischbeschau  im  Bd.  III 
dieses  Handbuches. 

Außer  diesem  Hauptzwecke,  der  Gewährleistung,  daß  nur  gesundes 
Fleisch  in  den  Handel  kommt,  weist  der  öffentliche  Schlachthof  noch 
folgende  Vorteile  auf:  1)  Es  werden  die  durch  die  Einzelschlachtstätten 
verursachten  Ausdünstungen  aus  der  Stadt  entfernt,  und  2)  es  wird 
das  lästige  Treiben  des  Schlachtviehes  innerhalb  der  Stadt  beseitigt 
oder  doch  wesentlich  eingeschränkt. 

Im  römischen  Altertume  und  im  Mittelalter  bestanden  öffentliche 
Schlachthöfe  in  allen  Städten,  und  es  räumte  erst  der  dreißigjährige  Krieg 
in  Deutschland  mit  diesen  vorzüglichen  Einrichtungen  auf,  welche  jedoch 
in  einzelnen  Städten  noch  bis  in  die  allerneueste  Zeit  erhalten  blieben. 
Die  Anlage  von  Schlachthöfen  der  Neuzeit  mit  Schlachtzwang  rührt  von 
Napoleon  I.  her,  welcher  in  den  Jahren  1807  — 1810  den  Städten  in 
Frankreich  gebot,  öffentliche  Schlachthäuser  zu  errichten,  und  verbot, 
daß  solche  in  der  Nähe  menschlicher  Wohnungen  hergestellt  würden. 

Die  „öffentlichen  Schlachthöfe"  befinden  sich  entweder  in  den 
Händen  der  Städte,  oder  in  denen  der  Fleischerinnung,  oder  im  Eigen- 
tume  von  Unternehmern. 

Die  Frage ,  von  wem  der  Schlachthof  erbaut  und  be- 
trieben werden  soll,  ist  ohne  weiteres  nicht  zu  beantworten. 
Thatsache  ist,  daß  die  meisten  Schlachthöfe  Deutschlands  sich  im  Be- 
sitze der  Städte  befinden,  daß  jedoch  verschiedene  Städte  den  Fleischer- 
innungen gestattet  haben,  öffentliche  Schlachthöfe  zu  erbauen,  wie  Biele- 
feld, Chemnitz,  Döbeln,  Dresden,  Eisenach,  Göppingen,  Hannover,  Jena, 
Marburg,  Meerane,  Namslau,  Reichenbach  i.  V.,  Sensburg  i.  Ostpr., 
Strehlen,  Stuttgart,  Weimar  u.  a.,  und  daß  endlich  an  einzelnen  Orten, 
z.  B.  in  Gnesen,  Leobschütz,  Reichenbach  i.  Schles.  u.  a.  0.  der  Schlacht- 
hof von  einem  Unternehmer  erbaut  ist  und  betrieben  wird. 

Geht  man  von  dem  allein  richtigen  Grundsatze  aus,  daß  der  öffent- 
liche Schlachthof  eine  rein  gesundheitliche  Anstalt  sein  soll,  daß  derselbe 
errichtet  wird,  um  eine  genaue  und  gründliche  tierärztliche  Ueber- 
wachung  über  den  Gesundheitszustand  derjenigen  Tiere  zu  ermöglichen, 
welche  dem  Menschen  zum  Genüsse  dienen,  und  betrachtet  man  die 
Schlachthausgesetze  der  einzelnen  deutschen  Staaten,  besonders  die  be- 
treffenden preußischen  Gesetze,  so  muß  man  zu  der  Ansicht  kommen, 
daß  diese  gesundheitliche  Anstalt,  welche  unter  der  strengsten  Ueber- 
wachung  der  Gesundheitspolizei  stehen  muß,  wenn  sie  überhaupt  ihren 
gesundheitlichen  Zweck  erfüllen  soll,  am  besten  und  richtigsten  in  den 
Händen  der  Stadtgemeinde  sich  befinden  wird,  welche  den  Betrieb  der 
Anstalt  zu  leiten  und  sämtliche  Beamte  selbst  einzustellen  hat. 

Da  der  Schlachthof  eine  gewerbliche  Anstalt  im  eigentlichen  Sinne 
des  Wortes  nicht  ist  —  wenigstens  nicht  in  Preußen,  wo  das  Gesetz 
vom  18.  März  1868  bezw.  vom  9.  März  1881  vorschreibt,  daß  ein 
höherer  Zinsfuß  als  5  Proz.  jährlich  und  ein  höherer  Amortisationssatz 

24 


Markthallen  und  Viehhöfe.  25 

als  1  Proz.  nebst  den  jährlichen  ersparten  Zinsen  nicht  berechnet 
werden  dürfen  —  so  liegt  es  auf  der  Hand,  daß  der  Schlachthof  zum 
Teil  seine  Bestimmung  verfehlt  hat,  wenn  derselbe  in  die  Hände  eines 
Unternehmers  gelegt  ist.  Denn  einesteils  ist  letzterer  nicht  imstande, 
einen  hohen  Gewinn  durch  den  Betrieb  im  Schlachthofe  zu  erzielen ; 
anderenteils  hat  derselbe  nicht  den  mindesten  Vorteil  an  einer  gründ- 
lichen gesundheitlichen  Fleisch-  und  Viehuntersuchung,  welche  immer 
von  einem  stadtseitig  angestellten  Tierarzte  besorgt  werden  muß.  Daß 
bei  einem  solchen  Betriebe  stets  die  Neigung  des  Unternehmers  vor- 
handen ist,  mit  den  Fleischern,  welche  seine  Anlage  so  gewinnbringend, 
wie  überhaupt  möglich  machen,  auf  dem  besten  Fuße  zu  stehen,  und 
dem  städtischen  Untersuchungsbeamten  nicht  sehr  in  die  Hände  zu  ar- 
beiten, ist  natürlich.  Es  liegt  aber  auch  gar  kein  Grund  vor,  wenn 
einmal  der  Schlachthof  kein  städtischer  werden  soll,  ihn  dann  nicht  der 
Fleischerinnung  zu  überlassen,  welche  ihn  doch  als  ihre  eigentliche 
Werkstätte  benutzt,  welche  doch  die  Gebühren  dafür  zu  bezahlen  hat 
und  welche  ihn  gewinnbringend  macht.  Der  in  Preußen  gesetzlich  zu- 
lässige Gewinn  ist  immerhin  hoch  genug,  um  einer  Fleischerinnung 
noch  etwa  1  Proz.  der  Anlagekosten  als  Reingewinn  ihrer  Innungs- 
kasse  zufließen  zu  lassen  und  ihre  sonstigen  Abgaben  an  die  Innungs- 
kasse dadurch  zu  verringern. 

Die  Gründe  jedoch,  welche  wohl  für  die  Erbauung  und  den  Betrieb 
eines  Schlachthofes  seitens  der  Innung  ins  Feld  geführt  werden  —  und 
zwar  a)  daß  alle  übrigen  Handwerker  ihre  Werkstätten  selbst  errichten 
und  betreiben  können ;  b)  daß  der  Stadt  ein  Verwaltungszweig  abge- 
nommen werde,  von  dem  sie  keinen  hohen  Verdienst,  aber  viel  Mühe 
und  Arbeit  habe,  und  c)  daß  die  etwaige  Entschädigungsfrage  für  die 
aufzugebenden  Schlachtstätten  der  einzelnen  Fleischer  von  vornherein 
wegfalle  —  sind  nicht  sehr  schwerwiegend.  Denn  einesteils  sind  alle 
Werkstätten  der  übrigen  Handwerker  keine  Anstalten,  in  welchen  Gegen- 
stände verarbeitet  werden,  die  dem  Menschen  zum  Genüsse  dienen  oder 
doch  deren  Gesundheitsverhältnisse  unmittelbar  vor  dem  Genüsse  nicht  ge- 
nügend von  jedem  Laien  festgestellt  werden  können,  während  das  meiste 
ungesunde  Fleisch  als  solches  nur  am  lebenden  Tiere  in  Verbindung  mit 
dem  ausgeschlachteten  dann  zu  erkennen  ist,  wenn  die  inneren  edleren 
Teile,  (Herz,  Lunge,  Nieren,  Magen)  noch  vorhanden  sind  und  unter- 
sucht werden  können.  Anderenteils  wird  die  städtische  Behörde  von 
der  Verwaltung  des  Schlachthofes  nicht  befreit ;  denn  sie  hat  nicht  nur 
die  Verwaltungsbeamteu  anzustellen,  sondern  auch  den  ganzen  Betrieb 
zu  überwachen,  die  Bücher  nachzusehen,  die  Erträgnisse  des  Schlacht- 
hofes, die  Verzinsung  und  die  Amortisation  und  die  Gebühren  festzu- 
setzen u.  s.  w.  Endlich  aber  ist  die  Entschädigungspflicht  den  einzelnen 
Fleischern  gegenüber  genau  gleich  zu  wahren,  ob  der  Schlachthof  in 
den  Händen  der  Stadt  oder  der  Innung  sich  befindet,  und  es  ist  nicht 
anzunehmen,  daß  die  einzelnen  Fleischer  die  Entschädigungsansprüche 
niedriger  stellen  oder  daß  diese  bei  richterlichem  Spruche  niedriger 
ausfallen,  wenn  der  Schlachthof  von  der  Innung  erbaut  wird,  als  wenn 
die  Stadt  den  Bau  aus  ihren  Mitteln  bestreitet. 

Hat  aber  die  Stadtverwaltung  ein  für  allemal  gesetzlich  die  Pflicht 
der  genauen  gesundheitspolizeilichen  Ueberwachung,  der  Anstellung  des 
Tierarztes  und  der  Fleischbeschauer,  der  Bücherüberwachung  und  der 
Gebührenfestsetzung,  also  ohnedies  die  Hauptverwaltungsarbeiten  zu  er- 
ledigen, so  liegt  es  doch  in  der  Natur  der  Sache,   daß  es  richtiger  ist, 


26  GEORG    OSTHOFF, 

wenn  die  Stadt  die  Schlachthofanlage  gleich  selbst  erbaut  und  betreibt, 
welche  ihr  immerhin  einen  bestimmten  Gewinn  einbringt  und  ihr  über- 
dies die  Sicherheit  bietet,  daß  im  Schlachthofe  die  größte  Reinlichkeit 
und  Ordnung  herrschen. 

Reinlichkeit  und  Ordnung  sind  aber  auf  einem  von  der  Stadt  ver- 
walteten Schlachthofe  leichter  und  gründlicher  zu  schaffen,  als  in  den 
Anlagen,  welche  in  den  Händen  von  Unternehmern  oder  Innungen  sich 
befinden,  da  Reinlichkeit  und  Ordnung  zu  schaffen,  für  den  städtischen 
Schlachthofbeamten  die  erste  Pflicht  ist,  während  sie  Zeit  und  Geld 
kosten  und  somit  für  den  Beamten,  welcher  den  Vorteil  des  Unter- 
nehmers oder  seiner  Innung  in  erster  Linie  im  Auge  hat,  Nebensache 
sind.  Ebenso  ist  eine  gewissenhafte  Untersuchung  des  Fleisches  eher 
von  städtischen  Beamten  zu  erwarten,  als  von  denjenigen,  welche  von 
Unternehmern  oder  Innungen  angestellt  sind,  da,  wie  gesagt,  diesen 
Angestellten  vornehmlich  die  Pflicht  obliegt,  für  die  Rentabilität  der 
Anstalt  zu  sorgen. 

Die  Frage,  ob  durch  die  Anlage  eines  öffentlichen 
Schlachthofes  und  durch  den  Schlachthauszwang  das  Fleisch 
verteuert  werden  könnte,  ist  längst  durch  die  Praxis  in  den 
vielen  Städten  mit  öffentlichen  Schlachthöfen  verneint  worden. 

Diese  Frage  läßt  sich  aber  auch  auf  rechnerischem  Wege  einfach 
beantworten. 

Die  Gewichte  des  Schlachtviehes  sind  im  großen  Durchschnitte 
folgende : 

des  Ochsen   500  kg  Lebendgewicht,  davon  300  kg  FJeischgewicht,  also  ein  Verhältnis  von  1,7 

der  Kuh         250  ,,  ,,  „        140  ,,  „  ,,      „  ,,  ,,   1,8 

des  Kalbes      40  ,,  ,,  „  25   „  „  „      „  ,,  „   1,6 

„    Schafes      30  „  „  „15   „  ,,  „      „  „  ,,  2,0 

„    Schwein.  150  „  „  „        HO  „  „  .,      „  „  „  1,4 

Es  kostet  durchschnittlich: 

ein  Ochse   1,20  M.  für  I  kg  Lebendgewicht,  oder  2,00  M.  für  I  kg  Fleichgewicht 

eineKuh      1,00  ,,  ,,     1   ,,  ,,  ,,      1,80  „  ,,    I  „  „ 

ein  Kalb      o,75  „  ,,    I    ,,  ,.  ,,      1,20  ,,  „    I    „  „ 

ein  Schaf    0,60  ,,  ,,    1   „  ,,  ,,     1,20  ,,  ,,   1   ,,  ,, 

„  Schweini,oo  ,,  „    I    „  ,,  „      1,40  ,,  ,,   I    ,,  „ 

Wird  nun  festgesetzt,  daß  die  Gebühren  1  Pfennig  von  1  kg  Lebend- 
gewicht betragen,  so  ergiebt  das  bei  einem  durchschnittlichen  Verhältnis 
des  Lebendgewichtes  zum  Fleischgewicht  wie  1,6  :  1  für  1  kg  Fleisch- 
gewicht 1,6  Pfennig,  und  bei  einem  Durchschnittspreise  von  1,60  M.  für 
1  kg  Fleischgewicht  eine  Erhöhung  dieses  Preises  auf  1,60  -\-  0,016  = 
1,616  M.  oder  rund  auf  1,62  M.,  d.  i.  eine  Preiserhöhung  gleich  dem 
80.  Teile  des  AnsckafFungswertes. 

Diese  Preissteigerung  von  1,60  M.  auf  1,62  M.  für  jedes  Kilo- 
gramm Fleischgewicht  ist  aber  so  gering,  daß  dieselbe  lOOfach  aus- 
geglichen wird  durch  die  größere  Bequemlichkeit,  welche  den  Metzgern 
durch  die  vollkommenen  Einrichtungen  des  Schlachthofes  geboten  werden, 
und  dadurch,  daß  der  Verkauf  des  schlechten  oder  minderwertigen 
Fleisches,  welcher  vor  der  Eröffnung  eines  öffentlichen  Schlachthofes  in 
jeder  Stadt  bei  den  kleinen  Metzgern  in  großem  Schwünge  ist,  nach 
der  Inbetriebsetzung  desselben  aufhört  und  somit  die  besseren  Schlachter 
ihr  gutes  Fleisch  leichter  und   in  größeren  Mengen   verkaufen   können. 

26 


Markthallen  und  Viehhöfe.  27 

Daß  aber  bei  diesen  geringen  Schlachtgebührcn  ein  Schlachthof 
noch  rentabel  ist,  ist  durch  den  Verfasser  dieses  wiederholt  nachge- 
wiesen. Die  Ausgaben  (einschließlich  lProz.  Amortisation  und  2  Proz.  Un- 
terhaltung) bei  einem  Schlachthofe  ohne  Kühlanlage  belaufen  sich  für 
Städte  von  5.000  bis  15000  Einwohner  auf  0,90  bis  0,80  M.,  bei 
größeren  Städten  auf  0,80  M.  für  jeden  Einwohner  und  Jahr ;  die  Ein- 
nahmen dagegen  unter  Anwendung  obiger  Schlachtgebührea  auf  1,30  M. 
für  jeden  Einwohner  und  Jahr.  Da  nun  ein  Schlachthof  ohne  Kühl- 
anlage bei  den  neuesten  vollkommensten  Einrichtungen  etwa  8  M.  für 
jeden  Einwohner  kostet,  so  ist  der  Ueberschuß  von  1,30 — 0,80  =  0,50  M. 
imstande  diese  8,00  M.  Anlagekosten  mit  6,25  Proz.  zu  verzinsen.  Bei 
den  kleinsten  Städten  mit  5  000  Einwohnern  würde  dieser  Ueberschuß 
nur  1,30—0,96  =  0,34  M.  betragen  und  somit  die  Verzinsung  4,25  Proz. 
ausmachen. 

Hieraus  ist  deutlich  genug  zu  ersehen,  daß  eine  Verteuerung 
des  Fleisches  durch  die  Seh  lacht  gebühren  nicht  ein- 
treten kann.  Eine  solche  ist  auch  nirgends  eingetreten,  obgleich 
an  einzelnen  Orten  die  Fleischer  eine  solche,  aber  vergeblich,  durchzu- 
setzen versucht  haben.  Die  auswärtige  Konkurrenz  zwang  dieselben 
jedesmal  nach  kurzer  Zeit,  die  Preise  auf  die  alte  Höhe  wieder  herab- 
zusetzen. 

2.  Das  Grundstück. 

Je  vollkommener  der  Schlachthof  ausgebildet  und  durchgebildet  ist, 
desto  weniger  Wert  ist  auf  die  Lage  des  Grundstücks  zu  legen.  Seit- 
dem? die  Schlachthöfe  in  jeder  Weise  peinlich  rein  gehalten  und  mit 
den  vorzüglichsten  Lüftungs-  und  Desinfektionsanlagen  versehen  werden, 
brauchen  die  nachstehenden  Vorschriften  nicht  in  voller  Strenge  ein- 
gehalten zu  werden. 

Diese  Vorschriften  sind: 

a)  Das  Grundstück  muß  außerhalb  der  Stadt,  aber  möglichst  nahe 
dem  Verkehrsmittelpunkt  der  Stadt  liegen,  und  möglichst  so,  daß  der 
Schlachthof  nicht  inmitten  der  zukünftigen  Bebauung  liegt. 

Es  ist  für  die  Metzger  eine  gewisse  Unbequemlichkeit,  vom  Innern 
der  Stadt  in  die  ferne  Umgebung  zum  Schlachthofe  wandern  zu  müssen. 
Infolgedessen  wird  man  ein  Grundstück  wählen ,  welches  unter  Ein- 
haltung der  vorstehenden  Bedingung  unmittelbar  an  der  Stadt  liegt. 
Nur  ganz  große  Städte,  wie  Berlin,  können  sich  den  Luxus  einer  weiten 
Entfernung  ihres  Schlachthofes  von  dem  Mittelpunkte  der  Stadt  erlauben, 
da  hier  nur  Großschlächter  schlachten,  während  der  Kleinschlächter 
sein  Fleisch  in  der  Fleischgroßmarkthalle  einkauft. 

b)  Das  Schlachthofgrundstück  muß  stets  derart  zur  Stadt  gelegen 
sein,  daß  zwischen  beiden  eine  bequeme  Zuwegung  vorhanden  ist  oder 
geschaffen  werden  kann. 

Bei  ganz  kleinen  Städten  bis  10000  Einwohner  genügt  eine  Zu- 
fahrtstraße zum  Schlachthofe  von  7,0  m  einschließlich  eines  2,0  m  breiten 
Fußweges.  Bei  größeren  Städten  sollte  diese  Straße  9,0  m  Breite,  bei 
einem  Fußwege  von  2,5  m  Breite  besitzen.  Städte  über  50000  Ein- 
wohner dagegen  sollten  sich  mit  einer  Straße  von  weniger  als  12,0  m 
Breite  nicht  begnügen,  wovon  7,0  m  auf  die  Fahrbahn  und  je  2,5  m  auf 
die  beiden  Fußwege  entfallen. 

27 


28  GEORG    OSTHOFF, 

c)  Das  Grundstück  ist  thunlichst  auf  derjenigen  Stadtseite  zu 
wählen,  in  die  vom  Hinterlande  her  das  meiste  Vieh  eingetrieben  wird, 

Diese  Regel  gilt  nur  für  diejenigen  Städte,  welche  ein  Viehzucht 
treibendes  Hinterland  besitzen,  die  also  ihren  Bedarf  an  Vieh  aus 
nächster  Nähe  decken.  Um  das  lästige  Durchtreiben  des  Viehes  durch 
die  Stadt  zu  verhüten,  ist  es  ratsam,  den  Schlachthof  in  die  Nähe  der- 
jenigen Straße  zu  legen,  auf  der  das  meiste  Vieh  angetrieben  wird  oder, 
wenn  dasselbe  aus  mehreren  Richtungen  zuströmt,  diese  verschiedenen 
Straßen  außerhalb  der  Stadt  mit  dem  Schlachthofe  zu  verbinden. 

d)  Das  Grundstück  muß  derart  zur  bestehenden  oder  vorgesehenen 
Eisenbahn  liegen,  daß  die  Anlage  eines  Geleisstranges  von  dem  nächsten 
Bahnhofe  möglich  ist. 

Obgleich  selbstverständlich  diese  Vorschrift  nur  dann  Giltigkeit 
hat,  wenn  ein  großer  Teil  des  Schlachtviehes  mit  der  Bahn  ankommt, 
so  unterliegt  dieselbe  dennoch  einer  besonderen  Einschränkung.  Sie 
hat  eigentlich  nur  Wert,  wenn  ein  Schlachtviehmarkt  im  Anschlüsse  an 
den  Schlachthof  vorhanden  ist  oder  später  geschaffen  werden  soll. 
Denn  nur  die  Händler  —  und  nur  diese  bevölkern  einen  Viehmarkt  — 
lassen  Vieh  in  ganzen  Wagenladungen  oder  ganzen  Zügen  von  auswärts 
kommen,  und  nur  für  solche,  in  bestimmt  wiederkehrenden  Zeiten  auf- 
zufahrende Viehzüge  hat  ein  Geleisanschluß  Wert.  Für  die  hie  und 
da  einmal  von  einem  Metzger  bestellte  eine  Wagenladung  Vieh  aber 
einen  besonderen  Geleisstrang  anzulegen  und  deshalb  ein  sonst  un- 
günstiges Grundstück  zu  erwählen,  wäre  verwerflich.  Diese  wenigen 
Wagenladungen  Vieh  können  auch  auf  dem  Bahnhofe  ausgeladen ,  das 
Großvieh  und  die  Schafe  zum  Schlachthofe  getrieben,  die  Kälber  und 
Schweine  dagegen  auf  Wagen  dahin  befördert  werden. 

e)  Das  Grundstück  muß  in  einer  nicht  kanalisierten  Stadt  am  un- 
teren Laufe  eines  Flusses  liegen  und  in  einer  kanalisierten  so,  daß  die 
flüssigen  Abgänge  des  Schlachthofes  die  städtischen  Kanäle  möglichst 
wenig  durchlaufen  und  daß  diese  Kanäle  dann  möglichst  weit  unterhalb 
in  den  Fluß  gehen.  Ist  jedoch  ein  passendes  Grundstück  am  unteren 
Laufe  eines  Flusses  nicht  zu  bekommen  oder  ist  weder  ein  Fluß,  noch 
ein  genügend  W'asser  haltender  Bach,  noch  eine  Kanalisation  vorhanden, 
so  ist  man  genötigt,  Abwässerreinigungsanstalten  auf  dem  Schlachthofe 
anzulegen,  welche  nicht  nur  auf  mechanischem  Wege,  sondern  auch  auf 
chemischem  Wege  die  Abwässer  reinigen  können.  Kläranlagen,  welche 
die  festen  Stoffe  mechanisch  aus  den  Abwässern  entfernen,  sind  überall 
da  nötig,  wo  dieselben  die  städtischen  Kanäle  durchfließen  oder  wo 
nicht  ein  genügend  großer  Fluß  vorhanden  ist. 

f)  Das  Grundstück  soll  so  groß  sein ,  daß  der  darauf  angelegte 
Schlachthof  zu  jeder  Zeit  erweitert  und  in  seinen  einzelnen  Teilen  ver- 
größert werden  kann. 

Gewöhnlich  wird  der  Schlachthof  so  groß  gebaut,  daß  derselbe 
innerhalb  der  nächsten  10  Jahre  nach  der  Eröffnung  nicht  vergrößert 
zu  werden  braucht.  Da  aber  mit  der  Vergrößerung  der  Stadt  der  Fleisch- 
verbrauch und  die  Anzahl  der  Schlachtungen  zunehmen  ,  so  wird  das 
Grundstück  so  groß  zu  wählen  sein,  daß  der  Schlachthof  für  die  nächsten 
25  bis  30  Jahre  vergrößerungsfähig  ist. 

Hat  das  Grundstück  eine  zweckmäßige  Form,  d.  h.  ist  dieselbe  an- 
nähernd rechteckig ,  wobei  sich  die  Länge  zur  Breite  verhalten  möge 
wie  1  :  1  bis  3:2,  so  muß  das  Grundstück  groß  sein  für  Städte  von 

28 


Markthalleu  und  Viehhöfe.  29 

5000  bis      7000  Einwohner  O.4  0  qm  auf  jeden  Einwohner 

7000    ,,      IO  000  ,,  0.35  „        „       ,,  „ 

10  OOO     ,,      5OOOO  ,,  0,30  „         ,,         „  „ 

über  50000  „  0,25  „       „       „  „ 


3.  Die  Gestaltung  der  Anlage. 

Die  Gestaltung  der  Schlachthofanlage  hängt  wesentlich  von  der 
Form  und  Größe  des  Grundstückes,  von  der  Gestaltung  seiner  Ober- 
fläche, von  der  Größe  der  Stadt  und  vom  Klima  der  Gegend  ab. 

Die  Form  und  Größe  des  Grundstücks  machen  ihren  unmittelbaren 
Einfluß  auf  den  Entwerfenden  geltend,  dessen  Verständnis  aller  ein- 
schlagenden Verhältnisse  es  überlassen  bleiben  muß,  die  Gruppierung 
der  Gebäude  dem  Bedürfnisse  entsprechend  geschickt  zu  wählen.  Hier 
kann  aus  nahe  liegenden  Gründen  Näheres  nicht  mitgeteilt  werden.  — 
Der  Einfluß,  den  die  Oberflächengestaltung  des  Grundstückes  ausübt,  ist 
der,  daß  man  der  Kostenersparnis  wegen  gezwungen  ist,  tiefe  Fundamente 
zu  vermeiden,  jedoch  nicht  wohl  den  Schlachthof  in  einem  größeren 
Gefälle  als  1  :  50  anzulegen.  Man  wird  also  anstreben,  die  leichten 
Gebäude  in  die  Aufschüttung  zu  setzen  und  diese  zu  einer  geschickten 
Anlage  der  Düngerabfuhrstelle  auszunutzen.  —  Die  Größe  der  Stadt 
führt  entweder  zu  einem  engen  Zusammenlegen  aller  Gebäude  oder  zu 
einem  mehr  oder  weniger  großen  Auseinanderzerren  derselben.  —  Die 
klimatischen  Verhältnisse  der  Gegend  üben  aber  insofern  Einfluß  auf 
die  Grundrißanlage  des  Schlachthofes  aus,  als  es  in  Gegenden  mit 
vielen  Niederschlägen  und  starker  Kälte  von  Vorteil  ist,  die  Gebäude 
so  zu  stellen,  daß  die  Beamten  und  Fleischer  von  einem  Schlachthause 
in  das  andere  und  von  da  in  die  Kaidaunenwäschen  etc.  unter  Dach 
gelangen  können  und  somit  keine  offenen  Höfe  zu  überschreiten  brauchen. 
Die  Rücksichtnahme  auf  diese  letztere  Bedingung  und  auf  die  Größe 
der  Stadt  hat  zu  zwei  verschiedenen  Schlachthof-Anordnungen  geführt, 
welche  der  Verfasser  dieses  —  entsprechend  dem  Lande,  in  welchem 
sie  entstanden  und  entwickelt  sind  —  die  „deutsche"  und  die  „franzö- 
sische" Anordnung  genannt  hat. 

Bei  der  französischen  Anordnung  steht  jedes  Gebäude  für 
sich  da  und  ist  von  Straßen  umgeben.  Diese  Anordnung  ist  außer  in 
den  französischen,  belgischen  und  italienischen  Städten  anzutreffen  in: 
Berlin,  Bielefeld,  Bremen,  Cassel,  Chemnitz,  Dortmund,  Freiburg  i.  Baden, 
Hannover ,  Karlsruhe ,  Leipzig ,  Lübeck  ,  Metz ,  München ,  Straßburg, 
Wien  etc. 

Die  deutsche  Anordnung  ist  aus  dem  alten  deutschen Schlacht- 
und  Kuttelhof  hervorgegangen,  welcher  fast  durchweg  aus  einem  Ge- 
bäude mit  mehreren  Räumen  bestand.  Es  besteht  nun  die  neue  deutsche 
Anlageordnung  entweder  aus  einem  solchen  einzigen  Gebäude  mit 
mehreren  den  verschiedenen  Zwecken  dienenden  Räumen,  oder  aus 
mehreren  zusammenhängenden  Gebäuden,  oder  aus  den  verschiedenen 
Gebäuden,  welche  durch  einen  Verbindungsgang  miteinander  verbunden 
sind.  —  In  großen  Städten  wird  man  zum  Schlachten  des  Großviehes, 
des  Kleinviehes  (Kälber,  Schafe,  Ziegen),  der  Schweine,  der  Pferde  und 
des  kranken  Viehes  besondere  Gebäude,  also  5  getrennte  Schlacht- 
häuser errichten.  In  Städten  von  15000  bis  50000  Einwohner  da- 
gegen wird  man  zweckmäßig  das  Schlachten  des  Großviehes  und  des 
Kleinviehes   in   einer  einzigen  Halle  vornehmen  lassen   und  somit  nur 

29 


30  GEORG    OSTHOFF, 

4  Schlachthäuser  benötigen.  Wird  überdies  in  den  betreffenden  Städten 
kein  Pferdefleisch  verzehrt,  so  kann  das  Schlachthaus  für  Pferde  fort- 
fallen, und  es  wird  sich  schon  die  Anzahl  der  Schlachthäuser  auf  3 
verringern.  In  noch  kleineren  Städten  endlich  wird  man  das  Großvieh, 
das  Kleinvieh  und  die  Schweine  in  einer  einzigen  Halle  schlachten 
können ,  sodaß  jetzt  nur  noch  2  Schlachthäuser  geschaffen  zu  werden 
brauchen. 

Die  durch  die  deutsche  Anordnung  geforderte  unmittelbare  Ver- 
bindung der  Gebäude  untereinander  ermöglicht  eine  große  Raum-  und 
Kostenersparais,  hat  aber  bei  manchen  ausgeführten  Anlagen  den  Fehler 
hervorgebracht,  eine  Vergrößerung  der  einzelnen  Gebäude  und  eine 
Erweiterung  der  ganzen  Anlage,  welche  infolge  der  Vermehrung  der 
Einwohner  und  der  Veränderung  des  Bedürfnisses  notwendig  erschien, 
undurchführbar  werden  zu  lassen  (Stuttgart,  Genf,  Ulm,  Mülheim 
a.  d.  Ruhr  etc.).  Wo  aber  diese  Vergrößerung  durch  geschickte  An- 
ordnung in  jeder  Weise  ermöglicht  ist,  da  ist  fast  durchgehends  eine 
Uebersichtlichkeit  in  den  einzelnen  Räumen  erzielt,  welche  den  Beamten 
die  Aufsicht  wesentlich  erleichtert  und  den  Meistern  eine  bequeme 
Ueberwachung  ihrer  Gesellen  ermöglicht. 

Als  Vorschriften  für  gute   deutsche  Anordnungen   können    gelten: 

a)  Es  sollen  die  Schlachthäuser  entweder  unmittelbar  oder  durch 
andere  Gebäude  oder  Räume  miteinander  in  Verbindung  stehen. 

b)  Die  Stallungen  sollen  derart  nahe  an  die  Schlachthäuser  ge- 
rückt werden,  daß  die  Tiere  nur  kurze  Wege  haben  und  leicht  von  den 
Stallungen  zum  betreffenden  Schlachthause  bewegt  werden  können ;  be- 
sonders sollen  die  Stallungen  der  schwer  zu  treibenden  Tiere  (Kälber 
und  Schweine)  unmittelbar  mit  dem  bezüglichen  Schlachthause  in  Ver- 
bindung stehen. 

c)  Die  Kaidaunenwäschen  und  Düngerstätten  sollen  so  nahe,  wie 
überhaupt  angängig,  bei  den  Schlachthäusern  stehen  und  von  letzteren 
unter  Dach  zu  erreichen  sein. 

d)  Das  Kühlhaus  soll  in  unmittelbarer  Verbindung  mit  den  Schlacht- 
hallen stehen,  damit  das  zur  Kühlung  aus  letzteren  in  das  Kühlhaus 
zu  bringende  Fleisch  nicht  dem  Staube  der  Höfe  oder  Straßen  aus- 
gesetzt ist. 

e)  Eine  Vergrößerung  der  Schlachthäuser,  Stallungen,  Kaidaunen- 
wäschen und  des  Kühlhauses  muß  leicht  möglich  sein. 

4.  Die  Schlachthäuser. 

In  den  Schlachthäusern  wird  das  Schlachten  der  Tiere,  sowie  eine 
sachverständige  Untersuchung  derselben,  des  Fleisches  und  der  inneren 
Teile  vorgenommen. 

In  Frankreich  bestehen  die  Schlachthäuser  aus  einzelnen  Kammern, 
während  in  Deutschland  überall  (mit  Ausnahme  von  Berlin,  Metz, 
Straßburg  und  Freiburg  in  Baden)  nur  Hallen  hergestellt  sind. 

Die  Vorzüge  der  Schlachthallen  bestehen: 

a)  In  der  bequemeren,  stetigeren  und  vollkommneren  Ueberwachung 
der  Beamten  über  die  Schlachtungen  und  über  den  Gesundheitszustand 
der  Tiere  und  des  Fleisches. 

b)  In  der  stetigeren  Ueberwachung  der  Schlächter  untereinander 
über  die  Güte  der  Schlachttiere  und  Vollkommenheit  ihrer  Hantierungen; 
die  Erfahrung   hat   gezeigt,    daß   diejenigen   Metzger,   welche   gewohnt 

30 


•    Markthallen  und  Viehhöfe.  31 

waren,  mittelmäßige  Tiere  zu  schlachten,  sich  bald  nach  Benutzung  des 
Schlachthauses,  um  dem  Hohne  und  Spotte  ihrer  Genossen  zu  entgehen, 
veranlaßt  sahen,  in  den  Kampf  um  Erwerbung  der  besten  Tiere  mit 
einzutreten. 

c)  In  der  größeren  Reinlichkeit,  die  in  einer  großen  Halle  leichter 
zu  erreichen  ist,  als  in  kleinen  Kammern,  und 

d)  in  der  besseren  Lüftung. 

In  Deutschland  sind  außer  in  Berlin,  Freiburg  i.  Br.  und  in  den 
elsaß-lothringischen  Städten  in  den  Schlachthöfen  nur  Schlacht- Hallen 
ausgeführt. 

In  Berlin  deswegen,  weil  hier  nur  wenige  Großschlächter  vor- 
handensind, welche  jeder  einen  für  sich  abgesperrten  Raum  zur  Verfügung 
gestellt  haben  wollen.  Die  übrigen  Fleischer  schlachten  gar  kein  Groß- 
vieh, sondern  höchstens  Kleinvieh,  kaufen  dagegen  in  der  Regel  das 
Fleisch  in  der  Fleisch-Großmarkthalle. 

Die  Schlachthäuser  sollen  im  Sommer  möglichst  kühl,  im  Winter 
möglichst  warm  sein,  sehr  viel  Tageslicht  erhalten  und  gut  gelüftet 
sein.  Ersteres  ist  durch  starke  Mauern  und  dadurch  zu  erzielen,  daß 
man  die  Hallen  in  der  Längsachse  von  Nord  nach  Süd  stellt,  damit  im 
Sommer  die  Mittagsonne  nicht  durch  die  Fenster  dringen  kann.  Viel 
Tageslicht  ist  durch  seitliche  Fenster  oder  noch  besser  durch  Oberlicht 
zu  erzielen.  Eine  gute  Lüftung  der  Hallen  kann  aber  nur  durch  eine 
systematische  Zuführung  frischer  und  Abführung  der  verdorbenen  Luft 
erreicht  werden. 

Die  Fenster  richtet  man  als  Schiebefenster  zum  Oeffnen  ein,  jedoch 
so,  daß  unten  und  oben  ein  Stück  geöffnet  wurden  kann,  während  das 
Mittelstück  fest  bleibt.  Diese  seitlichen  Fenster  können  erst  in  2,0  m 
Höhe  über  dem  Fußboden  beginnen. 

Die  Wände  der  Schlachthäuser  verputzt  man  in  2,0  m  Höhe  in  ge- 
bügeltem Cementmörtel  oder  verkleidet  dieselben  mit  glasierten  hellen 
Ziegeln.  Es  ist  für  die  unteren  Teile  der  Wände  ein  Material  zu 
wählen,  welches  kein  W7asser  anzieht  und  den  Schmutz  abwaschen  läßt. 
Oelfarbe  darf  man  erst  nach  2  Jahren  auf  den  Cementputz  bringen. 

Der  Fußboden  muß  fest,  dauerhaft  und  zäh  sein  und  darf  beim 
Auffallen  von  schweren  eisernen  Gegenständen  nicht  zerspringen;  der- 
selbe muß  das  Wasser  beim  Reinigen  rasch  und  vollständig  abführen; 
er  darf  also  nicht  mit  Löchern  oder  solchen  Rillen  versehen  sein, 
welche  Wasser  und  Schmutzteile  zurückhalten ;  derselbe  darf  kein 
Schmutzwasser  in  sich  aufnehmen,  damit  die  beim  Ausdünsten  er- 
folgenden üblen  Gerüche  vermieden  werden;  derselbe  darf  nicht  glatt 
sein,  damit  die  Metzger  bei  ihren  schweren  Hantierungen  nicht  aus- 
gleiten, sonderni  überall  festen;  Fuß  fassen  können;  derselbe  darf 
nur  geringe  Ausbesserungen  unterworfen ,  und  es  müssen  dieselben 
leicht  auszuführen  sein.  Meines  Erachtens  ist  ein  Cementfußboden,  der 
jedoch  nicht  geglättet,  sondern  nur  mit  hölzernen  Kellen  rauh  abge- 
rieben wird,  der  beste  Fußboden  für  Schlachthallen. 

Das  Dach  der  Schlachthallen  besteht  am  besten  aus  Holzcement, 
welcher  sehr  dick  ist,  Wärme  und  Kälte  abhält  und  sehr  wenig  Re- 
paraturen erfordert.  Bei  Holzcement  kann  man  in  Deutschland  sich 
die  Gewölbe  über  den  Schlachthallen  sparen. 

31 


32  GEORG    OSTHOFF, 


a)  Großvieh-Schlachthäuser. 

Die  Kammern  der  Großvieh-Schlachthäuser  der  französischen  Ein- 
richtung werden  in  der  Regel  zu  beiden  Seiten  eines  oben  offenen 
Hofes  oder  einer  überdeckten  Halle  angelegt.  In  den  Kammern  wird 
dann  meistens  das  Großvieh,  auf  dem  Hofe  oder  in  der  Halle  das  Klein- 
vieh geschlachtet.  Bei  der  Kammeranordnung  ist  dann  auf  dem  Schlacht- 
hofe nur  ein  Groß-  und  Kleinvieh-Schlachthaus  eben  beschriebener  An- 
ordnung und  ein  Schweineschlachthaus,  während  ein  eigenes  Schlacht- 
haus für  Kleinvieh  fehlt.  Man  ersieht  hieraus,  wie  erwünscht  es  im 
allgemeinen  ist,  das  Schlachthaus  für  Kleinvieh  mit  dem  für  Großvieh 
zu  vereinigen,  wie  Verfasser  dieses  auch  stets  für  Schlachthöfe  in  allen 
kleineren  Städten  bis  zu  60000  Einwohner  vorschlägt. 

Die  Größe  der  Kammern  schwankt  zwischen  18  und  100  qm.  In 
Rouen  sind  wohl  die  kleinsten  bisher  ausgeführten  Schlachtkammern  vor- 
handen und  zwar  in  folgenden  Maßen:  4,4  auf  4,0  m,  also  in  17,6  qm 
Größe.  In  Berlin  sind  die  Kammern  etwa  9,4  auf  5,2  m,  also  rund 
49  qm  groß. 

In  Fig.  7  und  8  (S.  33,  34)  ist  das  Rinderschlachthaus  auf  dem 
Centralschlachthofe  in  Berlin  abgebildet. 

Die  Schlachthallen  für  Großvieh  bestehen  entweder  aus  einer 
einschiffigen,  ungeteilten  Halle,  oder  aus  einer  dreischiffigen  Halle,  oder 
aus  einer  fünfschiffigen  Halle.  Die  Schiffe  werden  durch  Säulenreihen 
gebildet,  welche  die  Dachkonstruktion  der  Halle  tragen. 

Die  Bequemlichkeit,  welche  die  einschiffige  Halle  im  Betriebe  vor 
den  geteilten  Hallen  voraus  hat,  und  die  größere  Uebersichtlichkeit, 
welche  sie  bietet,  wird  durch  die  großen  Kosten  eines  komplizierten 
Dachstuhls  aufgewogen.  Die  einschiffige  Halle  ist  daher  nur  in  wenigen 
Schlachthöfen  bei  Anwendung  beweglicher  Winden  zur  Durchführung 
gekommen  und  zwar  in  Dresden,  Hannover  und  Liegnitz. 

Die  dreischiffige  Halle  (Fig.  9  u.  10,  S.  34, 37)  ist  dagegen  die  gebräuch- 
lichste, während  eine  fünfschiffige  Schlachthalle  nur  in  Braunschweig 
angewendet  ist,  jedoch  irgend  einen  Vorzug  vor  der  dreischiffigen  nicht 
aulweist,  dagegen  an  Unbequemlichkeit  und  geringerer  Uebersichtlich- 
keit leidet.  Die  dreischiffige  Halle  besteht  aus  einem  Mittelgange 
und  zwei  seitlichen  Schlachtständen,  oder  es  wird  bei  Anwendung  be- 
weglicher Winden  oftmals  das  eine  Seitenschiff  zum  Schlachten  der 
Tiere,  das  andere  zum  Auskühlen  derselben  benutzt. 

Die  größte  Anzahl  der  an  einem  Tage  vorkommenden  Schlachtungen 
sollte  maßgebend  für  die  Größe  der  Schlachthalle  sein.  Da  aber  durch 
Errichtung  eines  genügend  großen  Kühlhauses  die  Fleischer  nicht  mehr 
dann  schlachten,  wenn  der  Bedarf  ein  großer  ist,  also  nicht  ein  oder 
zwei  Tage  vor  den  Sonn-  und  Feiertagen,  sondern  dann,  wenn  sie  das 
Vieh  erhalten,  so  werden  in  der  Regel  zwei  bis  drei  Hauptschlachttage 
in  jeder  Woche  angenommeu  werden  können,  also  im  Jahre  bei  300 
Arbeitstagen  und  50  Arbeitswochen  100  — 150  Schlachttage.  Dividiert 
man  die  Anzahl  der  in  einem  Jahre  vorgekommenen  Schlachtungen  durch 
diese  Zahl  100  oder  150  und  multipliziert  diesen  Quotienten  mit  1,5, 
so  erhält  man  die  größte  Anzahl  der  an  einem  Schlachttage  vorkommenden 
Großviehschlachtungen,  welche  für  die  Größe  des  Schlachthauses   maß- 

32 


Markthallen  und  Viehhöfe. 


33 


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Handbuch  der  Hygiene.  Bd.  VI. 


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Fig.  8. 
Central-Schlacht-  und  Viehhof  zu  Berlin. 


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Fig.  9. 

Schlachthof  zu  Cassel.     Arch. :    Weiss. 


34 


Markthallen  und  Viehhöfe.  35 

gebend   ist.      Im   großen   Durchschnitt   werden    im    Jahre  0,12    Stück 
Großvieh  für  jeden  Einwohner  einer  Stadt  geschlachtet. 


b)  Kle  invieh- Schachthäuser. 

Wie  schon  bei  den  Großvieh-Schlachthäusern  erwähnt,  sind  die 
Kleinvieh-Schlachthäuser  bei  Städten  bis  zu  etwa  60  000  Einwohnern  in 
der  Regel  mit  dem  Großvieh  -  Schlachthause  vereinigt,  da  in  der 
Regel  die  Großviehmetzger  auch  Kleinvieh  schlachten.  Einzelne 
Techniker  haben  sich  jedoch  durch  die  Hakenrahmen,  welche  sowohl 
das  Schlachthaus  für  Kleinvieh,  als  auch  das  für  Schweine  gebraucht, 
verleiten  lassen  ,  beide  Schlachträume  zusammenzulegen.  Bedenken 
hat  dies  nur  in  sofern  als  daß  die  Groß-  und  Kleinviehmetzger  die 
Bequemlichkeit  vermissen,  in  einem  einzigen  Räume  schlachten  zu 
können.  Selbstverständlich  ist  dann  aber  erste  Bedingung,  daß  das 
Schweinebrühhaus  vom  Schlachthause  durch  eine  oben  geschlossene 
Wand  getrennt  und  gut  gelüftet  ist. 

Wegen  des  geringen  Gewichtes  des  Kleinviehes  sind  Aufzugsvor- 
richtungen nicht  nötig,  sodaß  man  sich  mit  Hakenrahmen  begnügt. 

Die  Schlachthalle  für  Kleinvieh  ist  in  der  Regel  ebenso  erbaut, 
wie  die  für  Großvieh.  Die  Hakenrahmen  stehen  dann  an  den  3  Seiten 
eines  Schlachtstandes,  welcher  die  ganze  Breite  des  Mittelschiffes  ein- 
nimmt und  die  Länge  von  3,8m,  besser  von  4  mhat,  wobei  dieser  Schlacht- 
stand nach  dem  Mittelgange  offen  ist. 

Da  auch  bei  der  Bemessung  der  Größe  des  Schlachthauses  die 
größte  Anzahl  der  an  einem  Tage  vorkommenden  Schlachtungen  maß- 
gebend ist,  so  kann  dieselbe,  wenn  nicht  bekannt,  folgendermaßen  be- 
rechnet werden :  Bei  300  Arbeitstagen  und  50  Wochen  und  bei  wöchent- 
lich 2 — 3  Schlachttagen,  also  bei  jährlich  100 — 150  Schlachttagen,  ge- 
nügt es,  um  die  größte  Anzahl  der  Schlachtungen  an  einem  Tage  zu 
finden,  wenn  man  die  Anzahl  der  jährlichen  Schlachtungen  dividiert 
durch  100 — 150  und  diesen  Quotienten  mit  1,5  multipliziert.  Die  An- 
zahl der  jährlichen  Schlachtungen  beträgt  im  Durchschnitte  etwa  0,35 
für  jeden  Einwohner. 

c)  Schweineschlachthäuser. 

Da  den  Schweinen  nicht,  wie  dem  Groß-  und  Kleinvieh,  die  Haut 
abgezogen  wird,  sondern  nur  die  Borsten  abgeschabt  werden,  nachdem 
sie  in  heißem  Wasser  erweicht  sind,  zerfällt  das  Schlachten  der  Schweine 
in  zwei  Teile,  welche  räumlich  von  einander  getrennt  werden  können 
und  wegen  der  übel  riechenden  Dämpfe,  welche  beim  Brühen  ent- 
stehen, auch  getrennt  werden  müssen.  So  entstehen  zwei  getrennte, 
jedoch  zusammengehörige  Räume,  der  Brühraum,  in  welchem  das 
Schwein  abgestochen  und  enthaart  wird,  und  der  Ausschlachteraum, 
in  welchem  dasselbe  vollständig  ausgeschlachtet,  seiner  Eingeweide  be- 
raubt und  ausgekühlt  wird.  Da  nun  die  enthaarten  Tiere  von  dem 
Brühraum  in  den  Ausschlachteraum  gelangen  müssen,  ist  es  zweck- 
mäßig, diese  beiden  Räume  nebeneinander  zu  legen,  aber  nach  Mög- 
lichkeit durch  eine  Wand  von  einander  zu  trennen,  ohne  den  Transport 
der  enthaarten  Schweine  ins  Ausschlachtehaus  zu  behindern. 

3* 
35 


36  GEORG   OSTHOFF, 

Je  nach  der  Lage  des  Brühhauses  zur  Ausschlachtehalle  smd  4  ver- 
schiedene Anordnungen  des  Schweineschlachthauses  möglich  und  zwar: 
a)  Der  Brühraum  liegt  im  Mittelschiffe  einer  dreischiffigen  Halle,  deren 
beide  Seitenschiffe  die  Ausschlachteräume  bilden.  Diese  Anordnung  ist 
in  München  ausgeführt  (Fig.  10).  b)  Der  Brühraum  liegt  in  der  Mitte 
der  Halle,  geht  durch  die  ganze  Breite  derselben,  und  es  lehnen  sich 
beiderseitig  die  Ausschlachtehallen  an,  wie  die  Figur  1 1  des  Schweineschlacht- 
haus zu  Graz  zeigt,  c)  Der  Brühraum  befindet  sich  am  Ende  des  Schweine- 
schlachthauses (s.  Fig.  13).  d)  Der  Brühraum  befindet  sich  an  einer 
Längsseite  der  Schlachthalle  (s.  Fig.  12  der  Schlachthalle  in  Halle  a.  S.). 

Die  letzten  beiden  Anordnungen  sind  die  zweckmäßigsten,  da  von 
einem  Ende  nach  einer  Richtung  hin  die  Tiere  am  bequemsten  befördert 
werden  können.  Bei  diesen  Anordnungen  ist  es  auch  möglich,  die  Schweine- 
ställe direkt  an  die  Brühhalle  und  die  Kaidaunenwäsche  direkt  an  die 
Ausschlachtehalle  zu  legen,  und  so  alle  Räume  bequem  anzuordnen  und 
den  Gegenstrom  zu  vermeiden. 

Bei  der  letzten  Anordnungen  sind  im  Brühraume  Enthaarungstische 
angeordnet,  von  welchen  die  enthaarten  Tiere  mittels  Laufwinden  fort- 
genommen und  an  einen  beliebigen  Haken  der  Hakenrahmen  gehängt 
werden.  Deshalb  sind  dort  die  Hakenrahmen  in  der  Richtung  nach  dem 
Brühraume  laufend  entworfen.  Hierbei  sind  große  Oeffnungen  zwischen 
Brühraum  und  Ausschlachteraum  erforderlich,  sodaß  eine  Trennung  der 
beiden  Räume  nur  in  etwa  2,5  m  Höhe  über  den  Laufwinden  mittels 
einer  Wand  möglich  ist. 

In  manchen  Städten  sind  die  Fleischer  jedoch  gewöhnt,  nicht  auf 
Tischen,  sondern  auf  niedrigeren  Schrägen  die  Schweine  zu  enthaaren, 
dann  macht  man  diese  Schrägen  fahrbar,  indem  man  sie  vorne  mit 
2  Rädern  und  hinten  mit  2  Handhaben  versieht.  In  diesem  Falle  ist 
eine  Bewegung  der  Schweine  aus  dem  Brühraume  nach  dem  Ausschlachte- 
raume  mittels  Laufwinden  unnötig,  da  dieser  Transport  durch  die  fahr- 
baren Schrägen  von  statten  geht.  Dann  aber  kann  auch  eine  andere  An- 
ordnung der  Hakenrahmen,  und  zwar  so,  wie  bei  der  Kleinvieh-Schlacht- 
halle angenommen,  passend  erscheinen,  allerdings  nur  bei  der  Anordnung  c. 
Man  wird  dabei  den  Brühraum  vom  Ausschlachteraum  von  unten  bis 
oben  durch  eine  Mauer  trennen  und  nur  im  Mittelschiffe  des  Aus- 
schlachteraumes, welches  als  Gang  dient,  eine  genügend  große  Oeffnung 
anbringen,  wie  das  im  Erfurter  Schweineschlachthause  (Fig  13)  ge- 
schehen ist. 

(Fig.  10,  11,  12  und  13  S.  37,  38,  39  und  40.) 

Je  nach  den  Anordnungen  des  Brühraumes  zum  Ausschlachteraume 
wird  man  die  Konstruktion  des  Schweineschlachthauses  wählen.  Säulen 
sind  in  der  Regel  überall  zu  stellen,  da  sie  die  Anbringung  der  Haken- 
rahmen erleichtern. 

Wichtig  ist  die  Entlüftung  des  Brühraumes,  welche  bis  vor  kurzem 
nicht  zu  erreichen  war,  bis  der  Verfasser  dieses  mit  dem  Ventilations- 
spezialisten Alexander  Huber  in  Köln  a.  Rh.  in  Verbindung  trat 
und  eine  von  beiden  bearbeitete,  dem  H  u  b  e  r  patentierte  Lüftungsan- 
lage auf  dem  vom  Verfasser  dieses  erbauten  Schlachthofe  in  Dessau 
zur  Durchführung  brachte,  welche  sich  trotz  mancher  Unvollkommen- 
heilen  in  der  Ausführung  sehr  gut  bewährt  hat  (s.  12,  Die  inneren  Ein- 
richtungen). 

In  manchen  Schweineschlachthäusern,  selbst  der  allerneuesten  Zeit, 

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Markthallen  und  Viehhöfe. 


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Fig.   10. 

Schlacht-  und  Viehhof  zu  München. 

Arch.  :   Zenetti. 


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GEORG   OSTHOFF, 


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Markthallen  und  Viehhöfe. 


39 


Fig.  12. 

Schlacht-  und  Viehhof  zu  Halle  a./S. 

Arch.:  Osthoff. 


39 


40 


GEORG    OSTHOFF, 


findet  man  die  Anordnung,  daß  die  Schweinegedärme  im  Schlachthause 
selbst  gereinigt  werden,  so  in  Mülheim  a.  d.  Ruhr,  Braunschweig, 
Wiesbaden,  Bonn,  München  und  Leipzig.  Diese  Anordnung  ist  sehr 
wenig  empfehlenswert,  da  das  Reinigen  der  Eingeweide  einesteils  heißes 
Wasser  beansprucht,  welches,  mit  den  schmutzigen  Gedärmen  in  Be- 
rührung kommend,  übel  riechende  Dämpfe  entwickelt,  die  dem  in  der 
Nähe  hängenden,  zum  Auskühlen  bestimmten  Fleische  nur  schädlich 
sein  können,  anderenteils  aber  auch  die  schmutzigen  Eingeweide  nicht 
schnell  genug  aus  dem  Schlachthause,  in  welchem  durchaus  auf  größte 
Reinlichkeit  zu  sehen  ist,    entfernt  und  in    solche    Räume    gebracht 


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Fig.   13. 
Schlachthof  zu  Erfurt.     Arch. :  Spielhagen. 


werden  können,  welche  für  diese  übel  riechenden  Tierteile  besonders 
eingerichtet  und  mit  allen  erforderlichen  Lüftungsvorrichtungen  ver- 
sehen sind.  Ist  es  jedoch  nicht  möglich,  eine  genügend  große  Kal- 
daunenwäsche  in  nächstem  Anschlüsse  an  das  Schweine-Ausschlachte- 
haus zur  Ausführung  zu  bringen,  was  allerdings  anzuraten  und  vor- 
zuziehen ist,  so  möge  man  das  Brühhaus  zugleich  als  Kaidaunen- 
wäsche einrichten  und  dementsprechend  größer  gestalten.  Es  werden 
dadurch  die  gerügten  Uebelstände  vermieden;  allein  es  empfiehlt  sich 
diese  Anordnung  bei  starkem  Betriebe  nicht,  weil  im  Verkehre  Gegen- 
strömungen auftreten.  Es  müssen  nämlich  zunächst  die  Schweine  vom 
Brühhause  in  das  Ausschlachtehaus  und  dann  die  Kaidaunen  von  hier 
in  das  Brühhaus  zur  Kaidaunenwäsche  zurück.  Sind  diese  Gegen- 
strömungen in  den  Schlachthöfen  mittlerer  und  großer  Städte  zu  ver- 
meiden, so  kann  die  zuletzt  erwähnte  Anordnung,  die  Kaidaunenwäsche 
für  Schweine  in  das  Brühhaus  zu  legen ,  bei  kleinen  Städten  mit 
einer  Anzahl  bis  zu  15000  Einwohnern  im  allgemeinen  als  nicht  un- 
zweckmäßig bezeichnet  werden. 

Im  großen  Durchschnitte  kommen  auf  jeden  Einwohner  jährlich 
0,18  Schlachtungen.  Zur  Berechnung  der  Größe  des  Schlachthauses 
werden  wieder  2  oder  3  wöchentliche  oder  100 — 150  jährliche  Schlacht- 

4o 


Markthallen  und  Viehhöfe.  41 

tage  angenommen.  Behufs  Berücksichtigung  der  stärksten  Schlachttage, 
falls  diese  nicht  bekannt  sind,  kann  angenommen  werden,  daß  diese 
zweimal  so  groß  sind,  als  die  durchschnittlichen  täglichen  Schlachtungen, 
welche  zu  ermitteln  sind,  indem  man  die  Anzahl  aller  jährlichen  Schlach- 
tungen durch  100  oder  150  dividiert. 

d)  Schlachthaus  für  Pferde. 

Das  Schlachthaus  für  Pferde  bedarf  derselben  Einrichtungen,  wie 
das  für  Großvieh.  Es  enthält  demnach  ein  oder  mehrere  Großvieh- 
winden, einen  Brühkessel,  Hakenrahmen  und  Kaldaunenwaschgefäße. 
Das  Schlachthaus  darf  der  großen  und  schlagenden  Tiere  wegen  nicht 
zu  klein  sein.     Die  kleinsten  Innenraummaße  sind  5,0  auf  5,0  m. 

e)   Schlachthaus  für  krankes  Vieh. 

Da  in  diesem  Schlachthause  alle  Viehgattungen  geschlachtet  werden, 
so  ist  dasselbe  mit  Großviehwinden ,  mit  Hakenrahmen  für  Kleinvieh 
und  Schweine,  mit  einem  Brühkessel,  mit  Kaldaunenwaschgefäßen  etc. 
zu  versehen.  Kurze  Zeit  nach  Eröffnung  des  Schlachthofes  kommen 
selten  noch  kranke  Tiere  auf  den  Schlachthof,  sodaß  dieses  Schlacht- 
haus möglichst  klein  zu  machen  ist. 

Bei  kleineren  Schlachthöfen  genügt  es,  einen  Stall  für  Großvieh, 
Kleinvieh  und  Schweinen  unmittelbar  an  das  Schlachthaus  für  krankes 
Vieh  zu  erbauen.  Für  große  Schlachthöfe  ist  aber  auch  noch  ein  be- 
sonderer Stall  für  verdächtiges  Vieh  aller  Viehgattungen  herzustellen. 
Während  aus  dem  ersten  Stalle  alles  Vieh  in  das  Schlachthaus  für 
krankes  Vieh  gelangt,  kann  dasselbe  aus  dem  Untersuchungsstalle 
ebensowohl  in  dies  Schlachthaus  befördert,  als  auch  als  gesund  dem 
Metzger  wieder  überliefert  werden. 


5.   Kai dau neuwaschen. 

Kaidaunenwäschen  (Kuttlereien,  Kutteleien)  sind  auf  kleinen  Schlacht- 
höfen mindestens  eine,  auf  größeren  zwei  vorhanden,  und  zwar  eine  für 
Groß-  und  Kleinvieh  und  eine  für  Schweine.  Dieselben  sollten  stets 
in  unmittelbarer  Nähe  der  betreffenden  Schlachthallen  liegen  und  mit 
diesen  unter  Dach  verbunden  sein,  doch  so,  daß  die  üblen  Gerüche 
nicht  in  die  Schlachthallen  treten  können.  Diese  Kaidaunenwäschen 
sind  mit  Trögen  zum  Reinigen  der  Eingeweide,  zwischen  denen  Tisch- 
platten liegen  und  über  denen  Hähne  für  kaltes  und  heißes  Wasser  an- 
gebracht sind,  ausgestattet.  Auch  sind  in  der  Regel  ein  Bottich  zum 
Brühen  der  Füße  und  ein  Heißwasserbottich,  sowie  ein  oder  mehrere 
Entfettungstische  angebracht. 

Betreffs  der  Größe  der  Kaidaunenwäschen  ist  zu  beachten ,  daß 
vor  den  Waschgefäßen  ein  Raum  von  3,0  m  Breite  freibleibt,  damit  die 
Metzger  bequem  stehen  und  die  Kaidaunen  hinter  ihnen  in  kleinen 
Karren  angefahren  werden  können.  Ferner  ist  zu  beachten,  daß  so 
viel  Tröge  vorhanden  sein  müssen,  als  an  einem  Tage  Schlachtungen 
vorkommen,  daß  aber  in  jedem  Kaidaunentrog  täglich  die  Kaidaunen 
von  12  Stück  Großvieh,  von  24  Stück  Kleinvieh  und  von  18  Schweinen 
gereinigt  werden  können. 

41 


42  GEORG    OSTHOFF, 

Zum  Vorreinigen  der  Großviehmägen    sind  häufig  und  zweckmäßig 
dreimal  so  große  Tröge  bei  dem  Düngerhause  angebracht. 


6.  Kühlanlagen  13. 

Ein  Kühlhaus  sollte  keinem  Schlachthofe  fehlen,  da  dieses  erst 
die  gesundheitliche  Anlage  zu  einer  vollkommenen  macht.  Während 
man  früher  Eiskühlhäuser  erbaute,  um  das  Fleisch  im  Sommer  vor  dem 
Verderben  zu  schützen,  dies  aber  nur  in  sehr  unvollkommener  Weise 
erzielte,  da  das  Fleisch  sich  schon  nach  einigen  Tagen  darin  mit  einem 
feuchten  Schimmel  überzog  und  an  Güte  abnahm,  erbaut  man  jetzt 
Kühlhäuser,  in  welchen  die  Luft  mittels  Maschinen  künstlich  abgekühlt 
und  getrocknet  wird. 

Das  Fleisch  erhält  sich  am  längsten ,  wenn  es  in  einer  abge- 
trockneten Luft  und  bei  einer  Temperatur  von  -h  2  bis  +  5  Grad  C. 
aufbewahrt  wird.  Alle  guten  Kühleinrichtungen  verfolgen  nun  den 
doppelten  Zweck,  einmal  die  Kühlhausluft  auf  diese  Temperatur  ab- 
zukühlen und  diese  Luft  zugleich  von  ihren  Wasserdämpfen  soweit  zu 
befreien,  daß  sie  imstande  ist,  die  Feuchtigkeit,  welche  das  zu  kühlende 
Fleisch  bei  der  Abkühlung  von  sich  giebt,  in  sich  aufzunehmen. 

Um  die  in  einem  Räume  eingeschlossene  Luft  von  einer  hohen 
Temperatur  auf  eine  niedrigere  zu  bringen,  ist  es  bekanntlich  nur  nötig, 
einen  abgekühlten  Gegenstand  in  diesen  Raum  zu  schaffen.  Alsdann 
wird  sofort  ein  Temperaturausgleich  zwischen  der  warmen  Luft  des 
Kühlraumes  und  dem  kalten  Körper  vor  sich  gehen,  bis  beide  dieselbe 
Temperatur  besitzen.  Wird  nun  dieser  eingebrachte  kalte  Körper  auf 
einer  bestimmten  niederen  Temperatur  erhalten,  so  muß  die  Luft  in 
dem  Kühlraume  sich  nahezu  auf  diese  Temperatur  abkühlen,  wenn  da- 
für gesorgt  wird,  daß  nur  in  einem  bestimmten  Verhältnisse  ein 
Temperaturausgleich  zwischen  der  Kühlhausluft  und  der  äußeren 
Luft  stattfinden  kann. 

Hieraus  ergiebt  sich,  daß  eine  Kühlanlage  mit  künstlicher  Luft- 
kühlung aus  drei  Teilen  besteht  und  zwar:  1)  aus  dem  Kälte-Erzeuger, 
(der  Kühlmaschine) ;  2)  aus  dem  Kälte-Uebertrager  (der  Kühleinrichtung) ; 
3)  aus  dem  Kühlraume.  Dies  drei  Teile  können  nach  verschiedenen 
Grundsätzen  ausgeführt  werden  und  hängen  nur  sehr  lose  miteinander 
zusammen. 

A.  Die  Kältemaschinen. 

a)  Allgemeines. 

Die  in  Deutschlandjetzt  noch  angewendeten  Kältemaschinen  arbeiten 
mit  flüchtigen  Flüssigkeiten,  und  zwar  mit  Ammoniak,  schwefliger  Säure 
und  Kohlensäure.  Sie  bestehen  im  wesentlichen  aus  drei  Apparaten 
und  zwar: 

1)  Aus  dem  Verdampfer,  welcher  auch  Generator  oder  Re- 
frigerator  genannt  wird. 

Derselbe  besteht  aus  Rohrschlangen,  welche  in  einem  Kasten  ange- 
ordnet sind.  In  letzterem  umspült  die  abzukühlende  Luft  oder  Salz- 
flüssigkeit   die  Rohrschlangen.      Dem  einen  Ende    dieser  Schlangen  fließt 

42 


Markthallen  und  Viehhöfe.  43 

fortwährend  eine  tropfbar  flüssige  Flüssigkeit  zu,  verdampft  in  denselben 
und  entweicht  als  Dampf  am  anderen  Ende,  nachdem  diese  Flüssigkeit 
sämtliche  Schlangenreihen  durchstrichen  hat.  Zur  Verdampfung  der 
Flüssigkeit  in  den  Röhren  ist  Wärme  nötig,  welche  —  sofern  die  Um- 
gebung der  Röhren  wärmer  ist,  als  die  verdampfende  Flüssigkeit  — 
dieser  Umgebung,  also  der  die  Röhren  umspülenden  Luft  oder  Salz- 
flüssigkeit entzogen  wird.  Demnach  wird  diese  Luft  oder  die  Salzflüssig- 
keit abgekühlt.  Die  durch  die  Rohrschlangen  fließende  tropfbar  flüssige 
Flüssigkeit  muß  eine  solche  Flüssigkeit  sein,  welche  unter  gewöhnlichem 
Atmosphärendrucke  und  bei  jeder  Atmosphärentemperatur  sich  verflüchtigt, 
also  z.  B.  Ammoniak,  schweflige  Säure,  Kohlensäure  etc. 

2)  Aus  einem  Apparat,  welcher  die  doppelte  Aufgabe  zu  erfüllen 
hat,  die  im  Verdampfer  entwickelten  Dämpfe  der  flüchtigen  Flüssigkeit 
aufzunehmen  und  sie  in  dampfförmigem  Zustande  zu  verdichten. 

3)  Aus  dem  Kondensator,  welcher  die  im  zweiten  Apparate 
verdichtete  dampfförmige  flüchtige  Flüssigkeit  wieder  in  den  tropf- 
bar flüssigen  Zustand  zurückzuführen  hat,  damit  dieselbe  von  neuem 
kältebildend  in  dem  Verdampfer  wirksam  sein  kann. 

Auch  dieser  Apparat  besteht  aus  Rohrschlangen,  welche  in  einem 
eisernen  Kasten  sich  befinden.  In  den  oberen  Teil  der  Rohrschlangen 
treten  die  verdichteten  Dämpfe  ein,  und  aus  dem  unteren  heraus,  von  wo 
sie  wieder  zum  Verdampfer  gelangen.  Die  Röhren  werden  fortwährend 
von  möglichst  kaltem  Wasser,  dem  sog.  Kühlwasser  umspült,  welches 
den  Röhren  und  ihrem  Inhalte,  der  dampfförmigen  flüchtigen  Flüssigkeit, 
Wärme  entzieht  und  diese  dampfförmige  Flüssigkeit  unter  Druck  wieder 
in  eine  tropfbare  Flüssigkeit  verwandelt. 

Der  erste  Apparat,  der  Verdampfer,  bringt  die  tropfbare  Flüssig- 
keit in  Dampfform,  indem  dieselbe  der  Umgebung  die  dazu  nötige  Wärme 
entzieht.  Diese  Dämpfe  werden  im  zweiten  Apparate  verdichtet,  wo- 
durch eine  Erwärmung  derselben  erfolgt.  Der  dritte  Apparat,  der 
Kondensator,  bezweckt,  die  warmen  verdichteten  Dämpfe  dadurch 
wieder  tropfbar  zu  machen,  daß  denselben  die  überschüssige  Wärme 
wieder  entzogen  wird. 

Je  nach  der  Konstruktion  des  zweiten  Apparates  zerfallen  die  mit 
flüchtigen  Flüssigkeiten  arbeitenden  '„  Kältemaschinen  in  Absorptions- 
oder in  Kompressions-Kältemaschinen. 

I.  Bei  den  Absorptionskältemaschinen  besteht  dieser 
zweite  Apparat  im  wesentlichen  aus  drei  Teilen,  und  zwar: 

a)  Dem  Absorber,  einem  Gefäße,  in  welchem  fortdauernd  eine 
Flüssigkeit  (in  der  Regel  Wasser)  enthalten  ist,  welche  Dämpfe  begierig 
aufsaugen,  absorbieren  und  sich  mit  denselben  sättigen  kann ;  ß)  der 
Pumpe,  welche  die  stark  gesättigte  Absorptionsflüssigkeit  aus  dem  Ab- 
sorber aufsaugt  und  weiterschafFt  nach  y)  dem  Destillations- 
kessel, der  mit  Dampf  oder  direkter  Feuerung  geheizt  wird  und  in 
dessen  Inneres  die  starke  Absorptionsflüssigkeit  mittels  der  Pumpe  ge- 
drückt wird.  Die  Erwärmung  auf  entsprechende  Temperatur  bewirkt, 
daß  die  flüchtige  Flüssigkeit  dampfförmig  ausgetrieben  und  dem  Kon- 
densator zugeführt  wird. 

43 


44  GEORG    OSTHOFF, 

IL  Bei  den  Kompressionskältemaschinen  besteht  der 
zweite  Apparat  aus  einer  zumeist  doppeltwirkenden  Saug-  und  Druck- 
pumpe, dem  Kompressor.  Dieser  saugt  die  Dämpfe  aus  dem  Ver- 
dampfer, verdichtet  sie  und  schiebt  sie  in  den  Kondensator. 

ß)  Die  Absorptionskältemaschinen. 

Bei  diesen  von  Carre'  erfundenen  Maschinen  wird  ausschließlich 
Ammoniak  als  flüchtige  Flüssigkeit  und  ferner  Wasser  oder  eine  schwache 
Ammoniaklösung  als  Absorptionsflüssigkeit  benutzt.  Ihres  teuren  Be- 
triebes wegen  werden  die  Absorptionskältemaschinen  mehr  und  mehr 
verlassen  und  bald  von  den  Kompressionskältemaschinen  ganz  ver- 
drängt sein. 

Die  einzelnen  Konstruktionen,  welche  von  verschiedenen  Fabriken 
ausgeführt  werden,  weichen  wenig  voneinander  ab. 

y)  Die  Kompressionskältemaschinen. 

Bei  diesen  unterscheidet  man  solche,  welche  mit  permanenten 
Gasen,  und  solche,  welche  mit  flüchtigen  Flüssigkeiten  ar- 
beiten. 

1.  Kompressionskältemaschinen,  welche  mit  permanenten  Gasen  arbeiten. 

Diese  werden  repräsentiert  durch  die  Kaltluftmaschinen,  wie  solche 
früher  nach  dem  Systeme  von  Franz  Windhausen,  jetzt  nachdem 
Systeme  von  Bell-Colemann  und  dem  von  Lythfoot  ausgeführt 
werden. 

Die  Luft  wird  zunächst  aus  dem  Räume,  in  welchem  Kälte  erzeugt 
werden  soll,  angesaugt,  dann  komprimiert  und  in  einen  Kühlapparat 
gedrückt,  in  welchem  sie  unter  konstant  bleibendem  Drucke  durch  Kühl- 
wasser gekühlt  wird.  Dann  wird  diese  komprimierte  und  abgekühlte 
Luft  stark  ausgedehnt  und  in  den  zu  kühlenden  Raum  ausgestoßen, 
wobei  sie  Wärme  aufnimmt  und  so  auf  den  Raum  abkühlend  wirkt. 

Diese  Maschinen  müssen  im  Vergleiche  zu  ihrer  Kälteleistung  sehr 
groß  gebaut  werden,  weil  die  Luft  eine  geringe  spezifische  Wärme  besitzt. 
Die  in  der  Luft  enthaltene  Feuchtigkeit,  welche  noch  vermehrt  wird  da- 
durch, daß  zur  Vermeidung  von  schädlicher  Ueberhitzung  eine  Wasser- 
einspritzung nötig  wird,  setzt  sich,  wenn  nicht  vorzügliche  Entwässerungs- 
apparate in  der  Druckleitung  angeordnet  werden,  in  Schneeform  an  den 
Ventilen  und  in  den  Kanälen  fest,  bewirkt  Verstopfungen,  Undichtig- 
keiten, kurz  Beeinträchtigungen  der  Kälteleistung.  Die  großen  Maschinen, 
welche  dazu  noch  rasch  laufen  müssen,  um  nicht  in  kolossale  Dimen- 
sionen auszuarten,  sind  starken  Erschütterungen  und  häufigen  Repara- 
turen ausgesetzt,  besonders  dann,  wenn  Kompression  und  Expansion  der 
Luft  in  ein  und  demselben  Pumpencylinder  vorgenommen  wird. 

Windhausen's  Maschine  arbeitete  nur  mit  einem  Cylinder,  Bell- 
Colemann  und  Lythfoot  haben  deren  zwei  angeordnet,  einen  Kom- 
pressions- und  einen  Expansionscylinder,  deren  Volumen  sich  etwa  wie 
2  :  1  verhalten. 

Diese    Maschinen    erfordern    viel    Kraft    zum   Betriebe    der  Pumpen- 

44 


Markthallen  und  Viehhöfe.  45 

cylinder,  viel  Einspritzwasser,    viel  Kühlwasser  für  den  Luftkühlapparat, 
und  sie  gehen  direkt  kalte  Luft. 

Von  BedeutuDg  waren  die  Kaltluftmaschinen  nur  da,  wo  es  sich 
um  die  Kühlung  kleiner  Räume  handelte,  z.  B.  der  Provianträume  auf 
Schiffen,  der  Kühlräume  auf  Fleischtransportschiffen  und  in  Export- 
schlachtereien  etc.,  aber  auch  hier  macht  sich  schon  das  Bedürfnis 
nach  Kompressionskältemaschinen,  welche  mit  flüchtigen  Flüssigkeiten 
arbeiten,  geltend. 

2.  Kompressionskältemaschinen,  welche  mit  flüchtigen  Flüssigkeiten 

arbeiten. 

Je  nach  der  Art  der  verwendeten  Arbeitsflüssigkeit  lassen  die 
Kompressionskältemaschinen,  welche  mit  flüchtigen  Flüssigkeiten  ar- 
beiten, sich  einteilen  in  :  1)  Schwefligesäure-Maschinen ;  2)  Ammoniak- 
maschinen ;  3)  Kohlensäuremaschinen. 

a)  Die  Schwefligesäure  -Kompressionskältemaschi- 
n  e  n  ,  zu  denen  die  alten  und  neuen  Pictet-Maschinen  gehören,  werden, 
seitdem  sie  in  dem  Wettstreit  zwischen  dieser  und  der  Linde'  sehen 
Ammoniakmaschine  unterlegen  sind,  wenig  mehr  angewendet.  Die  alte 
Pictet-Maschine,  welche  nur  mit  schwefliger  Säure  arbeitet,  besteht  aus  den 
3  Apparaten,  dem  Verdampfer,  dem  Kompressor  und  dem  Kondensator. 
Sie  arbeitet  unter  geringem  Kondensatordrucke  von  2  bis  4  Atmosphären, 
mit  überhitzten  Dämpfen  und  ohne  Schmierung.  Sie  ist  veraltet  und 
wird  kaum  noch  in  Deutschland  gebaut.  —  Die  neuen  Pictet-Maschinen 
bestehen  ebenfalls  nur  aus  den  3  Hauptapparaten,  dem  Verdampfer,  Kom- 
pressor und  Kondensator,  und  arbeiten  ebenfalls  mit  einem  Kondensator- 
drucke von  nur  2  bis  4  Atmosphären  (je  nach  der  Temperatur  des  vor- 
handenen Kühlwassers).  Als  flüchtige  Flüssigkeit  wird  eine  Mischung 
von  schwefliger  Säure  und  Kohlensäure  verwendet.  Die  beigefügte 
Kohlensäure  bezweckt  eine  geringe  Erhöhung  des  Kompressor-Saugdruckes, 
sodaß  derselbe  für  gewöhnlich  höher  als  der  atmosphärische  ist  und  das 
Eindringen  der  so  schädlich  wirkenden  Außenluft  verhindert. 

b)  Am  gebräuchlichsten  sind  die  Ammoniak-Kompressions- 
kältemaschinen. Sie  arbeiten  unter  einem  Kondensatordruck  von 
7 — 12  Atmosphären,  weshalb  die  Stopfbüchsen,  sofern  sie  dicht  halten 
und  bedeutende  Verluste  an  Ammoniak  vermieden  werden  sollen,  nicht 
einfach  und  trocken  verpackt  werden  können,  sondern  aus  drei  ver- 
schiedenen Teilen  bestehen  müssen,  welche  besonderen  Zwecken  dienen. 
Je  vollkommener  die  Vorkehrungen  zur  Verhinderung  der  Ammoniak- 
verluste und  des  Uebertrittes  des  Schmieröles  in  die  Schlangen  des 
Verdampfers  und  Kondensators  sind,  um  so  besser  ist  die  Maschine. 

c)  Die  Kohlensäure  -  Kompressionskältemaschinen 
stimmen  im  wesentlichen  mit  den  Ammoniakkältemaschinen  überein, 
arbeiten  mit  Kohlensäure  bei  einem  Kompressordrucke  von  40—60  Atmo- 
sphären und  sind  deshalb  sehr  kompendiös.  Diese  Maschinen  sind 
neuerdings  in  Gebrauch  gekommen. 


45 


46  GEORG    OSTHOFF, 

B.    Die  Kühlvorrichtungen. 
«)  A  11  gern  eines. 

Zur  Kühlung  von  Fleischkühlräumen  ist  in  erster  Linie  Kälte  nötig. 
In  der  Kältemaschine  wird  die  Kälte  erzeugt;  in  der  Kühleinrichtung 
wird  sie  zur  Kühlung  der  Luft  in  den  Kühlräumen  verwertet,  und  es 
ist  für  die  Kühleinrichtung  an  sich  vollständig  gleichgiltig,  durch  welche 
Kältemaschine  diese  Kälte  hervorgebracht  wird. 

Zur  Erhaltung  des  Fleisches  ist  eine  Kühlhallenluft  erforderlich, 
welche  gleichmäßig  kühl  (+  2  bis  +5  Grad  C.)  gehalten  wird, 
von  Staub  und  Bakterien  frei  und  relativ  trocken  ist  (mit  75—80  Proz. 
Feuchtigkeitsgehalt).  Zu  trocken  darf  die  Luft  nicht  sein,  weil  sonst 
dem  Fleische  zu  viel  Feuchtigkeit  entzogen  und  sein  Gewicht  zu  sehr 
vermindert  wird. 

Die  Kühlung  der  Kühlraumluft  kann  mittelst  der  verschiedensten 
Einrichtungen  geschehen,  wenn  die  notwendige  Kälte  vorhanden  ist. 
Die  Trocknung  der  Luft  kann  sowohl  durch  entsprechende  Ab- 
kühlung, als  auch,  und  zwar  noch  intensiver  durch  Absaugung  mittels 
konzentrierter  Salzlösungen  erfolgen.  Da  kalte  Luft  weniger  Feuchtig- 
keit in  sich  aufnehmen  kann,  als  wärmere  Luft,  so  ist  die  kältere  Luft 
bei  ihrer  Erwärmung  an  dem  Fleische  in  dem  Kühlraume  imstande, 
einen  Teil  der  Feuchtigkeit  des  Fleisches  in  sich  aufzunehmen.  Die 
Eigenschaft,  welche  Chlornatrium  und  Chlorcalcium,  sowie  z.  T.  ihre 
konzentrierten  Lösungen  besitzen,  der  Luft  Feuchtigkeit  zu  entziehen, 
wird  benutzt,  um  die  kalte  Luft  für  den  Kühlraum  abzutrocknen,  in- 
dem diese  kalte  Luft  durch  einen  Hegen  dieser  kalten  Lösungen  durch- 
getrieben wird. 

Die  Kühleinrichtungen  lassen  sich  einteilen: 

1)  In  solche,  bei  denen  eine  schwer  gefrierende  Salzlösung  als 
Kälteträger  benutzt  wird,  wobei  also  die  Kältemaschine  zur  Herstellung 
dieser  kalten  Salzlösung  dient.  Bei  dieser  Einrichtung  besteht  der  Ver- 
dampfer (Refrigerator)  der  Kältemaschine  aus  einem  eisernen,  vor  Wärme 
gut  geschützten  Kasten,  in  welchem  eiserne  Röhrenschlangen  sich  befinden. 
In  letzteren  verdampft  die  Arbeitsflüssigkeit  (Ammoniak,  Kohlensäure  etc.). 
Der  Kasten  wird  mit  einer  Salzflüssigkeit  gefüllt,  welche  ihre  Wärme 
an  die  in  den  Röhren  verdampfende  Arbeitsflüssigkeit  abgiebt  und  so- 
mit selbst  erkaltet.  Es  kann  nun  a)  die  Kühlhausluft  mittelbar  mit 
dieser  abgekühlten  Salzlösung,  oder  b)  unmittelbar  mit  derselben  in  Be- 
rührung gebracht  werden. 

2)  In  solche,  bei  denen  keine  Salzlösung  verwendet,  sondern  die 
Luft  an  den  Röhrenschlangen  des  Verdampfers  (Refrigerators)  der 
Kältemaschine  gekühlt  wird. 

In  beiden  Fällen  muß  entweder  die  abgekühlte  Salzflüssigkeit  oder 
die  abgekühlte  Luft  zum  Kühlhause  getrieben  werden. 

ß)  Kühleinrichtungen  mittels  Röhren,  durch  welche 
kaltes  Salzwasser  strömt. 

Bei  dieser  Einrichtung  wird  eine  schwer  gefrierende  Salzlösung  als  Kälte- 
träger benutzt,  wobei  also  die  Kältemaschine  zur  Abkühlung  dieser  Salzlösung 
dient.    Dabei  besteht  der  Verdampfer  der  Kältemaschine  aus  einem  eisernen, 

46 


Markthallen  und  Viehhöfe.  47 

vor  Wärme  gut  geschützten  Kasten  mit  eisernen  Röhrenschlangen,  in 
welchen  die  Arbeitsflüssigkeit  (Ammoniak,  schweflige  Säure,  Kohlen- 
säure etc.)  verdampft.  Der  Kasten  wird  mit  einer  Salzflüssigkeit  gefüllt, 
welche  ihre  Wärme  an  die  in  den  Röhren  verdampfende  Arbeitsflüssig- 
keit abgiebt  und  somit  selbst  erkaltet.  Das  im  Verdampferkasten  abge- 
kühlte Salzwasser  wird  mittels  einer  Pumpe  durch  Röhren  getrieben, 
welche  entweder  in  dem  Fleischkühlraume  selbst  oder  in  einem  be- 
sonderen Luftkühlraume  sich  befinden,  und  gelangt  nach  Durchstreifung 
aller  Röhren  etwas  erwärmt  in  den  Verdampferkasten  zurück,  wo  es 
abermals  abgekühlt  wird,  um  seinen  Kreislauf  wiederum  zu  beginnen. 
Liegen  die  Röhren  in  einem  besonderen  Luftkühlraume,  so  muß  die  ab- 
gekühlte Luft  aus  dem  Luftkühlraume  durch  mechanische  Mittel  in  den 
Fleischkühlraum  übergeführt  werden;  während  dann,  wenn  die  Röhren 
im  Fleischkühlraume  selbst  liegen,  die  natürliche  Bewegung  der  Luft 
zur  gleichmäßigen  Erkaltung  des  Fleischkühlhauses  genügt. 

Die  Kühlung  mittels  Röhren  hat  den  Nachteil,  daß  eine  vollständig 
ausreichende  Trocknung  der  Luft,  welche  bei  den  Fleischkühlräumen  ver- 
langt werden  muß,  nicht  erzielt  werden  kann,  da  nur  ein  Teil  der  Luft 
mit  den  Röhren  in  unmittelbare  Berührung  kommt  und  ihre  Feuchtig- 
keit als  Reif  und  Schnee,  welcher  sich  an  den  Röhren  ansetzt,  abgiebt. 
Da  dieser  Reif  eine  Kruste  um  die  Röhren  bildet,  so  verhindert  derselbe 
zum  Teil  die  Uebertragung  der  Kälte  an  die  Luft,  sodaß  die  Röhren 
von  Zeit  zu  Zeit  abgetaut  werden  müssen.  Dadurch  aber  wird  der 
Luft  von  neuem  Feuchtigkeit  zugeführt.  Um  dies  zu  vermeiden,  dürfen 
die  Röhren  nicht  im  Kühlraume  selbst,  sondern  in  einem  oder  zwei  be- 
sonderen Luftkühlräumen  liegen,  welche  im  Ganzen  die  doppelte  Anzahl 
Röhren  besitzen,  die  abwechselnd  im  Kältebetriebe  befindlich  und  im  Ab- 
tauen begriffen  sind.  Eine  gründliche  Reinigung  der  Luft  ist  bei  der 
Röhrenkühlung  schwer  zu  erreichen,  da  nicht  sämtliche  Luftteile  mit 
den  Röhren  in  Verbindung  treten  und  eine  Waschung  der  Luft  nur  in 
sehr  geringem  Grade  stattfindet.  Die  Gesellschaft  für  Linde' s 
Eismaschinen  in  Wiesbaden  führte  früher  fast  ausschließlich 
Röhrenkühlung  mit  Salzwasser  aus  und  legte  zumeist  die  Röhren  in  die 
Fleischkühlräume  selbst.  Dabei  werden  die  Röhren  an  die  Decke  der 
Kühlräume  gehängt,  sodaß  die  abgekühlte  Luft  stets  nach  unten  fällt, 
während  die  erwärmte  Luft  nach  den  Röhren  in  die  Höhe  gedrängt 
wird. 


y)  Kühleinrichtungen  mit  unmittelbarer  Berührung  von 
Luft  und  Salzwasser. 

Bei  der  unmittelbaren  und  innigen  Berührung  von  Luft  mit  kaltem 
Salzwasser  ist  eine  Trocknung  und  gründliche  Reinigung  der  Luft  von 
Staub  und  Bakterien,  sowie  eine  der  Salzwassertemperatur  entsprechende 
Abkühlung  der  Luft  gesichert.  —  Professor  C.  Linde  (Gesell- 
schaft für  Linde's  Eismaschinen  in  Wiesbaden)  schlug 
zuerst  solche  Einrichtungen  vor  und  läßt  jetzt  zwei  Arten  derselben 
ausführen,  welche  sich  durch  vorzügliche  Wirkung  und  durch  geringen 
Aufwand  auszeichnen. 


47 


48  GEORG    OSTHOFF, 

3)  Kühle  inrichtungen   mit  Röhren,   welche  mit  der  ver- 
dampfenden flüchtigen  Flüssigkeit  (Ammoniak)  in  Be- 

rührun  g  stehen. 

Diese  Kühleinrichtung  wurde  zuerst  von  der  Gesellschaft  für 
Li nde's  Eismaschinen  in  Wiesbaden  ausgeführt,  welche  die 
Schlangen  des  Verdampfers  der  Kältemaschine  in  besonderen  Räumen 
anordnete  und  die  durchstreichende  abzukühlende  Luft  künstlich  bewegte. 

Neuerdings  hat  die  Maschinenbau -Aktiengesellschaft 
Humboldt  in  Kalk  bei  Köln  die  Verdampferröhrenkühlung  wieder 
aufgenommen  und  die  Abführung  des  abtauenden  Wassers  an  den 
Röhren  dadurch  bewirkt,  daß  4  getrennte  Röhrenkasten  angeordnet  sind, 
deren  Röhren  einerseits  von  der  zu  kühlenden  Luft,  andererseits  von  der 
verdampfenden  flüchtigen  Flüssigkeit  berührt  werden.  Hat  sich  eine  be- 
stimmte Menge  Feuchtigkeit  in  Eis-  und  Schneeform  niedergeschlagen, 
so  wird  der  betreffende  Kasten'  ausgeschaltet.  Dabei  taut  das  Eis  ab, 
und  es  wird  das  entstehende  Schmelzwasser  abgeleitet  13a. 

C.  Die  Kühlräume. 

Der  Raum,  in  welchem  das  Fleisch  zum  Auskühlen  aufgehängt  wird, 
und  in  welchem  durch  die  Kühleinrichtungen  entweder  die  Luft  abgekühlt, 
oder  in  welchem  abgekühlte  Luft  eingetrieben  wird,  hat  drei  Bedingungen 
zu  erfüllen:  1)  Muß  der  innere  Raum  so  eingerichtet  sein,  daß  das 
Fleisch  darin  und  zwar  in  der  Regel  in  verschlossenen  Zellen  bequem 
aufgehangen  werden  kann;  2)  müssen  diese  Zellen  und  der  innere 
Kühlhausraum  so  beschaffen  sein,  daß  die  kalte  Luft  den  ganzen  Raum 
durchstreichen  und  das  Fleisch  von  allen  Seiten  umspülen  kann;  und 
3)  müssen  die  Außenwände,  die  Fenster  und  die  Thüren  so  beschaffen 
sein,  daß  ein  Temperaturausgleich  zwischen  der  äußeren  und  der  inneren 
Luft  in  so  geringem  Maße  wie  nur  möglich  stattfinden  kann. 

Es  ist  deshalb  der  innere  Kühlraum  als  möglichst  freier  Raum  zu 
konstruieren  und  nur  durch  eiserne  Säulen,  nicht  aber  durch  Wände 
zu  unterbrechen. 

Dagegen  ist  es  für  die  Abkühlung  des  Fleisches,  sowie  für  die  Luft- 
bewegung nicht  schädlich  ,  wenn  man  etwa  0,5  m  vom  Boden  entfernt 
die  Zellenwände,  bis  zu  2,5  m  Höhe  vom  Boden,  aus  Beton,  Glas  oder 
Wellblech  herstellt,  dagegen  die  Vorderwand  mit  der  Thüre  (am  besten 
Schiebethüre)  aus  vertikalen  eisernen  Stäben  fertigt.  In  der  Regel 
werden  jedoch  diese  Zellen  ganz  aus  eisernen  Stäben  ausgeführt,  welche 
man  des  besseren  Reinigens  wegen  dem  Drahtgitterwerke  vorzieht.  Ein- 
fache Fleischhaken  bilden  die  einzigste  Ausstattung  der  Zellen,  welche 
nicht  unter  1,3  m  Breite  angelegt  werden  sollten.  Die  Tiefe  der  Zellen 
ist  bei  dieser  Breite  von  1,3  m  nicht  über  2,0  m  zu  machen.  Für  die 
Gänge  genügt  eine  Breite  von  1,5  m,  besser  von  1,8  m.  Die  Zellenthüren 
müssen  eine  Lichtweite  von  0,7  m  erhalten.  Die  Zellen  selbst  sind  mindestens 
2,5  m  hoch  zu  machen.  Die  Lichthöhe  des  Kühlhauses  muß  dementsprechend 
3,5  m  betragen,  um  die  Luftröhren  noch  über  den  Zellen  anbringen  zu 
können. 

Da  der  Wärmeverlust  durch  die  Mauern,  Thüren  und  Fenster  des 
Kühlhauses  bedeutend  sein  kann,  so  ist  für  starke  und  mehrfach  isolierte 


Markthallen  und  Viehhöfe.  49 

Mauern,  2-  und  3-fache  Fenster,  2-  und  3-fache  Thüren,  Windfänge  etc. 
Sorge  zu  tragen.  Ferner  ist  in  Betracht  zu  ziehen,  daß  der  Fußboden 
und  die  Decke  des  Kühlraumes  stark  isoliert  sind. 

Die  Größe  des  Kühlhauses  ist  folgendermaßen  zu  berechnen : 
An  Fleisch  wird  höchstens  im  Jahre  von  jedem  Einwohner  70  kg  ver- 
braucht.     Bei    52    Wochen   im    Jahre    und   bei    2  Schlachttagen    in    der 

70 
Woche  ergiebt  sich  für  jeden  Einwohner  und  Schlachttag  =    rund 

0,7  kg  Fleisch.  Das  Kühlhaus  ist  so  groß  zu  machen,  daß  in  demselben  das 
1,5-fache  eines  Schlachttages  darin  hängen  kann,  also  1,5  .  0,7  =  rund 
1,0  kg  Fleisch  für  jeden  Einwohner.  Da  nun  auf  jedem  Quadratmeter  der 
ganzen   inneren  Kühlhausfläche  120  kg  Fleisch  hängen  kann,    so    kommt 

auf  jeden  Einwohner  der  Stadt    — ~  =  0,0083  qm  Kühlhaus-Grundfläche 

oder  es  reicht  1   qm  Kühlhausfläche  für  120  Einwohner  aus. 


7.  Die  Stallungen. 

Die  Stallungen,  welche  für  Großvieh,  Kleinvieh,  Schweine,  Metzger- 
pferde, zu  schlachtende  Pferde,  krankes  Vieh  nötig  sind,  werden  wie  die 
besseren  landwirtschaftlichen  Ställe  erbaut,  und  die  des  Großviehes 
manchmal  mit  Futtergängen  versehen.  Für  ungarische  Schweine  ist 
ein  für  sich  abgeschlossener  Stall  zu  erbauen. 

Man  rechnet  als  Standraum  ohne  Gang,    aber   einschließlich  Krippe: 

Pferde         für   1   Stück   3,0  m  Länge  und  1,0  bis  1,5  m  Breite; 

Grofsvieh    ,,    ,,       ,,       2,8    „       „  „      1,0  m  Breite; 

Breite  des   Ganges  zwischen   2  Pferden  =  2,5  bis  3,0  m  Breite ; 
„         „  „  „  ,,  Rindern  =  2,0    „     2,5  „        „ 

,,       der  Futterganges  an  der  Wand  =   1,2  m,  zwischen  2  Häupten  =  0,8  m ; 

Kälber    für  1   Stück     =  0,8  qm  ; 

Schafe       ,,    „       „        =  0,6     „ 

Schweine  ,,    ,,        ,,       =1,0     ,,    bei  Sandbuchten  =  2,0  qm  ; 

Breite  des  Ganges  beim  Kleinvieh  =  1,5  bis  2,0  m  ; 
,,         ,,  „       bei  Schweinen     =  1,2  m. 

Bei  Schweineställen  ist  es  zweckmäßig,  die  Thüren  derartig  einzu- 
richten, daß  sie  nach  beiden  Richtungen  hin  auch  den  Gang  absperren 
können.  Die  Thüren  der  Schweinebuchten  macht  man  am  besten  aus 
Eisenstäben,  die  Wände  aus  Beton  oder  Mauerwerk,  und  den  Fußboden 
aus  Beton. 


8.  Die  Düngerstätten  *  4. 

Die  Bedingungen  ,  welchen  eine  Düngerstätte  zu  entsprechen  hat, 
sind  folgende:  a)  Der  Dünger  muß  in  den  Raum,  in  welchem  derselbe 
abgelagert  wird,  bequem  hineingebracht  und  ebenso  bequem  aus  dem- 
selben herausgeschafft  werden  können,  b)  Während  dieser  Arbeiten 
sowohl,  als  auch  während  der  Ablagerung  darf  der  Dünger  wenig  Geruch 
in  der  Umgebung  verbreiten,  c)  Das  Düngerbeseitigungsverfahren  muß 
sehr  geringe  Aufsicht  erfordern  und  stets  ohne  besondere  Maßregeln 
durchführbar  sein. 

Handbuch  der  Hygiene.   Bd.  VI.  4 

49 


50  GEORG    OSTHOFF, 

Die  bis  jetzt  gebräuchlichen  Düngerstätten  kann  man  einteilen: 
a)  in  solche,  welche  einen  feststehenden  Behälter  besitzen,  in 
welchen  der  Dünger  zunächst  geschüttet  wird,  um  ihn  dann  gelegentlich 
auf- Wagen  zu  laden  und  abzufahren,  und  b)  in  solche,  welche  einen 
beweglichen  Behälter  besitzen,  in  den  der  Dünger  geworfen  wird,  und 
der  zugleich  den  Abfuhrwagen  für  denselben  bildet. 

Es  liegt  nun  auf  der  Hand,  daß  dieser  bewegliche  Behälter,  wenn 
er  so  eingerichtet  ist,  daß  er  die  flüssige  Jauche  nicht  durchläßt  und 
nur  wenig  Geruch  herausdringen  läßt,  an  und  für  sich  der  vollkom- 
menste Düngerbehälter  wäre,  der  nur  erfunden  werden  könnte,  wenn 
die  Düngerstätte,  zu  welcher  dieser  bewegliche  Behälter  gehört,  in  eben 
solchem  Maße  die  übrigen  Bedingungen  zu  erfüllen  imstande  wäre,  und 
wenn  keine  sonstigen  Uebelstände  mit  diesem  Düngerbeseitigungsver- 
fahren verbunden  wären. 

Die  Düngerstätten  mit  feststehendem  Behälter  lassen  sich  einteilen 
in  offene  Düngergruben  und  in  Düngerhäuser,  und  die  beweglichen  Be- 
hälter sind  entweder  Straßen-  oder  Eisenbahn- Abfuhrwagen. 

a)  Eine  offene  Düngergrube  besteht  aus  einem  oben  offenen, 
wasserdichten  Behälter,  in  welchen  der  Dünger  aus  den  Kaidaunen 
und  den  Stallungen  geschüttet  wird.  Mehrmals  in  der  Woche  oder 
täglich  wird  der  Dünger  dann  auf  Wagen  geladen  und  abgefahren. 
Es  entwickeln  sich  nicht  allein  beim  Einschütten  in  die  Grube  die  un- 
angenehmsten Dünste  und  verbreiten  sich  nach  allen  Seiten,  sondern  es 
wird  der  Dünger  auch,  da  derselbe  dort  allen  Winden,  der  Sonne  und 
dem  Regen  ausgesetzt  ist,  solange  er  dort  liegt,  sich  zersetzen  und 
fortwährend  üble  Gerüche  von  sich  geben,  bis  er  beim  Aufladen  in  die 
Abfuhrwagen  aufgerüttelt  wird  und  in  vermehrtem  Maße  riecht.  Eine 
offene  Düngergrube  ist  zwar  die  einfachste ,  aber  auch  unzulänglichste 
und  unzweckmäßigste  Düngerstätte ;  sie  ist  daher  zu  verwerfen. 

b)  Die  Düngerhäuser  werden  vom  Verfasser  dieses  am  zweck- 
mäßigsten folgendermaßen  ausgeführt: 

Eine  vertiefte  Düngergrube  von  1,2  m  Tiefe  und  3  m  Breite  liegt 
mitten  in  einem  reichlich  mit  Lüftungsschloten  versehenen  Hause.  Die 
eine  Schmalseite  dieser  Düngergrube  ist  mit  Aborten  versehen;  die  eine 
Langseite  dient  zum  Einwerfen  des  Düngers,  die  andere  zur  Entnahme 
desselben  aus  der  Grube  und  zum  Aufladen  auf  Fuhrwerke.  Zu  diesem 
Zwecke  können  letztere  mittels  2  großer,  einander  gegenüberliegender 
Thore  in  den  Wänden  des  Düngerhauses  durch  dasselbe  fahren.  Bei 
dieser  Anlage  stehen  sowohl  die  Dünger-  und  Kaidaunenkarren,  als  auch 
die    Abfuhrwagen    unter  Dach. 

Eine  andere  Art  der  Anlage,  welche  auch  schon  mehrfach  vom 
Verfasser  ausgeführt  ist,  dürfte  aus  folgender  Beschreibung  hervorgehen  : 

Die  Düngergrube  füllt  die  ganze  Grundfläche  des  schmalen,  2,5  bis 
3,0  m  breiten  Hauses  aus,  und  es  ist  das  Dach  ebenfalls  mit  vielen 
Dunstabzügen  versehen.  Zum  Einschütten  des  Düngers  sind  an  der  einen 
Langseite  des  Hauses  mehrere  abgeschrägte  und  mit  eisernen  Klappen 
versehene  Einwurfsöffnungen  von  1,0  m  Weite  vorhanden,  während  an 
der  anderen  Langseite  mehrere  große,  durch  Schiebethore  verschließbare 
Austragöffnungen    angebracht    sind.      Vor    letztere  fahren    die  Wagen  in 


Markthallen  und  Viehhöfe.  51 

einer  vertieften  Rampe  vor,  um  beladen  zu  werden.  Bei  dieser  Anordnung 
stehen  sowohl  die  Kaidaunenkarren,  als  auch  die  Abfuhrwagen  im  Freien, 
sodaß  hier  mehr  Geruch  sich  in  die  Umgebung  verbreiten  kann,  als  bei 
der  vorigen  Anordnung. 

c)  Die  Entfernung  des  Düngers  mittels  Straßenabfuhr  wagen, 
wozu  in  der  Regel  besondere  für  diesen  Zweck  hergestellte,  eiserne, 
vollständig  verschlossene,  hinten  zu  öffnende,  oben  mit  einer  verschließ- 
baren Einwurföffnung  versehene  Wagen  benutzt  werden ,  geschieht 
folgendermaßen : 

Neben  der  Kaidaunenwäsche  befindet  sich  eine  zum  Teile  seitlich 
offene,  überdachte  Plattform,  in  deren  Fußboden  eine  oder  mehrere  trichter- 
förmige Oeffhungen  sich  befinden.  Unter  jeder  derselben  wird  ein  Ab- 
fuhrwagen derart  gestellt,  daß  die  obere  Oeffhung  des  Wagens  unter  dem 
Trichter  steht.  In  diese  Fußbodenöffnungen  der  Plattform  wird  der 
Dünger  geschüttet  und  fällt  so  in  den  Wagen  hinunter.  Der  Wagen 
wird  mittels  einer  Rampe  unter  diese  Plattform  gebracht.  Sobald  der- 
selbe gefüllt  ist,  wird  er  abgefahren  und  durch   einen  anderen  ersetzt. 

Diese  Art  der  Düngerabfuhr  empfiehlt  sich  nur  dann,  wenn  in  der 
Nähe  der  Stadt  große  Grundstückbesitzer  vorhanden  sind,  welche  zu 
jeder  Zeit  den  Dünger  bezw.  diese  Abfuhrwagen  abholen.  Ist  dies  nicht 
der  Fall,  so  muß  der  Schlachthof  diese  Wagen  selbst  abfahren  und  auf 
einem    außerhalb    des   Schlachthofs    belegenen   Düngerplatz    entleeren. 

d)  Die  Entfernung  des  Düngers  mittels  Eisenbahnwagen  kann 
auf  dieselbe  WTeise,  wie  eben  beschrieben,  geschehen,  wie  solche  vom 
Verfasser  dieses  in  Breslau  und  Düsseldorf  vorgesehen  ist,  oder  es  kann 
auch  eine  seitliche  Einladung  erfolgen,  wie  solches  auf  dem  vom  Verfasser 
entworfenen  Schlachthofe  in  Halle  a.  S.  ausgeführt  ist.  Diese  Abfuhrmethode 
setzt  die  Anschaffung  besonderer  Eisenbahn-Düngerwagen  und  das  Vor- 
handensein von  Düngerabnehmern  auf  den  Bahnhöfen  voraus. 


9.  Talgschmelze  und  Albuminfalbrik. 

Diese  beiden  Anlagen  sind  zuweilen  auf  einem  Schlachthofe  zu 
finden,  dann  aber  ausnahmslos  an  Unternehmer  verpachtet.  Meines 
Erachtens  gehören  dieselben  nicht  auf  dem  Schlachthof,  da  sie,  besonders 
die  Talgschmelze,  den  Schlachthof  verpesten  und  mit  der  sanitären  An- 
stalt des  Schlachthofes  nichts  zu  thun  haben. 


10.  Das  Verwaltungsgebäude. 

Dasselbe  enthält  in  der  Regel  unten  die  Räume  für  die  Verwaltung, 
und  zwar  auf  kleinen  Schlachthöfen  ein  Zimmer  für  den  Verwalter, 
einen  Raum  für  Trichinenschau,  und  wohl  auch  je  ein  Zimmer  für  die 
Metzgermeister  und  für  die  Gesellen;  auf  größeren  Schlachthöfen  je  ein 
Zimmer  für  den  Verwalter,  den  Assistenten,  die  Kasse  und  die 
Trichinenschau;  oben  die  Wohnräume  für  den  Verwalter  und  für  den 
einen  oder  anderen  Beamten.  Für  jeden  Beamten  sind  abgeschlossene 
Vorplätze  anzuordnen. 

4* 


52  GEORG   OSTHOFF, 

Eine  Gastwirtschaft  kann  auf  jedem   Schlachthofe,  mit   dem  ein 
Viehmarkt  nicht  verbunden  ist,  entbehrt  werden. 


11.  Die  Wasserversorgung,  Beleuchtung,  Kanalisation  und 
Abwässerkläranstalt. 

a)  Die  Wasserversorgung.  Für  Wasser  ist  auf  dem  Schlacht- 
hofe reichlich  zu  sorgen.  Es  genügen  im  ganzen  0,3  cbm  für  jede 
Schlachtung  des  stärksten  Schlachttages,  einschließlich  Straßenspülung. 
Am  besten  und  billigsten  ist  es,  auf  dem  Schlachthofe  Brunnen  anzu- 
legen ,  das  Wasser  mittels  Dampfpumpen  zu  heben  und  in  ein  oder 
mehrere  Hochbehälter  zu  drücken,  und  wo  es  geht,  als  Reserve,  den 
Schlachthof  an  die  städtische  Wasserleitung  anzuschließen.  Diese  Hoch- 
behälter müssen  etwa  für  2  bis  4  Stunden  Wasser  fassen  können,  je 
nach  der  Stärke  des  Wasserzuflusses  im  Brunnen.  Die  Größe  dieser 
Wasserbehälter  hat  im  umgekehrten  Verhältnisse  zum  Wasserzuflusse  im 
Brunnen  zu  stehen.  Ist  der  Wasserzufluß  so  gering,  daß  zwar  selbst  zu 
wasserarmen  Zeiten  wöchentlich  so  viel  Wasser  zufließt,  als  im  Durch- 
schnitt an  den  Schlachttagen  einer  Woche  Wasser  gebraucht  wird,  nicht 
aber  so  viel,  als  die  stärksten  Schlachttage  benötigen ,  so  ist  es  er- 
forderlich, einen  unterirdischen  Behälter  herzustellen,  welcher  mindestens 
so  viel  Wasser  faßt,  als  an  einem  stärksten  Schlachttage  gebraucht  wird. 

b)  Die  Beleuchtung  des  Schlachthofes  geschieht  in  der  Regel 
durch  Gas,  selten  durch  Petroleum,  häufig  durch  Elektrizität.  Da  das 
Kühlhaus,  der  geringeren  Wärmeabgabe  wegen  nur  mittels  elektrischer 
Glühlampen  erhellt  werden  kann ,  wendet  man  jetzt  vielfach  die  elek- 
trische Beleuchtung  für  den  ganzen  Schlachthof  an,  was  deswegen  mit 
nicht  höheren  Kosten,  als  die  Gasbeleuchtung,  geschehen  kann,  weil  im 
Sommer,  wenn  die  Dampfmaschine  für  die  Kälteerzeugung  des  Kühl- 
hauses stark  beansprucht  ist,  wenig  Kraft  für  die  Beleuchtung  erfor- 
derlich ist,  während  umgekehrt  im  Winter  viel  Licht  und  wenig  Kälte 
produziert  werden  braucht.  Es  wird  daher  eine  nur  sehr  gering  aus- 
fallende Verstärkung  der  Dampfmaschine  bei  Anwendung  von  elektrischem 
Lichte  benötigt. 

c)  Die  Kanalisation.  Die  sämtlichen  Gebäude  und  Straßen 
haben  in  ein  Kanalnetz  aus  glasierten  Thonröhren  zu  entwässern,  welches 
in  den  kleinen  Zweigleitungen  nicht  unter  15  cm  weit  sein  darf.  Das 
Gefälle  letzterer  hat  1 :  50  bis  1 :  80,  das  der  weiteren  Leitungen  1 :  100 
bis  1 :  300  zu  betragen.  Wasserverschlüsse  sind  rätlich ,  müssen  aber 
stets  nachsehbar  und  zu  reinigen  sein.  Schlammfänge  sind  in  den 
Schlachthallen  notwendig  und  mit  herausnehmbaren  Eimern  zu  versehen. 

d)  Die  Abwässerkläranstalt15.  Die  von  den  staatlichen 
Behörden  geforderte  Reinhaltung  der  Flüsse  macht  auf  den  Schlacht- 
höfen überall  eine  Klärung  und  Reinigung  der  Abwässer  erforderlich. 
Das  Kanalnetz  mündet  dann  in  eine  Abwässerkläranstalt,  läßt  aber  bei 
starkem  Regen  die  sehr  verdünnten  Abwässer  in  einen  Notauslaß  mit 
Umgehung  der  Kläranstalt  gelangen.  Die  Reinigung  der  Abwässer  kann 
nun  auf  mechanischem  oder  auf  mechanischem  und  chemischem  Wege 
geschehen ,  je  nach  der  Bedeutung  des  Wasserlaufes ,  in  den  die  ge- 
reinigten Abwässer  gelangen  und  je  nach  der  Menge  der  abzuführenden 
Abwässer. 

52 


Markthallen  und  Viehhöfe.  53 

Mit  der  Reinigung  der  Schlachthofabwässer  haben  sich  viele  Che- 
miker beschäftigt16.  Am  meisten  zur  Anwendung  gekommen  sind, 
neben  den  einfachen  Mitteln  der  mechanischen  Klärung,  diejenigen 
Mittel,  welche  eine  chemische  Reinigung  ermöglichen  und  welche  von 
Röckner-Rothe  (W.  Rothe  und  Co.  in  Güsten  i.  Anhalt),  von 
Mülle r-Nahnsen  (F.  A.  Robert  Müller  und  Co.  in  Schönebeck 
a.  d.  Elbe),  von  Hulwa  (Fr.  Hulwa  in  Breslau)  und  von  Friedrich 
und  G 1  a  ß  in  Leipzig  geliefert  werden.  Der  Verfasser  wendet  bei  fast 
allen  seinen  Schlachthöfen  das  Verfahren  von  Friedrich  und  Glaß 
an,  welches  einfach  und  billig  in  Anlage  und  Betrieb  ist  und  sich  überall 
gut  bewährt  hat 16. 

Sind  Rieselfelder  vorhanden,  so  kann  natürlich  jede  Reinigung 
oder  Klärung  der  Abwässer  des  Schlacht-   und  Viehhofes  unterbleiben. 


12.  Die  inneren  Einrichtungen. 

Die  Einrichtungen  der  Schlachthallen,  Kaidaunenwäschen  und  Kühl- 
häuser, und  zwar  die  festen  und  beweglichen  Winden,  Transportvor- 
richtungen, Hakenrahmen,  Laufkatzen,  Drehkrahne,  Brühkessel,  Kal- 
daunenwaschgefäße,  Spültröge,  Zellen  etc.,  sowie  die  Tische,  Schrägen, 
Karren,  Düngerabfuhrwagen  etc.  werden  in  vorzüglichster  Weise  von 
der  Maschinenbau-Aktiengesellschaft,  vormals  Beck  und 
Henkel  in  Kassel  geliefert,  denen  diese  Einrichtungen  z.T.  patentiert 
sind.  Alle  gut  eingerichteten  Schlachthöfe  Deutschlands  sind  von  obiger 
Firma  ausgestattet,  und  es  haben  erst  vorzüglich  funktionierende  Schlacht- 
höfe hergestellt  werden  können,  seitdem  diese  Firma  dem  Bedürfnisse 
entsprechende  Konstruktionen  der  inneren  Einrichtungen   erfunden  hat. 

Es  würde  hier  zu  weit  führen,  diese  inneren  Einrichtungen  näher  zu  be- 
schreiben, doch  sei  auf  einige  wichtigere  Teile  derselben  noch  hingewiesen : 

Die  beweglichen  Großvieh  winden  unterscheiden  sich  von 
den  festen  dadurch,  daß  die  Breitscheite  der  letzteren  an  den  Tauen  der 
Windeböcke  befestigt  sind,  an  einer  festen  Stelle  hängen,  und  daß  während 
der  Zeit  des  Schlachtens  und  Auskühlens  immer  nur  ein  Tier  die  Winde 
benutzen  kann,  während  die  bewegliche  Winde  aus  dem  Windebock,  der 
Laufkatze  und  dem  Seil  besteht,  dessen  Haken  ein  abnehmbares  Breit- 
scheit an  einer  beliebigen  Stelle  der  von  der  Winde  beherrschten  Fläche 
und  zwar  auf  die  dazu  bestimmten  Träger  ablegen  kann.  Diese  Winde 
ist  nur  während  der  Zeit  des  Schlachtens  eines  Tieres  besetzt,  nicht  aber 
während  der  Zeit  des  Auskühlens  dieses  Tieres.  In  großen  Schlacht- 
hallen  sind  bewegliche  Winden  zweckmäßiger,  in  kleinen  Schlacht- 
häusern dagegen  feste  Winden. 

In  mehreren  neuereren  größeren  Schlachthofanlagen,  so  u.  a.  in  Halle  a  S., 
Magdeburg,  Stettin,  sind  mit  den  dort  angewandten  beweglichen  Winden 
Transporteinrichtungen  verbunden,  um  das  Großvieh  unzerlegt  in  den 
Vorkühlraum  zu  befördern,  wie  solches  der  Verfasser  schon  1881  in 
seinem  Werke  „Ost  ho  ff,  Die  Schlachthöfe  und  Viehmärkte  der  Neu- 
zeit" und  zwar  auf  Seite  17  vorgeschlagen  hatte.  Die  Einrichtung  ist 
derart,  daß  im  Mittelgange  oder  an  der  einen  Seite  der  Schlachthalle 
ein  hängendes  Laufschienensystem  angeordnet  ist,  auf  welchem  Transport- 
wagen den  Verkehr  mit  dem  Vorkühlraume  auf  sichere  Art  vermitteln. 
Die  Ueberführung  der    auf  Rollen  laufenden  Breitscheite    auf  die  Trans- 

53 


54  GEORG   OSTHOFF, 

portwagen  erfolgt  durch  einen  einfachen,  zuverlässig  wirkenden  Maschanis- 
mus. Für  kleine  und  mittelgroße  Schlachthöfe  ist  diese  Transportvor- 
richtung jedoch  nicht  zweckmäßig,  da  dieselbe  ein  Vorkühlhaus  mit  einem 
verkleinerten  Großvieh-Schlachthaus,  sowie  eine  ganz  bestimmte  Stellung 
des  Vorkühlhauses  zum  Großvieh-Schlachthause  voraussetzt.  Die  Anlage 
eines  Vorkühlhauses  ist  aber  nur  bei  Vorhandensein  einer  großen  Kühl- 
halle zweckmäßig,  und  die  Verkleinerung  des  Großvieh-Schlachthauses  durch 
Anlage  eines  Vorkühlraumes  ist  nur  geboten,  wenn  dieses  Schlachthaus 
eine  große  Ausdehnung  erhalten  muß,  nicht  aber  bei  kleinen  Schlacht- 
hallen, wie  solche  in  Städten  bis  zu  etwa  70000  Einwohnern  vorkommen. 
Erst  große  Städte  erhalten  zweckmäßig  eine  solche  Stellung  der  Gebäude, 
daß  die  Anwendung  einer  Transportvorrichtung  für  das  Großvieh  von 
der  Schlachthalle  zum  Vorkühlraume  erwünscht  ist.  Endlich  sind  die 
Anlagekosten  des  Vorkühlraumes,  sowie  der  Transportvorrichtung  be- 
deutend. 

Brühkessel  mit  Lüftung.  Ein  sehr  wesentlicher  Uebelstand  in 
den  Schweineschlachthallen  ist  der,  namentlich  im  Winter  an  einzelnen  Tagen 
auftretende  Brühdampf,  der  sich  durch  die  ganze  Brühhalle  und  Schweine- 
schlachthalle  verbreitet,  und  der  nicht  allein  durch  seinen  üblen  Geruch 
einen  schädlichen  Einfluß  auf  das  Fleisch  ausübt,  sondern  auch  wegen  seiner 
undurchsichtigen  Dichte  das  Arbeiten  in  diesen  Räumen  sehr  erschwert 
und  ungesund  macht.  Die  mannigfachsten  Bemühungen  zur  Beseitigung 
dieses  Brühdampfes  haben  erst  in  neuester  Zeit  Erfolg  gehabt.  Auf  An- 
regung und  unter  Mitwirkung  des  Verfassers  dieses  ist  von  A.  Huber 
in  Köln  eine  sehr  gut  wirkende  Ventilationseinrichtung  konstruiert  worden, 
welche  in  dem  vom  Verfasser  dieses  erbauten  neuen  Schlachthofe  zu  Dessau 
zum  ersten  Male  ausgeführt  und  erprobt  wurde  (s.  S.  36).  Die  Konstruktion 
ist  folgende :  Zwischen  dem  Brühbottiche  und  der  Ummantelung  des- 
selben ist  ein  Luftraum  von  etwa  6  cm  Weite.  Durch  denselben  streicht 
erwärmte  und  relativ  trockene  Luft,  welche  den  sich  über  dem  Bottiche 
bildenden,  mit  Wasser  geschwängerten  warmen  Luftkegel  umschließt  und 
dadurch  die  Verbreitung  der  Dämpfe  in  dem  Brüh-  und  Schiachtraume 
verhindert.  Die  feuchten  Luftmengen  werden  durch  einen  Hub  er'  sehen 
Luftsauger  schnell  nach  außen  entfernt.  Die  Zuführung  der  frischen 
Außenluft  erfolgt  durch  einen  Luftturm,  die  Erwärmung  derselben  mittels 
Dampfheizbatterien,  welche  unter  dem  Brühkessel  angeordnet  sind. 


13.  Das  Gewicht  des  Viehes  und  der  Fleischverbrauch. 

Das  Gewicht  des  Schlachtviehes  ist  im  großen  Durchschnitte 
(s.  S.  26)  folgendes: 

des  Ochsen       500  kg  Lebendgewicht  bei  300  kg  Fleischgewicht 

der  Kuh  250    „  ,,  „    140    „  „ 

des  Kalbes  40    „  „  „      25     ,,  ,, 

„    Schafes         30    „  „  ».15    »  » 

„    Schweines  150    ,,  ,,  ,,    HO    „  ,, 

Der  Verbrauch  an  Fleisch  ist  in  Süddeutschland  größer  als 
in  Norddeutschland  und  beträgt  im  Süden  etwa  75  kg  und  im  Norden 
Deutschlands  etwa  50  kg  für  jeden  Einwohner  und  ein  Jahr. 

In  Berlin  betrug  derselbe  im  Jahre  1886  bei  1  250000  Einwohnern 
78  861  650  kg,  also  63  kg  p.  Einwohner  und  Jahr. 

54 


Markthallen  und  Viehhöfe.  55 


In  Nürnberg  war  der  Fleischverbrauch  folgender: 

1888  =  79,7  kg  pro  Einwohner  und  Jahr 

1890  =  66,1  „  „      „      „    „ 

1891=63,6  „  „      „      „    „ 

1892  =  60,2  ,,  „ 


14.  Die  Gelbüliren. 

Die  Gebühren,  welche  von  den  Metzgern  auf  dem  Schlachthofe  er- 
hoben werden,  sind  Schlacht-,  Wiege-,  Untersuchungs-  und  Stallgebühren. 

a)  Die  Schlachtgebühren.  Wird,  wie  schon  S.  26  ange- 
nommen ist,  festgesetzt,  daß  auf  1  kg  Lebendgewicht  des  Viehes  an 
Schlachtgebühren  1  Pfennig  entfällt,  so  betragen  die  Gebühren: 

beim  Ochsen  5,00  M. 

,,      Pferde  5,00     ,, 

bei  der  Kuh  2,5  0  ,, 

beim  Kalb  0,40  ,, 

„     Schaf  0,30  ,, 

,,     Schwein  1,50  ,, 

Diese  Gebühren  stimmen  im  großen  und  ganzen  mit  den  üblichen 
Gebühren  überein. 

b)  Wiegegebühren.  Als  normale  Wiegegebühren  sind  x  / 1 0  Pfennig 
p.  kg.  des  Lebendgewichtes  des  Tieres  anzusehen  und  zwar : 

für  einen  Ochsen  0,50  M. 
,,  eine  Kuh  0,25  „ 
,,    ein       Kalb       0,04    „1       ,       „         ,, 

a    u    e       Ä  i     0(Jer   0,05    M. 

,,      „        Schaf      0,03    „j  ' 

„      „        Schweino,l5    ,, 

c)  Untersuchungsgebühren.  Für  die  geschlachteten  Schweine 
und  für  alles  von  auswärts  eingeführte  Fleisch  ist  eine  Untersuchungs- 
gebühr zu  entrichten,  welche  beträgt: 

für  einen  Ochsen,  eine  Kuh  oder  ein  Pferd 1,00    M. 

„     ein  Schwein  (Trichinenschau) 1,00     ,, 

,,  ,,           ,,       von  auswärts  eingeführt,    Untersuchung  mit  Trichinenschau       1,50    ,, 

„       ,,    Stück  Kleinvieh 0,50   „ 

„  die  Hälfte  oder  ein  Viertel  eines  Stückes  Vieh  die  Hälfte  obiger  Gebühren 

d)  St  all  gebühren.  In  der  Regel  ist  das  Einstallen  der  Tiere 
den  ersten  Tag  frei,  dann  wird  für  jede  Nacht  mit  Tag  eine  Gebühr  er- 
hoben. Länger  als  5  Tage  darf  kein  Tier  eingestallt  bleiben.  Diese 
Gebühr  ist : 

beim  Ochsen,  Kuh  oder  Pferde  etwa  0,25  M.  für  jeden  Tag  und  Nacht . 
,,      Schaf  und  Kalbe  0,05     „     „       „  „        „  „ 

„      Schwein  0,10    ,,     „       „         „       ,,         „ 


15.  Die  Anlagekosten. 

Die  Anlagekosten  der  Schlachthöfe  sind  sehr  verschieden,  je  nach 
der  Kostspieligkeit  der  Materialien,  welche  verwandt  wurden,  oder  nach 
der  Tiefe  der  benötigten  Fundamente  oder  der  Größe  der  Anlage. 

Wenn  nach  den  früher  angeführten  normalen  Schlachtungen  (Groß- 

55 


56  GEORG    OSTHOFF, 

vieh  0,12,  Kleinvieh  0,35 ,  Schweine  0,18  für  jeden  Einwohner  und  ein 
Jahr)  der  Schlachthof  bei  1,5  m  tiefen  Fundamenten  einfach,  aber  solide 
ausgeführt  wird  und  die  Preise  der  Baumaterialien  mittlere  sind ,  so 
kostet  der  Schlachthof  ohne  Kühlanlage  etwa  6  bis  8  M.  und  9  bis 
12  M.  mit  Kühlanlage  für  jeden  Einwohner  der  Stadt,  je  nach  der 
Größe  der  Stadt.    Es  kostet  der  Schlachthof: 


Kosten  des  Schlachthofes 

Einwohner  der  Stadt : 

ohne                     mit 
Kühlanlege 

für  jeden  Einwohner 

5  ooo  bis     6  ooo 

8,00  M. 

12,00  M. 

6  ooo    ,,      8  ooo 

7,00    „ 

10,00    „ 

8  ooo    ,.    15000 

6,00    „ 

9,oo    „ 

15000    „    20000 

7,00    „ 

10,00    „ 

über  20  OOO 

8,00    „ 

11,00    „ 

Ueber  die  Rentabilität  ist  schon  auf  Seite  27  das  Benötigte  er- 
wähnt. Hinzuzufügen  ist  hier  noch,  daß  bei  kleinen  Anlagen  für 
Städte  bis  10000  Einwohner  die  Kühlanlagen  so  viel  kosten,  daß  die 
Zellen  pro  Quadratmeter  und  Jahr  zu  80  Mark  vermietet  werden 
müssen ,  während  diese  Miete  bei  Schlachthöfen  größerer  Städte  über 
10  000  Einwohner  auf  65  M.  festgestellt  werden  kann,  wenn  die  Un- 
kosten der  Kühlanlage  samt  Amortisation,  Unterhaltung,  Verzinsung 
etc.  vollständig  durch  die  aufgebrachte  Miete  gedeckt  werden  sollen. 


B.     Die  Schlachtviehmärkte17. 
1.  Allgemeines. 

Die  Märkte  für  Schlachtvieh  sind  Anlagen,  in  welchen  diejenigen 
Tiergattungen,  deren  Fleisch  dem  Menschen  zum  Genüsse  dient,  zum 
Verkaufe  untergebracht  und  ausgestellt  werden.  Sie  sind  also  Hilfs- 
anlagen für  die  öffentlichen  Schlachthöfe  und  ermöglichen  den  Metzgern 
an  einzelnen  Tagen  der  Woche  das  von  ihnen  benötigte  Schlachtvieh 
aufzukaufen.  Ein  solcher  Schlachtviehmarkt  besteht  in  der  Eegel  aus 
Verkaufshallen,  Stallungen,  einem  Gasthofe,  Börse  etc.,  also  aus  Ge- 
bäuden und  Anlagen  zum  Verkaufe  und  zum  Einstallen  des  Viehes, 
zur  Abwickelung  der  Geschäfte,  zum  Uebernachten  und  zum  Erfrischen 
der  Händler  und  Käufer,  für  die  Verwaltung  etc. 

Je  nach  der  Größe  der  Stadt  und  der  Größe  des  Betriebes  auf 
dem  Viemarkte  müssen  entweder  sämtliche  Gebäude  ausgeführt  werden, 
oder  man  kann  sich  mit  wenigen  Anlagen  begnügen. 

Immer  aber  wird  der  Schlachtviehmarkt  in  unmittelbare  Verbindung 
mit  dem  Schlachthofe  gebracht  werden  müssen,  und  es  ist  als  ein 
Fehler  zu  betrachten,  wenn  Viehmarkt  und  Schlachthof  getrennt  sind. 
Die  Ansicht,  daß  der  Viehmarkt  deshalb  vom  Schlachthof  getrennt 
werden  müsse ,  um  ersteren  beim  Ausbrechen  einer  Seuche  absperren 
zu  können ,  ist  eine  irrige.  Auf  den  Schlachthof  gelangt  nur  Vieh, 
welches  sofort  oder  in  der  allernächsten  Zeit  getötet  werden  soll, 
auf  den   Viehmarkt  solches,    welches    entweder    auf  den    anliegenden 

56 


Markthallen  und  Viehhöfe.  57 

Schlachthof  gebracht  wird,  oder  welches  auf  einem  anderen  Viehmarkt 
abermals  zum  Verkaufe  ausgestellt  werden  soll.  Ist  alles  Vieh  gesund, 
so  bleibt  der  Viehmarkt  für  das  weiter  zu  versendende  Vieh  offen. 
Ist  ein  Teil  des  Viehes  mit  einer  Seuche  behaftet,  so  kann  zwar  jedes 
Stück  Vieh  auf  diesen  Viehmarkt  gelangen,  aber  nichts  wieder  versandt 
werden ,  einerlei  ob  gesund  oder  krank.  Alles  Vieh  gelangt  dann  in 
den  Schlachthof,  das  gesunde  in  die  Schlachthallen,  dasjenige  kranke, 
dessen  Fleisch  dem  Menschen  nicht  mehr  zum  Genüsse  dienen  kann, 
in  das  Schlachthaus  für  krankes  Vieh  und  wird  nach  dem  Schlachten 
vernichtet.  Wo  ist  nun  ein  Grund  aufzufinden,  den  Viehmarkt  vom 
Schlachthofe  zu  trennen?  Der  Schlachthof,  auf  dem  alles  in  ihn  ge- 
langende Vieh  geschlachtet  wird,  kann  doch  eine  Seuche  nicht  weiter 
verbreiten.  Orth  sagt18:  „Als  im  Kriege  1870/71  große  Transporte 
von  Rindvieh  im  Felde  wegen  Rinderpest  getötet  und  vergraben 
werden  mußten,  blieb  nichts  anderes  übrig,  als  den  Berliner  Markt  für 
den  Ausgang  von  Großvieh  zu  schließen.  Kein  Stück  Rindvieh  verließ 
lebend  die  Schlachtvieh-Marktanlage  (die  alte  Schlachthof-  und  Viehmarkt- 
anlage auf  dem  Galgenberge) ;  es  trat  eine  ausreichende  Desinfektion 
der  Wagen  ein,  und  die  Seuche  hörte  auf.  Hat  man  nicht  die  Märkte 
mit  in  der  Hand ,  so  werden  derartige  Krankheiten  viel  gefährlicher, 
und  bei  Städten  von  einiger  Bedeutung  ist  die  Verbindung  des  Vieh- 
marktes mit  dem  Schlachthause  daher  ein  wesentliches  Erfordernis." 

Ein  Viehmarkt  wird  sich  in  der  Regel  in  allen  den  Städten  als 
zweckmäßig  erweisen,  welche  ihr  Schlachtvieh  entweder  mit  der  Eisen- 
bahn zugeführt  oder  von  weit  her  zugetrieben  erhalten,  wird  aber  in 
solchen  Orten  weniger  am  Platze  sein,  in  denen  die  ansässigen  Schlächter 
gewohnt  sind,  das  Schlachtvieh  in  den  ländlichen  Bezirken  aufzusuchen 
und  aufzukaufen,  und  in  welche  Städte  das  Viehzucht  treibende  Hinter- 
land kein  Schlachtvieh  entsendet.  Es  wird  also  die  Benutzung  eines 
Viehmarktes  nicht  unmittelbar  vom  Bedarfe  der  Stadt  an  Schlachtvieh 
abhängen,  sondern  wesentlich  von  anderen  Faktoren,  und  dies  ist  der 
Grund,  weshalb  nur  unsere  großen  Städte,  bei  denen  alle  Bedingungen 
zur  starken  Benutzung  eines  Viehmarktes  erfüllt  sind,  solche  Anlagen 
aufweisen,  wie  Berlin,  München,  Dresden,  Leipzig,  Hannover,  Elberfeld, 
Barmen,  Frankfurt  a.  M.,  Halle  a.  S.,  Magdeburg,  Breslau,  Düsseldorf, 
Essen  a.  d.  Ruhr,  Dortmund,  Köln  a.Rh.,  Bremen,  Stuttgart,  Karlsruhe  in 
Baden,  Freiburg  im  Breisgau,  Straßburg,  Metz  etc.  Es  gilt  beim  Ent- 
werfen eines  Viehmarktes  als  erste  Regel,  sich  von  der  Art  und  Größe 
des  Zutriebes,  von  der  Entfernung  des  das  Schlachtvieh  aufziehenden 
Gebietes  etc.  Rechenschaft  zu  geben,  und  man  wird  in  allen  den  Städten, 
in  denen  sich  noch  kein  Schlachtviehmarkt  eingebürgert  hat,  und  in 
allen  den  Fällen,  in  denen  es  zweifelhaft  ist,  ob  sich  ein  genügender 
Markt  entwickeln  wird,  lieber  durch  geringfügige  Bauten  auf  dem 
Schlachthofe  oder  durch  Freilassen  eines  großen  Platzes  neben  dem- 
selben und  durch  Mitbenutzen  der  Stallungen  auf  demselben  den  Vieh- 
markt aus  kleinen  Anfängen  sich  emporarbeiten  lassen  und  allmählich, 
je  nach  Bedarf,  die  erforderlichen  Gebäude  für  denselben  aufführen. 

Die  Viehmarktanlage,  wenn  sie  vollkommen  ausgebildet  werden 
soll,  beansprucht  eine  erhebliche  Menge  von  Gebäuden  und  ein  großes 
Grundstück.  Es  gehört  schon  ein  mindestens  zweimal  wöchentlich  ab- 
zuhaltender Viehmarkt  dazu,  um  bei  normalen  Gebühren  alle  Anlagen 
rentabel  zu  machen,  sodaß  wohl  kaum  in  Städten  unter  80000  Ein- 
wohnern ein  vollkommen  ausgebildeter  Viehmarkt  anzutreffen  ist.     Die 

57 


58  GEORG    OSTHOFF, 

kleineren  Städte  kommen  dem  Wunsche  nach  Unterbringung  des  Viehes 
durch  Vermehrung  der  Stallungen  auf  dem  Schlachthofe  entgegen,  falls 
nicht  ein  großer  gepflasterter  Hof  zur  Aufstellung  des  Viehes  und  das 
Unterbringen  in  Privatstallungen  dem  Bedürfnisse  Genüge  leisten 
sollten. 

Je  größer  die  Stadt  ist,  desto  eher  wird  die  Trennung  der  Ver- 
waltung sich  als  praktisch  und  die  gegenseitige  gemeinschaftliche  Be- 
nutzung der  Räume  für  den  Betrieb  des  Schlachthofes  und  des  Vieh- 
marktes sich  als  unpraktisch  herausstellen.  Je  geringer  aber  der  Zu- 
trieb des  Schlachtviehs  in  kleineren  Städten  ist,  desto  größer  ist  das 
Bedürfnis  nach  Uebersichtlichkeit  und  nach  dem  Ineinandergreifen  beider 
Anlagen,  vom  Standpunkte  der  Bequemlichkeit  und  der  Oekonomie  aus 
betrachtet. 

Nichtsdestoweniger  liegt  es  im  öffentlichen  Interesse,  im  Inter- 
esse der  Stadt  und  jedes  einzelnen  Einwohners,  daß  die  Zuführung  der 
erforderlichen  Anzahl,  ja  einer  größeren  Anzahl  von  Schlachtvieh  und 
die  bequeme  Unterbringung  desselben  ermöglicht  wird,  weil  dadurch 
die  Preise  gedrückt  werden  oder  wenigstens  eine  gleichmäßige  und  na- 
türliche Regelung  erfahren. 

Man  wird  daher  beim  Entwerfen  eines  Viehmarktes  ganz  besonders 
den  Bedarf  an  Schlachtvieh,  die  Zutriebsverhältnisse  und  die  Räume  auf 
dem  bestehenden  Schlachthofe  berücksichtigen,  bezw.  beim  Entwerfen 
beider  Anlagen  untersuchen,  ob  und  in  welcher  Ausdehnung  gemein- 
schaftliche Räume  zu  schaffen  sind,  dann  aber  in  weit  größerem  Maße 
für  das  Unterbringen  und  das  Aufstellen  des  Schlachtviehes  an  Markt- 
tagen Sorge  tragen,  als  sich  aus  dem  Bedarf  an  Schlachtvieh  für  die 
Stadt  ergiebt. 

Die  enge  Verbindung  des  Viehmarktes  mit  dem  Schlachthofe  läßt 
die  Notwendigkeit  ersehen ,  die  Verwaltung  beider  Anlagen  in  eine 
Hand  zu  geben  oder  doch  in  eine  Spitze  zusammenlaufen  zu  lassen,  da 
sonst  Störungen  mancher  Art  unvermeidlich  sein  werden.  Wer  den 
Schlachthof  erbaut  hat  und  betreibt,  wird  denn  auch  in  der  Regel  den 
Viehmarkt  schaffen  und  betreiben. 

Die  Wahl  des  Platzes  für  eine  Viehmarktanlage  ist  im  großen  und 
ganzen  von  denselben  Gesichtspunkten  aus  zu  treffen,  wie  die  für  eine 
Schlachthofanlage,  und  es  können  folgende  Bedingungen  als  maßgebend 
aufgestellt  werden  * 9  : 

a)  Das  Grundstück  muß  eine  trockene  und  luftige  Lage  haben. 

b)  Dasselbe  muß  außerhalb  der  Stadt  liegen. 

c)  Dasselbe  muß  die  Möglichkeit  zur  Anlage  einer  genügenden 
Wasserversorgung  und  Entwässerung  bieten. 

d)  Dasselbe  muß  in  unmittelbare  Schienenverbindung  mit  einem 
Bahnhofe  gebracht  werden  können. 

e)  Das  Grundstück  muß  unmittelbar  mit  dem  Schlachthofe  in  Ver- 
bindung stehen. 

f)  Dasselbe  muß  bequeme  Zuwegungen  besitzen. 

g)  Das  Grundstück  muß  so  viel  Raum  bieten,  daß  eine  Vergrößerung 
und  Vermehrung  der  Gebäude  und  Höfe  in  genügender  Weise  möglich 
sind,  damit  den  Bedürfnissen  der  Stadt  für  die  nächsten  50  Jahre  und 
mehr  genügt  werden  kann. 

Es  liegt  nicht  nur  im  Interesse  der  schnellen  und  billigen  Zufuhr 
des  Viehes,  daß  ein  guter  Eisen bahnanschluß  an  den  Viehmarkt 
geschaffen  wird,   sondern   er   ist  bei  Viehseuchen   ein    dringendes  Be- 

58 


Markthalleu  und   Viehhöfe.  59 

dürfnis,  da  der  Zutrieb  des  Viehes  auf  Landstraßen  verboten  werden 
kann,  wie  auch  häufig  ganze  Vieh  aufziehende  Distrikte  für  die  Vieh- 
ausfuhr gesperrt  sind.  Da  ist  denn  der  Eisenbahnanschluß  des  Vieh- 
marktes  eine  Notwendigkeit,  um  aus  den  seuchenfreien  Bezirken  das 
Vieh  in  geschlossenen  Wagen  zum  Viehmarkte  schaffen  zu  können. 
Denn  sonst  könnte  eine  bedeutende  Fleischverteuerung  oder  gar  ein 
Fleischmangel  leicht  die  Folge  sein. 

Zu  einem  vollkommen  ausgebildeten  Viehmarkte  ge- 
hören folgende  Gebäude  und  Anlagen: 

1)  Räume  zur  Aufstellung  von  Vieh,  und  zwar  von  Großvieh,  von 
Kälbern,  von  Schafen  und  von  Schweinen ;  letztere  getrennt  nach  un- 
garischen und  deutschen  Schweinen; 

2)  Stallungen  für  Großvieh; 

3)  Stallungen  für  krankes  und  verdächtiges  Vieh ; 

4)  eine  Börse  zur  Abwickelung  der  Geschäfte   mit  Gastwirtschaft; 

5)  ein  Gasthof; 

6)  Verwaltungsgebäude ; 

7)  ein  Wasserturm  mit  Wasserbehältern ,  Maschinen  und  Kessel- 
haus; 

8)  Düngergruben ; 

9)  Verladerampen  mit  Buchten ; 

10)  Geleisanlagen  zum  Aufstellen  und  Desinfizireen  von  Wagen. 
In  kleineren  Städten  wird  man  die  Viehmarktanlage  stets  in  so 
unmittelbare  Verbindung  mit  der  Schlachthofanlage  bringen,  daß  beide 
sich  ergänzen  können ,  somit  die  Stallungen  des  Schlachthofes  so  ge- 
räumig anlegen,  als  des  Viehmarktes  wegen  erforderlich  ist,  und  die 
Gebäude  auf  dem  Schlachthofe  derart  anordnen,  daß  ein  großer  Hof  in 
der  Mitte  zum  Aufstellen  des  Schlachtviehes  an  den  Markttagen  frei 
bleibt,  oder  eine  einzige  Verkaufshalle  errichten,  in  welcher  alle  Tier- 
gattungen zum  Verkaufe  aufgestellt  werden  können  (wie  in  Bremen), 
oder  nur  Markthallen  erbauen  (wie  in  Halle  a.  S.).  Schlachthof  und 
Viehmarkt  haben  dann  gemeinschaftliche  Beamte  und  Verwaltungsge- 
bäude. Der  Gesundheitshof  des  Schlachthofes  mit  seinen  Stallungen 
für  krankes  und  verdächtiges  Vieh  dient  auch  den  Zwecken  des  Vieh- 
marktes. Eine  Börse  ist  dann  überflüssig,  und  es  werden  die  Geschäfte 
in  der  Gastwirtschaft  besorgt.  Ein  Gasthof,  bezw.  Schlaf  haus  kann 
dadurch  vermieden  werden,  daß  Schlafstellen  in  den  einzelnen  Stallungen 
für  die  Knechte  der  Viehhändler  angelegt  werden ,  was  noch  den  be- 
sonderen Vorteil  hat,  daß  das  Vieh  unter  guter  Aufsicht  steht,  wie 
denn  diese  Anordnung  meist  nach  Wunsch  der  Viehhändler  ist. 


2.   Die  Gestaltung  der  Anlage17. 

Bei  dem  Viehmarkte  kommt  es  viel  weniger  darauf  an ,  wie  die 
Gebäude  zu  einander  liegen,  als  das  auf  dem  Schlachthofe  der  Fall  ist. 
Nur  müssen  die  Stallungen  stets  in  nächster  Nähe  bei  den  betreffenden 
Markthallen  liegen. 

Dagegen  ist  die  Lage  der  Markthallen  zu  den  Schlachthallen  des 
Schlachthofes  von  hoher  Bedeutung.  Ist  der  Viehmarkt  thatsächlich 
eine  Ergänzung  des  Schlachthofes,  ist  derselbe  dazu  da,  daß  die  Schlächter 
an  bestimmten  Wochentagen  ihr  4  Vieh  auf  dem  Viehmarkte  ankaufen, 
um  dasselbe    auf    dem    Schlachthofe^  zu   schlachten   —   wie  sich  auch 

59 


60  GEORG    OSTHOFF, 

überall  herausstellt ,  daß  der  Viehmarkttag  ebenfalls  der  stärkste 
Schlackttag  ist  —  so  liegt  die  Notwendigkeit  vor,  die  Markthallen  so 
zu  den  Schlachthallen  zu  stellen,  daß  das  Vieh  auf  dem  kürzesten  Wege 
aus  den  Markthallen  in  die  betreffenden  Schlachthallen  gelangen  kann. 
Besonders  ist  dies  bei  den  schwer  zu  bewegenden  Tieren,  den  Kälbern 
und  Schweinen,  notwendig.  Als  die  bequemste  Stellung  hat  sich  die- 
jenige ergeben,  welche  vom  Baurat  Hechler  in  Chemnitz  und  vom 
Verfasser  dieses  in  Halle  a.  S.,  Düsseldorf  und  Breslau  vorgesehen  ist, 
wo  jede  Markthalle  mit  ihrem  Stirnende  vor  dem  Stirnende  der  zuge- 
hörigen Schlachthalle  steht  und  die  Tiere  nur  eine  Straße  quer  zu  über- 
schreiten brauchen.  Wo  dagegen,  wie  in  Leipzig  und  Barmen,  der  Vieh- 
markt entfernt  vom  Schlachthofe  liegt,  ist  der  Transport  des  Viehes  von  dem 
ersteren  zum  letzteren  so  unbequem,  daß  besondere  Geleise  und  Trans- 
portwagen nachträglich  angeschafft  werden  mußten,  um  die  Ueberführung 
des  Schlachtviehes  vom  Viehmarkte  zum  Schlachthofe  zu  ermöglichen. 
Ebenso  unbequem  zum  Schlachthofe  sind  die  Viehmärkte  zu  München, 
Hannover,  Frankfurt  a.  M.,  Köln  a.  Rh.,  Dortmund,  Magdeburg,  Karls- 
ruhe in  Baden  etc.  angelegt. 

Im  großen  und  ganzen  ist  auf  die  Gruppierung  der  Gebäude,  ab- 
gesehen von  dem  Haupteinflusse,  den  der  Schlachthof  ausübt,  die  Form 
des  Grundstückes,  welches  nach  Möglichkeit  auszunutzen  ist,  von 
Einfluß. 


3.  Das  Grundstück17. 

Die  Größe  des  Grundstückes  richtet  sich  in  erster  Linie  nach  der 
Größe  des  Zutriebes  an  Vieh.  Bei  der  Anlage  eines  Viehmarktes  muß 
in  besonders  hohem  Grade  Rücksicht  auf  Vergrößerung  genommen 
werden,  da  der  Zutrieb  des  Viehes  nicht  allein  von  der  Größe  der 
Stadt,  sondern  auch  von  anderen  Faktoren  abhängen  kann,  welche  vor- 
her schwer  zu  bestimmen  sind.  So  kann  sehr  leicht  der  Viehmarkt 
nicht  nur  von  den  Fleischern  der  betreffenden  Stadt,  sondern  von  denen 
der  Umgegend  in  weitem  Umkreise  zum  Ankaufen  ihres  Schlachtviehes 
benutzt  werden. 

Es  ist  daher  immer  anzuraten,  für  den  Viehmarkt  ein  großes  Grund- 
stück zu  erwerben,  und  zwar  etwa  0,3  qm  für  jeden  Einwohner  der 
Stadt. 


4.  Markthallen  für  Schlachtvieh17. 

Die  Markthallen  eines  Viehmarktes  haben  den  Zweck,  das  Vieh 
in  solcher  Weise  zum  Verkaufe  zu  stellen,  daß  dasselbe  von  allen  Seiten 
in  übersichtlicher  und  bequemer  Weise  von  den  Kaufliebhabern  besehen 
und  befühlt  werden  kann.  Um  dieser  Vorschrift  zu  genügen,  hat  man 
früher  wohl  seitlich  offene,  auf  Säulen  stehende,  große  Ueb erdachungen 
gewählt.  In  denselben  sind  aber  die  Tiere  so  sehr  der  Zugluft  aus- 
gesetzt, daß  man  die  meisten  dieser  Hallen  später  mit  Glas  verkleidet 
hat  (wie  in  Berlin).  Jetzt  werden  nur  noch  gemauerte  Hallen  mit 
großen  seitlichen  Fenstern  und  Oberlicht  hergestellt. 

Die  Markthallen  sind  nun  entweder  reine  Verkaufshallen,  in  welche 
die  Tiere  aus  ihren  Stallungen  hineingetrieben  werden,  und  in  welchen 

6o 


Markthallen  und  Viehhöfe.  61 

sie  nur  während  der  Verkaufsstunden  stehen,  oder  zugleich  Stallungen. 
Die  Markthallen  für  Großvieh  und  für  Schafe  kommen  in  beiden 
Arten  zur  Durchführung,  die  für  Kälber  und  Schweine  werden  stets 
mit  Stalleinricktnng  versehen,  da  diese  Tiergattungen  schwerer  zu 
transportieren  sind. 

Sämtliche  Markthallen  müssen  geräumig,  gut  gelüftet,  sehr  hell 
und  mit  reichlicher  Wasserleitung  und  guter  Entwässerung  ausgestattet 
sein.  Wasserleitungs-Zapfhähne  und  Hähne  mit  Schlauchverschraubungen 
sind  in  reichlicher  Anzahl  anzubringen.  Der  Fußboden  muß  eben,  aber 
nicht  zu  glatt  sein  und  wenig  Fugen  besitzen,  damit  den  Tieren  die 
Füße  nicht  schmerzen  und  das  Schmutzwasser  nicht  stehen  bleiben 
kann.  Es  ist  daher  ein  Cementfußboden  am  vorteilhaftesten.  In  jeder 
Markthalle  sind  mehrere  Wagen  zum  Abwägen  der  Tiere  unterzubringen. 

a)  Markthallen   für  Großvieh. 

Die  Markthallen  für  Großvieh  müssen  geräumig,  gut  gelüftet,  sehr 
hell  und  mit  genügend  vielen  Gängen  ausgestattet  sein.  Behufs  guter 
Entwässerung  der  Halle  ist  der  Fußboden  der  Stände  nach  den  Gängen 
zu  geneigt,  wodurch  auch  die  Uebersicht  des  Viehes  beim  Verkauf 
erleichtert  wird,  und  zwischen  Ständen  und  Gängen  sind  flache  Rinnen 
anzulegen,  in  welchen  das  Schmutzwasser  den  mit  eisernen  Rosten 
versehenen  Senkschächten  zuströmt  und  von  hier  aus  in  unterirdische 
Kanäle  gelangt. 

a)  Die  Markthallen  für  Großvieh  ohne  Stalleinrich- 
tungen bestehen  entweder  aus  seitlich  offenen,  auf  Holz-  oder  Eisen- 
säulen stehenden  Hallendach-Konstruktionen  aus  Holz  oder  Eisen,  oder 
aus  Hallen,  welche  seitlich  aus  Glas  und  Eisen  oder  aus  Mauerwerk 
mit  Fenstern  hergestellt  sind.  Die  letzteren  sind  dann  entschieden 
vorzuziehen,  wenn  die  Beleuchtung  durch  Fenster  und  Dachoberlicht 
eine  genügende  ist. 

Da  solche  Hallen  in  der  Regel  sehr  lang  und  breit  sind,  so  wird 
das  Dach  am  besten  durch  Stützen  oder  Säulen,  welche  in  das  Innere 
der  Hallen  gestellt  werden,  und  an  welche  sich  die  Schranken  für  das 
Großvieh  anschließen,  getragen.  In  der  Längsrichtung  ziehen  sich  an 
beiden  Seiten  und  in  der  Mitte  Längsgänge  von  2,0  m  und  mehr  Breite 
für  den  allgemeinen  Verkehr.  Zwischen  diesen  Gängen  in  der  Quer- 
richtung stehen  die  Schranken  zum  Anbinden  der  Tiere.  Diese  Schranken 
sind  nun  aus  Holz  oder  besser  aus  Eisen  konstruiert.  Zur  Verbindung 
der  Längsgänge  sind  einige  Quergänge  angebracht.  Die  Tiere  sind  mit 
den  Köpfen  an  die  Schranken  gebunden  und  haben  eine  Standlänge  von 
2,6  bis  3,0  m,  und  eine  Standbreite  von  0,9  m  bis  1,2  m.  Zwischen  den 
Köpfen  der  Tiere  zweier  Standreihen,  also  zwischen  den  Schranken,  ist 
zweckmäßig  ein  Besichtigungsgang  von  1,5  m  Breite  zu  belassen,  obgleich 
dieser  Gang  häufig  fehlt  und  die  Tiere  zweier  Standreihen  dann  mit  ihren 
Köpfen  an  ein  und  dieselbe  Schranke  gebunden  werden.  Die  Schwanz- 
enden der  Tiere  zweier  Standreihen  sind  ebenfalls  durch  einen  Gang  von 
1,5  m  Breite  getrennt.  In  einer  solchen  Halle  entfällt  auf  jedes  Stück 
Vieh  3,2  qm  bei  engster  und  5,5  qm  bei  größter  Raumbemessung  an 
Inn  engrundfl  äche. 

ß)  Die  Markthallen    für   Großvieh  mit   Stalleinrich- 

6i 


62  GEORG   OSTHOFF, 

tun  gen  besitzen  keine  Schranken,  sondern  Krippen  mit  Anbinderingen. 
Derartige  Markthallen  sind  vollständig  mit  Mauer  umgebene  Gebäude, 
welche  entweder  eine  große  Halle  bilden,  oder  aus  einzelnen  Abteilungen 
bestehen.  Um  die  Tiere  in  solchen  Hallen  möglichst  vor  Kälte  zu 
schützen,  giebt  man  letzteren  am  besten  eine  geringe  Breite  von  15 
bis  20  m,  teilt  sie  durch  Zwischenwände  in  größere  und  kleinere  Ab- 
teilungen und  legt  vor  jedem  Außeneingang   einen  Windfang  an. 

Die  Tiere  werden  mit  den  Köpfen  vor  einander  gestellt  und  zwischen 
den  Krippen  ein  Futtergang  von  1,0  bis  1,5  m  Breite  gelassen,  während 
der  Gang  an  den  Schwanzenden  der  Tiere  1,0  bis  2,0  m  breit  ist. 

Die  Krippen  sind  etwa  60  cm  breit  und  stehen  am  besten  70  cm 
über  dem  Fußboden. 

Diese  Markthallen  benötigen  für  jedes  Stück  Vieh  6,0  bis  7,5  qm 
Grundfläche. 

y)  Vergleich  beider  Einrichtungen.  So  sehr  auch  das 
Sparsamkeitsprinzip  zu  den  Markthallen  m  i  t  Stalleinrichtungen  drängen 
mag,  da  man  bei  ihnen  die  Ställe  erspart,  so  wenig  ist  es  möglich, 
dieselben  derart  zu  erbauen,  daß  sie  allen  Anforderungen  Genüge  leisten. 
Eine  Markthalle  soll  in  erster  Linie  die  Bedingungen  erfüllen,  welche  an 
eine  Verkaufshalle  zu  stellen  sind:  sie  soll  durchaus  geräumig,  über- 
sichtlich, hell  und  luftig  sein,  Bedingungen,  welche  dem  Käufer  ermög- 
lichen, die  für  ihn  passenden  Tiere  in  bequemer  Weise  ohne  Zeitverlust  aus- 
zusuchen und  von  allen  Seiten  zu  besehen,  Bedingungen,  welche  von  einer 
überdachten  Halle  ohne  Seitenwände  vollkommen  erfüllt  werden.  —  Die 
Anforderungen,  welche  im  allgemeinen  an  Stallungen  zu  stellen  sind: 
Wärme  im  Winter,  Kühle  im  Sommer,  aus  welchen  Anforderungen  sich 
demgemäß  einzelne  Abteilungen  mit  Balken-  oder  Gewölbedecke  ergeben, 
lassen  sich  zwar  mit  den  Bedingungen,  welche  an  eine  Verkaufshalle 
gestellt  werden,  vereinigen,  jedoch  nur  auf  Kosten  der  Uebersichtlich- 
keit,  welche  dabei  verloren  geht.  Um  diesen  Uebelstand  möglichst  zu 
beheben,  hat  der  Verfasser  dieses  in  den  Markthallen  zu  Halle  a.  S. 
ein  Drittel  jeder  Halle  durch  eine  Querwand  von  der  übrigen  Halle 
abgeteilt  und  diese  kleinere  Abteilung  mit  einer  gewölbten  Decke  ver- 
sehen, sodaß  diese  wärmere  Abteilung  im  Winter  für  das  länger  stehen- 
bleibende Vieh  bestimmt  werden  kann. 

b)  Die  Markthallen  für  Kälber  und  Schafe. 

Diese  Markthallen  bestehen  aus  gemauerten  Hallen  und  sind  im 
Innern  mit  Buchten  ausgestattet,  welche  aus  Holzwänden  oder  Holzgitter 
zwischen  Holz-  oder  Eisenpfosten  bestehen  und  so  groß  sind,  daß 
mindestens  10  Stück  des  betreffenden  Viehes  darin  untergebracht  werden 
können.  Für  die  Kälber  und  Schafe  werden  hölzerne  Tröge  und  für 
die  Schafe  außerdem  noch  Holzraufen  für  das  Heu  in  die  Buchten 
gestellt. 

Jede  Bucht  hat  eine  1,2  m  breite  Thür  nach  einem  Gange  zu  er- 
halten. Auch  hier  sind  die  Längsgänge  und  Hauptquergänge  2,0  m  und 
mehr  breit,  während  die  Zwischengänge  1,2  bis  1,5  m  breit  sind.  Die 
Buchten  sind  1,1  bis  1,3  m  hoch.  Man  rechnet  auf  ein  Kalb  0,4  qm  und 
auf   ein    Schaf   0,2    bis  0,25    qm   Standfläche,    sodaß    einschließlich    aller 

62 


Markthallen  und  Viehhöfe.  63 

Gänge  an  Innenraum  für  eine  Kälberhalle  0,7  bis  0,8  qm,  für  eine  Schaf- 
halle 0,35  bis  0,5  qm  Grundfläche  für  jedes  Tier  benötigt  wird. 

c)  Markthallen  für  Schweine. 

Die  Markthallen  für  Schweine  bestehen  ebenfalls  aus  steinernen 
Hallen  mit  Buchten  aus  Holz,  Eisen  oder  Stein.  Holzbuchten  sind 
schwer  zu  reinigen  und  zu  desinfizieren.  In  eisernen  Buchten  stehen 
die  Tiere  sehr  unruhig,  denn  glatte  Wände  oder  Wellblech  giebt  ein 
starkes  Getöse,  in  Gitterbuchten  sehen  die  Tiere  zu  sehr  ihre  Nachbarn 
und  werden  wild.  Daher  sind  Cement-  oder  Ziegelsteinbuchten  mit 
Cementverputz  am  besten.  Die  Thüren  sind  wie  die  Eintriebsgänge 
1,2  m  breit  und  so  eingerichtet,  daß  sie  sowohl  die  Bucht,  als  auch  den 
Gang  nach  beiden  Richtungen  hin  absperren  können.  Am  besten  be- 
stehen die  Thüren  aus  Eisen.  Außer  diesen  Eintriebsgängen  sind  noch 
Hauptgänge  von  2,0  bis  3,0  m  Breite  vorhanden. 

Für  jedes  Tier  ist  ein  Buchtenraum  von  0,5  bis  0,6  qm  und  samt 
Gängen  ein  Halleninnenraum  von  0,8  bis  1,0  qm  anzunehmen. 

Für  die  ungarischen  Schweine  sind  offene  Sandbuchten  einzurichten 
und  darin  jedem  Schweine  etwa  2  qm  Buchtenraum  zu  gewähren. 


5.  Die  Stallungen. 

Die  Stallungen,  welche  in  der  Regel  nur  für  das  Großvieh  herge- 
stellt werden,  kommen  in  derselben  Weise  zur  Durchführung,  wie  beim 
Schlachthofe ,  nur  ist  es  zweckmäßig ,  mehrere  Schlafstellen  für  die 
Knechte  der  Händler  anzulegen. 

6.  Börse  und  Gasthof. 

Die  Börse  besteht  in  der  Regel  aus  einem  Saale ,  der  zugleich 
als  Restaurant  dient.  An  diesem  Saale  sind  häufig  einzelne  Zimmer 
als  Büreauräume  für  Makler  und  Kommissionäre  angebaut.  Auch  ist 
zweckmäßig  ein  Post-  und  Telegraphenamt  mit  der  Börse  zu  verbinden. 
Die  Börse  ohne  Restaurant  zur  Durchführung  zu  bringen,  hat  sich  als 
unzweckmäßig  herausgestellt  (Hannover). 

Die  große  Zahl  der  einem  Händler  gehörigen,  mit  der  Bahn  an- 
kommenden oder  zugetriebenen  Tiere  erfordert  viele  Viehwärter,  welche 
in  nächster  Nähe  der  Stallungen  Unterkunft  und  Nachtlager  suchen, 
und  lassen  daher  die  Beschaffung  vieler  Nachtlager  als  notwendig  er- 
scheinen. Auf  mehreren  Viehmärkten  ist  diesem  Bedürfnis  durch  Er- 
bauung eines  Gasthofes  oder  eines  Schlafhauses  Rechnung  getragen, 
auf  anderen  dagegen  sind  für  die  Viehwärter  und  Treiber  in  den 
Ställen  selbst  Schlafräume  in  genügender  Anzahl  vorgesehen. 

7.  Schlachthaus  für  krankes  Vieh  und  Ställe  für  verdächtiges 
und  krankes  Vieh17. 

Diese  Anlagen  sind  schon  bei  den  Schlachthöfen  besprochen,  doch 
muß  hier  hinzugefügt  werden,  daß  in  dem  Falle,  wenn  der  Schlachthof 

63 


64  GEORG    OSTHOFF, 

mit  einem  Viehmarkte  in  Verbindung  steht,  die  Anlagen  für  krankes 
und  verdächtiges  Vieh  am  besten  auf  dem  Viehmarkte,  in  nächster 
Verbindung  mit  den  Eisenbahngeleisen,  angeordnet  werden,  oder,  wie 
der  Verfasser  dieses  vorzieht,  daß  solche  einen  besonderen  Hof  zwischen 
Viehmarkt  und  Schlachthof  einnehmen,  welcher  von  beiden  letzteren 
Anlagen  zugänglich,  aber  räumlich  getrennt  ist. 

8.   Sonstige  Anlagen. 

Außer  den  bisher  beschriebenen  Gebäuden  sind  auf  einem  Vieh- 
markte noch  die  Anlage  eines  Pferdestalles  und  eines  Wagenschuppens 
für  die  Händler,  sowie  einer  oder  mehrerer  Düngergruben  erwünscht. 
Diese  Anlagen  sind  so  einfach,  daß  ein  Eingehen  auf  dieselben  über- 
flüssig erscheint. 

Von  größerer  Wichtigkeit  dagegen  ist  die  Geleisanlage  und  die 
damit  zusammenhängenden  Anlagen.  Der  Geleisstrang,  welcher  vom 
Bahnhofe  zum  Viehmarkt  fürt,  muß  so  von  den  Geleisen,  auf  welchen 
die  Viehzüge  ankommen,  abgezweigt  werden,  daß  die  Viehwagen  oder 
Viehzüge,  ohne  mehrmals  hin  und  her  durch  Weichen  gefahren  zu 
werden,  direkt  den  Viehmarkt- Verbindungsstrang  erreichen  können. 
Um  die  Viehwagen  desinfizieren  zu  können,  was  mit  warmem  Wasser  und 
auch  wohl  unter  Zuschuß  von  Soda,  Kalk  oder  Karbol  geschieht,  ist  es  nötig, 
ein  oder  zwei  Geleise  vollständig  abzupflastern  und  dasselbe  mit  Wasser- 
leitungssträngen für  heißes  und  kaltes  Wasser  zu  versehen.  Der  Wasser- 
turm mit  einem  Behälter  für  heißes  Wasser  steht  in  der  Regel  in  der 
Nähe  der  Desinfektionsgeleise.  Das  Wasser  wird  am  besten  mittels 
einer  P er king' sehen  Heißwasserheizung  erwärmt,  falls  nicht,  wie  bei 
großen  Anlagen,  ein  Dampfkessel  dazu  bessere  Dienste  leistet. 

Die  Verladerampen  mit  den  Zählbuchten,  welche  in  Höhe  der 
Bodenhöhe  der  Wagen,  also  in  1,12  m  Höhe,  liegen  müssen,  bestehen 
ans  einer  oberen  horizontalen  oder  schwach  geneigten  Ebene  und  aus  der 
Rampe,  welche  eine  Neigung  von  etwa  1  :  10  besitzt.  Die  Zählbuchten 
besitzen  Thüren,  welche  nach  außen  aufschlagen  und  oben  den  Gang  vor 
den  Eisenbahnwagen  absperren.  Die  Zählbuchten  für  Rinder  bestehen 
in  der  Regel  aus  Holz  mit  oberem  Holm  und  mittlerem  Riegel,  für  die 
übrigen  Tiergattungen  aus  hölzernem  oder  eisernem  Gitterwerk.  Bei  der 
starken  Inanspruchnahme  aller  Teile  ist  es  erwünscht,  diese  Buchten 
sehr  stark  zu  konstruieren.  Das  Pflaster  muß  undurchlässig  sein,  um 
es  desinfizieren  zu  können.  Man  verwendet  daher  am  besten  Kopfstein- 
pflaster, dessen  Fugen  mit    Goudrun    wasserdicht    gemacht   worden   sind. 


C.     Ausgeführte  Schlachthöfe  und  Viehmärkte. 
1.  Der  Schlachthof  zu  Schwiebus  (Fig.  14  S.  65), 

(8500  Einwohner) ,  ist  vom  Verfasser  dieses  für  eine  Stadt  von 
10  000  Einwohnern  entworfen.  Es  ist  eine  rein  deutsche  Anlage.  Das 
Verwaltungsgebäude  liegt  an  der  Chaussee,  rechts  vom  Haupteingange, 
und  soll  bestehen  aus  einem  hellen  Kellergeschosse;  aus  dem  Erdge- 
schosse, in  welchem  die  Verwaltungs-  und  Trichinenschauräume  unter- 

64 


Markthallen  und  Viehhöfe. 


65 


Handbuch  der  Hygiene.    Bd.  VI. 


Fig  14.      Aicli.   Osthoff. 
65 


66  GEORG   OSTHOFF, 

gebracht  sind,  und  aus  dem  Obergeschosse,  in  welchem  die  Wohnung 
des  Verwalters  sich  befindet.  Das  Hauptgebäude  ist  bezüglich  seiner 
einzelnen  Räume  so  angeordnet,  daß  das  Groß-  und  Kleinvieh  aus  dem 
Stalle  auf  dem  kürzesten  Wege  in  den  für  alle  Tiergattungen  gemein- 
samen Schlachtraum  gelangt;  daß  die  Schweine  aus  dem  Schweinestalle 
auf  dem  kürzesten  Wege  in  den  Brühraum,  wo  dieselben  abgestochen 
und  enthaart  werden,  gebracht;  daß  diese  enthaarten  Schweine  dann 
auf  dem  kürzesten  Wege  in  den  gemeinschaftlichen  Schlachtraum ,  wo 
dieselben  ausgeweidet  werden,  gefahren ;  daß  die  Eingeweide  sämtlicher 
Tiere  aus  dem  Schiachtraume  in  die  Kaidaunenwäschen ,  welche  sich 
im  Brühraume  befinden,  bezw.  die  Wampen  durch  den  Brühraum  auf 
dem  geradesten  Wege  zur  Düngerstätte  gebracht  werden,  und  daß  das 
auf  Lufttemperatur  abgekühlte  Fleisch  aus  dem  Schiachtraume  auf  dem 
kürzesten  Wege  in  den  Kühlraum  übergeführt  wird. 

Die  Kosten   der  Anlage   sind   zu  116000  M.,  also  bei  10  000  Ein- 
wohnern zu  11,60  M.  für  jeden  Einwohner  veranschlagt. 


2.  Das  Schlachthaus  zu  Os  nahrück  (Fig.  15  S.  67), 

für  40 000  Einwohner ,  von  Hackländer  entworfen  und  ausgeführt, 
ist  am  21.  April  1887  eröffnet  worden20. 

Das  Grundstück  besitzt  eine  Größe  von  88,34  Ar.  Der  Schlacht- 
hof ist  eine  französische  Anlage,  wenn  schon  die  Kaidaunenwäsche  für 
Großvieh  an  die  Schlachthalle  angebaut  und  der  Schweinestall  mit  dem 
Brühraume  verbunden  ist.  Das  Kleinvieh  wird  in  der  Schweineschlacht- 
halle  mit  geschlachtet,  im  Falle  der  in  der  Großvieh-Schlachthalle  dafür 
vorgesehene  geringe  Raum  nicht  ausreicht. 

Die  Anlagekosten  beliefen  sich  auf  286100  M .,  also  auf  7,15 
M.  für  jeden  Einwohner. 

3.  Der  Schlachthof  zu  Tilsit  (Fig.  16  S.  68), 

einer  Stadt  von  25000  Einwohnern,  ist  vom  Verfasser  dieses  für  40000 
Einwohner  entworfen  und  in  den  Jahren  1891  bis  1892  erbaut  worden21. 
Die  ganze  Anlage  ist  eine  vollkommen  deutsche.  Groß-  und  Kleinvieh- 
Schlachthalle  sind  zu  einer  einzigen  vereinigt.  Zwischen  den  beiden 
Schlachthallen  für  Groß-  und  Kleinvieh  und  für  Schweine  steht,  in  un- 
mittelbarer Verbindung  mit  letzteren  Hallen,  das  Kühlhaus.  Die 
Stallungen  sind  an  die  betreffenden  Schlachthallen  angebaut.  Ein  Gang 
verbindet  die  Schlachthallen  mit  den  Kaidaunenwäschen  etc.,  sodaß 
sämtliche  Räume  unter  Dach  erreichbar  sind.  Die  Kosten  haben 
500070  M.  betragen,  also  12,50  M.  für  jeden  Einwohner. 

4.  Der  Schlachthof  zu  Lüheck  (Fig.  17  S.  69), 

einer  Stadt  von  etwa  56000  Einwohnern,  ist  1883  bis  1884  von 
Schwiening  erbaut  worden22. 

Das  Grundstück  umfaßt  etwa  100  Ar.  Im  Norden  schließt  sich  ein 
Grundstück  von  56  Ar  an,  welches  als  Viehmarkt  benutzt  wird. 

Die  Anlage  ist  eine  französische.  Zwischen  den  beiden  Eingängen 
liegen  das  Thorwärterhaus,  links  das  Gasthaus,  rechts  das  Verwaltungs- 

66 


Markthallen  und  Viehhöfe. 


67 


Stlilachthof  zu  Osnabrück. 
Arch.  Hackländer. 


Schlachthof   -    S  l  ra  fs  e 
Fig.  15. 


67 


5* 


6S 


GEORG   OSTHOFF, 


Schlachthof  zu  Tilsit. 
Arch.  Osthoff. 


Fig.  16. 


68 


Markthallen  und  Viehhöfe. 


(39 


Schlachthof  zu  Lübeck. 
Arch.   Schwiening. 


// 


Fig.  17. 


69 


70  GEORG    OSTHOFF, 

gebäude.  In  der  Mitte  der  Anlage  befinden  sich  das  Schlachthaus  für 
Großvieh  und  das  für  Schweine  und  Kleinvieh.  Die  westliche  Seite  des 
Schlachthofes  wird  von  dem  Wagenschuppen,  dem  Pferdestalle,  der 
Stallung  für  Großvieh  und  den  Aborten  eingenommen.  Die  östliche 
Längsseite  ist  von  der  Stallung  für  Schweine  und  Kleinvieh  besetzt.  Die 
hintere  Seite  des  Schlachthofes  nehmen  ein:  das  Düngerhaus,  die  Kal- 
daunenwäsche,  das  Kessel-  und  Maschinenhaus  mit  Maschinistenzimmer, 
die  Werkstätte  und  der  Kohlenraum,  ferüer  das  Schlachthaus  mit  Stall 
für  krankes  Vieh  und  das  Schiachthaus  mit  Stall  für  zu  schlachtende 
Pferde.     Ein  Kühlhaus  fehlt. 

Die    Anlage    war  zu    317000   M.,    also   für  jeden   Einwohner  zu 
5,66  M.  veranschlagt. 


5.    Der  Schlachthof  und  Viehmarkt  zu  Essen  a.  d.  Ruhr 

(Fig.  18  S.  71), 

einer  Stadt'mit  75000  Einwohnern,  ist  1882  bis  1885  von  WTiebe  und 
Nordmann  erbaut23.     Das  Grundstück  ist  460  Ar  groß. 

Die  Schlachthofanlage  ist  teilweise  eine  deutsche.  Der  Viehmarkt 
liegt  seitlich  vom  Schlachthof. 

Die  beiden  Schlachthallen  für  Großvieh  und  für  Schweine  liegen 
an  der  einen  Seite  einer  breiten  Verbindungshalle,  während  an  der 
anderen  Seite  die  Schlachthalle  für  Kleinvieh  und  die  Kaidaunenwäsche 
sich  befindet. 

Nachträglich  ist  noch  ein  Kühlhaus  erbaut  worden. 

Die  Kosten  beliefen  sich  auf  etwa  1222000  M,  also  auf  16,40 
M.  für  jeden  Einwohner. 

6.  Der  Schlachthof  und  Viehmarkt  zu  Halle  a.  S. 

(Fig.  19  S.  72), 

einer  Stadt  von  etwa  100000  Einwohnern,  ist  vom  Verfasser  dieses  für 
120000  Einwohner  entworfen  und  in  den  Jahren  1891  und  1892  ausge- 
führt worden  2  4 . 

Der  Viehmarkt  liegt  in  der  günstigsten  Weise  zum  Schlachthofe. 
Das  Gesamtareal  hat  eine  Größe  von  495  Ar.  Der  Schlachthof  ist 
durch  eine  Verbindungshalle  zu  einer  deutschen  Anlage  gemacht. 

Die  Gesamtkosten  beliefen  sich  auf  2100000  M.,  also  auf  17,50 
M.  für  jeden  Einwohner  ,  davon  entfallen  auf  den  Schlachthof 
1460600  M.,  oder  12,17  M.  auf  jeden  Einwohner,  und  auf  den 
Viehmarkt  639  400  M.,  oder  5,33  M.  auf  jeden  Einwohner. 

7.  Der  Schlachthof  und  Viehmarkt  zu  Hannover 

(Fig.  20  S.  73), 

einer  Stadt  von  140000  Einwohnern,  ist  von  Hecht  erbaut  und  am 
1.  November  1881  eröffnet  worden25. 

Die  Gesamtfläche  der  Anlage  beträgt  685,3  Ar.  Schlachthof  und 
Viehmarkt  sind  durch  eine  Straße  von  einander  getrennt,  wodurch  der 
Transport  des  Viehes  vom  Viehmarkte  zum  Schlachthofe  ein  sehr  un- 
bequemer wird.    Der  Schlachthof  ist  eine  rein  französische  Anlage. 

70 


72 


GEORG    OSTHOFF, 


£*>*■<   X    f.    -iCn 


Fig.   19 
Arch.  Osthoff. 


72 


i>n.-l>ltii 


74 


GEORG    OSTHOFF, 


Die  Kosten   der  Gesamtanlage  haben  sich  auf    2  386460  M.,    also 
auf  16,90  M.  für  jeden  Einwohner  belaufen. 


8.  Der  Schlachthof  und  Viehmarkt  zu  Leipzig 

(Fig.  21  S.  75), 

einer  Stadt  von  270000  Einwohnern,  ist  von  Licht  und  Moritz 
entworfen  und  im  Juli  1888  eröffnet  worden26. 

Das  Grundstück  ist  1137,7  Ar  groß. 

Der  Viehmarkt  liegt  seitlich  und  sehr  unbequem  zum  Schlachthofe, 
ist  auch  nur  durch  1  Thor  mit  jenem  verbunden.  Der  Schlachthof  ist 
eine  französische  Anlage. 

Die  Gesamtkosten  beliefen  sich  auf  3800000  M.,  also  auf  16,52  M. 
für  jeden  Einwohner. 


9.   Der  Schlachthof  und  Viehmarkt  zu  Berlin 

(Fig.  22  S.  76), 

einer  Stadt  von  1600000  Einwohnern,  ist  von  Blankenstein  und 
Lindemann  erbaut  und  1881  eröffnet  worden27. 

Das  Terrain  ist  3850  Ar  groß.  Die  ganze  Anlage  ist  eine  rein 
französische.  Auch  bestehen  die  Schlachthäuser,  wie  in  Frankreich,  aus 
einzelnen  Kammern. 

Die  ganze  Anlage  hat  9222110  Mark  gekostet. 


74 


76 


GEORG    OSTHOFF. 


>     SL 


2.    <J 


C-    E 


76 


Markthallen  und  Viehhöfe.  77 

1)  Osthoff    in:    Handbuch    der    Architektur,    IV.    Teil,    3.    Halbbd.     2.    Heft,    2    und    3, 
2.    Auflage.     Darmstadt   1891. 

2)  Allgemein.  Bauzeitung  1859,  233.  —  Handbuch  der  Architektur,  IV.    Teil,   3.   Halbbd., 

2.  Heft:  Märkte  für  Lebensmittel  v.  G.  Osthoff,   194. 

3)  Bisch,  Bericht  über  Markthallen,  Berlin  1867,  4  u.  f. 

4)  Bisch,  ebendas.     267  u.  f. 

5)  Bisch,  ebendas.     265  u.  f. 

6)  Osthoff  in;    Handbuch  der    Architektur,    IV.   Teil,  3.   Halbbd,  2.  Heft,  204.  2.   Auftage, 
Darmstadt  1891. 

7)  Behnke  in:    Deutsches  Bauhandbuch  II,    2.    Heft,  976.  —  Bisch,    Bericht  über  Markt- 
hallen, 1867,  386  u.  f. 

8)  Hennicke,  Mitteilungen  über  Markthallen  in  Deutschland  ,    England,  Frankreich,   Belgien 
und  Italien,  Berlin  1881,  S.    VII.  —  Osthoff  in:  Handbuch  der  Architektur,    IV.    Teil, 

3.  Halbbd.,  2.  Heft,  206.   2.   Auflage,     Darmstadt  1891. 

9)  Bisch,  Bericht  über  Markthallen,  Berlin  1867,  275. 

10)  Osthoff  in:  Handbuch  der  Architektur,  IV.  Teil,  3.  Halbbd.  2.  Heft,  210  m./. 
2.  Auflage,  Darmstadt   1891. 

11)  Osthoff,  ebendas    269. 

12)  Osthoff,  Schlachthöfe  und  Viehmärkte  der  Neuzeit,  Leipzig,  Karl  Scholtze,  1881.  — 
Osthoff  in:  Handbuch  der  Architektur,  IV.  Teil,  3.  Halbbd.,  2.  Heft,  2.  Auflage: 
Schlachthöfe  und  Viehmärkte.  Darmstadt,  Arnold  Bergsträsser ,  1891.  —  Osthoff, 
Schlachthöfe  für  kleine  Städte  von  5  000  bis  15  000  Einwohner,  3.  Auflage,  Berlin, 
Selbstverlag,  1890.  —  Osthoff  in:  Encyklopädie  der  gesamten  Tierheilkunde,  9.  Band, 
216  u.  f.:  Schlachthöfe  und   Viehmärkte.      Wien,  Moritz  Perles,   1892. 

13)  Osthoff  in:  Handbuch  der  Architektur,  IV.  Teil,  3.  Halbbd.,  2.  He/t,  2.  Auflage: 
Schlachthöfe  und  Viehmärkte,  74  u.  f.,  ferner  III.  Teil,  6.  Bd.,  2.  Auflage:  Sonstige 
Kühlanlagen,  224  u.  f.     Darmstadt,  Arnold  Bergsträsser,   1891. 

13a)  Osthoff  in:  Deutsche  Bauzeitung  1893,  No.  46,  S.  282:  Ueber  Kühlanlagen  für  Fleisch 
und  andere  Lebensmittel. 

14)  Osthoff,  Ueber  Düngerstätten  auf  Schlachthöfen.  Centralbl.  der  Bauvenv.  1888,  54.  — 
Osthoff  in :  Handbuch  der  Architektur,  IV.  Teil,  3.  Halbbd.,  2.  Heft,  2.  Auflage: 
Schlachthöfe  und   Viehmärkte,  78. 

15)  Osthoff  in:  Handbuch  der  Architektur,  IV.  Teil,  3.  Halbbd.,  2.  Heft,  83.  2.  Auflage, 
Darmstadt,   1891. 

16)  Siehe:  J.  König,     Die    Verunreinigung  der  Gewässer  etc.,  Berlin  1887. 

17)  Osthoff,  Schlachthöfe  und  Viehmärkte  der  Neuzeit ,  Leipzig,  Karl  Scholtze  1881.  — 
Osthoff  in:  Handbuch  der  Architektur,  IV.  Teil,  3.  Halbbd.,  2.  Heft  ,  2.  Auflage: 
Schlachthöfe  und  Viehmärkte.  Darmstadt,  Arnold  Bergsträsser ,  1891.  —  Osthoff  in: 
Encyklopädie  der  gesamten  Tierheilkunde,  9.  Bd. :  Schlachthöfe  und  Viehmärkte.  Wien, 
Moritz  Perles,  1892. 

18)  Orth  in:  Deutsches  Bauhandbuch,  2.  Halbbd.,   2.   Teil,  Berlin  1884,  990  u.  f. 

19)  Siehe:  J.  Hennicke,    Bericht  über  Schlachthäuser  und   Viehmärkte  etc.,    Berlin  1866,  3. 

20)  Zeitschr.  d.  Ar  eh.-  u.  Ing.-Ver.  zu  Hannover  1889,  25  und  Bl.  12.  —  Osthoff  in: 
Handbuch  der  Architektur,  IV.  Teil,  3.  Halbbd.,  2.  Heft,  122.  2.  Auflage.  Darmstadt, 
1891. 

21)  Osthoff  in:  Handbuch  der  Architektur,  IV.  Teil,  3.  Halbbd.,  2.  Heft,  34.  2.  Auflage, 
1891. 

22)  Deutsche  Bauzeitung  1883,  523.  —  Osthoff  in:  Handbuch  der  Architektur,  IV.  Teil, 
3    Halbbd,  2.  Heft,  41.  2.   Auflage,   1891 

23)  Osthoff,  ebendas.  152. 

24)  Desgl.,  154. 

25)  Zeitschr.  d  Arch.-  und  Ing.-Ver.  zu  Hannover  1883,  325.  —  Osthoff  in:  Handbuch  der 
Architektur,  IV.   Teil,  3.  Halbbd.,  2.  Heft,   160.  2.   Auflage,   1891. 

26)  Desgl.   177. 

27)  Wochenblatt  für  Arch.  u.  Ing.  1880,  386  und  396.  —  Deutsche  Bauzeitung  1881,  115.  — 
Osthoff  in:  Centralblatt  der  Bauverwaltung  1885,  311,  328  und  338.  —  Blankenstein  und 
Lindemann ,  Der  Central  •  Vieh-  und  Schlachthof  zu  Berlin ,  Julius  Springer ,  Berlin 
1885.  —  Osthoff,  Die  Schlachthöfe  und  Viehmärkte  der  Neuzeit,  Leipzig,  Karl  Scholtze. 
1881,  322. 

(Manuskript  abgeschlossen  am  15.   Oktober  1893). 


77 


Register. 


Absorber  43. 
Agora  3. 

Albuminfabrik  51. 
Ammoniak,  Eismaschine  45. 
Assyrer,  Märkte  der  3. 

Beck  und  Henkel  33. 
Behnke  s.  Litteratur. 
Bell-Colemann,   Eismaschine  44. 
Blankenstein,  Architekt  18.   19.  20.   33.   74. 
Brühkessel  54. 

Carre,  Eismaschinen  44. 
Chemnitz,  Markthallen  in  60. 

Düngerstätten  f.  Schlachthäuser  49  ff. 

Düngerwagen  51. 

Dunggruben  für  Schlachthäuser  49  ff. 

Eisenbahnanschlufs   f.  Düngerstätten  51. 
—   f.  Viehmärkte  58. 

Eismaschinen    s.    auch    d.    einzelnen    Kon- 
strukteure 44. 

Erfurt,  Schlachthof  in  40. 

Fleischverbrauch  54  ff. 
Fleischverteurung    durch  Schlachthöfe  26. 
Forum  als  Markt  3. 

Gebühren  in  Markthallen  12.   14. 
Geleisanlagen  für  Viehmärkte  64. 
Geschäftsvermittler  11. 
Gewicht  des  Schlachtviehes   26.   54. 
Graz,  Schlachthof  in  38. 
Grofshandel  4  ff. 

Hackländer,  Architekt  66. 
Halle,  Schlachthof  in   39. 
Hechler,   Architekt  60. 
Hecht,  Architekt  70. 
Hennicke  s.  Litteratur. 


Huber  54. 

Huber,  Ventilation  nach  36. 

Humboldt,  Akt. -Ges.    für    Eismaschinen  48. 

Kältemaschinen  42  ff. 
Kaidaunenwäsche  41. 
Keller  unter  Markthallen   17. 
Kleinhandel  4  ff. 
Kompressor  44. 
Kühlanlagen  42  ff 
Kühlhaus  48  ff. 
Kühlräume  8. 

Licht,  Architekt  74. 
Linde's  Eismaschinen  47. 
Lindemann,  Architekt  33.  74. 
Linner,  Architekt  38. 
Lueff,  Architekt  38. 
Lythfoot,  Eismaschine  von  44. 

Märkte  1  ff. 
Market  3. 
Markthallen  4  ff.  60  ff. 

—  Beleuchtung  der   17. 

—  für  Grofshandel  9. 

—  für  Kleinhandel  9. 

—  innere  Einrichtung  ders    15. 

—  in  Belgien  4. 

—  in  Berlin  4.   5. 

—  in  Chemnitz  4. 

—  in  Deutschland  4. 

—  in  Dresden  4. 

—  in  England  4. 

—  in  Frankfurt  a./M.  4. 

—  in  Halberstadt  4. 

—  in  Hannover  4. 

—  in  Italien  4. 

—  in  Köln  4. 

—  in  Leipzig  4. 

—  in  München  4. 

—  in  Oldenburg  4. 


78 


GEORG  OSTHOFF,  Markthallen  und  Viehhöfe. 


79 


Markthallen  in   Paris  4. 

—  in  Stuttgart  4. 

—  Kosten  derselb.   12  ff. 

—  Mieten  in  denselb.   14. 

—  Raumbedarf  ders.   13. 

—  Rentabilität  ders.   12. 

—  Verwaltung  ders.   10. 
Marktpreise  6. 

Mercato  3. 

Mercatus  3. 

Monopolpreise  6. 

Moritz,  Architekt  74. 

Mülheim  a.  d.  R.,  Schlachthof  in  40. 

München,  Schlachthof  in  37. 


Napoleon  I.  erbaut  Schlachthäuser 
Nordmann,  Architekt  70. 
Nnndinae  3. 


24. 


Orth  über  Tierseuchen  57. 
Osthoff  (s.  a.   Litteratur)  39. 

—  erbaut  Schlachthof  in  Halle  70. 

—  in  Schwiebus   64. 

—  in  Tilsit  66. 

Paul,  Baurat  21. 
Paris,  Markthallen  von  4. 
Perking's  Heifswasserheizung  64. 
Pferdemärkte  17  ff. 

—  in  Wien   21. 
Pictet's  Eismaschine  45. 
Polizei  auf  Märkten   6. 

Risch  s.  Litteratur. 

Schlachtvieh,  Gewicht  des  26. 
Schlachtviehmärkte  23. 
Schweineschlachthäuser  35  ff. 
Spielhagen,  Architekt  40. 
Stände  für  Fische  17. 

—  für  Fleisch   17. 

—  für  Gemüse  17. 

—  für  Miete  ders.   14. 
Stallungen  49. 
Schwiening,  Architekt  66. 
Schlachthöfe  30  ff. 

—  Berechnung  der  Gröfse  ders.  40. 

—  Beleuchtung  ders.  32. 

—  deutsche   29. 

—  Entwässerung  ders.  32. 


Schlachthöfe,  französische  29. 

—  für  krankes  Vieh  41. 

—  für  Pferde  41. 

—  Gebühren  auf  dens.   55. 

—  in  Berlin  29.  31.  33.   74. 

—  in  Belgien  29. 

—  in  Bielefeld  29. 

—  in   Bonn   40. 

—  in  Braunschweig  40. 

—  in   Bremen  29. 

—  in  Cassel  29. 

—  in  Chemnitz  29. 

—  in  Dortmund  29. 

—  in  Erfurt  40. 

—  in  Essen   70. 

—  in  Frankreich  29. 

—  in  Freiburg  i./Br.   29. 

—  in   Genf  30. 

—  in  Graz  38 

—  in   Halle  39.   70. 

—  in  Hannover  29.   70. 

—  in  Italien  29. 

—  in  Leipzig  29.  40.   74. 

—  in  Lübeck   29.   66. 

—  in  Metz  29. 

—  in  Mülheim  a.   d.  R.  30.  40. 

—  in  München  29.  37.  40. 

—  in  Osnabrück  66. 

—  in  Schwiebus  64. 

—  in  Strafsburg  29. 

—  in  Stuttgart  30. 

—  in   Ulm  30. 

—  in  Wien  29. 

—  in  Wiesbaden  40. 

—  Kosten   ders.  55  ff. 

—  Verwaltung  ders.   23.  24. 

—  Verwaltungsgebäude  für  dies    51 

—  Wasserversorgung  ders.  52   ff. 

Talgschmelze  51. 

Viehmärkte  17  ff.  56  ff. 

Weifs,  Architekt  34. 
Wiehe,  Architekt  70. 
Windhausen,  Eismaschine  44. 
Wochenmärkte  1  ff. 

Zenetti,   Architekt  37. 


VOLKS-  UND  HAUSBÄDER. 


BEARBEITET 

VON 

ß.  SCHULTZE, 

STADT-BAUINSPEKTOR   IN   KÖLN. 

MIT  22  ABBILDUNGEN. 


HANDBUCH   DER   HYGIENE 

HERAUSGEGEBEN  VON 
DR.  THEODOR  WBYL. 

SECHSTER  BAND.    ZWEITES  HEFT. 


JENA, 
VERLAG  VON  GUSTAV  FISCHER. 

1894. 


Inhaltsübersicht. 


Seite 

1.  Notwendigkeit  der  Volksbäder 85 

2.  Formender  Volksbäder 86 

3.  Rücksichten  bei  der  Anlage  von  Volksbädern  87 

4.  Die  Bestandteile  eines  Volksbades 88 

a)  Räume  zur  Benutzung  der  Besucher 88 

Vorräume 88 

Warteräume 88 

Baderäume  für  Brausebäder 89 

„            „     Wannenbäder 91 

„            „     Schwimmbäder 92 

Aborte 96 

b)  Räume  für  den  Betrieb  der  Anstalt 96 

Kasse 96 

Räume    für    die    Erwärmung    des    Badewassers    und    die 

Heizung  der  Anstalt 98 

Räume  für  Besorgung  und  Trocknung  der  Badewäsche  .  98 

Brennmaterialienraum 98 

5.  Die  technischen  Einrichtungen 98 

Wasserbeschaffung 99 

Wasserbedarf 99 

Erwärmung  des  Badewassers 100 

Rohrleitungen 101 

Apparate  für  Wannen-  und  Brausebäder 102 

Heizung  der  Baderäume 103 

Lüftung  derselben 103 

6.  Baukosten  der  Volksbäder 103 

7.  Betrieb  der  Bäder 104 


84  Inhalt. 

Seite 

8.  Volksbäder  außerhalb  Deutschlands 105 

9.  Billige  Hausbäder 107 

Wannenbäder 107 

Brausebäder 108 

Dampfbäder 108 

Litteratur 110 

Register 111 


Verzeichnis  der  Abbildungen. 

Figur  1.     Brausezelle,  Längsschnitt 90 

2.                „            Grundriß 90 

„       3.     Brausebad  zu  München 92 

„       4.                            „    Mannheim 92 

„       5.     Grove's  Volksbad 93 

„       6.     Volksbad  zu  Hannover          ....           93 

„       7.              „          ,,    Braunschweig 94 

„       8,              „          „    Mainz 94 

9.              „          „    Berlin 94 

„     10.              „          „    Köln 94 

„     11.     Stadtbad  zu  Offenbach,  Grundriß 95 

„     12.              „          „            „           Längsschnitt  durch  das  Schwimm- 
bassin       96 

„     13.              „          „            „           Detail  der  Reinigungsbäder     .     .  96 

„     14.     Volksschwimmbad  im  Hohenstaufenbade  zu  Köln,  Grundriß  97 

„     15.                     ,.                   ,,                   „                       „  Durchschnitt  97 

„     16.     Badewanne  mit  Uebersteiger-Badeofen 107 

„     17.              „              „      CirkuHerbadeofen 108 

„     18.     Heizbare  Badewanne 108 

..     19  u.  20.     Brausebad 109 

..     21  u.  22.     Dampfbad 109 

Fig.  1 — 13  stammen  aus  R.  Schultze,  Volksbäder,  Bonn  1893; 
Fig.  16  u.  17  aus  Handbuch  der  Architektur,  3./5.  Darmstadt  1892: 
Fig.  18 — 20  sind  von  der  Akt.-Ges.  vorm.  Schäffer  &  Walcker  in  Berlin 

freundlichst    zur  Verfügung    gestellt;    Fig.  21    u.    22    stammen    aus  Vel- 
hagen  &  Klasing's  Monatshefte  des  Daheim. 


1.  Notwendigkeit  der  Volksbäder. 

Von  allen  Forderungen,  welche  die  öffentliche  Fürsorge  für  das 
Wohl  eines  Volkes  zum  Zwecke  der  Erhöhung  der  körperlichen  und 
moralischen  Gesundheit  desselben  zu  stellen  hat,  giebt  es  keine,  welche 
die  persönliche  Mitwirkung  aller  Glieder  der  Volksgemeinschaft  in  so 
hohem  Grade  in  Anspruch  nimmt,  wie  das  Gebot  periodischer,  voll- 
ständiger Körperreinigung.  Demnach  erscheint  die  weitestgehende 
Durchführung  gerade  dieser  Forderung  gegenüber  den  übrigen  Zweigen 
des  ausgedehnten  Gebiets  der  öffentlichen  Gesundheitspflege  von  der 
größten  Wichtigkeit.  Die  Bemühungen  für  die  Reinhaltung  des  Erdbodens, 
der  Luft  und  der  Wasserläufe ,  für  Beschaffung  reinen  Trinkwassers 
und  gesunder  Nahrungsmittel  können  ihren  auf  die  Förderung  der  Volks- 
gesundheit gerichteten  Zweck  nur  unvollkommen  erfüllen,  solange  das- 
jenige Wesen,  zu  dessen  Schutze  dies  alles  geschieht,  an  seinem  eigenen 
Körper  den  günstigsten  Nährboden  zur  Erzeugung,  Vermehrung  und 
Uebertragung  von  Krankheitsstoffen  bietet.  Erfahrungsgemäß  hat  die 
Fürsorge  für  die  Reinhaltung  des  Körpers  zugleich  die  segensreiche 
Wirkung  der  Reinlichkeit  in  Kleidung  und  Wohnräumen,  überhaupt  er- 
höhter Selbstachtung  im  Gefolge.  So  ist  in  notwendiger  Konsequenz 
der  bisherigen  Erfolge  der  öffentlichen  Gesundheitspflege  als  thatsäch- 
lichst  bester  Schutz  gegen  die  Gefahren  der  Verbreitung  von  Volks- 
krankheiten die  systematische,  zum  unabweisbaren  Bedürfnisse  zu  er- 
hebende Gewöhnung  jedes  Gliedes  einer  Volksgemeinschaft  an  persön- 
liche Reinlichkeit  anzuerkennen  und  ihre  allgemeine  Durchführung  als 
zu  erstrebendes  Ziel  hinzustellen. 

Von  der  Erreichung  des  hiermit  gesteckten  Zieles  sind  wir  leider 
noch  recht  weit  entfernt.  WTährend  die  Kulturvölker  des  Alter- 
tums, ebenso  wie  unsere  eigenen  Vorfahren,  die  Wichtigkeit  der  all- 
gemeinen Befriedigung  des  Badebedürfnisses  wohl  erkannt  hatten,  diesem 
Gegenstande  die  gebührende  Aufmerksamkeit  zuwandten  und  dessen 
Ausübung  teilweise  zu  den  von  der  Religion  vorgeschriebenen  Hand- 
lungen erhoben,  können  wir  uns  heute  mit  der  Forderung  wirklicher 
Allgemeinheit  der  regelmäßigen  Körperreinigung  als  erst  im  Anfange 
der  Verwirklichung  und  Durchführung  stehend  betrachten.  Die  Richtig- 
keit dieser  Wahrnehmung  wird  derjenige  leicht  anerkennen,  welcher 
die  Zahl  der  auf  Benutzung  billiger  Bäder  angewiesenen  Bevölkerung 
in  Städten  selbst,  die  mit  öffentlichen  Bädern  verhältnismäßig  gut  aus- 
Handbuch der  Hygiene.  Bd..  VI.  Q 


86  R.    SCHULTZE, 

gerüstet  sind,  vergleicht  mit  der  Anzahl  der  in  diesen  Anstalten  zu 
den  für  die  ärmere  Volksklasse  in  Betracht  kommenden  Preisen  wirk- 
lich verabreichten  Bäder;  noch  mehr  derjenige,  welcher  sich  vergegen- 
wärtigt, daß  in  einer  großen  Zahl  von  Städten  unseres  Vaterlandes 
öffentliche  Badeanstalten  überhaupt  noch  nicht  bestehen. 

So  werden  sich  denn  die  Bemühungen  darauf 
richten  müssen,  unser  Volk  zunächst  wieder  zur 
Bade  ge  wo  hnheit  zu  erziehen,  und  ein  guter  Erfolg  dieser  Be- 
strebungen wird  in  erster  Linie  durch  die  Gewöhnung  der  Jugend  zu 
erwarten  sein.  Die  Schulbäder*)  und  die  von  der  Heeresverwaltung 
eingerichteten  Manns  chaftsbäder**)  sind  daher  als  wichtige  Mittel 
zur  Förderung  der  Volksgesundheit  anzusehen ,  denn  es  steht  außer 
Zweifel,  daß  die  der  Jugend  zum  Bedürfnis  gemachte  Gewohnheit  der 
Körperreinigung  in  weitaus  den  meisten  Fällen  ihre  Nachwirkung  auf 
das  ganze  weitere  Leben  behalten  wird. 

2.   Formen  der  Volksbäder. 

Die  Formen,  welche  geeignet  sind ,  dem  Badebedürfnis  eines 
Volkes  Genüge  zu  leisten,  können  nach  Maßgabe  der  Volksgewohnheiten, 
sowie  der  zur  Verfügung  stehenden  Mittel  verschiedene  sein.  Es  ist 
bekannt,  daß  die  Römer  ihre  mit  erheblichem  Aufwand  an  Mitteln 
erbauten,  für  den  Gebrauch  des  Wassers  in  allen  Wärmegraden  vor- 
trefflich eingerichteten  Thermen  als  echte  Volksbäder  nicht  nur  in 
allen  Städten  ihrer  Heimat  besaßen,  sondern  daß  sie  dieselben  auch 
in  den  entferntesten  Provinzen  und  sogar  in  den  zum  Grenzschutz 
dienenden  Kastellen  nicht  entbehren  mochten.  Bei  den  nordischen 
Völkern  ist  die  Form  des  Dampfbades  als  wirkliches,  seinem  Zwecke 
voll  entsprechendes  Volksbad  im  Gebrauche. 

Bei  uns  sind  die  für  die  öffentliche  Benutzung  in  Betracht  kommenden 
Badegelegenheiten  bisher  zumeist  in  der  Form  von  Warmwasser- Wannen- 
bädern und  erwärmten  Schwimmbädern  hergerichtet  worden.  Diese 
beiden  Arten  besitzen  jedoch  die  Nachteile  verhältnismäßiger  Kost- 
spieligkeit in  Anlage  und  Betrieb,  welche  der  Entwickelung  dieser  Bade- 
formen zu  den  Zwecken  allgemeiner  Volksbäder  entgegensteht  und  der  An- 
lage derselben  in  kleineren,  nicht  vermögenden  Gemeinden  hinderlich  ist. 

Als  ein  wesentlicher  Fortschritt  der  jüngsten  Zeit  ist  es  daher 
anzusehen,  daß  sie  durch  Erfindung  und  Verbreitung  des  tempe- 
rierten Brausebades  das  der  Neuzeit  gemäße  Mittel  zur  raschen 
und  billigen  Befriedigung  des  Badebedürfnisses  großer  Mengen  von  Per- 
sonen gefunden  hat  und  somit  das  Volksbaden  im  umfassendsten  Sinne 
wieder  möglich  gemacht  hat.  Als  diejenigen  Anforderungen,  denen 
ein  Volksbad  unserer  Zeit  zu  entsprechen  hat,  zählt  Randel15  in 
richtiger  Weise  die  folgenden  auf:  1)  daß  das  Einzelbad  möglichst 
billig  abgegeben  werden  kann,  2)  daß  ein  solches  Bad  unbedingt  ein 
Reinigungsbad  sein  soll,  und  3) daß  seine  Benutzung  in  kürzester 
Zeit  erfolgen  kann,  denn  die  freie  Zeit  des  modernen  Menschen  jeder 
Berufsart  ist  kurz  bemessen  und  kostbar.  Das  Verdienst,  eine  allen 
diesen  Bedingungen  entsprechende  Badeform  ersonnen  und  deren  prak- 
tische Ausführbarkeit  dargethan  zu  haben,  gebührt  in  erster  Linie  dem 

*)  Siehe  Bd.   VII  dieses  Handbuchs. 
**)  Siehe  Bd.   V  dieses  Handbuchs. 


Volks-  und  Hausbäder.  87 

Ober-Stabsarzt   Dr.    Murin  ich   und   dem    Dr.  Lassar8  16,    wie    den 
Installationsfirmen  David  Grove11  und  Börner  &  Co.16. 

Es  erscheint  somit  natürlich,  daß  der  größere  Teil  des  Interesses 
an  den  Bauanlagen  und  technischen  Einrichtungen  der  eigentlichen 
Volksbäder  sich  auf  das  Brausebad  und  insbesondere  auf  jene  kleineren, 
geringe  Bau-  und  Betriebskosten  fordernden  Anlagen  erstrecken  wird, 
welche  in  der  Zukunft  bestimmt  erscheinen,  gerade  in  den  zahlreichen, 
weniger  begüterten  städtischen  und  ländlichen  Gemeinwesen  die  Bade- 
gewohnheit wieder  zur  allgemeinen  Volkssitte  zu  machen.  Dagegen  werden 
bei  den  Badeanstalten  der  größeren  Städte,  welche  zugleich  den  mannig- 
fachen Ansprüchen  eines  namhaften  Teils  bezüglich  der  Höhe  der  aufzu- 
wendenden Mittel  nicht  beschränkter  Besucher  zu  genügen  haben ,  die 
Räume  der  Schwimm-  und  Wannenbäder  den  Hauptcharakter  der  An- 
stalt bestimmen  sowohl  hinsichtlich  der  Raumverteilung,  wie  des  Be- 
triebes, während  die  Hinzufügung  von  Brausebädern  wesentlich  neue 
Elemente  des  baulichen  Organismus  nicht  mit  sich  bringen  wird. 


3.  Rücksichten  bei  Anlage  von  Volksbädern. 

Von  Wichtigkeit  für  das  Gedeihen  eines  Volksbades  wird  zunächst 
die  Wahl  eines  angemessenen  Bauplatzes  sein,  der  in  zweckentsprechender 
Weise  dem  Verkehr  desjenigen  Teiles  der  Bevölkerung  nahe  liegt,  für 
dessen  Gebrauch  dasselbe  errichtet  ist.  Als  dringend  erwünscht  muß 
es  ferner  hingestellt  werden,  daß  der  Eindruck  der  Bauanlage  im  Innern 
und  Aeußern  und  derjenige  ihrer  Umgebung  zu  einem  ansprechenden 
und  wohlgefälligen  gestaltet  werde,  so  daß  der  Genuß  des  Bades  dem 
Besucher  nicht  als  eine  notdürftige  Befriedigung  des  Reinigungsbedürf- 
nisses, sondern  als  eine  Annehmlichkeit  und  ein  Vergnügen   erscheint. 

Man  hat  bei  den  bisherigen  Ausführungen  mehrfach  die  Volksbade- 
anstalten mit  anderen,  dem  öffentlichen  Wohl  dienenden  Bauanlagen 
verbunden,  mit  Feuerwehrhäusern,  Turnhallen,  Desinfektionsanstalten ; 
zum  Teil  konnte  man  vorhandene  Bauplätze  durch  Zusammenlegung 
verschiedener  kleiner  Bauten  in  ausgiebigerer  Weise  ausnützen,  zum 
Teil  suchte  man  durch  solche  Vereinigung  Ersparnisse  der  für  die  An- 
lage der  Bäder  erforderlichen  Baukosten  herbeizuführen.  Solange 
unter  der  Verbindung  verschiedener  Zwecke  nicht  der  eine  oder  der 
andere  derselben  Not  leidet,  erscheinen  diese  Bestrebungen  ohne  Zweifel 
sehr  anerkennenswert.  Von  mindestens  gleicher  Bedeutung  erscheint 
es  jedoch,  einen  auf  die  Dauer  möglichst  billigen  Betrieb  der  Volks- 
bäder durch  die  Mitbenutzung  einer  vorhandenen  Dampfquelle  zu  er- 
streben. Die  W7ohlfahrts-  und  Nützlichkeitseinrichtungen  der  Städte: 
Krankenhäuser,  Elektricitäts-  und  Wasserwerke,  Desinfektionsanstalten 
u.  a.,  besonders  aber  die  meisten  großen  industriellen  Unternehmungen 
besitzen  in  ihren  Kesselanlagen  zumeist  ausreichende  Dampfquellen, 
durch  welche  unmittelbar  oder  mittelbar  unter  Benutzung  des  über- 
schüssigen Abdampfs  der  Maschinen  die  Erwärmung  der  für  ein  Brause- 
bad erforderlichen  Wassermenge  ohne  Schwierigkeit  und  fast  kostenlos 
mitgeleistet  werden  könnte.  Es  erscheint  vielleicht  gerade  bei  kleineren, 
mittellosen  Gemeinwesen  der  Industriebezirke  angezeigt,  die  Frage  der 
Anlage  von  Volksbädern  zunächst  unter  dem  Gesichtspunkte  der  mög- 
lichen Benutzung  einer  solchen  vorhandenen  Dampfquelle  zu  prüfen. 
Selbst  wenn  in  einzelnen  Fällen  auf  diesem  Wege  nur  Badegelegenheiten 

6* 
3 


88  R.    SCHULTZE, 

von  vorübergehendem  Bestände  geschaffen  werden  könnten,  wäre  dies 
für  das  gesundheitliche  Interesse  als  wesentlicher  Fortschritt  zu  er- 
achten. 

4,  Bestandteile  eines  Volksbades. 

Die  Bestandteile  des  Bauwerks  einer  für  die  öffentliche  Be- 
nutzung bestimmten  Volksbadeanstalt  werden  auch  bei  Bauten  kleinsten 
Maßstabes  die  folgenden  sein  müssen: 

a)  Räume  zur  Benutzung  der  Besucher:  Vorräume  und 
Warteräume ;  Korridore,  welche  zu  den  Baderäumen  führen ;  die  Bade- 
räume selbst,  die  Brause-,  Wannen-  und  Schwimmbäder  enthaltend ;  zweck- 
entsprechende Abortanlagen ; 

b)  Räume  für  den  Betrieb  der  Anstalt:  die  Kasse;  der 
Raum  für  die  Heizung  der  Anstalt  und  für  die  Erwärmung  des  Bade- 
wassers; die  Räume  für  die  Besorgung,  Trocknung  und  Aufbewahrung 
der  Badewäsche ;  endlich  Raum  zur  Aufbewahrung  von  Brennmaterialien. 

a)  Räume  für  die  Besucher  des  Bades. 

Bei  näherem  Eingehen  auf  die  Einzelheiten  ist  zunächst  hervor- 
zuheben, daß  es  als  wünschenswert  bezeichnet  werden  muß,  die  Trennung 
der  Geschlechter  schon  von  den  Eingängen  aus  durchzuführen.  Die 
Anlage  von  Vorräumen  oder  Windfängen  am  Eingange  bezweckt 
die  Abhaltung  der  Zugluft  von  den  Innenräumen  und  erweist  sich 
gerade  in  kleinen  Badeanstalten  in  besonderem  Maße  als  notwendig, 
da  die  Zugluft  beim  Fehlen  derartiger  Vorrichtungen  um  so  leichter 
den  ganzen  Raum  durchstreichen  und  zu  Belästigungen  und  Erkältungen 
der  Badenden  Veranlassung  geben  kann.  Für  ebenso  dringend  er- 
forderlich sollte  auch  überall  die  Anordnung  von  zugfreien,  für  beide 
Geschlechter  getrennten  Warteräumen  erachtet  werden.  Wo  die- 
selben fehlen ,  müssen  bei  augenblicklicher  Besetzung  aller  Badezellen 
die  Wartenden  entweder  auf  der  Straße,  dem  Wind  und  Wetter  ausge- 
setzt, ihren  Aufenthalt  nehmen,  oder  sie  werden  die  Korridore  vor  den 
Badezellen  füllen,  und  dies  dürfte  erst  recht  unzuträglich  erscheinen, 
da  hierdurch  der  Verkehr  behindert  und  die  erforderliche  Kontrolle  un- 
möglich gemacht  wird. 

In  den  Warteräumen  ist  für  das  Vorhandensein  von  Sitzgelegen- 
heiten zu  sorgen ,  und  sind  diese  letzteren ,  ebenso  wie  die  Wände 
der  Warteräume  bis  zur  Kopfhöhe  abwaschbar  herzustellen ;  passend 
wird  auch  eine  Trinkgelegenheit  in  diesen  Räumen  ihren  Platz  finden. 
Die  Ueberwachung  der  Warteräume  wird  in  den  meisten  Fällen  von 
dem  zwischen  ihnen  angeordneten  Kassenraum  stattfinden  können,  der, 
wenn  möglich,  so  anzulegen  ist,  daß  er  auch  zugleich  eine  Aussicht  auf 
die  Korridore  und  die  Thüren  der  Badezellen  bietet.  Die  bequeme 
Uebersichtlichkeit  aller  Innenräume  ist  gerade  für  Volksbadeanstalten 
bei  dem  nicht  eben  seltenen  Vorkommen  von  Personen ,  welche  die 
Neigung  besitzen ,  sich  über  die  bestehende  Ordnung  hinwegzusetzen 
oder  an  den  vorhandenen  Einrichtungen  Unfug  zu  verüben,  als  ein  un- 
bedingtes Erfordernis  zu  bezeichnen.  Diejenigen,  mehrfach  ausgeführten 
Grundrißformen ,  bei  welchen  die  Badezellen  um  den  Mittelpunkt  eines 
Achtecks  oder  Vierecks  angeordnet  und  die  Korridore  längs  der  Außen- 


Volks-  und  Hausbäder.  89 

wände  herumgeführt  sind,   können    daher   nicht   als  der  vorstehend  er- 
wähnten Bedingung  entsprechend  bezeichnet  werden. 

Die  eigentlichen,  selbstredend  für  Männer  und  Frauen  vollständig 
zu  trennenden  Bade  räume  werden  bei  Volksbädern  im  allgemeinen 
als  größere,  zusammenhängende  Räume  angeordnet,  in  welche  die  Zellen 
mit  niedrigen ,  2,0 — 2,20  m  hohen  Teilungswänden  eingebaut  werden. 
Diese  Baderäume  dürfen,  namentlich  bei  Brausebädern,  nicht  zu  niedrig 
sein,  da  sich  anderenfalls  in  Folge  der  durch  die  Handhabung  der  Brausen 
erfolgenden  größeren  Sättigung  der  Luft  mit  Wasserdampf  leicht  Nieder- 
schläge von  Wasser  an  Decken  und  Wänden,  sowie  an  den  Einrichtungs- 
gegenständen bilden. 

Für  Fußböden,  Decken  und  Wände  der  Baderäume  sind  derartige 
Materialien  zu  wählen,  welche  dem  Einflüsse  des  Wassers  und  feuchter 
Luft  möglichst  widerstehen ;  als  Bodenbeläge  sind  Cement-  und  Asphalt- 
estriche, Terrazzo  und  Thon-  oder  Steinzeugfliesen  wohl  zu  empfehlen. 
Die  Außenwände  der  Baderäume  werden  zum  Schutz  gegen  zu  starke 
Abkühlung  und  Bildung  von  Wasserniederschlägen  mit  Luftisolier- 
schichten zu  versehen  sein,  während  bei  den  Deckenkonstruktionen  un- 
verkleidete  Eisenteile  zu  vermeiden  sind,  da  das  Schwitzwasser  an  den- 
selben Rostbildung  erzeugt  und  herabtropfend  zu  unangenehmen  Flecken 
Veranlassung  giebt.  Geputzte  und  gewölbte  Decken  verdienen  für  die 
in  Rede  stehenden  Zwecke  entschieden  den  Vorzug. 

Für  eine  gute  Tages-  und  Abendbeleuchtung  ist  bei  der  Anlage 
der  Baderäume,  besonders  solcher,  welche  die  engen  Zellen teilungen 
der  Brausebäder  enthalten,  Vorsorge  zu  treffen,  doch  ist  andererseits 
die  Schaffung  sehr  großer,  zusammenhängender  Fensterflächen  zu  ver- 
meiden, weil  sich  während  der  Heizperiode  die  Luft  an  denselben  stark 
abkühlt  und  die  hierdurch  hervorgerufene  Luftbewegung  bei  den  Be- 
suchern das  Gefühl  von  Zugluft  hervorruft.  Sowohl  um  einen,  für  den 
Heizerfolg  nötigen  Umlauf  der  Luft  in  den  Baderäumen  zu  erzielen, 
wie  um  der  Ablagerung  von  Schmutz  an  den  Kanten  und  Winkeln  der 
Zellenscheidewände  vorzubeugen ,  sind  die  Unterkanten  dieser  Wände 
auf  kleinen  Eisen  stützen  derart  über  dem  Fußboden  erhaben  aufzu- 
stellen, daß  ein  freier  Raum  von  3 — 5  cm  Höhe  verbleibt. 

Die  zum  Zwecke  der  Brausebäder  dienenden  Bade- 
zellen, für  welche  im  allgemeinen  eine  Breite  von  1,20  m  und  eine 
Länge  von  2,50  m  als  zweckentsprechend  zu  bezeichnen  ist,  sind  fast 
stets  und  in  richtiger  Weise  geteilt  in  den  Aus-  und  Ankleideraum  und 
den  eigentlichen  Brauseraum.  Die  Umfassungswände  des  ersteren  können 
recht  wohl  aus  Holz,  sonst  auch  aus  Cement-  oder  Gipsputz  mit  Draht- 
geflechteinlage bestehen ;  notwendiges  Inventar  dieses  Raumes  ist  eine 
abwaschbare  Sitzbank ,  ein  kleiner  Spiegel  mit  Konsolbrett,  ein  Hut- 
und  mehrere  Kleiderhaken,  Stiefelknecht  und  Spucknapf,  sowie  ein  kleiner 
Lattenrost.  Die  sämtlichen  Gegenstände  sind  so  weit  als  möglich  an 
den  Wänden  fest  anzubringen.  Die  nach  den  Korridoren  führenden 
Thüren  der  Badezellen  sind  entweder  als  Schiebethüren  oder  nach  dem 
Innern  der  Zellen  aufschlagend  zu  gestalten  und  ihre  Verschlüsse  so 
herzustellen,  daß  die  Thüren  von  innen  jederzeit,  von  außen  nur  durch 
das  Aufsichtspersonal  zu  öffnen  sind.  Es  empfiehlt  sich,  auf  der  Außen- 
fläche der  Thüren  eine  kleine  Schiefertafel  einzulassen,  auf  welcher  der 
Badewärter  zur  Kontrolle  der  Benutzungsdauer  die  Zeit  des  jedesmaligen 
Benutzungsanfangs  notieren  kann. 


90 


R.    SCHULTZE, 


— te 


Als  Material  für  die  Umfassungswände  der  Brauseräume  sollte  nur 
ein  solches,  das  gegen  die  fortwährende  Einwirkung  von  warmem  Wasser 
und  Seife  sich  als  durchaus  beständig  erweist,  in  Frage  kommen; 
diesem  Zwecke  entsprechend  erscheinen  Wände  aus  Schiefer-,  Rohglas- 
oder Marmorplatten.  Die 
letzteren  werden  in  einer 
Badeanstalt  noch  viel  weniger 
als  ein  Luxus  anzusehen  sein, 
als  in  den  Aborten  unserer 
Bahnhöfe  und  besseren  Gast- 
wirtschaften ,  wo  sie  längst 
vielfach  Verwendung  gefunden 
haben.  Holz  und  Wellblech 
haben  sich  als  Material  für 
die  Wände  der  Brauseräume 
durchweg  nicht  bewährt;  oft 
angewendet  trifft  man  Cement- 
putz  -  (Monier  - )  Wände ,  mit 
Drahtgeflechteinlage ,  deren 
Sauberkeit  jedoch  lediglich 
von  der  durch  die  Bearbei- 
tung erreichten  Glätte  ihrer 
Oberfläche  und  der  Häufig- 
keit der  Erneuerung  ihres 
Anstriches  abhängig  erscheint. 
In  den  meisten  der  bisher 
ausgeführten  Volksbadean- 
stalten sind  die  Brauseräume 
von  den  zum  Aus-  und  An- 
kleiden dienenden  Zellenteilen 
durch  Vorhänge  von  Gummi- 
stoff oder  imprägniertem,  so- 
gen, wasserdichten  Leinen 
zur  Verhütung  des  Durch- 
spritzens  von  Wasser  getrennt. 
Diese  Vorhänge  haben  aller- 
orts der  dauernden  Einwirkung 
des  Wassers  nicht  wider- 
standen und  geben  durch  die  in  kurzer  Zeit  erfolgende  Zerfetzung  ihrer 
Unterkanten,  wie  auch  infolge  von  Beschmutzung  bei  hellen  Stoffen  und  teil- 
weiser Ablösung  der  Gummischicht  den  Bädern  ein  unsauberes  Aussehen. 
Man  sollte  diese  Vorhänge  daher  überhaupt  fortlassen,  was  wohl  angängig 
erscheint,  wenn  man  die  Oeffnung  der  Wand  zwischen  dem  Auskleide- 
raum und  Brauseraum,  für  welche  eine  Breite  von  50  cm  schon  ge- 
nügt, entsprechend  gering  macht  und  wenn  man  dem  Kopf  der  Brause 
eine  von  dieser  Oeffnung  abweisende  Richtung  giebt.  Der  Fußboden 
der  Brauseräume  wird  in  zweckmäßiger  Weise  durch  ein  aus  hell- 
farbigem Terrazzo  hergestelltes,  mit  Ab-  und  Ueberlauf  versehenes 
Becken  gebildet,  welches  zur  Fußreiniguug  zu  benutzen  ist.  Wo  Latten- 
roste zur  Belegung  der  Fußböden  in  den  Brauseräumen  verwendet  sind, 
haben  dieselben  sich  stets  nur  von  geringer  Dauer  erwiesen,  ebenso- 
wenig ist  das  Einstellen  von  Zinkwannen  zur  Fußreiuigung  wegen 
raschen  Verbrauchs  und  anderer  Uebelstände   zu  empfehlen.     Für  jede 


Fig.    1   und  2.      Brausezelle. 


Volks-  und  Hausbäder.  91 

einzelne  Brausezelle  sollte  ein  besonderer  Wasserablauf  vorgesehen 
werden,  da  der  Durchfluß  des  schmutzigen  Wassers  durch  mehrere 
Zellen  zu  Unzuträglichkeiten  führt.  Als  Inventar  der  Brauseräume  sind 
eine  Sitzrolle  aus  Zinkblech  und  ein  Seifennäpfchen,  beide  an  den  Wänden 
befestigt,  zu  erwähnen. 

Viele  Volksbäder  enthalten  neben  den  Brausebädern  auch  Warm- 
w asser- W7annenbäder,  weil  diese  Badeform  infolge  langer  Ge- 
wohnheit sehr  beliebt  ist.  Durch  die  Bemessung  der  für  die  Abgabe 
von  Wannenbädern  zu  erhebenden  Preise  ist  man  imstande,  das  finan- 
zielle Gedeihen  einer  Volksbadeanstalt  in  erhöhter  Weise  zu  sichern, 
zu  diesem  Zwecke  auch  eine  Teilung  dieser  Bäder  in  eine  I.  und  IL 
Klasse  einzuführen,  was  häufig  dem  Wunsche  einer  größeren  Anzahl  in 
den  Mitteln  nicht  aufs  knappste  beschränkter  Besucher  entsprechen 
wird  und  mit  einem  geringen  Mehr  an  Komfort  für  die  Bäder  der  I. 
Klasse  ausführbar  ist.  Der  bequemen  Ueberwachung  und  Uebersicht 
wegen  wird  mau  auch  die  W7annenbäder  in  der  Regel  in  einem  ein- 
heitlichen Baderaum  derart  anordnen ,  daß  die  Teilungswände,  wie  bei 
den  Brausebädern  beschrieben,  in  den  Raum  eingebaut  werden.  Die 
Trennungswände  werden  aus  Holz ,  als  Rabitz-  oder  Monierwände  her- 
gestellt; als  kleinste  Abmessungen  der  Zellen  ist  ein  Maß  von  1,80  m 
Länge  zu  1,80  m  Breite  anzusehen ;  zweckmäßig  sind  etwas  größere 
Zellenmaße,  doch  wird  man  in  Volksbädern  selten  über  Größen  von 
2,0:3,0  m  hinausgehen.  An  notwendigem  Inventar  der  W'annenzellen 
genügt  das  gleiche,  welches  bei  den  Aus-  und  Ankleidezellen  der  Brause- 
bäder aufgeführt  ist;  vervollständigen  kann  man  dasselbe,  etwa  für 
Bäder  I.  Klasse,  durch  Hinzufügung  eines  Ruhelagers  und  eines  Nacht- 
tischchens mit  entsprechenden  Inhalt. 

Als  Badewannen  werden  in  den  Volksbädern  der  Dauerhaftigkeit 
und  Sauberkeit  sowie  der  verhältnismäßigen  Billigkeit  wegen  zumeist  solche 
aus  emailliertem  Gußeisen  verwendet,  die  —  frei  auf  den  Fußboden  gestellt 
—  weder  mit  der  Zufluß-  noch  mit  der  Abflußleitung  fest  verbunden 
sind,  so  daß  sie  gelegentlich,  um  den  Raum  hinter  und  unter  ihnen  zu 
reinigen ,  von  ihrem  Standort  abgerückt  werden  können.  Bei  dieser 
Einrichtung  erscheint  auch  die  Anbringung  von  Ueberläufen  an  den 
Wannen,  die  lediglich  zur  Wasserverschwendung  Veranlassung'  geben 
können,  entbehrlich.  Häufig  vertieft  man  den  Fußboden  der  Wannen- 
zellen um  die  Stärke  eines  Lattenbodens  gegen  die  Gänge  und  stellt 
dann  die  WTanne  ebenfalls  vertieft  auf  diesen  Fußboden,  dem  man  Ge- 
fälle nach  dem  Abflußrohr  der  WTannen  giebt;  als  Vorteil  ist  größere 
Bequemlichkeit  des  Einsteigens  in  die  WTannen  anzuerkennen,  als  Nach- 
teil die  Notwendigkeit  großer  Lattenrostflächen  und  die  Schwierigkeit, 
diese  wie  den  Boden  unter  ihnen  stets  ganz  sauber  zu  halten.  Von 
Wichtigkeit  erscheint  die  Form  der  Badewannen  für  die  Zwecke  der 
Volksbäder  insoweit,  als  dieselbe  einen  unnötigen  Verbrauch  von  warmem 
Wasser  nicht  begünstigen  soll  —  es  genügt  für  ein  Wannenbad  eine 
Wassermenge  von  200  1;  daß  zu  große  Höhe  der  Umwandungen  und 
scharfkantige  Ränder  an  der  Wanne  unbedingt  zu  vermeiden  sind, 
sei  nebenbei  erwähnt.  Als  recht  brauchbar  hat  sich  in  verschiedenen 
Volksbädern  eine  vom  Eisenwerk  Lauchhammer  verfertigte  W7anne  von 
folgenden  Abmessungen  bewährt: 

obere  Länge  1,62   m 

Bodenlänge  1,44  „ 


92 


R.    SCHULTZE, 


obere  gröfste  Breite  am  Kopf-  und  Fufsende  o,62  m 

untere      „  „       „         „        „  „  o,47   „ 

Höhe  vom  Wannenboden  (innen)  0,56  ,, 

Höhe  vom  Fafsboden  bis  Wannenrand  0,68   „ 

Kopf-  und  Fußende  der  Wanne    sind  halbkreisförmig  abgerundet.     Die 
zu  einem  Bade  genügende  Wasseitiefe  beträgt  0,25  m. 

Die  folgende  Auswahl  von  Grundrissen  ausgeführter  Volksbade- 
anstalten, sowohl  solcher,  die  nur  für  Brausebäder,  wie  solcher,  die  für 
Brause-  und  Wannenbäder  eingerichtet  sind,  möge  darlegen,  in  wie 
mannigfaltiger  Weise  die  bei  der  Herstellung  dieser  Bauanlagen  ge- 
stellten Aufgaben  zur  Lösung  gebracht  worden  sind. 


£n/Qrse^car. 


Fig.   3.     Brausebad  zu  München. 


Fig.  4.     Volksbad  zu  Mannheim. 


Die  Benutzung  von  Schwimmbädern  zum  Zwecke  der  Volks- 
gesundheitspflege besitzt  den  Vorteil,  daß  mit  der  Befriedigung  des 
Badebedüifnisses  zugleich  eine  die  Gesundheit  fördernde,  anregende 
körperliche  Bewegung  verbunden  ist.  Da  jedoch  in  einer  für  den  all- 
gemeinen Gebrauch  des  Volkes  bestimmten  Badeanstalt  der  Zweck  der 
Körperreinigung  als  der  weitaus  wichtigste  zu  erachten,  und  da  der 
Gebrauch  von  Seife  im  Schwimmbassin  als  völlig  unstatthaft  zu  be- 
zeichnen ist,  wird  mit  einem  Volksschwimmbade  stets  eine  möglichst 
ausgiebig  bemessene   Zahl    von   Reinigungsbädern    zu   verbinden    sein. 

Im  Vergleich  mit  den  Brause-  und  Wannenbädern  hat  das  Schwimmbad 
den  Nachteil  größerer  Kostspieligkeit  in  der  Anlage  und  im  Betriebe 
und  größeren  Raumbedarfes  für  den  einzelnen  Besucher.  Denn  während 
für  eine  Brausezelle  mit  Aus-  und  Ankleideraum  3  qm,  für  eine  Wannen- 
badzelle 4  qm  genügen,  bedarf  ein  Schwimmer  im  Bassin  etwa  8  qm, 
ein  Nichtschwimmer  etwa  1,5  qm,  jede  badende  Person  also  durch- 
schnittlich   ^ —  =  4,8  qm  Bassinfläche,  wozu  an  Zellen-  oder  Bank- 

räum  noch  1 — 1,5  qm  zu  rechnen  sind ,  so  daß  sich  insgesamt  etwa 
6  qm  für  die  Person  ergeben,  abgesehen  von  der  gegenüber  den  Wannen- 
und  Brausebädern  erforderlichen  erheblichen  Mehrfläche  für  den  Bassin- 
umgang, Reinigungsbäder,  Brausen  u.  a.  Die  Ertragsfähigkeit  der 
Schwimmbäder  wird  daher  in   den   meisten  Fällen  auf  der  Benutzung 


Volks-  und  Hausbäder. 


93 


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Fig.   5.     Grove's  Volksbad. 


Eingang 
fürManner. 


Eingang 
rauen. 


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Fig.   6.     Volksbad   zu  Hannover. 


94 


R.    SCHULTZE. 


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Fig.   7.      Volksbad  zu   Braunschweig. 


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Fig.  8.     Volksbad  zu  Mainz. 


Fig.  9.     Volksbad  zu   Berlin. 


Fig    10.     Volksbad  zu  Köln. 

TO 


Volks-   und  Hausbäder. 


95 


derselben  durch  eine  nicht  mehr  zu  den  Unbemittelten  rechnende  Klasse 
der  Bevölkerung  beruhen. 

Ueber  die  bauliche  Gestaltung  der  Schwimmbäder,  das  Erfordernis 
ihrer  Anlage  in  hohen ,  durch  Seitenlicht  beleuchteten  Hallen ,  wenn 
möglich  mit  besonderen  äußeren  Zugängen  zu  den  Zellen  und  inneren 
Bassinumgängen,  über  die  Einrichtung  der  Bassins  bezüglich  ihrer  tech- 
nischen Herstellung,  der  Tiefe,  des  Wasserzu-  und  ablaufs  u.  a.  fehlt 
es  nicht  an  ausführlichen  Angaben  in  einer  reichhaltigen  Litteratur.  Als 
ausgeführte  Beispiele  von  Volkschwimmbädern  seien  hier  das  Volksbad 
im  Hohenstaufenbade  zu  Köln  und  das  Offen  burger  Stadtbad  angeführt, 
beide  für  ihren  Zweck  in  besonderem  Maße  ausgerüstet  durch  eine 
reichliche  Verbindung  mit  Reinigungsbädern,  Brauseduschen  und  Becken 
für  Gesichtswaschung,  Körper-  und  Fußreinigung. 


//ieftiberdu  tityniwg für  dm  /hyx-p 


HtuH&o-dKHÜmgfiirilmflafckiiusic* 


Fig.   11.     Stadtbad  zu  Offenbach. 


Der  Gebrauch  von  Dampf-  (russischen)  und  Heißluft-  (römisch- 
irischen) Bädern  wird  sich  nach  dem  derzeitigen  Stande  der  Sachlage 
für  die  große  Menge  des  Volkes  im  wesentlichen  auf  einzelne  Fälle, 
zu  denen  ärztlicher  Rat  die  Veranlassung  giebt,  beschränken;  die  ein- 
gehendere Erwähnung  dieser  Badeformen,  bezüglich  deren  es  auch  an- 
derwärts nicht  an  Angaben  fehlt,  kann  daher  an  dieser  Stelle  füglich 
unterbleiben. 


96 


R.    SCHULTZE, 


Die  Anordnung  von  Aborten  ist  auch  bei  den  kleinsten  Bade- 
anstalten als  notwendig  zu  bezeichnen.  Wie  überhaupt  bei  den  für 
den  öffentlichen  Gebrauch  bestimmten  Bedürfnisanstalten  sollten  dieselben 
derart  eingerichtet  sein,  daß  Beschmutzungen  der  Sitze  verhindert 
werden  und  die  etwa  zur  Spülung  zu  handhabenden  Apparate  einfach, 
etwaigen  Beschädigungen  möglichst  wenig  ausgesetzt  sind.  Bei  den 
Klosetts  hat  sich  die  Anwendung  von  Sitzen  aus  abgerundeten  schmalen 
Holzkränzen  mit  darunter  befindlicher  Blecheinfassung  des  Beckens, 
sowie  eine  Spülung  mittels  einfacher  Knebelhähne  bewährt,  bei  den 
Pissoirs   die  Anordnung   einer   erhöhten  Bordschwelle   vor  den  Becken 


Fig.   12.      Stadtbad  zu  Offenbach. 


Detail  der  Reiuigungsbäde  r. 


oder  Ständen,  um  ein  Zurücktreten  der  Benutzenden  in  den  Raum  und 
umfangreiche  Beschmutzungen  des  Fußbodens  unmöglich  zu  machen. 
Der  Fußboden  der  Pissoirräume  ist  ausreichend  in  Gefälle  zu  legen  und 
mit  genügend  großer  Bodenentwässserung  zu  versehen. 


b)  Räume  zum  Betriebe  der  Anstalt. 

Von  den  notwendigen  Betriebsräumen  der  Volksbadeanstalten 
ist  zunächst  der  Kasse  Erwähnung  zu  thun.  Dieselbe  ist  stets  so 
unterzubringen,  daß  sie  für  die  Männer-  und  Frauen  ab teilung  zugleich 
dient  und  daß   von   derselben   aus,    wenn    möglich,    eine   unmittelbare 


Volks-  und  Hausbäder. 


97 


i    i       i    i 


Fig    14.      Volksschwimmbad  im  Hohenstaufenbade    zu  Köln. 


Fig.   15.     Volksschwimmbad  im  Hohenstaufenbade  zu  Köln. 


'3 


98  R.    SCHULTZE, 

Ueberwachuug  aller  für  die  gemeinsame  Benutzung  der  Besucher  be- 
stimmten Räume  erfolgen  kann.  Wo  der  für  ein  Bad  gezahlte  Preis 
zugleich  die  Verabreichung  von  Handtüchern  in  sich  schließt,  wird  eine 
handgerechte  Aufbewahrung  der  zur  Ausgabe  fertigen ,  sowie  die  Ge- 
legenheit, sich  der  gebrauchten  Badewäsche  zu  entledigen  vorzusehen 
sein.  Der  Raumbedarf  für  die  Aufbewahrung  von  Handtüchern  ist  ein 
derartiger,  daß  für  1000  Stück  etwa  1,5  qm  Regalansichtsfläche  ge- 
nügt. Die  Zahl  der  zu  beschallenden  Handtücher  muß  mindestens 
das  Dreifache  der  an  einem  Tage  zu  verabreichenden  Höchstzahl  der 
Bäder  betragen. 

Die  Räume  für  die  Heizung  des  Badewassers  und  der  An- 
staltsräume nebst  den  Waschräumen  sind  bei  Volksbädern,  in  welchen 
der  Badewärter  zugleich  die  Obliegenheiten  des  Kassierers  und  Heizers 
mit  zu  versehen  hat,  in  direkte,  bequeme  Verbindung  mit  dem  Kassen- 
raum zu  bringen  und  derart  übersichtlich  und  gut  beleuchtet  zu  gestalten, 
daß  die  Bedienung  der  Feuerungen  und  die  Aufsicht  über  die  Wäsche- 
reinigung mit  einem  Mindestteil  von  Arbeit  zu  leisten  ist.  Bei  größeren 
Anlagen,  welche  die  Anstellung  besonderer  Heizer,  bezw.  Maschinisten 
erforderlich  machen,  wird  es  praktischer  sein,  den  Heizungsbetrieb 
völlig  außerhalb  der  dem  Badebetriebe  dienenden  Räume  zu  verlegen, 
doch  wird  auf  die  Möglichkeit  einer  leichten  Verständigung  zwischen 
dem  Heizer-  und  dem  Badewärterpersonal  stets  Wert  zu  legen  sein. 
Derselbe  Unterschied,  wie  bei  der  Anordnung  der  Heizräume  in  größeren 
und  kleineren  Anlagen,  wird  bezüglich  der  Räume  für  Reinigung 
und  Trocknung  der  Badewäsche  zu  gelten  haben,  auch  diese 
sind  dem  Bedürfnis  voll  entsprechend,  übersichtlich  und  geräumig  vor- 
zusehen und  für  die  Aufstellung  und  Bedienung  aller  Apparate  bequem 
herzurichten.  Diese  Aufstellung  hat  natürlich,  um  unnötigen  Wäsche- 
transport zu  vermeiden,  derart  zu  erfolgen,  wie  es  der  Fortgang  der  Wäsche- 
besorgung mit  sich  bringt.  An  Einrichtungsgegenständen  der  Wäscherei 
sind  für  eine  mittelgroße  Badeanstalt  ein  paar  Einweichbottiche,  zwei 
Laugenfässer,  ein  Kochfaß,  eine  Waschmaschine,  ein  Handwaschtrog, 
ein  Spülbottich,  eine  Centrifuge,  ein  Trockenapparat  mit  der  entspre- 
chenden Anzahl  von  Coulissen,  sowie  eine  Wäschemangel  erforderlich. 
Bei  kleineren  Anlagen  werden  die  ersteren  Gegenstände  nur  in  ein- 
facher Zahl  benötigt  sein,  man  wird  die  Waschmaschine  entbehren, 
auch  den  Dampftrockenschrank  öfter  mit  Vorteil  durch  einen  Trocken- 
raum ,  in  welchem  die  überschüssigen  Heizgase  der  WTarmwasserbe- 
reitungsapparate ,  bezw.  besondere  Feuerungen  zur  Wäschetrocknung 
verwendet  werden,  ersetzen  können;  bei  großen  Anlagen  wird  man  da- 
gegen zum  Betrieb  der  WTaschapparate  und  Centrifugen  Dampfkraft  zur 
Anwendung  bringen. 

Der  Kohlenraum  endlich  werde  so  eingerichtet ,  daß  er  zweck- 
mäßig zu  den  Feuerstellen  belegen,  nicht  einen  erheblicheren  Transport 
der  Brennmaterialien  erforderlich  macht  und  derart  geräumig  ist,  daß 
er  eine  größere  Menge  von  Feuerungsmaterial  auf  einmal  aufnehmen 
kann,  letzteres  zu  dem  Zwecke,  um  das  mit  häufiger  Kohlenanfuhr 
verbundene  Verstauben  und  Verschmutzen  des  Gebäudes  im  Innern  und 
Aeußern  zu  verhüten. 

5.  Die  technischen  Einrichtungen. 

Nächst  einer  zweckentsprechenden  baulichen  Gestaltung  der  Volks- 
badeanstalten ist   die  sachgemäße   Herstellung    der    besonderen    tech- 

14 


Volks-  und  Hausbäder.  99 

nischen  Einrichtungen  zur  Beschaffung ,  Erwärmung ,  Leitung  des  zu 
benutzenden  Wassers,  sowie  zur  Heizung  und  Lüftung  der  Anstalt  von 
größter  Wichtigkeit  für  einen  dauernd  ungestörten  Betrieb.  Hierbei 
ist  als  Grundsatz  hinzustellen,  daß  an  alle  Apparate  sowohl  hinsichtlich 
der  Bemessung  ihrer  Leistungsfähigkeit,  wie  hinsichtlich  der  Gediegen- 
heit ihrer  Ausführung  die  höchsten  Ansprüche  zu  stellen  sind,  um  in 
einem  fortdauernden,  häufig  bis  zu  den  Grenzen  des  Zureichenden  ge- 
steigerten Betriebe  und  unter  der  Behandlung  einer  Bevölkerungsklasse, 
von  der  eine  Schonung  der  ihrem  Gebrauch  unterworfenen  Einrichtungs- 
gegenstände nicht  zu  erwarten  ist,  für  eine  lange  Zeit  die  volle  Be- 
triebsfähigkeit bewahren  zu  können. 

Für  dieWTasserbeschaffung  wird  bei  kleineren  Badeanstalten 
zunächst  die  Versorgung  durch  den  Anschluß  an  eine  städtische  Wasser- 
leitung in  Orten,  wo  eine  solche  vorhanden  ist,  in  Frage  kommen.  Aller- 
dings kann  der  Preis  dieses  Leitungswassers ,  wenn  er  nach  den  für 
die  Abgabe  an  Private  bestehenden  Tarifen  bemessen  wird,  unter  Um- 
ständen für  das  wirtschaftliche  Gedeihen  des  Volksbades  von  ungünstigem 
Einflüsse  sein.  Die  Gemeinden  und  Wasserwerksgesellschaften  sollten 
jedoch,  wo  dies  zu  erwarten  steht,  in  der  Einsicht,  daß  die  Volksbäder 
Anstalten  von  hoher  Bedeutung  für  die  körperliche  Gesundheit  und 
sittliche  Erhebung  gerade  der  ärmsten  Volksklassen  werden  sollen,  die 
Lieferung  des  Wassers  für  diese  Zwecke  wenigstens  zum  Selbstkosten- 
preise, wenn  eine  unentgeltliche  Abgabe  nicht  thunlich  ist,  gewähren. 
In  Orten  eines  Industriebezirks,  welche  keine  öffentliche  Wasserver- 
sorgung besitzen,  wird  sich  vielleicht  öfters  die  Wasserbeschaffung  für 
eine  kleinere  Brausebadanlage  durch  Anschluß  an  eine  bestehende  pri- 
vate Wasserhebungsanlage  ermöglichen  lassen.  Treffen  alle  diese  Vor- 
aussetzungen nicht  zu,  so  wird  man  auf  den^Bezug  des  Wassers  durch 
Leitung  aus  Quellen  oder  durch  Hebung  aus  Brunnen  oder  Flüssen  an- 
gewiesen sein ,  wobei  die  Förderung  durch  Handpumpen  oder  durch 
Pulsometer  zu  bewirken  ist ;  dieses  Wasser  wird,  wenn  es  zum  Gebrauch 
nicht  die  genügende  Reinheit  besitzt,  durch  Filtrierung  zu  reinigen 
sein.  Für  Schwimmbäder  und  größere,  mit  Maschinenkraft  versehene 
Badeanstalten  wird  ohnehin  wegen  der  bei  Entnahme  des  Wassers  aus 
der  städtischen  Wasserleitung  meist  erheblichen  Kosten  die  unmittel- 
bare Wasserversorgung  aus  Brunnen  oder  Flüssen  in  Erwägung  zu 
ziehen  sein. 

Der  Wasserbedarf  an  warmem  und  kaltem  Wasser  für  eine 
Badeanstalt  berechnet  sich  in  einfacher  Weise  aus  der  Anzahl  und  der 
Häufigkeit  der  Benutzung  der  vorgesehenen  Brausen  und  Wannen,  dem 
Inhalt  des  Schwimmbassins,  der  Zahl  der  Reinigungsbäder,  dem  Um- 
fange der  Wäscherei  u.  a.  Eine  ausführliche  Anleitung  zur  genauen 
Berechnung  enthält  Klinger's  Schrift  „Die  Badeanstalt"9. 

Für  ein  Brausebad  genügt  die  Annahme  eines  Verbrauchs  von  40  1 
warmen  und  20  1  kalten  Wassers  bei  einer  Benutzungsdauer  von 
20  Minuten  für  jedes  Bad.  Das  warme  Wasser  soll  eine  Temperatur 
von  35°  C.  besitzen.  Für  ein  Wannenbad  geniigen  200  1  warmen  Was- 
sers und  etwa  30  1  Ausspülwasser;  die  Dauer  der  Besetzung  eines 
Bades  ist  auf  30  Minuten  anzunehmen.  Die  genannten,  für  das  Reini- 
gungsbedürfnis völlig  genügenden  Zahlen  erscheinen  geringer,  als  die 
für  größere  Badeanstalten  gewöhnlich  angenommenen  Einheitszahlen 
des  Wasserverbrauchs ;  es  ist  jedoch  zu  erwägen ,  daß  die  thunlichste 
Einschränkung  im  Verbrauch  von  warmem  Wasser  zugleich  eine  wesent- 


100  R.    SCHULTZE, 

liehe  Ersparnis  an  Heizungs-  und  Betriebskosten  bedeutet  und  daß  die 
Verabreichung  billiger  Bäder  hierdurch  erst  ermöglicht  wird. 

Ueber  den  Wasserverbrauch  von  Schwimmbädern  sei  erwähnt,  daß 
derselbe  je  nach  der  Größe  des  Bassininhalts  */25  bis  1/40  des  letzteren 
beträgt,  und  daß  für  jedes  Reinigungsbad  und  jede  Brause  im  Schwimm- 
bade rund  je  600  1  warmen  Wassers  als  stündlicher  Verbrauch  zu 
rechnen  sein  werden. 

Endlich  kommt  für  den  Wasserbedarf  noch  der  Betrieb  der  Wäscherei 
in  Betracht.  Für  die  Reinigung  eines  Handtuchs  einschl.  Einsetzen, 
Kochen  und  Waschen  wird  man  im  allgemeinen  einen  Verbrauch  von 
3  1  warmen  Wassers  und  zum  Spülen  einen  solchen  von  2,5  1  kalten 
Wassers  als  hinreichend  annehmen  können ,  während  die  Zahl  der  an 
einem  Tage  zu  reinigenden  Handtücher  mindestens  gleich  der  Höchst- 
zahl der  Bäder  zu  rechnen  ist,  deren  Verabreichung  an  einem  Tage  bei 
ununterbrochenem  Betrieb  möglich  ist. 

Die  Erwärmung  des  Badewassers  wird  nur  bei  größeren 
Anlagen,  bei  welchen  die  Leitung  von  Wärme  auf  weitere  Entfernung, 
die  Beschaffung  großer  Mengen  warmen  Wassers,  sowie  der  Betrieb 
maschineller  Einrichtungen  in  Frage  kommt,  mittels  Hochdruckdampf 
zur  Ausführung  gelangen.  Außerdem  jedoch  in  denjenigen  Fällen,  wo 
eine  Volksbadeanstalt  von  der  vorhandenen  Dampfquelle  'einer  gewerb- 
lichen Anlage  abhängig  gemacht  ist.  Für  die  Hochdruck-Dampfkessel 
werden  Typen  mit  großem  Dampf-  und  großem  Wasserraum  zu  wählen 
sein,  um  eine  gleichmäßige  Dampfentwickelung  und  Spannung  auch  bei 
dem  in  der  Intensität  stark  wechselnden  Betriebe  der  Anstalt  sicher- 
zustellen. Für  mittelgroße  Badeanstalten  sind  mehrfach  Niederdruck- 
Dampfkessel  angewendet  worden,  deren  Vorteile  bekanntlich  darin  be- 
stehen ,  daß  sie  mit  geringem  Ueberdruck  arbeiten  und  mit  offenem 
Standrohr  versehen  sind ,  sodaß  sie  an  beliebiger  Stelle  unter  den 
Baderäumen  zur  Aufstellung  gelangen  können.  Die  Wartung  ist  in- 
folge der  Feuerungseinrichtung  als  Füllfeuerung  und  der  Verbindung 
derselben  mit  selbstthätigen  Zugregulatoren  bequem  und  einfach,  auch 
kann ,  wie  beim  Hochdruck-Dampfkessel ,  zugleich  die  Beheizung  der 
Baderäume  durch  dieselben  Apparate  besorgt  werden.  Nur  läßt  sich 
eine  augenblickliche  rasche  Verstärkung  des  Betriebes,  die  bei  dem 
stark  wechselnden  Besuche  der  Badeanstalten  häufig  erforderlich  ist, 
mit  diesen  Apparaten  nicht  wohl  ausführen. 

Die  Erwärmung  des  Badewassers  mittels  Niederdruckdampf  erfolgt 
indirekt  dadurch,  daß  der  Dampf  in  Kupferspiralen  durch  das  zu  er- 
wärmende Wasser  geleitet  wird  und  seine  Wärme  an  dasselbe  abgiebt. 
In  gleicher  Weise  kann  die  Wassererwärmung  auch  durch  Hochdruck- 
dampf erfolgen,  jedoch  ist  hierbei  außerdem  ein  direktes  Einströmen- 
lassen des  Dampfes  in  das  zu  erwärmende  Wasser  mittels  Dampf- 
strahlapparaten und  somit  eine  unmittelbare  Erwärmung  desselben 
möglich. 

Für  Badeanstalten  kleineren  Umfanges  werden  neben  einer  Reihe 
anderer  Vorrichtungen  in  der  Regel  geschlossene,  mit  Siederohren 
durchzogene  Warmwasser-Heizkessel  benutzt,  die  durch  Umlaufleitungen 
mit  den  über  den  Baderäumen  stehenden  offenen  Warmwasserbehältern 
verbunden  sind.  Bei  Vorhandensein  von  Wasserleitung  erfolgt  die 
Speisung  dieser  letzteren  Behälter  in  der  Regel  direkt  aus  der  Leitung 
durch  Schwimmkugelhähne,  die  in  besonderen  kleinen  Reservoirs  unter- 
gebracht sein  müssen,  da  sie  im  heißen  Wasser  leicht  schadhaft  werden. 

16 


Volks-  und  Hausbäder.  101 

Falls  das  zum  Betriebe  der  Bäder  erforderliche  Wasser  nicht  aus  der 
Wasserleitung  entnommen,  sondern  aufgepumpt  wird,  ist  die  Aufstellung 
von  Kaltwasserbehältern  erforderlich  zur  Speisung  der  Warmwasser- 
behälter. Die  Grüße  der  Warmwasserbehälter  wird  in  der  Regel  auf 
einen  halbstündlichen  Wasserbedarf  bei  stärkstem  Betriebe,  diejenige  der 
Kaltwasserbehälter  auf  einen  stündlichen  Wasserbedarf  bemessen.  Alle 
Behälter  sind  mit  Zulauf  und  Ablauf,  Ueberlauf  und  Entleerung  zu  ver- 
sehen. In  Volksbädern  mit  Wannen-  und  Brausebädern  wird  es  vor- 
teilhaft sein,  für  jede  der  beiden  Badeformen  besondere  W'armwasser- 
behälter  zu  benutzen,  da  das  für  die  Wannen  zu  gebrauchende  Wasser 
hinsichtlich  des  Wärmegrades  nicht  so  genau  reguliert  zu  werden 
braucht,  bezw.  mit  Vorteil  höher  erwärmt  werden  kann,  als  das  Brausen- 
wasser. Wasserstand  und  Wärmegrad  des  in  den  Behältern  befindlichen 
warmen  Wassers  müssen  für  die  Bedienungsmannschaften  leicht  erkennt- 
lich sein. 

Da  der  Betrieb  einer  Badeanstalt  ungemein  stark  wechselt,  derart 
daß  zeitweise  eine  drei-  bis  viermalige  Benutzung  jeder  W7annenbadzelle 
und  eine  sechs-  bis  siebenmalige  jeder  Brausebadzelle  in  der  Stunde 
vorkommt,  so  ist  bei  der  Bemessung  aller  Einrichtungen  für  die  Er- 
wärmung des  Badewassers  unbedingt  die  größte  Ausgiebigkeit  der 
Leistung  und  die  Schaffung  einer  Reserve  vorzusehen,  denn  auf  diesen 
Apparaten  beruht  naturgemäß  in  erster  Linie  die  Betriebsfähigkeit  und 
Leistungsfähigkeit  der  ganzen  Badeanstalt. 

Die  Rohre  der  Wasserleitungen  sind  in  den  Baderäumen 
zweckmäßig  so  zu  verlegen,  daß  dieselben  möglichst  dicht  über  dem 
Fußboden  und  frei  auf  den  W7änden  liegen  und  besonders  an  den  Ver- 
bindungsstellen und  Dichtungen  einer  Prüfung  stets  zugänglich  sind. 
Für  Kaltwasserleitungen  wählt  man  zumeist  Rohre  aus  Schmiedeeisen, 
die  zum  Schutz  gegen  Rostbildung  verzinkt  werden,  seltener  Kupfer- 
oder Bleirohre ;  für  Rohrweiten  über  60  mm ,  sowie  für  im  Erdboden 
liegende  Rohrstränge  werden  gußeiserne  asphaltierte  Rohre  verwendet. 
Für  Warmwasserleitungen  sind  in  erster  Linie  Kupferrohre,  sodann  ver- 
zinkte Schmiederohre  zu  empfehlen,  während  sich  Bleirohre  der  schnellen 
Zerstörung  wegen  nicht  eignen.  Bei  der  Verlegung  des  Rohrnetzes  ist 
die  Möglichkeit  einer  vollständigen  Entleerung  desselben,  also  bei  hori- 
zontalen Leitungen  eine  Verlegung  mit  Gefälle  nach  den  Zapfstellen 
vorzusehen.  Kaltwasserleitungen  sollten  nicht  frei  über  den  Badezellen 
hin  weggeführt  werden,  da  das  Abtropfen  des  an  den  kalten  Rohren 
sich  niederschlagenden  Wassers  den  Besuchern  des  Bades  lästig  fällt. 
Die  Rohrweiten  der  Wasserzuleitungen  werden  in  der  Regel  derart  ge- 
wählt, daß  die  Rohre  für  getrennte  Zuleitung  von  warmem  und  kaltem 
Wasser  zu  einer  Badewanne  je  26  mm  lichte  Weite  erhalten,  diejenigen 
für  den  gemeinsamen  Zufluß  warmen  und  kalten  Wassers  33  mm  Weite. 
Das  Zuflußrohr  des  warmen  Wassers  für  je  eine  Brause  wird  20  mm, 
dasjenige  des  kalten  Wassers  13  mm  inneren  Durchmesser  erhalten; 
für  jedes  Wasserklosett  werden  20  mm,  für  jede  Zapfstelle  13 — 20  mm 
Rohrweiten  anzunehmen  seiu.  Die  Stränge  der  Warm-  und  Kaltwasser- 
leitungen sind  durch  Einschaltung  von  Absperrschiebern  derart  in  ein- 
zelne ,  von  einander  unabhängige  Systeme  zu  teilen ,  daß  beim  Vor- 
kommen irgend  einer  Unregelmäßigkeit  die  Ausschaltung  des  betreffenden 
Rohrstranges  erfolgen  kann,  ohne  daß  der  Betrieb  der  ganzen  Anstalt 
eine  Unterbrechung  erleidet. 

Für  die  Abflußleitungen  werden  die  Rohrstränge  innerhalb  der  Ge- 
Handbuch der  Hygiene.    Bd.  VI.  ( 

17 


102  R.   SCHULTZE, 

bäude  und  an  solchen  Stellen  im  Erdboden,  wo  sie  nur  geringe  Deckung 
haben,  aus  asphaltierten  Gußeisenrohren  hergestellt,  während  für  Lei- 
tungen ,  die  mit  genügender  Deckung  im  Erdboden  liegen ,  gewöhnlich 
Thonrohre  zur  Verwendung  kommen.  Für  eine  zweckentsprechende 
Einschaltung  von  Wasserverschlüssen  in  die  Abflußleitungen  zur  Ver- 
hinderung des  Eindringens  der  Kanaldünste  in  die  Baderäume  wird 
ebenso,  wie  für  die  Anordnung  von  Reinigungsflanschen  zur  be- 
quemen Beseitigung  etwa  vorkommender  Verstopfungen  Sorge  zu 
tragen  sein. 

Die  Hähne  zur  Füllung  der  Badewannen  wird  man  in  Volks- 
badeanstalten im  allgemeinen  zur  Verhütung  von  Wasservergeudung 
derart  gestalten,  daß  deren  Oeffnung  und  Schließung  mittelst  losen  Auf- 
steckschlüssels erfolgt,  sodaß  die  Bedienung  nur  durch  den  Wärter 
möglich  ist.  Man  läßt  das  warme  und  kalte  Wasser  am  einfachsten 
von  oben  frei  in  die  Wanne  einströmen ;  durch  gleichzeitiges  Oeifnen 
der  Hähne  für  kaltes  und  warmes  Wasser  kann  die  Entwickelung  von 
Dämpfen  hierbei  vermieden  werden. 

Dieselbe  Rücksicht  auf  einen  sparsamen  Verbrauch  von  warmem 
Wasser  hat  auch  zu  eigenartigen  Konstruktionen  der  Warmwasser- 
brausen geführt,  indem  dieselben  aus  mit  ihnen  verbundenen  kleinen 
Wasserbehältern,  welche  die  für  jedes  Brausebad  bemessene  Wasser- 
menge von  30—40  1  Inhalt  enthalten ,  gespeist  werden ,  während  der 
Verbrauch  einer  weiteren  Menge  warmen  Wassers  erst  wieder  nach 
einer  geraumen  Zeit  möglich  ist.  Eine  derartige  Brausevorrichtung, 
von  der  Firma  Börner&Co.  in  Berlin * 5  erfunden ,  ist  in  vielen 
Volksbädern  im  Gebrauch.  Gegenüber  dem  Vorzuge  der  Gewährleistung- 
größtmöglicher  Ersparnis  an  warmem  Wasser  und  somit  an  Heizung 
und  Betriebskraft  ist  als  Nachteil  etwa  zu  erwähnen ,  daß  die  Vor- 
richtung nicht  ganz  einfach  ist  und  daß  die  Wärme  des  Wassers  in  den 
kleinen  Behältern  bei  nicht  ununterbrochener  Benutzung  der  Bäder 
ziemlich  erheblichen  Schwankungen  unterworfen  sein  kann.  Der  Be- 
trieb von  Badeanstalten,  in  denen  der  Verbrauch  von  warmem  Wasser  für 
die  Brausen  nicht  beschränkt  ist,  hat  andererseits  gelehrt,  daß  bei  richtig 
bemessener  Benutzungszeit,  guter  Aufsicht  und  flottem  Betriebe  die 
Gefahr  der  Wasservergeudung  nicht  von  wesentlicher  Bedeutung  ist. 
Bei  letzterer  Annahme  ist  eine  von  David  Grove  in  Berlin  aus- 
geführte Einrichtung  der  Warmwasser-Brausehähne  erwähnenswert,  die 
derart  funktioniert,  daß  die  Brause  —  durch  einen  Kettenzug  des  Be- 
suchers in  Thätigkeit  gesetzt  —  das  Wasser  bei  gut  geregelter  Höchst- 
temperatur und  dauernd  gut  geregeltem  Wasserquantum  in  Mengen  von 
6—8  1  während  der  Zeit  von  etwa  einer  Minute  ausströmen  läßt.  Vier 
bis  fünf  solcher  Duschen  genügen  vollkommen  für  ein  Brausebad.  Der 
Vorteil  dieser  Einrichtung  gegenüber  den  Brausen,  die  durch  einfache, 
mit  Kettenzug  zu  öffnende  und  durch  Gegengewicht  zu  schließende 
Durchlaufhähne  gespeist  werden,  besteht  darin,  daß  der  Badende  den 
Kettenzug  während  der  Dauer  der  Dusche  nicht  zu  halten  braucht 
und  daher  zur  Einseifung  und  Waschung  die  Hände  frei  hat.  Im  Zu- 
lauf des  kalten  Wassers  zur  Brause  findet  eine  Beschränkung  nicht 
statt,  derselbe  wird  in  der  Regel  durch  Drehung  eines  Niederschraub- 
hahns reguliert.  Gegen  die  Verwendung  von  Apparaten,  bei  denen  die 
Erwärmung  des  Wassers  in  der  Brausezelle  durch  Mischhähne  oder  ähn- 
liche Vorrichtungen  erfolgt,  welche  die  unmittelbare  Mischung  des  kalten 
Wassers  mit  Dampf  oder  heißem  Wasser  bezwecken   und   welche  den 

18 


Volks-  und  Hausbäder.  103 

Badenden  in  den  Stand  setzen  sollen,  jeden  beilegen  Grad  der  Wasser- 
wärme selbst  zu  erzeugen,  möge  geltend  gemacht  werden,  daß  die  Hand- 
habung derartiger  Apparate  durch  ungeschickte  und  rohe  Hände  zu 
Beschädigungen  und  in  der  Folge  zu  Verbrühungen  Veranlassung  geben 
kann.  Es  hat  sich  im  Betriebe  dauernd  nur  die  einfachste  Anord- 
nung der  unmittelbaren  Zuführung  des  auf  die  richtige  Temperatur 
angewärmten  Wassers  aus  den  Warmwasserbehältern  zu  den  Brausen 
bewährt. 

Das  Wasser  der  Brause  darf  nicht  senkrecht  den  Kopf  des  Badenden 
treffen,  sondern  soll  Nacken  bezw.  Brust  des  in  der  Mitte  der  Zelle 
Stehenden  bis  zum  Oberschenkel  benetzen.  Es  ist  daher  notwendig, 
daß  die  Scheibe  der  Brause  eine  schräg  abwärts  gerichtete  Stellung  er- 
hält. Denn  einmal  wird  die  unmittelbar  auf  den  Kopf  treffende  Brause 
nicht  von  allen  Badenden  gut  vertragen,  andererseits  muß  die  Möglich- 
keit gegeben  sein,  beim  Bade  eine  Durchnässung  des  Kopfhaares,  die 
in  kalter  Jahreszeit  Erkältungen  veranlassen  kann,  zu  vermeiden. 

Die  Heizungsanlagen  der  Baderäume  wird  man  in  An- 
stalten, die  mit  Hochdruckdampf  betrieben  werden ,  natürlich  nur  als 
Dampf-  oder  Dampf luftheizungen  ausführen ;  dasselbe  wird  bei  An- 
wendung von  Niederdruckdampf  der  Fall  sein.  Die  Erwärmung  der 
Räume  durch  Wasserheizungen  in  den  verschiedenen  Formen  als  Hoch- 
druck-, Mitteldruck-  oder  Niederdruck- Wasserheizungen  kann  für  Volks- 
badeanstalten besonders  in  den  beiden  letzteren  Formen  in  Frage 
kommen,  weil  bei  der  Wahl  dieser  Heizungen  die  Anlage  einer  be- 
sonderen Feuerstelle  für  die  Erwärmung  der  Räume  erspart  werden 
kann.  Vielfach,  gerade  bei  kleineren  Badeanstalten  sind  Feuerluft- 
heizungen, die  bei  richtiger  Herstellung  ihrem  Zwecke  gut  entsprechen, 
im  Gebrauch ;  grundsätzlich  sollte  für  Baderäume  denjenigen  Heizungs- 
systemen der  Vorzug  gegeben  werden,  mit  welchen  zugleich  eine  Vor- 
wärmung der  einzuführenden  Außenluft  verbunden  ist.  Der  Billigkeit 
halber  sind  auch  Einzelheizungen  mittels  eiserner  Regulier-Füllöfen  bei 
einigen  kleineren  Volksbädern  zur  Ausführung  gekommen.  Um  die  Ent- 
stehung von  Zugluft  zu  vermeiden ,  müssen  auch  Warteräume,  Flure 
und  Vorräume  an  die  Heizung  angeschlossen  werden.  Die  Baderäume 
und  Badezellen  werden  auf  20—25°  C. ,  der  Raum  des  Schwimmbades 
auf  20  °,  die  Flure  und  Vorräume  auf  15  °  C.  zu  erwärmen  sein. 

Als  notwendiges  Erfordernis  bei  Anlage  einer  Badeanstalt  ist  end- 
lich die  Einrichtung  einer  gut  wirkenden  Lüftung  hervorzuheben. 
Nur  bei  kleineren  Anstalten  wird  man  eine  Lufterneuerung,  welche  auf 
dem  natürlichen  Auftrieb  der  Luft  beruht,  für  ausreichend  erachten, 
während  bei  größeren  Badeanlagen  der  Betrieb  von  Ventilatoren  mittels 
maschineller  Kraft  vorzusehen  ist.  Entsprechend  der  Zuführung  frischer 
Außenluft  durch  unter  den  Fußböden  oder  in  den  Mauern  liegende 
Luftkanäle  wird  auch  für  die  Abführung  der  verbrauchten  Luft  durch 
Kanäle  oder  Deflektoren  mit  gut  schließenden  Klappen  zu  sorgen  sein. 
Die  Größe  des  Luftwechsels  erscheint  ausreichend,  wenn  man  für  die 
Räume  der  Wannen-  und  Brausebäder  eine  dreimalige,  für  die  Warte- 
räume eine  zweimalige' und  für  die  Schwimmhallen,  Vorräume,  Flure 
und  Treppen  eine  einmalige  Lufterneuerung  in  der  Stunde  annimmt. 

6.   Die  Bankosten. 

Die  Baukosten  der  bisher  ausgeführten  Volksbadeanstalten  stellten 
sich  sehr  verschieden,  je  nach   der   gewählten   Raumbemessung,   Aus- 

i9  7* 


104 


R.    SCHULTZE, 


stattung  und  Installation.    Nachstehende  Angaben  mögen  einiges  Material 
hinsichtlich  dieses  Punktes  bieten. 


Volksbad  zu  ; 


Anzahl 
der  Einzelbäder 


Bebaute 
Grund- 
fläche 

qm 


Kosten 


im  Ganzen 


H. 


für   den   qm 

bebaute 
Grundfläche 

M. 


Frankfurt  a.   M.        .     . 

Mannheim       .... 

München   (Frühling-Str.) 

Magdeburg  (Schul-Str.) 

Hannover  (Klagesmarkt) 

Braunschweig 

Mainz  (Neustadt)     .     . 

Köln 

Berlin  (Alt-Neu-Kölln) 


14    Brausen 
14 
14 
20 

26         „ 
4  Wannen,    19   Br. 
7  „  17    „ 

24  „  18    „ 

28  .,  18    „ 


82 

ii7 
140 
164 
290 
148 
235 
375 
445 


20  000 
25  000 
24  264 

.  20  000 
32  000 
27  000 
42  850 
66287 

1 10  000 


244 
222 

173 

122  ') 

110 

148 

182 

177 

247 


Die  Kosten  der  technischen  Installationseinrichtungen  für  Wasser- 
erwärmung, Wasserzu-  und  -ableitung,  Heizung,  Lüftung  und  Wäscherei- 
einrichtung betrugen  bei  den  vorbenannten  Anstalten  im  allgemeinen 
30  Proz.  der  Gesamtkostensumme. 

Zum  Vergleich  seien  die  Kosten  einiger  einfach  eingerichteter  An- 
stalten mit  Schwimmbädern  angegeben: 


Kosten 

Bebaute 

für  den  qm 

Badeanstalt  zu : 

Grundfläche 

im  Ganzen 

bebauter 
Grundfläche 

qm 

M. 

M. 

Oldenburg    .... 

632 

60300 

95 

Dortmund     .... 

IIOO 

132  OOO 

120 

Offenbach     .... 

788 

134500 

170 

Essen 

1070 

172000 

161 

Barmen    ..... 

14OO 

250  OOO 

178 

7.   Der  Betrieb  der  Bäder. 

Auf  die  Wichtigkeit,  welche  ein  geordneter,  aufmerksamer  und 
sparsamer  Betrieb  für  die  gute  Entwickelung  der  Volksbadeanstalten 
besitzt,  sei  endlich  noch  hingewiesen.  Je  kleiner  die  Anstalt  ist,  desto 
mehr  wird  ihr  Gedeihen  von  der  passenden  Auswahl  der  als  Badebe- 
dienstete angestellten  Persönlichkeiten  abhängen.  Die  Pflichttreue  des 
Bademeisters,  seine  Sauberkeit  und  Fähigkeit,  die  Besucher  richtig  zu 
behandeln ,  können  ebensowohl  dazu  beitragen ,  einer  Badeanstalt  Zu- 
spruch zu  schaffen,  wie  der  Mangel  dieser  Eigenschaften  des  Bade- 
personals dieselbe  in  Verruf  zu  bringen  vermag.  Seitens  der  Aufsichts- 
behörde möge  die  Ueberwachung  und  Fürsorge  der  Anstalt  einzelnen 
geeigneten,  an  derselben  ein  lebhaftes  Interesse  nehmenden  Persönlich- 


1)  Die  Lieferung  von  Dampf  zur  Erwärmung  des  Badewassers  erfolgt  vom  Kesselhause 
des  städtischen  Krankenhauses. 


Volks-  und  Hausbäder.  105 

keiten  übertragen  werden ,  nicht  verschiedenen  Gliedern  eines  weit- 
schichtigen büreaukratischen  Apparates,  die  jedes  für  sich  nicht  in  der 
Lage  sind,  in  das  Ganze  fördernd  einzugreifen  und  daher  ein  Interesse 
an  der  Sache  nicht  nehmen.  Da  der  Bau  und  die  technischen  Ein- 
richtungen der  Volksbadeanstalten  in  besonders  hervorragendem  Maße 
der  Abnutzung  unterworfen  sind,  erscheint  es  zur  Vermeidung  zu 
raschen  Verbrauchs  der  gesamten  Anlage  angezeigt,  jährlich  einmal  in 
der  Zeit  des  geringsten  Besuchs  den  Betrieb  zu  unterbrechen,  um  die 
erforderlichen  Revisionen,  Reinigungen  und  Wiederherstellungen  mit 
einiger  Muße  vornehmen  zu  können. 

Hinsichtlich  des  wirtschaftlichen  Erfolges  der  Volksbäder  möge  es 
genügen,  darauf  hinzuweisen,  daß  der  auf  Förderung  des  Gemeinwohls 
gerichtete  Zweck  derselben  die  Absicht,  einen  Geldgewinn  aus  ihnen  zu 
ziehen,  ausschließt.  Anzustreben  ist  jedoch  eine  mäßige  Verzinsung  der 
aufgewandten  Kosten,  und  daß  diese  bei  zweckmäßig  angelegten  und 
betriebenen  Anstalten  und  dem  Preise  von  10  Pfennig  für  ein  Brause- 
bad sehr  wohl  möglich  ist,  kann  durch  die  Thatsachen  als  hinreichend 
erwiesen  gelten.  Es  erscheint  daher  unwirtschaftlich  und  nicht  zweck- 
mäßig, die  ohnehin  geringfügigen  Preise  von  vornherein  so  weit  herab- 
zusetzen, daß  ein  dauernder  Zuschuß  der  Gemeinden  unumgänglich  ist, 
denn  hierdurch  wird  den  letzteren  die  Neigung,  in  der  Versorgung  ihrer 
Bezirke  mit  Volksbädern  fortzufahren,  ohne  Zweifel  beschränkt.  Der 
Besuch  und  die  Einnahmen  der  Volksbäder  steigern  sich  nach  bisheriger 
Erfahrung  mit  der  Dauer  ihres  Bestehens  und  der  wachsenden  Ge- 
wöhnung der  Bevölkerung  von  Jahr  zu  Jahr,  ihr  weiteres  Gedeihen 
wird  wesentlich  noch  durch  die  Erziehung  der  Jugend  zur  Badegewohn- 
heit gefördert  werden  können.  Als  ein  Beweis  für  die  große  Bedeu- 
tung, welche  diese  billig  hergestellten  Badeanstalten  hinsichtlich  der 
Zahl  ihrer  Besucher,  verglichen  mit  großen  und  luxuriös  ausgestatteten 
Stadtbädern,  besitzen,  mag  die  Angabe  dienen ,  daß  z.  B.  das  Hohen- 
staufenbad  zu  Köln,  eine  mit  einem  Kostenaufwande  von  555000  M. 
errichtete,  in  einer  Großstadt  fast  ohne  Konkurrenz  bestehende,  trefflich 
eingerichtete  Badeanlage,  einen  Jahresbesuch  von  rund  256000  Personen 
besitzt,  während  die  mit  einer  Bausumme  von  24000  bezw.  20000  M. 
hergestellten  Volksbäder  zu  München  und  Magdeburg  Jahresbesuche 
von  74200,  bezw.  69  946  Personen  aufweisen,  also  fast  ein  Drittel  der 
Besucherzahlen  des  Hohenstaufenbades  bei  1/2S — '/ss  der  Anlagekosten. 

8.    VolksMder  aufserhalh  Deutschlands. 

Dasjenige  Land,  welches  in  der  Neuzeit  der  Erkenntnis  des  ge- 
sundheitlichen Nutzens  der  Bäder  die  weitestgehenden  praktischen 
Folgen  gegeben  hat,  welches  überhaupt  erst  den  Gedanken  von  der 
Notwendigkeit  der  Ausdehnung  einer  regelmäßigen  Körperpflege  auf 
alle  Volksgenossen  erzeugt  und  die  Durchführbarkeit  desselben  dar- 
gethan  hat,  ist  Deutschland.  Ein  reger  Wetteifer,  Fortschritte  auf 
diesem  Gebiete  zu  machen,  das  ernste  Bestreben,  durch  die  Erfüllung 
der  seitens  der  öffentlichen  Gesundheitspflege  zu  Gunsten  der  Unbe- 
mittelten gestellten  Forderungen  in  gewissem  Sinne  einen  Teil  zur 
Lösung  der  sozialen  Frage  beizutragen,  durchdringt  unter  thatkräftiger 
Unterstützung  der  Regierungen,  der  Wohlfahrtsvereine  und  hochherziger 
Privatleute  unsere  Gemeinden  und  hat  bereits  eine  große  Reihe  höchst 
anerkennenswerter  Erfolge  erzielt. 

21 


106  R.    SCHULTZE, 

Vergleicht  man  hiermit  den  Stand  dieser  Frage  in  anderen  Ländern, 
so  ist  anzuerkennen,  daß  die  Wiedererweckung  des  Gedankens  der 
öffentlichen  Badeanstalten  zunächst  von  England  ausgegangen  ist. 
Nachdem  dort  1842  in  Liverpool  die  erste  öffentliche  Wasch-  und 
Badeanstalt  eröffnet  war,  erhielten  im  Jahre  1846  die  Gemeinden  die 
gesetzliche  Befugnis,  zur  Errichtung  von  Badeanstalten  Steuergelder  zu 
verwenden,  bezw.  besondere  Steuern  auszuschreiben.  Während  die  ersten 
Anlagen  lediglich  zur  Verabreichung  von  Wannenbädern  eingerichtet 
und  mit  Waschanstalten  verbunden  waren ,  fanden  später  infolge  der 
Vorliebe  der  Engländer  für  körperliche  Uebungen  die  Schwimmbäder 
eine  hervorragende  Entwicklung  und  Ausbildung,  sodaß  derartige 
Badeanstalten  in  großer  Zahl  geschaffen  wurden,  darunter  solche  von 
einem  Umfange,  daß  sie  für  die  getrennte  Benutzung  der  einzelnen 
Klassen  und  Geschlechter  bis  zu  sieben  überdeckte  und  erwärmte 
Schwimmbassins  besitzen.  Neben  den  seitens  der  Gemeinden  oder  von 
Aktienunternehmungen  ausgeführten  Badeanstalten  wurden  dieselben 
auch  vielfach  zum  Gegenstande  von  Klubunternehmungen  gemacht. 
Diese  letzteren  Anlagen  enthalten  außer  allen  Formen  von  Bädern 
Turnsäle,  Lese-,  Billard-,  Rauch-  und  Restaurationszimmer  und  sind 
naturgemäß  nur  für  einen  kleineren  Kreis  wohlhabender  Leute  bestimmt. 
Zur  Erfüllung  der  Zwecke,  denen  wir  durch  die  Errichtung  unserer 
Volksbäder  gerecht  zu  werden  suchen,  haben  sich  jedoch  die  englischen 
Badeanstalten  zumeist  nicht  entwickelt  und  mit  der  Einführung  von 
Volksbrausebädern  ist  ein  nennenswerter  Anfang  noch  nicht  gemacht 
worden. 

Geringeres  hat  Frankreich  hinsichtlich  der  öffentlichen  Badean- 
stalten geleistet.  Obgleich  dort  die  Volksvertretung  bereits  im  Jahre  1851 
eine  Summe  von  600000  Frs.  bewilligt  hatte,  um  die  Gemeinden  in  der  An- 
lage billiger  Bäder,  die  nach  dem  Vorbilde  Englands  in  der  Form  von 
Schwimmbädern  gedacht  waren,  zu  unterstützen,  sind  bedeutendere  Erfolge 
nicht  erzielt  worden ;  nur  wenige  Städte  waren  es,  welche  von  den  gebotenen 
Vergünstigungen  Gebrauch  machten.  Ein  Dekret  vom  Jahre  1879  ver- 
ordnete, daß  der  Schwimmunterricht  für  die  Schüler  und  das  Heer 
obligatorisch  werden  solle;  der  Beschluß  konnte  jedoch  wegen  Mangels 
an  geeigneten  Badeanstalten  nicht  zur  Durchführung  gelangen.  Der 
Grund  dieser  auffälligen  Erscheinung  wird  darin  gesucht,  daß  die  Re- 
gierenden zu  sehr  von  den  Sorgen  der  Politik  in  Anspruch  genommen 
seien,  um  für  derartige  Fragen  mehr  übrig  zu  haben,  als  den  Wunsch 
und  den  Zuspruch  an  die  Privatunternehmung,  daß  diese  die  Verwirk- 
lichung dieser  Ideen  in  die  Hand  nehmen  möge.  Die  von  Privaten 
eingerichteten  öffentlichen  Bäder  lassen  jedoch  im  allgemeinen  manches 
zu  wünschen  übrig ,  auch  sind  die  Preise  derselben  so  bemessen ,  daß 
eine  Benutzung  durch  die  unbemittelten  Volksklassen  fast  ausgeschlossen 
ist.  In  allerneuester  Zeit  ist  man,  durch  den  Vorgang  Deutschlands 
angeregt,  der  Schaffung  von  Volksbädern  näher  getreten;  so  ist  z.  B. 
im  Januar  1 893  in  Bordeaux  ein  Volksbrausebad  nach  deutschem  Muster, 
mit  12  Brausen  ausgestattet,  eröffnet  worden,  auch  hat  man  mit  Ein- 
führung von  Brausebädern  für  das  Heer  begonnen. 

Von  anderen  Staaten  sei  Holland  erwähnt,  welches  ebenfalls  be- 
reits einen  Anfang  mit  der  Errichtung  von  Volksbädern  gemacht  hat, 
sodann  0  est  er  reich,  welches  schon  im  Jahre  1887  mit  der  Eröff- 
nung des  ersten  Volksbrausebades  in  Wien  vorangegangen  ist  und  seit- 
dem  in   der   Hauptstadt  und   den  Provinzen   eine  Reihe   weiterer  An- 


Volks-  und  Hausbäder. 


107 


stalten  folgen  ließ.  Auch  in  Amerika  hat  der  gemeinnützige  Gedanke 
der  Volksbäder  Anhänger  und  Freunde  gewonnen  und  zur  Herstellung 
billiger  Badeanstalten  in  New   York  Veranlassung  gegeben. 


9.  Billige  Hausbäder. 

Dem  Zwecke  einer  thunlichsten  Verallgemeinerung  der  Körperpflege 
und  Reinlichkeit  wird  außer  durch  öffentliche  Badeanstalten  in  beson- 
derem Maße  durch  Beschaffung  und  Verbreitung  billiger  Hausbäder, 
deren  Gebrauch  weit  bequemer  als  derjenige  der  öffentlichen  Bäder  ist, 
gedient.  Das  Wannenbad  ist  wohl  das  verbreitetste  Hausbad.  Wo 
der  Anschluß  an  eine  Wasserleitung  zur  Verfügung  steht  und  der  Raum 
nicht  zu  knapp  bemessen  ist,  erfolgt  die  Erwärmung  des  Badewassers 
meistenteils  in  besonderen  Badeöfen,  die  in  mannigfacher  Weise  kon- 
struiert sein  können  (E.  Marx,  Badeeinrichtungen,  Handbuch  der 
Architektur  III,  5, 
113),  von  denen  je- 
doch die  sogenann- 
ten Uebersteigeröfen 
am  häufigsten  ange- 
wandt werden.  Die- 
selben bestehen  aus 
einem  lotrechten  cy- 
lindrischen  Kessel 
von  Zink  -  oder 
Kupferblech ,  unter 
welchem  die  Feuer- 
ung sich  befindet 
und  durch  den  die 
Feuergase  in  Rohren 
hindurchgeführt 
werden.  Der  Kessel 
ist  an  die  Haus- 
wasserleitung derart 
angeschlossen ,  daß 
er  stets  ganz  gefüllt 
ist,  so  daß  die  — 
von  oben  erfolgende 
—  Entnahme  von 
warmem  Wasser  nur 
dadurch  stattfinden 
kann,  daß  von  unten 
her  unter  Druck  in 
den  Kessel  kaltes  Wasser  eintritt,  welches  das  erwärmte  Wasser  durch 
die  Rohrleitung  in  die  Wannen  drückt. 

Man  kann  die  Heizung  des  Badewassers  auch  mit  einem  Koch- 
herd derart  verbinden,  daß  neben  die  Feuerung  desselben  eine 
aus  gezogenen  Schmiederohren  gefertigte  Heizschlange  gelegt  wird, 
aus  welcher  das  Wasser  erwärmt  in  einen  hochgestellten,  offenen,  aus 
der  Wasserleitung  mittelst  Schwimmkugelhahn  gespeisten  Behälter  ein- 
tritt, von  welchem  das  kältere  Wasser  durch  ein  zweites  Rohrende 
wieder  in  die  Heizschlange  zurückkehrt. 


Fig.   16.     Badewanne  mit  Uebersteiger-Badeofen. 


23 


108 


R.   SCHULTZE, 


17.     Badewanne  mit  Cirkulier-Badeofen. 


Eine  Reihe  verschiedenartiger  Vorrichtungen  zur  Erwärmung  des 
Badewassers  können  da  zur  Anwendung  kommen,  wo  Heizgas  zur  Ver- 
fügung steht. 

Apparate  von  geringerem  Raumverbrauch  als  die  vorerwähnten  zur 
Bereitung  von  Warmwasser- Wannenbädern  bilden  die  Circulierbadeöfen 
und  die  heizbaren  Badewannen.     Bei   beiden  wird  zunächst  die  Wanne 

bis  zur  gewünschten  Höhe 
mit  kaltem  Wasser  gefüllt 
und  dasselbe  dann  durch 
eine  Heizvorrichtung  er- 
wärmt, die  bei  den   Cir- 

kulierbadeöfen  durch 
Rohrleitungen  mit  der 
Wanne  verbunden  ist, 
während  sie  bei  den  heiz- 
baren Badewannen  fest 
in  oder  an  der  Wanne 
angebracht  ist.  Für  Bäder 
dieser  Art  ist  ein  An- 
schluß an  die  Wasser- 
leitung nicht  erforderlich 
und  sie  besitzen  die  Vor- 
teile geringen  Raum-  und 
Biennstofiverbrauchs.  Die 
Wannen  können  fahrbar 
und  das  Rauchrohr  des 
Heizkörpers  abnehmbar 
während  der  Heizung  des 
oder  ein  Ofenrohr  geleitet 
der    Erwärmung    einer 


Fig.    18.     Heizbare  Badewanne. 


eingerichtet   werden ,   sodaß  letzteres    nur 

Badewassers   in   die  Feuerthür  eines  Ofens 

wird.     Nachteilig    erscheint,    daß    die    Dauer 

Wannenfüllung  30 — 40  Minuten  beträgt,  und  daß  das  gebrauchte  Wasser 

in  das  Innere  des    Wasserwärmungsraumes,   das   der  Reinigung  meist 

nicht  zugänglich  ist,  eindringt. 

Die  Badewannen  werden  hinsichtlich  ihres  Materials  bei  einfachen 
Hausbadeeinrichtungen  in  der  Regel  aus  Zinkblech  mit  durch  Holzfutter 
ausgesteiftem  Boden,  besser  aus  emailliertem  Gußeisen  oder  Kupferblech 
hergestellt. 

Häufigere  Anwendung  zum  Zwecke  der  Hausbäder  finden  ferner 
die  Brausebäder,  da  sie  bei  anregeuder  und  erfrischender  Wirkung 
geringen  Raum  und  wenig  Wasser  beanspruchen  und  des  Anschlusses 
an  eine  Wasserleitung  entbehren  können.  Ein  Eimer  kalten  oder  lau- 
warmen Wassers,  in  den  Fußbehälter  der  abgebildeten  Brausevorrichtung 
gegossen,  genügt,  um  dieselbe  durch  eine  kleine  Handpumpe  in  Betrieb 
zu  setzen.  Auch  kann  man  ein  Brausebad  mit  Hilfe  eines  über  eine 
Rolle  zur  Zimmerdecke  aufgezogenen,  mit  warmem  Wasser  gefüllten 
Eimers,  an  dessen  Boden  ein  durch  Kettenzug  zu  öffnendes  Ventil  mit 
Brausekopf  angebracht  ist  ,  bequem  und  billig  herstellen.  Wo  nötig, 
sind  die  Brausen  mit  Vorhängen  von  geöltem  Leinen  zu  umgeben. 

Endlich  lassen  sich  auch  Dampf- Schwitzbäder,  deren  Ge- 
brauch als  gutes  Reinigungsmittel,  wie  als  kräftigend  und  gesundheits- 
fördernd anerkannt  ist,  in  leichter  W7eise  mit  wenig  Kosten  und  geringem 
Raumverbrauch  als  Hausbäder  einrichten.  Dieselben  werden  als  Dampf- 
kastenbäder hergestellt,   bei  welchen  der  Badende  in  einem  Holzkasten 


24 


Volks-  und  Hausbäder. 


109 


Platz  nimmt,  welcher  den  Kopf  freiläßt,  wärend  der  Dampf  in  einem 
außerhalb  des  Kastens  stehenden  Messingkessel  mittels  Spiritusflamme 
entwickelt  und  in  den  Kasten  geleitet  wird.    Einfacher  ist  für  denselben 


Fig.   19. 


Brausebad. 


Fig.  20.      SQ 


Zweck  die  Benutzung  eines  Mantels  von  dampfdichtem  Ledertuch,  der 
mittelst  eines  Drahtgestells  an  einen  gewöhnlichen  Stuhl  befestigt  wird 
und  mit  welchem  der  Badende  sich  derart  umgiebt,  daß  der  Kopf 
herausragt.     Ein  um  den  Hals  möglichst  dicht  anschließender  Abschluß 


3m  ö»eßvtiiitö. 


Fig.  21. 


Dampfbad. 


Fig.  22. 


von  geeignetem  Stoff  ist  bei  den  Dampfbädern  vorzusehen,  um  ein  Aus- 
strömen von  Wasserdampf  gegen  den  Kopf  und  dadurch  hervorgerufen 
die  Entstehung  von  Kopfschmerzen  und  anderen  Unbehaglichkeiten  zu 
verhüten. 


25 


110  R.   SCHULTZE,   Volks-  und  Hausbäder. 


Litter  atur. 

1)  A.  Meyer  und  H.  Robertson,    Utber  öffentliche  Badeanstalten,  Stuttgart  (1879). 

2)  H.   Marggraff,   Moderne  Stadtbäder,  Berlin  (1881). 

3)  Renk,  in :  Pettenkofer  und  v.  Ziemsscn,  Handbuch  der  Hygiene  und  der  Gewerbekrank- 
heiten  2.  Bd.   2.    T.   Bäder.      Leipzig  (1882). 

4)  Börner  P.,  Bericht  über  die  allgemeine  deutsche  Ausstellung  auf  dem  Gebiete  der  Hygiene 
und  des  Rettungswesens  in  Berlin  (1882 — 83)  l.  Bd.  329,  Bade-  u.  Waschanstalten,  Breslau 
(1885). 

5)  J.  Stubben,  Oeffevtliche  Badeanstalten.  Deutsches  Baidiandbuch  2.  Bd.  2.  T.  812,  Berlin 
(1884). 

6)  L  Klasen,  Grundrifsvorbildcr  von  Gebäuden  aller  Art,  Badt-  und  Waschanstalten,  4.  Bd. 
273,  Leipzig  (1884). 

7)  G.   Osthoff,   Die  Bäder  und  Badeanstalten  der  Neuzeit,   Leipzig  (1887). 

8)  0.   Lassar,  Die  Kulturauf yabe  der    Volk sbä der,   Berlin  (1889) 

9)  J.  H.  Klinger,  Die  Badeanstalt,  ein  Hilfsbuch  zum  Entwürfe  der  technischen  Einrichtung 
gröfserer  Badeanstalten,   Leipzig  (1891). 

10)  R.  Mildner,  Badcanlagcn  und  deren  innere  Einrichtung,  Zeitschrift  des  Vereins  deutscher 
Ingenieure   36.   Bd.   297   (1892). 

11)  E.  Marx,  Badeeinrichtungen,  Handbuch  der  Architektur  3.  Bd.  5.  T.  113,  Darmstadt 
(1892). 

12)  R    Schultze,  Bau  und  Betrieb  von    Volksbadeanstalten,   Bonn  (1893). 

13)  Deutsche  B  auzeitung ,  Berlin]  (1888)  13  E.  Wagner,  Das  neue  Stadtbad  in 
Offenbach;  194  Ende  &  Böckmann,  Die  neuen  Volksbadcanstalten  in  Berlin]  549  571 
Das  erste  Volksbrausebad  zu  Frankfurt  a.jM  ;  (1889)  77  Peters,  Städtische  Bade-  und 
Desinfektionsanstalt  zu  Magdeburg]  (1889)  84  Volksbad  in  Stuttgart]  365  Von  der 
allgemeinen  Ausstellung  für  Unfallverhütung,  Berlin  1889;  (1892)  573  Zekeli,  Ueber 
Volksbadeanstalten. 

14)  Centralblatt  der  Bauverwaltung,  Berlin  (1883)  309  Die  Ausstellung  auf  dem 
Gebiete  der  Hygiene  und  des  Rettungsicesens;  Grove's  Volksbad]  (1888)  40  Apparat  zum 
Mischen  kalten    und    ivarmen     Wassers  für    Volksbadeanstalten    von  Holzapfel,     Göttingen 

(1889)  268  Arbeiterbäder  in  der  Unfallverhütungsausstellung]  (1889)  214  Grove's  Volks- 
brausebad. 

15)  Gesundheits-  Ingenieur  ,  München  (1886)  434  Volksbädcr  in  Paris;  (1888)  229 
Das  erste  städtische  Volksdouchebad  in  Wien;  (1889)  76  Börner  &  Co.,  Volksbrausebad 
nach  Dr.  Lassar's  System,  errichtet  in  Frankfurt  a./M  ;  (1889)  391  Wagner,  Volks- 
bäder in  Mainz;  (1889)  565  Dr.  Albrecht,  Badeeinrichtungen  auf  der  Ausstellung  für 
Unfallverhütung,  Berlin  1889;  (1890)  26  Volksbrausebäder  in  Wien;  (1890)  572 
Pekuniärer  Erfolg  der  Berliner  Volksbäder]  (1890)  716,  734  Beielstein,  Eine  Warm- 
wasserbadanlage   im    kleinsten    Umfange;    (1890)   739     Städtische  Badeanstalt  in  Altona ; 

(1890)  780  0.  Leonhardt,  Neuere  Badeeinrichtungen;  (1892)  137  C.  Randel ,  Das 
Volksbrausebad  am  Wilhelmithor  zu  Braunschweig]  (1892)161  Volksbäder  in  New  York; 
(1892)  439    Volksbrausebad  in   Trautenau. 

16)  Viert  elj  ahr  s  schrift  f.  äff.  Gesundheitspflege  19.  Bd.  33  Lassar,  Ueber 
Volksbäder. 


Register. 


Aborte  96 

Badeofen  107. 
Badewannen  90. 
Badewanne,  heizbare  108. 
Bäder,  russische  95. 

—  römische  95. 

—  irische  95. 

Bäder    s.  a.  die  einzelnen  Arten  der  Bäder, 

Dampfbäder,  Brausebäder  u.   s.  w. 
Baukosten  103  ff. 
Beielstein  über  Bäder  110. 
Berlin,  Volksbad  in   94. 
Boerner  &  Co.  87.  102.  110. 
Bordeaux,  Volksbad  in  106. 
Braunschweig,  Brausebad  in  94. 
Brausebad  s.  a.  Volksbad. 
Brausebäder  86. 

—  in  Amerika  107. 

—  „  Berlin  94. 

—  „  Bordeaux    106. 

—  .,  Braunschweig  94. 

—  „  England   106. 

—  „  Frankreich    106. 

—  ,,  Hannover  93. 

—  „  Holland   106. 

—  „  Köln  94.   97. 

—  ,,  Liverpool  106. 

—  „  Mainz  92. 

—  ,,  Mannheim  92. 

—  „  München   92. 

—  „  Oesterreich   106. 

—  „  Offenbach   95   ff. 
Brausezelle  90. 

Dampfbäder  108.    109. 
Duschebäder   109. 

Ende  &  Böckmann  über  Bäder  110. 
England,  Volksbäder  in  106. 
Erwärmung  d.  Badewassers  100. 

Frankreich,   Volksbäder  in  106. 


Grove  87.   102. 

Hähne  102. 

Hannover,   Volksbad  in  93. 

Heizung  98 

Holland,  Volksbäder  in   109. 

Holzapfel  über  Bäder   110. 

Klasen  über  Badeanstalten  HO. 
Klinger  über  Bäder  99.   110. 
Köln,   Volksbad  in   94.   97. 
Kohlenraum  98. 
Kosten  d.  Bäder  103  ff. 

L.assar  87.   HO. 
Leonhardt  über  Bäder  HO. 
Liverpool,  Volksbäder  in   106. 
Lüftung  der  Bäder   103. 

Mainz,  Volksbad  in  94. 
Mannheim,  Brausebad  in  92. 
Marggraff  über  Bäder  110. 
Marx  107.   110. 

Mayer,  A.,  über  Badeanstalten  110. 
Mildner  über  Bäder  110. 
Monier- Wände  90. 
München,  Brausebad  in  92. 
Münnich  87. 

New  York,  Volksbad  in  107. 

Oesterreich,  Volksbäder  in  106. 
Offenbach,  Stadtbad  in  95  ff. 
Osthoff  über  Bäder  HO. 

Peters  über  Bäder  110. 
Pissoire  96. 

Randel  über  Bäder  86.   110. 

Rabitz- Wände  91. 

Renk  über  Bäder   110. 

Robertson,  H,  über  Badeanstalten  HO. 


27 


112 


R.  SCHULTZE,  Volks-  und  Hausbäder. 


Schnitze  über  Bäder  110. 

Schwimmbad  92. 

Schwitzbäder  108.  109. 

Stsdtbad  s.  Volksbad. 

Stubben.  J.,  über  Badeanstalten  110. 

Trockenräume  98. 

Volksbäder  im  Altertum  85. 
—     s.  a.  Brausebad. 


Ventilation  s.  Lüftung. 

Wagner,  E.,  über  Bäder  110. 
Wannenbäder  91. 
Wasserbedarf  99. 

—  beschaffung  99. 

—  leitung  101. 

—  liälme   102. 

Zekeli  über  Bäder  110. 


28 


DIE  SICHERHEIT  IN  THEATERN 

UNJ)  IN  GRÖSSEREN 

VERSAMMLÜNGS-RÄUMEN. 


BEARBEITET 


VON 


PROFESSOß  F.  W.  BÜSINO, 

DOZENTEN    DER    TECHNISCHEN    HOCHSCHULE    IN    BERLIN-CHARLOTTENBUKO. 

MIT  11  ABBILDUNGEN. 


HANDBUCH    DER   HYGIENE 


HERAUSGEGEBEN    VON 


DR.  THEODOR  WBYL. 


SECHSTER  BAND.    ZWEITES  HEFT. 


-:    i  <:- 


JENA, 

VERLAG  VON  GUSTAV  FISCHER. 

1894. 


Inhaltsübersicht. 


Si-ite 

I.  Theater 117 

1.  Art  und  Größe  der  Gefährdung  im   allgemeinen  .     .      .     .  117 

2.  Besondene    Gefahrenursachen 118 

a)  Vorbeugungsmaßregeln  gegen   Entstehung  eines  Brandes       .  119 

1.  Betriebs-   und   Hausordnung 119 

2.  Größe  und  allgemeine  Anordnung  des  Gebäudes      .     .     .  120 

3.  Konstruktionen 121 

b)  Einschränkende,  gegen    die    Ausdehnung  eines  Brandes    ge- 
richtete Maßnahmen 123 

1.  Löscheinrichtungen 123 

2.  Schutzvorhang  der  Bühne.  Bühnenregen  u.  s.  w.      .     .      .  125 

c)  Spezielle  Sicherheitsrnaßregeln  zu  Gunsten  der  Besucher  und 

der  sonst   im  Hause  sich  aufhaltenden  Personen      .      .     .      .  127 

1.  Sitzplätze,   Gänge.   Thüren,  Treppen,  Ausgänge     ....  127 

2.  Natürliche   und  künstliche  Beleuchtung,   Ventilation      .      .  129 

3.  Sicherheitsvorkehrungen  besonderer   Art 130 

II.  Cir  k  us  anla  ge  n .  130 

III.  Versammlungsräume 131 

IV.  Andere    Gebäude    für    größere     Menschenansamm- 
lungen         132 

V.  Einige  Beispiele  von  T  heater-Grtindrissen    .     .      .  132 

Litteratur 138 

Register 139 

Verzeichnis  der  Abbildungen. 

1.  Bühnenregen-System 124 

2.  Details  zu  Fig.   1 124 

3.  Eiserner  Vorhang   im  Hoftheater  zu   Braunschweig 126 

4.  5  u.   6.     Details   zu  Fig.  3 127 

7.  Bühnenfestspielhaus  zu  Bayreuth,  Grundrifs 133- 

8.  Stadttheater  zu   Halle,   Untergeschofs 134 

9.  .,  ,,         ,,       Parkettgeschofs 135 

10.  Mustertheater  von  Schmidt  und  Neckelmann 136 

11.  ,,  „     Höpfner  und  Rösicke 137 


I.  Theater. 

1.  Art  und  Gröfse  der  Gefährdung  im  allgemeinen  1_7. 

Gesundheitliche  Gefahren,  denen  der  Einzelne  untersteht,  werden 
durch  die  Anhäufung  größerer  Menschenmengen  auf  engem  Raum 
nicht  nur  vergrößert,  sondern  es  treten  denselben  besondere  Gefahren, 
die  man  passend  vielleicht  als  Gesundheits- Bedrohung en  bezeichnen 
kann,  hinzu.  Unter  diese  sind  nicht  einzubegreifen  die  auf  Ur- 
sachen allgemeiner  Natur,  z.  B.  Luftverschlechterung  durch  Atmung 
und  Beleuchtung,  beruhenden,  sodaß  es  sich  im  Nachstehenden  nur  um 
exceptionelle  Bedrohungen  von  Gesundheit  und  Leben,  bezw.  Vor- 
beugungsmittel dagegen  handelt.  Jene  bestehen  insonderheit  mit  Bezug 
auf  die  Möglichkeit: 

a)  körperlicher  Unfälle  infolge  Mangel  an  konstruktiver  Sicherheit  des 
Lokals ; 

b)  desgl.    infolge    Ausbruchs   von   Panik    unter    den    Versammelten; 

c)  von  Betäubung,  bezw.  Erstickung  durch  Einatmen  irrespirabler  Gase 
bei  Feuerausbruch; 

d)  von  direkter  Körperbeschädigung,  bezw.  Tötung  durch  Feuer. 
Die  Bedeutung  der  Aufgabe :  speziellen  Schutz  gegen  diese  speziellen 

Bedrohungen  von  Leben  und  Gesundheit  zu  schaffen,  ist  erst  in  neuester 
Zeit  von  den  Behörden  voll  anerkannt  worden,  und  zwar  seitdem  der 
Untergang  von  mehreren  hundert  Menschenleben  bei  den  Theaterbränden 
in  Nizza  und  Wien  (1881)  die  bis  dahin  vielleicht  ungeahnte  Größe  der 
Gefahr  in  drastischer  Weise  erwiesen  hatte.  Diese  beiden  Theater- 
brände sind  Ausgangspunkte  für  mehr  oder  weniger  weitgreifende 
Sicherheitsmaßregeln  der  Behörden  in  allen  Kulturstaaten  gewesen,  für 
deren  dringende  Notwendigkeit  spätere  große  Theaterbrände  —  wie 
der  Brand  der  Komischen  Oper  in  Paris,  1887  und  des  Theaters  in  Oporto 
1888,  neue,  schreckliche  Beweise  geliefert  haben. 

Mit  Rücksicht  auf  diesen  Ursprung  der  Sicherheitsmaßregeln  er- 
scheint es  angezeigt,  die  vorliegende  Aufgabe  im  wesentlichen  als  eine 
solche  der  Theatersicherheit  aufzufassen  und  in  bloß  beiläufiger 
Weise  auf  die  Sicherheit  sonstiger  großer  Versammlungsräume  ein- 
zugehen. 

In  der  Aufgabe  der  Theatersicherheit  laufen  die  beiden  Fragen: 
a)  Sicherheit  des  Theaters  selbst, 

Handbuch  der  Hygiene.   Bd.  VI.  8 


118  BÜSING, 

b)  Sicherheit  der  in  demselben  befindlichen  Personen, 
so   in   einander,   daß  Trennung   unmöglich   ist.     Anderweit   kann   man 
aber  —  unter  Abstandnahme  von  dem  Punkte  a  oben,   der  „konstruk- 
tiven Sicherheit  des  Lokals"  —  trennen  in : 

1)  Vorbeugungsmaßregeln  gegen  Entstehung  eines  Brandes; 

2)  einschränkende,    gegen   die   Ausbreitung  desselben    gerichtete 
Maßregeln ; 

3)  spezielle  Sicherheitsmaßregeln   zu  Gunsten   der  Besucher  und  der 
im  Hause  sonst  befindlichen  Personen ; 

Doch  ist  auch  bei  dieser  Gliederung,  die  im  Folgenden  festge- 
halten werden  soll,  eine  einigermaßen  scharfe  Sonderung  unthunlich. 
Es  pflegt  angenommen  zu  werden,  daß  die  Feuersgefahr  eines 
Theaters  für  die  Zeit  der  Vorstellungen  am  größten  sei.  Dies  ist  je- 
doch unzutreffend,  da  die  Statistik  lehrt,  daß  die  große  Mehrzahl  der 
Theaterbrände  in  der  auf  den  Schluß  der  Vorstellung  fallenden  2-stündigen 
Zeitdauer  stattfindet.  Solche  „nachträglichen"  Fälle  bieten  jedoch, 
nebst  denjenigen,  welche  am  Tage,  und  den  anderen,  welche  in  der  Zeit 
unmittelbar  vor  Beginn  der  Vorstellung  sich  ereignen,  für  den  vor- 
liegenden Zweck  kein  Interesse,  weil  es  sich  hier  nur  um  die  Theater- 
sicherheit im  speziellsten  Sinne  des  Wortes  handelt,  die  das  Theater 
während  der  Vorstellungen  selbst,  unter  Einbeziehung  un- 
mittelbar vorausgehender  und  nachfolgender  kurzer  Zeiträume,  ins  Auge 
faßt  *). 

2.  Besondere  Gefahren-Ursachen  *• 2-  5>  l2. 

Besondere  Bedeutung  für  die  Theatersicherheit  besitzen :  der 
Charakter  der  zur  Aufführung  kommenden  Stücke,  die 
Bühneneinrichtung  und  Bühnengröße,  die  Beleuchtungs- 
einrichtungen,  eine  gewisse  Bedeutung  auch  das  Alter  des  Hauses. 

Was  zunächst  den  letzten  Punkt  betrifft,  so  ist  klar  —  und  die 
Statistik  bestätigt  dies  —  daß  neue  Theater  in  der  ersten  mehrjährigen 
Zeitperiode  ihres  Bestehens  stark  gefährdet  sind,  wohl  deshalb,  weil 
der  ganze  Apparat  —  einschließlich  des  Hauspersonals  —  noch  nicht 
„eingearbeitet",  daher  Zufälligkeiten  in  hohem  Grade  unterworfen  ist: 
Auf  diese  Frühperiode  pflegt  eine  Periode  relativ  großer  Sicherheit  zu 
folgen,  nach  deren  Ablauf  —  in  etwa  40  Jahren  —  die  Sicherheit 
wieder  abnimmt15.  In  letzterer  Erfahrung  hat  man  es  wahrscheinlich 
zumeist  mit  den  Wirkungen  der  Abnutzung  des  Apparates  zu  thun, 
die  ebenfalls  Zufälligkeiten  mannigfacher  Art  mit  sich  führen  kann. 
Es  bedürfen  danach  sowohl  ganz  neue,  als  auch  ältere  Theater 
einer  ausnahmsweise  scharfen  Ueberwachung. 

Die  größere  Häufigkeit  der  Theaterbrände  in  der  neueren  Zeit 
kommt  wohl  nur  zum  Teil  auf  eine  Vermehrung  der  Theater  und  der 
Spielabende  in  denselben  hinaus ;  mehr  als  diese  beiden  Umstände  dürfte 
der  Wandel,  der  sich  in  Bezug  auf  den  Inhalt  der  Aufführungen  vollzogen 
hat,  daran  beteiligt  sein:  Mit  der  Entwickelung  der  Technik,  die  den 
Bühnen  immer  weitere  und  wirksamere  Mittel  zur  Erzielung  von  sceni- 
schen  Effekten  geliefert  hat,  sind  die  Anforderungen  an  die  Bühnen- 
größe und  an  die  Ausstattung  der  Stücke  stark  gewachsen  und  verhältnis- 


*)  In  der  Zeit  1800  —  1809  sind  96,  in  den  4  Jahren  1880—1883   98,   in  den  4  Jahren 
1884 — 87  44  Theaterbrände  gröfseren  Umfanges  bekannt  geworden. 


Die  Sicherheit  in  Theatern  und  in  größeren  Versammlungs-Räumen.    119 

müßig  auch  die  Gefährdungen;   in  besonders  hohem  Maße  dürfte  dabei 
die  Einführung  der  Gasbeleuchtung  beteiligt  sein. 

Ein  von  der  preuß.  Akademie  des  Bauwesens  unterm  14.  Juni  1882 
abgegebenes  Gutachten  12  äußert  sich  wörtlich,  wie  folgt: 

1)  Die  Feuergefährlichkeit  der  Theater  beruht  vorzugsweise  auf  der 
Verwendung  leicht  entzündlicher  und  nach  der  Entzündung  rasch  auf- 
flammender und  das  Feuer  schnell  weiter  verbreitender  Stoffe  zur  Aus- 
stattung  des  Bühnenraums,  bei  Anwendung: 

2)  einer  Beleuchtung,  welche  starke  Wärme  verbreitet,  brennbare 
Gegenstände  entzündet  und  heiße  Verbrennungsgase  entwickelt,  die  — 
an  den  leicht  entzündlichen  Stoffen  vorbei  streichend  —  zum  Schnür- 
boden (über  der  Bühne)  emporsteigen. 

3)  Vollständige  Sicherheit  kann  deshalb  nur  durch  die  Beseitigung 
der  verbrennbaren  Gegenstände  oder  durch  Beseitigung  der  Erleuchtung 
mit  offenem  Licht  und  deren  Ersatz  durch  die  Beleuchtung  mit  ver- 
schlossenem und  zwar  möglichst  „luftdicht  verschlossenem"  Licht  erzielt 
werden. 

4)  Die  Größe  der  Feuersgefahr  nimmt  naturgemäß  mit  der  Menge 
der  leicht  entzündlichen  Gegenstände  und  mit  der  Anzahl  der  offenen 
Lichte  zu  und  ab,  wächst  somit  im  allgemeinen  mit  der  Bühne  n  große. 
Ebenso  wächst  bei  ausgebrochenem  Feuer  die  Gefährdung  der  Zuschauer 
mit  der  Anzahl  der  letzteren,  im  allgemeinen  also  mit  der  Größe  des  ge- 
füllten Zuschauerraumes. 

Unter  den  gefährdenden  Stoffen  auf  den  Bühnen  sind  es  insbesondere 
die  in  der  Höhe  aufgehängten  Wolkenschleier  (sogen.  Prospekte), 
die  für  Aufbauten  auf  der  Bühne  dienenden  sogen.  Praktikables,  die 
Kulissen  und  die  zur  Beleuchtung  verwendeten  Flammen,  insbesondere 
die  im  vorderen  Teil  der  Bühne  in  der  Höhe  verdeckt  angebrachte 
Soffitenbeleuchtung,  daneben  die  unendliche  Anzahl  von  Hanf- 
stricken und  Zugseilen,  welcher  man  sich  zum  Bewegen  der  Bühnen- 
maschinerie bedient.  Die  Flammen  bringen  bei  den  in  ihrer  Nähe  vor  sich 
gehenden  Bewegungen  brennbarer  Gegenstände  dann  vermehrte  Gefahr, 
wenn  Gas  benutzt  wird,  weil  dieses  nicht  nur  direkt,  sondern  auch  in- 
direkt zünden  kann,  wenn  durch  Mischung  unbemerkt  ausgetretener 
Mengen  Knallgas  entsteht.  Im  oberen  Teil  des  Bühnenraumes  treffen 
dann  aufsteigendes  Knallgas  und  hoch  erhitzte  Verbrennungsgase  an  dem 
meist  aus  leichtem  Holzwerk  bestehenden  Schnürboden  ein  hoch  ent- 
zündliches und  das  Feuer  rasch  ausbreitendes  Medium. 

a)  Vorbeugungsmaßregeln  gegen  Entstehung  eines 
Brandes2^  i0>  l2. 

1.  Betriebs-  und  Hausordnung2    10. 

In  wirksamster  Weise  kann  der  Entstehung  eines  Brandes  durch 
eine  gute,  streng  durchgeführte  Betriebsordnung  entgegengewirkt 
werden.  Die  Thatsache  ist  zweifellos,  daß  der  Ausbruch  eines  Brandes 
in  einem  feuergefährlichen,  aber  streng  überwachten  Hause  viel  weniger 
leicht  zu  fürchten  ist,  als  in  einem  mehr  feuersicheren,  aber  mangel- 
haft überwachten  Hause. 

Die  Betriebsordnung   wird   teils   von  der  Polizeigewalt   festgesetzt, 

8* 


120  BÜSING. 

teils  auch  von  dem  Eigentümer,  der  dabei  die  Eigenart  des  Hauses 
und  des  Betriebes  bis  in  alle  Einzelheiten  zu  berücksichtigen  hat. 
Die  „Hausordnung"  bildet  daher  eine  notwendige  Ergänzung  zu  den 
polizeilichen  Vorschriften,  über  deren  Inhalt  für  die  Theater  in 
Preußen  in  einer  am  1.  Dezember  1893  in  Kraft  getretenen  Polizei- 
verordnung (§§  30—39)  allgemeine  Bestimmungen  getroffen  sind.  Die- 
selben beziehen  sich : 

Auf  die  Bedingungen,  unter  denen  Werkstättenbetriebe  im  Hause 
erlaubt  sind ;  auf  Beschränkungen,  welche  bezüglich  der  Aufbewahrung 
von  Dekorationsstücken,  Requisiten  u.  s.  w.  im  Hause  bestehen ;  auf  die 
Verwendung  von  un verwahrtem  Feuer  und  Licht,  von  Beleuchtungs- 
körpern, von  Feuereffekten  und  Feuerwerk;  auf  ein  Rauchverbot;  auf 
Freihaltung  aller  Räume  und  der  Dekorationen  von  Staubablagerungen: 
auf  Freihaltung  gewisser  Teile  der  Bühne  für  Zwecke  des  Feuerlösch- 
wesens ;  auf  die  Einrichtungen  zum  Schließen  des  Schutzvorhanges ;  auf 
die  sogen.  Notbeleuchtung  (Reservebeleuchtung) ;  auf  die  Zuziehung  einer 
Feuerwache ;  auf  Aushängung  von  Plänen  zur  Erleichterung  der 
Orientierung  im  Hause  und  noch  Anderes.  —  Aehnliche  Vorschriften  be- 
stehen in  anderen  Staaten;  einzelne  sind  in  Gilardone2  a.  a.  0.  zum 
Abdruck  gebracht. 

2.  Gröfse  und  allgemeine  Anordnung  des  Gebäudes10. 

In  zweiter  Linie  sind  als  Vorbeugungsmaßregeln  wichtig:  Größe 
und  Disposition  des  Gebäudes,  seine  Lage  und  Kon- 
struktion. Ein  Theatergebäude  kann  sowohl  in  der  F  1  ä  c  h  e  n  a  u  s  - 
dehnung,  als  in  der  Höhe  zu  einer  bestimmten  Größe  (Zuschauer- 
zahl) entwickelt  werden,  oder,  mit  anderen  Worten,  nur  ein  paar  Ränge, 
oder  auch  eine  größere  Anzahl  von  Rängen  erhalten.  Die  Wegeslänge  der 
Besucher  bei  Zu-  und  Abgang  wird  bei  beiderlei  Ausführungen  nicht 
wesentlich  verschieden  ausfallen,  doch  ein  Unterschied  sich  insofern 
herausstellen ,  als  Zu-  und  Abgang  von  den  hoch  liegenden  Rängen 
etwas  verwickelter,  beschwerlicher  und  gefährlicher  sein  werden.  Nimmt 
man  hinzu,  daß  mit  der  Höhe  des  Gebäudes  die  Wirksamkeit  der 
Löschwirkungen  sich  vermindert,  bei  dem  Bestreben  der  heißen  Gase, 
die  höchste  Stelle  einzunehmen,  die  Feuersgefahr  sich  vermehrt,  so 
wird  man  zugeben  müssen ,  daß  in  bezug  auf  Feuerschutz  das  mehr 
in  die  Breite  entwickelte  Haus  vor  dem  in  die  Höhe  entwickelten  im 
Vorzuge  ist;  dies  gilt  um  so  mehr,  je  größer  der  a b s o  1  u t e  Fassungs- 
raum des  Gebäudes  ist.  —  Die  preußische  Polizeiverordnung  vom  1.  De- 
zember 1889  verbietet  es,  mehr  als  vier  „Ränge"  über  dem  Parket 
anzulegen. 

Werkstätten  (für  Maler,  Tischler,  Schneider  u.  s.  w.)  nebst 
Magazinen  für  Dekorationen,  Garderoben,  Requisiten  aller  Art  bilden 
notwendige  Zubehörungen  eines  Theaters.  Da  ihre  Unterbringung  im 
Gebäude  selbst  nicht  geschehen  kann,  ohne  den  gefährdenden  Ursachen 
neue  hinzuzufügen,  so  ist  es  geboten,  in  der  Größenbeschränkung 
dieser  Räume,  ihrer  Lage  und  Konstruktion  alles  zu  thun,  um  die  Ge- 
fährdung thunlichst  herabzumindern. 

Oft  werden  mit  Theatern  Restaurationen  auch  für  öffent- 
liche Benutzung  und  Wohnungen  für  Theaterangestellte  verbunden. 
Solche    Anlagen   müssen    wegen    ihres   gefährdenden    Charakters    eine 


Die  Sicherheit  in  Theatern  und  in  größeren  Versammlungs-Räumen.    121 

abgesonderte,  auch  nicht  hohe  Lage,  am  besten  neben  dem  Ge- 
bäude erhalten  und  dürfen  in  keiner  unmittelbaren  Verbindung 
mit   den  inneren  Räumen   des  Theaters  stehen. 

Klarheit  des  Grundrisses,  Uebersichtlichkeit  der  ganzen  Anlage  auf 
einen  Blick,  Vermeidung  von  toten  Ecken  und  versteckt  liegenden  Räumen 
jeglicher  Art,  Erreichbarkeit  möglichst  aller  Räume  vom  Tageslicht  sind 
für  die  Sicherheit  des  Hauses  gegen  Brandfälle  sehr  hoch  anzuschlagende 
Faktoren.  Allseitig  freie  Lage  des  Gebäudes  wird  einzeln,  jedoch  nicht 
durchgängig  gefordert.  In  allen  diesen  Fragen  Hießen  künstlerische,  wirt- 
schaftliche und  Sicherheits-Rücksichten  eng  ineinander,  und  wird  den 
letzteren  bei  der  Entscheidung  nicht  leicht  der  Vorrang  eingeräumt.  Wenn 
bei  nicht  allseitig  freier  Lage  für  freien  Raum  unmittelbar  neben  dem 
Gebäude  in  derjenigen  Größe  und  an  Stellen  gesorgt  wird,  daß  für  die 
Entfaltung  der  Löschvorrichtungen  keine  Hindernisse  bestehen  und  Zu- 
und  Abgang  vom  Hause  sich  geordnet  vollziehen  können,  scheint  das 
Notwendige  für  die  Feuersicherheit  geschehen  zu  sein.  Auf  diesen 
Standpunkt  stellt  sich  beispielsweise  die  preußische  Polizeiverordnung 
vom  1.  Dezember  1889,  indem  sie  nur  bestimmte  Hofgrößen  unmittel- 
bar neben  und  hinter  dem  Gebäude,  ausreichenden  Raum  vor  dem- 
selben, breite  Verbindungen  aus  dem  Innern  zur  Straße  und  übrigens 
eine  Anzahl  von  Sicherheitsvorkehrungen  gegen  leichte  Uebertragbarkeit 
von  Feuer  von  Nachbargebäuden  auf  das  Theater  und  umgekehrt 
vorschreibt. 

3.  Konstruktionen  1  °. 

Bei  allen  Konstruktionen,  ob  diese  nun  das  Gebäude  als 
Ganzes,  oder  dessen  innere  Einrichtung  einschl.  der  Bühneneinrichtnng 
betreffen,  muß  der  Gesichtspunkt  der  Feuersicherheit  der  durchschlagende 
sein  ;  mit  demselben  treten  aber  bis  in  die  neueste  Zeit  hinein  andere  wichtige 
Interessen,  wie  diejenigen  der  Akustik,  der  künstlerischen 
Durchbildung  des  Gebäude-Innern,  der  Rücksicht  auf  m ö g - 
lichste  Raumausnutzung  desselben  u.  s.  w.  in  Gegensatz.  Man 
sah  aus  akustischen  Rücksichten  das  —  leicht  verbrennliche  —  Holz  für 
die  meisten  Teile  des  inneren  Ausbaues  als  unentbehrlich  an  und  war  auch 
gehindert,  für  mancherlei  Zwecke  —  unverbreunliches  —  Mauerwerk 
zu  benutzen,  weil  dasselbe  in  seiner  Massigkeit  und  Schwere  mit  zwei 
Eigenschaften  behaftet  war,  welche  es  für  eine  Reihe  von  Zwecken,  bei 
denen  Gefälligkeit  der  Erscheinung  und  geringes  Gewicht,  auch  Raum- 
beschränkung von  Bedeutung  sind,  ausschlössen. 

Was  den  maschinellen  Apparat  der  Bühne  betrifft,  so  ging  man  von 
dem  Grundsatze  aus,  daß  vermöge  der  vorherigen  Unberechenbarkeit  vieler 
scenischen  Verwandlungen  die  maschinellen  Einrichtungen  möglichst 
zwanglos  und  einfach  auszugestalten  seien,  man  also  für  dieselben 
von  den  Vervollkommnungen  und  namentlich  den  Verfeinerungen,  welche 
die  neuere  Zeit  in  der  Maschinentechnik  hervorgebracht  hat,  kaum  Ge- 
brauch machen  könne.  Entsprechend  ist  man  fast  durchgängig  in  der 
Bühnenmaschinerie  bei  der  Anwendung  schwerfälliger  hölzerner 
Winden  mit  Handbetrieb  (sogen.  Haspel),  Zügen  aus  Hanfseilen, 
Rüstungen  und  Gestellen  (Schnürboden  und  Unterbühne)  aus  Holz, 
Kulissen  und  Versatzstücken  u.  s.  w.  aus  hoch  brennbaren  Stoffen 
stehen  geblieben.  So  fest  war  die  althergebrachte  Anschauung  einge- 
wurzelt, daß  man  noch  beim  Bau  des  im  Jahre  1880  eröffneten  Opern- 


122  BÜSING, 

hauses  zu  Frankfurt  a.  M.  alle  Hauptkonstruktionen  in  Holz  ausführte, 
von  der  fatalistischen  Anschauung  ausgehend,  daß  der  Glut  eines  Bühnen- 
brandes doch  nichts  Wirksames  entgegensetzbar  sei! 

Anders  bei  den  Einrichtungen  zur  Heizung  und  Wasserver- 
sorgung. Hier  wurde  die,  besonders  durch  ihre  große  Anzahl  der  Heiz- 
körper gefährliche  Einzelheizung  der  Räume  schon  früh  durch  die  viel 
größere  Sicherheit  bietenden  Centralheizkörper  (besonders  in  der  Form  der 
Luftheizung)  ersetzt,  auch  in  die  Versorgung  der  Theater  mit  ständigen 
Feuerlöscheinrichtungen  bald  alle  Verbesserungen  aufgenommen,  welche 
die  fortschreitende  Technik  zur  Verfügung  stellte.  In  den  Beleuch- 
tungseinrichtungen blieb  leider  eine  gewisse  Sorglosigkeit  bis  in 
neueste  Zeit  hinein  an  der  Herrschaft.  Weder  dachte  man  daran,  die 
Gasleitungen  durch  Zerlegung  in  mehrere  Einzelsysteme 
mehr  sicher  in  der  Funktionierung  und  weniger  gefährlich  zu  machen, 
noch  wurde  der  Benutzung  geschützter  Flammen  an  Stellen,  wo  die 
ofiene  Flamme  Gefahr  bringen  konnte,  noch  auch  der  Verminderung 
bewegbarer  Flammen  (auf  drehbaren  Armen  angebrachten  oder  aus 
Gummischläuchen  gespeisten)  diejenige  Aufmerksamkeit  geschenkt, 
welcher  diese  Einrichtungen  in  so  hohem  Maße  bedürfen.  Es  ist  nicht 
zu  viel  behauptet,  daß  die  Mehrzahl  der  Theaterbrände  in  dem  Gebrauch 
ungeschützter,  bezw.  beweglicher  Flammen,  und  in  Undichtigkeiten 
von  Leitungen,  —  insbesondere  von  Gasschläuchen  —  ihre  Ursache  hat. 

In  jüngster  Zeit  sind  den  alten  Konstruktionsmaterialien,  Holz  und 
Stein,  andere,  neue  zur  Seite  getreten ,  welche  vollständigen  Ersatz 
für  fast  alle  Inneneinrichtungen  der  Theater  bieten.  Zu  Kulissen 
und  Schnürboden  wird  in  ausgedehntem  Maße  von  Eisen  (in  Form 
von  Wellblech  und  glattem  Blech)  Gebrauch  gemacht  und  für  eine  ganze 
Reihe  von  Versatzstücken  aller  Art,  den  Praktikables  u.  s.  ,w.,  hat  man 
einen  ungleich  weniger  gefährlichen  Ersatz  in  dem  sogen.  Horizont  ge- 
funden. Derselbe  ist  ein  langes  Stück  entsprechend  breiter  Leinwand,  deren 
Bemalung  in  regelmäßiger  Reihenfolge  und  Abstufungen  alle  Himmel s- 
prospekte  zeigt,  der  also  die  Stelle  einer  ganzen  Anzahl  entsprechend 
bemalter  einzelner  „Hinterhänge"  vertritt.  An  beiden  Enden  auf  stehende 
Rollen  aufgewickelt  und  den  ganzen  Bühnenhintergrund  hufeisen- 
förmig umschließend,  kann  jede  Stelle  des  Horizonts  durch  Bewegung 
der  beiden  Rollen  —  auch  bei  offener  Scene  —  in  die  gewollte  Posi- 
tion gebracht  werden,  sodaß  in  der  Verwendung  des  Horizonts  nicht 
nur  eine  große  Vervollkommnung  aller  im  Freien  spielenden  Scenen, 
sondern  auch  eine  bedeutende  Verminderung  der  Feuersgefahr  verwirklicht 
worden  ist.  Diejenigen  beweglichen  brennbaren  Teile,  welche  nach  Ein- 
führung zahlreicher  Stücke  aus  Eisen  und  des  Horizonts  auf  der  Bühne 
noch  verbleiben,  werden  durch  Auftragen  der  Farben  in  dicker  Schicht, 
sowie  durch  Imprägniermittel,  wenn  auch  nicht  vollkommen  geschützt, 
so  doch  weniger  leicht  entflammbar  gemacht. 

Eine  förmliche  Umwälzung  hat  die  Bühnenmaschinerie  er- 
litten, insofern  daraus  der  Handbetrieb  öfter  bis  auf  ein  Minimum  entfernt 
und  an  seine  Stelle  der  Betrieb  mit  Wasserdruck  gesetzt  worden 
ist  (naheliegende  Beispiele  Theater  in  Budapest  und  Halle).  Alle  Be- 
wegungen vollziehen  sich  beim  Druckwasserbetrieb  durch  Wirkung  sogen, 
hydraulischer  Kolben,  welche  das  Druckwasser  von  einer  besonderen 
Anlage  empfangen,  und  jene  arbeiten  entweder  direkt  oder  durch 
Vermittelung  von  Drahtseilen,  sodaß  die  Hunderte  von  leicht  entflamm- 
baren  Hanfseilen,   deren   das   alte   Theater  nicht  entraten   zu   können 


Die  Sicherheit  in  Theatern  und  in  größeren  Versammlungs-Räumen.    123 

glaubte,  fast  ganz  verschwunden  sind;  mit  ihnen  gleichzeitig  auch  die 
schwerfälligen  hölzernen  Haspel,  Rüstungen,  Wagen  u.  s.  w.  sowohl 
aus  der  Unter-  als  Oberbühne.  Indem  durch  den  Druckwasserbetrieb 
auch  große  Teile  des  Bühnenpodiums  zur  Hebung  und  Senkung  sowohl 
in  lotrechtem,  als  schrägen  Sinne  eingerichtet  werden  können,  kommen 
bei  demselben  auch  die  beweglichen ,  feuerbedenklichen  „Aufbauten" 
auf  den  Bühnen  größtenteils  in  Fortfall. 

Für  den  inneren  Ausbau  sind  in  den  Rabitz-  und  Monier- 
Konstruktionen  (Mörtel  mit  Eiseneinlagen),  den  Magnesit- 
platten, Korksteinen,  Gipsdielen,  Hohlsteinen  u.  s.  w., 
endlich  im  Cementbeton  dem  Architekten  feuersichere,  tragfähige, 
wenig  Raum  einnehmende,  die  Akustik  nicht  beeinträchtigende  Kon- 
struktionsmittel in  die  Hand  gegeben,  mit  deren  Hilfe  er  des  Gebrauchs 
des  leicht  brennbaren  Holzes  bei  Theaterbauten  bis  auf  ein  Minimum 
entraten  kann.  In  welchem  Maße  dies  der  Fall,  zeigt  die  Angabe,  daß 
heute  Holz  in  den  Zwischendecken  der  Ränge,  in  der  Decke  des  Zu- 
schauerraumes, zu  den  inneren  Wänden  der  Logengänge,  zu  den 
Logen-Teil  wänden,  zu  den  Stufen  im  Parkett,  Logen  u.  s.  w.,  zu  den 
Brüstungen  der  Ränge  nicht  mehr  gebraucht  wird,  daß  auch  die  zahl- 
reichen Ummantelungen  der  Leitungen  für  Elektricität,  Wasser  u.  s.  w., 
endlich  die  Heiz-,  Rauch-  und  Ventilationskanäle,  sowie  das  ganze 
Dach  des  Gebäudes,  aus  dem  einen  oder  anderen  der  oben  genannten 
Konstruktionsmaterialien  ohne  jegliche  Mitverwendung  von  Holz  her- 
gestellt werden  können.  Nur  für  das  Bühnenpodium  bleibt  man  bislang 
beim  Holze  stehen,  aus  dem  besonderen  Grunde,  daß  die  scenischen 
Darstellungen  hier  ein  Material  fordern,  an  welchem  mit  Leichtigkeit 
bewegliche  Teile  durch  Schrauben,  Nägel  u.  s.  w.  befestigt  werden 
können. 

Fast  alle  Anforderungen  und  Maßregeln,  die  im  Vorstehenden  als 
notwendig  oder  zweckmäßig  Erwähnung  gefunden  haben,  sind  in  der 
preußischen  Polizeiverordnung  vom  1.  Dezbr.  1889  zu  gesetzlichen 
Vorschriften  erhoben  worden,  freilich  nicht  ganz  unterschiedlos,  insofern 
die  Verordnung  kleine  Theater  etwas  weniger  streng  behandelt,  als  die 
großen.  Als  große  Theater  gelten  in  der  Verordnung  Theater,  welche 
mehr  als  800  Zuschauer  fassen,  als  kleine  die  auf  eine  geringere  Zuschauer- 
zahl berechneten.  Für  große  Theater  wird  elektrische  Beleuchtung 
vorgeschrieben,  für  kleine  Gasbeleuchtung  —  in  mehrere  Systeme  zerlegt 
—  zugelassen ;  sonstige  Unterschiede  werden  aber  nicht  gemacht.  Der 
Maßstab  für  die  Höhe  der  Zuschauerzahl  wird  in  der  Verordnung  durch 
Feststellung  der  kleinsten  zulässigen  Abmessungen  für  die  Sitz-  und 
Stehplätze,  der  kleinsten  zulässigen  Gangbreiten,  bezw.  der  größten  zu- 
lässigen Längen   der  Sitzreihen  zwischen  zwei  Gängen  festgelegt. 

Die  in  die  Einzelheiten  der  Konstruktionen  eingehenden  Vor- 
schriften müssen  in  der  Verordunng  selbst  nachgelesen  werden. 

b)   Einschränkende,    gegen  die  Ausdehnung  eines  Bran- 
des gerichtete  Maßregeln. 


1.   Löscheinrichtungen 


2,   5,   10,    14 


Entweder  muß  das  Theater  an  eine  in  ununterbrochenem  Be- 
triebe gehaltene  öffentliche  Wasserleitung  mit  ausreichend  hohem 
Drucke    angeschlossen,    oder  für   seinen    Zweck    eine   eigene    Wasser- 


124 


BÜSING, 


leitung  eingerichtet  werden.  Letzteres  wird  sich  überall  da  als  not- 
wendig erweisen,  wo  das  Theatergebäude  groß  ist  und  namentlich 
sein  Höhenmaß  dasjenige  der  sonstigen  Häuser  der  Stadt  einiger- 
maßen überschreitet.  Zwar  ist  in  der  Anwendung  von  sogen.  Reservatoren 
(Druckwindkessel,  die  von  einer  Luftkompressionspumpe  bedient  werden) 
ein  Mittel  gegeben,  auch  in  einem  städtischen  Leitungsnetze  den  Druck 
vorübergehend  mehr  oder  weniger  erheblich  zu  vergrößern.  Dies 
Mittel  ist  indes  heute  noch  zu  selten  erprobt,  um  zu  allgemeinerer 
Anwendung  empfohlen  werden  zu  können,  wogegen  seiner  Anwendung 
für  Einzelversorgungen  nichts  im  Wege  steht.  Im  Effekt  ist 
demselben  die  Benutzung  geschlossener  Reservoire  gleich,  in  die 
das  Wasser  von  einer  Druckpumpe  hineingepreßt  wird,  so  lange,  bis 
der  Druck  desselben  die  festgesetzte  Grenze  erreicht.  (Hierzu  mehrere 
Beispiele,  worunter  insbesondere  das  Opernhaus  in  Frankfurt  a.  M.  zu 
erwähnen  ist.)  Für  stete  Löschbereitschaft  im  unteren  Teil  des  Ge- 
bäudes wird  sich  das  beständige  Gefüllthalten  einiger  Reservoire  in  den 
Dachräumen  des  Gebäudes  empfehlen ;  wichtig  ist  der  Schutz  derselben 
gegen  Einfrieren. 


Fig.   1.     Horizontales  Bühnenregen-System,  worin 
A  und  B  Wasserreservoire  sind. 


Fig.  2.  Detail  der  Ver- 
bindung der  Wasserreser- 
T  voire  mit  den  Wasserrohren 
u.  bezw.  Wanddurchlochung 
der  Rohre. 


Die  speziellen  Löscheinrichtungen  (Hydranten,  Schläuche,  Spritzen) 
bieten  nichts  Besonderes;  anders  jedoch  die  Einrichtung  eines  sogen. 
Bühnenregens,  welche,  früher  nur  in  einzelnen  Fällen  vorkommend, 
durch  die  mehrfach  citierte  Verordnung  vom  1.  Dezbr.  1889  für  die  Theater 
in  Preußen  obligatorisch  geworden  ist.  Der  Bühnenregen  wird  aus  einer 
großen  Anzahl  von  kupfernen  Röhren,  hergestellt,  welche  im  oberen  Teil  des 
Bühnenraumes  wagrecht  (auch  stehend)  in  mehreren  Höhen  über-  bezw. 
auch  hintereinander  angeordnet  werden  können,  und  deren  Wandung  ent- 
weder ganz  oder  nur  zu  einem  Teile  von  kleinen  Löchern  regelmäßig 
durchsetzt  ist,  durch  welche  aus  einem  Reservoir  Wasser  in  Regenform 
austritt  (Fig.  1,  2).     Die  erste  Ausführung  dieser  Art  hat  1 875  im  Hof- 


Die  Sicherheit  in  Theatern  und  in  größeren  Versaminlungs-Räumen.    125 

theater  zu  München  stattgefunden.  Einen  entsprechenden  Nutzen  der 
Einrichtung  des  Bühnenregens  hat  man  unter  Verweisung  darauf  zu- 
weilen in  Zweifel  gezogen,  daß  das  Wasser  nur  per  Zufall  an  diejenige 
Stelle  gelange,  an  der  dasselbe  Löschdienste  leisten  solle.  Fernerweit 
ist  auf  die  Schwierigkeiten  aufmerksam  gemacht  worden,  mit  welchen 
die  zur  Erhaltung  steter  Funktionsfähigkeit  des  Bühnenregens  unent- 
behrlichen öfteren  Probungen  verbunden  sind.  Beides,  unbeschadet  der 
Thatsache,  daß  der  Bühnenregen  in  einigen  Fällen  erprobt  befunden  ist, 
zugegeben,  ist  doch  darauf  hingewiesen  worden,  daß  der  Bühnenregen 
darin  einen  besonderen  Vorzug  besitzt,  daß  derselbe  noch  über  die 
Zeit  hinaus  funktionieren  kann,  wo  die  Feuerwehr  sich  wegen  Lebens- 
gefahr bereits  aus  dem  brennenden  Hause  hat  zurückziehen  müssen. 
Auch  hat  sich  die  Schwierigkeit  der  Probungen  thatsächlich  weniger 
groß  erwiesen  als  erwartet  worden  war;  vielfach  wird  statt  mit  Wasser 
mit  Dampf  geprobt. 

2.    Brandmauern;  Schutzvorhang  der  Bühne  u.  s.  w. 

Was  sonst  gegen  Ausbreitung  von  Bränden  in  Theatern  geschehen 
kann,  besteht  in  Herstellung  dauernder,  bezw.  auch  vorübergehender 
Abschlüsse  verschiedener  Teile  des  Gebäudes  gegen  einander.  Die 
besonders  gefährdenden  Teile,  wie  Wohnungen,  Restaurationslokalitäten, 
Werkstätten,  Dekorations-  und  Kohlenmagazine  und  die  Räume  der 
Centralheizungen,  müssen  dauernd  durch  sogen.  Brandmauern  ohne 
Oeffnungen,  oder  mit  feuer-  und  rauchsicheren  Abschlüssen  der  Oefl- 
nungen,  von  den  übrigen  Teilen  des  Gebäudes  gesondert  werden.  Dasselbe 
gilt  mit  Bezug  auf  den  Hauptherd  der  Gefahr,  den  Bühnenraum. 
Einige  Schwierigkeiten  kann  dabei  der  Verschluß  der  Bühnenöffhung 
bieten,  wenn  dieselbe  sehr  groß  ist,  weil  alsdann  die  Schwere  des  an- 
zuwendenden eisernen  Vorhanges  gewisse  Gefahren  in  sich  birgt, 
auch  die  Bewegungsvorrichtungen  verwickelt  ausfallen  und  oft  der  Raum 
für  die  Bewegung  des  Vorhanges   in  geöffnetem  Zustande  knapp  ist. 

Die  Einzelausgestaltung  des  Vorhanges  wechselt  mannigfach;  am 
meisten  kommen  Vorhänge  aus  Wellblech  vor ,  welches  Material  sich 
einmal  wegen  seiner  größeren  Widerstandsfähigkeit  gegen  den  ein- 
seitigen Druck  hoch  gespannter  Gase  und  sodann  auch  dadurch  empfiehlt, 
daß  es  beim  Vorbeistreichen  der  Flamme  weniger  leicht  in  glühenden 
Zustand  gerät  als  glattes  Blech.  Die  Bewegung  des  Vorhanges  wird 
meist  von  Hand  bewirkt,  da  man  die  Last  durch  Anbringung  von 
Gegengewichten  einigermaßen  ausgleicht.  Bewegung  durch  Wasserdruck 
kommt  selten  vor;  wichtig  für  stete  und  rasche  Funktionsfähigkeit  des 
eisernen  Vorhanges  sind  häufig  vorzunehmende  Probungen. 

Einen  mehrfach  ausgeführten  Vorhang  aus  Wellblech  zeigen  die 
Fig.  3—6  (S.  126  u.  127).  Die  Erklärungen  der  Einzelheiten  sind  in  den 
„Beischriften"  der  Figuren  enthalten. 

Zu  mehrerem  Schutz  gegen  Uebergreifen  eines  auf  der 
Bühne  ausgebrochenen  Brandes  in  den  Zuschauerraum 
dienen  zwei  andere  Vorkehrungen,  a)  Der  Schnürboden  soll  um  ein  gewisses 
Stück  höher  liegen  als  die  Decke  des  Zuschauerraumes;  die  preußische 
Polizeiverordnung  vom  1.  Dez.  1889  setzt  den  Höhenunterschied  auf  min- 
destens 3  m  fest,  b)  Die  Anbringung  einer  oder  mehrerer  Oeffnungen 
im  Dache  über  der  Bühne,  durch  welche  die  Verbrennungsgase  leichter 
ihren  Austritt   ins  Freie  nehmen   als   durch    den  Zuschauerraum.     Die 


126 


BUSING, 


Fig.  3.     Einteiliger  eiserner  Vorhang  im  Hoftheater   zu  Braunschweig. 

Beischrift  zu  Fig.   3. 

Von  der  sehr  hohen  Bühnenöffnung  ist  die  obere  Hälfte  durch  eine  feste  Wellblech- 
wand geschlossen,  in  der  eine  breite,  schließbare  Oeffnung  O  liegt,  die  zum  Malersaal  führt. 
Ebenfalls  ist  die  Unterbühne  durch  eine  feste  eiserne  Wand,  in  welcher  5  Thüren  liegen, 
gegen  den  Zuschauerraum  abgeschlossen.  W  ist  die  Winde  zum  Bewegen  des  mit  zwei- 
seitigen Gegengewichten  ausbalanzierten,  4-fach  aufgehängten   Vorhanges. 


Die  Sicherheit  in  Theatern  und  in  größeren  Versammlungs-Räumen.    127 

Größe  der  Oeffnungen  ist  eine  bestrittene  Frage;  die  eben  genannte 
Verordnung  setzt  dieselbe  auf  mindestens  1/20  der  Bühnengrundfläche 
fest  und  läßt  zu,  daß  die  Oefroungen  geschlossen  gehalten  werden;  die 
Verschlüsse  müssen  aber  die  Einrichtung  haben,  um  mit  einem  einzigen 
Handgriffe  auslösbar  zu  sein.  Anderweitig  wird  sowohl  für  ein  Mehr  als 
für  ein  Weniger  der  Oeflnungen  plädiert,  ebenso  dafür,  daß  die  Abzüge 


Fig.  4  und  5.  Oberes  und  unteres  Ende  des  Vor- 
hanges Fig.   3. 

B  e  i  s  ch  r  i  f  t  zu  Fig.  4  und   5. 

Der  Vorhang  hängt  im  geschlossenen  Zustande  auf 
einer  sogen.  Sandschiene  D,  wodurch  an  der  Oberseite 
der  rauchsichere  Abschluß  hergestellt  wird. 

An  der  Unterseite  dient  für  denselben  Zweck  eine 
mit  Filz  besetzte  Holzleiste  F.  B  ist  ein  Bolzen,  an  wel- 
chem der  Vorhang  aufgezogen  wird. 


Fig.  6.  Schnitt  durch  die  seitliche  Führung  des  Vor- 
hanges Fig.   3. 

Beischrift  zu  Fig.   6. 

Seitlich  geschieht  der  rauchsichere  Abschlufs  durch 
wassergefüllte  Schläuche  S,  die  in  Führungsnuthen  liegen. 
B  sind  Führungsrollen. 


dauernd  offen  gehalten   werden.      Dieselben  können  auch  zum  selbst- 
tätigen Oeffhen  durch  das  Feuer  eingerichtet  sein. 


c)  Specielle   Sicherheitsmaßregeln    zu  Gunsten  der  Be- 
sucher   und    der    sonst    im    Theater    sich    aufhaltenden 

Personen  5-  10-  15. 

1.    Sitzplätze ;  Gänge ;  Thüren ;  Treppen ;  Ausgänge. 

Alle  Maßregeln  hierher  gehöriger  Art  gipfeln  darin,  den  im  Theater- 
gebäude sich  aufhaltenden  Personen  die  Möglichkeit  zu  verschaffen, 
in  einem  Minimum  von  Zeit  das  Freie  zu  erreichen.  Für  die- 
jenigen Personen,  welchen  bei  unvermeidlicher  Länge  der  Wege  eine 
etwas  vermehrte  Zeitdauer  erforderlich  ist,  muß  in  der  Weise  gesorgt 
werden ,  daß  ihre  Wege  während  der  notwendigen  längeren  Dauer 
passierbar  bleiben. 

Die  größtmöglichste  Eile  beim  Verlassen  des  Hauses  wird  weniger 
durch  das  Sichtbarwerden  einer  Flamme  als  durch  die  mit  rapider 
Schnelligkeit  vor  sich  gehende  Verbreitung  irrespirabler  Gase  bedingt. 
Dieselben  gelangen  innerhalb  weniger  Minuten  (beim  Wiener  Ring- 
theaterbrande wurden  als  Maximum  2  Minuten  ermittelt)  durch  offen- 
stehende oder  undichte  Thüren  u.  s.  w.  in  Gänge,  Treppenhäuser 
und  alle,  selbst  die  entferntest  liegenden  Teile  des  Gebäudes,  insbe- 
sondere aber  in  die  hochliegenden ;  das  Sichtbarwerden  der  Flamme 
wird  gewöhnlich  eine  Panik  hervorrufen.  Vereinzelt  ist  die  Forderung 
erhoben  worden,  alle  Einrichtungen  so  zu  treffen,  damit  die  vollständige 


128  BÜSING, 

Entleerung  des  Hauses  in  dem  Zeitraum  von  nicht  mehr  als  1 — 2  Minuten 
möglich  sei.  Aus  der  für  die  Entleerung  festzusetzenden  Zeitdauer 
und  der  (bekannten)  Geschwindigkeit  der  Menschen  sind  die  Unter- 
lagen für  die  rechnerische  Bestimm ung  der  notwendigen  Wege- 
breiten,  durch  die  der  Menschenstrom  sich  ergießen  kann,  zu 
gewinnen.  Wird  die  kleinste  Schrittweite  des  Menschen  zu  0,5  m  und 
1  Schritt  in  1  Sekunde  (also  0,5  m  in  1  Sek.)  als  im  Gedränge  einzu- 
haltende Geschwindigkeit  und  die  für  1  Person  erforderliche  Breite  zu 
0,5  m  angenommen ,  so  würden  auf  einer  Gangbreite  von  1  m  in 
1  Minute  100—120  Menschen  passieren  köunen,  wenn  die  Bewegung- 
aller  sich  regelmäßig  und  auf  ebenem  Boden  vollzöge ,  wenn 
auch  keine  Richtungswechsel  und  Verengungen  des  Weges  hinderlich 
wären.  Wo  solche,  wie  fast  überall,  unvermeidlich  sind  und  wo  der 
Weg  teilweise  auf  Treppen  zurückzulegen  ist,  wird  man  auf  Ver- 
zögerungen in  der  Bewegung  des  Menschenstromes,  d.  h.  auf  eine  ent- 
sprechend geringere  als  die  oben  angegebene  Menschenzahl  pro  1  m 
Gang-(bezw.  Treppen-  und  Thür-)Breite  rechnen  müssen,  während  unter 
besonders  günstigen  Umständen  darüber  etwas  hinausgegangen  werden 
darf.  Entsprechend  werden  die  betr.  Zahlen  in  den  Grenzen  von  60 
und  150  Personen  (in  der  Regel  70—90)  angenommen,  wobei  aber 
vorausgesetzt  ist,  daß  nicht  Menschenströme  ungleicher  Richtungen 
zusammengeführt  werden,  sondern  die  Bewegungen  der  einzelnen  Ströme 
sich  auf  der  ganzen  Wegeslänge  in  streng  gesonderten  Bahnen  voll- 
ziehen. Für  letzteren  Zweck  ist  vorzuschreiben,  daß  jeder  R  a  n  g  seine 
eigenen  Abgänge  (Korridore,  Treppen,  Ausgangsthüren  u.  s.  w.)  und 
zwar  mindestens  zwei  erhalte  und  ebenso  die  Bühne.  Kein 
Rang  darf,  wenn  auch  auf  denselben  auch  nur  eine  kleinere  Personenzahl 
als  die  rechnungsmäßig  zulässige  angewiesen  ist,  eine  gewisse  Min  im  al- 
breite, 1,0 — 1,5  m,  unterschreiten. 

Ein  sehr  wirksames  Mittel  zur  Abkürzung  der  für  das  Verlassen 
des  Hauses  notwendigen  Zeit  besteht  in  der  auskömmlichen  Be- 
messung der  Sitzgrößen;  dieselben  sollen  nicht  kleiner  als 
50  cm  breit  und  von  Sitzreihe  zu  Sitzreihe  80  cm  tief  sein ;  Stehplätze 
dürfen  auf  1  qm  Fläche  nicht  mehr  als  3  gerechnet  werden.  Die  Sitz- 
reihen sind  fest  anzuordnen.  Als  weiteres  Mittel  ist  Vermeidung 
langer  Sitzreihen  durch  Freihalten  von  Gängen  anzuführen ;  Sitzreihen 
von  mehr  als  12,  ausnahmsweise  15  Plätzen  sollten  nicht  vorkommen. 
Ob  Niederlegbarkeit  der  Stühle,  wozu  mehrere  Konstruktionen  in  Vor- 
schlag gebracht  sind  14,  sich  empfiehlt,  muß  fraglich  erscheinen.  Jeden- 
falls hat  von  praktischer  Bewährung  solcher  Einrichtungen  bisher  nichts 
verlautet. 

Je  größer  die  H  öhe ,  je  länger  und  beschwerlicher  der  Abgang.  Darin 
findet  eine  Beschränkung  der  Rängezahl  ihre  Rechtfertigung; 
4,  besser  noch  nur  3  oder  2  Ränge  (außer  Parkett)  sollten  die  Höchst- 
zahl sein.  Daneben  muß  für  die  Höhenlage  des  Parketts  über  den  Erd- 
boden eine  obere  Grenze  (2 — 3  m)  festgesetzt  werden.  Auch  für  Wohn- 
räume und  Werkstätten  im  Theatergebäude  ist  ein  Maximum  der  Höhen- 
lage vorzuschreiben. 

Treppen  sollen  bequem  zu  begehen  sein,  d.  h.  angemessene 
Steigungsverhältnisse  und  Auftrittsbreiten  erhalten.  Wendel-  und  Keil- 
stufen sind  möglichst  ganz  zu  verbieten.  Unterbrechungen  von  Korri- 
doren durch  einzelne  oder  einige  Stufen  sind  nicht  zu  dulden.  Treppen 
und  Thüren  sind  derartig  zu   disponieren,   daß   die  Besucher,   um   die 


Die  Sicherheit  in  Theatern  und  in  größeren  Versammlungs-Räumen.    129 

Ausgänge  zu  erreichen,  sich  nicht  der  Bühne  zuzuwenden,  sondern  von 
derselben  abzuwenden  haben.  Es  dürfen  auch  niemals  zwei  neben- 
einander liegende  Treppen  zu  einer  vereinigt,  sondern  es  müssen  beide 
ihrer  ganzen  Erstreckung  nach  gesondert  geführt  werden ;  dasselbe  gilt 
für  Treppenhäuser. 

Das  Parkett  sowohl  als  die  Ränge  und  die  Bühne  müssen  mit 
breiten  (2 — 3  m)  Korridoren,  die  auf  ihrer  ganzen  Länge  nicht 
unterbrochen  sein  sollen,  umgeben  sein,  zum  Zweck  der  raschen  Auf- 
nahme größerer  Menschenmengen  und  deren  Ordnung  zum  Verlassen 
des  Hauses  in  regelmäßiger  Bewegung. 

Bei  nicht  allseitig  freier  Lage  des  Hauses  müssen,  um  die  Wege 
zum  Austritt  nicht  unnötig  zu  verlängern,  zur  Seite  und  hinter  dem 
Gebäude  freie  Plätze  (Höfe)  belassen  werden,  groß  genug,  um  die 
auf  dieselben  event.  angewiesenen  Menschenmengen  aufzunehmen  (für 
3 — 4  Menschen  1  qm  Fläche).  Solche  Plätze  müssen  mit  Straßen  u.  s.  w. 
in  unmittelbarer  Verbindung  stehen. 

Thüren,  welche  in  die  Wege  der  Abgehenden  fallen,  müssen  nach 
außen  aufschlagen  und  möglichst  Verschlüsse  erhalten,  welche  auf  einen 
geringen  Druck  öffnen,  auch  leicht  wieder  zuschlagen  und  dabei  einiger- 
maßen dicht  schließen.  Verengung  der  Korridore  durch  geöffnete 
Thüren  ist  unzulässig,  desgleichen  das  Anbringen  von  Vorhängen  an 
Thüren;  die  Anwendung  von  Schiebethüren  ist  nicht  zu  erlauben.  Alle 
in  die  Wege  der  Abgehenden  fallenden  Thüren  sind  ständiger  Be- 
nutzung zu  überlassen,  weil  nur  genaue  Bekanntschaft  mit  den  Aus- 
gängen, nicht  aber  der  Gebrauch  sogen.  Notthüren  einen  Erfolg  in 
Aussicht  stellt.  —  Ausnahmen  machen  Thüren  zu  Aborten  und 
Toiletten  -  Räumen ,  für  die  eine  versteckte  Lage  angezeigt  ist.  Er- 
fahrungsmäßig geraten  aber  bei  einer  Panik  Flüchtende  leicht  in  solche 
Räume  hinein  und  kommen  darin  um,  wenn  es  ihnen  nicht  gelingt,  den 
Rückzug  leicht  wieder  zu  gewinnen.  Thüren  solcher  Räume  sollen  des- 
halb dem  Eintretenden  entgegenschlagen  oder  in  anderer  ge- 
eigneter Weise  den  Eintritt  erschweren,  den  Wiederaustritt  erleichtern. 

2.   Natürliche  und  künstliehe  Beleuchtung;  Ventilation. 

Daß  auch  zur  Sicherheit  der  Ausgänge  scharfe  Sonderung 
der  wahrscheinlichen  Herde  eines  Brandes  von  den  Korridoren,  Treppen- 
häusern und  Fluren  notwendig  ist,  mag  nur  beiläufig  an  dieser  Stelle 
abermals  berührt  werden,  wie  desgleichen  die  Forderung,  daß  die  Um- 
schließungen der  Flure,  Korridore,  Treppenhäuser  und  die  Treppen 
selbst  unverbrennlich  oder  doch  nur  schwer  verbrennlich  hergestellt 
werden. 

Um  Rettungen  von  außen  nicht  zu  hindern,  sollen  Fenster  zum 
Oeffnen  eingerichtete  Flügel  erhalten   und   müssen  unvergittert  bleiben. 

Korridore  und  Treppenhäuser  müssen  direktes  Licht  von  außen 
empfangen.  Zur  Abendbeleuchtung  von  großen  Theatern  ist  in  Preußen  nur 
elektrisches  Licht  zulässig,  Gaslicht  bloß  bei  kleinen  Theatern 
erlaubt.  Die  Gaszuleitung  muß  von  mehreren  Punkten  der  Straßen- 
leitung aus  geschehen,  sodaß  mehrere  von  einander  unabhängige  „Systeme" 
entstehen.  Damit,  wenn  ein  Brand  das  frühe  Verlöschen  der  Haupt- 
beleuchtung zur  Folge  hat,  nicht  völlige  Dunkelheit  der  Ausgänge  statt- 
finde ist  auf  Fluren  und  Treppen  eine  sogen.  Notbeleuchtung  (mit 

13 


130  BÜSING, 

Kerzen  oder  Oel)  einzurichten,  die  so  angeordnet  werden  muß,  daß  sie 
durch  erstickende  Gase  in  ihrer  Funktionierung  nicht  gehindert  wird. 
Ob  es  zweckmäßig  sei,  über  dem  Zuschauerraum  eine  größere 
Ventilationsöffnung  anzuordnen,  ist  bestrittene  Frage,  weil  damit  die 
Gefahr  verbunden  ist,  daß  der  Abzug  der  auf  der  Bühne  entstandenen 
giftigen  Gase  in  den  Zuschauerraum  befördert  werde.  Indessen  ist 
doch  zu  bedenken,  daß,  wenn  eine  Abzugsöffnung  über  dem  Zuschauer- 
raum vorhanden  ist,  vielleicht  ein  Zutritt  erstickender  Gase  zu  den  in 
den  oberen  Rängen  befindlichen,  sonst  stark  gefährdeten  Personen  ver- 
hindert wird.  Für  die  Treppenhäuser  und  Korridore  empfiehlt  sich 
zur  Verringerung  der  Erstickungsgefahr  die  Anordnung  einer  kräftigen 
Ventilation  jedenfalls. 

(Vergl.  über   Ventilation  und  Beleuchtung  Bd.  IV  dieses  Handbuches.) 

3.    Sicherheitsvorkehrungen  besonderer  Art10,  15. 

Bezüglich  a  1 1  e  r  im  Vorstehenden  berührten  Sicherheitsvorkehrungen 
sind  in  der  preußischen  Polizei-Verordnung  vom  1.  Dezember  1889  bin- 
dende Vorschriften  aufgestellt,  auf  welche  hier  verwiesen  werden  muß. 
Es  mag  aber  noch  kurz  einiger  anderweiten;  künstlichen  Vor- 
kehrungen zur  Vermehrung  der  Theatersicherheit  Erwähnung  gethan 
werden,  welche  wegen  der  Seltenheit  ihres  Vorkommens  bisher  außer 
Betracht  gelassen  sind.  Bei  allen  handelt  es  sich,  besonders  um 
Raschheit  und  Unmittelbarkeit  der  Wirkung  zu  erzielen,  um  Be- 
nutzung von  Elektrizität.  Es  sind  elektrische  Einrichtungen  zum  Schluß 
des  Bühnenvorhanges,  zum  Oeflnen  der  Luftabzüge  über  der  Bühne, 
zum  selbständigen  Ingangsetzen  des  Bühnenregens,  zum  gleichzeitigen 
Oeffnen  aller  Thüren  u.  s.  w.  erdacht,  ohne  aber,  soviel  bekannt,  bisher 
praktische  Anwendung  zu  finden.  Dagegen  sind  in  Gebrauch  genommen 
worden :  Wächterkon  troll-Telegraphen,  welche  zweifelsfreie 
Feststellungen  über  die  Thätigkeit  des  Wächters  liefern;  Anruf - 
Telegraphen,  die  dem  Wächter  oder  anderen  Beamten  die  Mög- 
lichkeit geben ,  rasch  Hilfe  nach  besonders  gefährdeten  Stellen  zu 
rufen;  Thürschluß-Telegraphen,  welche  selbstthätige  Meldung 
von  dem  Offenstehen  einer  Thür  u.  s.  w  machen,  deren  beständiger 
Schluß  von  Bedeutung  ist;  Wärmetelegraphen,  welche  eben- 
falls nach  bestimmten  Stellen  Mitteilung  bei  Erreichung  einer  be- 
stimmten Temperatur  geben  und  noch  andere  Vorrichtungen  ähn- 
licher Art.  Bei  allen  derartigen  Hilfsmitteln  will  die  Gefahr  nicht  außer- 
acht  gelassen  werden,  daß  sie  im  gegebenen  Augenblick  versagen.  Die- 
selbe ist  um  so  größer,  als  ihre  Thätigkeit  eine  nicht  regelmäßige,  auf 
die  Angabe  des  Gewöhnlichen  beschränkte  ist,  sondern  sie  gerade 
von  dem  Ungewöhnlichen  Kenntnis  geben,  bezw.  dasselbe  verhindern 
sollen,  mithin  einer  Anforderung  zu  genügen  haben,  die  dem  Grund- 
gedanken eines  mechanischen  Apparates  zuwiderläuft. 

Nicht  unwichtig  erscheinen  schließlich  einfache  Sicherheitsvor- 
richtungen gegen  das  Herabfallen  von  Operngläsern, 
Fächern  u.  s.  w.  aus  den  Rängen. 

II.  Cirkusanlagen10. 

Da  bei  Cirkusanlagen  Bühne  und  Vorräume  fehlen,  die  ganze  Dis- 
position zudem  auf  ein  Auseinanderströmen  der  Besucher  beim 
Verlassen    des   Gebäudes   getroffen   wird ,    können   die   sicherheitlichen 

14 


Die  Sicherheit  in  Theatern  und  in  größeren  Versammlungs-Räumen.    131 

Anforderungen  an  dieselben  geringer  als  bei  Theatern  gehalten  werden. 
Dies  gilt  sowohl  mit  Bezug  auf  die  Konstruktion  des  Gebäudes  als 
mit  Bezug  auf  die  Breite  der  Gänge,  Treppen  und  Thüren.  Doch  wird 
wegen  der  größeren  Besucherzahl  in  der  Regel  allseitig  freie  Lage 
des  Cirkus  zu  fordern  sein.  Weitere  wesentliche  Anforderungen  bestehen 
darin,  daß  die  Räume  zur  Aufbewahrung  von  Requisiten  und  Futter- 
vorräten von  den  Räumen,  in  denen  Menschen  verkehren,  gut  gesondert 
werden  und  die  Hohlräume  unter  den  Sitzreihen  für  Gebrauchszwecke 
der  Darsteller  nur  dann  dienen  dürfen,  wenn  sie  durch  unverbrennliche 
Decken  und  Mauern  von  jenen  vollständig  getrennt  sind.  Für  Heizung, 
Wasserversorgung  und  Beleuchtung  werden  im  wesentlichen  die  gleich- 
artigen Vorschriften  wie  für  Theater  gelten  müssen.  In  die  preußische 
Polizeiverordnung  vom  1.  Dezember  1890  sind  die  Cirkus  mit  einbegriffen. 


III.  Versammlungsräume10. 

Hierfür  sieht  die  eben  genannte  Verordnung  folgende  wichtigern 
Bestimmungen  vor : 

Die  Einrichtung  von  Lagerräumen  für  feuergefährliche  Stoffe  über 
oder  unter  Versammlungsräumen  ist  untersagt;  auch  dürfen  derartige 
Räume  nicht  mit  den  für  die  Versammlungsräume  dienenden  Korri- 
doren, Treppen,  Fluren  oder  Durchfahrten  in  Verbindung  stehen. 

Versammlungsräume  für  mehr  als  2000  Besucher  müssen  Ausgänge 
nach  mehreren  Straßen  hin  erhalten,  wenn  nicht  zwischen  diesen 
und  den  Straßen  freie  Flächen  von  solcher  Größe  liegen,  daß  auf 
denselben  die  ganze  Besucherzahl  gleichzeitig  Platz  findet.  —  Der  Fuß- 
boden darf  höchstens  12  m  über  Erdboden  liegen,  und  es  darf  außer 
dem  Parkett  ein  Versammlungsraum  höchstens  zwei  Gallerien  über- 
einander erhalten. 

Die  freie  Gangbreite  soll  mindestens  90  cm,  übrigens  1  m  für 
je  120  Personen  betragen.  Die  Länge  der  Sitzreihen  darf  im  Saal 
nicht  14,  auf  den  Gallerien  nicht  12  Sitze  überschreiten.  Wo  die  Sitz- 
reihen nicht  „fest"  angelegt  werden,  sind  auf  1  qm  Parkettfläche  höch- 
stens 2,  auf  1  qm  Galleriefläche  höchstens  3  Personen  zu  rechnen. 

Korridore  und  Flure  sollen  mindestens  2  m  Breite  haben; 
übrigens  gilt  für  dieselben,  wie  für  die  Breite  der  Thüren,  daß  je  1  m 
Breite  gegeben  werden  soll: 

für    120  Personen  bei  einer  Besucherzahl   bis  zu  600 
„      135  „  „       .,  „  von    600— 900 

„      150  „  „        „  „  über  900. 

Bei  Versammlungsräumen  für  mehr  als  600  Personen  müssen 
Thüren  auf  zwei  Wandseiten  angelegt  werden.  Ermäßigungen  der 
obigen  Zahlen  in  der  WTeise,  daß  die  Personen  zahl  für  1  m  Breite  bis  auf 
das  Doppelte  vermehrt  werden  darf,  sind  zulässig,  wenn  unmittelbar  Aus- 
tritt in  große  Höfe  möglich  ist.  Versammlungsräume  für  weniger 
als  300  Personen  brauchen  nur  1  Treppe  zu  erhalten ;  größere  müssen 
mindestens  2  haben.  Treppenbreite  1  m  für  je  150  Personen  bei 
weniger  als  900  Personen  und  1  m  für  je  200  Personen  bei  mehr  als 
900;  Mindestbreite  1,5  m.  Gallerietreppen  dürfen  nicht  in  den  Saal 
ausmünden,  auch  nicht  in  andere  Räume  in  solcher  WTeise,  daß  Gegen- 
strömungen beim  Verlassen  des  Raumes  entstehen. 

'5 


132  BÜSING, 

Für  die  Beleuchtung  ist  Mineralöl  auszuschließen. 

Die  Vorschriften  über  Feuersicherheit  der  Konstruktionen  sind 
ähnlich  wie  bei  Theatern  getroffen.  Wo  ein  Versammlungsraum  zeit- 
weilig auch  für  theatralische  Aufführungen  benutzt  wird,  treten  ent- 
sprechend abgeänderte  Bestimmungen  in  Wirksamkeit,  die  bei  der 
Mannigfaltigkeit  der  Verhältnisse  hier  übergangen  werden  müssen. 


IV.   Andere  Gebäude  für  grössere  Menschen- 
ansammlungen l  i. 

Neben  der  Polizeiverordnung  vom  1.  Dezember  1889  (die  sich  im 
übrigen  auch  noch  mit  den  Anforderungen  befaßt,  welche  an  zur  Zeit 
des  Erlasses  derselben  bereits  bestehende  Versammlungsräume 
gestellt  werden  sollen)  sind  für  einzelne  Gebäudegattungen, 
welche  regelmäßig  größere  Menschenmengen  aufzunehmen  haben ,  wie 
insbesondere  Kirchen  und  Schulen,  in  Preußen,  am  1.  November 
1892  von  dem  Minister  der  öffentlichen  Arbeiten  Verwaltungsvor- 
schriften erlassen  worden ,  aus  denen  hier  folgendes  Wichtigere  mit- 
geteilt wird. 

Bei  der  Personenzahl  von  mehr  als  300  müssen  in  der  Regel  2,  bei 
mehr  als  800  in  der  Regel  3  gesonderte  Ausgänge,  bezw.  Treppen 
angelegt  werden,  wobei  solche  Nebenausgänge  u.  s.  w.,  die  nicht  leicht 
aufgefunden  werden  können ,  nicht  mitzurechnen  sind.  Richtung  der 
Ausgänge  u.  s.  w.  thunlichst  nach  verschiedenen  Seiten.  Mindestbreite 
derselben  für  je  100  Personen: 

70  cm   bei   der    Besucherzahl  bis  500, 

50    „    Zuschlag   für  je   IOO  Personen  mehr,  in  den  Grenzen  von   500  — IOOO, 

30    ,,  „  „     ,,    IOO  „  ,,         wenn  die  Besucherzahl  IOOO  überschreitet. 

Wendeltreppen  sind  um  30  Proz.  breiter  anzulegen  als  gerade 
Treppen.  Mindestbreite  der  Treppen  1,30  m,  der  Flure  2,50  m.  Die 
Breite  von  Treppen  zu  Kirchenemporen  kann  bis  auf  90  cm 
beschränkt  werden.  —  Auftritt  der  Treppenstufen  nicht  unter  27  cm; 
Steigung  nicht  größer  als  18  cm,  ausgenommen  Treppen  in  Schulgebäuden, 
bei  denen  die  Steigung  nicht  17  cm  überschreiten  darf,  und  solchen 
in  Kirchen,  bei  denen  bis  19  cm  Steigung  zulässig  sein  sollen. 

Für  die  sonst  vorgeschriebenen  Sicherheitsmaßregeln  sind  teilweise 
die  Vorschriften  in  der  Polizeiverordnung  vom  1.  Dezember  1889  maß- 
gebend, teils  haben  dieselben  als  Anhalt  zu  dienen. 


Auch  in  anderen  Staaten  ist  in  den  80  er  Jahren  die  Theater-  u.  s.  w. 
Sicherheit  durch  Gesetz-,  bezw.  Polizeiverordnungen  geregelt  worden, 
doch  nirgends  so  umfassend  wie  in  Preußen;  es  erscheint  deshalb  ge- 
rechtfertigt, von  dem  Inhalte  jener  anderweiten  Bestimmungen  hier  ab- 
zusehen. 


V.   Einige  Beispiele  von  Theater-Grundrissen14  15. 

In   erster  Linie,   und   weil   auch   der   Bau  der   erste   seiner  Art, 
ist     hier     das     Wagner' sehe     Bühnen-Festspielhaus     in 

16 


Die  Sicherheit  in  Theatern  und  in  größeren  Versammlungs-Räumen.    133 

Bayreuth  (Fig.  7)  zu  nennen,  welches  (nach  Ideen  G.  Semper's) 
in  der  ersten  Hälfte  der  70  er  Jahre  vom  Architekten  Brück- 
wald  erbaut,  1876  eröffnet  worden  ist.  Die  Ausführung  ist  zum 
großen  Teil  in  Holzfachwerk  geschehen  und  die  ganze  Disposition 
ausschließlich  von  dem  Gesichtspunkte  beherrscht,  die  Scenerie  zu 
höchstmöglichster  Wirkung  zu  bringen.  Nur  gewissermaßen  zufällig 
ereignet  es  sich,  daß  das  Mittel,  welches  diesem  Zwecke  dient, 
auch  dem  anderen  der  Sicherheit  in  besonderem  Maße  gerecht  wird. 
Dieses  Mittel  besteht  darin ,  daß  auf  die  Anlage-  von  Rängen  Verzicht 
geleistet  und  die  gesamte  Zuschauerschaft  (etwa  1500)  im  Parkett  unter- 


Fig.   7.     Grundrifs  des  Bühnenfestspielhauses  in   Bayreuth. 


gebracht  wird;  nur  daß  hinter  demselben  (mit  Abtrennung  durch  eine 
offene  Säulenstellung)  die  sog.  „Fürstengallerie"  und  über  dieser  eine 
für  Privatzwecke  bestimmte  Loge  angelegt  ist.  Die  vier  Ecktürme  des 
Baues  mit  ihren  Treppenanlagen  haben  für  die  Zuschauer  (abgesehen  von 
den  die  Loge  besuchenden)  keine  Bedeutung,  da  dieselben  nur  Dienst- 
räume enthalten.  Der  Abgang  der  Parkettbesucher  erfolgt  durch  seitlich 
angelegte  Treppen,  Thüren  und  vorgelegte  offene  Hallen.  Von  den 
ersteren  wäre  eine  noch  etwas  größere  Zahl  erwünscht  gewesen.  Bei 
der  außerordentlichen  Bühnengröße  (27,7  m  Breite,  35,6  m  Tiefe  und 
29,2  m  Höhe  über  Podium)  sowie  den  großartigen  Beleuchtungseinrich- 


Handbuch  der  Hygiene.    Bd.  VI. 


•7 


134 


BUSING, 


tungen    der    Bühne    müssen    auch    die   Treppenanlagen   für  die  (auf  4 
Schnürböden  verteilten)  Bühnenarbeiter  als  ungenügend  erscheinen. 

Die  sich  vielleicht  aufdrängende  Ansicht,  daß  durch  den  Verzicht 
auf  die  Anlage  von  Rängen  die  Baufläche  des  Theaters  stark  ver- 
größert werde,  erfährt  durch  das  Bayreuther  Festspielhaus  keine  Be- 
stätigung. Das  erklärt  sich,  wenn  beachtet  wird,  daß  mit  den  Rängen 
auch  die  umgebenden  breiten  Korridore  und  die  Treppenhäuser  in  Weg- 
fall kommen,  ferner  auch  dadurch,  daß  dem  Festspielhause  alle  der 
Erholung  gewidmeten  Räumlichkeiten  (Foyers,  Konditorei  u.  s.  w.) 
fehlen.  — 


Fig.  8.     Untergesehofs  des  Stadttheaters  in  Halle. 
B  e  m.     Das  Baugelände  steigt  von  der  linken   Vorderecke  zur  rechten  Hinterecke  stark 
an;  es  liegen  deshalb  die  Zufahrt,  das  Vestibül  und  die  Restauration  über  Terrain,  während 
alle  übrigen  Räume   dieses  Geschosses  mehr  oder  weniger  tief  in  den   Grund  eintauchen. 

Beischr  i  ft  zu   Fig.  8. 
1   Kasse   —   2  Aufgang  zum   1.  Rang.  —   3   Aufgang  zum  2.  Rang.  —   4  Aufgang  von 
der   Restauration.   —    5  Dampfpumpe  für  den  Druckwasserbetrieb.    —  a  Kanal  für  Frisch- 
luft. —  b  Heizkammern. 

Als  zweites  Beispiel  sei  das  in  den  Jahren  1884 — 1886  vom  Archi- 
tekten H.  Seeling  erbaute  Stadttheater  in  Halle  (Fig.  8  u.  9) 
mitgeteilt,  welches  sich  in  der  Idee  von  dem  Bayreuther  Fostspielhause 
dadurch  unterscheidet,  daß  bei  ihm  bewußterweise  alle  Einrich- 
tungen mit  peinlichster  Rücksicht  gerade  auf  die  Sicherheit  der  Be- 
sucher getroffen  worden  sind,  ohne  dabei   der  Bedeutung   der  Scenerie 

18 


Die  Sicherheit  in  Theatern  und  in  größeren  Versammlungs-Räumen.    135 

und  der  künstlerischen  Erscheinung  des  Hauses  Abbruch  zu  thun.  Um- 
gekehrt nimmt  auch  in  den  letzteren  beiden  Beziehungen  das  Hallesche 
Stadttheater  eine  besonders  hohe  Stufe  der  Vollkommenheit  ein.  Mit 
demselben  sind  (in  einem  Untergeschoß)  eine  große  öffentliche  Restau- 
ration, eine  beträchtliche  Maschinenanlage  für  Lichterzeugung  und  für 
den  Bühnenbetrieb  mittels  Wasserdruck ,  endlich  die  Dekorations- 
magaziue  verbunden.  Die  Besucherzahl  beträgt  1230;  von  denselben 
sind  550  im  Parterre  und  die  übrigen  in  nur  zwei  Rängen  unter- 
gebracht. Parkett  und  Ränge  sind  von  4,6  in  breiten  Korridoren  in 
ganzer  Länge  umzogen,  ausgenommen  im  obersten  Rang,  wo  der  Korri- 
dor in  der  Scheitelpartie  zur  Gewinnung  einer  kleinen  Anzahl  von 
Zuschauerplätzen    ausgenützt    ist.      Die    Bühne    ist    gleichfalls    voll- 


Fig.  9.     Parkettgeschofs  des  Stadttheaters  in  Halle. 

ständig  mit  einem  Korridor  umschlossen,  welcher  1,5  m  Breite  erhalten 
hat.  An  der  Außenseite  der  Parkett-  und  Logen  -  Korridore,  sind  in 
höchst  bequemer  Lage  und  fast  mit  einem  Ueberfluß  an  Größe,  die 
Kleiderablagen  untergebracht.  Der  Abgang  vom  Parkett  geschieht 
durch  4  seitlich  angebrachte  Thüren ;  die  beiden  Ränge  werden  in  ge- 
sonderten Treppenhäusern,  welche  neben  dem  Vestibül  liegen,  erreicht 
bezw.  verlassen.  Für  die  Besucher  des  2.  Ranges  sind  zwei  Austritte 
unmittelbar  ins  Freie  angelegt,  während  die  Besucher  des  1.  Ranges 
ihren  Abgang  durch  das  Vestibül  zu  nehmen  haben.  Was  in  den  Kon- 
struktionen in  Beleuchtung,  Heizung,  in  Bühneneinrichtung  und  Betrieb 
u.  s.  w.  für  die  Sicherheit   der  Zuschauer   überhaupt  geschehen   kann, 


19 


9* 


136 


BUSING, 


ist  beim  Halleschen  Stadttheater  verwirklicht,  sodaß  dasselbe  in  seiner 
Art  als  eine  Musteranlage  bezeichnet  werden  darf. 

Ganz  ahnliche  Einrichtungen  zeigt  das  von  demselben  Architekten 
später  erbauete  „Neue  Theater"  in  Berlin  und  desgleichen  das 
L e s s i n g -  Theater  daselbst,  vom  Architekten  v.  der  Hude  erbauet. 
Schließlich  werden  hier  noch  einige  Theaterentwürfe  kurz  zu 
berühren  sein,  welche  unter  dem  Eindrucke  des  ersten,  durch  die  Theater- 
brände in  Nizza  und  Wien  1881  verbreiteten  Schreckens  ans  Licht  ge- 
treten sind,  zwei  davon  als  Ergebnisse  eines  Wettbewerbes,  den  die 
Leitung  der  im  Jahre  1883  zu  Berlin  abgehaltenen  „Allgemeinen  Aus- 
stellung für  Hygiene  und  Rettungswesen"  veranstaltet  hatte.  Nur  die 
zwei  hier  zu  besprechenden,  zu  der  Konkurrenz  eingelaufenen  Ent- 
würfe ließen  eigenartige  Gedanken  von  größerer  Bedeutung  hervor- 
treten, während  die  sonstigen 
Entwürfe  sich  weniger  weit 
vom  „Hergebrachten"  ent- 
fernten. 

Fig.  10  zeigt  den  Grundriß 
des  1.  Ranges  in  dem  prämi- 
ierten Mustertheater-Entwurfe, 
der  von  den  Architekten 
Schmidt  und  N  e  c  k  e  1  - 
mann  geliefert  war.  Die  Eigen- 
art der  Disposition  desselben 
liegt  darin,  daß  die  die  Ränge 
umgebenden  Korridore  von  einer 
nach  außen  offenen  Halle  um- 
zogen sind,  welche  zum  vor- 
läufigen Austritt  sowohl ,  als 
mittelbar  zum  Verlassen  des 
Theaters  (durch  Benutzung  von 
Treppen,  welche  in  offene,  gut 
beleuchtete  Höfe  hinabführen) 
dienen  sollen ;  auch  in  den 
Ecken  an  der  Hinterseite  des 
Bühnenhauses  sind  Höfe  an- 
geordnet. Da  für  den  regel- 
mäßigen Gebrauchszweck  durch 
große  Treppenanlagen  (in  den 
Vestibülen)  schon  reichlich  ge- 
sorgt ist,  haben  diese  (Hof-) 
Treppen,  samt  den  offenen  Hal- 
len den  Charakter  von  Notan- 
lagen, gegen  welche  allgemein 
Bedenken  zu  erheben  sind. 
Außerdem  haben  (besonders 
durch  die  Planung  von  drei 
gleichwertigen  Vestibülen) 
Anlage  und  Betrieb  dieses 
Mustertheaters,  ohne  entspre- 
chenden Nutzen  für  die  Sicherheit,  einen  so  großartigen  Zuschnitt  er- 
halten, daß  an  eine  Verwirklichung  in  den  meisten  Fällen  nicht  zu 
denken  ist. 


Fig.  10.  Entwurf  zu  einem  Muster-Theater 
(Verf.  Schmidt  u.  Neckelmann).  Grund- 
rifs  vom   1.  Rang 

Beischrift  zu  Fig.  10. 
1  Haupt- Vestibül  und  Treppe  für  das  Par- 
kett. 2  Bibliotheken  und  ähnlich  zu  benutzende 
Räume  ;  zwischen  denselben  und  dem  Zuschauer- 
raum beleuchtete  Höfe,  die  durch  Treppen,  mit 
den  die,, Ränge"  umziehenden  offenen  Loggien  ver- 
bunden sind.  — Zum  regelmäfsigen  Zu-  und  Abgang 
zu  den  Rängen  dienen  die  beiden  Seiten-Vestibüle. 


Die   Sicherheit  in  Theatern  und  in  größeren  Vorsammlungs-Räumen.    137 


Demselben  Grundgedanken  wie  Schmidt  und  Neckelmann 
hat  Dr.  med.  Hirsch  (Frankfurt  a.  M.)  in  einem  Theaterbauplan  Aus- 
druck gegeben,  der  aber  in  Einzelheiten  Abweichungen  zeigt  15. 

Während  bei  den  erwähnten  beiden  Entwürfen  das  Erfordernis  an 
Grundfläche  über  eine  gewisse,  noch  erträgliche  Grenze  hinausgeht,  tritt  in 
dem,  in  dem  Wettbewerbe  des  Jahres  1883  gleichfalls  prämiierten  Theater- 
entwurfe  von  Höpfner  und  Rösicke  (Fig.  11)  das  Bestreben  stark 
hervor,  den  Theatergrundriß  möglichst  einzuengen,  die  Entwickelung 
also  vorwiegend  in  der  Höhe  zu  suchen.  Charakteristisch  für  den  Ent- 
wurf ist  weiter  der  um  Bühne  und  Zuschauerraum  ringsherum  laufende 
Korridor,  um  welchen 
sich  ein  zweiter,  eben- 
falls geschlossener  Ring 
legt,  der  von  6  Treppen- 
häusern durchsetzt  ist, 
zwischen  denen  im 
Parkett  Austritt  sötf- 
nungen  und  Kleider- 
ablagen, in  den  Rängen 
Kleiderablageu  ange- 
ordnet sind.  Für  jeden 
Rang  sind  zwei  Trep- 
penhäuser bestimmt, 
die  in  dem  über  Fuß- 
bodenhöhe des  betr. 
Ranges  aufgeführten 
Höhenteile  die  Aborte 
aufnehmen.  Einwände 
gegen  den  Entwurf  be- 
ziehen sich  darauf,  daß 
bei  der  Anordnung  von 
drei  Vestibülen  der  Be- 
trieb umständlich,  daß 
im  Korridor  des  Par- 
ketts die  Besucher  aller 
Ränge  bei  Zu-  und  Ab- 
gang zusammengeführt 
werden,  und  daß  die 
Besucher  der  oberen 
Ränge  beim  Verlassen 
des  Hauses  ihren  Weg 

der  Bühne  zugewendet  zu  nehmen  haben,  wenn  die  —  durchaus  ge- 
rechtfertigte —  Voraussetzung  gemacht  wird,  daß  die  dem  Bühnenhause 
zunächst  liegenden  beiden  Treppenhäuser  für  die  Besucher  des  obersten 
Ranges  bestimmt  sind.  Bei  anderweiter  Disposition  über  die  Benutzung 
der  Treppenhäuser  würde  die  angegebene  Unzuträglichkeit  die  Besucher 
eines  der  andern  Ränge  treffen. 

Flüchtig  gestreift  sei  hier  endlich  der  im  Jahre  1882  von  der  Ge- 
sellschaft „Asphaleia"  in  Wien  aufgestellte  Theaterentwurf,  dessen 
hauptsächlichste  Eigenart,  was  die  Disposition  anbetrifft,  darin  besteht, 
daß  der  Zuschauerraum  von  einem  breiten,  nach  außen  geschlossenen 
Ringe  umgeben  ist,  der  die  sämtlichen,  an  die  innere  Wand  gelegten, 
Rangtreppen  enthält,  und  außerdem  Fassungsraum  genug,  um  zu  Foyers 


Fig.   11.     Entwurf    zu    einem     Muster  -  Theater    (Verf. 
Höpfner    u.  Rösicke).     Grundrifs  vom  Parkett. 

Beischrii't  zu  Fig.  1 1 . 
1   Vestibüle.    —    2   Kleiderablagen.    —   3    Dekorations- 
Räume.   —  4  Tischlerwerkstatt.  —  5  Verwaltungsräume. 


21 


138  BÜSING,  Die  Sicherheit  in  Theatern  und  in  groß.  Versammlungs-Räumen. 

dienen  zu  können  ;  Vestibüle,  Treppenhäuser  und  abgeschlossene,  besondere 
Foyers  kommen  also  in  Wegfall.  Soviel  bekannt,  haben  diese  Vorschläge 
der  Gesellschaft  Asphaleia  bisher  keine  Verwirklichung  gefunden,  wogegen 
anderweite,  von  ihr  im  Theaterwesen  zu  Tage  geförderte  Verbesserungen, 
wie  Einführung  des  maschinellen  Bühnenbetriebes  und  Ersatz  vieler 
gefährdenden  Teile  der  Bühneneinrichtung  durch  den  „Horizont"  rasch 
in  ihrer  Bedeutung  erkannt  worden,  und ,  zu  großer  Vermehrung  der 
Theatersicherheit,  mehrfach  zur  Ausführung  gelangt  sind. 

1)  Fölsch,    Theaterbrände  und  die   zur  Verhütung  derselben  erforderlichen  Schutzmafsregeln  ; 
nebst   Ergänzungsheft,  Hamburg. 

2)  Gilardone,  Handbuch  des  Theater- Lösch-  und  Rettungswesejis,  Strafsburg  i.  E. 
3  i    Sauvageot,   Considerations  sur  la  construction  des  theatres,  Paris,   Morel  &  Co. 

4)  Junk,     Das     Theater system  der    Gegenwart    und    Zukunft,    vom    technischen,  sicherheits- , 
polizeilichen  und  assekurator.   Standpunkt,    Wien    1884. 

5)  Prokop.  Die  Sicherheit  der  Person  im   Theater,  Brunn 

6)  Boog  und  Freiherr  Jüptner  v.  Johnstorf,    Zur  Sicherheit   des  Lebens   in  den  Theatern, 

Wien. 

7)  Stade,   Mahnwort  an  jedermann  über  Feuersicherheit  und  Feuerschutz  in  Theatern,  Bremen. 

8)  Niederösterreich.      Gewerbeverein,      Vorschläge,    betr.      die     Sicherheit     von 
Theatern  gegen  Feuersgefahr,    Wien. 

9)  Focks,  Brand  des  Ringtheaters  in    Wien,    Wien. 

10)  Preufsische  Polizeiverordnung,  betr.  die  bauliche  Anlage  und  die  innere  Einrichtung  von 
Theatern,  Cirkusgebäuden  und  öffentl  Versammlungsräumen,  Berlin,  1889,  Ernst  &  Korn, 
Nachtrag  dazu  v.    18.    März   1891. 

11)  Bestimmungen  über  die  Bauart  der  von  der  (preufsischen)  Staats- Bauverwaltung  auszu- 
führenden Gebäude  unter  besonderer  Berücksichtigung  der  Verkehrssicherheit,  Berlin,   1892, 

daselbst. 

12)  Gutachten  der  Kgl.  preufs.  Akademie  des  Bauwesens  über  Feuersicherheit  der  Theater 
v.  2.  Novbr.  1881  uud  14.  Juni  1882,  abgedruckt  in  D  eutsche  Bauzeitung  1881 
565  und  1882  491. 

13)  E.  Turner,  Diagrams,  illustrative  of  the  sanitation  of  theatres.  Londoner  internationaler 
hygienischer  Congrefs,  Bd.   IV,   64,   1892. 

14)  Baukunde  des  Architekten,   Th.  I,    1890;   Th.  II,   1884. 

15)  Z  eit  s  ehr  iftenlitt  er  atur :  Wochenschrift  des  österr.  Ingen.-  und  Ar  chit.- Ver- 
eins 1884,  No.  33  Das  Asphaleia- Theater  der  Wiener  elektr.  Ausstellung  1883.  — 
Deutsche  Bauzeitung  1883  377  jf .  .•  Die  Konkurrenz  um  ein  Mustertheater  253, 
605:  Umbau  des  Hoftheaters  in  Stuttgart.  Jahrg.  1884  373  u.  385:  Einige  Be- 
merkungen zu  Fölsch,  Statistik  der  Theaterbrände.  Jahrg.  1886  553  und  1887  301  : 
Das  Stadttheater  in  Halle.  Jahrg.  1888 :  Mehrere  Artikel  über  den  Wert  allgemeiner 
Sicherheitsmafsregeln.  Jahrg.  1889  497 :  Sicherheitstheater  nach  Dr.  med.  Hirsch.  — 
Building  and  Engine  ering  Times  Jahrg.  1881:  Längere  Artikelreihe  über 
Theaterbau.  —  Mitteilungen  des  Archit.-  und  Ingen.- Vereins  f.  das  Königreich 
Böhmen,  Jahrg.  1883  H  3  und  4:  Umbau  des  Kgl.]  Deut  sehen  Landestheaters  in  Prag. 
—  Elektrotechnische  Zeitschrift  Jahrg.  1882:  Besondere  elektrische  Ein- 
richtungen im  Frankfurter  Opernhause. 


22 


Register. 


Akustik  der  Theater  121. 
Asphaleia   137. 

Bayreuth,  Theater  in   132  ff. 
Beleuchtung  in  Theatern   119.   122. 
Berlin,  Theater  in  136. 
Betriebsordnung  119. 
Boog  über  Theater   138. 
Brandmauern  für  Theater   125. 
Brände   118,  s.  a.  Theaterbrände. 

—  Theaterbrand  zu  Nizza  117. 

—  „  „   Oporto   117. 

—  „  „   Paris  117. 

—  „  „   Wien  117.   127. 
Braunschweig,  Theater  in  122. 
Brückwald,  Architekt  133. 
Budapest,  Theater  in   122. 
Bühnenmaschinerie  122. 
Bühnenregen  124. 

Cirkusanlagen  130  ff. 

Eiserner  Vorhang  125  ff. 
Elektrisches  Licht  in  Theatern  129. 
Entleerung  der  Theater  127  ff. 

Fenster  in  Theatern  129. 
Feuergefährlichkeit  der  Theater    119.   138. 
Flammen  in  Theatern 

—  bewegliche   122. 

—  geschützte   122. 

Focks  über  den  Brand  des  Ringtheaters  138. 

Fölsch  über  Theater   138. 

Frankfurt  a./M.,  Theater  in  122.   124. 

Gangbreite  in  Versammlungsräumen  131. 
Gase,  irrespirable,    bei  Theaterbränden   127. 
Gaslicht  in  Theatern  129. 
Gewerbeverein  ,  Niederösterr.,   über    Feuer- 
schutz in  Theatern   138. 
Gilardone  über  Theatersicherheit    120.   138. 
Gipsdielen  für  Theater  123. 


Halle,  Theater  in   122.   134. 

Hanfseile  feuergefährlich  119.  121. 

Hausordnung   119. 

Heizung  der  Theater  122. 

Hirsch  ,    Dr.  med. ,    Mustertheater  von  137. 

138. 
Hofgröfse  der  Theater  121.   129. 
Höpfner,  Architekt  137. 
Hohlsteine  für  Theater  123. 
Holzwerk  in  Theatern    121. 
Horizont  in  Theatern  122. 
v.  der  Hude,  Architekt  136. 
Hydranten  für  Theater  124. 

Imprägnierung  für  Kulissen  122. 
Irrespirable  Gase    bei  Theaterbränden  127. 

Jüptner,  Freiherr  von,  über  Theater  138. 
Junk  über  Theater  138. 

Kirchen,  Sicherheit  der  132. 
Korksteine  für  Theater  123. 
Korridore  in  Theatern  129. 
Korridore  in  Versammlungsräumen  131. 

Messing-Theater  in  Berlin  136. 
Litteratur  über  Feuersicherheit  der  Theater 

138. 
Löscheinrichtungen  für  Theater  123. 

Mauerwerk  in  Theatern  121. 
Monier- Bauweise  für  Theater  123. 
München,  Hoftheater  in  125. 
Muster-Theater  136.   137. 

Neckelmann,  Architekt  136. 

Neues  Theater  in  Berlin  136. 

Nizza,  Theater  in   117. 

Notbeleuchtung    d.  Theater    119.   120.  129. 

Paris,  Theater  in  117. 

Polizeiverordnung  über  Theatersicherheit  138. 


23 


140  BÜSING,  Die  Sicherheit  in  Theatern  u.  in  groß.  Versammlungs-Ränmen. 


Praktikables  119. 
Prokop  über  Theater   138. 
Prospekte  in  Theatern  119.   122. 

Rabitz-Bauweise  für  Theater  123. 
Ränge,  erlaubte  Zahl   der   120.    128 
Restaurationen  in   Theatern    120 
Rösicke,   Theater-Entwurf  137. 

Sauvageot  über  Theater  138. 
Schnürboden  der  Theater  125. 
Schmidt.  Architekt  136. 
Seeling,  Architekt   134. 
Semper,  G.,  Architekt  133. 
SitzgröTse  in  Theatern  128. 
Soffitten  beleuchtung   119. 
Stude  über  Feuersicherheit  138. 

Telegraphen  in  Theatern   130. 
Theater,  grofse  123. 

—  kleine   123. 

in  Bayreuth   132  ff. 

—  „  Berlin   136. 

„  Braunschweig  124.   126. 

—  „  Budapest  122. 

—  „  Frankfurt  a./M.   122.   124. 

—  ..  Halle   122.   134.. 


Theater  in  München  125. 

—  „  Nizza  117. 

—  „  Oporto   117. 

—  „  Paris   117. 

—  „  Wien  117. 
Treppen  in  Theatern  128  ff. 

—  in   Versammlungsräumen   131. 
Turner  über  Feuersicherheit  der  Theater  138. 
Thüren  in  Theatern   129. 

—  in  Versammlungsräumen    131. 

Ventilation  der  Theater  129. 
Versammlungsräume  131. 
Versatzstücke  121. 
Vorhang,  eiserner   125  ff. 

Wagner-Theater  132  ff. 
Wasserdruck  für  die  Bühnen-Maschinerie  122. 
Wasserversorgung  der  Theater   122. 
Wegebreiten  in  Theatern   128. 
Wendeltreppen  in  Kirchen   132. 
Werkstätten  in  Theatern   120. 
Wien,   King-Theater  in   117. 
Wohnungen  in  Theatern  120. 
Wolken  Schleier  119. 

Zuschauerraum  der  Theater  130. 


24 


ASYLE,  NIEDERE  HERBERGEN, 
VOLKSKÜCHEN  u.  s.  w. 


BEARBEITET 


VON 


M.  Ktf  AUFF,  Dr.  med.  TH.  WEIL 

BAUMEISTER    UND    PRIVATDOCENT    AN    DER  IN    BERLIN. 

TECHNISCHEN    HOCHSCHULE    IN    BERLIN. 


MIT  18  ABBILDUNGEN  IM  TEXT. 


HANDBUCH  DER  HYGIENE. 


HERAUSGEGEBEN   VON 


DR.  THEODOR  WBYL. 


SECHSTER  BAND.     DRITTES  HEFT. 


-~SS>-«- 


JENA, 

VERLAG  VON  GUSTAV  FISCHER. 

1895. 


Inhaltsübersicht. 


Seite 

I.  Die  Gefährdung  der  öffentlichen  Gesundheit 
durch  Massenquartiere  und  niedere  Herbergen 
(Verfasser:  Th.  Weyl) 145 

II.  Hygienische  Ansprüche  an  Massenquartiere.  Re- 
gelung dieser  Ansprüche  durch  die  Gesetzgebung. 
Erfolge    der    gesetzlichen    Maßnahmen    (Verfasser: 

Th.  Weyl) 150 

III.  Bauliche  Einrichtung  und  Verwaltung  von  Asylen 
und  niederen  Herbergen    (Verfasser:     M.  Knauff  und 

Th.  Weyl) 157 

A.  Asyle 157 

1.  Asyle  für  obdachlose  Familien 157 

2.  Asyle  für  nächtliche  Obdachlose 162 

B.  Schlaf häuser  und  niedere  Herbergen 170 

Anhang.     1.  Volksküchen  und  Kaffeehallen 172 

2.  Wärmehallen 176 

Register  am  Schlüsse  der  Lieferung. 


10* 


I.  Die  Gefährdung  der  öffentlichen  Gesundheit  durch 
Massenquartiere  und  niedere  Herbergen. 

(Verfasser:   TL  Weyl.) 

Die  Hygiene  nimmt  deshalb  ein  so  hervorragendes  Interesse  an 
Massenquartieren  und  niederen  Herbergen,  weil  sich  mit  Sicherheit  nach- 
weisen läßt,  daß  nächtliche  Unterkunftsstätten,  welche  den  hygienischen 
Anforderungen  nicht  entsprechen  oder  welche  einer  sanitätspolizeilichen 
Ueberwachung  nicht  unterliegen,  die  Allgemeinheit  dadurch  gefährden, 
daß  sie  den  Ausgangspunkt  für  Epidemien  von  Pocken,  Flecktyphus, 
Recurrens,  Cholera  u.  s.  w.  werden  können  und  die  Ausbreitung  der 
Syphilis  erleichtern. 

Daß  derartige  Unterkunftsstätten  auch  der  Verbreitung  von  Ver- 
brechen dienen ,  die  Verbrecher  dem  Richter  zu  entziehen  vermögen 
und  die  Immoralität  befördern,  soll  hier  nur  nebenbei  bemerkt  werden. 

Das  eben  Gesagte  gilt  sowohl  für  niedere  Gasthöfe  (Schläferherbergen, 
Pennen)  als  für  die  Schlafstellen,  weil  beide  Veranstaltungen  un- 
merklich ineinander  übergehen. 

Schließlich  gehören  in  diesen  Zusammenhang  auch  die  von  öffent- 
lichen Gewalten  oder  von  Wohlthätigkeitsvereinen  errichteten  Massen- 
quartiere, welche  als  Asyle  oder  Obdächer  bezeichnet  werden. 

Vom  bau  technischen  Standpunkte  aus  verdienen  Schlaf- 
stellen und  Pennen  kein  besonderes  Interesse,  da  diese  meist  in  gewöhn- 
lichen Privathäusern  untergebracht  zu  sein  pflegen.  Dagegen  bietet  die 
Herstellung  eines  nach  hygienischen  Grundsätzen  errichteten  nächtlichen 
Asyls  dem  Gesundheitstechniker  eine  Aufgabe  dar,  welche  hohe  Sach- 
kenntnis voraussetzt. 

Die  Gefahren  der  niederen  Herbergen  und  der  Massenquartiere 
fanden,  wie  es  scheint,  zuerst  bei  unseren  großen  Lehrmeistern  auf  dem 
Gebiete  der  öffentlichen  Gesundheitspflege,  bei  den  Engländern,  ent- 
sprechende Würdigung. 

Schon  1844  wies  Hawksley  vor  der  S.  146  genannten  könig- 
lichen Untersuchungskommission  nach,  daß  in  Nottingham  in  den 
40er  Jahren  dieses  Jahrhunderts  die  größte  Sterblichkeit,  namentlich 
die  größte  Kindersterblichkeit  in  denjenigen  Quartieren  herrschte,  wo 
der  auf  den  Kopf  fallende  Luftkubus  am  geringsten  war  1 . 

In  den  Jahren  1817—1819  forderte  der  Flecktyphus  in  Irland 
65000  Opfer,   das   sind    10  Promille  der   Bevölkerung.     Es   erkrankte 


146  M.    KNAUFF   und    TH.    WEYL, 

fast  ausschließlich  die  zumeist  in  halb  unterirdischen  Hütten  wohnende 
arme  Bevölkerung,  welche  mit  den  Schweinen  in  demselben  Raum 
lebte  2. 

Nach  Murchison  blieb  der  Flecktyphus  in  Glasgow  auch 
während  der  größten  Epidemien  stets  auf  die  von  der  ärmsten  Be- 
völkerung bewohnten  Quartiere  der  Altstadt  beschränkt.  Auf  dem  Lande 
dagegen  war  der  Flecktyphus  stets  eine  seltene  Krankheit3. 

Nach  Glover4  fielen  im  Jahre  1849  in  den  common  lodging 
houses,  welche  Tindall's  buildings  genannt  werden  und  sich  in  London, 
Gray's  Inn  Lane  befanden,  20  Fälle  von  Flecktyphus  auf  ein  einziges 
Haus.  Im  Jahre  1847  wurden  aus  einem  einzigen  Zimmer  einer  Penne 
in  Edinburgh  (Aird's  Close ,  Grass  Market)  40  Fälle  von  Flecktyphus 
ins  Krankenhaus  geschafft. 

Nach  den  Aussagen  von  D  u  n  c  a  n  5  vor  der  königlichen  Unter- 
suchungskommission on  the  State  of  large  towns  and  populous  districts 
kamen  in  Liverpool  während  der  40er  Jahre  dieses  Jahrhunderts 
die  meisten  Fälle  von  Flecktyphus  in  den  armen  Quartieren  zur  Beob- 
achtung. In  einem  bestimmten  Distrikt  (Byrom  Street)  erkrankte  im 
Mittel  aus  einer  5 -jährigen  Beobachtungsreihe  von  10  Bewohnern 
immer  einer  an  Flecktyphus,  und  in  Vauxhall  Ward  (Liverpool)  wurden 
während  5  Jahren  503  Fälle  von  Flecktyphus  auf  10  853  Einwohner, 
also  immer  einer  auf  21,5  Bewohner  gezählt. 

Ferner  sind  hier  die  Massenepidemien  von  Flecktyphus  zu  er- 
wähnen, welche  in  überfüllten  Gefängnissen  und  auf  engli- 
schen Kriegsschiffen  im  zweiten  Drittel  des  achtzehnten  Jahr- 
hunderts auftraten ,  wo  die  Mannschaften  in  dem  unteren  Schiffsraum 
zusammengefercht  lebten,  fast  schlimmer  als  die  Schweine  und  Hammel. 
Nicht  vergessen  dürfen  endlich  die  Massenopfer  werden,  die  der  Fleck- 
typhus in  belagerten  Festungen  und  in  Kriegslagern,  z.B. 
während  des  Krim-Krieges  forderte,  wo  Engländer  und  Franzosen  ihre 
Truppen  aus  militärischen  Gründen  dicht  zusammendrängten  6. 

Auch  der  Recurrens  ist  zumeist  eine  Krankheit  der  Massen- 
quartiere und  der  übervölkerten  Wohnungen. 

Nach  Murchison7  kamen  von  441  Recurrens  -  Fällen  in  dem 
London  Fever  Hospital  über  die  Hälfte  aus  der  dicht  bevölkerten  City 
und  über  ein  Drittel  aller  Fälle  aus  dem  Proletarier-Quartier  Holborn. 

Die  in  London  1870  wütende  Recurrens-Epidemie  blieb  nach  Goltd- 
a  m  m  e  r 8  nahezu  auf  das  von  den  Aermsten  der  Armen  bewohnte 
Kirchspiel  St.  Giles  beschränkt,  während  in  dem  benachbarten,  aber 
wohlhabenden  Bezirk  von  St.  George  (Bloomsbury)  nur  äußerst  wenige 
Erkrankungen  gemeldet  wurden.  Dies  geht  aus  der  folgeuden  Tabelle 
mit  Sicherheit  hervor. 

0      ..         <   St.  George  (Bloomsbury)  von' 17  392  Einwoh.  7  Erkrank.,    also  1    :  2484 

arme  Quartiere   (  St  Giles  (South)  von               I7  94°  »  7*  .•  »     «  >     *49 

arm^uartieie   I  St.  Giles  (North)  von                16578  „  44  „  „     I:     377 

und  common    <  .     ,            v         ,',  .      ,                  •"  "  "  "                             J" 

,    ,   .       ,  |  in  den  common  lodging  houses 

lodging  houses             ^  gt    ^                          %  i?J  ^  ^  ^                    Xi    ^ 


Die  Tabelle  zeigt  ferner,  daß  die  common  lodging  houses, 
welche  sich  im  Bezirk  von  St.  Giles  befanden,  ein  besonders 
großes  Kontingent  von  Erkrankungen  aufwiesen. 

Weiter  ergiebt  sich  aus  einer  großen  Reihe  von  Reports,  welche  dem 


Asyle,  Herbergen  u.  s.  w. 


147 


englischen  Parlamente  vorgelegt  wurden,  mit  absoluter  Sicherheit,  daß 
die  Cholera  in  den  common  lodging  houses  vor  Erlaß  der  common 
lodging  houses  act  (S.  152)  die  meisten  Opfer  forderte  4. 

Hierfür  der  Raumersparnis  wegen  nur  wenige  Beispiele,  welche  leicht 
vermehrt  werden  könnten.  In  den  bereits  (S.  146)  erwähnten  Tindall 
buildings  kamen  im  Jahre  1849  15—20  Todesfälle  auf  ein  Haus.  In 
demselben  Jahre  wurden  aus  30  Gebäuden  der  Church  Lane,  St.  Grile's 
(London)  28  Cholerafälle  gemeldet.  In  einem  Distrikte  von  Whitechapel 
(Coopers  Court,  Blue  Ancor  Yard)  starben  von  750  Einwohnern  im 
Jahre  1849  an  der  Cholera:  20.  In  den  Jenny's  buildings  (Kensington, 
London)  betrug  in  demselben  Jahre  die  Sterblichkeit  an  Cholera  26  p.  M. 

In  durchaus  gleicher  Weise  wie  Exanthematicus ,  Recurrens  und 
Cholera  grassierten  die  Pocken  vorzugsweise  in  den  Wohnungen  der 
Armen.  Auch  dies  ist  leicht  mit  Beispielen  aus  den  Reports  zu  er- 
weisen, welche  das  Parlament  vor  Erlaß  der  common  lodging  houses 
act  beschäftigten. 

Für  Berlin  verdanken  wir  namentlich  Goltdammer9  genauere 
Forschungen  über  die  niederen  Herbergen  als  Brutstätten  von  Infektions- 
krankheiten. 

So  lieferten  folgende  Berliner  Häuser,  in  denen  sich  derartige 
Pennen  befanden,  in  den  Jahren  1872 — 1876  folgende  Fälle  von  Ex- 
anthematicus (Flecktyphus,  mit  F  bezeichnet)  und  von  Rückfalltyphus  (Re- 
currens, mit  R  bezeichnet). 


Berlin 

1872 

1873 

1874 

1875 

1876 

Prenzlauer  Str.  17 

29  R 

3   \  50  F 

I   R 

— 

2  F 

August-Str.  81 

13  R 

29  !  I4  R 

29   \  15   F 

4  R 

3  R 

10  (  5  R 

l  5  F 

Oranien-Str.  105. 

14  R 

,,   (     8R 
26   {   18  F 

5  R 

I   R 

4  F 

Namentlich  berüchtigt  war  in  Berlin  das  Haus  Müllerstraße  31.     In 

demselben    erfolgten    während   der  9    Jahre   1868 — 1876  174  Todesfälle, 

darunter  waren  57  Kinder.     Diese  174  Todesfälle    verteilen    sich  auf  die 
■einzelnen  Jahre  folgendermaßen : 


1868 
1869 
1870 
1871 
1872 
1873 

1874  21 

1875  24 

1876  14 


II   Tote  (5  Typhus)' 


13 
14 
17 
35 

25 


(2  Typhus)*) 

(1  Typhus *J  und  3  Pocken). 

(2  Pocken   +     4  Flecktyphus   +   4  Recurrens). 

(I  Pocken   +    10  Flecktyphus   +    I  Recurrens). 

(1  Typhus)*). 

(1  Flecktyphus). 


*)  Recurrens  und  Exanthematicus  zusammen,    beziehentlich    gestorben    an  dem  einen 
oder  dem  anderen. 


148  M.   KNAUFF   und   TH.  WEYL, 

Das  frühere,  seit  1877  geschlossene  Asyl  des  Arbeitshauses  zu  Berlin  mit 
seinen  menschenunwürdigen  Einrichtungen  lieferte  in  dem  einen  Jahre  1873 
291  Fälle  von  Flecktyphus  und  Recurrens  zusammengenommen.  Nicht 
weniger  Erkrankungen  dürften  aus  dem  nun  gleichfalls  verlassenen  Polizei- 
gewahrsam am  Molkenmarkt  hervorgegangen  sein,  dessen  Räume  an 
mittelalterliche  Burgverließe  erinnerten. 

Aehnliche  Erfahrungen  liegen  auch  aus  anderen  Städten  des  Kon- 
tinentes vor.  So  berichtet  Girgensohn10  aus  Riga,  daß  in  zwei 
Häusern  der  Moskauschen  Straße  in  zwei  Jahren  (1874 — 75)  194  Fälle 
(gleich  51  Proz.  aller  beobachteten)  von  Flecktyphus  sich  ereigneten. 

In  Breslau11  wurden  nachWyß,  Bock,  Lebert  undJacobi 
in  der  großen  und  kleinen  Rosengasse,  wo  früher  die  meisten  Schlaf- 
stellen sich  befanden,  in  den  Jahren  1868  und  1869  36  Proz.  aller 
Fälle  von  Flecktyphus  1  °  und  67  Proz.  aller  Fälle  von  Recurrens  ' l 
beobachtet. 

Litten10  beobachtete,  gleichfalls  in  Breslau,  daß  eine  an  Re- 
currens erkrankte  Frau  in  einer  Penne  die  Krankheit  auf  ihre  Bett- 
nachbarin übertrug.  Diese  wurde  ins  Krankenhaus  gebracht  und  in- 
fizierte hier  6  andere  Personen. 

In  Brüssel  verbreitet  sich  der  Flecktyphus  nach  Bei val l0)  von 
den   schmutzigen  übervölkerten  logements  de  nuit  aus  über  die  Stadt. 

In  Paris12  blüht  das  Unwesen  der  Pennen  trotz  mancher  gegen 
dieselben  ergriffenen  Maßregeln  noch  heute  im  üppigsten  Flor. 

Am  1.  Juli  1876  besaß  Paris  nach  0.  du  Mesnil18  9050  Hotels- 
verschiedensten Ranges  mit  142  671  Mietern,  am  28.  Juli  1882  lauten 
die  entsprechenden  Zahlen:  11535  Hotels  mit  243  564  Mietern.  Es  nahm 
also  innerhalb  6  Jahren  die  Zahl  der  Hotels  nur  um  ein  Viertel,  die  Zahl 
der  Mieter  aber  um  das  Doppelte  zu.  Im  Verlaufe  von  5  Jahren  hatte 
sich  im  XVIII.  Arrondissement  die  Zahl  der  Pennenbesucher  von  8933  auf 
20816,  die  Zahl  der  „Garnis"  aber  nur  von  601  auf  833  vermehrt.  Nach 
Jules  Rochard12  waren  nun  diejenigen  Arrondissements,  in  welchen 
sich  die  Pennen  befanden,  vom  Abdominaltyphus  am  meisten  ergriffen. 
Diese  Thatsache  führte  endlich  dazu,  daß  sich  die  städtischen  Behörden 
zu  energischen  Schritten  gegen  die  Pennen  aufrafften,  von  denen  einige, 
wie  Hotel  Lyonnais,  Cite  des  Biffins,  Hotel  de  Macon,  namentlich  aber 
die  Fosse  aux  Lions  wegen  des  in  ihnen  herrschenden  Schmutzes  sich 
den  Ruf  besonderer  Sehenswürdigkeit  erworben  hatten.  Diese  „Hotels" 
befanden  sich  zum  großen  Teil  in  der  rue  Sainte  Marguerite.  Hier  er- 
folgte der  Ausbruch  der  Cholera  1884.  Die  Gebäude  dieser  Straße  wurden 
für  2  950000  Frcs.  von  der  Stadt  angekauft  und  abgerissen  (1887—1889). 

Seit  einigen  Jahren  hat  nach  Eug.  Deschamps  13  der  Flecktyphus 
auch  in  Paris  seinen  Einzug  gehalten. 

Vom  1.  Januar  1894  bis  zum  15.  Juli  desselben  Jahres  wurden  in 
Paris  ungefähr  50  Fälle  von  Typhus  exanthematicus  beobachtet,  von 
welchen  etwas  weniger  als  die  Hälfte  (ca.  45  Proz.)  tödlich  verliefen. 

Die  Erkrankten  waren  meist  Landstreicher  und  Besucher  der  nächt- 
lichen Asyle.  Sie  bringen  den  Typhus  aus  der  Provinz,  wo  er  endemisch 
ist,  nach  Paris  mit  und  schleppen  ihn  in  die  Pennen  und  in  die  zum 
Teil   noch   ungenügend    eingerichteten    Asyle    für   nächtliche    Obdachlose 


Asyle,  Herbergen  u.  s.  w.  141) 

(s.  S.  167)  ein.  Von  hier  verbreitet  sich  derselbe  und  bildet  eine  Gefahr 
für  ganz  Paris. 

Zwar  thut  das  st  ad  tis  che  Asyl  im  vollen  Maße  seine  Schuldigkeit. 
Aber  die  durch  private  Wohlthätigkeit  unterhaltenen  Obdächer,  nament- 
lich diejenigen  des  Oeuvre  de  hospitalite  de  nuit  stehen  noch  nicht  auf 
der  Höhe  der  Zeit.  Hier  werden  die  Besucher  noch  nicht  gebadet,  sondern 
man  begnügt  sich,  Gesicht,  Hände  und  Eüße  zu  waschen.  Die  Kleider 
werden  mit  Schwefeldampf  behandelt,  also  n  i  c  h  t  desinfiziert.  Aber  selbst 
dies  Zerrbild  der  Desinfektion  wird  nur  dann  aufgeführt,  wenn  die  Kleider 
sehr  viel  Insekten  enthalten.  Die  Betttücher  werden  nur  alle  14  Tage 
erneuert.  Es  läßt  sich  also  leicht  verstehen,  wie  viel  Individuen  durch 
dasselbe  Bettuch  infiziert  werden  können.  Auch  einige  der  in  den  Asylen 
Angestellten  sind  bereits  an  Typhus  exanthematicus  erkrankt  und  ge- 
storben. 

Noch  schlimmer  ist  es  mit  gewissen  Pennen  bestellt,  welche  noch 
immer  in  Paris  existieren  und  zwar  hauptsächlich  in  der  Umgebung  der 
Markthallen.  Diese  wissen  sich  der  Polizeiaufsicht  zu  entziehen,  weil  sie 
keine  Betten  haben.  „Ici  on  ne  couche  pas."  Man  läßt  sich  vielmehr 
nur  irgend  eine  Speise,  welche  einige  Sous  kostet,  vorsetzen  und  hat  dafür 
das  Recht,  bis  2  Uhr  nachts,  in  manchen  Pennen  auch  länger,  zu 
schlafen,  und  zwar  auf  Tischen,  Stühlen,  Bänken,  ja  auf  bloßer  Erde. 

In  beweglichen  Worten  schildert  der  Verfasser  den  Anblick  einer 
jener  Pennen.  Hier  liegen  in  einem  Räume,  der  bezeichnend  Salle  des 
morts  genannt  wird,  die  Unglücklichen  auf  dem  Boden,  um  ihren  Rausch 
und  ihr  Elend  zu  verschlafen. 

Durch  diese  Verhältnisse,  namentlich  aber  durch  die  Angst  vor  dem 
Flecktyphus,  scheinen  die  Pariser  Behörden  zu  einem  energischen  Vor- 
gehen gegen  Asyle  und  Pennen  veranlaßt  zu  werden14. 

Weiteres  über  die  Asyle  in  Paris  siehe  S.  167. 

1)  First    report    (presented   to    both    houses    of  parliament)    on  the  statt  of  large  towns  and 
populous  districts,  Appendix,    138  ß.  (1844). 

2)  Sander,  Handbuch  der  öffentl.  Gesdpfl.   1.   Aufl.  (1887)  47. 

3)  Murchison,    A  treatise    on  the    continued  fevers  of  Great  Britain,    deutsche  Ausgabe  von 
Zuelzer  (1867)  57. 

4)  George  Glover,    Report  on  the  common  and  model  lodging  houses  of  the  Metropolis,    Re- 
port presented  to  both  houses  of  parliament  (1855). 

5)  First  report  {siehe  oben  No.  1),  Appendix,  58  ;  Second  report  on  the  State  of  large  tovms, 
presented   to    both    houses  of  parliament  (1845)  58.  Bd.   18.   der  ganzen  Reihe  pro   1845. 

Weiteres    bei    Sir    John    Simon,    Public  health    reports,   1.  Bd     58  (First  annual  City  of 
London  report). 

6)  Sanders,    a.  a.    0.  (siehe    oben    No.  2)  48;    Hirsch,  Historisch-geographische  Pathologie, 
2.  Aufl.  1.  Bd.  387  u.  411.  ,  Murchison  (a.  a.   O.  *iehe  oben  No.   3)  79. 

7)  Murchison  (a.  a.  O.  siehe  oben  No.  3)  294. 

8)  Goltdammer,  D.    Viertel),  f.  öffentl.  Gesdpfl.  (1881)  13.  Bd.   12. 

9)  Goltdammer,    Viertelf.  f.  gtr.  Med.  (1878)  N.  F.  29.  Bd.  296. 

10)  Goltdammer,    Viertelj.  f.  ger.  Med.  (1878)  N.  F.  29.  Bd.  311. 

11)  Pistor,    D.    Viertelj.    f.  öffentl.    Gesdpfl.    (1880)    12.  Bd.   55.    Vergl.  auch  H.   Simon,  D. 
Viertelj.  f.  öfentl.  Gesdpfl.  (1888)  20.  Bd.  472  ;    Becker,  ebendas.   (1890)   22.  Bd.  253. 

12)  Jul.  Rochard,  Encyclopidie  d'Hygüne  (1891)  3.  Bd.  408.    Vergl.  dort  weitere  Lüteratur- 
angaben. 

13)  Eug.  Deschamps,  Annales  d'Hygiene  (1894)  31.  Bd.   193.      Troisihne   serie. 

14)  Revue  d'Hygüne  (1894)   16.  Bd.  272. 


150  M.    KNAUFF    nnd    TH.    WEYL, 


IL  Hygienische  Ansprüche  an  Massenquartiere. 

Regelung  dieser  Ansprüche  durch  die  Gesetzgebung. 

Erfolge  der  gesetzlichen  Massnahmen. 

(Verfasser:   Th.  Weyl.) 

Auf  Grund  der  im  vorstehenden  Abschnitte  angeführten  Thatsachen 
sind  die  nächtlichen  Unterkunftsstätten  der  Armen,  mögen  dieselben 
Massenasyle  sein  oder  nur  von  einzelnen  Individuen  benutzt  werden, 
unter  sanitätspolizeiliche  Ueberwachung  zu  stellen  und  als  konzes- 
sionsp flichtig  zu  erklären. 

Die  Ueberwachung  hat  sich  zu  erstrecken: 

1)  auf  den  Bauplan, 

2)  auf  die  Revision  des  bezogenen  Baues, 

3)  auf  die  Bewohner. 

Von  besonderer  Bedeutung  erscheint  die  Festsetzung  einer 
bestimmten  Größe  für  den  Luftkubus  und  für  die  Grund- 
fläche in  den  Schlafsälen  für  jeden  Bewohner. 

Nach  Goltdammer1  werden  gefordert  für: 

Logierhäuser  in  Paris       14  cbm 
„  „   Brüssel    14    „ 

„  „   London     9    „  (falls  nur  nachts  vermietet) 

„  „   London3  11,5,,  (falls  tags  und  nachts   vermietet) 

Schlafräume  der  englischen  Armenhäuser  9  cbm. 

Baumeister2  hält  einen  Luftkubus  von  10  cbm  und  eine  Grund- 
fläche von  4  bei  2x/2  m  Höhe  für  ausreichend. 

Weiterhin  kommen  in  Betracht  nach  Geschlechtern  getrennte 
Eingänge  un  d  Schlaf  räume;  Kindern  wird  man  besondere  Schlaf- 
säle anweisen. 

Gewicht  ist  auf  ausreichende  Badeeinrichtungen,  deren  Ge- 
brauch obligatorisch  sein  muß,  zu  legen.  Hier  haben  sich  die  lauen 
Douchebäder  am  besten  bewährt,  während  die  Wannenbäder  den  Ge- 
brechlichen sowie  solchen  Personen  vorbehalten  bleiben,  welche  mit  ekel- 
erregenden Krankheiten  behaftet  sind.  Vergl.  dieses  Handbuch,  Bd.  VI, 
S.  83. 

Mit  jedem  öffentlichen  Asyl  sollte  eine  Desinfektionsanstalt 
—  natürlich  mit  strömendem  Wasserdampf  —  verbunden  sein.  In  der- 
selben werden  die  Kleider  der  Asylisten  desinfiziert,  während  die  Be- 
sitzer baden. 

Die  Heizeinrichtungen  müssen  die  Temperatur  der  Schlaf- 
räume nicht  unter  10  Grad  fallen,  aber  auch  nicht  über  12  Grad  steigen 
lassen. 

Die  Ventilation  sei  eine  ausgiebige.  Es  scheint,  als  wenn  man 
bei  geschickter  Ausnutzung  der  Heizeinrichtungen  eine  kostspielige 
Ventilation  entbehren  kann.  Im  Sommer  ventiliert  man  mit  Hilfe  der 
gleichzeitig  geöffneten  Thüren  und  Fenster.  Die  Dachreiterlüftung  hat 
sich  an  vielen  Orten  bewährt.  Schlafsäle  mit  Sheddächern  sind  im 
städtischen  Asyl  für  Obdachlose  in  Berlin  in  Anwendung  und  gestatten 
eine  sehr  wirksame  Ventilation. 

Für  je  10 — 15  Besucher  wird  eine  Waschvorrichtung  vor- 
handen  sein  müssen.     Dieselbe  ist  ebenso  wie  die  Klosetts,  deren  man 


Asyle,  Herbergen  u.  s.  w.  151 

«ine  den  Wascheinrichtungen  ungefähr  gleiche  Zahl  bedarf,  an  die 
Kanalisation  anzuschließen.  Jennings  oder  Washouts  lassen  sich  am 
schwierigsten  beschmutzen,  am  leichtesten  reinigen  und  dürften  daher 
für  Massenasyle  ganz  besonders  empfehlenswert  sein  (vergl.  dieses  Hand- 
buch, Bd.  II,  S.  268). 

Alle  in  den  Schlafräumen  befindlichen  Gegenstände  müssen  leicht 
zu  reinigen,  ja  zu  desinfizieren  sein.  Dies  gilt  namentlich  von  den  Bett- 
gestellen, welche  gewöhnlich  die  Form  von  Pritschen  haben.  Sie  be- 
stehen in  den  meisten  Asylen  aus  geöltem  Holz,  das  sich  mit  Seife  und 
mit  desinfizierenden  Mitteln  (3-proz.  Karbolsäure)  bearbeiten  läßt. 
Eiserne  Pritschen  könnte  man  direkt  in  den  Desinfektionsapparat 
schieben. 

Die  Bettwäsche  muß  —  als  eine  besonders  gefährliche  Quelle  der 
Uebertragung  von  Infektionskrankheiten  —  täglich  mit  strömendem 
Wasserdampf  desinfiziert  werden. 

Der  Fußboden  in  den  Schlafräumen  und  in  den  Korridoren  besteht 
am  besten  aus  Terrazzo  oder  aus  Asphalt.  Ein  solcher  bedarf  zur 
schnellen  Keinigung  nur  eines  kräftigen  Wasserstrahles,  vorausgesetzt, 
daß  die  Abflüsse  an  die  Kanalisation  angeschlossen  sind. 

In  jedem  Asyle  muß  eine  Krankenstube  vorhanden  sein. 

Daß  die  hygienischen  Einrichtungen  des  A  syls  tadel- 
los arbeiten,  ist  von  Zeit  zu  Zeit  durch  amtliche  Revi- 
sionen festzustellen. 

Die  Ueberwachung  der  Besucher  des  Asyls  sei  eine  sicher- 
heitspolizeiliche  und  eine  sanitätspolizeiliche. 

Die  Schilderung  der  ersteren  gehört  nicht  an  diese  Stelle. 

Durch  die  sanitätspolizeiliche  Ueberwachung  soll  die  Ausbreitung 
von  Infektionskrankheiten,  namentlich  von  Pocken,  Recurrens,  Exan- 
thematicus,  Cholera  u.  s.  w.  (siehe  S.  147)  verhindert  werden. 

Zu  diesem  Zwecke  dienen  Bäder,  Desinfektionseinrichtungen  und 
eine  ärztliche  Kontrolle  derjenigen  Besucher,  bei  welchen  sich  krank- 
hafte Symptome  zeigen.  Namentlich  zu  Zeiten  von  Epidemien  muß  in 
jedem  größeren  Asyl  wenigstens  nachts  ein  Arzt  stationiert  sein. 

Es  soll  nun  im  folgenden  gezeigt  werden,  inwieweit 
die  hygienischen  Ansprüche  an  n  ächtliche  Mass  enquar- 
tiere  und  Schlafstellen  durch  die  Gesetzgebun  g  Aner- 
kennung gefunden  haben. 

1.  England. 

Einen  Einfluß  auf  die  Herbergen  niederen  Ranges  hat  der  Staat 
zuerst  in  England  durch  die  common  lodging  houses  act  1851  und 
1853  zu  gewinnen  versucht.  Unter  common  lodging  houses  versteht 
man  Häuser,  welche  zum  Uebernachten  benutzt  werden.  Es  fallen  also 
unter  diesen  Begriff  sowohl  Hotels  höheren  wie  niederen  Ranges,  und 
von  den  letzteren  zu  den  eigentlichen  Pennen  und  Schlafstellen  führt 
ein  unmerklicher  Uebergang.  Das  Gesetz  hat,  wie  die  dem  Parlament 
vorgelegten  Berichte  der  Aufsichtsbehörde  beweisen,  segensreich  ge- 
wirkt4. Dagegen  scheint  es  sicher,  daß  die  gesetzlichen  Maßnahmen 
die  Auswüchse  des  Schlafstellenwesens  noch  nicht  völlig  haben 
beseitigen  können ,  weil  hierzu,  wie  W  e  r  n  i  c  h  6  mit  Recht  bemerkt, 
erforderlich  ist,  daß  die  Polizeiorgane  das  Recht  besitzen  müssen,  in  die 
Schlafstellen   auch   nachts   einzudringen,    um   sich  zu  überzeugen,   daß 


152  M.   KNAUFF   und   TH.   WEYL, 

sich  die  Angaben  der  Vermieter  über  die  Zahl  der  Schlafburschen  u.  s.  w. 
mit  der  Wirklichkeit  decken*). 

Die  common  lodging  houses  gewähren  für  eine  geringe  Summe 
nächtliche  Unterkunft  und  Kochgelegenheit.  Die  Schlafräume  sind 
nach  Geschlechtern  getrennt.  Es  giebt  aber  auch  einige  derartige 
Unterkunftsstätten  für  „Ehepaare".  Diese  Hotels  sind  konzessions- 
pflichtig,  müssen  pro  Kopf  mindestens  240  Kubikfuß  englisch  (7,3  m3) 
Luftraum  zur  Verfügung  stellen.  Einige  vestries  verlangen  pro  Kopf 
300  Kubikfuß  englisch  (9,1  m3),  wenn  die  Räume  des  Hauses  nur  nachts 
oder  nur  tags  benutzt  werden,  dagegen  350  Kubikfuß  englisch,  wenn 
die  Zimmer  tags  und  nachts  vermietet  werden.  Jeder  Vermieter  muß 
der  Medizinalbehörde  seines  Distriktes  jeden  Fall  von  ansteckender 
Krankheit  anzeigen  und  auf  Verlangen  der  Sicherheitsbehörde  die 
Namen  derjenigen  angeben ,  welche  bei  ihm  Unterkunft  gefunden 
haben  3. 

Nach  Booth  bestanden  1889  in  ganz  London  genau  1000  von  der 
Polizei  überwachte  common  lodging  houses.  Dieselben  besaßen  Schlafein- 
richtungen für  31651   Personen7. 

Unter  die  common  lodging  houses  act  fallen  auch  die  nächt- 
lichen Asyle. 

Booth8  zählt  zehn  verschiedene  nächtliche  Asyle  (charitable 
refuges)  in  London  auf.  Die  Asyle  gehören  meist  Privatgesellschaften. 
In  denselben  fanden  Aufnahme: 

Personen  beiderlei  Geschlechts  Personen  beiderlei  Geschlechts 


1882 
1883 
1884 

294960 
125905 
116  132 

1885 
1886 

109943 
108  293 

1887 

141  733 

1888 

241  985 

1889 

182  299 

1890 

154  507 

Folgende  englische  Gesetze  enthalten  Bestimmungen, 
welche  sich  auf  Schlafstellen,  Pennen  und  Asyle  be- 
zi  ehe  n: 

Common  lodging  houses  act  1853, 

Public  health  act  1875, 

Public  Health  (London)  Act  1891. 

Aus  dem  letztgenannten  Gesetz  kommen  in  Betracht :  §  99  (Aufsichtsbe- 
hörden), §  93  (Erlaß  von  Hausordnungen  durch  die  Aufsichtsbehörde)  §  63, 
64,  65  (Anzeigepflicht  beim  Auftreten  ansteckender  Krankheiten  und  Strafen 
bei  unterlassener  Anzeige),  §  141  (Definition  von  „master  of  a  building"). 
Ueber  die  Art  der  sanitätspolizeilichen  Ueberwachung  vergl. 
Taylor,  The  sanitary  inspectors  handbook,  London  1893,  über  die  eng- 
lische Sanitätsgesetzgebung  überhaupt :  Sir  John  Simon,  English  sani- 
tary institutions,  London  1890. 

2.  Frankreich. 

Die  loi  relative  ä  1'  assainissement  des  logements  insalubres  von 
1850  und  1879  genügt  den  französischen  Hygienikern  in  keiner  Weise, 
vergl.  auch  S.  148. 


*)  Der  englischen  Polizei    steht    nach  Booth  dieses  Recht  zu;'  es    scheint  aber  nur 
selten  in  Anspruch  genommen  zu  werden. 


Asyle,  Herbergen  u.  s.  w.  153 

3.  Deutschland9. 

Ein  Reichsgesetz,  welches  die  Materie  der  Massenquartiere  regelt, 
existiert  nicht.  Dagegen  läßt  sich  auf  Grund  des  Paragraphen  33  der 
Keichsgewerbeordnung  die  Konzessionspflichtigkeit  der  Gasthöfe  höheren 
und  niederen  Ranges  herleiten.  Für  Preußen  gilt  ferner  das  Gesetz 
vom  11.  März  1850  über  die  Polizeiverwaltung,  dessen  Paragraphen  5 
und  6  die  Ortspolizeibehörde  berechtigen,  Verordnungen  über  die  hygieni- 
sche Beaufsichtigung  der  Gasthöfe  aller  Grade  und  ihrer  Besitzer  zu 
erlassen.  Für  Berlin  gelten  die  Polizeiverordnungen  vom  19.  Januar 
1893  über  das  Schlafstellen wesen  und  vom  31.  Januar  1880  betreffend 
die  Nachtherbergen  (Pennen).  Beide  Verordnungen  sind  unten  abge- 
druckt. 

Polizeiverordnung  vom  19.  Januar  1893,  betreffend  das 
Schlaf  Stellenwesen . 

Auf  Grund  der  §§  143  und  144  des  Gesetzes  über  die  allgemeine  Landesverwal- 
tung vom  30.  Juli  1883  (G.  S  S.  195),  sowie  der  §§  5  und  6  des  Gesetzes  über  die 
Polizeiverwaltung  vom  11.  März  1850  (G.  S.  S.  265)  wird  für  den  Stadtkreis  Berlin 
mit  Zustimmung  des  Gemeindevorstandes  verordnet,  was  folgt. 

§  1.  Niemand  darf  in  den  von  ihm  und  seinen  Familienangehörigen  benutzten 
Wohnräumen  anderen  gegen  Entgelt  Schlafstelle  gewähren,  wenn  nicht  die  von  ihm 
selbst,  seinen  Familienangehörigen  und  den  Schlaf  leuten  zu  benutzenden  Schlafräum- 
lichkeiten folgenden  Anforderungen  entsprechen : 

a)  Jeder  Schlafraum  muß  für  diejenigen  Personen,  welche  derselbe  für  die  Schlaf- 
zeit aufnehmen  soll,  mindestens  je  3  qm  Bodenfläche  und  je  10  cbm  Luftraum  auf 
den  Kopf  enthalten. 

Für  Kinder  unter  6  Jahren  genügt  ein  Drittel,  für  Kinder  von  6  bis  zu  14  Jahren 
genügen  zwei  Drittel  jener  Maße. 

b)  Kein  Schlafraum  darf  mit  Abtritten  in  offener  Verbindung  stehen. 

§  2.  Niemand  darf  ohne  besondere  Erlaubnis  der  Polizeibehörde  Schlaf  leute  ver- 
schiedenen Geschlechts  gleichzeitig  bei  sich  aufnehmen  oder  behalten,  außer  wenn  sie 
zu  einander  im  Verhältnis  von  Eheleuten,  von  Eltern  und  Kindern  oder  von  Ge- 
schwistern stehen. 

Abgesehen  hiervon  dürfen  Schlaf  leute,  soweit  nicht  das  Verhältnis  von  Eheleuten, 
von  Eltern  und  Kindern  oder  von  Geschwistern  vorliegt,  nur  in  solchen  Räumen  zum 
Schlafen  untergebracht  werden,  welche  nicht  zugleich  für  Personen  des  anderen  Ge- 
schlechts zum  Schlafen  dienen. 

§  3.  Für  jeden  erwachsenen,  über  14  Jahre  alten  Schlafgast  und  für  je  2  Kinder 
muß  eine  besondere  Lagerstätte  bereit  sein.  Dieselbe  muß  mindestens  aus  einem 
Strohsacke,  einem  Strohkopfkissen  und  einer  wollenen  Decke  bestehen. 

§  4.  Wer  Schlaf  leute  aufnimmt  (§  1)  ist  verpflichtet,  innerhalb  einer  Woche  nach 
der  Aufnahme  des  ersten  Schlafgastes  auf  dem  Bureau  desjenigen  Polizeireviers,  in 
welchem  die  Wohnung  belegen  ist,  eine  schriftliche,  wahrheitsgetreue  Anzeige  nach 
Maßgabe  des  beifolgenden  Musters  (in  der  Größe  von  einem  Viertelbogen  gewöhn- 
lichen Schreibpapiers)  niederzulegen.  Die  Polizeibehörde  erteilt  hierauf  dem  Wohnungs- 
inhaber nach  Prüfung  der  von  demselben  vorzuweisenden  Schlafräume  und,  soweit  die 
Aufnahme  der  Schlaf  leute  nach  dieser  Polizeiverordnung  zulässig  ist,  eine  Bescheini- 
gung, welche  in  der  Wohnung  aufzubewahren  und  auf  polizeiliches  Erfordern  jedesmal 
sofort  vorzuzeigen  ist.  In  gleicher  Weise  muß  der  Wohnungsinhaber  die  Namen  seiner 
Familienangehörigen,  wie  auch  seiner  Schlafleute  auf  polizeiliches  Erfordern  jederzeit 
angeben. 

Sind  den  Bestimmungen  der  §§  1—3  zuwider  Schlaf  leute  aufgenommen,  so  ordnet 
—  abgesehen  von  der  Bestrafung  des  Zuwiderhandelnden  —  die  Polizeibehörde  deren 
Entlassung  an. 

Tritt  später  eine  Vermehrung  in  dem  Familienstande  des  Wohnungsinhabers  oder 
in  der  durch  die  polizeiliche  Bescheinigung  für  zulässig  erklärten  Zahl  der  Schlaf- 
leute ein,  oder  werden  die  angezeigten  Schlafränme,  wenn  auch  nur  teilweise,  ver- 
ringert, so  ist  eine  neue  Anzeige  unter  Beifügung  der  früheren  polizeilichen  Be- 
scheinigung erforderlich,  auf  welche  ebenso,  wie  auf  das  weitere  Verfahren,  die 
Bestimmungen  der  vorigen  beiden  Absätze  Anwendung  finden. 


154  M.    KNAUFF   und   TH.    WEYL, 

Formulare  für  die  Anzeigen  werden  zum  Zwecke  der  sofortigen  Benutzung  auf 
den  Polizeirevierbureaus  unentgeltlich  verabfolgt. 

§  5.  Mit  Geldstrafen  bis  zu  30  Mark  wird  bestraft,  wer  den  Bestimmungen  dieser 
Polizeiverordnung  zuwiderhandelt  oder  den  in  Gemäßheit  des  §  4  ergehenden  polizei- 
lichen Anordnungen  und  Aufforderungen  Folge  zu  leisten  unterläßt. 

Diese  Straf  Bestimmungen  finden  auch  auf  denjenigen  Anwendung,  welcher  mit 
oder  ohne  Auftrag  des  Wohnungsinhabers  als  dessen  Vertreter  handelt,  oder  welcher 
in  Abwesenheit  des  Wohnungsinhabers  als  dessen  Vertreter  zu  betrachten  ist. 

§  6.  Das  Polizeipräsidium  ist  befugt,  Personen,  welche  in  den  letzten  5  Jahren 
vor  Erlaß  einer  solchen  Verfügung  wegen  Verbrechens  oder  Vergehens  gegen  die  Sitt- 
lichkeit oder  wegen  Uebertretung  der  sittenpolizeilichen  Vorschriften  bestraft  sind, 
oder  welche  unter  Polizeiaufsicht  stehen,   das  Halten  von  Schlaf  leuten  zu  untersagen 

§  7.    Diese  Polizeiverordnung   tritt  am    1.  April  1893  in  Kraft 

Mit  dem  gleichen  Zeitpunkte  ist  die  denselben  Gegenstand  betreffende  Polizei- 
verordnung  vom  17.  Dezember  1880  aufgehoben. 

Die  alsdann  vorhandenen  Schlafleute  gelten  als  an  jenem  Tage  aufgenommen, 
die  Anzeige  derselben  braucht  jedoch  erst  bis  zum  1.  Mai  1893  zu  erfolgen  und  darf, 
sofern  die  Schlaf leute  vor  diesem  Tage  entlassen  werden,  gänzlich  unterbleiben. 

Die  Strafbestimmung  des  §  5  findet  auf  den  vorigen  Absatz  entsprechende  An- 
wendung. 

Anzeige  üb  er^Auf  n  ahme  von  S  chl  af  1  eu  t  en. 

D  .  .  Unterzeichnete   nimmt  in   seiner  —  ihrer  —  Wohnung Straße 

No Gebäude  .  .  .  Treppen   Schlafleute  bis   zur   Zahl   von  .  .  .  Personen 

männlichen,  .  .  .  weiblichen  Geschlechts  auf. 

Der  eigene  Familienstand  de  .  Unterzeichneten  besteht  aus  .  .  .  Personen,  darunter 
.  .  .  Knaben  und  .  .  .  Mädchen  unter  6  Jahren  und  .  .  .  Knaben  und  .  .  .  Mädchen 
von  6  bis  14  Jahren,  von  den  übrigen  Personen  .  .  .  männlichen  und  .  .  .  weiblichen 
Geschlechts. 

Folgende  Bäume  sollen  zum  Schlafen  dienen: 

1) lang, breit, hoch, 

2) lang, breit hoch, 

3) lang, breit, hoch. 

Berlin,  den 

Unterschrift  (Vor-  und  Zuname). 

Stand  oder  Gewerbe : 

Polizeiverordnung  vom  31.  Januar  1880. 

„Ueber  den  Betrieb  derjenigen  Gastwirtschaften,  in  welchen 
obdachlosen  Personen  gegen  Entgelt  für  einzelne  Nächte  derart 
Unterkommen  gewährt  wird,  daß  in  einem  gemeinschaftlichen 
Schlafraum  mehrere  nicht  zu  einander  gehörige  Personen  unter- 
gebracht werden". 

§  1.  In  einer  Nachtherberge  dürfen  Personen  verschiedenen  Geschlechts  nicht 
aufgenommen  werden.  Sind  die  Herbergsräumlichkeiten,  einschließlich  der  Hausflur, 
Treppen  und  Abtritte,  durch  feste  und  nicht  mit  Thüren  versehenen  Wänden  derartig 
von  einander  getrennt,  daß  auch  nicht  der  Zugang  von  der  Straße  aus  ein  gemein- 
schaltlicher  ist,  so  gelten  die  so  getrennten  Abteilungen  im  Sinne  dieser  Bestimmungen 
als  verschiedene  Nachtherbergen. 

§  2.  In  jedem  Schlafraume  dürfen  nur  so  viel  Personen  untergebracht  werden, 
daß  auf  den  Kopf  der  Schlafgäste  mindestestens  3  qm  Bodenraum  und  10  cbm  Luft- 
raum kommen. 

§  3-  Für  jeden  Schlafgast  muß  eine  besondere  Lagerstätte  bereit  sein.  Dieselbe 
muß  mindestens  aus  einem  Strohsack,  einem  Kopfkissen  und  einer  wollenen  Decke 
bestehen.  Die  wollene  Decke  kann  fortfallen,  wenn  der  Schlafraum  mit  geeigneten 
Heizvorrichtungen  versehen  ist.  Es  muß  aber  in  diesem  Falle  dafür  gesorgt  werden, 
daß  die  Temperatur  am  Abend  um  10  Uhr  mindestens  10  °  R  beträgt.  Bettstellen 
dürfen  nicht  übereinander  stehen  und  mehrere  Personen  dürfen  nicht  in  einer  Bett- 
stelle zusammenliegen.  Alle  4  Wochen  sind  die  Inlets  der  Säcke  und  Kissen,  sowie 
die  Decken  zu  waschen.  Sind  die  Kissen  mit  Ueberzügen  versehen,  so  sind  diese  alle 
4  Wochen,  die  Inlets  aber  halbjährlich  einmal  zu  waschen.  Das  Stroh  der  Säcke  und 
Kissen  ist  alle  4  Wochen  zu  erneuern. 

§  4.  Die  Nachtherbergen  müssen  mit  dem  erforderlichen  Trinkwasser  und  Wasch- 
wasser, sowie  jeder  Schlafraum  mit  dem  erforderlichen  Waschgerät  versehen  sein. 


Asyle,  Herbergen  u.  s.  w.  155 

§  5.  Die  Fenster  der  Schlafräumo  müssen  alle  Tage  von  9—11  Uhr  vormittags 
und  von  2 — 4  Uhr  nachmittags  offen  gehalten  werden. 

§  6.    In  den  Schlafräumen  dürfen  keine  Urinkühel  aufgestellt  werden. 

§  7.  Sämtliche  Räume  der  Nachtherbergo  müssen  reinlich  gehalten  werden  und 
zu  diesem  Behufe  müssen  a)  die  Fußböden  täglich  am  Morgen  ausgekehrt  und  jeden 
Sonnabend  gescheuert  werden ;  b)  die  Wände  und  Decken  zweimal  jährlich  und  zwar 
innerhalb  der  ersten  Hälfte  des  April  und  des  Oktober  frisch  getüncht  oder,  wenn 
sie  mit  Oelfarbe  gestrichen  sind,  gründlich  abgewaschen  werden;  c)  die  Abtrittssitze 
jeden  Sonnabend  gescheuert  werden. 

§  8.  Wenn  anscheinend  mit  ansteckenden  oder  sonst  bedenklichen  Krankheiten 
behaftete  Personen  in  der  Nachtherberge  aufgenommen  werden,  oder  wenn  in  die 
Nachtherberge  aufgenommene  Personen  an  den  vorbezeichneten  Krankheiten  erkranken, 
so  hat  der  Inhaber  der,  Nachtherberge  in  jedem  vorkommenden  Falle  hiervon  un- 
verzüglich bei  dem  Polizeibureau  des  Reviers,  ,in  dem  die  Herberge  gelegen  ist,  An- 
zeige zu  machen. 

§  9.  Inhaber  von  Nachtherbergen,  welche  gegen' eine  der  vorstehenden  Vorschriften 
verstoßen,  werden  mit  Geldstrafe  bis  zu  30  Mark  bestraft,  an  deren  Stelle  im  Un- 
vermögensfalle verhältnismäßige  Haft  tritt. 

§  10  handelt  vom  Inkrafttreten  der  Verordnung. 

Ueber  ähnliche  Verfügungen  siehe  Wernich  und  Wehmer9. 

Die  Erfolg  e  der  sanitätspolizeilichen  Ueberwachung 
der  niederen  Herbergen  haben  sich  überall  gezeigt. 

Für  England  beweisen  dies  jene  Berichte,  welche  dem  Parlament 
von  Zeit  zu  Zeit,  und  zwar  seit  1855,  über  die  Ausführung  der  common 
lodging  houses  act  vorgelegt  werden. 

Diese  Reports  setzen  sich  aus  den  Meldungen  der  Gesundheits- 
beamten zusammen,  welche  mit  der  Ueberwachung  und  zeitweisen  ärzt- 
lichen Visitation  der  common  lodging  houses  beauftragt  werden. 

Bereits  drei  Jahre  nach  dem  Inkrafttreten  des  Gesetzes  konnte 
Captain  H  ay  melden,  daß  in  allen  common  lodging  houses  von  London, 
welche  jede  Nacht  (im  Jahre  1855)  ungefähr  30000  Menschen  beher- 
bergen, nur  10  Fälle  von  Fleckfieber  zur  Beobachtung  kamen.  D  i  e 
Pocken  waren  überhaupt  verschwunden4. 

Im  Jahre  1857  meldet  Dr.  Liddle  aus  Whitechapel,  daß  sich  in 
den  common  lodging  houses  seines  Bezirkes,  bekanntlich  eines  der  ärmsten 
der  Welt,  die  Zahl  der  Krankheitsfälle  sehr  stark  vermindert  habe. 
Zu  Fieberkranken,  d.  h.  zu  Flecktyphen  wurde  der  medical  officer  nur 
noch  äußerst  selten  gerufen.  In  St.  Olaf  (London)  beobachtete  1857 
Dr.  Vinen  seit  12  Monaten  keinen  Fieberfall  mehr  in  den  common 
lodging  houses.  Aehnlich  lauten  die  Meldungen  der  anderen  Sanitäts- 
beamten aus  dem  vereinigten  Königreiche. 

Aehnliches  läßt  sich  für  Berlin  mitteilen.  Flecktyphus  und  Rück- 
fallfieber haben  seit  dem  Jahre  1880,  also  seitdem  die  Polizei  auf  Grund 
der  Verordnungen  vom  31.  Januar  und  vom  17.  Dezember  1880  ein- 
zuschreiten in  der  Lage  war,  zunächst  rapide  abgenommen,  sind  dann 
aber,  wie  die  folgenden  Zahlen  ergeben,  vollständig  verschwunden. 

(Siehe  Tabelle  S.  156.) 

Allerdings  muß  darauf  aufmerksam  gemacht  werden,  daß  Recurrens 
und  Exanthematicus  in  Berlin  auch  in  manchen  Jahren  vor  1880,  also 
zu  einer  Zeit  wenige  Opfer  forderten,  als  die  polizeiliche  Ueberwachung 
der  Pennen  und  Schlafstellen  eine  mildere  gewesen  ist11. 

Ferner  hat  —  gleichfalls  ein  Erfolg  der  polizeilichen  Maßnahmen 
—  die  Zahl  der  Pennen  sich  vermindert,  oder  ist  jedenfalls  nicht  ent- 
sprechend der  Bevölkerungszunahme  gewachsen.     Die  ständigen  Gäste 


156 


M.   KNAUFF   und    TH.    WEYL, 


Zahl 

Zahl  dei 

Todes- 

fälle 

an 

Zahl  der  Todesfälle 

Jahr 

Einwohner 

der 
Pennen 

Exanthe- 
maticus 

Recurrens 

an  Pocken 

1869 

762450 

— 

— 

230 

1870 

760  OOO 

7 

— 

170 

1871 

825  937 

9 

— 

5216 

1872 

864  300 

1 

22 

H96 

1873 

900  620 

60 

29 

IOI 

1874 

932  760 

9 

— 

21  (ErlaFs  d.  Impfgesetz.) 

1875 

966858 

•3 

— 

51 

1876 

995  470 

4i 

— 

18 

1877 

1  010946 

— 

— 

4 

1878 

1  039  447 

15 

24 

— 

8 

1879 

1  069  782 

? 

114 

— 

8 

1880 

1  122330 

17  Anfang  \  -i 
8  Ende     j  "o 

21 

17 

9 

1881 

1  138784 

14 

12 

32 

54 

1882 

1  175278 

8 

1 

I 

5 

1883 

1  212  327 

8 

1 

— 

4 

1884 

1  250895 

2 

2 

2 

20 

1885 

1  291  359 

8 

— 

— 

5 

1886 

1337  17' 

? 

— 

— 

3 

1887 

1  386  562 

? 

— 

— 

3 

1888 

1  439618 

10 

— 

— 

1 

1889 

M95  151 

6 

— 

— 

2 

1890 

1  548  279 

5 

— 

— 

5 

1891 

5 

derselben  ziehen  es  eben  vor,  die  bequemeren  Asyle  aufzusuchen,  in 
welchen  sie  kostenlos  Unterkommen  und  eine,  wenn  auch  schmale  Ver- 
pflegung finden.  Sie  kommen  hierdurch  den  Interessen  der  Polizei 
entgegen,  da  sich  die  centralisierten  Asyle  leichter  überwachen  lassen 
als  eine  große  Zahl  über  die  ganze  Stadt  verbreiteter  Pennen. 

1)  Goltdammer  a.  a.  O.  (siehe  No.  9  S.  149);  Pistor  a   a.  O.  {siehe  No.  11   S.  149);  Becker 
a.  a.   O.  (siehe  No.   11    S.   149). 

2)  Baumeister,  D.    Viertel/,  f.  ößentl.  Gesdpfl.  (1880)   12.  Bd.  93. 

3)  The  metropolitan' s  year-book  for  1892,   112 

4)  z.  B.  George  Glover  a.  a.  O.  (siehe  No.  4  S.   149). 

5)  Booth,  Labour  and  life  of  the  people  (1891)   2.   Bd    335. 

6)  Wernich,    6.   Gesamtbericht    vier   das  Sanitäts-   und  Medizinalwesen  in  der  Stadt  Berlin 
während  der  Jahre  1889,   1890,   1891,   114  (1893). 

7)  Booth  a.  a    O.  (siehe  oben  No.  5)  387. 

8)  Booth  a.  a.  O.  (siehe  oben  No.  5)  386  f.  u.  360. 

9)  Wernich  und  Wehmer,  Lehrbuch  des  öffentlichen  Gesundheitswesens  (1894)  424  u.  454. 
]())  Report  to  the  General  Board  of  Health  (1857)    4  f.  (41.  Bd.  der  ganzen  Beihe  der  dem 

Parlamente   1857  vorgelegten  Reports). 
11)  Th.  Weyl,  Die  Einwirkung  hygienischer    Werke  auf  die  Gesundheit  der  Städte  (1893)  49. 


Asyle,  Herbergen  u.  s.  w.  157 

III.  Bauliche  Einrichtung  und  Verwaltung  von 
Asylen  und  niederen  Herbergen l. 

(Verfasser:  M.  Knauffund   Th.  Weyl.) 

A.  Asyle. 

Die  Asyle  zerfallen  in  solche ,  welche  für  obdachlose  Familien  be- 
stimmt sind,  und  in  solche,  welche  einzelstehenden  Personen  nur  nachts 
ein  Obdach  gewähren  sollen. 

1.  Asyle  für  obdachlose  Familien. 

Die  Asyle  für  obdachlose  Familien  sind  einfache,  aber 
nach  streng  hygienischen  Prinzipien  erbaute  Wohnhäuser  mit  getrennten 
Schlafräumen  für  die  Geschlechter,  mit  teils  gemeinsamen,  teils  ge- 
trennten Tagräumen.  Hierzu  kommen  die  üblichen  Wirtschaftsräume. 
Größere  derartige  Anlagen,  z.  B.  das  städtische  Obdach  in  Berlin,  ent- 
halten auch  Unterrichtsräume  für  die  Kinder  der  obdachlosen  Familien. 
Im  übrigen  bieten  diese  Anstalten  in  baulicher  Beziehung  zu  weiteren 
Bemerkungen  keine  Veranlassung. 

Dagegen  dürfte  es  weiteren  Kreisen  erwünscht  sein,  die  Haus- 
ordnung und  das  Speise-Regulativ  kennen  zu  lernen,  welches 
sich  seit  einer  Reihe  von  Jahren  im  städtischen  Asyl  für  ob- 
dachlose Familien  zu  Berlin2  bewährt  hat. 

Hausordnung  für  das  städtische  Obdach  für  obdachlose  Familien. 

(Auszug.) 

§  1.  Der  Zweck  des  Familien-Obdachs  ist:  denjenigen  Familien  und  Einzel- 
personen, welche  durch  Exmission  oder  aus  anderen  Gründen  wohnungslos  geworden 
und  unvermögend  sind,  sich  sofort  anderweitig  Wohnung  und  Mittel  zum  Unterhalt 
zu  verschaffen,  auf  einige  Zeit  Obdach  und  Verpflegung  zu  bieten  und  ihnen  erforder- 
lichenfalls durch  Gewährung  einer  Beihilfe  zur  ersten  Mietszahlung  beim  Verlassen 
der  Anstalt  die  Mittel  an  die  Hand  zu  geben,  wieder  zu  geordneten  Verhältnissen 
zurückzukehren. 

§  2.  Die  Aufnahme  in  das  Familien-Obdach  erfolgt  auf  Grund  eines  von  der 
Armen-Direktion,  Plenum,  beziehungsweise  von  der  Armen  -  Kommission  oder  dem 
Polizei-Büreau  desjenigen  Stadtbezirks ,  in  welchem  der  Aufzunehmende  zuletzt  ge- 
wohnt hat,  oder  endlich  von  dem  Königlichen  Polizei-Präsidium,  Abteilung  IV,  ausge- 
stellten Ueberweisungsscheines  .... 

§  3.  Wenn  Personen,  welche  der  Inspektion  als  notorische  Arbeitsscheue, 
Trunkenbolde  etc.  bekannt  sind,  Aufnahme  im  Familien-Obdach  nachsuchen,  sind  die- 
selben zwar  aufzunehmen,  doch  ist  der  Abteilung  für  die  Verwaltung  des  Arbeits- 
hauses und  des  städtischen  Obdachs  hiervon  sofort  Bericht  zu  erstatten,  damit  die- 
selbe über  den  ferneren  Verbleib  dieser  Personen  im  Familien-Obdach  Entscheiduug 
treffen  kann. 

§  4.  Personen,  welche  das  Familien  -  Obdach  gewerbs-  oder  gewohnheitsmäßig 
lediglich  zu  dem  Zwecke  der  Erlangung  einer  Unterstützung  aufsuchen ,  sind  zwar 
ebenfalls  zunächst  aufzunehmen,  doch  ist  nach  Feststellung  ihres  guten  Gesundheits- 
zustandes durch  den  Anstaltsarzt  sofort  an  die  Abteilung  Anzeige  zu  machen,  welche 
über  das  nach  Lage  des  Falles  Erforderliche  event.  über  die  alsbaldige  Ausweisung 
ohne  Unterstützung  Entscheidung  treffen  wird. 

§  5.  Die  dem  Familien-Obdach  zur  Aufnahme  überwiesenen  Personen  sind  zu- 
nächst in  das  Rezeptionsbuch  und  in  das  zu  demselben  gehörige  alphabetische  Re- 
gister einzutragen ;  darauf  ist  mit  ihnen  unter  gleichzeitiger  Bekanntmachung  der 
Hausordnung  eine  Verhandlung  über  ihre  persönlichen  und  sonstigen  Verhältnisse  auf- 
zunehmen, und  zwar: 

a)  mit  den  zum  ersten  Mal  das  Obdach  Aufsuchenden  nach  Formular  470, 

b)  mit  allen  übrigen  nach  Formular  52. 

Handbuch  der  Hygiene.   Bd.  VI.  11 

13 


158  M.    KNAUFF   und   TH.   WEYL, 

Demnächst  ist  darauf  zu  halten,  daß  unter  Aufsicht  eines  Aufsehers  hezw.  einer 
Aufseherin  das  Baden  der  eingelieferten  Personen  zum  Zwecke  der  körperlichen 
Reinigung  erfolgt  und  daß  in  der  Zwischenzeit  die  Kleidungsstücke  derselben  einer 
gründlichen  Desinfektion  unterworfen  werden. 

§  6  betrifft  Vollziehung  der  Protokolle  und  sonstiger  Schriftstücke  durch  Ob- 
dachlose. 

§  7.  Sachen,  welche  im  Familien- Obdach  untergebrachten  Personen  gehören, 
werden  in  dazu  bestimmten  Räumen  der  Anstalt  aufbewahrt  ....  und  sofort  desinfiziert. 

§  9.  Die  Männer  und  die  über  6  Jahre  alten  Knaben  werden  der  Station  für 
männliche  Insassen,  alle  anderen  Kinder  und  die  Frauen  der  Frauenstation  über- 
wiesen. Während  der  Tageszeit,  und  zwar  im  Sommer  —  d.  h.  in  der  Zeit  vom 
1.  April  bis  1.  Oktober  —  von  morgens  5  bis  abends  8  Uhr  und  im  Winter  von 
morgens  6  bis  abends  7  Uhr,  halten  sich  die  Familien  nach  Erledigung  der  Hausarbeit 
(§  12)  in  den  ihnen  bezeichneten  gemeinschaftlichen  Versammlungssälen  und  die 
ledigen  Personen  auf  den  ihnen  angewiesenen  Stationen  auf. 

Während  der  Nachtzeit  haben  sich  sämtliche  Insassen  in  dem  ihnen  zugewiesenen 
Schlafsale  aufzuhalten. 

Der  betreffende  Revieraufseher  bezw.  die  Aufseherin  hat  durch  Namensaufruf  das 
Vorhandensein  bezw.  Fehlen  der  zu  dem  betreffenden  Schlalsale  Gehörenden  fest- 
zustellen. 

Der  Namensaufruf  hat  im  Sommer  abends  um  9  Uhr,  im  Winter  abends  um 
8  Uhr  und  zwar  in  rücksichtsvoller  Weise  zu  erfolgen. 

§  10.  Sämtliche  im  Laufe  eines  Tages  Aufgenommenen  sind  am  nächsten  Morgen 
dem  Anstaltsarzt,  welchem  ein  Heilgehilfe  zur  Seite  steht,  zur  Feststellung  ihres  Ge- 
sundheitszustandes vorzuführen,  und  hat  ersterer  auf  dem  ihm  vorgelegten  Ueberweisungs- 
scheine  sein  ärztliches  Gutachten  schriftlich  abzugeben  .... 

§  11.  Die  Verpflegung  der  Insassen  des  Familien -Obdachs  besteht  in  warmer 
Morgen-  und  Abendsuppe,  in  Mittagessen  aus  Gemüse,  Hülsenfrüchten  etc ,  mit  Fleisch 
bezw.  Talg  bereitet,  und  aus  einer  Portion  Brot  für  den  ganzen  Tag,  alles  dies  nach 
näherer  Angabe  des  bestehenden  Speise-Regulativs  (s.  u.). 

Auf  schriftliche  ärztliche  Verordnung  ist  kranken  und  schwächlichen  Personen  die 
in  diesem  Regulativ  vorgesehene  Krankenkost  zu  verabreichen. 

§  12.  Die  erwachsenen  männlichen  und  weiblichen  Insassen  des  Familien-Ob- 
dachs sind  nach  Maßgabe  der  Hausordnung  zur  Verrichtung  der  Hausarbeit,  z.  B.  auch 
zum  Reinhalten  der  Schlaf-  und  Aufenthaltssäle,  der  Treppen  und  Flure,  zum  Waschen 
und  Ausbessern  der  Anstaltswäsche,  zum  Kartoffelputzen  etc.  unter  Leitung  des  Auf- 
sichtspersonals der  Anstalt  verpflichtet. 

Die  den  Obdachlosen  nach  Erledigung  der  Hausarbeit,  welche  in  der  Regel  nur 
die  Vormittagsstunden  in  Anspruch  nehmen  darf,  reichlich  verbleibende  freie  Zeit  haben 
sie  in  erster  Linie  zur  Beschaffung  von  Wohnung  und  Mitteln  zum  Unterhalt  zu  ver- 
wenden. 

Die  Errichtung  von  Arbeitsstätten  in  der  Anstalt  bleibt  der  Genehmigung  des 
Magistrats  vorbehalten. 

§  13.  Die  im  schulpflichtigen  Alter,  d.  h.  in  dem  Alter  von  6—16  Jahren, 
stehenden  Kinder  der  obdachlosen  Familien  erhalten  während  der  in  den  hiesigen 
Gemeindeschulen  üblichen  Schulzeit  in  einem  besonderen  Saale  Unterricht  durch  einen 
städtischen  Lehrer.  Nach  Schluß  der  Schulstunden  und  nach  Einnahme  der  regel- 
mäßigen Mahlzeiten  vereinigen  sich  die  Schulkinder  in  dem  ihnen  zugewiesenen  Spiel- 
saale, oder  bei  schönem  Wetter  auf  dem  neben  dem  Obdach  gelegenen  Spielplatz,  um 
sich  in  zwangloser  Weise  unter  Aufsicht  des  Lehrers  oder  eines  Aufsichtsbeamten  mit 
Jugendspielen  zu  vergnügen,  bis  das  Zeichen  mit  der  Anstaltsglocke  sie  in  ihre  Schlaf- 
räume ruft. 

§  14.  Der  Aufenthalt  im  Familien-Obdach  soll  in  der  Regel  fünf  Tage  nicht  über- 
schreiten Am  Tage  nach  ihrer  Aufnahme  wird  daher  den  Insassen  durch  einen  der 
im  Obdach  stationierten  Polizeibeamten,  welchem  sie  zuzuführen  sind,  schriftlich  zu 
Protokoll  eröffnet,  dafs  sie  sich  binnen  fünf  Tagen  ein  anderweitiges  Unterkommen, 
d.  h.  Wohnung  und  Mittel  zum  Unterhalt  zu  beschaffen  hätten,  widrigenfalls  und 
wenn  sie  nicht  nachweisen  könnten .  dafs  sie  solches  aller  angewandten  Bemühungen 
ungeachtet  nicht  vermocht  hätten,  sie  wegen  Arbeitsscheu  würden  bestraft  werden 
(§§  361  No.  8  und  362  des  Strafgesetzbuches). 

Unter  14  Jahre  alte  Kinder  der  zur  Bestrafung  Vorgeführten  sind  durch  die  In- 
spektion  mittelst  besonderen  Schreibens  dem  städtischen  Waisenhause  zu  überweisen. 

§  15.  Denjenigen  Insassen  des  Familien-Obdachs,  welche  sich  eine  Wohnung  oder 
Schlafstelle  beschafft  haben .  kann  bei  ihrem  Ausscheiden  aus  der  Anstalt  von  dem 
Inspektor   eine  Beihilfe   zur  Zahlung   der   ersten  Mietsrate  bewilligt   werden,   sobald 

14 


Asyle,  Herbergen  u.  s.  w. 


159 


die  geschehene  Mietung  der  Wohnung  oder  Schlafstelle  in  glaubwürdiger  Weise  nach- 
gewiesen ist. 

Nachdem  die  Richtigkeit  der  gemachten  Angaben  erforderlichen  Falles  durch 
persönliche  Recherche  eines  Obdachsbeamten  festgestellt  worden  ist ,  werden  die  Be- 
treffenden durch  den  Inspektor  in  eine  besondere  Liste  (Zahlungsliste)  eingetragen.  Die 
von  dem  Inspektor  unter  Würdigung  der  Verhältnisse  zu  gewährende  Unterstützung 
darf  im  Höchstbetrage  nicht  mehr  als  15  M.  betragen,  darüber  hinaus  gehende  Unter- 
stützungen bedürfen  der  Genehmigung  der  Armen-Direktion,  Abteilung  etc. 

§  16.  Sind  solchen  Personen,  welche  dem  Familien-Obdach  überwiesen  werden, 
bei  der  Exmission  seitens  des  Hauswirts  wegen  Nichtzahlung  von  Miete  oder  von  an- 
derer Seite,  z.  B.  durch  Eisenbahnverwaltungen  wegen  rückständiger  Fracht-  und 
Lagerkosten  etc.,  Mobilien  einbehalten  worden,  so  können  letztere  durch  die  Abteilung 
eingelöst  werden,  wenn  sie,  was  als  Regel  gilt,  einen  höheren  Wert  darstellen,  als  die 
zn  ihrer  Einlösung  erforderliche  Summe  beträgt. 

§  17.  Falls  aus  irgend  welchen  Gründen  die  Einlösung  der  einbehaltenen  Sachen 
sich  nicht  ermöglichen  liefs,  so  können  den  betreffenden  Bittstellern,  sowie  sonstigen 
bedürftigen  Insassen  des  städtischen  Obdaches  aus  den  Beständen  des  Friedrich-Wil- 
helms-Hospitals Möbel,  Betten  und  Kleidungsstücke  leihweise  verabfolgt  werden,  zu 
welchem  Behufe  die  erforderlichen  Anträge  an  die  Armen  -  Direktion  (Plenum)  .zu 
richten  sind. 

Speiseregulativ  für  das  städtische  Obdach  zu  Berlin. 

I.    Für  Gesunde. 


An 

Tagen 


Art  der  Speisung 


Sätze  für  den  Kopf 


Bemerkungen 


,S6S 

Schwarzbrot 

365 

do. 

nach 

Mittelbrot 

Bedarf 

365 

do. 

365 

do. 

36.S 

Milch 

360 

Bier 

36S 

Butter 

Fleisch 

do. 

365 
365 


49 

52 

52 

26 
26 


A.    Für  den  ganzen  Tag, 

600  g  für  Männer 
500  g  für  Frauen 
450  g  für  Frauen  mit  Säug- 
lingen 
400  g  für  Schulkinder 
200  g  oder  160  g  Semmel 
1  1 

1  1  Braunhalbbier 
15  g  für  Schulkinder 
4X  wchtl.  zu  120  g  Rindfl 
4X      »        »    7og      „ 


Heringe 


Mehlsuppe 
Kaffee 


3X      »  einen  halb.  Hering 


für  säugende  Kinder, 
für  säugende  Mütter. 

für  Schulkinder, 
für  Gesunde  im  Familien- 
Obdach  u.  Häuslinge. 
für  Schulkinder. 


B.    Zum  Frühstück. 
(Salz  und  Gewürz  wird  nach  Bedarf  verwendet.) 


[SS  g  Roggenmehl  5  g  Butter I 
liog  u.  1  Schrippe  zu  70  g! 


für  nächtl.  Obdachlose, 
für  das  Familienobdach 
u.  die  Häuslinge. 


C.    Zum  Mittagessen. 
(Salz  und  Gewürz  wird  nach  Bedarf  verwendet) 


Erbsen  (an  den  3  ersten 

Feiertagen) 
Erbsen  mit  Kartoffeln 

Linsen  mit  Kartoffeln 

Bohnen,  weifse  mit 

Kartoffeln 

Reifs  mit  Kartoffeln 

Rumford  mit  Kartoffeln 


320  g  Erbsen,  20  bezw.  5  g 

Rindertalg,  6  g  Mehl 
160  g  Erbsen 
650  g  Kartoffeln 
160  g  Linsen 
650  g  Kartoffeln 
160  g  Bohnen 
650  g  Kartoffeln 

50  g  Reis  650  g  Kartoff. 

80  g  Erbsen  40  g  Graup. 
650  g  Kartoffeln 
(Essig  nach  Bedarf) 

15 


Hier  wie  bei  den  übrigen 
Speisungen  werden  20  g  Rin- 
dertalg an  den  Tagen  ver- 
wendet, an  welchen  es  kein 
Fleisch  giebt;  5  g  an  den 
Tagen  mit  Fleisch. 
Die  Verwendung  von  Mehl 
als  Zuthat  ist,  wenn  nichts 
anderes  vorgeschrieben  wird, 
überall  die  hier  bestimmte. 


11' 


160 


M.    KNAUFF   und   TH.   WEYL, 


An 
Tagen 


Art  der  Speisung 


Sätze  für  den  Kopf 


Bemerkungen. 


12 

35 

12 

3 

4 
6 

3 
3 

40 

38 


364 


Kohlrüben  mit  Kartoffeln 

Graupen  mit  Kartoffeln 

Weifskohl  mit  Kartoffeln 

Bohnen,  gr.  mit  Kartoffeln 

Kohlrabi  mit  Kartoffeln 

Mohrrüben  mit  Kartoffeln 

Wirsingkohl  mit  Kartoffeln 

Sauerkohl  mit  Kartoffeln 

Buchweizengrütze 
Kartoffeln 


1000  g 

650  g 
80  g 

650  g 
700  g 

650  g 
5°og 
650  g 
1000  g 
650  g 
5°°g 
650  g 
700  g 
650  g 

5o°  g 
650  g 

175  g 
1500  g 


Kohlrüben 
Kartoffeln 
Graupen 
Kartoffeln 
Weifskohl 
Kartoffeln 
gr.  Bohnen 
Kartoffeln 
Kohlrabi 
Kartoffeln 
Mohrrüben 
Kartoffeln 
Wirsingkohl 
Kartoffeln 
Sauerkohl 
Kartoffeln 


365 

156 

157 

52 

365 


Fe  s  tspeisun; 
Reissuppe 
Erbsen 


Mehlsuppe 

Buchweizengrütze 
Hafergrütze 
Kartoffeln 
Suppengrünes 


am  Geburtstage  Sr.  Majestät  dos  Kaisers 
und  Königs. 

b.   Zum  Abendessen. 

I  100  g  Reis 

I  150  g  Rindfleisch 

a.  Zum  Mittagessen. 

450  g  Erbsen 

5  g  Rindertalg 

150  g  Schweinefleisch 

710 1  Bollen,  1  1  Weifsbier 

C.    Zum  Abendessen. 

60  g  Roggenmehl 

5  g  Butter 

75  g  (Butter  wie  zuvor) 

60  g  (Butter  wie  zuvor) 

600  g  >/a  Hering 
auf  100  Köpfe  für  15  Pf. 


für   nächtl.  Obdachlose 

für  das  Pamilienobdach 
und  die  Häuslinge. 


Extraordinär  können  noch  erhalten: 

1)  die  in  der  Waschküche  mit  dem  Reinigen  der  Wäsche  beschäftigten  obdach- 
losen Frauen  für  den  Kopf  und  Tag  15  g  Butter  und  10  g  Kaffee,  sowie  200  g 
Schwarzbrot ; 

2)  Arbeiter  bei  den  Maschinen  und  bei  au fserge wohnlich  schweren  Leistungen  im 
Interesse  der  Anstalt  täglich  für  den  Kopf  200  g  Schwarzbrot ; 

3)  die  2.  Diätform  der  Krankenkost  ist  für  Kinder  unter  6  Jahren,  Säuglinge  aus- 
geschlossen, bestimmt. 

Das  Frühstück  und  Abendessen  besteht  für  die  Nächtlich-Obdachlosen  aus 
%0  1  Mehlsuppe  und  200  g  Schwarzbrot.  Für  das  Familienobdach  und  die 
Häuslinge  besteht  das  Frühstück  aus  1/2  1  Kaffee  =  10  g  und  1  Schrippe  zu 
70  g,  das  Mittagessen  aus  1,2  1  und  das  Abendessen  aus  9/10 1  für  den  Kopf. 


16 


Asyle,  Herbergen  u.  s.  w. 


161 


II.  Für  Kranke. 


An 

Tagen 
in  der 
Woche 


Art  der  Speisung 


Sätze  für  den  Kopf 


Bemerkungen 


Kaffee 
Schrippe 


Diätform  oder  ganze  Form. 
Zum  Frühstück. 

70  g 


Fleisch  wöchentlich 

Reis 

Feine  Gerstengraupe 

Weizengries 

Kartoffeln 


Buchweizengrütze 
Roggenmehlsuppe 
Hafergrütze 
Kartoffeln 


Zum  Mittagessen- 
(Salz  und  Gewürz  nach  Bedarf.) 
4X  zu  I20g  Rindfleisch 
3  X  zu  24°  S  Kalbfleisch 
60  g 
do. 
do. 
1000  g 


Zum  Abendessen. 

75  g  5  g.  Butter 
60  g  (Butter  wie  zuvor) 
60  g  (Butter  wie  zuvor) 
600  g,  V2  Hering 


Für  den  ganzen  Tag  450  g  Mittelbrot  oder  3  Semmeln  zu  je  120  g 

II.  Diätform   oder   halbe  Portion. 

Zum  Frühstück  (wie  bei  I.  Form). 
Zum  Mittagessen. 
Fleisch  |  wöchentlich   4  X   Rind-  j 

I  fleisch  zu  120  g   und  an 
I  den  anderen  Tagen  5  g 
Rindertalg 
Das  Uebrige  wie  bei  1.  Form. 
Zum  Abendessen  (wie  bei  I.  Form). 
Für  den  ganzen  Tag  200  g  Mittelbrot  oder  2  Semmeln  zu  je  120  g. 

III.  Diätform  oder  Viertelportion. 

Zum  Frühstück  (wie  bei  I.  Form). 
Zum  Mittagessen. 


Reis 

feine  Gerstengraupe 

Weizengries 

Kartoffeln 


60  g,  5  g  Rindertalg 
do. 
do. 
1000  g,  5  g  Rindertalg 
Zum  Mittagessen  (wie  bei  I.  Form). 
Für  den  ganzen  Tag  120  g  Semmel. 
Suppengrünes  für  alle  Diätformen  auf  100  Köpfe  für  15  Pfennige. 

Auf  ärztliche  Verordnung  kann  aufserdem  verabfolgt  werden: 
Milch  in  Portionen  zu  1/a  1, 


Bier 

II, 

Wein 

-      Vs    1, 

Backobst 

(Pflaumen) 

j       1 20  g, 

Heringe 

7> 

)>                        9 

•  Vi  Stück, 

Sodawasser 

,  1l2  Flasche, 

Semmel 

,     120  g 

Kaffee 

-       l°g 

Bouillon 

,     150  g  Rindfleisch, 

Eier 

,  1  Stück, 

Zucker 

1)                         ! 

.      5og, 

Butter 

>) 

„ 

.      5og. 

Hafergrütze  zu  Umschlägen  nach  Bedarf. 


i/ 


162  M.    KNAUFF   und    TH.    WEYL, 

Mit  Genehmigung  des  Arztes  kann  auch  den  Personen,  die  Krankenkost  erhalten, 
an  Stelle  dieser  die  am  Geburtstage  Sr.  Majestät  des  Kaisers  und  Königs  für  die  Ge- 
sunden übliche  Festspeisung  verabreicht  werden. 

Die  Extradiät  wird  daneben  nur  so  weit  gewährt,  als  der  Arzt  es  für  notwendig 
erachtet. 

Das  nach  Bereitung  von  Bouillon  verbleibende  Fleisch  kommt  den  Kranken  I. 
und  II.  Diätform  zu  gute. 

Die  Morgensuppe  besteht  aus  9/io  1>  das  Mittagessen  aus  1,2  1  und  das  Abendessen 
aus  9/io  1  für  die  Portion. 

Glaubt  der  Inspektor,  mit  Rücksicht  auf  die  Jahreszeit,  das  finanzielle  oder  Ver- 
waltungsinteresse oder  wegen  vorherrschender  Krankheiten  u.  s.  w.  über  die  in  den 
vorstehenden  beiden  Regulativen  in  der  Verabreichung  der  Speisearten  gestattete  Ab- 
wechselung hieraus  Aenderungen  vornehmen  zu  müssen,  so  hat  er  nach  Benehmen  mit 
dem  Anstaltsarzt  die  Genehmigung  des  Vorsitzenden  der  Armen-Direktion ,  Abteilung 
für  die  Verwaltung  des  städtischen  Obdachs,  auf  kürzestem  Wege  einzuholen. 

2.    Asyle  f,ür  nächtlich  Obdachlose. 

Ganz  andere  Ansprüche  werden,  wie  dies  bereits  S.  145  aus- 
einandergesetzt ist,  an  nächtliche  Asyle  erhoben.  Wie  denselben  Ge- 
ntige geschehen  ist,  soll  durch  die  folgenden  Beschreibungen  einiger 
Asylbauten  gezeigt  werden. 

1.    Das  städtische  Asyl  für  nächtlich  Obdachlose  zu  Berlin. 

Das  städtische  Asyl  für  nächtlich  Obdachlose  besteht 
nach  seiner  Erweiterung,  also  seit  1894,  aus  49  Schlafsälen  für  je  50 
Betten ,  sodaß  dasselbe  gleichzeitig  für  2450  Personen  Unterkunft  ge- 
währt. Die  Schlafsäle  sind  in  der  aus  Fig.  1  ersichtlichen  Weise  rechts 
und  links  von  einem  3  m  weiten  Mittelgange  angeordnet.  Je  2  Reihen 
derselben  enthalten  zwischen  sich  den  Hof  und  die  an  demselben  befind- 
lichen Aborte.  Zu  beiden  Seiten  des  Hofes  befindet  sich  ein  Korridor, 
auf  welchen  die  Schlafsäle  sich  öffnen.  Den  Schlafsälen  vorgelagert  sind 
die  Aufnahmezimmer,  Bureauräume,  Polizeiwache  und  die  Bäder.  Von 
letzteren  besitzt  die  Anstalt  30  Brausebäder  und  14  Wannenbäder.  Wäh- 
rend Fig.  1  den  Grundplan  der  ganzen  Anlage  darstellt,  giebt  Fig.  2 
die  links  vom  Mittelgange  befindlichen  Räume  in  größerem  Maßstabe 
wieder.  Hier  befinden  sich  auch  die  Unterkunftsräume  für  20  Häuslinge 
(Insassen  des  Arbeitshauses),  welche  die  Reinigung  des  Obdachs  zu  be- 
sorgen haben.  Die  in  Fig.  1  und  2  schraffierten  Teile  sind 
die  im  Jahre  1894  in  Benutzung  genommenen  Erweiterungsbauten. 

Die  langen,  2,  5  bis  3  m  breiten  Korridore,  welche  durch  zahlreiche 
Thüren  nach  außen  führen ,  gewährleisten  eine  schnelle  Entleerung  des 
Obdachs ,  wie  dies  bei  Feuersbrünsten  geboten  erscheint.  Auch  können 
ohne  jede  Betriebsstörung  einzelne  Säle  sowie  ganze  Saalreihen  der  Be- 
nutzung zeitweilig  entzogen  werden,  wie  dies  mit  Rücksicht  auf  die  von 
der  Jahreszeit  abhängige  Frequenz  nötig  erscheint.  Von  großer  Wichtig- 
keit ist  diese  Anordnung  ferner  für  den  Fall ,  daß  in  einem  Teile  der 
Säle  eine  Infektionskrankheit  (Flecktyphus  und  Recurrens)  ausbrechen 
oder  wenn  einzelne  Säle  als  Choleralazarett  dienen  sollten.  Dann  wird 
durch  Schließung  einiger  Thüren  und  Korridore  die  Möglichkeit  geboten, 
das  Asyl  gleichzeitig  mehreren  Zwecken  nutzbar  zu  machen,  ohne  daß 
eine  Uebertragung  der  Krankheiten  auf  die  anderen  Teile  des  Obdachs 
zu  befürchten  wäre.  —  Hinter  dem  Asyle  befindet  sich  eine  (nicht  ge- 
zeichnete) Desinfektionsanstalt,  in  welcher  die  Effekten  der  Ob- 
dachlosen mit  strömendem  Wasserdampfe  desinfiziert  werden,  während  die 
Besitzer  derselben  baden. 

18 


164 


M.    KNAUFF   und    TH.   WEYL, 


iä 


Schlafsaal 


Schlafsaal 


Schlafsaal, 


Schlafsaal 


Schlafsaal 


Schlafsaal 


Schlafsaal 


Schlafsaal 

23,2+— 


Schlafsaal 


Schlafaal 


Ga/ig 


l    I    l    I    I    I    I    I    I    I    I    I    I    !    1    ] 

Brausebäder 

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Fig.  2.    Städtisches  Obdach  für  nächtliche  Obdachlose  zu  Berlin.     Grundrifs.     Ein  Teil 
von  Fig.   1  stärker  vergröfsert. 


Fig.  3  zeigt  einen  senkrechten  Schnitt  durch  zwei  Schlafsäle  und 
die  demselben  vorgelagerten  Brausebäder;  Fig.  4  einen  senkrechten 
Schnitt  durch  das  mit  Oberlicht  und  Firstventilation  versehene  Brause- 
bad. —  Jedem  Schläfer  steht  eine  hölzerne  Pritsche  und  eine  wollene, 
täglich  durch  strömenden  Wasserdampf  desinfizierte  Decke  zur  Verfügung. 
In  jedem  Schlafsaale  befinden  sich  6  Waschbecken.     Auf  jeden  Schläfer 


Asyle,  Herbergen  u.  s.  w. 


165 


fällt    eine    Grundfläche   von    fast  3  m2   und    ein  Luftraum    von    mehr   als 
13  m3. 

Die  Anstalt  ist  mit  einer  Dampfheizung  versehen.  Den  Dampf 
produzieren  die  Kessel  der  Desinfektionsanstalt.  Auf  Fig.  3  sind  die 
Heizkörper  sichtbar.  Neben  denselben  münden  die  Zuluftkanäle,  deren 
Querschnitte  auf  Fig.  3  und  4  gezeichnet  sind.     Die  Abluft  entweicht 


Fig.   3.      Städtisches  Obdach  für  nächtliche  Obdachlose  zu  Berlin.     Längsschnitt  durch 
zwei  Schlafsäle  und  durch  das  Brausebad. 


Fig.  4.     Städtisches  Obdach  für  nächtliche  Obdachlose   zu  Berlin.    Längsschnitt  durch 
das  Brausebad. 


21 


166 


M.    KNAUFF    und   TH.    WEYL, 


durch  die  stellbaren  Fensterklappen  der  Sheddächer  und  durch  die  in 
Fig.  3  angedeuteten  Schornsteine.  Die  Anstalt  ist  an  die  städtische 
"Wasserleitung  und  an  die  städtische  Kanalisation  angeschlossen.  —  Die 
Pläne  des  erweiterten  städtischen  Obdachs  verdanken  wir  der  Gefällig- 
keit der  Herren  Stadtrat  Mamroth  und  Stadtbauinspektor  Dylewsky. 
Das  Asyl  für  nächtliche  Obdachlose  ist  von  dem  auf  dem  gleichen 
Grundstück  befindlichen  Asyl  für  obdachlose  Familien  (S.  157)  in  ent- 
sprechender Weise  abgeschlossen. 

Im  städtischen  Asyl  (Obdach)  für  nächtliche  Obdachlose  3  fanden 
1892/93  Aufnahme  335  436  Personen,  nämlich  320  764  Männer  und  14  672 
Frauen  und  Mädchen.  Von  diesen  starben  plötzlich  4,  krank  befunden 
und  behandelt  wurden  2882  (==  0,86  Proz.).  Die  höchste  Tagesfrequenz 
war  am  29.  März  1893:  2524  Personen,  die  niedrigste  am  28.  Sept.  1892: 
226  Personen.  Alle  Asylisten  erhielten  morgens  und  abends  je  0,9  1 
Suppe  und  200  g  Brot.  Die  Verpflegungskosten  betrugen  M.  31 038 
oder  M.  0,0925  pro  Kopf  und  Tag  bei  335  436  Verpflegungskosten.  In 
der  mit  dem  Obdache  verbundenen  Desinfektionsanstalt  wurden 
520  668  Gegenstände  (meist  den  Asylisten  gehörig)  desinfiziert.  Ge- 
badet und  desinfiziert  wurden  201  985  Personen  im  Etatsjahre  1893/94  4. 

Neben  dem  Berliner  städtischen  Asyl  wirkt  seit  1869  eine  Privat- 
gesellschaft, der  Berliner  Asyl-Verein  für  Obdachlose5,  mit 
segensreichstem  Erfolge. 

Dieser  besitzt  ein  Haus  zur  Aufnahme  von  120  Frauen  und  ein 
zweites  für  324  Männer.  Der  Verein  beherbergte  in  den  24  Jahren 
186892  2  052  000  Männer  (im  ersten  Jahre  12  000,  im  letzten  Jahre 
109  000) ;  213000  Frauen  (4000—11  000)  ;  161  000  Mädchen  (7000—7000) ; 
34  000  Kinder  (2400—900)  und  5000  Säuglinge  (400—80),  im  ganzen 
2  465  000  Menschen.  Die  Badeanlagen  (Wannen)  des  Vereins  wurden  in 
1871 — 92  von  432  000  Menschen  benutzt.  Im  übrigen  machte  dieser 
Verein  seine  Thätigkeit  während  jener  23  Jahre  mit  einer  Einnahme  von 
Mk.  1  266  000  möglich,  wovon  trotz  Kaufs  zweier  Grundstücke  und  Baues 
der  beiden  Asyle  noch  M.  532  000  Vermögensstand  bildeten.  In  den 
beiden  Asylen  des  Vereins  ist  —  im  Gegensatze  zu  dem  städtischen  Ob- 
dach —  eine  polizeiliche  Kontrolle  der  Auf- 
nahme Nachsuchenden  so  gut  wie  ausgeschlossen. 

Als  Beispiel  einer  mehr  geschlossenen 
Bauweise  diene  der  Grundriß  des 
1.  Stockwerks  des  städtischen  Asyls 
zu^Elberfeld  (Fig.  5). 

Im  Erdgeschoß  des  Asylgebäudes  be- 
findet sich  eine  Wachtstube,  1  Schlafsaal  für 
Männer,  2  Haftzellen,  2  Wasch-  und  Bade- 
räume und  die  Wohnung  des  Aufsehers.  In 
den  beiden  Obergeschossen  Schlafräume  für 
Männer,    Frauen    und    Kinder    sowie    2    Lager- 

_.     ..„„„..            ,  räume    für    Strohsäcke  (!!).      Abortanlagen   sind 

Fig    5     Städtisches  Asyl 

zu  Elbe'rfeid.    Grundrifs  des  f- uf  den  Treppenpodesten  angebracht.     Das  Asyl 

1.  Stocks.  ist  zur  Aufnahme  von  200  Menschen  eingerichtet. 


Asyle,  Herbergen  u.  s.  w. 


167 


Von  den  in  Paris"  vorhandenen  Asylen  seien  die  folgenden  er- 
wähnt und  abgebildet: 

1)  Das  Asile  (Refuge)  rue  deChateau  des  rentiers.  Es 
enthält  200  Betten.  Die  Anlage  wird  durch  den  Grundriß  (Figur  6) 
verständlich. 

Seit  seiner  Eröffnung,  im  Mai  1889,  nächtigten  dort  bis  zum  31.  Juli 
1890:  95  573  Personen.  Während  dieser  Zeit  wurden  nur  316  Desinfek- 
tionen mit  Hilfe  eines  Apparates,  System  Greneste-Herscher,  an  den  Klei- 
dern der  Obdachlosen  ausgeführt  (!). 


Fig.  6.     Obdach   in  der  rue  du  Chateau  des  rentiers  in  Paris.     Grundrifs. 

1  Hof,  2—6  Wohnung  des  Aufsehers,  2  Stube,  3  Treppe,  4  Klosett,  5  Küche, 
6  Speisezimmer,  7 — 9  Aufseher,  10  Schlafsaal  für  je  80  Personen,  11  und  12  Abtritte, 
13  Wartesal  ,  14  Vorratsraum  für  Badeutensilien,  15  und  16  Wasch-  und  Baderäume, 
17  Eingang,  18  Wäschekammer,  19  Centralheizung,  20  und  21  Bureaus,  22  Pissoirs, 
23  Nebenausgang. 


2)  Das  Refuge-Ouvroir  in  der  rue  Fessart  ist  nur  für 
arbeitslose  Frauen  bestimmt.  Fig.  7  stellt  das  Erdgeschoß,  Fig.  8  das 
1.  Stockwerk  des  genannten  Obdachs  dar. 

Es  enthält  200  Betten  und  wurde  erst  im  Juli  1890  eröffnet.  Die 
Anlage  kostete  310  960  Frcs.,  davon  der  Bauplatz  48000,  der  Bau  270000, 
die  innere  Einrichtung  36000  Frcs. 

Der  seit  1870  in  Wien7  bestehende  Asylverein  für  Obdachlose 
enthält  ein  Männer-  und  ein  Erauen-Asyl.  In  denselben  wurden  1893 
beherbigt:  89  416  Personen.  Außerdem  brachte  der  Verein  in  dem  gleichen 
Jahre  noch  6625  in  Pokorny's  Arbeiterhotel  unter,  sodaß  sich  die  Zahl 
der  auf  Vereinskosten  beherbergten  Personen  für  das  Jahr  1893  auf 
96041  erhöht.     Seit  dem  Bestehen  des  Vereins  (1870)  wurden  beherbergt: 

23 


168 


M.    KNAUFF   und    TH.    WEYL, 


Erdgeschoss 


Fig.   7.     Refuge-Ouvroir  in  der  Rue  Fessart  in  Paris.     Grundrifs    des  Erdgeschosses. 

A  Hof,  B  Garten,  C  Pförtner,  E  Korridore  und  Vorzimmer ,  F  Bureau ,  G  Aus- 
kleideraum, B.  Abtritt,  E  Treppe,  /  Ankleideraum,  J  Brausebäder,  L  Werkstätten,  M  Ver- 
waltung und  Kontrolle,  N  Waschhaus,  P  Desinfektionsanstalt,  Q  Aufbewahrung  desinfizierter 
Kleider,  S  Kohlenkeller,  T  Schuppen,  U  Speisezimmer,  V  Saal  für  Frauen  mit  Kindern, 
W  Direktor,  X  Reserve,  1  Bad,  2—4  Küche,  5  Küchenchef. 


Erstes  Stockwerk 


Rue  Fressart 


Fig.  5.     Refuge-Ouvroir  in  der  Rue  Fessart  in  Paris.     Grundrifs  des  1.  Stocks. 

A  Wohnung,  B  Reserveraum,  0  Wäschekammer,  D  Inspektor,  E  Korridor,  F  In- 
spektor, Q  Vorräte,  H  Abtritte,  /  Schlafsaal  für  200  Frauen,  K  Treppe,  L  Aufseherin, 
M  Waschbecken,  N  Schlafsaal  für  Frauen  mit  Kindern. 

2  166  523  Personen  und  mit  4052496  Portionen  Suppe  und  Brot  beköstigt. 
Ausgaben  pro  1893:  13  278  PL  Die  in  Suppe  und  Brot  bestehende 
Abend-  und  Morgenration  kostet  zusammen  pro  Kopf  Kr.  4,16  gegen 
Kr.  4,15  im  Jahre  1872.  Insgesamt  wurden  1893  aufgewendet  pro 
Kopf  Kr.  14,85  gegen  Kr.  13,89  im  Jahre  1892.  Mit  dem  Obdach  ist 
eine  Stellenvermittelung  verbunden,  welche  1893  zu  gute  kam:  3043  Per- 
sonen. Der  Verein  besitzt  rund  97  000  PL  Vermögen. 
Moskau8   hat  zwei  nächtliche  Asyle. 


24 


Asyle,  Herbergen  u.  s.  w. 


169 


Das  erste  wurde  187G  von  den  Gebrüdern  Lapin  gegründet. 
Es  ist  ein  Massivbau  mit  vier  Stockwerken  und  besitzt  784  eiserne 
Betten,  von  welchen  120  für  Frauen  reserviert  sind.  Bau  und  Einrich- 
tung kosteten  zusammen  250000  Frcs.  Jährliche  Ausgabe:  12  500  Frcs. 
Das  Asyl  beherbergt  jede  Nacht  im  Durchschnitt  1000  Menschen,  von 
denen  immer  200  auf  dem  Boden  kampieren  müssen.  Die  täglichen  Aus- 
gaben betragen  20  Frcs.  für  Brot  und  10  Frcs.  für  Getränke  (meist 
Thee).  —  Das  zweite  Asyl  wurde  von  Below  1884  gestiftet.  Es  ist 
in    einem   massiven  Hause ,    welches    drei  Etagen   besitzt ,    untergebracht. 

Es  sind  nur  345  Betten  vorhanden.  Der  Eintritt  kostet  12  Cen- 
times. Doch  steht  der  Verwaltung  immer  eine  große  Anzahl  von  Frei- 
karten zur  Verfügung. 

Im  Durchschnitt  nächtigen  in  dem  Asyl  420  Personen  täglich;  im 
Jahre  1884  :  10332  Personen,  1885  :  97  069,  1886  :  110  729. 

Während  die  Leistungen  der  meisten  festländischen  Asyle  un- 
entgeltliche sind,  wird  in  einigen  englischen  Asylen  vom  Asylbesucher 
eine  Gegenleistung  verlangt.  Diese  besteht  z.  B.  im  St.  Gare's  Union  Asyl 
zu  London  (Lower  Deptford  Road)  im  Zerkleinern  einer  bestimmten 
Steinmenge.     Zu   dem   Zwecke  sind,    wie  dies   aus  Fig.  9  hervorgeht, 


Fig.  9.     St.  Clare's  Union  Asyl  In  London.      Grundrifs. 


vor  den  Isolierzellen  (1,3  X  2,4  m) ,  die  seitlich  eines  langen  Ganges 
liegen  nach  der  Fensterwand  hin  Arbeitsräume  (1,3  X  1,6  m)  an- 
geordnet. Die  zerklopften  Steine  müssen  durch  ein  vergittertes 
Fenster  dieser  Vorzelle  auf  den  Hof  geworfen  werden:  erst  dann 
wird  des  Besuchers  Isolierzelle  am  Morgen  geöffnet. 

1)  Behnke,  Handbuch  der  Architektur,  4.  Teil  5.  Bd.  148,  dort  weitere  Litter atur ;  Ber- 
lin u.  seine  B  auten  ,  Berlin  (1877),  1.  Teil  218;  Hamburg  u.  s  eine  Bauten, 
Hamburg  (1890),  203  (kurze  Notiz);  Milano  tecnica  dal  1859  al  1884,  Müano 
(1885),  378  (betrifft  das  dortige  Asyl). 

2)  Verwaltung  sb  erichte  des  Berliner  Magistrats  seit  1887;  Entwurf  zu  einer  Ge- 
schäftsordnung für  das  städtische  Obdach  sowie  für  die  z.  Z.  mit  demselben  verbundene 
2.  Desinfektionsanstalt,  Berlin  (1892) ;  Sp  e  ise  -  Regulativ  für  das  städtische  Obdach, 
auch  für  die  aus  dem  Arbeitshause  kommandierten  Häuslinge,  Berlin  (1892);  Die  öffent- 
liche G  e  sun  dheit  s-  und  Krankenpflege  der  Stadt  Berlin,  Festschrift  für  den  1 0.  inter- 
nationalen medizinischen  Kongrefs,  Berlin  (1890). 

3)  Statistisches  Jahrbuch  der  Stadt  Berlin  pro   1892,   18.   Bd.   286«.   320. 

4)  Verwaltung  s  -  B  e  rieht  des  Magistrats  zu  Berlin  pro  1893/94  No.  12.  Wir  sind 
Herrn  Stadtrat  Mamroth  für  die  Freundlichkeit  zu  Dank  verpflichtet,  mit  welcher  er 
uns  die  Benutzung  der  auf  das  städtische  Asyl  bezüglichen  Pläne  und  Drucksachen  er- 
möglichte. 

5)  Für  die  Notizen  über  den  Berliner  Asyl- Verein  sind  wir  Herrn  T  hol  de,  dem  lang- 
jährigen und  hochverdienten  Vorsitzenden  des  Asylvereins,  zu  Dank  verpflichtet ;  vergl.  auch 
die  Jahre  sberichte  des  B  erliner  Asylvereins  seit  1871;  B  au  gewe  rk  s  Zeit- 
ung (1870)  421. 

25 


170 


M.    KNAUFF   und    TH.    WEYL. 


6)  Nouv.  Annales  de  la  con  struction  (1887)  60;  du  Mesnil.  Annales  d'Bygüne 
(1890)  24.  Bd.  214;  vergl.  auch  die  Seite  149  No.  12,  13,  14  angegebene  Litteratur; 
J)uj ardin   Baumetz,   Rapport  sur  les  asiles  des  nuit,  Paris  (1893)  (uns  nicht  zugänglich). 

7)  Jahr  e  sbericht  des  .  .  Asylvereins  Jür  Obdachlose  in  Wien  pro  1883.  Wir  danken 
Herrn  Stadtphysikus  Dr.  Kamme  r  er  in  Wien  für  die  freundliche  Uebersendung  des- 
selben. 

8)  Ann  ales  d'  Hygitne  (1888)  1.  Bd.  281. 

9)  Behnke,  o.  a.  0.  (siehe  S.  169,  No.  1). 


B.  Schlaf häuser  und  niedere  Herbergen1  2. 

(Verfasser:   M.  K  na  uff.) 

Ueber  die  niedrigsten  Herbergen  und  ihre  Gefahr  für  die  öffent- 
liche Gesundheit  ist  bereits  S.  145  ff.  gehandelt  worden.  Ueber  die  poli- 
zeilichen  Vorschriften  zur  Ueberwachung  derselben  vergleiche 
S.  151  ff. 

Von  diesen  nächtlichen  Unterkünften  sind  jene  sinngemäß  zu  unter- 
scheiden, die  in  industriereichen  Gegenden  zur  ausschließlichen  Be- 
nutzung von  Arbeitern  eingerichtet  wurden,  und  zwar  häufig  von  den 
Arbeitgebern  selber.  Daß  solche  Schlafstätten  für  unverhei- 
ratete Arbeiter  überall  den  orts-  und  baupolizeilichen  Anforder- 
ungen in  Bezug  auf  Licht ,  Luft ,  Feuersicherheit  u.  s.  f.  entsprechen 
müssen,  liegt  auf  der  Hand. 

Solche  Häuser  enthalten  eine  größere  Anzahl  von  Schlafräumen 
für  je  4 — 20  Arbeiter,  häufig  auch  Badeeinrichtungen,  Versammlungs- 
und Speisesaal,  ferner  Koch-  und  Waschküchen,  sowie  Wohnräume  für 
die  Wirtschaftsbeamten. 

Als  Beispiel  eines  solchen  Schlafhauses  diene  dasjenige  der 
Grube  von  der  Heydt  bei  Saarbrücken  1,  von  dem  Fig.  10  den 
Grundriß  des  Erdgeschosses  darstellt. 


Fig.  10.     Schlafhaus  der  Grube  von  der  Heydt  bei  Saarbrücken.     Grundrifs. 


Das  Gebäude  besteht  aus  Erdgeschoß  und  Obergeschoß.  Die  Schlaf- 
zimmer von  je  36  qm  Grundfläche  sind  4  m  hoch,  sodaß  auf  jede 
der  8  darin  befindlichen  Schlaf  stä  tten  18  cbm  Luft- 
raum  kommen.       Jeder   Arbeiter   hat   einen   eigenen   Schrank,    jedes 


26 


Asyle,  Herbergen  u.  s.  w. 


171 


Zimmer  ist  ausgerüstet  mit  1  Tische,  8  Schemeln,  1  Spiegel,  2  Eckver- 
schlägen  und  1  Petroleumhängelampe.  Ueber  der  Kochküche  des  Erd- 
geschosses befinden  sich  im  ersten  Stock  11  Zellen  für  Douchebäder,  über 
der  Waschküche  Wannenbäder.  Die  Zimmer  werden  durch  warme  Luft 
beheizt.  Die  im  Schlafhause  auf  ihren  Wunsch  aufgenommenen  Berg- 
leute sind  zur  Teilnahme  an  der  darin  bereiteten  Verpflegung  verpflichtet, 
die  Speisebereitung  gleicht  der  in  Volksküchen. 

Als  Schlafhäuser  für  den  vorübergehenden  Bedarf  kann  man  die 
sogenannten  Arbeiterbaracken  bezeichnen,  die  für  eine  zahlreiche 
Arbeiterschar  bei  großen  Bauausführungen,  wenn  diese  an  abgelegenen 
Baustellen  und  fern  von  Ortschaften  vorgenommen  werden  müssen,  er- 
baut zu  werden  pflegen  und  die  nach  Beendigung  der  Bauausführung 
beseitigt  werden.  Zur  Schonung  der  Kräfte  der  Arbeiterschar  sowie 
um  deren  leiblichen  Wohlbefindens  willen  sind  diese  Barackenbauten 
überaus  segensreich.  Ihre  Herstellung  wird  deswegen  bei  größeren  Bau- 
ausführungen den  Unternehmern  vom  Staate  zur  Pflicht  gemacht,  oder 
aber  der  Staat  selber  erbaut  solche  Arbeiter-Schlafhäuser. 

Ein  Beispiel  dieser  Art  sind  die  Baracken3  für  die  am  Nord- 
Ostseekanalbau  beschäftigten  Arbeiter. 

Fig.  11  zeigt  den  Grundriß  einer  solchen  Baracke,  die  aus  Fachwerk 
besteht.  Die  Schlafräume  enthalten  8  Lagerstätten  mit  12  cbm 
Luftraum  auf  den  Kopf.  Der  am  Ende  des  Grundrißbildes  vor- 
handene Versammlungssaal  von  88  qm  Grundfläche  ist  nur  solchen 
Baracken  zugefügt ,  die  besonders  vereinzelt  auf  der  Strecke  angeordnet 
werden  mußten.  Im  übrigen  wurden  solche  Barackenbauten  in  Lagern 
für  100 — 500  Mann  angeordnet,  sodaß  eine  Art  Arbeiterkolonie  entstand, 


Fig.  11.     Schlafbaracke  für  die  am  Nord-Ostseekanal  beschäftigten   Arbeiter.     Grundrifs. 


die  mehrere  einzelne  Schlafbaracken  und  dann  auch  ein  Verwaltungs-  und 
Wirtschaftsgebäude  umfaßte.  Dieses  enthielt  außer  den  eigentlichen  Ver- 
waltungs- und  Wohnräumen  für  den  Wirtschaftspächter  einen  Laden  für 
Lebensmittel,  Tabak,  wollene  Kleidungsstücke,  Kochküche  nebst  Speise- 
kammer ,  Speise-  und  Versammlungssaal  von  180  qm  Grundfläche ,  der 
auch  als  Betsaal  diente;  Waschküche  nebst  Desinfektionsraum,  Douche- 
bäder, Arztzimmer  nebst  Warteraum  und  Zimmer  für  Revierkranke. 

Den  Uebergang  zu  höheren  Schlafwirtschaften,  den  Gasthöfen,  die 
hier  nicht  in  Frage  kommen,  bilden  die  Herbergen  und  Jünglings- 
oder Mägdeheime  für  zureisende  Handwerker  oder  junge  Männer 
und  Mädchen. 

Von    derartigen  Einrichtungen   möge   die   in  Stuttgart  vorhandene 

27 


172 


M.    KNAUFF    und    TH.    WEYL, 


Schlaf  Wirtschaft  für  Fabrikarbeiterinnen1  näher  beschrieben  und 
vorgeführt  werden. 

Fig.  12  stellt  den  Grundriß  des  ersten  Stockwerks  dar.  Jeder  Schlaf- 
raum, deren  das  Gebäude  14  enthält,  ist  für  12  Arbeiterinnen  bestimmt, 
doch  sind  4  Betten  durch  2  m  hohe  Zwischenwände  von  den  anderen 
abgeteilt.  Auf  den  Gängen  sind,  für  jeden  Schlafgast  je  einer,  verschließ- 
bare Kasten  aufgestellt.  Jede  Arbeiterin  hat  außerdem  einen  Stuhl  und 
ein  Waschbecken,  je  vier  Arbeiterinnen  haben  einen  Tisch  und  einen 
Spiegel.  Im  Erdgeschoß  des  Herbergshauses  befindet  sich  an  der  Straße 
Verwaltungsraum  und  Wohnraum  für  die  Hausmutter,  im  Anbau  ein  ein- 
ziger großer  Raum,  der 
als  Speise-  und  Feier- 
abendsaal dient.  Das 
Kellergeschoß  dieser 
Herberge  ist  noch  be- 
sonders durch  Fig.  13 
auf  S.  174  dargestellt. 

Aehnlich  wie  diese 
vom  Verein  zur  Für- 
sorge für  Fabrikar- 
beiterinnen errichtete 
Stuttgarter  Herberge 
sind  die  in  allen  grö- 
ßeren Städten(Deutsch- 
lands)       vorhandenen 

„Heime"  oder 
„Heimstätten"  für 
zureisende  Handwerker  oder  junge  Leute  (der  dienenden  Klasse) 
beiderlei  Geschlechts  eingerichtet.  Sie  werden  fast  überall  aus  den 
privaten  Mitteln  der  Bürger  oder  einzelner  Religionsgenossenschaf- 
ten  unterhalten.  Sie  leisten  insgesamt  Beträchtliches,  insofern  durch 
sie  die  Ankommenden  fürs  erste,  aber  auch  später  bei  Arbeitslosigkeit, 
ein  billiges  Unterkommen,  sodann  Rat  und  Hilfe  finden  und  vor  den 
Verirrungen  und  Verführungen  der  Großstadt  erheblich  bewahrt  werden. 
Der  sittliche  und  physische  Untergang  vieler  Tausender  junger  Leute 
wird  so  verhindert. 

1)  Ed.  Schmitt,  Handbuch  d.  Architektur,  4.    Teü  4.  Bd.   266. 

2)  The  Builder  (1849)  7.  Bd.  325;  Goltdammer,  D.   Viertel;',  f.  öffentl.  Gesdpfi.  (1881) 
8    {dort    weitere    Litteratur)\     Goltdammer,    Viertel;',   f.  ger.  Med.   29.  Bd.  296;    Pistor, 

D.   Viertel],  f.  'öffentl.  Oesdpfl.  (1880)  12.  Bd.  55  ;  Simon,  D.  Viertelj.  f.  öfentl.  Oesdpft. 
(1888)  20.  Bd.  472. 

3)  Centralbl.   d.  Bauverwaltung  (1889)  94. 

Anhang. 
Volksküchen  und  Kaffeehallen.    Wärmstuben. 

1.   Volksküchen  und  Kaffeehallen1  2. 

Volksküchen    sind   Wohlthätigkeitsanstalten ,    in   denen   Unbe- 
mittelte gegen  geringes  Entgelt  ein  warmes  Mittagessen,  oft  auch  ein  Abend 
essen  erhalten  können ;  sie  finden  sich  jetzt  in  fast  allen  großen  Städten 


Fig.     12.     Heimstätte  für  Fabrikarbeiterinnen  in  Stutt- 
gart.    Grundrifs  des  Hauptgeschosses. 


28 


Asyle,  Herborgen  u.  s.  w.  173 

teils  unter  der  Form  von  Aktiengesellschaften,  teils  unter  Leitung 
von  Frauen  und  Frauenvereinen.  In  letzterem  Falle  werden  die 
Preise  der  Speisen  gerade  so  gestellt,  daß  die  Selbstkosten  ein- 
schließlich der  Raummiete,  der  Löhne  und  Gehälter  der  Angestellten 
herauskommen. 

Alle  Stoffe ,  die  zu  einer  Hauptmahlzeit  dienen  sollen ,  werden  in 
einem  einzigen  Gericht  dargeboten.  Aus  dem  Fleische  werden  die 
nährenden  Stoffe  in  die  Brühe  gekocht,  aber  nur  solange,  daß  das  Fleisch 
noch  genügend  weich  und  verdaulich  bleibt;  die  Fleischbrühe  wird  zur 
Bereitung  der  Kartoffeln  und  des  Gemüses  verwendet,  nachdem  diese 
halbgar  in  Wasser  gekocht  waren  und  das  Wasser  abgegossen  wurde 
(Berlin). 

Weiteres  über  die  Kost  der  Volksküchen  siehe  bei  Munk 
3.  Bd.,  S.  122  dieses  Handbuches. 

Ueber  die  Preise  der  Portionen  mögen  folgende  Angaben 
dienen.  In  den  14  Volksküchen  Berlins  kostet  die  ganze  Portion  von  1  1 
mit  3  Stücken  Fleisch  25  Pfg. ,  die  halbe  zu  4/5  1  mit  1  Stück  Fleisch 
15  Pfg.  In  Wien  mit  9  Volksküchen  kostet  die  große  Portion  Fleisch 
mit  Gemüse  15  Kr.,  die  kleine  Portion  9  Kr.;  außerdem  kostet  1  Portion 
Gemüse  allein  (3/8  1)  4  Kr.,  Mehlspeise  8  Kr.  So  billige  Preise  können 
nur  dadurch  gestellt  werden ,  daß  in  diesen  beiden  Fällen  auf  Gewinn 
verzichtet  wird  und  daß,  wie  auf  der  Hand  liegt,  durch  Einkauf  von 
Nahrungsmitteln  im  Großen  erhebliche  Ersparnisse  gemacht  werden. 

An  Räumen  erfordert  eine  Volksküche:  Speisesaal  für 
Männer  und  Frauen  getrennt ,  unmittelbar  dabei  die  Küche ,  sodann 
Arbeits-,  Schäl-,  Putzraum  zum  Herrichten  der  Gemüse  und  des  Fleisches, 
Vorratsräume,  Spül-  und  Abwaschküche,  Diensträume,  Aborte,  Brenn- 
stoffraum. Alle  Räume  müssen  hell  und  luftig  sein ,  namentlich  auch 
der  Speisesaal,  der  freundlich,  wenn  schon  einfach,  auszumalen  und  ein- 
zurichten ist. 

Folgende  Beispiele,  die  freilich  nur  besonders  zweckent- 
sprechende Bauausführungen  betreffen,  verdeutlichen  das  zuletzt  Er- 
wähnte. 

Fig.  13  zeigt  den  Grundriß  der  Volksküche,  die  sich  im 
Kellergeschoß  der  auf  S.  172  erwähnten  Heimstätte  für  Fabrik- 
arbeiterinnen zu  Stuttgart1  befindet. 

Fig.  14  stellt  den  Grundriß  der  IL  Halle  dar,  die  in  der  Neuen 
Schönhauserstraße  zu  Berlin  mit  einem  Kostenaufwande  von  M.  456000 
für  Grunderwerbs-  und  Baukosten  von  der  Volks-Kaffee-  und 
Speise-Hallen-Gesellschaft3  1889  erbaut  wurde. 

Die  Küche  mit  ihren  Nebenräumen  ist  zwischen  Vorderhaus-,  Seiten- 
flügel und  Quergebäude  auf  dem  Hofe  angeordnet,  ihr  Dach  mit  Ober- 
lichtern befindet  sich  noch  unterhalb  des  ersten  Stockwerks.  Die  Trenn- 
wand zwischen  den  Räumen  für  Männer  und  denen  für  Frauen  ist  nur 
halb  hoch.  Der  Männerraum  im  Seitenflügel  erhält  sein  Licht  durch 
Oberfenster  in  der  Hofwand,  die  noch  über  den  Fenstern  des  Küchen- 
dachs hatten  angeordnet  werden  können.  Die  oberen  Stockwerke  dieses 
Hallengebäudes  sind  zu  Mietswohnungen  eingerichtet. 

Handbuch  der  Hygiene.     Bd.  VI.  1  O 

29  y£i 


174 


M.   KNAUFF   und   TH.   WEYL, 


Fig.  15  zeigt  den  Grundriß  des  Kosthauses  des  Bochumer 
Vereins  für  Bergbau  und  Gußstahlfabrikation1)  zu  Stahl- 
hausen. Seitlich  des  Einganges  zum  Speisesaal  sind  Waschräume  für 
die  Arbeiter  angelegt. 

Auf  gleicher  wirtschaftlicher  Grundlage,  wie  die  Volksküchen,  und 
oft  mit  diesen  unmittelbar  verbunden  finden  sich  in  Großstätten  auch 
Kaffee  hallen  oder  Kaffeeküchen  vor,  die  Kaffee,  Thee,  Milch 
und  andere  alkoholfreie  Getränke  liefern  und  in  der  Absicht  errichtet 
wurden,  der  Trunksucht  entgegenzutreten. 

Solche  Volkskaffeehäuser  wurden  zuerst  in  England  (1850  zu 
Dundee)  errichtet  und  sind  jetzt  in  fast  allen  Großstädten  zu  finden. 
So  entstand  z.  B.  schon  1877 
in  London  die  „Coffee  public 
house  association" ,  und  auch 
sonst  sind  solche  Kaffeehäuser 
von  Gesellschaften  eingerichtet 
und  unterhalten,  die  oft  im- 
stande sind  ihren  Genossen  eine 
angemessene  Verzinsung  ohne 
Schädigung  des  Hauptzwecks, 
den  sie  haben,  zu  bieten :  guten 
Kaffee  für  möglichst  wenig 
Geld. 

Die  Einrichtung   der 
Volkskaffeehäuser  ist 
sehr  verschieden,  je  nachdem 
die  Ersteller  der  Anlage  noch 


Fig.  13.  Heimstätten  und  Volksküche 
in  Stuttgart.   Kellergeschofs  der  Herberge  Fig.  14.     Halle  II    der    Volks  -  Kaffee-     und 

für     Fabrikarbeiterinnen.       Siehe     auch  SpeisehaUen  -  Gesellschaft  in   Berlin,    Neue  Schön- 

Fig.  12  S.  172.  hauserstr.  13. 


30 


Asyle,  Herbergen  u.  s.  w. 


175 


andere  Käume  in  Verbindung  mit  dem  eigentlichen  Kaffeeraum  für 
nützlich  und  angemessen  hielten.  Solche  Nebenräume  sind  dann :  Lese- 
zimmer, Billardraum,  Spielzimmer  und  Rauchzimmer. 

Fig.  16  stellt  den  Grund- 
riß des  Erdgeschosses  einer 
Volkskaffeeschenke  in 
Bremen1    dar. 

Im  Obergeschoß  befindet 
sich  über  dem  Kaffeesaal  ein 

Versammlungssaal ,     über 
Küche    und  Lesezimmer    die 
Wohnung    des     Hauswartes. 
Unter  dem  Kaffeesaal  liegen 
Vorrats-  und  Torfraum. 

Fig.  17  zeigt  den  Grund- 
riß einer  Kaffeehalle, 
verbunden  mit  einer  Volks- 
küche, die  in  Hamburg4 
vorhanden  ist.  Man  nimmt 
an  der  Ausdehnung  und  dem 
Umfange  der  Räumlichkeiten 
wahr,  welchen  weitgehenden 
Ansprüchen  hier  Genüge  ge- 
leistet worden  ist. 

Es  sind  besondere  Räume 
(Speisesäle)  für  die  verschie- 
denen Arbeitergruppen ,  für 
Frauen  und  Meister  (Auf- 
seher) vorgesehen.  Säle  und 
Küche        haben       Oberlicht. 


Fig.     16.      Volkskaffee- 
Fig.   15.     Kosthaus  des  Bochumer  Vereins  für  Berg-        schenke  in  Bremen.     Grund- 
bau und  Gufsstahlfabrikation  zu  Stahlhausen.    Grundrifs.       rifs.     Erdgeschofs. 

Ueber  dem  Elügelbau  der  Kaffeehalle  befindet  sich  ein  Obergeschoß,  das 
außer  Wohnräumen  für  die  Angestellten  einen  Erfrischungssaal  mit  Neben- 
raum und  Büffet  für  Arbeitgeber  enthält. 

1)  Ed.  Schmitt,  Handbuch  der  Architektur,  4.   Teil  4.   Bd.   116. 

2)  Morgenstern,  Die  Berliner  Volksküchen,  Berlin  (1870)  ;  Morgenstern,  Recepte  der  Ber- 
liner Volksküchen,  Berlin  (1883);  Meinert,  Fliegende  Volks-  und  Arbeiterküchen,  Berlin 
(1882);  I.  Munk,  dieses  Handbuch,  3.  Bd.    122/. 

3)  Blätter  für  Architektur,    V.  Jahrg.,  No.   11,  Berlin  (1892) 

4)  Hamburg  und  seine  Bauten  8.    211   (1890). 

12* 

31 


176 


M.    KNAUFF   und   TH.   WEYL, 


Diirchf  ah.r 


3  a.  a  1 


Fig.   17.     Kaffeehalle  verbunden  mit  Volksküche  in  Hamburg.     Grundrifs.     Architekten 
Hallier  und  Fitschen,  welchen  wir  die  Zeichnung  zu  Fig.    17   verdanken. 


2.    W  ä  r  m  e  h  a  1 1  e  n. 

Der  außerordentlich  kalte  Winter  1891/92  lenkte  die  öffentliche 
Aufmerksamkeit  auf  die  Thatsache,  daß  die  unbemittelten  Arbeitslosen 
großer  Städte  (Berlin,  Leipzig,  Wien)  der  grimmigen  Kälte  schutzlos 
preisgegeben  seien  und  daß  man  für  sie,  die  günstigstenfalls  nur  eine 
Schlafstelle  zur  Nachtzeit  hatten,  eine  Gelegenheit,  sich  bei  Tage  zu 
erwärmen,  aus  sanitären  und  socialen  Gründen  schaffen  müsse.  So  ent- 
standen die  Wärmehallen. 

Die  Berliner  Wärmehallen  nehmen  drei  Stadtbahnbögen  am 
Alexanderplatz x  ein  und  sind  jetzt  von  7  Uhr  früh  an  geöffnet.  Sie 
werden  bei  strenger  Kälte  auch  nachts  nicht  geschlossen.  Alle  2  Stunden 
wird  eine  neue  Schar  Unglücklicher  eingelassen,  nachdem  die  bisherigen 
Insassen  die  Hallen  verlassen  haben.  Soweit  die  Mittel  reichen,  erhalten 
die  Besucher  kostenfrei  Kaffee,  Milch,  Suppe  und  Brot.  Mit  den  Wärme- 
hallen ist  ein  Arbeitsnachweis  verbunden.  —  Auch  in  Leipzig  haben 
sich  die  Wärmehallen  bewährt. 

Der  in  Wien2  bestehende  Wärmstuben-  und  Wohlthätigkeitsverein 
unterhielt  1894  5  Wärmstuben,  in  welchen  im  Jahre  1893/94  629  946 
Personen  Unterkunft  fanden.  Von  diesen  erhielt  jede  Person  1/4  1  Erbsen- 
konserven-Suppe und  0,2  k  Kornbrot.  Die  Ausgaben  betrugen  pro  1892/93 
rund  38000  Fl. 

Die   auf  Fig.    18  im   Längsschnitt    dargestellte,    auf  Kosten   des 


32 


Asyle,  Herbergen  u.  s.  w. 


177 


Baron  Königs  warter  errichtete  Wärmestube  befindet  sich  im  16.  Be- 
zirk.    Die  Zeichnung  ist  ohne  weitere  Erklärung  verständlich. 

1)  Getchäfts- Bericht  des  Central-  Vereins  Jür  Arbeitsnachweis    zu  Berlin  für 
1892  u.  1893. 

2)  Jahresbericht     des  Wiener     Wärmstuben-    und    WohUhätujkeits  -  V ereins    pro    1892 
bis  94. 


_|Mlr. 


1 1  1 1  i  I        1        I        i        I        |        I        I        I        I 1 r- 

Fig.    18.     Wärmestube  in  Wien  (XVI.   Bezirk).     Längsschnitt. 

Für  die  Uebersendung  der  Druckschriften  des  Vereins  sind  wir 
Herrn  Dr.  Kammerer,  Stadtphysikus  von  Wien,  zu  Danke  verpflichtet. 
Die  Abbildung  Fig.  18  ist  einem  uns  vom  Wiener  Wärmstubenverein 
freundlichst  überlassenen  Plane  entnommen. 


Die  Abbildungen  sind  entnommen: 
Fig.   1 — 4  den  Bauzeichnungen  des  Berliner  Magistrats. 

Fig.   5,    9—13,    15    und     16    dem  Handbuch  der  Architektur,    4.  Teil    4.   Bd.    und 
4.  Teil  5.  Bd. 

Fig.  6 — 8  den  Annales  d' Hygiene  1888   1.   Bd. 

Fig    11   aus  Centralblatt  der  Bauverwaltung  1889  S.  94. 

Fig.   14  aus  Blätter  für  Architektur  V.   Jahrgang  No.    15,   Berlin   1892. 

Fig.    17  aus  Hamburg  und  seine  Bauten  S.  211   (1890). 

Fig.   18  aus  einem  vom   Wiener  Wärmstubenverein  gesendeten  Plane. 


33 


VERKEHRSHYGIENE. 


BEARBEITET 


VON 


DR.  D.  KULENKAMPFF     und     DR.  0.  BßAEHMER, 

IN    BREMEN.  SANITÄTSEAT    IN    BERLIN. 


SCHIFFSHYGIENE. 

BEARBEITET 

VON 

DB  I).  KÜLENKAMPFF 

IN    BREMEN. 

MIT  17  ABBILDUNGEN  IM  TEXT. 


Inhaltsübersicht 


Seite 

Einleitung 185 

Kap.  I.     Erkrankungshäufigkeit,  Sterblichkeit  und  Unfälle  bei  der 

Seebevölkerung 186 

Kap.  II.       Einfluß  der  Schiffsräume  auf  die  Beschaffenheit  der  Luft  190 

Kap.  III.     Die  Reinhaltung  des  Schiffes 1 94 

Kap.  IV.     Die  Lüftung  des  Schiffes 198 

K  a  p.  V.       Die  Wohnräume    des  Schiffes   und    die    sanitäre  Ueber- 

wachung  seiner  Bewohner 206 

Kap.  VI.         Die  Ernährung  an  Bord  von  Schiffen 213 

Kap.  VII.       Eismaschinen  und  Kühlapparate 219 

Kap.  VIII.     Wasserversorgung  und  Destillierapparate 222 

Kap.  IX.         Hygienisches  Verhalten  auf  Seereisen 226 

Kap.  X.  Gesetzliche  Bestimmungen  über  das  Auswandererwesen 

und  Fürsorge  für  die  Seeleute 228 

Register  am  Schlüsse  der  Lieferung. 


JDie  Fortschritte  der  Hygiene  an  Bord  von  Seeschiffen  knüpfen  sich 
der  Hauptsache  nach  an  die  Vervollkommnung  der  Verproviantierung 
und  Wasserversorgung  und  an  die  Umwandlungen  in  der  Konstruktion 
der  Schiffe,  insbesondere  an  die  durch  den  Uebergang  vom  Holz-  zum 
Eisenbau  bedingten.  Durch  die  Einführung  der  Dampfkraft  wurden  die 
Reisen  erheblich  abgekürzt  und  durch  die  größere  Unabhängigkeit  des 
Schiffes  von  Wind  und  Wetter  demselben  in  hygienisch  bedrohlichen 
Lagen  unter  Umständen  Hilfsmittel  verliehen,  welche  den  Segelschiffen  ab- 
gingen. 

An  die  Stelle  eines  einzigen  oder  mehrerer,  nur  mangelhaft  abgeteilter 
Binnenräume  unter  Deck  für  Mannschaft  und  Ladung  zugleich,  nur  spär- 
lich erhellt  und  gelüftet  durch  die  Luken,  von  Wänden  aus  einem  hoch- 
gradig fäulnisfähigem  Stoffe  umgeben,  traten  höhere  und  luftigere  Räume 
(Deckhäuser  und  Halbdecks),  mit  oberen  und  seitlichen  Lufteinlässen ; 
an  die  Stelle  der  doppelten  Schiffswand  mit  ihrem  unzugänglichen 
Innern,  der  den  Raum  beengenden  Stütz-  und  Deckenbalken  mit  ein- 
springenden Winkeln  und  Ecken  trat  die  einfache,  leicht  zu  reinigende 
Eisenplatte  mit  schlanken  Trägern  und  stählernen  Längsbalken,  die  ohne 
Kanten  und  Vorsprünge  sich  am  Kiel  zum  Boden  des  Schiffes  vereinigen. 
Dieser,  cementiert  bis  nahe  an  die  Wasserlinie,  oder  ein  Wasserballast 
haltender  Doppelboden,  ward  undurchlässig  für  das  an  organischen  Be- 
standteilen so  reiche  Meerwasser.  Endlich  gestatteten  auch  die  wider- 
standsfähigeren Bordwände  eine  reichlichere  Durchbrechung  durch  Seiten- 
lichter, und  wenn  auch  die  Eisenschiffe  noch  eine  große  Menge  von 
Holzteilen  in  sich  bergen,  so  besteht  doch  ihr  den  Einflüssen  von  Luft 
und  Wasser  am  meisten  ausgesetzter  Körper  aus  einem  anorganischen 
Stoffe. 

Solchen  Verbesserungen  gegenüber  fällt  der  nur  für  extreme  Tem- 
peraturen giltige  Vorzug  der  Holzschiffe,  im  Winter  warm,  im  Sommer 
kühler  zu  bleiben,  gar  nicht  ins  Gewicht1,  während  allerdings  durch 
die  Herstellung  der  kolossalen  Eisenschiffe,  die  ihrer  mannigfaltigen 
Zwecke  halber  und  aus  Rücksicht  auf  die  eigene  Sicherheit  in  zahl- 
reichere Abteilungen  und  durch  Schotten  wasserdicht  geschlossene 
Compartments  geteilt  werden  mußten,  der  Hygiene  ganz  neue  Aufgaben 
gestellt  wurden. 

Infolge  der  Inanspruchnahme  eines  beträchtlichen  Raumes  durch  Ma- 
schinen, Kessel  und  Kohlen  mußte  die  Ausnutzung  des  übrig  bleibenden  bis 
zum  äußersten  getrieben  werden,  so  daß  endlich  ein  ungemein  kompli- 


186  D.   KULENKAMPFF, 

zierter,  zellenreicher  Organismus  entstand.  Auf  den  großen  Dampfern 
findet  man  bis  zu  20,  auf  Kriegsschiffen  gar  bis  zu  100  derartige  Einzel- 
räume, deren  Lüftung  die  größten  Schwierigkeiten  bereitet.  —  Da  die 
eiserne  Schiffswand  rasch  die  Temperatur  des  Wassers  annimmt,  so  findet 
(wenigstens  in  unseren  Breiten)  in  den  tieferen  Bäumen  eine  beträcht- 
liche Abkühlung  (um  2 — 3°  nach  Boehr2)  und  Stagnation  der  Luft 
statt,  verbunden  mit  Niederschlägen  aus  der  feuchtwarmen  Seeluft  im 
Innern.  Dazu  kommen  den  Maschinen  entstammende  Erhöhungen  der 
Temperatur  und  Feuchtigkeit  und  die  Abfälle  derselben  in  der  Form  von 
Fetten,  Kohlenstaub  und  Kuß. 

Für  die  Auswanderung  kommen  Holzschiffe  gar  nicht  mehr  in  Be- 
tracht, und  auch  ein  großer  Teil  der  Frachtschiffe  besteht  schon  aus 
Eisen.  Trotzdem  ist  mit  den  im  Holzbau  gelegenen  Gefahren  noch  zu 
rechnen.  Von  jeher  ist  auf  die  Beschaffenheit  des  Holzes  der  größte 
Wert  gelegt  worden.  Je  härter  und  trockener,  je  saft-  und  stickstoff- 
ärmer es  ist,  desto  weniger  leicht  verfällt  es  der  Trockenfäule,  die  ganz 
trockenes  oder  stets  nasses  Holz  verschont,  also  an  den  bald  feucht, 
bald  trocken  werdenden  Teilen  auftritt  und  ansteckend  ist.  Schiffe  aus 
„grünem  Holz"  gelten  für  Brutstätten  des  Skorbuts.  Man  verwendet 
daher  mit  Vorliebe  das  Kernholz  der  Eiche  und  der  Tectona  grandis 
(Teakholz),  wobei  Standort,  Alter  und  Jahreszeit  des  Fällens  berück- 
sichtigt werden  müssen.  Unter  den  zur  völligen  Austrocknung  resp. 
Konservierung  angewandten  Methoden  dürfte  die  nach  Lapparent: 
Verkohlen  einer  1/3  mm  dicken  Schicht  mittels  Gasstromes  die  em- 
pfehlenswerteste sein  (Möricourt 3).  Der  Bau  soll  recht  langsam 
gefördert  werden,  damit  jedes  Stück  vor  Anfügung  der  äußeren  und 
inneren  Planken  gehörig  austrocknen  kann,  und  der  Helgen  eine  Ueber- 
dachung  gegen  den  Regen  erhalten,  wie  es  in  der  deutschen  Marine 
üblich  ist.  —  Als  Anstrich  soll  nur  Oelfarbe  oder  Firniß  verwandt 
werden ;  Tünchen  mit  Kalk  muß  oft  wiederholt  werden,  verursacht  viel 
Feuchtigkeit  und  schafft  staubende,  rauhe  Flächen  (Kirchner  fand  in 
dem  abgekratzten  Kalkstaube  eines  Krankenzimmers  54  Proz.  organische 
Stoffe  [Boehr2]).  Eine  nicht  unmögliche  Schädigung  durch  Terpentin- 
dünste läßt  sich  vermeiden,  wenn  nur  bei  gutem  Wetter,  wo  gründliche 
Nachlüftung  möglich  ist,  gestrichen  wird.  Die  von  den  Franzosen  früher 
auf  den  Gebrauch  von  Mennige  und  Bleiweiß  zurückgeführten  Ver- 
giftungen sind  aus  dem  Genüsse  bleihaltigen  Wassers  zu  erklären  und 
in  Deutschland  nur  bei  Leuten  beobachtet,  die  mit  dem  Abschrapen 
solcherart  gestrichener  Wände  beschäftigt  wurden  (Reincke4). 

Litteratur  siehe  S.  189  ff. 

Kapitel  I. 

Erkrankungshäufigkeit,  Sterblichkeit  und  Unfälle 
bei  der  Seebevölkerung. 

Die  Eigenartigkeit  der  Lebensbedingungen  des  Seemannes,  die  sich 
bezüglich  Wohnorts,  Kleidung  und  Nahrung,  sowie  klimatischer  Einflüsse, 
geistigen  Lebens  und  Geselligkeit  so  sehr  von  denen  aller  anderen  Men- 
schen unterscheiden,  hat  das  Vorherrschen  gewisser  Krankheitsformen 
zur  Folge,  deren  Ursachen  nicht  in  dem  Schiffe  als  solchem  zu  suchen, 
sondern  auf  die  kombinierte  Wirkung  jener  Verhältnisse  zurückzuführen 
sind.     Da  aber  diese  Verhältnisse  sehr  gleichbleibende  sind,  so  machen 


Schiffshygiene.  187 

sich  irgend  tief  eingreifende  Veränderungen  des  einen  oder  anderen 
Faktors  in  ganz  besonderer  "Weise  bemerkbar,  was  aus  der  Geschichte 
der  Schiffshygiene  leicht  nachzuweisen  ist.  Nicht  nur  einzelne  Schiffe, 
sondern  auch  die  Thätigkeit  ganzer  Flotten  wurde  noch  im  vorigen 
Jahrhundert  oft  genug  durch  typhöse  Fieber,  Skorbut  und  Ruhr  völlig  lahm 
gelegt.  So  verlor  Admiral  Auson  1741  in  wenigen  Wochen  von  seiner 
600  Mann  starken  Besatzung  200  an  Skorbut  und  Anämie  und  landete 
auf  Juan   Fernandez  mit  nur   8   dienstfähigen  Leuten;    Geary  hatte 

1779  auf  seinem   Geschwader  2400   Skorbutkranke,    Rodney  verlor 

1780  von  2000  Mann  wöchentlich  50—55.  Von  einem  Geschwader  mit 
12109  Mann  mußten  in  4  Monaten  1325  das  Hospital  aufsuchen  und 
starben  62  an  Fiebern,  60  an  Ruhr  und  89  an  Skorbut. 

Obwohl  Cook  auf  seiner  großen  Reise  1772 — 75  durch  verständ- 
nisvolle Anwendung  der  einfachsten  hygienischen  Grundsätze  es  erreichte, 
daß  er  in  den  3  Jahren  nur  einen  Mann  verlor,  so  brach  sich  die  Er- 
kenntnis von  dem  Nutzen  solcher  doch  nur  langsam  Bahn.  Wie  mit 
einem  Schlage  änderten  sich  die  Zustände  aber  durch  das  1791  erlassene 
und  1797  verbesserte  englische  Reglement  über  Schiffsverpflegung.  Nach 
B 1  a  n  e  5  betrug  in  der  englischen  Flotte  die  Sterblichkeit  an  Mann- 
schaften : 

1780     jährlich  I2|5>% 

18U  „  3-4     % 

1830     in    der    südamerikanischen  Station  unter 

17254  Mann  in   6  Jahren  jährlich     .  °»6  % 

1830—64  in  der  gesamten  Flotte         1,3  %  56 

Die  Häufigkeit  des  Skorbuts  sank,  außer  auf  der  sehr  schlechte 
Bedingungen  bietenden  russischen  Flotte,  auf  ein  Minimum,  der  Typhus 
wurde  gutartiger,  insbesondere  verschwand  der  Flecktyphus  fast  ganz, 
und  Ruhr  trat  in  größerer  Verbreitung  nur  noch  an  den  Orten  mit 
endemisch  bösartigen  Formen  auf.  Aehnlich,  wenn  auch  nicht  so  ein- 
schneidend wie  die  Verbesserung  der  Ernährung,  wirkte  die  Einführung 
eiserner  Wasserkästen  (Tanks)  seit  1815,  die  1835  erlassene  Vorschrift 
bezüglich  geeigneter  Sonderverpflegung  der  Kranken,  die  1838  von  der 
englischen  Admiralität  verordnete  Aufstellung  von  Büchereien  auf  allen 
Schiffen  (270  Bände  für  größere,  100  für  kleinere  Schifle),  endlich  nicht 
zum  wenigsten  die  vorschriftsmäßige  (Reglement  von  1825)  Verab- 
folgung von  Citronensaft  als  Prophylacticum  gegen  den  Skorbut  sowie 
die  Herabsetzung  der  Spirituosenration.  Bis  zum  Jahre  1825  erhielt 
jede  an  Bord  eingeschiffte  Person  täglich  1/2  Pinte  (1  Pinte  =  360  g) 
Branntwein  —  die  r  sog.  Kings  allowance  —  welche  dann  auf  */4  und 
1850  auf  Vs  reduziert  ward,  während  anstatt  dessen  Thee  und  Kakao 
in  größerer  Menge  gegeben  wurden  6. 

Sehr  lehrreich  sind  einige  der  Zahlen,  die  Friedel7  aus  dem 
kolossalen  in  den  Reports  of  the  health  of  the  royal  navy  aufge- 
speicherten Material  mit  dankenswerter  Mühe  über  20  Jahre  aus  der 
Zeit  von  1830 — 64  zusammengestellt  hat.  Auf  14  verschiedenen  Flotten- 
abteilungen dienten  im  ganzen  705  388 ,  also  jährlich  im  Durchschnitt 
35269  Mann,  bei  denen  854992  Erkrankungen,  d.  h.  auf  das  Jahr  be- 
rechnet 121,2  Proz.  vorkamen.  Von  diesen  führten  zur  Invalidität 
2,69  Proz.  und  starben  1,33  Proz. 

Nach  den  verschiedenen  Stationen  verteilt,  berechnen  sich  folgende 
Zahlen : 


188 


D.    KULENKAMPFF, 


erkrankten 

Ostindien  und  China  178,8  Proz. 

Westafrika 158,0      „ 

3)  Westindien  u.  Nordamerika  142,2      „ 

4)  Postscbiffsdienst  82.3      „ 

5)  Heimatliche  Station .  89,3      „ 

6)  Australien —       ,, 


starben 

tägl 

che  Krankenzahl 

3,13  Proz. 

8,88 

Proz. 

3-39      „ 

6,58 

>, 

2,0        „ 

5.83 

i) 

o,74      ,, 

4-8 

1, 

o,45      „ 

4,38 

»1 

Von  bemerkenswerten  Krankheitsformen  wurden  der  Häufigkeit  nach 
beobachtet  in  der  Kriegsmarine: 

Phlegmonöse  Entzündungen  bei  23,3     Proz.  der  Mannschaft 

Katarrhe 19,3  ,,  ,, 

Fieber  (Typhus  und  Malaria)    .  10,9  „  „ 

Diarrhöen        10,3  „  „ 

Rheuma 7,8  ,,  „ 

Ruhr 1,8  „  ,, 

Cholera 0,12  ,,  „ 

Variola 0,15  ,,  „ 

Erysipel 0,47  „  ,, 

Tuberkulose 0,6  „  „ 

Pneumonie  und  Pleuritis        .      .        1,7  ,,  „ 

Delirium  potatorum      ....  0,28  ,,  „ 

Skorbut 0,1  „  „ 

Ueber  die  Verluste  an  Schiffen ,  über  Unfälle  und  Erkrankungen 
geben  die  folgenden  Zahlen  aus  neuester  Zeit  einigen  Aufschluß.  Total 
verloren  gingen  im  Durchschnitt  des  letzten  Jahrzehnts  von  allen  Han- 
delsdampfern in  der  englischen  Marine  2,43  Proz.,  in  der  französischen 
2,36  Proz.,  in  der  deutschen  1,89  Proz.  In  der  letzten  betrug  der 
Verlust  an  Menschenleben  hierdurch  0,44  bis  höchstens  0,62  Proz.  der 
gesamten  deutschen  Schiffsbesatzung8.  Ueber  Unfälle  bei  dieser  giebt 
der  Jahresbericht  der  Seeberufsgenossenschaft  von  1893  folgende  Aus- 
kunft.    Es  entfallen  von  gemeldeten  Unfällen  auf: 

lj  Dampfer       mit  24636  Mann   1423 

2)  Segelschiffe    „  15  595       ,.  63 

3)  verwandte  Betriebe    1  277        „  5 

d.  h.  auf  je   1000  Mann  ad   1  :  Unfälle   57,76   Todesfälle     6,09 
„    ,,     .,    .,       »  „       „2:        „       40,79  ,,  21,74 

))        !!  >1        ),  >>  >l  l>        rf    '  ),  3)92  II 


Die  Seeberufsgenossenschaft  zählte  (1892)  1668  versicherungspflich- 
tige Betriebe  mit  durchschnittlich  43023  versicherten  Personen8.  Bei 
1571  derselben  handelte  es  sich  um  Gewerbsunfähigkeit  von  weniger 
als  13  Wochen ,  bei  den  übrigen  103  war  8  mal  dauernde  Erwerbs- 
unfähigkeit, 106  mal  tödlicher  Ausgang  die  Folge.  Die  Gesamtzahl  der 
deutschen  Seeschiffe  belief  sich  auf: 


2742  Segelschiffe  mit   17  522  Mann  Besatzung 
986  Dampfer         „     24  113       ,,  ,, 

Es    verunglückten : 

1889  116  Schiffe  mit  1015  Mann  Besatzung  (davon  tot  208)  u.  331  Passagieren(davon  tot  274) 

1890  92        „       „      937       „  „         (     „       „     169),,  174  „         (     ,1        .1        7) 

1891  116        „       „    1205       „  „         (     „       „     177),,   160  ,,  (     „         „       30) 

Nach  Ausweis  des  Seemanns- Amtes  zu  Bremen9  war  der  Bestand 
der  bremischen  Seeschiffe: 


Schiffshygiene. 


189 


1892: 

Segelschiffe  234  mit  einer  Besatzung  von  3  170  Personen 

Dampfer        181     „         „              „             ,,  7659 

Im  ganzen  1415     ,,         ,,              „             ,,  10829 

An-  und  ausgemustert  wurden  ....  19412 

An  Sterbefällen  wurden  angezeigt            .  54 

Darunter  : 

An  Selbstmord  und  Ertrinken  etc.     .  15 

Gelbfieber 5 

Hitzschlag I 

Schwindsucht  und  Auszehrung  7 

Herzleiden 6 

andern  Leiden        20 

Aufserdem  als  verschollen       ....  26 


1893  : 
233  mit    3  099  Personen 


185 
418 


7623 

IO  722 

19090 

43 

19 


4 
11 
80 


Beim    Hamburger   Seemanns  -  Amte  *  °   wurden   an  -    und   abge- 
mustert : 

1892  1891 

Im  ganzen                   3 137     Schiffe  mit  68850     Mann  3l4^  mit  71  632 

Darunter  deutsche     1613          n          »     34^34          ,,  1606    „     36989 

a)  Dampfschiffe     1349         „         „    32472          „  1428    ,,     35  124 

b)  Segelschiffe         263         ,,         ,,      2362         „  178    „        1865 
.Zur  Kenntnis  des  Amtes  gelangten  437   Sterbefälle  (1,250/0)  271  (o  73  %) 

nämlich  :   an  Krankheiten   266  92 

„    Unfällen          116  95 

„    Selbstmord         7  10 

Verschollen             48  74 

Summa:     437  271 

Unter  den   266  Krankheitsfällen  fand  sich  : 

Gelbfieber      140  mal         Blattern          1  mal  Gelbfieber  15  mal 

Sumpffieber       6    ,,           Skorbut         3     „  Sumpffieber  6  „ 

Dysenterie         2    ,,           Pneumonie    4    ,,  Beriberi  4  „ 

Typhus               3     „            Andere        26     ,,  Typhus  6  „ 

Cholera  26    „  Unbenannt  52    ,,  Tuberkulose    2  ,, 

Tuberkulose      3    ,,  Andere  10  „ 

Unbenannt  49  ,, 

In  Gemäßheit  des  Gesetzes  über  Unfallversicherung  vom  Jahre  1887 
kamen  beim  Hamburger  Seeamte  zur  Anzeige: 

1892  1891 

Auf  den   1613  deutschen  Schiffen  853  Unfälle  (146  auf  Segel-,    auf  1606  Schiffen   725  Un- 

707  auf  Dampfschiffen)  fälle  (107  auf  Segelschiffen, 

618  auf  Dampfschiffen) 

Von  den  707  auf  Dampfern  betrafen:  von  618  auf  Dampfern: 

372  das  Deckpersonal  318  Deckpersonal 

335  das  Maschinenpersonal  300  Maschinenpersonal 

Dieselben  werden  im  einzelnen  aufgeführt  als  : 

Verletzungen  des  Kopfes 71  38 

„              der  Augen 18  15 

„             an  Gesicht,  Hals  und  Rumpf  I03  139 

,,             an  den  Extremitäten      .     .     .  461  416 

Hitzschlag , IO  — 

Andere,  gestorben  oder  verschollen    .     .     .  155  Ioo 

Summa  853  708 

1)   Marine- Verordnungsblatt  (1878)  No.  23. 
H)  Boehr,   üeber  Schiffsluft,  Berlin  1882 

3)  Le  Eoy  de  Mericourt,    Die  Fortschritte    der  Schifshygiene    (aus  dem  Französischen  von 
Krampholz),  Pola  1876. 

4)  Eeincke  ,    üeber    Schiffshygiene ,    Deutsche     Vierteljahr sschr.   f.    öffentl.    Gesundheitspflege 
(1881) 

5)  Wenzel,    Vierteljahr  sschr.  f.  ger.  Med.  N.  F.  4.  Bd.   1. 

Handbuch  der  Hygiene.   Bd.  VI.  13 

5 


190 


D.   KULENKAMPFF, 


6)  Macdonald,  Outlines  of  naval  hygiene,  London  1881. 

7)  Friede!,  Die  Krankheiten  in  der  Manne,  Berlin  1866. 

8)  Hansa,  Deutsche  nautische  Zeitschrift  (1888 — 1895). 

9)  Statistischer  Bericht  des  Seemannsamtes  zu  Bremerhaven  (1892  u.   9b). 
10)  Jahresbericht  der    Verwaltungsbehörden  der  Stadt  Hamburg  (1891  u.   92). 


Kapitel  II. 

Einfluss  der  Schiffsräume  auf  die  Beschaffenheit  der  Luft. 

Der  unterste  Abschnitt  jedes  Schiffes,  der  Kiel-  oder 
Sodraum,  bildet  sozusagen  den  Wohnungsuntergrund,  in  dem  sich  Wasser 
—  die  Büsche  (Bilge-water,  Eau  de  la  sentine)  —  und  allerlei  or- 
ganische Abfälle  ansammeln.  Die  Spanten  (Rippen),  die  sich  ununter- 
brochen von  rechts  nach  links  hinübererstrecken,  sind  am  tiefsten  Punkte 
zwischen  Kiel  und  Kielschwein  (auch  Kolschwein  oder  Saatholz)  (Fig.  1) 


Fig.  1.  Schematische  Ansicht  des  Schiffsbodens.  Rechts  sind  die 
Füllungsplanken  nicht  gezeichnet ,  links  ist  die  innere  Beplankung  (Wegerung)  ausge- 
lassen, um  die  Spanten  und  Spanträume  freizulegen.  Die  Raumstützen  tragen  die  Zwischen- 
decksbalken, a  Kiel,  b  Kielschwein,  c  Spanten,  d  äufsere  Beplankung,  e  innere  Beplankung, 
i  Füllungsplanken,  m  Raumstütze,  n  Bilschraum,  o  Wassergänge.     (Or igi  n alzei chnung.) 


eingeklemmt,  in  der  Längsrichtung  des  Schiffes  durch  die  schmalen r 
etwa  15  —  50  cm  breiten  Zwischenspan  träume  voneinander  geschieden. 
An  sie  werden  innen  und  außen  die  Planken  angeschlagen,  nur  nicht 
unmittelbar  neben  dem  Kielschwein,  wo  sie  als  Füllungsplanken  innen 
lose  aufgelegt  werden.  Zu  Seiten  des  Kieles  wird  jederseits  durch  Aus- 
bohrung des  Spants  ein  Wassergang  (Speigattöffnungen  oder  Nüster- 
gatten) geschaffen.  Der  Bilschraum  besteht  also  aus  einer  großen 
Menge  von  einzelnen,  zwischen  Kiel  und  Kielschwein  versteckt  liegenden 
Fächern,  die  frei  von  links  nach  rechts,  und  längs  der  Schiffsaxe  durch 
die  engen,  je  nach  der  Dicke  der  Spanten  20—30  cm  langen  Wasser- 
gänge miteinander  kommunizieren  und  in  nur  beschränkter  Weise  durch 
Abheben  der  Füllungsplanken  zugänglich  zu  machen  sind.  Sein  Inhalt 
wird  bei  schwankendem  Schiff  bis  zu  beträchtlichen  Höhen  in  den  Spant- 


Schiffshygiene. 


191 


räumen  empor  „pülschen",  alles  durchfeuchtend  und  beschmutzend.  Das 
von  unten  eingeleckte  Meerwasser  vermischt  sich  mit  Abfällen  aus 
Ladung  und  Proviant,  von  oben  kommendem  Scheuerwasser,  Asche  und 
Maschinenfetten,  den  Kadavern  von  Ratten  und  Kakerlaken  und  tausend 
Unreinigkeiten  aus  dem  Zwischendeck  eines  Auswandererschiffes. 

Viel  günstiger  sind  allerdings  diese  Verhältnisse  in  den  Eisen- 
schiften, da  die  Spanträume  breiter  sind,  statt  der  Beplankung  nur 
einzelne  Latten  sie  tiberbrücken,  der  Kielraum  undurchlässig  und  mit 
Cement  ausgegossen  ist  (nur  an  der  Schraubenbüchse  dringt  Meerwasser 
ein).  Hat  das  Schiff,  wie  es  auf  den  großen  Passagierdampfern  und 
Kriegsschiffen  meist  der  Fall  ist,  einen  Doppelboden,  in  dem  sich  Tanks 
mit  Ballast-  und  Kesselwasser  befinden,  so  sind  2  Bilschräurae  vor- 
handen, links  und  rechts  vom  Doppelboden  an  den  Außenwänden,  die 
gut  abgedichtet  und  cementiert,  bei  täglichem  Leerpumpen  recht  trocken 
und  geruchfrei  bleiben.  Aber  auch  hier  bestehen  noch  Quellen  der  An- 
sammlung von  Wasser  und  Abfällen  in  genügender  Anzahl  (das  Scheuer- 
und Schweißwasser  des  Zwischendecks  wird  z.  B.  aus  den  Rinnen  des 
Fußbodens  durch  Röhren  direkt  hinuntergeleitet),  so  daß  sich  fast  wie 
auf  Holzschiffen  eine  schwärzliche,  stinkende  Pfütze  bei  mangelnder 
Fürsorge  dort  bilden  kann.  Aus  ihr  entwickelt  sich  regelmäßig  Schwefel- 
wasserstoff in  großen  Mengen,  demnächst  Ammoniak,  Kohlensäure  und 
Kohlenwasserstoffe,  die  bei  schlechter  Dichtung  der  Füllungsplanken 
direkt  in  den  Schiffsraum  dringen  oder  in  den  Spanträumen  aufstrebend 
durch  eigene  Lüftung  entfernt  werden  müssen. 

Die  chemische  Zusammensetzung  der  Büsche  ist  un- 
gemein wechselnd  in  verschiedenen  Schiffen  nicht  nur,  sondern  auch 
in  verschiedenen  Abteilungen  desselben  Schiffes  und  haben  genauere 
Analysen,  wie  z.  B.  die  im  Marine- Verordnungsblatt  1877  mitgeteilten, 
deshalb  wenig  Wert.  Interessant  sind  die  Ergebnisse  von  Nochts11 
Untersuchungen  zahlreicher  Proben. 


Schiff. 


Eut- 

stehungs- 

stelle. 


Allgemeine  Eigen- 
schaften. 


Geruch. 


Reaktion. 


Chlorge- 
halt 
mg  i.    1   1, 


Keimzahl 
in   1   ccm. 


Segelschiff. 
Holz 

Laderaum 

Dito 

Dito 

Segelschiff. 
Eisen 

Dito 

Dampfer, 
Eisen 

Maschinen- 
raum 

Dito 

Laderaum 

Dito 

Maschinen- 

raum 

rostbraun,  leicht  trübe, 
stark  absetzend 

schwarz,  trübe, 
stark  absetzend 

gelblich,  klar, 
schwer  fliefsend 

klar,  farblos 


trübe,  schwarz, 
stark  absetzend 

opak,  farblos, 
ohne  Absatz 


süfslich 

Fäulnis- 
gestank 

geruchlos 

geruchlos 

leicht 
faulig 

geruchlos 


neutral 


leicht 
alkalisch 

stark 
alkalisch 

neutral 


leicht 
alkalisch 

neutral 


9  585 

12  78O 

49  500 
664 


IO  615         3   Mill 


5  573 


325000 


300 
15  Mill. 


4500 


Weitere  Schädigungen  können  dann  der  Schiffsluft  aus 
der  Ladung  erwachsen.  Zwar  dürfen  Dungstoffe,  Knochen,  Häute, 
Petroleum,  Thran  oder  Fische,  grünes  Holz,  Zucker,  Reis  u.  a.  m.  nach 

13* 

7 


192  D.    KULENKAMPFF, 

Hamburger  und  Bremer  Gesetzen  auf  Passagierschiffen  nicht  oder  nur 
unter  Einhaltung  ganz  bestimmter  Vorschriften  geführt  werden,  aber 
sie  sind  doch  auch  für  die  Mannschaft  unschädlich  zu  machen.  Auch 
wird  das  Auswanderer-Zwischendeck  der  großen  Dampfer  auf  der  Rück- 
fahrt von  Amerika  als  Lastraum  für  Ladung  ausgenutzt.  Genügender 
Luftwechsel  und  Ausdünstung  muß  hier  durch  die  Art  der  Stauung  er- 
zielt werden,  durch  Ablatten  der  eisernen  Seitenwände,  Lattenverschläge 
um  die  Raum-  und  Zwischendecksstützen,  Anlage  von  Luftkanälen 
mittels  Brettern,  die  durch  Lattenstücke  gestützt  werden.  Besonders 
wichtig  ist  es,  zwischen  Ladung  und  Kielraum  einen  behufs  Reinigung 
bekriechbaren  freien  Raum  herzustellen.  Große  Sorgfalt  erfordern  die 
Kohlen,  von  denen  bestimmte  Sorten  starke  Neigung  zur  Selbstent- 
zündung und  Explosion  haben  und  daher  nur  an  der  Oberfläche  ven- 
tiliert werden  dürfen  * 2  (es  sollen  jährlich  nahe  an  100  Schiffe  durch 
Kohlenladungen  verloren  gehen  [Hansa8]).  Wirksame  Vorbeugungs- 
maßregeln gegen  die  Selbstentzündung  sind  bis  jetzt  nicht  gefunden. 
In  einem  von  Hamburg  ausgegangenen  Preisausschreiben  kam  kein  Preis 
zur  Verteilung,  da  die  eingesandten  Vorschläge  als  entweder  unwirk- 
sam oder  in  der  Praxis  nicht  durchführbar  erschienen.  In  den  Kohlen- 
bunkern haben  amerikanische  Aerzte  ein  Ausströmen  von  Kohlensäure 
beobachtet,  Flock  erlebte  einen  Fall  von  Kohlenoxydvergiftung 
(Plumert 13).  Direkte  Vergiftungen  durch  aus  faulen  Beuteln  ausge- 
laufenes Quecksilber,  sowie  durch  Terpentin  werden  berichtet,  Holz,  das 
in  Brackwasser  gelegen  hat,  soll  Malaria  ins  Schiff  gebracht  haben  etc. 
In  ähnlicher  Art  kann  der  Ballast  wirken,  wenn  er  als  Sand,  Schutt  oder 
Steintrümmer  organische  Stoffe  enthält.  Dazu  gesellen  sich  die  Aus- 
dünstungen faulenden  Proviants,  feucht  verstauten  Tauwerks  und  die 
Kleidungsstücke  der  Matrosen,  die  in  die  beliebte  Schiffskiste  gestopft, 
den  engen  Schlafraum  durchfeuchten  und  verpesten. 

Zu  diesen  Ursachen  von  Luftverderbnis  kommt  dann  noch  die  der 
Abluft  aus  den  Lungen  und  den  Beleuchtungsgegen- 
ständen, welche  außer  der  Kohlensäure  auch  Feuchtigkeit  abgiebt 
und  die  Temperatur  steigert  (Turner  fand  einen  Feuchtigkeitsgehalt 
der  Zwischendecksluft  bis  zu  95  Proz.,  und  ihn  hier  stets  größer  als 
im  Oberdeck  2).  Als  besonders  unhygienisch  muß  auch  das  zur  Kon- 
servierung in  Holzschiffen  wohl  noch  angewandte  Verfahren  des  Salzens 
bezeichnet  werden,  welches  darin  besteht,  daß  Salzbeutel  in  die  Spant- 
räume gesteckt  und  gelegentlich  angefeuchtet  werden  (Reincke4). 

Alle  diese  Schädlichkeiten  machen  sich  natürlich  in  besonderem 
Maße  geltend,  wenn  bei  schlechtem  Wetter  Luken  und  Seitenlichter  ge- 
schlossen gehalten  werden  müssen  oder  bei  Windstille  und  in  den  Tropen 
die  natürliche  Ventilation  versagt,  wenn  bei  Regengüssen  und  Sturz- 
seen oder  bei  zu  häufigem  Scheuern  das  Schiff  tagelang  nicht  trocken 
wird.  Im  weiteren  hat  man,  besonders  auf  Kriegsschiffen,  den  verderb- 
lichen Einfluß  der  (eisernen  wie  hölzernen)  Wände  dicht  geschlossener 
Räume  auf  ihren  luftförmigen  Inhalt  kennen  gelernt  (Gärtner14). 
Dieselben  resp.  deren  Anstrich  und  darin  lagernde  Materialien  erzeugen 
durch  Oxydation  stinkende  Gase  und  große  Mengen  von  Kohlensäure. 
Gärtner  fand  von  letzterer  bis  zu  51°/00  in  den  leeren  Pulver-  und 
Granatenkammern  der  „Sachsen",  die  Eintretenden  wurden  rasch  von 
Asphyxie  befallen.  In  der  Kriegsmarine  sind  besonders  der  Raum  vor 
dem  Kollisionsschott  und  die  Zellen  des  Doppelbodens  als  Kohlensäure- 
verließe berüchtigt;    sie  dürfen   nur   nach  Auslüftung   mit  dem  Hand- 


Schiffshygiene.  193 

Ventilator  und  Probe  durch  Einhängen  eines  brennenden  Lichtes  betreten 
werden.  Auch  in  den  Kesseln,  Dampfcylindern  und  Kondensatoren  bilden 
sich  gefährliche  Gase,  so  daß  bei  innerer  Untersuchung  und  Reinigung 
dieser  Teile  Vorsicht  geboten  ist.  Seydel15  verlor  2  Matrosen,  welche 
die  mit  feuchten  Papierballen  gefüllte  Last  (Laderaum)  betraten ;  er  fand 
Kohlensäure  und  Methan  und  warnt  vor  feuchter  Verstauung  stark  cellu- 
losehaltiger  Stoffe.  Zahlreiche  ähnliche  Beispiele  finden  sich  auch  bei 
Rein  cke  4. 

Ueber  den  der  Atmung  entstammenden  Kohlensäuregehalt  in  den 
Wohnräumen,  der  erwiesenermaßen  um  so  größer  ist,  je  tiefer  dieselben 
liegen,  finden  sich  spärliche  Angaben,  indes  scheint  er  selbst  bei 
schlechtem  Wetter  und  geschlossenen  Luken  infolge  der  dann  bedeu- 
tenderen W'indpressung  selten  sehr  beträchtlich  zu  werden.  In  den 
Zwischendecks  amerikanischer  Schiffe  wurden  Wrerte  von  1,0 — 2,7  %0, 
bei  Windstille  in  den  Arrestzellen  und  dem  Spital  der  „Sachsen" 
5,5 — 6,5  gefunden,  Zahlen,  die  gegenüber  den  in  Kasernen  und  Schulen 
beobachteten  (bis  zu  ll0/0o>  Boehr  2)  nicht  ins  Gewicht  fallen.  Vielleicht 
sind  verschiedene  organische  Substanzen  der  Abluft  und  Ausdünstung,  für 
die  wir  in  unserem  Geruchssinn  und  der  Kohlensäurebestimmung  einen 
gewissen  Maßstab  besitzen ,  sanitär  nicht  ohne  Bedeutung.  Entgegen 
den  früheren  Angaben  von  Brown-S6quard,  Merkel  u.  A.,  die 
ein  alkaloidähnliches  Gift  in  der  Ausatmungsluft  gefunden  hatten,  hat 
freilich  Rauer16  kürzlich  gezeigt,  daß  es  sich  bei  den  experimentell 
gefundenen  Giftwirkungen  der  Atemluft  nur  um  die  der  Kohlensäure 
gehandelt  hat.  Wahrscheinlich  sind  also  die  in  überfüllten  oder  dauernd 
schlecht  ventilierten  und  beleuchteten  Räumen  auftretenden  Krankheits- 
erscheinungen ausschließlich  darauf,  sowie  auf  Störungen  in  der  Wärme- 
regulation durch  die  physikalischen  Verhältnisse  der  Umgebung  zurück- 
zuführen. Ganz  allgemein  ist  jedenfalls  beobachtet,  daß  die  Personen 
der  Mannschaft ,  die  überwiegend  unter  Deck  sich  aufhalten  müssen, 
auffallend  bleich  und  kachektisch  aussehen. 

Daß  die  Bilschgase  direkt  gesundheitsschädlich  wirken,  ist  zwar 
nicht  nachgewiesen  und  es  gehen  die  Meinungen  darüber  auseinander. 
Jedenfalls  aber  wirken  sie  sehr  belästigend  (als  leichte  Vergiftungs- 
erscheinungen wurden  Kopfschmerz,  Uebelkeit  und  Erbrechen  beob- 
achtet17) und  sind  als  Stoffwechselprodukte  zahlloser  Mikroorganismen 
anzusehen.  R  i  n  g  e  1  i  n  g  1 8  fand  in  dem  aus  verschiedenen  Spanträumen 
entnommenen  Sodwasser,  je  nachdem  diese  mehr  von  der  Ladung  oder 
durch  menschliche  Auswurfsstoffe  verunreinigt  waren,  die  verschiedensten 
Keime  und  konnte  in  dem  durch  Hitze  sterilisierten  Bilschwasser  solche 
sowie  ganz  besonders  pathogene  mit  Erfolg  züchten.  Er  glaubt  daher, 
daß  auch  nicht  sterilisiertes  Sodwasser  unter  Umständen  zu  einem  gün- 
stigen Nährboden  für  diese  oder  jene  Art  sich  gestalten  kann.  Die  früher 
an  durchseuchten,  besonders  von  Flecktyphus  und  Gelbfieber  befallenen 
Holzschiffen  gemachten  Erfahrungen  sprechen  entschieden  dafür,  und  ist 
es  bekannt,  mit  welch  energischen  Mitteln  man  dagegen  zu  Felde  zog. 
Die  teilweise  entplankten  Schiffe  wurden  versenkt  oder  am  Strande 
den  spülenden  Wellen  ausgesetzt  (Submersion  und  Saborde- 
ment 2). 

Aus  den  nicht  dicht  schließenden  oder  zum  Zweck  der  Lüftung 
ausgehobenen  Füllungen  verbreiten  sich  die  Gase  oft  in  die  Wohnräume, 
und  ihre  Beseitigung  durch  kleine,  im  Schandeckel  (Fig.  2)  angebrachte 
Ventile  ist  eine  recht  unvollkommene. 


194 


D.    KULENKAMPFF, 


Aus  dem  Vorstehenden  ergiebt  sich,  daß  in  der  Schiffshygiene 
Reinlichkeit,  Trockenhaltung,  Lüftung  und  die  richtige  Verteilung  der 
Räume  die  Punkte  sind,  auf  welche  alles  ankommt. 


Fig.  2.  Schematische  Ansicht  der  Schiffswand  zwischen  Ober- 
und  Zwischendeck.  1  Oberdeckbalken,  2  Oberdeckplanken,  3  Zwischendecksstiit2e, 
4  Oberdeckwassergang,  5  Reling,  6  Schandeckel  (a  Ventile),  7  Zwischenspantraum,  8  Beplan- 
kung, Aufsenbord),  9  innere  Beplankung  (Wegerung),  10  Füllungsplanke.  (Original- 
zeichnung.) 

2)  Boehr,    üeber  Schiffsluft,  Berlin  1882. 

4)  Beincke,   Deutsche   Vierteljahr  »sehr.  f.  off.   Gesundheitspfl.   1881. 

8)  Hansa,  Deutsche  nautische  Zeitschrift  (1888 — 1895). 

11)  Nocht,   Die  Bekämpfung  der  Infektionskrankheiten,    herausg.   von  Behring,  Leipzig  1893. 

12)  Unfallverhütung svor 'Schriften  der  Seeberufsgenossenschaft,  Hamburg  1891. 

13)  Plumert,  Gesundheitspflege  auf  Seeschiffen,  Pola  1891. 

14)  Gärtner,    Yentilationsverhältnisse  auf  der  Panzerkorvette  Sachsen,  Deutsche  Vierteljahrs  sehr, 
f.  öffentl.  Gesundheitspflege  (1888). 

15)  Seydel,    Vierteljahr  sehr.  f.  gerichtl.   Medizin  (1889). 

16)  Bauer,  Zeitschr.  f.  Hygiene  15.  Bd.  Seite  57. 

17)  Marinesanitätsordnung,  Berlin  1893. 

18)  Bingeling  (holländisch),  Beitrag  zur  Kenntnis  des  Bilschwassers,  Amsterdam  1886. 

19)  Ueber  Kohlenladungen  und  deren  Gefahren,  aus  d.  Reichsamt  des  Innern.  Berlin  1889. 


Kapitel  III. 
Die  Reinhaltung  des  Schiffes. 

Wichtig  ist  die  gesetzliche  Vorschrift  einer  gründlichen  Reinigung 
und  Lüftung  nach  jeder  Reise;  Hamburg  schreibt  vor,  daß  Auswanderer 
in  einem  Schiff,  welches  verdächtige  Ladung  geführt  hatte,  nur  aufge- 
nommen werden  dürfen,  wenn  es  mit  Sapo  viridis  gescheuert  und  drei 
Tage  lang  gelüftet  worden  ist.  Es  muß  hierbei  aber  auf  die  Gefahren 
im  Gebrauche  von  Hafenwasser  hingewiesen  werden,  besonders  an 
Plätzen,    wo    endemische   Krankheiten   herrschen.     Während  der  Reise 


Schiffshygiene.  195 

ist  das  nasse  Scheuem  (besonders  mit  dem  nie  ganz  trocknenden  See- 
wasser) nur  auf  dem  Oberdeck  zu  gestatten,  im  Zwischendeck  aber  — 
zumal  bei  feuchter  Witterung  —  auf  das  Aeußerste  zu  beschränken.  An 
die  Stelle  tritt  dafür  das  Auskratzen,  Streuen  von  —  heißem  —  Sand 
und  die  Bearbeitung  mit  scharfem  Besen.  Gesetzlich  muß  der  Kapitän 
eine  tägliche  Reinigung  mit  trockenem  Sande  veranlassen  und  über- 
wachen (Hamburger  Gesetz  von  1887).  Das  in  England  gebräuchliche 
Abreiben  mit  Sandstein  (Dryholystoning)  verursacht  übermäßige  Staub- 
bildung. Werden  bei  der  Reinigung  des  Zwischendecks  möglichst  alle 
Passagiere  auf  Deck  beordert,  so  ist  selbst  in  den  ersten  Tagen  der 
Reise,  wo  viele  seekrank  sind,  Befriedigendes  zu  erreichen.  Herwig20 
fordert  allerdings  auf  Grund  eigener  Erfahrung  zweimalige  Reinigung 
täglich.  Von  den  beim  Seemaune  beliebten  (feuergefährlichen)  Räucher- 
ungen und  Karbolpulvern  ist  nichts  zu  erwarten. 

Der  Bilschraum  muß  grundsätzlich  möglichst  trocken  gehalten 
werden,  er  muß  gut  zugänglich  sein  und  die  Büsche  darf  nicht  in  die 
Ladung  dringen  können.  Ist  dies  nicht  zu  erreichen,  d.  h.  also  in  allen 
älteren,  stark  leckenden  (Wasser  machenden)  und  kleineren  Holzschiflen, 
so  muß  täglich  lenzgepumpt  und  frisches  WTasser  eingelassen  werden, 
während  die  Wassergänge  in  den  Spanten  durch  Hin-  und  Her-  ziehen 
eines  einliegenden  Taues  oder  einer  Kette  durchgängig  erhalten  werden. 
Sonst  muß  als  Normalverfahren  die  gänzliche  Entleerung  durch  Hand- 
pumpen und  Eimer  mit  nachfolgendem  Auskratzen  der  fettigen  Schmiere 
mit  Schrapern  unter  Aufgießen  einer  heißen  Sodalösung  bezeichnet  werden. 
Diese  Prozeduren  sind  indes  wohl  nur  im  entlöschten  Schiff  möglich 
und  bei  stark  bilschemachenden  Holzschiffen,  bei  solchen  unter  Dampf, 
bei  bewegter  See  und  selbst  auf  Kriegsschiffen,  wo  die  Räume  unter 
der  Maschine  und  der  Wellentunnel  sehr  schlecht  zugänglich  sind,  nicht 
ausführbar.  Die  Hauptsache  bleibt  also  die  Ueberwachung  des  Kiel- 
raumes als  eines  Schmutzwinkels,  Strafvorschriften  für  fahrlässiges  oder 
mutwilliges  Verunreinigen  desselben  und  gründliche  Austrocknung  nach 
jeder  Reise  und  beim  Docken  des  Schiffes.  Letzteres  geschieht  mit  den 
Lloyddampfern  etwa  alle  3  Monate.  In  der  deutschen  Kriegsmarine 
muß  alle  14  Tage  desinfiziert  werden,  für  andere  Schiffe  ist  eine  wirk- 
same Desinfektion  wohl  nur  zu  fordern,  wenn  ansteckende  Kranke  an 
Bord  gewesen  sind  oder  wenn  dieselben  aus  einem  verseuchten  Hafen- 
orte zurückkommen. 

Von  all  den  zur  Desinfektion  empfohlenen  Mitteln  kommen  nur  Chlor- 
zink, Sublimat  und  Kalk  in  Frage.  Das  erstgenannte  ist  als  vorzügliches 
Desodorans  (1,5  kg  Z,  chlorat.  liquidum,  auf  100  cbm  Büsche  für  14  Tage 
zureichend),  Sublimat,  seit  den  Untersuchungen  von  Koch  u.  Gaffky21 
als  das  einzig  zuverlässige  Desinfiziens  erprobt  und  bei  den  meisten 
deutschen  Staaten  vorschriftsmäßig  geworden  22.  Auf  hoher  See  kann  die 
Büsche  zuerst  ausgepumpt  und  dann  das  eingelassene  Meerwasser  mit 
Sublimat  versetzt  werden.  Im  Hafen  wird  nicht  vorher  ausgelenzt,  sondern 
nach  Oeffnung  aller  Schleusen  in  den  Schotten  der  einzelnen  Abteilungen 
die  Büsche  durch  über  Deck  geführte  Schläuche  von  hinten  nach  vorn  in 
den  höchstgelegenen  Teil  des  Sodraums  gepumpt,  und  während  sie  cir- 
kuliert,  die  Sublimatlösung  (1:20)  eingegossen.  Man  wendet  ein  Kilo 
Sublimat  auf  1000  1  Büsche  an.  Nach  3—4  Stunden  wird  mit  blankem 
Kupfer  geprüft ;  bildet  sich  daran  nicht  in  längstens  2  Minuten  ein  grauer 
Belag,  so  muß  Sublimat  nachgeschüttet  und  wiederum  gepumpt  werden. 
Nach  24  Stunden  wird  gelenzt  und  frisch  eingelassen,  was  in  den  nächsten 


196  D.   KULENKAMPFF, 

Tagen  noch  3  mal  zu  geschehen  hat,  um  die  Quecksilberreste  zu  ent- 
fernen. Wird  in  dieser  Weise  verfahren,  so  sind  nach  vielfachen  Er- 
fahrungen keine  Nachteile  damit  verbunden,  auch  nicht  für  das  Metall  der 
Peilrohre  und  Pumpen ,  welch  letztere  nur  gründlich  gereinigt  werden 
müssen. 

In  Hamburg  ist  seit  1892  für  alle  aus  choleraverdächtigen  Häfen 
einlaufenden  Schüfe  die  Desinfektion  mit  Kalk  vorgeschrieben  23,  die 
vom  Schiffer  auf  See  vorgenommen  wird  (es  folgt  dann  Nachprüfung 
auf  alkalische  Reaktion  der  Büsche),  oder  aber  in  Cuxhaven.  Höchstens 
3  Monate  alter  gebrannter  oder  gelöschter  Kalk  wird  zu  Milch  (1 : 3 
Wasser)  verarbeitet,  diese  mit  9  Teilen  WTasser  verdünnt  und  einge- 
gossen, 40 — 120  1  pro  Meter  Schiffslänge  je  nach  der  Bauart  des 
Schifies.  Nach  12  Stunden  darf  gelenzt  werden.  Ebenso  sind  die 
Wasserballast-Tanks  zu  behandeln;  aus  verdächtigen  Häfen  mitgeführtes 
Trinkwasser  darf  nicht  undesinfiziert  entleert  werden. 

Die  Innenwände  eines  verseuchten  Schiffes  werden  gleichfalls  am 
besten  durch  Bestäuben  mit  Sublimat  (1  %o)  desinfiziert  (auch  von 
V  a  1 1  i  n  2  4  empfohlen),  doch  ist  hierbei  Sachkenntnis  erforderlich.  Auf 
einem  Lloyddampfer  sind  hiernach  Vergiftungen  beobachtet,  und  Sjöq- 
vist25  hat  in  den  Tapeten  derart  behandelter  Zimmer  noch  nach 
1  Jahre  bedeutende  Mengen  von  Sublimat  nachgewiesen.  Beim  Lloyd 
ist  es  Gebrauch,  jeden  mit  ansteckenden  Kranken  belegt  gewesenen 
Raum  frisch  mit  Oelfarbe  zu  streichen.  Von  den  früher  so  beliebten 
(feuergefährlichen)  Räucherungen  mit  Schwefel  ist  nur  etwas  zu  er- 
warten, wenn  sie  in  so  sachgemäßer  energischer  Art  angestellt  werden, 
wie  vonPottier26  undRaoul27  angegeben;  Erhardt28  empfiehlt 
sie  gleichfalls,  noch  mehr  aber  das  Ansengen  nach  Lapparent  oder 
heißen  Dampf. 

Sehr  beachtenswerte  Vorschriften  über  die  Technik  der  Desinfektion 
auf  Schiffen  giebt  Nocht11  auf  Grund  eingehender  Untersuch- 
ungen. Nach  Forst  er  und  Ringeling29  ist  das  Bilschwasser 
durchaus  einem  städtischen  Kanalwasser  ähnlich,  welches  es  oft  noch  an 
verbrennlichen  Stoffen  und  Stickstoffverbindungen  übertraf,  sodaß  es 
in  manchen  Fällen  den  verunreinigten  Füllungen  der  Fehlböden,  wie  sie 
Emmerich  beschrieben,  zu  vergleichen  ist.  Neutral,  alkalisch  oder 
auch  sauer ,  enthielt  es  von  300  bis  zu  3  Millionen  Keimen  im  cbc. 
In  der  nicht  sterilisierten ,  bei  23  °  Wärme  gehaltenen  Büsche  fand 
Nocht  Cholerabacillen  manchmal  schon  nach  einer  Stunde  abgestorben, 
andere  Male  aber  erst  nach  10 — 14  Tagen;  Nicati  und  Rietsch 
konnten  solche  noch  32  Tage  nach  der  Einfahrt  nachweisen.  Dun  bar30 
untersuchte  das  Busch-,  Ballast-  und  Trinkwasser  von  mehr  als  20  Schiffen, 
die  aus  choleraverdächtigen  Häfen  kamen  oder  Erkrankte  an  Bord 
hatten,  ohne  Vibrionen  zu  finden.  Dagegen  fanden  sich  Bakterienarten, 
deren  Kolonien  auf  Gelatine  in  gewissen  Entwickelungsstadien  den 
Cholerakolonien  täuschend  ähnlich  sahen.  Typhusbacillen  hielten  sich 
bis  zu  15,  die  des  Milzbrandes  bis  zu  16  Tagen  (Forster  und 
Ringeling). 

Nocht11,  der  sich  gegen  den  Sublimat  seiner  Giftigkeit  halber 
ausspricht,  empfiehlt  vor  allem  Kalk.  Große  Räume  für  Massentrans- 
porte, Fußböden  und  Treppen  sind  mit  Kalkmilch  (1 :4)  zu  tünchen  und 
nach  24  Stunden  abzuwaschen.  Bei  der  auf  großen  amerikanischen 
Dampfern  angewandten  Desinfektion  aller  Räume  durch  heißen  Dampf 
dürfte  'ein   wirksames  Treffen   aller   Ecken   und  Winkel   kaum   zu   er- 


Schiffshygiene.  197 

warten  sein.  —  Die  Schwierigkeiten  bei  der  Bilschdesinfektion  bestehen 
besonders  darin,  daß  es  schwer  in  Cirkulation  zu  bringen  ist,  die  Pumpen 
nur  in  die  tiefsten  Stellen  führen  und  an  höher  gelegenen  sich  eine 
zähe,  schwer  entfernbare  Schlammschicht  absetzt.  Die  durch  die  Quer- 
schotten getrennten  einzelnen  Compartments  stehen  in  gar  keiner 
Verbindung  miteinander,  da  entweder  gar  keine  Schleußen  in  den 
Schotten  angelegt  werden  oder  diese  —  falls  sie  vorhanden  —  auf 
Andrängen  der  Versicherungs-  und  Klassifikations- Gesellschaften  dauernd 
vernietet  werden  müssen.  In  denjenigen  Schiffen,  in  welchen  die  Tanks  und 
der  Schiffsboden  eine  einzige  abgeschlossene  Zellenkonstruktion  bilden, 
münden  die  beiden,  früher  beschriebenen  seitlichen  Bilschräume,  welche 
flache,  muldenförmige  Rinnsteine  vorstellen,  in  jedem  Compartment  in 
den  sogenannten  Brunnen.  Es  sind  dies  1 — 2  m  breite  Gräben,  die  der 
Höhe  des  Doppelbodens  entsprechend  etwa  1  m  tief  sind  und  sich  quer 
durch  die  ganze  Breite  des  Schiffes  erstrecken.  Will  man  also  alle 
Punkte  dieses  verzweigten  Rinnsales  treffen,  so  muß  soviel  Flüssigkeit 
eingepumpt  werden,  daß  auch  die  höheren  Abteile  gefüllt  werden.  Die 
Mengen,  welche  dazu  erforderlich  sind  und  ohne  Schaden  für  die  Ladung 
eingebracht  werden  dürfen,  sind  sehr  beträchtliche.  Nocht  berechnet 
für  Holzschiffe  40—601  pro  Meter  Schirislänge,  60—120  bei  eisernen 
mit  einfachem  Boden,  30  cbm  bei  solchen  mit  Doppelboden  (Zellen-  oder 
Bracketsystem)  und  Brunnen.  Da  ein  Kalkgehalt  von  0,5  Proz.  genügt, 
um  Cholerabacillen  in  wenigen  Stunden  zu  vernichten ,  so  ist  es  das 
beste,  eine  etwa  1-proz.  Brühe  einzugießen  nachdem  lenzgepumpt  ist. 
In  den  keine  Ladung  führenden  Räumen  ist  es,  auch  während  der 
Fahrt,  oft  möglich,  an  einzelnen  Stellen  der  Bilschräume  die  Garnier- 
ungen aufzunehmen,  sie  direkt  mit  Kalkmilch  zu  füllen  und  mit  dem 
Besen  zu  bearbeiten.  Sehr  beachtenswert  ist  Nocht's  Vorschlag,  an- 
statt der  nur  an  die  tiefen  Stellen  führenden,  wenige  Centimeter  im 
Durchmesser  haltenden  Pumpen  und  Peilrohre,  an  den  verschiedensten 
geeigneten  Punkten  eigene  Einlaufrohre  ein  für  allemal  anzulegen.  — 
Aehnliche  Sorgfalt  erfordern  die  Tanks  mit  Wasserballast,  da  diese  oft 
monatelang  nicht  entleert  werden.  Dun  bar  und  Nocht  fanden  in 
solchen  von  aus  Calcutta  kommenden  Schiffen  Vibrionen ,  die  von 
Cholerabacillen  nicht  zu  unterscheiden  waren.  —  Haben  die  Tanks  eine 
nur  geringe  Höhe,  so  kann  man  die  Deckel  nicht  abnehmen,  ohne  daß 
das  Wasser  ausläuft ,  auch  —  da  sie  ganz  voll  sind  —  keinen  Kalk 
einbringen.  Müssen  sie  also  von  einem  vielleicht  durchseuchten  Wasser 
entleert  werden,  so  bleibt  nach  N.  nichts  anderes  übrig,  als  ihr  Wasser 
nach  und  nach  in  den  Maschinenbilschraum  zu  pumpen,  wo  es  gründ- 
lich desinfiziert  werden  kann,  ehe  es  außerbords  gelenzt  wird.  — 

Alle  Gegenstände,  die  nicht  in  der  bekannten  Weise  mit  Aus- 
kochen oder  Desinficientien  behandelt  werden  können ,  werden  auf  den 
mit  einem  Dampfkessel  versehenen  Schiffen  in  leicht  herzustellenden 
kastenartigen  Apparaten  dem  strömenden  Dampfe  ausgesetzt.  Nach  den 
in  der  deutschen  Kriegsmarine  giltigen  Verordnungen  1 7  wird  an  irgend 
eine  Rohrleitung,  z.  B.  auf  Deck  an  die  zur  Dampfpfeife  gehende,  ein 
Zweigrohr  angeschlossen,  und  als  Dunstkasten  ein  Faß,  Badewanne  oder 
größere  Balge  benutzt,  durch  deren  nicht  ganz  dicht  schließende, 
mit  Gewichten  beschwerte  Deckel  das  Rohr  bis  nahe  an  den  Boden 
geführt  wird.  Der  Dampf  muß  im  Kessel  1,5  Atmosphären  Druck 
haben. 


>3 


198  D. .  KULENKAMPFF, 

11)  Nocht  in  Behring ,  Die  Bekämpfung  der  Infektionskrankheiten,  Leipzig  1893. 
20    Herwig,    Ueber  Schiffshygiene,  Berlin  1878. 

21)  Koch  und  Gaffky,   Arbeiten  aus  dem  Kaiserlichen  Gesundheitsamt  (1886). 

22)  Anleitung    zur  Gesundheitspflege    an  Bord   von  Kauffahrteischiffen ,    bearbeitet    im  Kaiser- 
lichen Gesundheitsamt  (Gärtner),  Berlin   1888. 

23)  Veröffentlichungen  aus  d.  Kaiserlichen  Gesundheitsamt  (1888 — 1894). 

24)  Valiin,  Annales  d'  Hygiene  publique,  19.  Bd.   19. 

25)  Sjögvist,  Hygienische  Rundschau  (1893)  No.   8. 

26)  Pottier,  Archive  de  mtdecine  navale  (1886). 

27)  Eaoul,  ibidem  (1885). 

28)  Erhardt,  Disinfection  des  navires,  Montpellier  (1888). 

29)  Forster    und   Eingeling,    Untersuchungen    des    Bilschwassers,    Archiv  f.  Hygiene  (1891) 
12.  Bd. 

30)  Arbeiten  aus  dem  Kaiserlichen  Gesundheitsamt  10.  Bd.   1.  Heft. 

31)  Karlinsky,    Unter  der  gelben  Flagge,  Hygienische  Rundschau  (1894)  No    1   u.   2. 


Capitel  IV. 
Die  Lüftung  des  Schiffes. 

Die  Lüftung  des  Schiffes  ist  eine  offenbar  noch  nicht  ganz 
befriedigend  gelöste  Aufgabe.  Die  Schwierigkeiten  bestehen  besonders 
darin,  daß  die  Hauptlufteinlässe  (Luken,  Oberlichter,  Niedergänge)  nur 
an  der  einen  oberen  Fläche  sich  finden ,  die  Räume  unter  Deck  auf 
kleine,  oft  verschlossen  zu  haltende  Seitenlichter  angewiesen  sind  oder 
gar  jeder  direkten  Kommunikation  mit  der  Atmosphäre  entbehren. 
Gerade  in  dieser  Beziehung  stellt  die  durchgeführte  Teilung  der 
großen  Dampfer,  besonders  aber  der  Kriegsschiffe  in  zahlreiche  Einzel- 
räume einen  Rückschritt  gegen  früher  dar.  Obwohl  der  natürlichen 
Ventilation  im  Winde  und  in  der  Eigenbewegung  des  Schiffes  bedeu- 
tende Hilfsmittel  erwachsen,  kann  also  doch  auf  küustliche  und  maschi- 
nelle nicht  verzichtet  werden. 

Grundsätzlich    ist    für    alle  Lüftungsanlagen    Folgendes   zu   ver- 
langen : 

1)  Die  Luft  darf  nicht  so  kalt  und  mit  solcher  Geschwindigkeit 
einströmen,  daß  sie  Zuggefühl  verursacht.  —  Als  oberste  Grenze  scheint 
für  eine  etwa  15  °  C  warme  Luft  eine  Geschwindigkeit  von  1  m  pro  Se- 
kunde gelten  zu  müssen  (Parkes  32 -Bo ehr). 

2)  Die  Absaugung  der  schlechten  Luft  muß  da  stattfinden ,  wo  sie 
sich  bildet,  es  müssen  andere  der  Ausströmungsöffnung  näher  gelegene 
Luftzuflüsse  ausgeschlossen ,  also  alle  Einzelräume  für  sich  ventiliert 
werden. 

3)  Findet  Pulsion  statt,  so  ist  gleichzeitig  für  Luftauslässe  zu 
sorgen ,  die  derart  an  entgegengesetzte  Stellen  verteilt  sein  müssen, 
daß  die  eingetriebene  Luft  wirklich  den  Raum  durchströmt. 

In  Deckhäuser,  Halbdecks,  Ober-  und  Zwischendeck  dringen,  selbst 
wenn  des  Seeganges  halber  ihre  Lufteinlässe  geschlossen  sind,  doch 
nach  den  Untersuchungen  von  Gärtner  auf  der  Sachsen  durch  Pressung 
des  Windes  immer  noch  beträchtliche  Luftmassen  ein.  Immer  aber  ist 
die  Wirkung  des  Windes  nur  dann  eine  bedeutende,  wenn  er  von  vorn 
oder  seitlich  einfällt,  während  bei  achterlichem  das  Schiff  denselben  völlig 
auslaufen  kann,  so  daß  Schwüle  im  Innern  entsteht,  besonders  in  den 
Tropen.  Der  Luftwechsel  durch  Diffusion  (Temperaturunterschiede)  ist 
nur  in  kälteren  Gegenden  von  Bedeutung,  und  ist  zu  bedenken,  daß 
bei  stärkerer  Erwärmung   der   niedrigen  Räume   die  Kohlensäure,   mit 

14 


Schiffshygiene. 


199 


dem  warmen  Strom  nach  oben  gerissen,  sich  unter  der  Decke  anhäuft. 
Mit  Recht  wird  daher  vor  einem  zu  hohen  Hang  der  Hängematten  ge- 
warnt. 

Für  alle  Oeffnungen  im  Deck,  sowie  für  alle  schachtartig  in  die 
Tiefe  führenden  kommt  in  Betracht,  daß  sie  —  je  nach  der  Lage  zum 
Winde  —  zum  Teil  als  Pulsatoren,  zum  anderen  Teil  als  Aspiratoren 
oder  Auslässe  wirksam  sein  müssen.  Nur  im  Kessel-  und  Maschinen- 
raum sind  in  dem  großen  Oberlicht,  dem  Schornsteinmantel  und  den 
Feuerstellen  sehr  wirksame  Aspiratoren  für  immer  vorhanden. 

Von  den  schachtartigen  Ventilatoren  sind  zu  nennen :  Windsegel  und 
Windsäcke  (Fig.  3  a),  d.  h.  von  der  Takelage  durch  die  Luken  herabhängende 
Schläuche,  die  aber  nur  bei  ruhigem  Wetter  resp.  im  Hafen  eingehängt 


Fig.  3.     a  Windsack,     b  Propulsorköpfe    (Prefsköpfe)    mit    Jalousieschiebern.     (Nach 
Reincke,    Deutsch.  Vierteljschr.  f.   öffentl.  Gesundheitspflege  1881.) 


werden  können.  Als  ständig  wirksam  treten  dafür  an  die  Stelle  die 
dicht  im  Deck  schließenden  Ventilationsröhren  aus  Metall  (Propulsor- 
köpfe, Fig.  3  b),  in  großer  Anzahl  gesondert  für  die  neben  und  unter- 
einander belegenen  Räume  (auf  der  Normannia  finden  sich  z.  B.  deren 
78.  Busley33).  Ihre  trompetenförmigen  Köpfe  werden  gegen  den 
Wind  gestellt  resp.  bei  geschlossenen  Luken  zu  einem  Teile  von  ihm 
abgedreht,  wo  dann  durch  den  vorbeistreichenden  WTind  ihre  Saugkraft 
erheblich  gesteigert  wird.  Noch  mehr  wird  erreicht  in  dieser  Be- 
ziehung durch  besondere  Hauben  (Fig.  4)  nach  Patent  Viehoff -Voss. 
Auf  Dampfern ,  wo  die  Luftströmung  als  Regel  der  Fahrrichtung  ent- 
gegengesetzt ist,  mögen  die  aufnehmenden  Ventilatoren  vorn,  die  ab- 
saugenden hinten  aufgestellt  sein.  Da  die  Köpfe  aber  zu  schwer  sind, 
um    sich  gleich  Windfahnen   automatisch  zu  drehen  (eine  Einrichtung, 

J5 


200 


D.    KULENKAMPFF, 


die  ja  überhaupt  —  weil  leicht  versagend  —  wenig  empfehlenswert  ist), 
so  müssen  sie  mit  Ueberlegung  eingestellt  werden,  um  so  mehr  als  jede 
Aenderung  in  der  Windrichtung  das  Verhältnis  zwischen  Ein-  und  Aus- 
strömung verändern  wird.  Die  kolossalen  Köpfe  der  Kesselraumventi- 
latoren werden  durch  Maschinenkraft  gedreht.  Um  die  Belästigung 
durch  Kälte  und  Zug  zu  vermeiden  und  eine  wirkliche  LuftverdräDgung 
im  Räume  zu  erzielen ,  hat  man  die  Rohre  bis  nahe  an  den  Fußboden 
geführt,  sie  oben  und  unten  mit  seitlichen  Oeffnungen  und  zwischen- 
liegenden  Klappen  oder   mit  cylindrischen   Jalousieschiebern   versehen 


Fig.    4.      Saugköpfe    nach    Patent    Viehoff-Voss, 
f.  öffentl.  Gesundheitspfl.   1881. 


Nach    Reincke,    Viertelj. 


(Fig.  3  b)  oder  ihre  Enden  sich  trichterförmig  erweitern  oder  in  viele 
kleinere  Röhren  auflösen  lassen.  Schräg  vor  die  Ausmündung  gestellte 
Bretter  oder  Drahtnetze  brechen  den  Luftstrom  in  ähnlicher  Weise  und 
wirken  dem  Aufwirbeln  von  Staub  entgegen.  Die  Menge  der  ein- 
strömenden Luft  bestimmt  sich  durch  den  Querschnitt  der  Rohre  und 
die  Schnelligkeit  des  Luftstroms,  welch  letzterer  von  der  des  Windes, 
der  Bewegung  des  Schiffes  und  dem  Einfallswinkel  abhängig  ist. 
Herwig  berechnet,  daß  bei  einem  aus  diesen  3  Faktoren  resultieren- 
den Luftstrome  von  14  km  pro  Stunde  ein  Zuführungsventilator  von 
48  cm  Durchmesser  für  100  Personen  genügen  dürfte.  Bei  geringerer 
Windstärke  ist  das  Bedürfnis  auch  geringer,  da  dann  ein  Teil  der 
Passagiere  auf  Deck  zu  sein  pflegt.  Das  Hamburger  Gesetz  bestimmt, 
daß  für  jede  Abteilung,  die  bis  zu  100  Personen  enthält,  ein  Ein-  und 
ein  Auslaßrohr  von  je  30  cm  vorgesehen  sein  muß.  Sehr  wichtig  für 
die  Verbreitung  der  Luft  durch  die  verschiedenen  Räume  sind  die  auf 
Schiffen  gebräuchlichen  durchbrochenen  Wände,  die  jalousieartig  mit 
Gittern  oder  ganz  abstellbaren  Schiebern  versehen  sind. 

Im  allgemeinen  sind  die  dem  Winde  zunächstgelegenen  Rohre  als 
Einlasse  zu  benutzen,  schon  weil  hierdurch  Dünste  aus  dem  Schifie,  Rauch, 
Gerüche  aus  der  Kombüse  und  aus  Viehställen  oder  gar  die  Abluft  eines 
anderen  Ventilators  von  ihnen  abgehalten  werden.  Dem  vielfach  angenom- 
menen Vorschlage  von  Pearse20,  die luw-(Wind-)wärts gelegenen  Rohre 
vom  Winde  abzudrehen,  liegt  nur  die  richtige  Beobachtung  zu  Grunde, 
daß  bei  nicht  vollständig  geschlossenen  Luken  die  schlechteste  Luft  sich 
in  dem  Ende  des  Schiffes  anhäuft,  das  dem  Winde  zunächst  gelegen  ist. 
Während  Pearse  20  daraus  schließt,  daß  unter  Deck  sich  der  Luftstrom 
der  jedesmaligen  Windrichtung  entgegengesetzt  bewege,  wofür  der  Beweis 
wohl  nur  durch  Untersuchung  bei  geschlossenen  Luken  erbracht  werden 
könnte,  dürfte  die  richtige  Deutung  vielmehr  die  sein,  daß  es  sich  um 
eine  Anhäufung  der  Luft  in  todten  Ecken  des  dem  Winde  zunächst 
liegenden  Schiffsendes  handelt,  die  vermieden  wird,  wenn  man  eben  hier 


16 


Schiffshygiene. 


201 


einen  Einlaß  anbringt,  so  daß  der  Ventilationsstrom  im  Schiffe  in  der- 
selben Richtung  läuft  wie  der  Wind  oder  Zug  draußen.  Bei  trockenem, 
nicht  allzu  windigem  Wetter  werden  die  mit  Thüren  nach  2  Seiten 
oder  Dachreitern  versehenen  Deckhäuser,  je  nachdem  sie  auf  einer  Seite 
geöffnet  oder  geschlossen  werden  als  Aspiratoren  oder  Pulsoren  ver- 
wendet. Um  von  der  Seite,  auch  in  tiefer  gelegenen  Räume  und 
bei  schlechtem  Wetter  dauernd  Luft  einzuführen ,  hat  sich  die  Ver- 
wendung der  Utleypatentfenster  sehr  bewährt  (Fig.  5),  bei  denen  ein 
Korkschwimmer  der  einlaufenden  Welle  den 
Weg  verlegt  und  ihn  nach  Abfluß  des  Wassers 
der  Luft  wieder  zugängig  macht,  Aehnliche 
Ventilatoren  sind  von  Utley  auch  für  die 
Poller  und  Bettinge*)  konstruiert  worden.  Die- 
selben ,  40—50  auf  einem  Schiffsdeck,  haben 
sich  sehr  bewährt.  Es  ist  das  um  so  wichtiger, 
als  alle  freien  Oeffnungen  auf  Deck,  selbst 
wenn  sie,  wie  es  beim  Lloyd  Vorschrift  ist, 
mindestens  1,8  m  hoch  liegen ,  gelegentlich 
durch  Wellen  überflutet  werden.  Auf  dem 
Dampfer  Spree  geschah  es  sogar,  daß  eine  be- 
deutende Wassermenge  durch  den  Schornstein- 
mantel in  den  Kesselraum  geschleudert  wurde 34. 
Sehr  gerühmt  werden  auch  die  Ventilatoren 
nach  B  o  y  1  e ,  bei  denen  etwa  eindringendes 
Wasser  durch  besondere  W'ege  oberhalb  des 
Decks  wieder  abläuft,  und  welche  in  allen  Stel- 
lungen funktionieren,  also  nicht  gedreht  zu 
werden  brauchen. 

Bei  großer  Windstille  und  in  den  Tropen 
läßt  sich  durch  Einsetzen  von  Blechrinnen  in 
die  Seitenfenster  ein  vermehrtes  Eindringen 
der  durch  die  Dampferbewegung  verursachten 
Zugluft  erzielen. 

Als  Aspiratoren  durch  Temperaturdiffe- 
renzen oder  die  saugende  Kraft  des  Windes 
werden  ferner  die  hohlen  eisernen  Masten  mit 
aufgesetzter  Kappe  benutzt  oder  viereckige 
Schachte,  die  durch  die  Ladung  bis  in  den 
Sodraum  reichen ,  senkrechte  Luftkanäle  in 
die   Spantzwischenräume   selbst. 


Fig.  5.  Utley 's  Pa- 
tent-Fenster, a  äufsere 
Schiffswand,  b  Glasfenster,  c 
Korkschwimmer.  (Origi- 
nalzeichnung.) 


den  Bordwänden  und 
Wichtig  ist  es  aber,  alle  Absauger 
bis  etliche  Meter  über  Deck  hoch  zu  führen  und  mit  Verschlußeinrich- 
tungen zu  versehen,  da  sie  sonst  —  wie  durch  Beispiele  erwiesen 
(Boehr2)  —  bei  ausbrechendem  Feuer  als  lebhaft  ziehen deSchorn 
steine  wirken  können.  In  den  Tropen,  bei  Windstille,  besonders 
aber  auf  großen  Dampfern  und  Kriegsschiffen  mit  vielen  abgeschlossenen 
Compartments  und  Querschotten,  deren  Zweck  nicht  gestattet,  sie  durch 
Kanäle  zu  durchbrechen,  müssen  kompliziertere  Vorkehrungen  getroffen 
werden,  um  Temperatur  und  Kohlensäuregehalt  der  Luft  zu  mindern. 
Bei  Fahrten  im  Mittelmeer  wurden  in  den  Pulverkammern  französischer 
Schiffe  z.  B.  Temperaturen  bis  zu  75°  C  beobachtet,  so  daß  —  da  das 


*)  Es  sind  dies  kurze,  über  Deck    ragende  Säulen  ,    die    zur  Befestigung    von  Tauen 
und  Ketten  dienen. 


'7 


202 


D.    KULENKAMPFF, 


moderne  französische  Pulver  sich  schon  bei  64°  zu  zersetzen  beginnt 
—  besondere  Kühlvorrichtungen  nötig  wurden.  Endlich  wird  die  Saug- 
kraft der  Kanäle  durch  Erwärmung  von  den  Kesseln,  der  Kombüse  oder 
durch  Kaloriferen  gesteigert  und  recht  wirksam  sind  auch  im  Schornstein- 
mantel hochgezogene  Röhren.  Indem  E  d  m  o  n  d  s  schon  1865  die  Spant- 
zwischenräume durch  unter  den  einzelnen  Decks  verlaufende  Sammel- 
rohre in  derartige  Schlote  entlüftete,  schuf  er  eine  Anlage,  die  sich 
auf  den  Dampfern  der  ostindischen  Kompagnie  sehr  bewährte  (Boehr  a). 
Kehrt  sich  in  einem  Teil  der  Schlote,  etwa  durch  veränderte  Wind- 
richtung, der  Luftstrom  um,  so  wirken  diese  im  Sinne  von  Pulsoren. 
Dies  System  hat  sich  in  seiner  später  von  Bert  in  verbesserten  Form 
auf  zahlreichen  Schiffen  bewährt,  da  es  ständig,  weil  automatisch  wirkt 
und  höchstens  bei  zu  geringen  Temperaturdifferenzen  eine  Heizung  durch 
eigene  Kaloriferen  erforderlich  ist. 

Ganz  unabhängig  von  Wind  und  Wetter  arbeiten  endlich  die  Tur- 
binen, Centrifugalräder  und  Propeller.  Ein  für  Segelschiffe  (bei  Wind- 
stille) sehr  brauchbarer  Apparat  (nach  Arnott)  mit  Handbetrieb,  den 

jeder  Schiffszimmer- 
mann leicht  herstellen 
kann,  findet  sich  bei 
Herwig  abgebildet 
(Fig.  6).  Beträgt  die 
Weite  des  Rohres  1,22 
m,  seine  Länge  1,83  m, 
so  werden  bei  jedem 
Stoß  2,7  cbm  Luft  ge- 
fördert. Burton- 
Brown35  sah  vor- 
treffliche Wirkungen 
von  einer  ähnlich  ex- 
temporierten Vorrich- 
tung, einem  Flügelrade, 
das  zwischen  einem 
Windsacke  und  dem 
in  den  Schiffsraum 
führenden  Schlauch 
eingeschaltet  war  und 
von  einem  Manne  ge- 
trieben werden  konnte. 
Die  eigentlichen 
Ventilationsma- 
schine n  sind  nur  auf 
Panzerschiffen,  sowie  auf  großen  Auswanderer-  und  Vieh-Transportdampfern 
in  Gebrauch  und  wirken  meist  durch  Aspiration,  da  in  der  Regel  durch 
Luken  oder  besondere  Rohre  ein  genügendes  Einströmen  frischer  Luft 
stattfindet.  Pulsion  ist  nur  da  geboten,  wo  es  an  aspirierenden 
Vorrichtungen  fehlt  oder  wo  die  Räume  so  dicht  von  der  Außenluft 
abgeschlossen  sind ,  daß  ein  Nachströmen  auf  dem  Wege  der  natür- 
lichen Ventilation  nicht  möglich  ist.  Als  besonders  wirksam  wird  das 
Roots'sche  Gebläse  bezeichnet  (Fig.  7),  bei  dem  sich,  durch  Stirnräder 
getrieben,  2  Kapselräder  (biskuitförmige  Backen)  nach  entgegengesetzten 
Richtungen,  gewissermaßen  ineinander,  in  einer  Trommel  bewegen. 
Der  Zahn   des   einen  Rades  greift  in  die  Lücke   des  anderen  ein  und 


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Fig.  6.  Einfacher  Pulsionsventilator  nach  Herwig20. 
Mit  Wacbstaffet-  Klappen  verhangene  Oeffnungen  (a,  a). 
Der  Kolben  bewegt  sich  nach  links,  die  Klappen  bei  a  a 
schliefsen  sich. 


.8 


Schiffshygiene. 


203 


dadurch  wird  ein  nahezu  dichter  Abschluß  zwischen  der  unteren  Saug- 
öffnung (6)  und  der  Drucköffnung  (a)  hergestellt.  Da  außerdem  die 
Ränder  der  Zähne  auch  gegen  den  Umfang  der  Trommel  beinahe  dicht 
schließen,  so  nimmt  (m)  die  Luft  der  Kammer  I  von  unten  mit  und 
entläßt  sie  durch  die  Oeffnung  a.  Rad  n  steht  in  Saugstellung,  um 
bald  die  Luft  der  Kammer  II  völlig  abzuschließen  und  gegen  a  zu  be- 
wegen, während  aus  Kammer  III  die  Luftmenge  nach  a  abströmt, 
welche  das  Rad  n'  eine  halbe  Umdrehung  früher  unten  angesaugt  hatte. 
Da  die  Räder  bis  zu  1500  Umdrehungen  per  Minute  machen  können, 
so  ist  die  Wirkung  eine  sehr  bedeutende.  Bei  Handbetrieb  vermochten 
in  den  Versuchen  Gärtner' s14  auf  der  Sachsen  10  Mann  nur  90 
Drehungen  unter  großer  Anstrengung  zu  erzielen. 

Daran  schließen  sich  die  Centrifugalventilatoren  der  verschie- 
densten Art.  Sie  werden  mittels  Riemenübertragung  in  Betrieb  gesetzt  oder 
als  transportable  Handventilatoren  gebraucht.  Fig.  8  läßt  die  Konstruktion 


Fig.  7.    Roots  Gebläse.    Nach  B  u  s  1  e  y 
treiben,  sind  in  der  Zeichnung  nicht  angegeben. 

Fig.   8.     Centrifugalventilator.     Nach  B  u  s  1  e  y 


Fig.   8. 
Die  Stirnräder,  welche  die  Kapselräder 


des  wichtigen  Teiles  dieser  Maschine,  die  Centrifuge,  leicht  erkennen. 
Die  Luft  tritt  an  der  Achse  ein,  wird  nach  dem  Umfange  hin  geschleu- 
dert und  von  hier  durch  den  Druckschlauch  fortgeleitet.  Vielfach  in 
Gebrauch  sind  endlich  Flügelschrauben 
von  der  einfachen  Konstruktion  wie  die 
in  Fig.  9  gezeichnete.  Nach  Boehr 
sollen  auf  New -Yorker  Dampfern  der- 
artige Propeller  in  Gebrauch  sein,  die 
bis  zu  5000  cbm  Luft  in  der  Minute  aus- 
pumpen können. 

Es  leuchtet  ein,  daß  alle  diese  Ap- 
parate als  Aspiratoren  oder  Pulsoren  be- 
nutzt  werden  können  je  nachdem  man  das  v  *•;£"£;?  '££  "L 
Saugrohr  mit  der  Außenluft  oder  aber  mit  Treibriemen  an.  (Original  - 
dem  Innerndes  Schiffes  in  Verbindung  setzt.     Zeichnung.) 


'9 


204 


D.    KULENKAMPFF, 


Endlich  ist  noch  der  Turbinen-Ventilator  (Aerophor,  siehe  die  Ab- 
bild. 70  beiBusley36)  von  Treutier  und  Schwarz  zu  erwähnen. 
Derselbe  besteht  aus  einem  Ventilator,  der  durch  Strahlrohre,  die  auf 
gezahnte  Räder  einen  Wasser-  oder  Dampfstrahl  treiben,  in  äußerst 
rasche  Drehung  versetzt  wird,  und  ist  die  Arbeitsleistung  hierbei  größer 
als  bei  direktem  Maschinenbetrieb.  Je  nach  der  Größe  des  Apparates 
—  der  in  4  Sorten  angefertigt  wird  —  fördert  derselbe  1800—7200  cbm 
in  der  Stunde.  Seine  Vorzüge  bestehen  in  der  geringen  erforderlichen 
Betriebskraft  und  den  geringen  Reibungswiderständen  der  geförderten 
Luft;    eine    Pferdestärke    vermag    3    Apparate,    also    in    der    Stunde 


d  -       d 


Komprimierte 
Luft. 


Frische  Luft. 
Fig.  10.     Körtings  Pulsionsventilator  nach  Busley"6.     Besteht  aus  4  in- 
einandersteckenden  Düsen,    deren  Zwischenräume  mit    dem    oberen  Ende  des   Ventilations- 
rohrs   kommunizieren.      Fig.   10  o    zeigt    die    Anordnung  im  Rohre;    c  ist    das    Zuleitungs- 
rohr  von  der  Luftpumpe,  d  das  Verdeck. 

21000  cbm  Luft  zu  bewältigen.  —  Stellt  man  den  Ventilator  auf  Pul- 
sion ein  und  läßt  Karbollösung  auf  einen  am  Rotationsrade  befindlichen 
Schwamm  tröpfeln,  so  soll  der  Aerophor  zur  Desinfektion  dienen !  Offen- 
bar eine  Spielerei. 

Ein  innerhalb  eines  Ventilatiousrohres  durch  eine  feine  Oeffnung 
austretender  Dampfstrahl  wirkt  durch  Mitreißen  der  Luft  stark  aspi- 
rierend auf  die  ruhende  Luftschicht  des  Rohres,  und  lassen  sich  so 
Apparate  (Ejektoren)  konstruieren,  die  im  Sinne  der  Pulsion  oder  Aspi- 
ration wirken  (Körting1  s  Pulsionsventilator,  Fig.  10).  Soll  Pulsion 
stattfinden,  so  ist  statt  des  Dampfstrahles  ein  solcher  von  komprimierter 
Luft  anzuwenden,  weil  im  ersten  Falle  ja  der  ganze  Betriebsdampf  mit 
in  den  zu  ventilierenden  Raum  dringen  würde. 

Das  von  Green  erfundene  System,  bei  dem  durch  Pumpen  ge- 
preßte Luft  in  dünnen  Röhren  durch  das  Schiff  geleitet  wird,  um,  aus 


Schiffshygiene. 


205 


kegelförmigen  Spitzen  in  weitere  Röhren  ausströmend,  in  diesen  die  Luft 
in  Bewegung  zu  setzen,  hat  sich  auf  englischen  und  deutschen  Schiften 
nicht  bewährt.  Teils  war  die  entstehende  Zugluft  zu  störend,  teils 
wurde  der  Zweck  durch  mitgerissene  Kohlen-  und  Staubteilchen  gänz- 
lich vereitelt  (Haak84).  Eingehende  Beschreibungen  und  Abbildungen 
der  verschiedensten  Ventilationstinrichtungen,  wie  sie  in  der  englischen 
Marine  gebräuchlich  sind,  finden  sich  bei  Macdonald6. 

Zieht  man  das  Endergebnis  aller  bisher  erreichten  Erfolge,  so 
scheint  es,  als  ob  die  großen  Passagierdampfer  —  wie  die  des  Lloyd 
z.  B.  —  durch  Seitenlichter,  Luken,  Niedergänge  und  Metallrohre  eine  ge- 
nügende Lüftung  erfahren ;  für  einzelne  Räume  und  unter  besonders 
ungünstigen  Verhältnissen  (Tropen ,  Windstille)  werden  für  diese  und 
für  Segelschiffe  transportable  und  Handventilatoren  hinzuzufügen  sein. 
Am  schwierigsten  liegen  die  Dinge  für  Kriegsschiffe,  Panzerschiffe, 
niedrigbordige  Monitors  und  Torpedoboote,  wo  ein  Zusammenwirken  der 
verschiedensten  Systeme  erforderlich  sein  kann,  um  in  allen,  auch  in  den 
tief  unter  der  Wasserlinie  gelegenen  und  der  Lüftung  dringend  bedürf- 
tigen Räumen  einen  einigermaßen  genügenden  Luftwechsel  zu  erzeugen. 

Weiteres  über  Ventilation  und  Ventilationsapparate  siehe  in  Bd.  IV 
237  ff.  und  in  Bd.  VIII  Seite  179. 

Zu  den  Apparaten,  die  geeignet  sind,  einer  Verunreinigung  der  Schiffs- 
atmosphäre vorzubeugen,  gehören  endlich  noch  die  Asche-Ej  ektoren. 
Früher  wurde  die  Asche  der  Kesselräume  innerhalb  eines  Schachtes  in 
Eimern  auf  Deck  gehißt  und  dann  über  Bord  beseitigt,  wobei  eine  Ver- 
stäubung des  Decks  natürlich  in  bedeutendem  Maße  stattfand.  Die 
Ejektoren  beseitigen  dieselbe  direkt  (Fig.  11).     Die  Duplexpumpe  treibt 


x*/*vp  lecco*tvn«n! 


Fig.   11.     Originalzeichnung. 


Handbuch  der  Hygiene.    Bd.  VT. 


14 


206 


D.    KULENKAMPFF, 


durch  das  Rohr  (6)  einen  Wasserstrahl  unter  12  Atmosphären  Druck, 
der  etwa  bei  (*)  aus  einer  Düse  in  das  etwas  weitere  Aschendruckrohr 
austretend,  eine  stark  saugende  Wirkung  auf  den  Inhalt  des  Einschütt- 
trichters ausübt  und  alles  mit  fortreißt.  Der  Trichter  ist  durch  ein 
Drahtgeflecht  überdeckt,  welches  alle  Asche  und  bis  faustdicke  Schlacken 
durchfallen  läßt. 

6)  Macdonald,  Outlines  of  naval  hygiene,  London  1881. 
14)  Gärtner,  Deutsche    Vierteljahr  sschr.  f   öffentl.  Gesundheitspß.  (1888). 
20)  Herwig,    Ueber  Schiffshygiene.  Berlin  1878. 

32)  Parkes,  A  manual  of  practical  hygiene,  London  1878. 

33)  Busley,  Die  neueren  Schnelldampfer,  Kiel  1885. 

34)  Haack,  Hygienische  Rundschau  (1891)  No.  8  u.   9. 

35)  Burton-Brown,  Revue  d'  Hygüne  (1891). 

36)  Busley,   Die  Schiffsmaschine,  Kiel  1885. 

37)  Gärtner,  Leitfaden  der  Hygiene,  Berlin  1892. 


Kapitel  V. 

Die  Wohnräume  des  Schiffes  und  die  sanitäre  TJeherwachung 
seiner  Bewohner. 

Die  Größe  und  Anordnung  der  Wohnräume  des  Schiffes 
ist  entweder  gesetzlich  vorgeschrieben  oder  durch  verbesserte  Kon- 
struktion so  gestaltet,  daß  billigen  hygienischen  Anforderungen  Genüge 
geschieht.  Die  Verhältnisse  der  1.  und  2.  Kajüte  mit  ihren  Salons 
und  Gängen  sind  auf  den  überseeischen  Dampfern  vorzügliche;  das 
Logis  —  der  Raum  für  die  Mannschaft  —  befindet  sich  auf  Segel- 
schiffen ganz  über  Deck  in  einem  eigenen  Deckhause,  auf  Dampfern 
unter  der  Back  oder  —  nicht  ganz  so  günstig  —  unter  dem  Oberdeck 
(Fig.  12).     Der  in  England  und  Deutschland  vorgeschriebene  Luftraum 


Fig.    12.      Schema     eines     Lloyddampfers     mit    Promenaden-     und 


Sonnendeck.     (Originalzeichnung.) 


1  Sonnendeck, 

2  Promenadendeck, 

3  Oberdeck, 

4  Hauptdeck, 

5  Zwischendeck, 
*5  Doppelboden, 
7   Wellentunnel, 


8  Kohlenbunker, 

a  Erste    Kajüte  u.  Offiziere, 

b  Zweite  Kajüte  (Poop), 

c  Logis  (Back;, 

d  Hospital, 

e  Ladung  (Last), 

n  Proviant. 


Räume  für  Auswanderer  sind 
die  über  dem  Hauptdeck 
(4)  und  die  über  dem 
Zwischendeck  (5)  gelege- 
nen. Die  dreistelligen  Zah- 
len geben  den  Kubikin- 
halt an. 


von  2,13  cbm  bei  mindestens  1,11  qm  Bodenfläche  kann  insofern  für 
genügend  angesehen  werden,  als  das  Logis  fast  nur  zum  Schlafen  be- 
nutzt wird  und  ja  immer  die  Hälfte  der  Mannschaft  zur  Wache  ist. 
Die    energischen  Proteste    englischer    Aerzte    auf  dem  internationalen 


Schiffshygiene.  207 

Kongresse  für  Hygiene  in  London  1891  gegen  „derartige  Wohnräume 
von  Sarggröße"  sind  wohl  kaum  berechtigt,  zumal  zugegeben  wurde, 
daß  die  meisten  Rheder  mehr  als  vorgeschrieben  gewährten.  Die  Ge- 
sundheitsverhältnisse der  Matrosen  scheinen  immerhin  keine  schlechten 
zu  sein,  wie  aus  den  im  1. Kapitel  (S.  187  ff.)  angeführten  Zahlen  ersichtlich 
ist.  —  Viel  wichtiger  dürfte  es  sein,  auf  die  Art  der  inneren  Einrichtung 
einzuwirken,  also  anstatt  der  dichten,  nur  mit  einem  kleinen  Einkriech- 
loch (womöglich  noch  durch  eine  Gardine  gedichtet)  versehenen  Holz- 
koien  solche  in  Eisenkonstruktion  und  in  höchstens  2  Reihen  übereinander 
zu  verlangen,  für  die  Aufbewahrung  des  oft  durchnäßten  Zeuges  schrank- 
ähnliche Abkleidungen  mit  Drahtgittern  und  Tropfrinnen  darunter,  wie 
schon  von  Mericourt  gefordert.  Finden  sich  zwischen  Wohn-  und 
Ladungsräumen  Luken,  so  ist  auf  gute  Dichtung  durch  Gummieinlagen 
oder  andere  dichte  Packung  zu  sehen. 

Nocht8,  der  bei  etwa  100  Schiffen  Messungen  anstellen  ließ,  fand, 
daß  durchschnittlich  das  Logis  für  den  Einzelnen  —  bei  voller  Be- 
mannung —  einen  Luftraum  von  3,5  cbm  gewährte,  also  erheblich 
mehr  als  das  englische  und  deutsche  Minimalmaß.  Auch  er  findet  die 
Gefahren,  welche  aus  dem  Logis  erwachsen  können,  weniger  in  dessen 
Größe  resp.  Kleinheit  belegen,  als  in  der  Einrichtung  desselben  und 
mangelnder  Reinlichkeit.  Es  ist  dies  offenbar  ein  Punkt,  auf  den 
bezüglich  der  Tuberkulose  noch  mehr  als  bisher  auf  Schiffen  Wert  ge- 
legt werden  muß. 

Bezüglich  der  sanitären  Verhältnisse  des  Z  wischend  eck  s  ist  in 
erster  Linie  dessen  Lage  entscheidend.  Da  auf  diesen  Raum  die  oft 
1000  und  mehr  Köpfe  ausmachende  Zahl  der  Auswanderer  angewiesen 
ist,  so  kommt  hier  alles  auf  eine  möglichst  direkte  Kommunikation  mit 
der  Atmosphäre  an.  England  und  Amerika  fordern  für  das  „obere 
Passagierdeck"  2,5  bis  3,  für  das  untere  3  bis  4  cbm  Luftraum.  Als 
Zwischendeck  wird  nun  zwar  stets  der  Raum  bezeichnet,  der  unmittelbar 
unter  dem  Hauptdeck  belegen  ist  (siehe  Fig.  12),  da  aber  in  den  Namen 
der  verschiedenen  Räume  nicht  immer  genau  unterschieden  wird,  auch 
kaum  ein  Ausdruck  zu  finden  ist,  der  nicht  durch  neue  Aenderungen  in 
der  Konstruktion  hinfällig  werden  könnte  (für  die  Bezeichnung  der  ver- 
schiedenen Decks  ist  technisch  die  Lage  des  „Konstruktionsdecks"  maß- 
gebend), so  ist  im  Hamburger  Gesetz  von  1887  sowie  in  Bremen  be- 
stimmt, daß  die  Räume  für  Zwischendeckspassagiere  mit  ausreichendem 
Tageslicht  versehen  sein  müssen.  Dieses  muß  „den  Anordnungen  der 
Besichtiger  entsprechend  durch  Deckgläser  oder  Seitenfenster  eingeführt 
werden"  und  „hat  das  Schiff  mehrere  Decke,  so  darf  das  unterste  zur 
Aufnahme  von  Passagieren  nicht  benutzt  werden".  Hiernach  wäre  das 
in  Amerika  zulässige  second  deck  below  the  main  deck  ausgeschlossen 
(Fig.  12).  Uebrigens  sind  in  manchen  der  für  Auswanderer  speziell  ge- 
bauten Lloydschiffe  auch  die  Hauptdecks  vollständig  für  „Zwischen- 
decker" eingerichtet.  Nicht  unwichtig  ist  ferner,  daß  in  dem  Räume 
unmittelbar  unter  dem  obersten  Deck,  falls  es  von  Eisen  ist,  Passagiere 
nur  logiert  werden  dürfen,  wenn  es  mit  einem  verbolzten  hölzernen 
Schutzdeck  von  7  cm  Dicke  versehen  ist.  Vieh  darf  oberhalb  der  für 
Passagiere  bestimmten  Räume  nicht  transportiert  werden.  —  Während 
aun  die  Schiffe  der  deutschen  Kriegsmarine  (für  welche  weder  in 
Deutschland  noch  in  anderen  Ländern  gesetzliche  Vorschriften  bestehen) 
je  nach  der  Lage  der  verschiedenen  Abteilungen  pro  Kopf  einen  Luft- 
raum  von  3,9 — 5,3  cbm   gewähren,   so  ist  dieser  übereinstimmend  mit 

14* 

23 


208  D.    KULENKAMPFF, 

dem  amerikanischen  Gesetz  von  1882  in  Hamburg  und  Bremen  für 
Passagierdampfer  auf  2,85  cbm  normiert,  ausschließlich  Ladung,  Gepäck 
und  Proviant  berechnet.  Die  Angabe  von  Wem  ich  und  Webmer88, 
die  Bremer  Schiffe  „wirtschafteten"  noch  mit  1,75  cbm,  ist  seit  1891  un- 
richtig. (S.  Bremer  Gesetzblatt  1891  No.  3.)  Bedeutsam  ist  hierbei,  daß  als 
Mindestbetrag  eine  Höhe  von  1,83  m  festgesetzt  ist,  und  eine  mehr  als 
2,4  m  betragende  Raumhöhe  nicht  gerechnet  wird.  Leider  zählen  dabei 
2  Kinder  unter  10  Jahren  für  einen  Erwachsenen  (in  Amerika  2  unter 
8  Jahren)  und  solche  unter  1  Jahre  gar  nicht.  Auf  Deck  muß  für 
jeden  Zwischendeckspassagier  ein  Raum  von  mindestens  0,25  qm  zur 
Benutzung  frei  bleiben,  ein  offenbar  viel  zu  geringes  Maß.  In  Eng- 
land werden  0,45  gefordert.  Alle  diese  Bestimmungen  sind  auf  ihre 
Ausführung  von  den  Besichtigern  zu  überwachen  und  ist  die  Zahl  der 
zulässigen  Passagiere  in  den  Räumen  anzuschlagen. 

Gesetzlich  3  9  sind  die  Familien ,  die  allein  reisenden  Männer  und 
Frauenzimmer  im  Alter  über  10  Jahren  in  3  völlig  getrennten  Abteil- 
ungen unterzubringen.  Diese  sind  an  und  für  sich  durch  die  eisernen 
Querschotten  vorgezeichnet,  da  aber  die  Verhältniszahlen  auf  jeder 
Reise  wechseln,  so  werden  innerhalb  der  Compartments  Unterabteilungen 
durch  hölzerne  Scheidewände  hergestellt.  Die  Schwierigkeiten ,  die 
hieraus  den  auf  die  ursprüngliche  Abtrennung  berechneten  Ventilations- 
anlagen erwachsen ,  werden  einigermaßen  dadurch  umgangen ,  daß  die 
Scheerwäude  nur  bis  auf  einen  Abstand  von  etwa  30  cm  unter  der 
Decke  hochgeführt  werden.  Da  offenbar  eine  besondere  Abteilung  für 
alleinreisende  Frauenzimmer  mit  gewissen  moralischen  Gefahren  ver- 
bunden ist,  so  wird  für  diese  nach  Hamburger  Gesetz  eine  „Matrone" 
(eventuell  aus  den  Passagieren  selbst  gewählt)  angestellt,  welche  dort 
zu  nächtigen  hat,  und  die  zur  Aufrechterhaltung  der  Ordnung  und  jeder 
Hilfeleistung  verpflichtet  ist.  Eine  treffliche  Neuerung  ist  die  Zulassung 
von  „Kammern"  im  Zwischendeck,  die  für  höchstens  16  Personen  längs 
der  Schiffsaußenwand  gelegen  und  durch  einen  mit  ausreichendem  Tages- 
licht versehenen  Raum  in  der  Mitte  getrennt,  für  größere  Familien  und 
Verwandtentrupps  sehr  geeignet  sind.  Die  mittlere  dient  dann  als 
Tagesraum.  — 

Die  Koien,  ohne  Ausnahme  aus  Eisen  mit  Rahmen  aus  flachen 
Blechgurten,  dürfen  in  höchstens  2  Reihen  übereinander  liegen,  müssen 
0,15  m  vom  Boden,  0,75  von  der  Decke  entfernt  sein  und  eine  Länge 
von  1,83,  eine  Breite  von  0,6  m  haben.  Die  Gänge  zwischen  ihnen 
sind  0,6  m  breit.  Jede  darf  mit  höchstens  1  Person  oder  2  Kindern 
belegt  werden.  Dadurch,  daß  für  jede  Reise  ein  Strohsack  nebst  Kopf- 
stück vom  Rheder  neu  zu  liefern  ist,  wird  der  Einschleppung  von 
Schmutz  und  Infektionsstoffen  durch  die  Auswanderer  sehr  wirksam 
vorgebeugt.  Die  Anordnung  der  Koien  innerhalb  des  Zwischendecks 
ist  auf  den  verschiedenen  Schiffen  nicht  die  gleiche;  am  günstigsten 
erscheint  es,  wenn  ein  Gang  an  den  beiden  Außenwänden  des  Schiffes 
ausgespart  wird,  da  hierbei  die  Spantzwischenräume  und  die  dort  be- 
legenen Wassergänge  der  Reinigung  besser  zugängig  bleiben.  Eine 
Erwärmung  des  Z  wischen  decks  findet  an  kälteren  Tagen  durch 
einen  Heizkörper  mittelst  Dampf  statt.  Für  die  Beleuchtung  sind 
elektrische  Glühlampen  vorhanden. 

Ueber  die  Art  und  Einrichtung  der  Aborte  bestehen  für  Handels- 
schiffe nur  sehr  allgemein  gehaltene  Bestimmungen,  und  waren  die  Ein- 
richtungen  früher    ungemein   primitive,    resp.    fehlten   gänzlich.     Auf 

24 


Schiffshygiene.  20!) 

Passagierschiffen  müssen  gesetzlich  nach  den  Geschlechtern  getrennte, 
womöglich  auf  die  beiden  Schiffsseiten  so  verteilte  Aborte  vorhanden 
sein  (stets  auf  Deck),  daß  sie  von  den  einzelnen  Zwischendecksausgängen 
auf  möglichst  kurzem  resp.  geschütztem  Wege  zu  erreichen  sind. 
Während  England  3  Klosetts  für  200  Personen  verlangt  und  in  „ange- 
messenem" Verhältnis  gesonderte  für  Frauen  und  Kinder,  so  müssen 
nach  deutschem  Gesetz  mindestens  2,  bei  über  100  Personen,  für  je 
50  ein  Abort  mehr  vorhanden  sein.  Dieselben  liegen,  da  im  Zwischen- 
deck keine  gestattet  sind ,  in  den  Halbdecks  an  den  Gängen ,  haben 
Cementfußboden  (auf  den  großen  Dampfern) ,  ein  bis  zur  durchschnitt- 
lichen Wasserlinie  reichendes  Fallrohr  und  werden  durch  Kühlwasser 
aus  dem  Kondensator  oder  aus  besonderen  Seewasserreservoirs  gespült. 
Bezüglich  der  Konstruktion  der  Wasserklosetts,  insbesondere  der  mit 
vielen  Sitzlöchern,  wie  sie  auf  Auswanderer-  und  Kriegsschulen  erfor- 
derlich sind,  hat  Nocht40  sehr  detaillierte  und  zutreffende  Vorschriften 
aufgestellt.  Die  wichtigsten  Punkte  sind,  das  Fallrohr  in  möglichst  ge- 
rader Linie  abwärts  zu  führen,  es  gegen  den  Trichter  durch  ein  Ventil 
abzuschließen  und  unterhalb  des  letzteren  ein  Entlüftungsrohr  anzu- 
bringen ,  da  beim  Aufdrängen  der  Wellen  im  Fallrohr  die  Luft  stark 
emporgetrieben  und  komprimiert  wird.  Bewährt  haben  sich  Tröge  aus 
verzinntem  Kupferblech,  die  innen  alle  8  Tage  mit  Teerfirnis  (der  in 
2  Stunden  trocknet)  gestrichen  werden,  darüber  ein  aufklappbares  Sitz- 
brett, in  das  eine  Anzahl  Brillenlöcher  eingeschnitten  sind.  Jeder  Trog 
hat  nur  ein  Fallrohr,  von  seinem  tiefsten  Punkte  ausgehend.  Im  Troge 
muß  eine  kleine  Wassermenge  stehen  (etwa  20  cm  hoch)  und  wird  dann 
1 — 1  1/2-stündlich  das  Ventil  ausgehoben  und  durch  eine  eigene  Pumpe 
gründlich  gespült.  Auf  Passagierdampfern  bereitet  die  Anlage  des 
Klosetts  am  Oberdeck  in  den  Gängen  keine  Schwierigkeiten,  auf  Kriegs- 
schiffen werden  dieselben  jetzt  vielfach  in  eigenen,  außerbords  gelegenen 
Häuschen  angebracht,  die  von  einer  frei  über  dem  Wasser  heraus- 
ragenden Plattform  aus  zugänglich  sind ,  sodaß  sie  also  eigentlich  mit 
dem  Schiffsraum  selbst  kaum  in  Verbindung  stehen.  Für  die  Aborte, 
welche  im  Innern  des  Schiffes  liegen  (für  Offiziere ,  Kajütspassagiere, 
für  das  Hospital)  sind  nur  die  besten  Wasserklosettkonstruktionen 
brauchbar :  Rundspülung,  Entlüftungsrohr,  Abschluß  des  Trichters  durch 
einen  Hahn ,  da  alle  Klappen-  nnd  Feder  Vorrichtungen  unsicher  sind, 
gesonderte  Abfallrohre,  in  die  keine  anderen  (von  Ausgüssen  etc.)  mün- 
den, da  diese  ja  als  Entlüftungsrohre  wirkend,  die  Luft  verunreinigen 
würden.  Nach  Nocht  hat  sich  in  der  Marine  das  Boerner'sche 
Patentklosett  bewährt.  Ein  dem  Hospital  direkt  anliegendes  Klosett 
bedarf  besonderer  Beaufsichtigung  und  darf  nur  von  den  Schwerkranken 
benutzt  werden.  Selbstverständlich  müssen  alle  Klosetts,  wenn  irgend 
thunlich ,  nicht  unter  der  Wasserlinie  oder  nahe  derselben  angebracht 
sein,  da  sonst  bei  nicht  ganz  dichtem  Verschluß  Wrasser  in  den  Raum 
eindringen  kann.  Läßt  es  sich  nicht  vermeiden,  sie  so  tief  zu  legen, 
so  muß  das  Fallrohr  über  die  Wasserlinie  hoch  geführt  und  dann  ab- 
wärts gebogen  erst  durch  die  Schiffswand  gelegt  werden.  Eine  Saug- 
und  Druckpumpe  treibt  die  Fäkalien  hindurch  und  besorgt  die  Spülung, 
bei  einem  von  der  Firma  Börneru.  Co.  und  Henneberg  hergestellten 
in  sehr  einfacher  Weise  durch  einmalige  Hin-  und  Herbewegung  eines 
langen  Hebels  (Haack  34).  —  Für  Pissoirs  gelten  ähnliche  Grundsätze, 
die  Wichtigkeit  derselben  ist  eine  bedeutende,  da  bei  öfterer  Benutzung 


210  D.    KÜLENKAMPFF, 

der  Nachttöpfe  die  Luft  in  den  engen  Kabinen,    besonders  bei  warmer 
Witterung,  hochgradig  verschlechtert  wird. 

Was  die  Hautpflege  anlangt,  so  scheint  hierfür  auf  der  Han- 
delsmarine noch  zu  wenig  zu  geschehen.  Und  doch  ist  dieselbe  gerade 
bei  Seeleuten  besonders  wichtig,  da  Ausschläge  —  besonders  in  den 
Tropen  —  Eiterbeulen  und  Hautentzündungen  bei  ihnen  besonders 
häufig  sind.  Es  ist  also  vor  allem  auf  reichlichere  Beschaffung  süßen 
Wassers  zu  dringen ,  und  es  nicht  bei  ganz  allgemeinen  Vorschriften 
für  den  Kapitän,  hierauf  achten  zu  müssen,  zu  belassen.  Da  Wannen- 
bäder wegen  der  großen  erforderlichen  Wassermengen  nicht  in  Frage 
kommen,  zumal  wenn  es  nicht  gestattet  sein  soll,  daß  mehrere  Personen 
nach  einander  dasselbe  Wasser  benutzen,  so  kann  es  sich  nur  um  die 
Errichtung  von  Regenbädern  handeln.  Das  Wasser  wird  mittelst  Pumpe 
(aus  Tanks  oder  auch  direkt  aus  dem  Meere  bei  mangelndem  süßen) 
beschafft  und  kann  durch  Vermischung  mit  Dampf  erwärmt  werden, 
indem  WTasser-  und  Dampfrohr  sich  an  der  Decke  des  Raumes  ver- 
einigen und  die  Zuflußmengen  durch  ein  eingelassenes  Thermometer 
reguliert  werden  (Nocht).  Kaltes  Wasser  ist  in  erster  Linie  nur  zur 
Abkühlung  in  den  Tropen  (gegen  Hitzschlag  und  Sonnenstich)  brauch- 
bar, es  kann  dann  ein  Brausekopf  an  den  Pumpenschlauch  geschraubt 
werden,  oder  man  füllt  hoch  aufgehängte  Fässer  damit,  deren  unterer 
Boden  aus  durchlöchertem  Segeltuch  gebildet  ist.  Auf  den  großen  Aus- 
wandererdampfern finden  sich  gut  eingerichtete  Bade-  und  Waschhäuser 
mit  cementiertem  Fußboden  und  Kippbecken  aus  Blech,  und  erhalten 
die  Auswanderer  (Kondensations-) Wasser  nach  Bedarf. 

Auf  der  deutschen  Marine  finden  sich  Badeeinrichtungen  im 
Zwischendeck  in  der  Nähe  der  Maschine,  mit  Einzel  wannen  aus  Zink, 
die  mit  Seewasser  gefüllt  und  durch  Dampf  erwärmt  werden ;  auf 
einigen  Schiffen  dagegen  große  Zinkkasten  oder  mit  Blei  ausgeschlagene 
Baderäume,  in  denen  15  Mann  gleichzeitig  abgebraust  werden  können. 
Nocht  berechnet,  daß  sich  auf  diese  Weise  300  Mann  in  2  Stunden 
mit  einem  Wasserverbrauch  von  45001  reinigen  lassen.  Da  außerdem 
an  Gebrauchs wasser  in  der  Marine  pro  Kopf  6  1  auf  den  Tag  vorge- 
schrieben sind,  so  ist  die  Größe  der  Destillierapparate  dementsprechend 
zu  berechnen. 

Von  großer  Wichtigkeit  sind  ergiebige  Warmwasserbrausen,  und  ist 
zu  diesem  Zwecke  in  vorzüglicher  Weise  brauchbar  der  Patent-Dampf- 
Wasser- Mischhahn  von  Schaffe r  und  WTalcker,  bei  welchem  der 
Dampf-  und  Wasser-Zufluß  mittels  eines  Hahnes  durch  einen  Hand- 
griff nach  Belieben  reguliert  werden,  der  Dampf  nie  allein  ausströmen 
und  das  Wasser  bis  auf  höchstens  40°  erwärmt  werden  kann.  Der  in 
der  Kriegsmarine  eingeführte  Schaffstädt' sehe  Gegenstromapparat 
beruht  auf  dem  Prinzip,  daß  das  in  dem  Rohr  zum  Brausekopf  auf- 
steigende Wasser  durch  den  in  einem  Umhüllungsrohr  abwärts  strömenden, 
sich  unten  kondensierenden  Dampf  erwärmt  wird.  Eine  mit  Zahlen 
versehene  Teilscheibe  gestattet  das  Einstellen  der  Hähne  auf  eine  be- 
stimmte Wassertemperatur,  sowie  ein  allmähliches  Absinken  der  Tem- 
peratur durch  langsames  Zurückdrehen  des  Dampfhahnes.  Ein  Aus- 
strömen zu  heißen  Wassers  oder  Mitreißen  von  Dampfteilchen  ist  also 
ausgeschlossen  (Nocht8).  Für  Segelschiffe  empfiehlt  Nocht  behufs 
Herstellung  warmen  WTassers  den  transportablen  Dampferzeuger  von 
Rothe  und  Grünewald  (D.  R. -P.  53220).  Derselbe  besteht  aus 
einem  doppelwandigen  (Kieselguhrfüllung)  Eisencylinder.  In  diesen  wird 

26 


Schiffshygiene.  211 

ein  durchlochter  glühend  gemachter  Eisenbolzen  eingesetzt  und  dann 
der  Deckel  dampfdicht  aufgeschraubt.  Läßt  man  nun  durch  einen  Hahn 
Wasser  auf  den  Bolzen  einströmen,  so  bildet  sich  Dampf,  der  durch 
eine  besondere  Oeftnung  austritt  und  durch  direkte  Zumischung  zum 
Badewasser  oder  durch  Anwärmung  nach  dem  Prinzip  des  Gegenstromes 
die  Erwärmung  besorgt.  Der  Apparat  fällt  nicht  unter  das  Dampfkessel- 
Gesetz;  mit  einem  oder  mehreren  (15  kg  schweren)  Bolzen  und  etlichen 
Litern  Wassers  lassen  sich  beträchtliche  Dampfmengen  erzeugen  oder 
auch  bei  gleichzeitiger  Benutzung  von  2  Apparaten  kontinuierliche 
Dampfströmungen  herstellen,  sei  es  zu  Bade-(Brause-)Zwecken,  sei  es 
zu  dem  der  Desinfektion.     (Hansa  1895  No.  6.) 

Was  die  Schiffs küchen  anlangt,  so  haben  die  Segelschiffe  zum 
Teil  noch  jetzt  —  wie  früher  ganz  allgemein  —  die  Kocheinrichtung 
in  den  Mannschaftsräumen ,  nur  daß  an  Stelle  der  stark  rauchenden 
Steinherde  mit  Rauchfang  darüber  oder  der  zerbrechlichen,  undichten 
Gußeisenherde  solche  aus  Schmiedeeisen  getreten  sind.  Auch  wird  die 
Kombüse  jetzt  meist  in  einem  eigenen  Deckshause  aufgestellt,  außer  auf 
Kriegsschiffen,  wo  ebenfalls  ein  Teil  des  Mann  Schaftsraumes  dazu  be- 
nutzt wird.  Alle  größeren  Schiffe  sowie  solche  für  langdauernde  Reisen 
sind  mit  eigenen  Backapparaten  und  Dampfkochherden  bester  Kon- 
struktion ausgerüstet. 

Nach  Hamburger  und  Bremer  Gesetz  müssen  sich  auf  jedem  (Aus- 
wanderer-)Schiffe  mindestens  2  abgesonderte,  wenn  thunlich  oberhalb 
des  Zwischendecks  gelegene  Hospital  räume  befinden ,  in  einer 
Größe  von  mindestens  2,6  qm  Bodenfläche  bei  1,83  Deckhöhe  für  je 
50  Passagiere,  für  welche  2  völlig  bezogene  Betten  aufzustellen  sind. 
Die  Zahl  von  4  Betten  für  je  100  Personen  dürfte  für  gewöhnliche  Ver- 
hältnisse durchaus  genügen,  seitdem  1887  bestimmt  worden  ist,  daß 
jener  geforderte  Raum  nicht  von  dem  gesetzmäßigen  Gesamtraum  ab- 
gezogen werden  darf.  —  Wünschenswert  ist,  daß  das  Hospital  weder 
ganz  vorn,  wo  das  Schiff  sehr  stampft,  noch  hinten  über  der  Schraube 
gelegen  ist. 

Von  den  Koien  ist  in  der  Regel  eine  für  gelegentliche  Entbind- 
ungen so  eingerichtet,  daß  sie  durch  Umlegen  der  Vorderwand  besser 
zugänglich  ist.     Sehr  empfehlenswert  wären  auch  —  wenigstens  einige 

—  Krankenhängematten  nach  W  a  1  b  r  a  c  h  (Herwig44),  die  durch  Sperr- 
hölzer ausgespannt  und  befestigt,  einen  Gurtenrahmen  tragen.  Aller- 
dings beanspruchen  sie  wegen  des  Schwingens  etwas  mehr  Raum.  Aehn- 
liche  Vorrichtungen  sind  auf  der  österreichischen  Marine  als  Trans- 
portmittel innerhalb  des  Schiffes  in  Gebrauch  (siehe  Abbildung  bei 
Plumert  S.  41).  Für  den  Fußboden  des  Hospitals  sollte  eigentlich 
Linoleumbelag  vorgeschrieben  werden.  Als  Desiderien  bezeichnet 
Herwig  mit  Recht  einen  Klapptisch  für  Operationen,  einen  Uten- 
silienschrank  und  gesondertes  Eßgeschirr  für  die  Kranken. 

In  der   deutschen  Kriegsmarine  x  7    ist  für   das  bleibende  Lazarett 

—  das  auf  2  Proz.  der  Besatzung  eingerichtet  sein  muß  —  vorge- 
schrieben: Anstrich  der  Decken  und  Wände  mit  Zinkweiß,  des  Fuß- 
bodens mit  Leinöl  (oder  Belag  desselben  mit  undurchlässigem  Stoff), 
ein  Abort  und  Badekammer  in  der  Nähe,  und  feststellbare  Schwinge- 
bettstellen. Vorübergehende  Lazarette  werden  durch  Segeltuchvorhänge 
an  geeigneter  Stelle  errichtet  als  Reserve  und  für  ansteckende  Kranke. 
Auf  den  fLloydschiffen   ist  in    der   Regel  ein   besonderer  Raum   für 

27 


212  D.   KULENKAMPFF, 

Pockenkranke   vorgesehen.     Ueber  die  Einrichtung  besonderer 
Hospitalschiffe  findet  sich  das  Nähere  bei  Bugge41. 

Bezüglich  der  Fürsorge  für  Kranke  schreiben  Hamburg  und  Bremen 
für  ;ein  Schiff  mit  mehr  als  50  Passagieren  einen  approbierten 
Arzt  vor,  während  bei  geringerer  Anzahl  ein  vom  Hafenarzt  geprüfter 
Krankenwärter  genügt.  Auf  jedem  Auswandererschiffe  muß  ein  zur 
Krankenpflege  geeigneter,  seefester  Mann  an  Bord  sein,  der  unter 
Aufsicht  des  Kapitäns,  beziehungsweise  des  Arztes  nur  zur  Kranken- 
pflege und  den  mit  der  Reinhaltung,  Desinfektion  und  Ventilation  ver- 
bundenen Dienstleistungen  benutzt  werden  darf.  Auf  Verlangen  der 
Behörde  ist  auch  eine  weibliche  Pflegerin  anzustellen.  Jedes  Schiff 
ohne  Ausnahme  muß  mindestens  ein  Exemplar  eines  ärztlichen  Rat- 
gebers mitführen,  in  Hamburg  den  von  M.  Schmidt42,  in  Bremen 
und  den  anderen  Uferstaaten  den  im  kaiserlichen  Gesundheitsamte  be- 
arbeiteten, welcher  in  den  preußischen  Navigationsschulen  obligatorisch 
ist  für  den  ärztlichen  Unterricht,  der  den  Schülern  der  Schifferklasse 
erteilt  wird.  Ueber  die  vorschriftsmäßige  Einrichtung  resp.  Revision 
der  im  Anhange  zu  dem  letztgenannten  Buche  zusammengestellten 
Mittel  für  die  Medizin kiste  ist  in  Hamburg  ein  von  jedem  Apotheker 
kostenfrei  erhältliches  Attest  vorzulegen.  Vor  Beginn  jeder  Reise  findet 
übrigens  Revision  durch  den  Untersuchungsarzt  statt. 

Die  Behörde  für  das  Auswandererwesen  besteht  aus 
2  Senatoren  und  3 — 5  Mitgliedern  der  Handelskammer,  für  die  Ueber- 
wachung  der  Mannschaften  sind  die  Besichtiger  (meist  frühere  Kapitäne) 
resp.  der  Hafenarzt  angestellt.  Neben,  aber  unabhängig  von  den  Be- 
sichtigern, denen  die  Kontrolle  über  Verproviantieruog,  Größe  der  Räume, 
Zahl  der  zulässigen  Passagiere,  Ventilation  obliegt,  wirkt  der  Reichs- 
kommissar für  das  Auswanderungswesen. 

Sehr  bedeutsam  ist  die  sanitäre  Ueberwachung  der  Aus- 
wanderer (Kajüttspassagiere  und  Mannschaft  sind  nicht  namhaft 
gemacht),  vor  Betreten  des  Schiffes;  in  Bremen  von  einem  vom  ameri- 
kanischen Konsul  für  diesen  Zweck  angestellten  Arzte  in  Gemeinschaft 
mit  dem  betreffenden  Schiffsarzt,  in  Hamburg  von  dem  beamteten 
Hafenarzt  in  einem  besonders  hierfür  bestimmten  Lokale.  Dieser  hat 
Kranke  oder  Erschöpfte  nach  seinem  Ermessen,  unbedingt  aber  alle  mit 
akuten  Exanthemen,  Erysipelas,  Phlegmone,  Puerperalfieber,  Diphtherie, 
Ruhr,  Typhus,  Cholera  Behafteten  (zu  Cholerazeiten  auch  jeden  an  Diar- 
rhöe Leidenden),  sowie  solche,  die  als  im  Stadium  incubationis  ver- 
dächtig sind,  zurückzubehalten ;  erstere  sind  einem  Krankenhause,  letz- 
tere einer  Quarantänestation  zu  überweisen.  Außerdem  hat  in  Hamburg 
der  Hafenarzt  sehr  weitgehende  Befugnisse  in  Beziehung  auf  die  Ueber- 
wachung aller  einlaufenden  oder  ankernden  Schiffe,  er  kann  Desinfek- 
tions-  und  Transportkolonnen  direkt  requirieren,  und  alle  Angestellten 
der  Hafenpolizei  haben  seinen  Weisungen  Folge  zu  leisten  (Verordnung 
vom  Juli  1893). 

Der  Hafenarzt,  dem  mehrere  Assistenten  zur  Seite  stehen,  hat 
im  einzelnen :  jedes  von  See  kommende  Schiff  sowie  dessen  Mannschaft 
zu  besichtigen  und  besonders  jedes  in  Cuxhaven  einer  gesundheitlichen 
Kontrolle  unterliegende  Schiff  in  den  ersten  Tagen  nach  der  Ankunft 
in  Hamburg  auf  das  genaueste  zu  untersuchen ,  eine  Kontrolle ,  die 
während  des  Herrschens  von  Epidemien  auf  alle,  auch  die.  aus  dem 
oberen  Stromgebiete  kommenden  Fahrzeuge  ausgedehnt  werden  kann. 
Die  Mannschaft  der  im  Hafen  liegenden  Schiffe  hat  er  in  geeignet  er- 

28 


Schiffshygiene.  213 

scheinenden  Zwischenräumen  auf  ansteckende  Krankheiten  zu  unter- 
suchen, zu  Epidemiezeiten  eventuell  täglich,  die  Ueberführung  ins 
Krankenhaus,  Desinfektionen  und  Impfungen  anzuordnen,  jeden  Fall  von 
Skorbut  nach  allen  Richtungen  zu  erforschen.  Endlich  ist  von  ihm  das 
von  den  Schiffen  an  Bord  gebrachte  Wasser  zu  prüfen,  Verunreinigungen 
des  Hafens  vom  Ufer  oder  den  Schiffen  aus  sind  möglichst  zu  kontrol- 
lieren, sowie  auch  die  Wassertanks  und  Zuleitungsschläuche  auf  ihre 
Beschaffenheit  zu  untersuchen.  Auf  sanitäre  Mängel  hat  er  die  Kapi- 
täne aufmerksam  zu  machen  und  behufs  Abstellung  derselben  ihnen  so 
wie  den  Rhedern  mit  seinem  Rate  behilflich  zu  sein. 

Die  Impfungen  betreffend,  so  ist  zn  bemerken,  daß  nach  Anord- 
nung der  amerikanischen  Regierung  alle  Zwischendeckspassagiere  kurz 
vor  dem  Betreten  des  Schiffes  geimpft  werden  müssen.  Der  Kapitän 
hat  sich  beim  Quarantänearat  in  Amerika  über  die  Ausführung  dieser 
Maßregel  auszuweisen.  Nach  den  in  Bremen  gemachten  Beobachtungen 
ist  bei  etwa  der  Hälfte  der  Personen  die  Impfung  von  Erfolg. 

Einen  außerordentlich  günstigen  Einfluß  hat  die  seit  1893  einge- 
führte Desinfektion  und  Reinigung  aller  Auswandererzüge  in  Ruhleben 
bei  Charlottenburg -Berlin  ausgeübt.  Dieselbe  wurde  eingerichtet,  um 
nicht  die  Auswanderung  über  Bremen  wegen  der  Cholera  ganz  unter- 
sagen zu  müssen.  In  Antwerpen  finden  sich  vorzügliche  Desinfektions- 
und Reinigungseinrichtungen  für  die  Auswanderer. 

8)  Hansa,  Deutsche  nautische  Zeitschrift  (1895)   No.   7. 

17)  Marinesanitätsordnung,  Berlin  1893. 

34)  Haack,  Hygienische  Rundschau  (1891)  No.  8  u.   9. 

38)  Wernich  und  Wehmer,  Lehrbuch  der  öffentlichen  Gesundheitspflege  (1894)  456. 

39)  Hamburger  und  Bremer  Gesetzblatt  (1866—1894)   1893,   620. 

40)  Nocht,  Beiheft  2,    Marine-  Verordnungsblatt  No.  68. 

41)  Bugge,    Ueber  Hospital  schiffe,  Marine- Verordnungsblatt,  Beiheft  56. 

42)  Schmidt,   Aerztlicher  Batgeber  für  Schiffsführer,  Leipzig  1885. 

43)  Reincke,  Das  Hamburger  Gesetz  von  1887,  Deutsche    Vierteljahrs  sehr.  f.  bffentl.   Gesund- 
heitspflege (1888). 

44)  Walbrach,    Viertelfahrsschr.  f.  gerichtl.   Medizin,  19.   Bd. 

Kapitel  VI. 
Die  Ernährung  an  Bord  von  Schiffen. 

Die  Schwierigkeiten  einer  geeigneten  Ernährung 
liegen  auf  Seeschiffen  besonders  darin,  daß  frische  Kost  stets  nur  auf 
kurze  Zeit  zu  beschaffen  ist  und  die  durch  Konservierungs-  und  Trocken- 
methoden haltbar  gemachten  Substanzen  an  Nährwert,  besonders  aber 
Geschmackswert  einbüßen.  Dazu  kommt,  daß  häufig  durch  Seekrank- 
heit hochgradige  Schwächezustände  des  Magens  erzeugt  werden,  daß 
andererseits  bei  dem  auf  See  gesteigerten  Hunger  und  der  bekannten 
Neigung  zu  Darmträgheit  Ueberladung  der  Verdauungsorgane  mit 
ihren  Folgen  (insbesondere  katarrhalische  Ruhr)  häufig  sind,  zumal  es 
sich  um  Menschen  aller  Altersstufen  und  von  sehr  verschiedenen  Lebens- 
gewohnheiten handelt. 

Das  Salzrindfleisch,  noch  immer  nicht  entbehrlich  neben  den 
nach  Apperts  Methode45  konservierten  Fleischarten,  die  außerdem 
recht  faserig  sind  und  auf  die  Dauer  von  zu  indifferentem  Geschmack, 
verliert  an  die  Lake  einen  großen  Teil  der  Salze  und  Extraktivstoffe,  des 
löslichen  Eiweißes  und  Myosins,  während  beim  Schweinefleisch  die  Aus- 
laugung wegen  des  Fettgehaltes  eine  geringere  ist.    Es  ist  daher  —  da 

29 


214 


D.   KULENKAMPFF, 


der  Auslaugungsprozeß  fortschreitet  —  beim  Ankauf  auf  das  Datum 
der  Einpökelung  Gewicht  zu  legen,  auf  Fäulniserscheinungen,  besonders 
an  den  im  Fasse  zu  unterst  liegenden  Stücken  zu  fahnden  und  auch 
die  Lake  zu  prüfen,  da  diese  bei  öfterem  Gebrauche  giftige  Eigenschaften 
annehmen  kann*).  Geräucherter  Speck  findet  keine  ausgedehnte  Ver- 
wendung mehr,  und  ist  überhaupt  der  sogen.  Dauerproviant  —  Salz- 
fleisch, Speck,  Hartbrot  und  Hülsenfrüchte  —  auf  Auswandererschiffen 
ziemlich  verschwunden,  während  er  auf  Frachtschiffen,  besonders  wenn 
sie  lange  Reisen  in  Gegenden  unternehmen ,  wo  frische  Versorgung 
schwierig  ist,  noch  eine  weit  größere  Rolle  spielt.  Auf  den  großen 
Dampfern  ist  wohl  den  Anforderungen  der  Hygiene  an  Quantum  und 
Quäle  der  Nährmittel,  ja  auch  an  eine  gewisse  Schmackhaftigkeit  und 
Abwechselung  überall  Genüge  geleistet.  Hier  wird  täglich  frisches 
Brot  gebacken,  für  lange  Reisen  Schlachtvieh  mitgeführt,  frisches  Fleisch 
und  Fische  in  Eisräumen  konserviert.  —  Der  Schiffszwieback  (Hartbrot) 
bildet  auf  Segelschiffen  noch  die  gebräuchliche  Speise  —  obwohl  man 
auch  hier  angefangen  hat  zu  backen  —  wird  indes  dauernd  nicht  gut 
vertragen,  da  er  nur  eingeweicht  —  also  ungekaut  —  genossen  werden 
kann;  außerdem  verliert  er  mit  dem  Alter  au  Nährwert. 

Bezüglich  der  Fleisch-  und  Fischpräserven  ist  darauf  zu 
achten,  daß  die  Büchsen  nicht  aufgetrieben  sind,  und  daß  beim  Oeffnen 
kein  Gas  ausströmt.  In  der  Marine  wird  vorschriftsmäßig  auch  auf 
Beimengung  von  Blei  (von  der  Lötung)  und  auf  Salicylsäure  untersucht. 
—  Der  chemisch  bestimmbare  Nährwert  der  verschiedenen  Fleischsorten 
ist  in  folgender  Weise  berechnet: 


In    100  g  sind  enthalten 


Eiweifs 

Fett 

Salze 

21,9 

0,9 

1,3 

20,9 

47 

— 

14,0 

17.0 

— 

25.5 

0,2 

21,0 

97 

75.7 

5-3 

29.5 

8,o 

2,2 

33-8 

6,4 

2,9 

2,6 

77-8 

6,6 

18,7 

14.7 

l6,6 

78,4 

0,5 

1,5 

Wasser 


Ochsenfleisch,  frisch,   ohne  Knochen 
Schweinefleisch,  frisch,  mageres    .     . 
„  „       fettes    . 

Salzrindfleisch 

Salzschweinefleisch 

Präserviertes  Rindfleisch 

Corned  beef 

Geräucherter  Speck,  durchwachsen  . 

Hering,  gesalzen 

Stockfisch,  getrocknet 


75-9 
72,0 
64,0 
49-0 
9-1 
58.8 
56,9 
10,7 
47.8 
17-3 


Was  die  Gesamtmenge  des  mitzunehmenden  Proviants  anlangt,  so 
ist  bei  der  Berechnung  die  gesetzlich  bestimmte  „wahrscheinlich  längste 
Reisedauer"  (siehe  die  Details:  Hamburger  Gesetz  1884,  Bremer  von 
1889)  zu  Grunde  zu  legen.  Die  Mengen  dessen,  was  mindestens  mit- 
genommen werden  muß,  auf  den  Tag  berechnet,  sind  hier,  wie  auch 
in  Mecklenburg,  Oldenburg,  Lübeck  (Veröffentl.  d.  Kaiserl.  Ges.-Amts, 
1889  S.  346),  die  folgenden: 

(Siehe  Tabelle  Seite  215  oben.) 

Anstatt  der  Butter  ist  auch  „Margarine  bester  Qualität"  zulässig, 
ferner  —  falls  die  Passagiere  einwilligen  —  für  iL    der  Butter:   süße 


*)  Die  Wiedergewinnung    der    extrahierten  Substanzen    aus  der  Lake  durch  Diffusion 
nach  Parkes  dürfte  kaum  lohnend  sein. 


30 


Schiffshygiene. 


215 


Es  mufs  mitgeführt  werden 


für  Aus- 
wanderer 


für  die  Mannschaft  pro  Tag  und  Kopf 


Salzrindfleich 

Salzschweinefleisch 

Heringe,  3  Stck.,  oder  Stockfisch    . 

Butter 

Weifsbrot 

Kartoffeln,  frische  oder      .... 
,,  getrocknete  od.  geprefste 

Weizenmehl 

Erbsen  und  Bohnen  (%  darf  ge- 
trocknet sein  10=100  frisch)     . 

Sauerkraut       

Graupen  und  Reis 

Backobst 

Syrup  und  Zucker    

Kaffee  und  Thee 

Essig 

Vom  Heimathafen  abgehend        .     . 

Für  Kinder  von  1 — 6  Jahren  wer- 
den anstatt  eines  Quantums  von 
1050  g  Hülsenfrüchte  und  Sauer- 
kraut ,  600  g  Hafergrütze  und 
500  g  Zucker  eingestellt. 


145 
70 

75o 

30 
360 
400 

80 

72 

80 
27 
54 
18 
10 
10  u. 

0,17 


2    g 
1 


500  oder  250  g  Speck 
I    375  °der    375  g   präserviertes    Fleisch 
oder    Fisch     (doch     dies    höchstens 
2  Mal  die  Woche) 
71,4  oder  71,4  g  Schmalz  oder  Baumöl 


Erbsen,  Bohnen,  Grütze,  Graupen  zur 
Sättigung  und  aufserdem  wöchentlich 
250  g  Gemüse  (Kartoffeln,  Sauer- 
kraut oder  sonstige). 


15  g 
36  g 

20  u.  4  g 

0,035  1 

1   Bier. 


50 


Als  Ersatz  für  Butter  oder  Schmalz  isj 
ein  Mehr  von  250  g  Fleisch  oder  125  g 
Speck  gestattet.  Im  Hafen  mindestens 
wöchentlich  2  Mal  frisches  Fleisch, 
Fische,  Brot  und  Gemüse.  Wird  kein 
Bier  mehr  ausgegebeu ,  so  wird  die 
Kaffeeration  erhöht.  —  Nach  6  wöchent- 
lichem ausschliefslichen  Salzfleischge- 
uufs  mufs  2  Mal  wöchentlich  präser- 
viertes Fleisch  gereicht  werden. 


Marmelade  (auf  Reisen  nach  südlichen  Häfen).  Auf  Reisen,  deren  längste 
Dauer  auf  80  Tage  oder  mehr  angesetzt  ist,  muß  von  Beginn  an  min- 
destens einmal  wöchentlich  präserviertes  Rind-  oder  Hammelfleisch  ge- 
geben und  ferner  pro  Kopf  600  g  Citronensaft  oder  30  Acid. 
citricum  crystallisatum  und  600  Zucker  mitgenommen  worden. 

Endlich  sind  zu  rechnen  auf  je  10  Tage  für  je  100  Passagiere  an 
Mitteln  für  Kranke:  Rotwein  3  1,  Zucker  1700  g,  Sago  900,  Hafergrütze 
1700,  Graupen  1700,  kondensierte  Milch  1000  (für  jedes  Kind  unter 
1  Jahre  außerdem  500),  Salz  120. 

Zum    Vergleich    dient    die    folgende    annähernde    Tabelle    (nach 
Plumert)13: 

(Siehe  Tabelle  Seite  216.) 

In  der  1884  vom  Chef  der  Admiralität  ausgegebenen  „Anleitung 
für  Marineärzte  zur  Beurteilung  einer  gesundheitsmäßigen  Schiffsver- 
pflegung" wird  diejenige  Kost  als  die  beste  (bei  angestreDgter  Thätig- 
keit)  bezeichnet,  welche  die  Eiweißstoffe,  Kohlehydrate,  Fette  und  Salze 
annähernd  im  Verhältnis  von  150,  500,  100  und  35  enthält.  In  heißen 
Gegenden  und  bei  gleichzeitig  mäßiger  Arbeit  genügen  Mengen  von 
bezw.  120,  500,  50  und  25.  In  der  folgenden  Tabelle  findet  sich  eine 
Uebersicht  der  in  Betracht  kommenden  Nahrungsmittel  hinsichtlich  ihres 
Gehaltes  an  Nährstoffen,  doch  kommen  selbstverständlich  bei  der  Be- 
urteilung auch  die  anderen  Faktoren  der  Verdaulichkeit  einerseits  so- 
wie des  Verdauungsvermögens  andererseits  in  Betracht.  Auch  ist  auf 
Herkommen,  Gewohnheit  und  Witterung  Bedacht  zu  nehmen. 
(Siehe  Tabelle  Seite  217.) 
31 


216 


D.   KULENKAMPFF, 


Pro  Tag  u.  Kopf  auf  der 
Kriegsmarine 


Deutschland 


Oesterreich 


Frankreich 


England 


Brot,  frisches     . 

hartes  .... 
Fleisch,  frisches 

präserviertes 

Salzfleisch 
Zukost,  Reis      .     .     . 

Mehl  od.  Mehlspeisen 

Erbsen   und  Bohnen 

Kartoffeln  . 

Sauerkraut 

Gedörrtes  Obst  . 
Butter,  Käse,   Oel,  Schmalz, 

Speck    

Kaffee 

Zucker      

Branntwein 

Essig 


21 

71 
85 
30 
71 
30 

65 
15 
40 

0,25   1 


520 

52 

40 

140 


36 
20 

25 

0,5   1  (Wein) 
0,4   1 


750  (oder 
300) 
300 
(oder  200) 

80 

320 

20 


355 
20 

25 

0,04  1 
0.08  1 


680  (oder 
566) 
453  oder 

145  + 

453 
56 

255 

226 

56 
28 

21,25 
28  Chokolade 

57 

0,1  1 
0,3  1 


Die  deutsche  Ration  bietet  im  Mittel  pro  Tag  (chemisch  be- 
rechnet) 130  g  Eiweiß,  69,4  Fett,  606  Kohlehydrate,  die  öster  r-ei  ein- 
sehe 155,  53  und  550.  Die  französische  zeichnet  sich  durch  den 
Reichtum  an  Fett  sowie  Gewürzen  und  Genußmitteln  aus,  die  eng- 
lische durch  die  Mengen  an  Fleisch  und  Brot  und  den  sehr  geringen 
Fettgehalt  sowie  den  Mangel  an  Gemüsen.  Als  besonders  wichtig 
finden  sich  in  der  deutschen  Speiseordnung  das  Sauerkraut  und  ge- 
dörrtes Obst,  und  wird  für  Beschaffung  von  Gewürz  und  Grünzeug 
0,01—0,02  M.  pro  Tag  gewährt.  In  der  Verteilung  auf  die  Wochentage 
bietet  sie  außerdem  die  reichste  Abwechslung  (über  die  schwedische 
Speiserolle  siehe  Veröffentlichung  d.  Kaiserl.  Ges.-Amtes  1889  S.  416). 

Auf  den  großen  Passagierdampfern  werden  alle  diese  Rationen,  so- 
wohl was  die  Reichhaltigkeit  als  auch  Abwechslung  in  den  Speisen  an- 
langt, bedeutend  übertroffen,  wie  folgender  Auszug  aus  der  Speise- 
rolle für  die  Zwischen  de  ck spassagiere  des  Nord- 
deutschen Lloyd  zeigt: 

Wöchentlich  3  mal  frisches  und  je  1  mal  präserviertes,  1  mal  Salzrind-, 
1  mal  Salzschweinefleisch  und  1  mal  geräuchertes  Speck  (nach  den  neuesten 
Bestimmungen  soll  mittags  nur  ausnahmsweise  anderes  als  frisches 
Fleisch  verabfolgt  werden).  Dazu  Erbsen,  Bohnen,  Sauerkraut,  Reis 
und  Obst,  2  mal  wöchentlich  Pudding  und  geschälte  Kartoffeln.  Stets 
warmes  Abendessen,  Fleisch,  Kartoffeln,  Reis,  Gemüse,  Heringe  oder 
Obstsuppen.  Frühstück:  Kaffee  mit  frischem  Brot  und  Butter,  auf 
Wunsch  bei  schlechtem  Wetter  Hafergrütze.  Nachmittags:  Kaffee  mit 
Milch  und  Zucker  und  Zwieback.  Salz  und  Pfeffer  zu  freiem  Gebrauch. 
Die  Zwischendeckswärterin  hat  alle  kleinen  Kinder  täglich  zu  waschen 
und  täglich  3  mal  mit  konservierter  Milch  zu  versorgen. 

Israeliten  erhalten  gesondertes  Essen  oder  dürfen  unter  gewissen 
Bedingungen  selbst  kochen. 

Vergleicht  man  die  Bestimmungen  von  1887  mit  den  früheren4, 
die  im  ganzen  schon  billigen  Anforderungen  entsprechen,  so  sind  auch 
für  die  Frachtschiffe  manche  Verbesserungen  eingetreten.  Für  Aus- 
wanderer liegen  die  Verhältnisse  an   sich  günstiger,   da  diese  ja  fast 


32 


Schiffshygiene. 


217 


Hiervon  enthalten   100  g 


2  * 


g 


03 


g 


Ochsenfleisch,  mageres,  ohne  Knochen 

Schweinefleisch,  mageres 

„  fettes    

Hammelfleisch,  mageres 

„  (halb)  fettes 

Kalbfleisch 

Salz-Rindfleisch 

Salz-Schweinefleisch 

Präserviertes  Rindfleisch 

Corned  beef 

Geräucherter  Speck,  durchwachsen 
Fettreiche  Fische,    frische    (Lachs,    Meeraal. 

frischer  Hering) 

Fettarme  Fische,  frische  (Schellfisch,  Dorsch, 

Hecht,  Scholle,  Seezunge) 

Häring,  gesalzen 

Lachs,  geräuchert  und  gesalzen 

Stockfisch,  getrocknet 

Erbsen,  gelbe,  trocken 

Linsen,  trocken 

Bohnen,  trocken   

Reis 

Graupen       

Hafergrütze 

Gries,  Weizen- 

Gries,  Buchweizen- 

Sago 

\   \I  hl    /   Weizen-     . 

/  \  Roggen- 

Backpflaumen 

Kartoffeln,  frische 

,,  präservierte 

Weifskohl 

Rüben     

Sauerkohl     

Kommifsbrot  aus  Roggen 

Frischbrot  aus  Weizen 

Hartbrot  aus  Roggen 

„  „    Weizen 

Käse  (magerer) 

Eier 

Milch 

Zucker,  Rüben- 

„       Melassen , 

Butter 

Schmalz 

Honig 


21.9 
20,9 
14,0 
20,3 
I45 
19,0 

25,5 

9,7 

29,5 

33,8 

2,6 

17,3 

'7,1 
18,7 
24,2 
78,4 
22,8 

25,7 
24,3 

7,8 
7,2 

14,6 

10,4 

9,3 

0,5 

11,8 
11,5 
2,3 
1,9 
9,5 
1,5 
0,6 
1,9 
6,2 
6,2 

13,1 
14,3 

43,0 

I4,i 
4,1 


0,7 
0,2 
1,2 


52,4 
53,5 
49,o 
76,7 
76,2 
64,7 

75,9 
72,5 
86,2 
72,2 
67,7 

44,* 

20,7 

74,5 

7,i 

8,4 

4,8 

46,8 

5i,i 

7i,6 
76,7 


4,2 

95,5 
62,0 


73,6 


0,9 

4,7 

17,0 

2,8 

9,0 
5,i 
0,2 

75,7 
8,0 
0,4 

77,8 

7,9 

0,6 
H,7 
11,9 

0,5 

1,8 

1,9 

1,6 

0,9 

1,1 

5,9 

0,38 

1,9 

1,4 

2,1 
0,5 
0,2 
0,3 

0,25 

0,2 

1,4 

0,4 

1,1 

1,1 

7,o 
10,9 

3,9 


86,6 


1,3 


0,9 
21, o 

5,3 
2,2 

2,9 
6,6 

1,6 

1,2 
16,6 
12,0 
1,5 
2,6 
3,0 
3,3 
1,0 
1,2 
2,2 
0,50 
1,2 
0,4 
0,9 
1,4 
1,3 
0,9 
2,9 

0,8 
1,2 
1,2 
1,2 
1,9 

un- 
gefähr 

5,4 

0,6 
1,5 

2,8 

0,9 

Spuren 

0,2 


75,9 
72,0 
64,0 
76,0 
72,0 
76,7 
49,o 
9,i 
58,8 
56,9 
10  7 

72,1 

80,3 
47,8 
5i,5 
17,3 
14,9 
12,3 

*4,7 

13,1 

12,8 

IO,07 

12,5 

14,3 

12,9 

12,6 

13,7 

29,3 

75,5 
9,9 
90,0 
85,0 
89,9 
45,o 
40,5 
12,3 
6,0 

[40,0 

73,9 
87,1 

3,o 
35,o 
11,1 

1,3 
19,6 


*)  Durch  Aschenbestimmung    auf  Kaligehalt    zu    untersuchen  ;    es  soll    nicht  mehr  als 
Proz.  Asche  darin  sein. 


33 


218  D.    KULENKAMPFF, 

ausschließlich  die  großen  Hamburger  und  Bremer  Dampfer  zu  verhältnis- 
mäßig kurzen  Reisen  benutzen  und  hier  die  Konkurrenz  schon  für  eine 
möglichst  gute  Verpflegung  sorgt. 

Es  wanderten  aus  in  den  3  Jahren  1890,  91  und  92: 

über    Bremen        167  650  Personen 
Hamburg      84  560         „ 
andere  Häfen  5938         „ 
Antwerpen     50  388  ,, 

Rotterdam     19989         „ 
Frankreich    14900         „ 

Für  Deutschland  kommen  also  nur  Hamburg  und  Bremen  in  Frage, 
da  es  sich  bei  Ausgangspunkt  Stettin  auch  der  Hauptsache  nach  um 
Hamburger  Dampfer  handelt. 

Die  Art  der  Verpflegung  der  Mannschaften  auf  Frachtschiffen  hängt 
allerdings  trotz  der  Kontrolle  beim  Abgange  des  Schiffes  noch  immer 
sehr  von  dem  guten  Willen  und  der  Einsicht  des  Kapitäns  ab,  der  in 
der  Ausgabe  der  vorhandenen  Vorräte,  im  Ankauf  frischer  beim  An- 
laufen eines  Ortes  unumschränkter  Herr  ist,  gegen  den  nachträgliche 
Klage  zwar  möglich  ist,  aber  selten  angestrengt  wird.  Das  seltene 
Vorkommen  von  Skorbut  auf  deutschen  Schiffen  spricht  aber  unter 
anderem  dafür,  daß  die  Majorität  der  Kapitäne  ihre  Pflichten  ernst 
auffaßt.  Dem  Hamburger  Medizinalbüreau  kamen  in  den  letzten  4  Jahren 
seit  1890  etwa  50  Fälle  von  Skorbut  auf  im  ganzen  9  deutschen 
Schiffen  zur  Kenntnis.  Nach  Nocht  handelte  es  sich  dabei  fast  immer 
um  den  Gebrauch  verdorbenen  Proviants  oder  Trinkwassers,  nicht  um 
einen  Mangel  an  antiskorbutischen  Nahrungsmitteln,  da  die  meisten 
Rheder  ein  Mehr  an  frischem  Proviant  und  Präserven  zu  gewähren 
pflegen  als  in  der  Speiserolle  vorgeschrieben  ist.  Das,  wie  es  scheint, 
auf  der  englischen  Flotte  weit  häufigere  Vorkommen  des  Skorbut 
wird  übereinstimmend  von  Aerzten  und  Seeleuten  auf  die  fettarme 
und  einseitige  Fleischkost  geschoben  (siehe  auch  Armstrong46). 
Dafür  spricht  auch,  daß  die  Engländer  mehr  als  alle  anderen  Na- 
tionen so  großen  Wert  auf  den  Citronensaft  (lime  juice)  legen ,  der 
nach  ihrem  Gesetz  vom  10.  Tage  der  Reise  an  jedem  gereicht  wer- 
den muß,  während  nach  deutscher  Verordnung  die  Citronenlimonade, 
„sobald  und  solange  das  Schiff  sich  südlicher  als  der  40.  °  nördlicher 
Breite  befindet,  zweimal  wöchentlich  gegeben  werden  muß",  eine  Vor- 
schrift, die  nicht  ganz  verständlich  ist.  Das  Kaiserl.  Ges. -Amt  schreibt 
vor :  tägliche  Verausgabung  3  Wochen  nach  Verlassen  des  letzten  Hafens. 
(Siehe  ebenda  auch  die  Vorschriften  über  Beschaffenheit  und  Dosierung 
des  Saftes.)  Daß  gut  erhaltener  Citronensaft  ein  treffliches  Antiscor- 
buticum  ist,  unterliegt  wohl  keinem  Zweifel,  ebenso  wenig  aber,  daß  er 
sich  vielfach  in  einem  ungenießbaren  Zustande  befindet  und  von  den 
Matrosen  weggegossen  wird,  falls  er  nicht  unter  Aufsicht  eines  Offiziers 
getrunken  wird,  wie  es  die  Engländer  verlangen.  Wichtiger  ist  also 
unbedingt,  außer  dem  Gebrauch  präservierten  Fleisches  neben  dem  ge- 
pökelten, die  Beschaffung  von  Gemüsen  (frisch  und  getrocknet),  insbe- 
sondere Sauerkraut,  Kartoffeln,  Preßkohl,  Sellerie,  Zwiebeln  und  Obst. 
Fonssagrives47  rühmt  auch  die  Runkelrüben,  R  a  e4  8  entdeckte  zufällig 
bei  einer  Nordpolreise  die  antiskorbutischen  Eigenschaften  der  Heidel- 
beeren und  erzählt,  daß  die  Eskimos  in  ähnlichem  Sinne  den  Magen- 
inhalt  der  Rentiere   verzehren.   —   Die  auch  in  kälteren  Strichen  vor- 

34 


Schiffshygiene.  219 

findlichen  Pflanzen  (Löffelkraut,  Löwenzahn,  Sauerampfer,  Mauerpfeffer) 
genießen  eines  hohen  Rufes  als  Antiscorbutica  (Reine  ke 4<J).  —  Der 
Citronensaft,  durch  Auspressen  der  entschalten  Früchte  gewonnen,  muß 
unverdünnt  und  frei  von  fleischigen  Bestandteilen  sein ,  bei  15  °  C 
ein  spezifisches  Gewicht  von  1,030  haben  und  mindestens  6,25  Proz. 
Citronensäure  enthalten.  Um  ihn  haltbar  zu  machen,  werden  zu 
800  Raumteilen  etwa  200  Raumteile  Branntweins  von  40°  Tralles  zu- 
gesetzt. Mit  dem  Alter  verliert  er  an  Wirksamkeit,  als  gewöhnliche 
Grenze  werden  2  Jahre  angenommen.  In  älterer  Zeit  benutzte  man 
auch  abgekochten  uud  unter  einer  Schicht  von  Olivenöl  aufbewahrten 
Saft.  Trübungen  und  schleimiger  Absatz  vollziehen  sich  in  ihm  auf 
Kosten  der  Pflanzensäuren.  Nach  englischen  Erfahrungen  steht  reine 
Citronensäure  dem  Saft  an  Wirksamkeit  nicht  nach6.  Die  täg- 
liche Ration  beträgt  pro  Kopf  mindestens  20  g,  die  mit  der  gleichen 
Menge  Zuckers,  etwas  Branntwein  und  Wasser  gemischt  verabreicht 
werden  soll. 


■t) 


Plumert,  Gesundheitspflege  auf  Seeschiffen,   Pola  1891. 

45)  Plagge  und  Fahr,  Hygienische  Rundschau  (1893). 

46)  Armstrong,  Revue  d'  Hygiene  (1891). 

47)  Fonssagrive9,   Tratte  d' Hygiene  navale,  Paris  1877. 

48)  Rae,  Revue  a"  Hygüne  (1891). 

49)  Reincke,  Gesundheitspflege  auf  Seeschiffen,  Hamburg  1882. 


Kapitel  VII. 
Eismaschinen  und  Kühlapparate. 

Eine  wichtige  Rolle  für  die  Ernährung  mit  Fleisch  spielen  natür- 
lich die  Eismaschinen  und  Kühlapparate.  Bezüglich  der 
Prinzipien,  nach  denen  diese  Apparate  konstruiert  sind,  verweisen  wir 
auf  Osthoff  (Bd.  6  S.  1  dieses  Handbuches).  Auf  Schiffen  kommen 
die  beiden  Arten  a)  zur  Herstellung  von  Eis  und  b)  zur  Kühlung  von 
Vorratsräumen  zur  Anwendung,  die  letztgenannte  besonders  auf  den 
von  Australien  und  Südamerika  kommenden  Fleischtransport-Schifl'en, 
doch  auch  auf  Passagierdampfern  zur  Konservierung  der  Vorräte  und 
—  in  den  Tropen  —  zur  Kühlung  der  Schlafkabinen.  Am  meisten  in 
Gebrauch  ist  hier  noch  die  ursprünglich  von  W in d hausen  ange- 
gebene ,  dann  von  Bell  und  C  o  1  e  m  a  n  n  vervollkommnete  Kaltluft- 
oder Luftexpansionsmaschine.  Für  Passagierschiffe  wenig  geeignet 
wegen  des  starken  Geräusches,  das  sie  verursacht,  hat  sie  gegenüber 
den  neuen  vollkommenen  Verdampfungsmaschinen  den  Vorzug,  keine 
ausgedehnten  Röhrensysteme  zu  besitzen,  ohne  Chemikalien  zu  arbeiten 
und,  da  sie  die  kalte  Luft  direkt  ausströmen  läßt  und  aus  dem  Kühl- 
raum wieder  zurücksaugt,  den  letzteren  mit  einem  stets  cirkulierenden 
und  sehr  trockenen  Luftstrom  zu  versorgen.  Es  ist  das  deshalb  wichtig, 
weil  in  feuchtkalten  Räumen  das  Fleisch  sein  frisches  Aussehen  verliert, 
fade  und  schleimig  wird  und  sich  nicht  lange  frei  von  Fäulnis  hält. 
Als  günstigste  Temperatur  des  Kühlraumes  wird  eine  solche  von  +  1  bis  2° 
betrachtet ,  auf  1  qm  Grundfläche  siud  etwa  3,5  Centner  Fleisch  zu 
rechnen.  Der  Fleischraum  des  Lloydschiffes  Kaiser  Wilhelm  II,  der  mit 
der  Kaltluftmaschine  in  Verbindung  steht,  vermag  60  Viertel  Ochsen 
aufzunehmen. 

Das  Prinzip  dieser  Maschinen  (die  auch  von  Haslam  und  Light- 

35 


220 


D.    KULENKAMPFF, 


f  oo  t  mit  ganz  außerordentlicher  Leistungsfähigkeit  hergestellt  werden)  ist 
folgendes.  Durch  Kolbendruck  wird  Luft  in  einem  Cylinder  komprimiert, 
wobei  in  annäherndem  Verhältnis  zur  Abnahme  des  Volumens  die 
Spannung  und  Temperatur  wachsen.  Die  verdichtete,  erwärmte  Luft 
wird  durch  Kühlwasser  abgekühlt  und  dann  unter  Ausübung  eines  ab- 
nehmenden Druckes  der  Expansion  überlassen.  Hierbei  nimmt  sie  an 
Temperatur  etwa  in  dem  Maße  ab,  in  dem  sie  bei  der  Verdichtung  zu- 
genommen hatte,  d.  h.  kühlt  sich  bis  —  40  bis  50°  ab,  um  dann  in 
die  zu  kühlenden  Räume  zu  entweichen.  Auf  dem  Wege  dahin  kann 
sie  noch  durch  eine  Eiskammer  geführt  werden  zur  Nebenerzeugung 
von  Roheis. 

Die  automatische  Regulierung  der  Temperatur  des  Kühlraumes  wird 
durch  mehrfache  Nebenapparate,  welche  auf  die  Stellung  der  Dampf- 
drosselklappe einwirken  (d.  h.  also  auf  die  Kraftleistung  des  Dampf- 
cylinders  der  Kompressionspumpe),  ermöglicht. 

Fig.  13  zeigt  die  einfache  Form  der  Windhausen'schen  Maschine, 
von   der   sich  die   übrigen    nur   in  der  Konstruktion,   nicht  im  Prinzip 


Fig.  13.  Kü  h  1  m  a  schi  ne.  C  Maschinen  für  die  Bewegung  der  Kolben,  A  Kom- 
pressionscylinder,  von  einem  mit  Kühlwasser  gefüllten  Mantel  umgeben,  B  Expansions- 
cylinder,  E  u.  F  Kühlapparate  zur  Kühlung  der  durch  Kompression  erhitzten  Luft,  D  Ent- 
wässerungscylinder,  in  dem  die  aus  A  kommende  Luft  ihre  Feuchtigkeit  an  den  Trichter- 
wänden absetzt.  Diese  tropft  in  der  Richtung  der  nach  unten  zeigenden  Pfeile  ab,  a  Saug- 
ventile des  Kompressionscylinders,  b  Druckventile  des  Kompressionscylinders ,  c  Einlafs- 
ventile  für  die  abgekühlte  komprimierte  Luft,  d  Auslafsventile  für  die  abgekühlte  expan- 
dierte Luft,  f  Zuflufsrohr  für'^Kühlwasser,  e  Abflufsrohr  für  Kühlwasser.  Nach  S  chw  ar  z  50. 


unterscheiden.    Fig.  14  zeigt  die  allgemeine  Anordnung  der  Maschine 
und  der  Vorratsräume  in  den  Fleischtransportdampfern. 

Eine  sehr  einfache  Kühlvorrichtung  nach  amerikanischem  System, 
die  sich  auf  etlichen  Lloyddampfern  sehr  bewährt  hat,  zeigt  in  schema- 
tischer  Anlage  Fig.  15.  In  der  Mitte  des  Schiffes  befindet  sich  der 
Eisbehälter  a,  nach  außen  von  ihm  jederseits  ein  Kühlraum  (b,  6),  für 
Fleisch  und  andere  Vorräte  je  einer.  An  den  äußeren  Wänden  dieser 
Räume  stehen  Reihen  von  Blechcylindern  (e),  die  aus  den  Kästen  unter 
der  Decke  (c)  sich  mit  einer  Mischung  von  70  Eis  und  30  Salz  füllen 
und  ihr  Schmelzwasser  in  den  Bilschraum  ablaufen  lassen.  Von  den 
Gängen   (f,  f)  aus    werden  die  Behälter  (c,  c)   stets   frisch  nachgefüllt. 

36 


Schiffshygiene. 


221 


Das  erforderliche  Eis  wird  schon  in  zerkleinertem  Zustande  an  Bord 
gebracht. 

Von  den  eigentlichen  Eisgeneratoren  haben  sich  die  mit  Kohlen- 
säure arbeitenden,  wegen  der  ihnen  noch  anhaftenden  technischen  Un- 
vollkommenheiten  auf  Schiffen  bisher  nicht  bewährt,  obwohl  ihnen  nach 
dem  Urteil  der  Sachverständigen  wohl  die  Zukunft  gehören  wird.  Von 
den  anderen  sind  die  besten  zur  Zeit  der  von  Linde  (Ammoniak)  und 
von  Pictet  (schweflige  Säure);  da  Linde  das  Patent  von  Pictet 
für  Deutschland  erworben  hat,  so  sind  auf  deutschen  Schiffen  nur 
Linde's  Maschinen  in  Gebrauch  und  auch  sehr  bewährt  gefunden. 

Die  Linde' sehe  Maschine  beruht  auf  dem  Prinzip  der  Kaltdarapf- 


I 


l/orrottAsrotu 


/    / 


Maschine.. 1 


Fig.   14. 


Fig.   15. 


Fig.   14.     Auordnung  der  Eismaschine  und    der  Vorratsräume    nach  A.  Schwarz60. 
Fig.  15.     Einfacher  Kühlapparat.    Schematisch,     a  Eisbehälter,  b  Kühlräume,  c  Blecb- 
cylinder,  e  Eiskästen,  f  Gang.     Originalzeichnung. 


oder  Kompressionsmaschine.  Ammoniakgas  wird  mittels  einer  Kom- 
pressionspumpe verflüssigt  und  durch  das  Regulierventil  c  in  den  Ver- 
dampfer gebracht  (Fig.  16).  Der  Verdampfer  ist  ein  Reservoir,  in  dem 
Spiralen  von  einer  Flüssigkeit  umspült  werden,  die  sich,  sobald  das 
Ammoniak  in  den  Spiralen  verdampft,  stark  abkühlt  und  nun  entweder 
zur  Erzeugung  von  Eis  in  einem  sog.  Eisgenerator  oder  aber  zur  Küh- 
lung von  Räumen  benutzt  wird.  Als  Flüssigkeit  dient  eine  Salz-  oder 
Chlorcalciumlösung.  Die  Ammoniakdämpfe  werden  dann  im  weiteren 
durch  eine  Saug-  und  Druckpumpe  (P)  angesogen  und  in  den  Konden- 
sator gepreßt,  ein  in  Kühlwasser  liegendes  Rohrsystem,  in  dem  sich 
das  durch  die  Kompression  verflüssigende  Ammoniak  sammelt,  um  dann 
durch  das  Ventil  (c)  seinen  Kreislauf  aufs  neue  zu  beginnen.  —  So 
arbeitet  diese  Maschine  dauernd  mit  demselben  Ammoniak  unter  nur 
ganz  geringen  Verlusten  infolge  leichter  Undichtigkeiten.  Der  Destil- 
lierapparat g  dient  zur  Herstellung  von  Ammoniakgas  aus  Salmiakgeist 
beim  Inbetriebsetzen. 

Will  man  Eis  herstellen,  so  wird  die  Salzlösung  in  den  Generator 
geleitet,  einen  eisernen  Kasten,  in  dem  mit  Wasser  gefüllte  Blechzellen 
hängen  und  aus  dem  sie  mittels  eines  Krahnes  ausgehoben  werden. 
Um  aus  ihnen  die  Eisblöcke  auslösen  zu  können,  werden  sie  dann  noch 
kurz  in  das  mit  warmem  Wasser  gefüllte  Auftaugefäß  gebracht.  Um 
mit  dieser  Maschine  größere  Räume  zu  kühlen,  hat  Linde  das  Prinzip 

Handbuch  der  Hygiene.  Bd.  VI.  15 

37 


222 


D.  KULENKAMPFF, 


der  Warmwasserheizung  angewandt,  einfach  in  der  Weise,  daß  die  kalte 
Salzlösung  durch  Rohrsysteme  geleitet  wird,  die  an  der  Decke  des  zu 
kühlenden  Raumes  aufgehängt  sind. 


Fig.  16.  A  Kondensator,  B  Verdampfer,  D  Dampfmaschine,  O  Regulierventil,  bt  Zu- 
flufsrohr  der  Salzlösung,  b2  Abflufsrohr  für  dieselbe  nach  dem  Eisgnerator,  at  Zuflufsrohr 
für  Kühlwasser  in  den  Kondensator,  a,  Abflufsrohr  für  Kühlwasser  aus  dem  Kondensator, 
P  Pumpe,  die  das  Gas  durch  bs  ansaugt  und  durch  a3  in  den  Kondensator  prefVt, 
g  Destillationsapparat  zur  Erzeugung  der  Ammoniakdämpfe ,  J  Glycerinsammler,  h  Hahn 
zum  Ablassen  des  Glycerins.     Nach  Schwarz50. 

50)  Schwarz,  Die  Eis-  und  Kühlmaschinen,   Leipzig   1888. 


Kapitel  VIII. 
Wasserversorgung  und  Destillierapparate. 

Die   Frage   der   Wasserversorgung  hat  für  die  Auswan- 
derer- und  Kriegsschiffe   einen   großen  Teil  ihrer  Bedeutung  verloren, 

38 


Schiffshygiene.  223 

seit  die  Art  der  Aufbewahrung  eine  bessere  geworden  ist  und  durch 
Destillation  das  Meerwasser  zu  einem  gesunden  und  nicht  unschmack- 
haften Getränk  umgestaltet  werden  kann.  Daß  beides  der  Fall,  unter- 
liegt keinem  Zweifel,  wie  unter  anderem  die  langjährigen  Erfahrungen 
von  Nocht51  beweisen. 

Auf  Dampfern  wird  das  Wasser  in  eisernen,  inwendig  cementierten 
—  wodurch  die  häßliche  Beimischung  von  Rost  vermieden  wird  — 
Tanks  mitgeführt  und  zwar  in  solchen  Mengen,  daß  es  nicht  nur  zum 
Trink-  und  Nutzwasser  ausreicht,  sondern  auch  noch  für  die  Kessel 
benutzt  werden  kann.  Der  „Kaiser  Wilhelm"  vermag  z.  B.  in  seinen 
Tanks  und  einem  Teil  des  Doppelbodens  140  cbm  Frischwasser  aufzu- 
nehmen. Die  Einbringung  geschieht  direkt  von  der  Bezugsquelle  durch 
Pumpen  und  Schläuche.  Auch  auf  Segelschiffen  sind  schon  vielfach 
Tanks  im  Gebrauch,  meist  aber  wohl  Fässer,  wozu  vorschriftsmäßig 
ausgebrannte  Palmöl-  oder  Spritfässer  dienen ;  ein  großer  Uebelstand  ist 
deren  Unterbringung  auf  Deck,  wo  sie  den  Einwirkungen  der  Sonne 
ausgesetzt  sind,  der  Hauptmißstand  aber,  daß  in  ihnen  das  Wasser 
stets  —  je  nach  Güte  desselben  und  der  Fässer  verschieden  bald  — 
einen  oft  8  Tage  bis  3  WTochen  sich  wiederholenden  Fäulnisprozeß  durch- 
macht, bis  es  „ausgefault"  und  wieder  trinkbar  ist.  Der  Vorgang 
scheint  darin  zu  bestehen,  daß  die  organischen  Bestandteile  des  Holzes 
(und  des  WTassers!  wohl  unter  der  Einwirkung  von  Mikroorganismen) 
die  schwefelsauren  Erden  zu  Schwefelmetallen  reduzieren,  welche  durch 
die  Kohlensäure  des  WTassers  in  Schwefelwasserston"  und  kohlensaure 
Salze  sich  umsetzen.  Tritt  dann  beim  Oeffnen  des  Fasses  neuer  Sauerstoff 
hinzu,  so  beginnt  durch  Oxydation  noch  vorhandener  Schwefelmetalle 
zu  Salzen  der  Prozeß  aufs  neue,  so  oft  und  so  lange,  bis  alle  Schwefel- 
verbindungen aufgezehrt  sind.  Destilliertes  Wasser  fault  auch  in  Holz- 
fässern nicht.  Gelegentlich  der  Benutzung  von  mit  Seewasser  gefüllten 
Ballastfässern  sind  beim  Oeffnen  derselben  Schwefelwasserstoff-Ver- 
giftungen beobachtet  (Reincke).  —  In  gut  gehaltenen  Tanks  fault  das 
Wasser  nicht,  nur  müssen  die  Reinigungsinstrumente  für  dieselben  einer 
sorgfältigen  Kontrolle  unterzogen  und  dafür  gesorgt  werden  (etwa  durch 
Drahtgitter),  daß  kein  Ungeziefer  (Ratten)  hineinfällt.  Die  neuerdings 
empfohlene  Verwendung  metallischen  Eisens  zur  Reinigung  von  Trink- 
wasser hat  sich  —  wenigstens  was  einen  günstigen  Einfluß  auf 
Mikroorganismen  betrifft  —  nicht  erweisen  lassen  (Fromme52).  Als 
Geschmackskorrigentien  für  fades,  luftarmes  Wasser  wird  in  erster  Linie 
Theezusatz  empfohlen,  Stehen  an  der  Luft  oder  Schütteln  und  Peitschen 
mit  Reisig;  alle  Klärungsmittel  (Alaun,  Eisenchlorid,  Kali  hyperman- 
ganicum,  in  der  Marine  ist  gebräuchlich  Eisenchlorid  30,  Nat.  bicarb.  45 
auf  100  1)  vermögen  natürlich  aus  gesundheitsschädlichem  kein  gesundes 
WTasser  zu  machen,  ganz  abgesehen  davon,  daß  sie  auf  einem  schwan- 
kenden Schiffe  kaum  verwendbar  sind.  Im  Zweifelsfalle  ist  also  jedes 
verdächtige  W7asser  vor  dem  Genüsse  unbedingt  abzukochen. 

Der  dem  destillierten  Wasser  leicht  anhaftende  ölig-brenzlichte 
Geschmack  soll  sich  durch  Einhängen  von  Eisenstäben  abstumpfen 
lassen. 

Für  die  Bezugsquellen  guten  Wassers  gelten  natürlich  die  überhaupt 
gebräuchlichen,  insbesondere  die  von  Koch  näher  bestimmten,  Vor- 
schriften (Art  der  Brunnenkonstruktion,  kein  Oberflächen-,  sondern  Tief- 
wasser). Da  der  Seemann  in  fremden  Häfen  nicht  selten  auf  das  vom  Wasser- 
händler angebotene   angewiesen   ist,   so  wäre  ein  Auskunftsbureau  an 

15* 
39 


224  D.    KULENKAMPFF, 

dem  betreffenden  Konsulate  resp.  eine  Kontrolle  der  Wasserverhältnisse 
der  großen  Hafenstädte  durch  die  Konsuln  sehr  zu  wünschen.  In 
manchen  wasserarmen  Küstenstationen  (z.  B.  Aden,  Massaua,  Suakim) 
sind  übrigens  große  Destillierapparate  aufgestellt,  aus  denen  auch  die 
ansässigen  Europäer  sich  mit  Wasser  versorgen  8.  In  der  österreichi- 
schen und  deutschen  Kriegsmarine  muß  der  Wasserentnahme  eine 
lokale  Inspektion  der  Quelle  sowie  chemische  Untersuchung  voran- 
gehen. Auf  die  letztere  legt  Nocht  insofern  großen  Wert,  als  der 
Nachweis  pathogener  Organismen  auf  bakteriologischem  Wege  wegen  der 
vielleicht  nur  geringen  Anzahl  solcher  und  aus  anderen  Gründen  zu  wenig 
zuverlässig  ist,  die  chemische  aber  rasch  wichtige  Fingerzeige  liefert. 
Als  eine  leicht  auszuführende  wird  die  mittels  des  von  Boehr  ange- 
gebenen Apparates  empfohlen  (Plumert13).  Im  destillierten  Wasser 
ist  ein  mäßiger  Kochsalzgehalt,  selbst  wenn  der  gebräuchliche  obere 
Grenzwert  von  60  mg  pro  Liter  überschritten  ist,  wohl  bedeutungslos. 

Alle  Filtrierapparate  haben  einen  nur  sehr  bedingten  Wert,  da 
keiner  auf  die  Dauer  Bakterien  zurückhält,  vielmehr  alle  schließlich 
zu  Keimstätten  für  solche  werden.  Die  wirklich  guten  müssen  außer- 
dem, um  erkleckliche  Wassermengen  zu  liefern,  unter  einem  Druck  von 
3  Atmosphären  gehalten  werden,  wozu  maschinelle  Anlagen  erforder- 
lich sind  (Nocht).  Leicht  zu  extemporierende  Filter  aus  Tierkohle, 
Sand  und  Geröll  finden  sich  bei  Herwig  und  Plumert  beschrieben, 
ebenso  bei  letzterem  das  Asbestfilter  von  B  r  e  y  e  r  und  die  in  der  fran- 
zösischen Armee  seit  1889  eingeführten  Bougies  filtrantes.  Sollen  der- 
artige Filter  als  verläßliche  benutzt  werden,  so  ist  aber  nicht  nur  eine 
sorgfältige  vorschriftsmäßige  Behandlung  erforderlich,  sondern  auch 
eine  wiederholte  bakteriologische  Kontrolle,  da  man  sonst  nie  mit 
Sicherheit  bestimmen  kann ,  wann  sie  beginnen ,  Keime  durchzu- 
lassen13.    (Vgl.  Bd.  II  Abtlg.  2  dieses  Handbuchs.) 

Das  gesetzlich  erforderliche  Quantum  des  mitzunehmenden  Wassers 
beträgt  4,5—6  1  pro  Kopf  und  Tag  für  die  Mannschaft  (Trink-  und 
Nutzwasser  in  eins  gerechnet),  für  Passagiere  2  1.  falls  ein  genügender 
Destillierapparat  an  Bord,  4,  falls  ein  solcher  nicht  vorhanden  ist.  Da 
auf  den  großen  eisernen  Segelschiffen  (die  ja  immer  mehr  die  hölzernen 
verdrängen)  sich  in  der  Regel  kleine  Dampfmaschinen  befinden,  die 
beim  Löschen  und  anderen  Arbeiten  erforderlich  sind,  so  könnten  auch 
diese  leicht  zur  Mitführung  von  Destillierapparaten  gezwungen  und  da- 
mit der  Wassersnot  auf  Schiffen  endgiltig  vorgebeugt  werden.  Auf  den 
Passagierdampfern  sind  übrigens  eiserne  Trinkwasserbehälter  im 
Zwischendeck  an  verschiedenen  Stellen  zu  freier  Benutzung  angebracht, 
und  wird  morgens  heißes  Nutzwasser  ausgeteilt,  für  welches  in  manchen 
Schiffen  ein  besonderer  Tank  im  Zwischendeck  aufgestellt  ist. 

Von  den  gebräuchlichsten  Destillierapparaten  sind: 

1)  Der  N or man dy' sehe  (Fig.  17),  auf  der  deutschen,  2)  der 
Per  roy' sehe,  auf  der  französischen,  und  3)  der  Hocking'sche  auf 
der  englischen  Marine  und  den  meisten  Passagierdampfern  in  Gebrauch. 
Bei  allen  wird  der  —  womöglich  einem  gesonderten  Hülfskessel  ent- 
nommene —  Dampf  in  einem  als  Oberflächenkondensator  wirkenden 
Rohr-  oder  Cylinder System,  das  von  Meerwasser  umspült  ist,  niederge- 
schlagen. Die  Rohre  sind  innen  und  außen  verzinnt,  um  das  Ansetzen 
gesundheitsschädlicher  Oxyde  zu  verhüten,  Blei  ist  an  den  Apparaten 
durchaus  vermieden.  Vor  oder  während  seiner  Kondensation  wird  dem 
Dampfe  Luft  beigemischt,   die   dem  Destillat   wieder  Kohlensäure  zu- 

40 


Schiffshygiene. 


225 


führt,  und  endlich  wird  dasselbe  um  noch  allerlei  Unreinigkeiten,  Me- 
talloxyde und  dergl.  zu  entfernen,  auf  ein  der  Hauptsache  nach  aus 
Knochenkohle  bestehendes  Filter  gebracht.  Leider  raubt  dieses  einen 
Teil  der  dem  Wasser  künstlich  zugeführten  Kohlensäure  wieder  (Bus- 
ley  36).  Beim  Gebrauch  derartiger  Apparate  ist  Folgendes  zu  beachten. 
Ist  kein  eigener  Hilfskessel  dafür  vorgesehen,  so  darf  der  Hauptkessel 
nicht  gleichzeitig  zum  Destillieren  und  für  die  Schiösmaschine  benutzt 
werden,  und  ist  sein  Inhalt  von  einer  etwa  vorhandenen  Fettschicht 
durch  Abschäumen   zu  befreien.     Damit  keine  Zumischung  von   Kühl- 


Dtwipt 


Seewasser 
austritt 


m->  Lauf  des  Kühlwassers  von  und  zu  See. 
— - ►  Lauf  des  Süfswassers  und  Dämpfe. 

Fig.  17.  Normandy 's  Apparat  nach  B  u  s  1  e  y  3S.  Der  dem  Kessel  entnommene 
Dampf  strömt  durch  a  in  den  Evaporator  A,  wird  in  dessen  Röhren  durch  das  umgebende 
Kühlwasser  zu  Kondenswasser,  welches  durch  den  Dampfsammler  B  nach  dem  Abkühler  D 
abfliefst,  sobald  sich  in  B  so  viel  Wasser  gesammelt  hat,  dafs  das  Ventil  e  aufschwimmt. 
Hierdurch  wird  das  Mitreifsen  von  nicht  kondensiertem  Dampf  (der  durch  f  ausgelassen 
wird)  Verhindert.  Im  Abkühler  cirkuliert  kaltes  Wasser,  bei  h  eintretend,  bei  i  seinem 
gröfseren  Teile  nach  abfliefsend.  Ein  kleinerer  Anteil  geht  schon  angewärmt  durch  l  nach 
dem  Evaporator  A ,  um  dort  durch  die  latente  Wärme  des  in  seinen  Röhren  konden- 
sierenden Dampfes  zu  verdunsten.  Die  Siebplatte  o  verhindert  ein  Aufspritzen  des  Wassers 
in  den  Dampfraum.  Die  Luft,  die  aus  dem  nach  i  strömenden  Wasser  entweicht,  geht  durch 
p  in  den  Dampfraum  von  A  und  mischt  sich  den  Dämpfen  bei ;  diese  entweichen  durch  r 
in  die  Rohre  von  C,  um  sich  dort  zu  lufthaltigem  Wasser  zu  verdichten.  Ueberschüssige 
Luft  entweicht  durch  s,  das  lufthaltige  Wasser  aber  fliefst  in  den  Abkühler,  wo  es  sich 
mit  dem  direkt  aus  dem  Evaporator  gekommenen  sammelt  und  durch  A  in  das  Filter  E 
abfliefst.  Hier  passiert  es  zuerst  die  Kammer  x,  dann  y  und  wird  durch  z  in  die  Tanks  ge- 
leitet, a  sind  Reinigungsschrauben,  u  ein  Luftknopf,  der  ein  Zurücktreten  von  Wasser  aus 
dem  Filter  verhütet. 


41 


226  D.   KULENKAMPFF, 

wasser  zum  Destillat  erfolgen  kann,  ist  nicht  nur  die  Dichtheit  der 
Röhren  zu  kontrollieren,  sondern  auch  ein  Ueberkochen  des  ersteren 
oder  ein  Ueberfließen  bei  hohem  Kühlwasserstand  und  starken  Schiffs- 
bewegungen zu  verhüten.  Bei  Destillation  von  Hafenwasser  gehen  leicht 
übelschmeckende  Substanzen  mit  über.  Da  das  Filter  durch  Oel  und 
empyreumatische  Substanzen  verfettet,  so  muß  dessen  Kohle  öfter  durch 
Waschen  und  Ausglühen  gereinigt  werden. 

Da  in  vielen  fremden  Hafenplätzen  das  Wasser  oft  weit  herbeige- 
schaft  werden  muß  und  die  Wasserhändler  sehr  hohe  Preise  fordern,  so 
ist  unter  Umständen  die  Herstellung  destillierten  Wassers  auch  wegen 
der  Kosten  vorzuziehen.  In  Westindien  mußte  z.  B.  die  Nymphe 
1,14  Pfg.  pro  Liter  bezahlen,  während  Destillation  um  mehr  als  die 
Hälfte  billiger  war,  in  Malta  beim  Händler  pro  Kubikmeter  10  M.,  bei 
Destillation  2  M. 

Angesichts  dieser  Verhältnisse  ist  es  auch  nicht  zu  billigen,  wenn 
etwa  auf  Außenstationen  zum  Geschirrspülen  oder  zur  Körperreinigung 
minderwertiges  Wasser  benutzt  wird,  und  dürften  in  nicht  zu  ferner 
Zeit  auch  gesetzliche  Bestimmungen,  die  einen  höheren  Wasservorrat 
als  4 — 6  1  pro  Kopf  vorschreiben,  gerechtfertigt  sein.  Normandy's 
Apparat  liefert  je  nach  der  Größe  pro  Tag  1250  bis  5000  1  Trink- 
wasser. 

8)  Hanse,  Deutsche  nautische  Zeitschrift  (1888 — 95). 
13)  Plumert,   Gesundheitspflege  auf  Seeschiffen,  Pola   1891. 
36)  Busley,  Die  Schiffsmaschine,  Kiel  1885. 

51)  Nocht,  Hygienische  Bundschau  (1892)  No.   7. 

52)  Fromme,  ibidem  (1892)  No.  7. 

Kapitel  IX. 

Hygienisches  Verhalten  auf  Seereisen. 

Be  züglich  des  allgemeinen  hygienischen  Verhaltens 
auf  See  ist  in  erster  Linie  die  Art  der  Kleidung  zu  erörtern,  die  —  den 
vielfachen  Witterungseinflüssen  entsprechend  —  zu  einem  großen  Teile 
aus  Schafwolle  herzustellen  ist.  Es  kommen  dabei  wesentlich  die  3 
Eigenschaften  der  Wolle  in  Betracht,  daß  dieselbe  schwerer  durch- 
feuchtet, auch  in  feuchtem  Zustande  noch  durchlässig  bleibt  für  die  Luft, 
und  das  Wasser  langsam  wieder  verdunsten  läßt,  im  Gegensatz  zu  baum- 
wollenen Stoffen  (Hohenberg53).  Unzweckmäßig  sind  freilich  die 
schwerwollenen  (J  ä  g  e  r '  s)  Unterhemden,  welche  die  Schweißabsonderung 
steigern  und  die  Haut  reizen.  Also  leichte  Wollunterhemden,  besonders 
die  gewirkten  (Trikot)  oder  auch  baumwollene,  während  für  schwerere 
Oberkleider  die  gewebten  und  geköperten  Stoffe  vorzuziehen  sein  dürften, 
außer  in  den  Tropen,  wo  leicht  waschbare  baumwollene  von  heller 
Farbe  an  die  Stelle  treten.  Sehr  zu  empfehlen  sind  die  bei  den  Reisen- 
den in  heißen  Gegenden  gebräuchlichen  Schlafanzüge  aus  Wolle  oder 
Baumwolle  statt  eines  Hemdes.  Gegenüber  den  luftundurchlässigen 
Oelzeugen  haben  die  porös-wasserdicht  imprägnierten  (mit  essigsaurer 
Thonerde)  den  Vorzug,  daß  sie  ihre  Luftdurchlässigkeit  bewahren. 
Wichtiger  dürfte  für  den  Matrosen  sein,  eine  mehrfache  Ausrüstung 
an  Wollstoffen  zu  besitzen,  besonders  auf  Segelschiffen,  wo  keine  warmen 
Räume  zum  Trocknen  vorhanden  sind,  die  Leute  oft  mehrmals  täglich 
durchnäßt  werden  und  ihre  Sachen  nur  bei  gutem  Wetter  an  der  Luft 
austrocknen  können.  Für  die  Heizer  sind  feuersicher  imprägnierte  Hosen, 
und  Holzschuhe   anzuraten.     Zum   Schutz   gegen   die  Sonne  dienen  die 

42 


Schiffshygiene.  227 

bekannten  Helme  aus  Kork  oder  Filz  mit  Luftschicht  ringsum  und 
übergehängten  Nackentüchern. 

Das  Schlafen  auf  Deck  in  den  Tropen  ist  vielfach  als  gefährlich 
betrachtet  worden,  und  sind  schwere  Erkältungen,  Anginen  und  Con- 
junctiviten  darauf  zurückgeführt.  Thatsächlich  handelt  es  sich  dabei 
um  die  Wirkungen  des  starken  Taufalles ,  denen  durch  Sonnensegel, 
Zelte  und  gutes  Zudecken  vorgebeugt  werden  kann. 

Trotz  der  vervollkommneten  Ventilation  befinden  sich  die  Heizer 
auf  Dampfschiffen  noch  immer  unter  schwierigen  Verhältnissen,  da  die 
Temperatur  der  Heizräume  30—45°  C  zu  betragen  pflegt,  an  manchen 
Stellen,  z.  B.  im  Roten  Meer,  bis  auf  70  °  ansteigen  kann,  wobei  Blut- 
temperaturen bis  zu  39°  beobachtet  sein  sollen49. 

Nach  den  neueren  Untersuchungen  von  Neuhaus54,  der  die  ge- 
legentlich sehr  hohen  Temperaturen  der  Heizräume  bestätigt,  stieg 
allerdings  die  Bluttemperatur  der  Heizer  nach  4-stündigem  Verweilen 
nur  um  0,7  bis  0,8  °  C  und  niemals  höher  als  38  °.  Die  geringe  relative 
Luftfeuchtigkeit  im  Kesselraum  (4 — 8  Proz.)  bedingt  aber  im  Verein 
mit  der  geradezu  kolossalen  Schweißbildung  eine  außerordentliche  Steige- 
rung der  Wärmeabgabe.  Bei  dem  Schiffskoch  fand  Neuhaus,  während 
die  Temperatur  in  der  Küche  44 — 54  °  C  betrug,  nur  WTerte  von  37,0  bis 
37,5°  C,  bei  sich  selbst,  daß  mit  großer  Regelmäßigkeit  die  Körper- 
temperatur innerhalb  der  Tropenzone  um  ein  Weniges  (0,3  °)  höher 
war  als  außerhalb  der  Wendekreise.  Interessant  ist  auch  die  Beob- 
achtung, daß  der  innerhalb  der  Tropenzone  konstant  verminderte 
und  spezifisch  schwere  Urin  zu  gewissen  Zeiten  auffallende  Abweich- 
ungen in  der  Absonderungsmenge  zeigte.  Dieselbe  sank  beträchtlich 
bei  stark  schwankendem  Schiffe,  auch  wenn  keine  Seekrankheit  vorlag. 

Das  Bedürfnis  nach  Abkühlung  und  der  Durst  veranlaßt  die  Heizer 
leicht  zu  übermäßiger  Anwendung  kalten  Wassers.  Eigene  Wasch- 
häuser, die  ohne  daß  das  zugige  Deck  überschritten  werden  muß,  zu 
erreichen  sind,  das  Einstellen  von  Eingeborenen  (in  der  Marine  für  ge- 
wisse Strecken  vorschriftsmäßig)  und  Sorge  für  passende  Getränke  sind 
die  Hauptvorbeugungsmaßregeln  gegen  das  Auftreten  von  Anämie, 
Magen-,  Herz-  und  Lungenleiden.  Wenn  chronische  Lungenkrankheiten 
bei  Schiffsbesatzungen  immerhin  nicht  selten  vorkommen,  so  ist  dafür, 
wie  Lederer56  mit  Recht  bemerkt,  eine  Konkurrenz  mehrfacher  Ur- 
sachen anzuziehen.  Als  Getränke  sind  Kaffee  und  Thee,  besonders  die 
auch  gern  genommene  Hafergrütze  am  meisten  im  Gebrauch  und  zu 
empfehlen.  Mericourt  und  Fonssagrives  sprechen  sich  sehr 
für  einen  Branntweinzusatz  (2  zu  50  Kaffeeinfus)  aus;  am  Lloyd  wer- 
den Spirituosen  als  besonders  verderblich  betrachtet,  und  sollen  gute 
Heizer,  wenn  sie  nüchtern  leben,  20 — 25  Jahre  gesund  und  dienstfähig 
bleiben.  — 

Eine  besondere  Beachtung  erfordert  endlich  die  Thätigkeit  des 
Darmes,  die  eine  Ueberwachung  der  Kost  und  öftere  Abführmittel 
nötig  macht,  da  sonst  leicht  ruhrartige  Erkrankungen  sich  ausbilden, 
die  Anämie  in  den  Tropen  —  durch  Stomachica  und  Tonica  zu  be- 
kämpfen —  und  die  in  unreinlichen  Zwischendecken  wohl  gehäuft 
auftretenden  Bindehautkatarrhe.  Gegen  die  Seekrankheit  giebt  es  be- 
kanntlich keine  Mittel  als  abwechselnd  Horizontallage  und  Aufenthalt 
auf  Deck,  sowie  Zuführung  von  leichten  Nahrungsmitteln  trotz  Wider- 
willens dagegen ,  da  der  Magen  dann  sein  Gleichgewicht  rascher 
wieder    erlangt.      Gelänge   es,    das   Eintreten   der   Seekrankheit  voll- 

43 


228  D.    KULENKAMPFF, 

ständig  zu  verhüten,  so  würde  das  insofern  hygienisch  bedeutsam  sein, 
als  dieselbe  zu  einer  hochgradigen  Verpestung  und  VerunreiniguDg  der 
bei  schlechtem  Wetter  an  sich  schon  sehr  schwer  zu  lüftenden ,  über- 
füllten Schiifsräume  führt,  und  sie  außerdem  als  solche  kranken  oder 
geschwächten  Personen  direkt  verderblich  werden  kann.  Allein  die 
zahlreichen  kostspieligen  Versuche,  die  Schlingerbewegungen  der  Schilfe 
—  d.  h.  die  pendelartigen  Bewegungen  nach  der  Seitenrichtung  —  und 
damit  die  Seekrankheit  zu  hintertreiben ,  sind  ziemlich  erfolglos  ge- 
blieben. In  dieser  Richtung  sind  anzuführen  eine  übermäßige  Länge 
des  Schiffes  (Great  Eastern),  oder  überwiegende  Breite  (wie  bei  der 
Livadia  des  Czaren) ,  schwingende ,  stets  horizontal  liegende  Salons 
(Bessemer's  Stahldampfer),  die  Verkoppelung  von  2  Schiffen  nebenein- 
ander, die  auf  Kriegsschiffen  versuchten,  das  Gewicht  der  sich  heben 
wollenden  Bordseite  vermehrenden  Wasserkammern.  Am  meisten  haben 
sich  nach  Haack  bewährt  die  an  der  Kimm  (höchster  Wölbungspunkt 
des  Schiffsbauches)  aufgesetzten  Seitenkiele,  sowie  vor  allem  eine  ge- 
eignete Konstruktion  und  Belastung  durch  die  Ladung.  Ein  Schiff 
darf  weder  zu  stabil  noch  zu  rank  sein,  wenn  es  nicht  stark 
schlingern  soll 34. 

34)  Haack,  Hygien.  Rundschau  (1891)  No.  8  und  9. 

53)  Hohenberg,    Ueber  Bekleidung  von  Schifsbesatzungen,  Berlin  1891   (Dissertation). 

54)  Neuhaus,    Virchow's  Archiv  (1894)    Bd.   134. 

55)  Berliner  klinische    Wochenschrift  (1885)  No.  43. 

56)  Lederer,  Mitteilungen  aus  dem  Gebiete  des  Seewesens  (1885)   1.  u.    2.  Bd. 

57)  Mähe.  Manuel  pratique  d'  Hygiine  navale,  Paris  1874. 

58)  Statistisches  Jahrbuch  für  d.  Deutsche  Reich  (1894). 


Kapitel  X. 

Gesetzliche  Bestimmungen  über  das  Auswandererwesen  und  Für- 
sorge für  die  Seeleute. 

Gesetzlich  sind  das  Auswandererwesen  und  die  Ge- 
samtheit der  hygienisch  wichtigen  Verhältnisse  auf  Seeschiffen  früher 
durch  Verordnungen  und  Gesetze  der  einzelnen  Seeuferstaaten  in 
der  verschiedensten  W'eise  geregelt  worden39.  Ein  bedeutsamer  Fort- 
schritt war  es,  daß  seit  dem  Beginn  der  80er  Jahre  in  Hamburg  und 
Bremen  hierüber  wie  über  das  Quarantänewesen  die  bestehenden  ein- 
zelnen Vorschriften  zu  einheitlichen  Gesetzen  gesammelt  und  ergänzt 
wurden,  nachdem  die  thatsächlichen  Verhältnisse  durch  den  Umschwung 
im  Schiffsbau  und  die  Konzentration  des  Auswandererstromes  auf  einige 
wenige  Häfen  so  tiefgreifende  Veränderungen  erfahren  hatten.  Ein 
weiterer,  besonders  die  Gesundheitspflege  und  Krankenbehandlung  be- 
rührender Fortschritt  geschah  durch  die  Einführung  des  im  Kaiser- 
lichen Gesundheitsamte  von  Gärtner  ausgearbeiteten  Buches:  An- 
leitung zur  Gesundheitspflege  an  Bord  von  Kauffahrteischiffen,  welches 
all  die  früheren  —  nach  Umfang  und  Wert  sehr  verschiedenartigen  — 
ähnlichen  Bücher  bald  verdrängte  und  durch  Aufstellung  einer  Liste 
von  Medikamenten  die  Herstellung  einer  einheitlichen  „Medizinkiste'1 
für  Schiffe  anbahnte.  Das  Buch  muß  von  dem  Kapitän  jedes  Kauf- 
fahrteischiffes auf  allen  Reisen  mitgeführt  werden,  und  die  Uferstaaten 
haben  [sich   den    darin   niedergelegten   Vorschriften    über  Verprovian- 

44 


Schiffshygiene.  229 

tierung,  Medikanientenliste,  Desinfektion  u.  a.  m.  durch  darauf  bezüg- 
liche Verordnungen  angeschlossen. 

Ueber  die  Ar beitsverhältnisse  und  Krankenkassen  für 
Schiffsbesatzungen  giebt  es  so  gut  wie  gar  keine  gesetzlichen  Be- 
stimmungen und  Ueberwachung ;  ebenso  wenig  über  das  einer  Beachtung 
dringend  bedürftige  Anwerbe  wesen  für  den  Dienst  auf  Seeschiffen.  Das 
Anwerben  liegt  im  wesentlichen  in  der  Hand  der  Schlaf-  und  Heuerbase, 
sodaß  Schiffsdienst  in  der  Regel  nur  für  diejenigen  zu  haben  ist,  die 
sich  bei  diesen  arm  gewohnt,  gegessen  und  getrunken  haben.  Dieses 
in  allen  Ländern  gleichmäßig  empfundene  Uebel  hat  kürzlich  in  Rotter- 
dam zur  Gründung  eines  „Bundes  der  Seeleute"  geführt,  der  unter 
anderem  auch  besonders  durch  Errichtung  einer  Seemannsbörse  Ange- 
bot und  Nachfrage  für  den  Schiffsdienst  vermitteln  will.  Diese  Börse, 
die  sich  in  kurzer  Zeit,  wie  es  scheint,  das  Vertrauen  der  Seeleute  wie 
der  Rheder  erworben  hat,  würde  insbesondere  den  Vorteil  bieten,  daß 
der  Dienstsuchende  von  seinesgleichen  auf  seine  Tüchtigkeit  und.  Ge- 
schicklichkeit geprüft  und  so  den  ordentlichen  Elementen  der  Vorzug 
gegeben  würde. 

In  Hamburg  ist  neuerdings  vorgeschrieben  worden,  daß  die  Heuer- 
base nicht  zugleich  Schlafbase  oder  Schenkwirte  sein  dürfen,  sowie 
daß  sie  einen  Gebührentarif  bei  der  Polizeibehörde  einzureichen  haben, 
auf  Grund  dessen  eine  Beaufsichtigung  ihres  Gewerbes  stattfindet.  Man 
verhehlte  sich  indessen  nicht,  daß  die  Kontrolle  —  falls  irgend  etwas 
erreicht  werden  soll  —  eine  ungemein  scharfe  sein  müsse. 

Als  geradezu  von  größter  hygienischer  —  nicht  nur  volkswirtschaft- 
licher —  Bedeutung  müssen  die  Bestrebungen  bezeichnet  werden,  den  im 
Hafen  ankommenden  Seemann  vor  der  Verschleuderung  seines  Erwerbes  in 
Excessen  allerlei  Art  zu  bewahren.  In  England  hat  man  Versuche  mit 
dem  sogenannten  „Transmission  of  wages"  System  gemacht,  welches  darin 
besteht,  daß  ein  Beamter  des  Handelsamtes  für  alle  Seeleute,  die  in  ihre 
Heimat  reisen  wollen,  die  Gage  erheben  kann  —  sofern  sie  es  wün- 
schen —  um  sie  ihnen  dann  nachzusenden.  Zur  Zeit  werden  jährlich 
dort  etwa  20000  Seeleuten  Summen  im  Betrage  von  5  Millionen  Mark 
nachgesandt8.  In  Hamburg,  wo  die  örtlichen  Verhältnisse  für  ein 
derartiges  System  nicht  geeignet  erschienen,  versuchte  man  durch  Ein- 
richtung von  Sparkassen  —  Annahmestellen  im  Seemannshause  —  Aehn- 
liches  zu  erreichen.  Die  Gründung  von  sogenannten  Seemannsheimen  — 
Häuser,  die  dem  Matrosen  eine  familiale  Zufluchtsstätte  bieten  sollen 
—  als  Gegenmittel  gegen  das  Schlaf  basenunwesen ,  hat  bisher,  wie  es 
scheint,  noch  nicht  die  richtigen  Wege  eingeschlagen,  doch  werden 
neuerdings  immer  wieder  Versuche  gemacht,  bessere,  dem  Seemanne 
sympathischere  Formen  zu  finden.  — 

Die  Arbeitsverhältnisse  der  Seeleute  betreffend,  so  ist  von 
der  Sozialdemokratie  der  Achtstundentag  für  Schiffe,  die  in  einem  Hafen 
liegen  als  Zusatz  zur  Seemannsordnung  gefordert  worden,  und  stehen 
hier  offenbar  einer  derartigen  Einschränkung  keine  unüberwindlichen 
Schwierigkeiten  im  Wege.  Eine  behufs  Revision  der  Seemannsordnung 
eingesetzte  Kommission  des  Deutschen  nautischen  Vereins  hat  vor  kur- 
zem die  Festlegung  einer  10-stündigen  Arbeitszeit  vorgeschlagen.  Auf 
See  ist  eine  Regelung  der  Arbeitszeit  in  anderer  als  der  bisherigen 
Weise  nur  denkbar  durch  gesetzliche  Einführung  des  Dreiwachensystems 
für  die  gesamte  Mannschaft  an  Stelle  des  Zweiwachensystems,  bei 
welch   letzterem   die   eine  Wache,   genügend  stark,   um   die  laufenden 

45 


230  D.   KULENKAMPFF, 

Arbeiten  zu  besorgen,  nur  in  Notfällen  die  Freiwache  zuziehen  muß. 
Ein  Dreiwachensystem  würde  aber  die  Betriebskosten  enorm  steigern 
und  also  höchstens  bei  allseitiger  internationaler  Einführung  denkbar 
sein.  Eine  Ausnahme  bilden  nur  die  Heizer  auf  den  Dampfschiffen, 
für  die  —  wenigstens  auf  den  meisten  deutschen  —  das  Dreiwachen- 
system besteht,  und  zwar  in  der  Weise,  daß  3  Heizer  und  2  Maschinisten 
den  Dienst  versehen.  Auf  die  ersteren  entfällt  somit  eine  2  mal 
4-stündige,  auf  die  letzten  eine  2  mal  6-stündige  Arbeitszeit.  Eher 
der  Berücksichtigung  wert  und  vielleicht  auch  erreichbar  ist  das 
in  England  in  Schifferkreisen  neuerdings  viel  erörterte  Ziel  einer  Ent- 
lastung der  Kapitäne  und  Steuerleute.  Diese  haben  bei  schlechtem 
oder  nebligem  Wetter,  sowie  ganz  besonders  auch  beim  Anlaufen  mehrerer 
Häfen  kurz  nacheinander  —  wo  tagsüber  die  Ladung  gelöscht,  nachts 
die  Fahrt  fortgesetzt  wird  —  Dienstzeiten  von  16 — 18  Stunden  und 
zwar  oft  genug  solche  von  im  höchsten  Grade  körperlich  und  geistig 
anstrengender  Art.  Wenn  ein  Kapitän  im  Sturm  12—24  Stunden  auf 
der  Kommandobrücke  als  verantwortlicher  Lenker  des  Schiffes  aushalten 
muß,  wenn  ein  Fehler  in  Folge  von  Uebermüdung  und  nervöser  Er- 
schöpfung die  Entziehung  des  Patents  zur  Folge  haben  kann,  so  drängt 
sich  allerdings  die  Frage  auf,  ob  nicht  eine  gesetzliche  Fassung  zu 
finden  wäre,  die  für  solche  Verhältnisse  gewisse  Grenzen  scharf  formulierte. 
Gewiß  giebt  es  keinen  Beruf,  der  an  die  körperliche  und  geistige 
Leistungsfähigkeit  dauernd,  ja  oft  stündlich,  solche  Anforderungen  stellt, 
wie  der  des  Kapitäns  eines  großen  Schiffes. 

Auch  bezüglich  des  Versich erungs-  und  Krankenkassen- 
wesens für  Seeleute  scheinen  noch  manche  Fragen  einer  geeigneten 
Lösung  bedürftig.  In  Hamburg  und  Bremen  bestehen  keine  allgemeinen 
Seemannskassen  mehr,  sondern  nur  solche  einzelner  Gesellschaften,  wie 
z.  B.  des  Lloyd  für  die  fahrenden  oder  am  Lande  angestellten  Mit- 
glieder. Der  Lloyd  hat  eine  sehr  gut  geregelte  und  liberale  Kranken- 
sowie  auch  Witwen-  und  Waisen-Pensionskasse.  Uebrigens  sind  sämt- 
liche angemustersten  Seeleute  —  auch  die  Schiffsärzte  und  der  Schiffsführer 
ohne  Rücksicht  auf  die  Höhe  seines  Einkommens  —  versicherungs- 
pflichtig für  die  Alters-  und  Invalidenversicherung.  In  Beziehung  auf 
diese  ist  in  den  beteiligten  Kreisen  in  der  letzten  Zeit  vielfach  der 
Wunsch  geäußert  worden,  daß  die  beträchtlichen,  von  der  Schiffahrt 
dafür  aufgebrachten  Summen  (im  Jahre  1893  z.  B.  x/4  Million  Mark) 
in  zweckmäßigerer  Weise,  z.  B.  für  eine  Reliktenversorgung,  verwendet 
werden  möchten.  Allerdings  ist  ja  zu  bedenken,  daß  die  wenigsten 
Seeleute  ihrem  Berufe  bis  ins  hohe  Alter  treu  bleiben,  und  daß,  wenn 
sie  dann  am  Lande  irgend  ein  anderes  Gewerbe  betreiben  —  also  nicht 
mehr  beitragspflichtig  sind  —  sie  in  der  Regel  die  Versicherung  nicht 
freiwillig  fortsetzen  werden.  Gleicherweise  ist  nicht  wahrscheinlich,  daß 
einer  größeren  Anzahl  Invalidenrenten  zufallen  werden,  da  es  sich  zu 
oft  um  schwere,  tödliche  Leiden  oder  Unfälle  handelt,  während  bei 
leichteren  durch  die  langdauernde  Verpflichtung  des  Reehders  (3  Monate 
im  In-  und  6  im  Auslande)  zureichend  vorgesorgt  ist.  Der  im  März  1894 
gegründete  Verband  deutscher  Seeschiffervereine  hat  seine  Thätigkeit 
mit  einer  Eingabe  an  den  Reichskanzler  eröffnet,  dahin  gehend,  es  möge 
der  Seemannsstand  aus  der  allgemeinen  Versicherung  gegen  Alter  und 
Invalidität  ausgeschieden  und  eine  besondere,  etwa  unter  die  Leitung 
der  Seeberufsgenossenschaft  zu  stellende  Kasse  für  die  Alters-,  Invali- 
ditäts-  und  Reliktenversorgung  gestiftet  werden. 

46 


Schiffshygiene.  231 

Ein  weiterer  berechtigter  Wunsch  bezüglich  des  Unfallversicher- 
ungsgesetzes ist  von  der  Regierung  entgegenkommend  aufgenommen 
worden.  Es  handelt  sich  darum,  daß  gewisse  ansteckende  Krankheiten 
—  wie  z.  B.  das  Gelbfieber  —  den  Betriebsunfällen  gleichgestellt  wer- 
den sollen,  da  ja  der  Seemann  solchen  beim  Anlaufen  verseuchter  Häfen 
z.  B.  berufsmäßig  ausgesetzt  wird. 

Den  Verdienst  des  Seemannes  anlangend,  so  betrug  die  Heuer  für 
Vollmatrosen  (neben  freier  Beköstigung)  in  den  Jahren  von  1889  bis 
1893  monatlich  53,48—53,87  M.,   für  Schiffsjungen  14,50—16,91  M. 58. 

Nach  §  4  der  Verfassung  steht  der  Reichsregierung  die  Befugnis 
zu,  das  Auswandererwesen  gesetzlich  zu  regeln.  Die  Aussicht  auf  ein 
einheitliches  Gesetz  hierüber  wie  auch  —  auf  Grundlage  der  Beschlüsse 
der  Dresdener  Konferenz  von  1893  —  über  das  Quarantänewesen  ist 
jetzt  in  nächste  Nähe  gerückt,  da  die  Vorverhandlungen  unter  Zuziehung 
der  verschiedensten  Sachverständigen  eröffnet  sind. 

Die  wesentlichsten  B e s t i m m u n g e n  bezüglich  der  Quaran- 
täne sind  für  Preußen,  Bremen  und  Oldenburg,  die  1883  ein  gemein- 
sames Quarantäneamt  in  Bremerhaven  errichtet  haben,  sowie  für  Ham- 
burg etwa  die  folgenden. 

Einer  gesundheitspolizeilichen  Kontrolle  unterliegen  diejenigen 
Schiffe,  welche  herkommen  aus: 

1)  dem  Schwarzen  Meere,  einem  Hafenplatze  der  Türkei  oder  der 
türkischen  Inseln  (ausschließlich  der  Gebiete  am  Adriatischen  Meere), 
dem  Persischen  Busen,  dem  Roten  Meere  oder  von  der  Westküste 
Afrikas  nördlich  von  der  Kapstadt; 

2)  aus  einem  Hafenplatze,  der  laut  Bekanntmachung  von  Seiten 
des  Reichskanzlers  oder  nach  sonstigen  glaubwürdigen  Nachrichten  als  der 
Pest,  Cholera  oder  epidemisch  herrschenden  Gelbfiebers  verdächtig  ist; 

3)  welche  mit  einem  der  unter  1  und  2  genannten  Häfen  oder 
einem  aus  solchen  Häfen  kommenden  Schiffe  Verkehr  gehabt  haben  oder 

4)  auf  deuen  während  der  Reise  sich  ein  auf  jene  3  Krankheiten 
verdächtiger  Fall  ereignet  hat. 

Die  genannten  Schiffe  müssen  die  gelbe  Flagge  führen ,  dürfen 
weder  mit  dem  Lande  noch  mit  anderen  Schiffen  in  Verkehr  treten 
(nur  das  Annehmen  eines  Lotsen  oder  Schleppdampfers  ist  gestattet) 
und  müssen  einen  alle  gesundheitlichen  Verhältnisse  klar  legenden  Be- 
richt (Fragebogen)  an  die  Behörde  einliefern.  Zulassung  zu  freiem 
Verkehr  wird  gestattet,  wenn  Pest  oder  Cholera  während  der  ganzen 
Reise,  Gelbfieber  in  den  letzten  14  Tagen  nicht  vorgekommen  ist,  Ver- 
kehr mit  verdächtigen  Schiffen  nicht  stattgefunden  hat  und  entweder 
sanitäre  Kontrolle  in  einem  Nord-  oder  Ostseehafen  vorhergegangen  ist 
oder  das  Schiff  am  Abgangsorte  längstens  48  Stunden  vor  dem  Aus- 
laufen  von   einem   deutschen  Konsularbeamten   einen  Paß  erhalten  hat. 

Anderenfalls  muß  das  Schiff  wieder  in  See  gehen  oder  an  einem 
angewiesenen  Platze  ankern  und  sich  der  Besichtigung  durch  den  be- 
amteten Arzt  unterziehen.  Erkrankte,  Genesende  und  Verdächtige  sind 
getrennt  an  geeigneten  Orten  zu  isolieren,  die  von  Kranken  benutzten 
Effekten  zu  vernichten,  die  der  übrigen  sowie  die  Schiffsräume  zu  des- 
infizieren. 

Mannschaft  und  Passagiere  jedes  kontrollierten  Schiffes  werden  in 
einem  isolierten  Räume  der  ärztlichen  Beobachtung  unterstellt,  bei  Ver- 
dacht auf  Pest  für  7  Tage,  bei  Cholera  und  Gelbfieber  je  6  Tage,  ihre 

47 


232  D.  KULENKAMPFF,  Schiffshygiene. 

Effekten  und  Kleider  werden  desinfiziert  oder  vernichtet.  Hat  das 
Schiff  giftfangende  Waren  (diese  werden  in  §  9  des  Uebereinkommens 
von  1883  näher  bezeichnet)  aus  pestverdächtigen  Gegenden  an  Bord,  so 
dürfen  diese  erst  nach  vorgängiger  Unschädlichmachung  in  den  Ver- 
kehr gebracht  werden.  Das  Schiff,  insbesondere  der  Bilschraum  ist  in 
diesen  Fällen  zu  desinfizieren. 

Die  neuesten  auf  diesen  Gegenstand  bezüglichen  Vorschriften38 
bringen  endlich  die  im  Juli  1893  dem  Reichstage  zur  Genehmigung 
vorgelegten  Uebereinkünfte  der  europäischen  Staaten  auf  Grund  der 
Beschlüsse  der  internationalen  Sanitätskonferenz  zu  Dresden,  für  deren 
Ausführung  die  einzelnen  Staaten  im  Verordnungswege  zu  sorgen  haben. 
(Siehe  bei  Finkeinburg  Bd.  I  Seite  25  dieses  Handbuches.) 

38)  Wernich  und  Wehmer,  Lehrbuch  des  öffentlichen  Gesundheitswesens  (1894)  726  tf. 

39)  Hamburger  und  Bremer  Gesetzblatt  (1893.$.). 
58)  Statistische  s  Jahrbuch/,  d.  Deutsche  Beich  (1894). 


Gemeinsames 

Register 

zu  Knauf f—  Weyl,  Asyle,  niedere  Herbergen,  Volksküchen  u,  s.  w. 
und  D.  Kulenkampff,  Schiffshygiene. 


Abdominal typhus  in  Berlin   147. 
Aborte  auf  Schiffen  208. 
Arbeiterbaracken  171. 
Arbeitshaus  in  Berlin   148. 
Armstrong  218. 
Asyle  145  ff. 

—  in  Berlin   162  ff. 

—  „   Elberfeld  166. 

—  ,,   England   169. 

—  ,,   Moskau  168. 

—  „   Paris  148.   167  ff. 

—  „  Wien  1C7. 
Aschebeförderung  205. 
Auson,   Admiral   187. 
Auswandererwe sen  212.  228. 

Bäder  auf  Schiffen  210. 

—  in  Asylen   150. 
Baumeister   149. 
Becker  149. 

Berlin,  Exanthematicus  in   147. 

—  Flecktyphus  in  147. 

—  Pennen  in   147.   155. 

—  Pocken  in  147. 

—  Polizeiverordnung    über    Pennen  etc. 

in  Berlin   153. 

—  Recurrens  in  147. 

—  Volkskaffeehaus  in   173. 

—  Wärmehalle  in  176. 
Behnke  169. 
Bilgewater  190. 
Büsche  190. 
Bilschgase  193. 

—  räum  190. 

—  wasser  195  ff. 
Blane  187. 

Bochum,  Kosthaus  in   174. 

Bock  148. 

Bohr  186. 

Börner's  Patentklosett  209. 


Booth  über  Asyle  in  London   152. 
Bremen,  Volkskaffeehaus  in   175. 

—  Zahl  der  Schiffe  und  Matrosen   1$ 
Breslau,  Recurrens  in  148. 

Brüssel,  Flecktyphus  in   148. 
Bugge  213. 
Burton-Brown  206. 
Busley  206. 

Cholerabacillen  im  Bilschwasser  196. 
Cholera  in  London   147. 

—  in   Pennen  147. 
Citronensaft  gegen  Skorbut  187. 
Common  lodging  houses  146  ff.  152. 
Common  lodging  houses  act  147. 
Cook  187. 

Deschamps  148. 
Desinfektion  der  Schiffe  194  ff. 
Destillierapparate  auf  Schiffen   223. 
Dresdener  Konferenz  231. 
Dryholystoning  195. 
Dujardin-Baumetz  170. 
Dumesnil   148. 
Dnnbar   197. 
Duncan  146. 

Eau  de  la  sentine  190. 
Eismaschinen  auf  Schiffen   219. 
Elberfeld,  Asyl  in  166. 
England,  Asyle  in   169. 
Erhardt  198. 
Ernährung  in  Asylen  158. 

—  auf  Schiffen  213. 
Exanthematicus  in  Berlin   147. 

—  in  Paris  148. 
Explosion  auf  Schiffen   192. 

Filter  für  Schiffe  224. 
Flock  192. 


49 


234 


Register. 


Flecktyphus  in  England  146. 

—  in  Festungen  146. 

—  „   Gefängnissen   146. 

—  „  Irland  146. 

—  „  Breslau  148. 

—  „   Brüssel  148. 

—  „   Riga  148. 
Fonssagrives  218. 
Friedel  187. 

Gärtner  192.  206. 

Geary  187. 

Gebläse  203. 

Gefängnis,   Krankheiten  im  146. 

Gesetze  über  niedere  Herbergen  151  ff. 

Girgensohn  148. 

Goltdammer,  Litteratur  156.   172. 

—  über  Pennen   147. 

—  ,,     Recurrens  146. 
Glasgow,  Flecktyphus  in  146. 
Glover  146. 

Green  204. 

Grube  von  der  Hey  dt,    Schlafhaus   der  170. 

Haack   205. 

Hafenarzt  212. 

Hamburg,  Kaffeehalle  in   175. 

—  Musterung  in  189. 
Hawsksley   146. 

Hay,  Captain   155. 
Herbergen  171  ff. 
Herwig  195. 
Hirsch,  A.  149. 
Holzschiffe   183. 
Hospitäler  auf  Schiffen  211. 

Impfungen  auf  Schiffen  213. 
Irland,  Flecktyphus  in  145. 

Jacobi  148. 
Jünglingsheime  171. 

Kaffeehallen  172. 

Kalk  zur  Desinfektion  der  Schiffe   196. 

Karlin  sky  198. 

Kiel  190. 

Kielschwein  190. 

Kindersterblichkeit  in  Liverpool  146. 

—  in  Nottingham  145. 
Kirchner  186. 

Koch    und     Gaffky    über    Desinfektion     der 

Schiffe  195. 
Kohlenladungen  194. 
Kohlensäure  in  den  Schiffsräumen  193. 

—  Vergiftung  auf  Schiffen  192. 
Kohlenoxydvergiftung  auf  Schiffen  192. 
Kolschwein  190. 

Kosthaus  in  Bochum  174. 
Krankenkassen  für  Seeleute  229. 
Küchen  auf  Schiffen  210. 
Kühlapparate  219. 

Iiapparent  186. 

Lazarette  auf  Schiffen  211. 

Lederer  227. 


Lebert  148. 

London,  Asyle  in  152. 

—  Pennen  in  146. 

—  Recurrens  in   146. 
Liddle  155. 

Litten  148. 

Liverpool,  Kindersterblichkeit  in  146. 

Lüftung  des  Schiffes  198  ff. 

Luftraum  in  common  lodging  houses  150. 

Macdonald  190. 

Mägdeheime  171. 

Medizinkiste  auf  Schiffen  212. 

Meinert  175. 

Mericourt  186. 

du  Mesnil  149.  179. 

Morgenstern,  L.  175. 

Moskau,  Asyle  in   168. 

Munk  über  Volksküchen  173. 

Murchison  über  Flecktyphus  140. 

Nocht  194.   197. 

Nottingham,  Sterblichkeit  in   145. 

Paris,  Asyle  in  148.   167. 

—  Flecktyphus  in   148. 

—  Pennen  in  148. 
Parkes  206. 

Patentklosett  von  Börner  209. 
Pennen  in  Berlin  147.  156. 

—  in  London   146. 

—  „  Paris  148. 

Pistor  über  Pennen  etc.    149. 

Plumert  192. 

Pocken  in  London  147. 

—  in  Pennen   147. 
Pressköpfe  198. 
Proviant  214. 

Quarantänen  230 

Rae  219. 

Raoul  198. 

Rauer  192. 

Recurrens  in  Berlin  147. 

—  in  London   146. 

—  Vorkommen  des  146. 
Reincke  186. 

Riga,  Flecktyphus  in  148. 
Ringeling  193. 
Rippen  190. 
Rochard,  Jul.  148. 
Rodney  187. 
Root  203. 

Saatholz  190. 
Sabordement  193. 
Sander  149. 
Sandstein  149. 
Saugköpfe  200. 
Schiffshygiene  180  ff. 
Schiffsluft  191. 
Schlaf häuser  170  ff. 
Schlafstellen  s.  a.  Pennen. 
Schmitt,  Ed.  172.  175. 
Seekrankheit  228. 


5o 


Register. 


235 


Selbstentzündung  auf  Schiffen  192. 
Seydel  193. 
Sjögvist  198. 
Simon,  H.   149. 

—  Sir  John  152. 
Skorbut  auf  Schiffen  187.  218. 
Spanten  190. 

Spirituosen  auf  Schiffen  187. 
Sterblichkeit  auf  Schiffen   188. 
Stuttgart,  Herberge  in  173. 

—  Mägdeheim  in  172. 

Sublimat  zur  Desinfektion    der  Schiffe  195. 
Submersion  193. 

Tanks  auf  Schiffen  200. 

Treutier  &  Schwarz  204. 

Turner  192. 

Typhus  abdominalis  s.  Abdominaltyphus. 

—  exanthematicus  s.  Exanthetnaticus. 

—  bacillen  im  Bilschwasser  196. 
Typhus  s.  auch  Flecktyphus. 

Utley's  Fenster  201. 


Valiin  198. 
Ventilatoren  202  ff. 
Vergiftung  auf  Schiffen   192. 
Verkehrshygiene  178  ff. 
Versicherung  der  Seeleute  230. 
Viehoff- Voss  199. 
Vinen  155. 

Volkskaffeehaus  in  Berlin  173. 
Volksküchen  172. 

Walbrach  211. 
Wärmehallen  in  Berlin   176. 
Wärmstuben  172. 

Wasserversorgung  auf  Schiffen  222. 
Wenzel  189. 

Wernich  über  Schlafstellen  151. 
Weyl,  Th.,  Gesundheit  der  Städte  156 
Wien,  Asyle  in  167. 

—     Wärmehalle  in   176. 
Windsack  199. 
Wyss   148. 

Zwischendeck  207. 
Zwischendecker,  Ernährung  der   216. 


5' 


EISENBAHNHYGIENE. 

BEAEBEITET  VON 

DR.  OTTO  BRAEHMEß, 

SANITÄTSRAT    IN    BERLIN. 

MIT  13  ABBILDUNGEN  IM  TEXT. 


HANDBUCH   DER   HYGIENE 


HERAUSGEGEBEN   VON 


DR.  THEODOR  WEYL. 


SECHSTER  BAND.     VIERTE  LIEFERUNG. 


--$3i©f- 


JENÄ, 
VERLAG  VON  GUSTAV  FISCHER. 

1896. 


Inhaltsübersicht. 


Seite 

I.  Einleitung 237 

II.  Die    Entwickelung     und    Bedeutung     der    Eisen- 
bahnen       237 

Litteratur 239 

III.  Die    für  Gesundheit    und  Leben    durch    den  Eisen- 
bahnbetrieb entstehenden  Gefahren 239 

a)  Unfälle 239 

1.  Statistik 239 

2.  Natur  der  Unfälle  (Traumatische  Neurose) 245 

Litteratur 247 

b)  Krankheiten 247 

1.  der  Reisenden 247 

2.  des  Eisenbahnpersonals 248 

Litteratur 253 

IV.  Die  Abwehr  der  durch  den  Eisenbahnbetrieb  ent- 
stehenden Gefahren 253 

Litteratur 254 

a)  Sanitäre  Bedingungen  der  Betriebsmittel   und  des  Betriebes  253 

1.  Bahnhöfe 254 

2.  Oberbau  (Schienen,  Bahnbewachung,  Bahnübergänge)  .     .  255 

3.  Signal  und  Telegraphenwesen 257 

4.  Weichen 261 

5.  Lokomotiven     .     .     .     '. 261 

6.  Wagen 263 

7.  Lüftung  der  Wagen 268 

Litteratur 271 

8.  Heizung  der  Wagen 271 

Litteratur 273 


II  Inhalt. 

Seite 

9.  Beleuchtung  der  Wagen  . 273 

Litteratur 274 

10.  Kuppelung  und  Buffer 274 

11.  Bremsen 275 

12.  Maßnahmen  gegen  ansteckende  Krankheiten 276 

13.  Leichentransport 283 

.  Litteratur 284 

14.  Das  Rettungswesen  hei  den  Eisenbahnen 284 

Litteratur 291 

15.  Wohlfahrtseinrichtungen  hei  den  Eisenbahnen     .     .     .     .  291 

a)  Haftpflicht 291 

b)  Einrichtungen  für  Beamte 292 

c)  Einrichtungen  für  Arbeiter 293 

16.  Betrieb  und  Leitung  der  Eisenbahnen 294 

b)  Sanitäre  Bedingungen  seitens  des  Eisenbahnpersonals    .     .     .  296 

1.  Anstellung  des  Eisenbahnpersonals 297 

2.  Erhaltung  und  Pflege  des  Eisenbahnpersonals 300 

a)  Einkommen 300 

b)  Wohnung 301 

c)  Kleidung 301 

d)  Dienstzeit 302 

e)  Urlaub 303 

f)  Ernährung  des  Eahrpersonals 304 

g)  Uebernachtungs-  und  Unterkunftsräume 305 

3.  Pensionierung 306 

c)  Organisation  des  ärztlichen  Bahndienstes 307 

Litteratur 310 

Verzeichnis  der  Abbildungen 311 

Register 312 


I.  Einleitung. 

Die  Eisenbahnhygiene  ist  derjenige  Zweig  der  öfientlichen  Gesund- 
heitspflege, welcher  die  Gefahren,  die  Leben  und  Gesundheit  der  Menschen 
durch  den  Eisenbahnbetrieb  bedrohen,  erforschen  und  bekämpfen  will. 
Ihre  Sorge  gilt  dem  Wohl  der  Reisenden  und  des  Eisenbahnpersonals, 
dem  letzteren  nicht  nur  um  des  eigenen  Schutzes  willen,  sondern  weil 
von  seiner  Gesundheit  und  Frische  Leben  und  Gesundheit  der  Reisenden 
beeinflußt  wird;  ihre  Sorge  gilt  endlich  den  Anwohnern  von  Stationen 
und  Schienenwegen,  sowie  Allen,  welche  mit  letzteren  in  Berührung 
kommen. 

Während  nun  für  den  medizinischen  und  sozialpolitischen  Teil  eine 
langjährige  Erfahrung  und  das  Studium  der  Litteratur  eine  genügende 
Sicherheit  des  Urteils  darboten,  war  der  Verfasser  —  der  Natur  der 
Sache  nach  —  bei  der  Schilderung  der  technischen  Einrichtungen,  die 
ja  die  Sicherheit  im  Eisenbahnbetrieb  so  wesentlich  beeinflussen,  auf 
die  Unterstützung  sachverständiger  Berater  hingewiesen.  Zu  besonderem 
Danke  haben  uns  durch  ihren  fachmännischen  Rat  verbunden  die  Herren 
Geh.  Oberbaurat  S  t  a  m  b  k  e ,  Regierungsrat  R  e  h  b  e  i  n ,  Baurat  V  o  c  k  e 
und  Geh.  Kommissions-Rat  Glaser,  sämtlich  in  Berlin. 

Bei  dem  für  die  Bearbeitung  der  Eisenbahnhygiene  zur  Ver- 
fügung stehenden,  nicht  allzu  großen  Raum  konnte  eine  Anzahl  wich- 
tiger technischer  Fragen  nicht  ausführlich  im  Text  behandelt,  sondern 
mußte  vorzugsweise  durch  Anführung  der  Litteratur  berücksichtigt 
werden. 


IL    Die  Entwickelung  und  Bedeutung  der  Eisen- 
bahnen. 

Die  uralte  Erfahrung,  daß  ein  Fuhrwerk  auf  glatter  Oberfläche, 
welche  die  geringste  Reibung  bedingt,  am  schnellsten  fortbewegt  werden 
kann,  schuf  von  jeher  Bestrebungen  die  W7ege  möglichst  glatt  und  fest 
herzustellen.  Da  jedoch  selbst  auf  den  besten  Wegen  die  Räder  tiefe 
Geleise  einschnitten,  so  kam  man  auf  den  Gedanken  die  Einschnitte, 
in  denen  die  Räder  rollten,  durch  eine  feste  Unterlage  zu  unterstützen, 
d.  h.  die  Räder  auf  Bohlen  oder  Balken  zunächst  von  Holz  rollen  zu 
lassen.  Diese  Holzschienen  wurden  zuerst  in  Deutschland  beim 
Bergwerksbetriebe  (vgl.  dies.  Handb.,  8.  Bd.  228)  eingerichtet.  Das  Be- 
Handbuch der  Hygiene.    Bd  VI.  16 


238  BRAEHMER, 

fahren  derselben  mit  schweren  Lasten  nützte  sie  selbstverständlich  bald 
ab;  daher  beschlug  man  diejenigen  Stellen  der  Holzspuren,  welche  am 
meisten  der  Abnutzung  ausgesetzt  waren,  mit  Schmiedeeisen.  Erst  im 
Jahre  1776  wurde  die  erste  Bahn  aus  ganz  eisernen  Schienen  ausge- 
führt; die  weitere  Verbesserung  derselben  in  Bezug  auf  die  FormeD, 
das  Material  u.  s.  w.  geht  bis  in  die  neueste  Zeit. 

Auch  das  zweite  Haupterfordernis  des  Eisenbahnbetriebes,  die  An- 
wendung des  Dampfes  als  bewegende  Kraft,  blieb  der  neueren 
Zeit  vorbehalten.  Die  ersten  Fuhrwerke  auf  Schienen  wurden  durch  Tiere 
oder  durch  Menschen  bewegt.  Auch  Seilbahnen  wurden  auf  bergigem 
Terrain  in  der  Weise  angewandt,  daß  ein  herabgehender  beladener  einen 
leeren  Wagenzug  emporzog.  Auch  bediente  man  sich  stehender  Dampf- 
maschinen und  sogar  der  Wasserräder,  um  Wagen  auf  Schienen  mittels 
Ketten  steile  Anhöhen  emporzuschaflen.  Nachdem  bereits  im  Jahre 
1784  der  Engländer  James  Watt  ein  Patent  auf  eine  Dampfvorrich- 
tung zur  Fortbewegung  von  Wagen  genommen  hatte,  gelang  es  erst 
nach  langen  Vorversuchen  dem  großen  englischen  Ingenieur  George 
Stephenson  die  Bewegung  von  Lokomotivmaschinen  mit  glatten 
Kadern  als  ausführbar  hinzustellen. 

So  konnte  die  erste  Eisenbahn  zwischen  Stockton  und  Darling- 
ton in  England  am  4.  Oktober  1825  dem  Verkehr  übergeben  werden. 

Dieselbe  diente  jedoch  in  den  ersten  Jahren  nur  zum  Transport  von 
Kohlen  und  Erzen.  Die  Personenbeförderung  auf  dieser  Strecke  begann 
erst  am  27.  Oktober  1828,  dem  eigentlichen  Geburtstag  unseres  jetzigen 
Eisenbahnwesens.  Die  anderen  Länder  schlössen  sich  in  folgender  Reihen- 
folge an1:  Erankreich  und  Oesterreich-Ungarn  1828,  Belgien 
1835  mit  der  Strecke  Brüssel -Merlines,  in  demselben  Jahre  Deutsch- 
land mit  Nürnberg  -Eürth,  der  am  29.  Oktober  1838  Berlin  -  Potsdam 
folgte,  Rußland  1838,  Italien  1839,  Schweiz  1844  mit  Zürich- 
Aarau,  Spanien  1848,  Schweden  1851,  Türkei  1860,  Rumänien 
1870.  In  Amerika  wurde  die  erste  Bahn  1830  eröffnet,  in  Asien 
1853,  in  Afrika  1856  (Aegypten),  in  Australien  1863  3. 

Von  allen  Erdteilen  und  Ländern  hat  den  großartigsten  und  durch 
seine  ungeheuren  Dimensionen  geradezu  verblüffenden  Aufschwung  ge- 
nommen der  Eisenbahnbau  der  Vereinigten  Staaten  von  Nordamerika. 
Nach  einer  Zusammenstellung  im  Jahre  1890 x  beträgt  die  Länge  der 
Schienenwege  in  Amerika  331417,  in  Europa  223  869,  in  Asien  33  724, 
in  Afrika  9386,  in  Australien  18889,  in  der  ganzen  Welt  617  285  km.  Noch 
mehr  muß  man  staunen  gegenüber  der  Thatsache,  daß  von  der  Eisenbahn- 
länge Amerikas  etwa  7/8  auf  die  Vereinigten  Staaten  fallen.  Dieselben 
besitzen  268  409  km  Eisenbahnwege,  d.  i.  ungefähr  so  viel  wie  Europa, 
Asien,  Afrika  und  Australien  zusammen. 

Wie  auf  allen  Gebieten  der  modernen  Lebensführung,  so  hat  auch 
auf  den  Eisenbahnbetrieb  den  nachhaltigsten  Einfluß  ausgeübt  die 
Elektricität.  Die  Erhöhung  der  Sicherheit  durch  die  Telegraphie  wird 
später  (S.  260)  beleuchtet  werden,  die  Vorzüge  der  elektrischen  Beleuch- 
tung von  Wagen,  Bahnhöfen  und  Strecken  gelangen  täglich  zu  größerer 
Anerkennung,  seit  Jahren  fängt  man  an  die  Elektricität  als  treibende 
Kraft  zu  verwenden. 

Wenn  diese  Versuche  auch  bisher  hauptsächlich  auf  kürzeren  Strecken 
bez.  Kleinbahnen  stattgefunden  haben,  so  verschließt  man  sich  doch  nicht 


Eisenbahnhygiene.  239 

mehr  der  Möglichkeit,  daß  dereinst  die  Elektricität  als  Betriebskraft  die 
Eisenbahnen  beherrschen,  ja  nach  dem  Urteil  hervorragender  Ingenieure 
in  25  Jahren  das  Zeitalter  des  Dampfes  im  Bahnbetrieb  verdrängen  wird. 
So  ist  u.  a.  in  Amerika  schon  vor  6  Jahren  eine  Sachverständigenkom- 
mission zusammengetreten,  um  die  Einführung  des  elektrischen  Betriebes 
auf  einer  der  großen  Ueberlandlinien  zu  erwägen.  Das  Projekt  ist  da- 
mals nicht  zur  Verwirklichung  gelangt,  hauptsächlich  weil  die  für  den 
elektrischen  Betrieb  notwendige  erste  Voraussetzung  des  Bedürfnisses, 
häufiger  und  starker  Verkehr,  nicht  vorlag,  und  unter  diesen  Umständen 
die  Einrichtung  nicht  in  einem  angemessenen  Verhältnis  zu  den  aufzu- 
wendenden Kosten  stand.  Nach  einer  neueren  Nachricht  aus  New  York 
hat  die  große  Interoceanische  Eisenbahngesellschaft  nunmehr  ein  Kapital 
von  200  Millionen  Dollars  zur  Verfügung  gestellt,  um  eine  elektrische 
Hochbahn  zunächst  von  New  York  bis  nach  Chicago  zu  bauen,  die  später 
bis  an  den  Stillen  Ocean  fortgeführt  werden  soll.  Auch  in  dem  Verein 
für  Eisenbahnkunde  4  in  Berlin  wurden  bei  den  Verhandlungen  über  diese 
Frage  die  Schwierigkeiten  betont,  so  u.  a.  die  Anordnung  der  Stromzu- 
führung namentlich  im  internationalen  Verkehr,  eine  Schwierigkeit,  welche 
mit  den  Ansprüchen  an  die  Geschwindigkeit  wächst.  Faßt  man  jedoch 
die  hier  geäußerten  Ansichten  zusammen,  so  läßt  sich  das  Ergebnis  dahin 
feststellen,  daß  alle  Schwierigkeiten  zu  überwinden  seien,  und  daß  die 
Frage  des  elektrischen  Betriebes  nicht  wieder  von  der  Tagesordnung  ver- 
schwinden werde.  In  Frankreich  stehen  wir  bereits  vor  einer  Thatsache: 
seit  Oktober  1894  wird  dort  die  erste  Vollbahn  elektrisch  betrieben  auf 
der  Strecke  von  Nantes  nach  Paris  mittels  der  Heil  mann 'sehen  Loko- 
motive.    Die  bisherigen  Erfahrungen  sollen  günstig  sein. 

1)  Archiv  f.  Eisenbahnwesen  (1892)  490. 

2)  Freiherr  v.  Weber,  Schule  des  Eisenbahnwesens,  1885. 

3)  Haber,  Geschichte  des  Eisenbahnwesens,   1878. 

4)  Verhandlungen  des  Vereins  für  Eisenbahnkunde,  Berlin  1893. 


III.  Die  für  Gesundheit  und  Leben  durch  den  Eisen- 
bahnbetrieb entstehenden  Gefahren. 

Die  für  Gesundheit  und  Leben  durch  den  Eisenbahnbetrieb  ent- 
stehenden Gefahren  sind  zwiefach.  Durch  den  Eisenbahnbetrieb  werden 
hervorgerufen:  entweder  plötzlich  zugefügte  Schäden  infolge  mecha- 
nischer Einwirkung  oder  Krankheiten  durch  die  mit  dem  Eisenbahn- 
betrieb verbundenen  schädlichen  Einwirkungen.  Der  bekannte  und  ver- 
diente Eisenbahn  techniker  Freiherr  v.  Web  er  x  teilt  die  Gefahren  in  solche 
mechanischen  und  in  solche  physiologischen  Ursprunges  ein.  Diese  Ein- 
teilung werden  wir,  schon  um  uns  der  Ausdrucksweise  der  neueren  Gesetz- 
gebung anzupassen,  ersetzen  durch  die  Einteilung  in  Unfälle  und  Er- 
krankungen. 

a)  Unfälle. 

1.  Statistik. 

Die  Unfallstatistik  der  Eisenbahnen  ist  leider  noch  eine  unvoll- 
ständige und  wenig  zuverlässige.    Namentlich  an   den  amerikanischen 

16* 


240  .       BRAEHMER, 

Bahnen  war  sie  bis  vor  Kurzem  kaum  vorhanden ,  und  die  in  den 
früheren  Jahresrapporten  der  Eisenbahngesellschaften  aufgeführten  Un- 
fälle beschäftigten  sich  viel  mehr  mit  Zerstörungen  von  Bahnmaterialien 
als  mit  den  Schäden  an  Leib  und  Seele.  Von  einer  übersichtlichen 
und  richtigen  Zusammenstellung  durch  die  einzelnen  Verwaltungen  war 
keine  Rede. 

In  dem  Jahresbericht  vom  Jahre  1876  der  Philadelphia-B-eading- 
Bahn  heißt  es  2  :  „Von  der  Gesamtzahl  der  Passagiere  (6  938  129),  welche 
während  des  Jahres  befördert  sind,  wurde  keiner  beschädigt,  es  sei  denn 
infolge  Vernachlässigung  seinerseits  der  von  der  Kompagnie  für  die 
Sicherheit  vorgesehenen  Instruktion."  Diesem  Bericht  ist  eine  Tabelle 
beigefügt,  welche  die  Summe  der  beschädigten  Wagen  durch  Zusammen- 
stöße, durch  gebrochene  Achsen,  durch  falsche  Weichenstellung  u.  s.  w. 
anführt,  ohne  daß  man  daraus  ersehen  kann,  wie  viel  Achsen  gebrochen 
oder  wie  viel  Zusammenstöße  stattgefunden  haben.  Ganz  im  Unklaren 
bleibt  man  darüber,  bei  welchen  Gelegenheiten  Personen  geschädigt  oder 
getötet  sind.  Die  Bahngeseseilschaften  in  Amerika  waren  bis  1887  durch 
das  Gesetz  nicht  verpflichtet  die  Unfälle  zu  veröffentlichen  und  aus  er- 
klärlichen Gründen  wenig  mitteilsam.  Seitdem  ist  durch  das  Bundes- 
verkehrsamt in  Washington  die  Möglichkeit  einer  guten  Statistik  an- 
gebahnt. 

Besser  steht  es  um  die  Unfallstatistik  bei  den  euro- 
päischen Bahnen,  am  besten  bei  den  Staatsbahnen.  Eine  unbe- 
dingt zuverlässige  Zusammenstellung  der  Unfälle  finden  wir  in  den  vom 
Ministerium  der  öffentlichen  Arbeiten  veröffentlichten  Nachrichten  über 
die  Ergebnisse  des  Betriebes  der  preußischen  Staatseisen- 
bahnen, sowie  in  der  Statistik  der  im  Betriebe  befindlichen  Eisen- 
bahnen Deutschlands,  nach  den  Angaben  der  Eisenbahnverwaltungen 
bearbeitet  im  Reichseisenbahnamt. 

Die  amtlich  festgestellten  Unfälle  bei  den  preußischen  Staatsbahnen 
für  1892/93  ergeben  folgende  Tabellen  3 : 

I.  Unfälle  nach  dem  B  e  t  r  i  ebs  b  er  i  ch  t  für  1892/93. 

getötet  oder  inner- 
halb 24  Stunden       verletzt 
gestorben 
1,  Reis  ende. 

a)  Unverschuldet    durch    Unfälle   der  Züge   während  der 

Fahrt 2  127 

b)  infolge  eigener  Unvorsichtigkeit    beim  Besteigen,    Be- 
nutzen und  Verlassen  der  Züge 22  32 


zusammen                  24  159 
Es  sind  daher  auf  je 

a)  1   Million  beförderte  Reisende 0,07  0.49 

ß)   1   Million  Personen-km 0,003  0,02 

2.  Bahnbeamte  und  Bahnarbeiter  im 

Dienste. 

A.  Beim  eigentlichen  Eisenbahnbetriebe. 

a)  durch  Unfälle  der  Züge  während  der  Fahrt       ...  4  18 1 

b)  auf  andere  Weise 247  12 12 

zusammen  251  1393 

Es  sind  daher  auf  je 

1   Million  durchfahrene  Zug-km 1,17  6,50 


Eisenbahnhygiene.  241 

B.  Bei  Nebenbeschäftigungen. 
(Bahnunterhaltungs-  und  Bauarbeiten,  Auf-  und  Abladen 

von  Gütern  u.  s.  w.) 4  407 

3.    Post-,    Steuer-,    Telegraphen-,    Polizei- 
u.  sonstige  im  Dienste  b  e  find  1  ich  e  B  eamte. 

a)  Unverschuldet  durch  Unfälle  der  Züge —  16 

b)  infolge    eigener    Unvorsichtigkeit    beim  Besteigen  und 

Verlassen  der  Züge    oder  beim  Betreten  der  Bahn     .  4  5 

zusammen  4  21 

4.  Fremde  Personen. 

a)  Unverschuldet  durch  Unfälle  der  Züge,    durch  falsche 

Handhabung  der  Wegeübergangsschranken  u.  s.  w.    .  8  8 

b)  infolge    eigener    Unvorsichtigkeit    beim    Betreten    der 

Bahn 132  82 

c)  durch  Selbstmord  oder  Selbstmordversuche  ....  89  23 


zusammen  229  113 


II.  Uebersicht   über  die    in  dem  Betriebsjahr  1892/93  beim  Betriebe  der 

pr  e  uf  sis  ch  e  n  S  t  aa  t  s  ei  s  enb  ah  ne  n  s  ta  ttgef  un  de  nen  Un  f  all  e,  sowie  über 

die  Zahl  der  Verunglückten. 

1.  Betriebslänge  im  Jahresdurchschnitt 25  445,57 

En  tgl  eisun  gen 

2.  auf  freier  Bahn 100 

3.  in  Stationen 190 

4                                                                                zusammen  290 
Zus  ammen  stöfse 

5.  auf  freier  Bahn 34 

6.  in  Stationen 178 

7.  zusammen  212 
Gesamtzahl  der  Entgleisungen  u.  Zusammenstöfse 

8.  auf  freier  Bahn 134 

9.  in  Stationen 368 

10.  zusammen  502 
Von  der  Gesamtzahl  (No.  10)  entfallen: 

11.  auf  1  km  mittlerer  Betriebslänge 0,0 20 

12.  auf  1  Million  Lokomotiv-km 1,39 

13.  auf  1  Million  Wagenachs-km  aller  Art    ....  0,0  6 
Sonstige  Unfälle*) 

14.  auf  freier  Bahn 406 

15.  in  Stationen 1355 

16.  zusammen  1761 
Unfälle  im  ganzen 

17.  auf  freier  Bahn _  540 

18.  in  Stationen 1723 

19.  zusammen  2263 
Von  der  Gesamtzahl  (No.  19)  entfallen: 

20.  auf  1  km  mittlerer  Betriebslänge o,089 

21.  auf  1   Million  Lokomotiv-km 6,2  7 

22.  auf  1  Million  Wagenachs-km  aller  Art    ....  0,2  5 

23.  Zahl  der  Verunglückten    (ausschliefslich    der  Selbst- 
mörder)       2082 

Von  der  Zahl  der  Verunglückten  (No.  23)  entfallen : 

24.  auf  1   km  mittlerer  Betriebslänge o,082 

25.  auf  1  Million  Achs-km  der  Personenwagen       .     .  1,2  0 

26.  auf  1   Million  Personen-km 0.26 

27.  auf  1  Million  Zug-km 9,72 

28.  auf  1   Million  Wagenachs-km  aller  Art    ....  0,2 3 


*)  Hierher    gehören  Ueberfahren    von  Fuhrwerken  u.  s.  w.,    Feuer  im  Zuge,   Kessel- 
explosionen und  andere  Ereignisse,  sofern  Personen  getötet  oder  verletzt  worden  sind. 


242 


BRAEHMER, 


Für  Deutschland  hat  die  Unfallstatistik  aus  dem  Betriebsjahr 
1892/93  folgendes  Ergebnis: 

Statistik  der  Eisenbahnen  Deutschlands,   bearbeitet  im 


B 

Anzahl  der 

Anzahl  der  bei  den  Betriebs- 

atriebsunfälle 

Reisende 

a  .. 

bD    , 

CD 

schulde 
r  Zügt 
ahrt) 

**3     CD 

J3  CO    O 

auf 

Bezeichnung 

IS 

73    <-T  co 

l.     H     jj 

auf 

1  000  000 

der 

a 

CD 

CD 

a 

B 

S-Sfc 

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a  "5  »*  bo 

auf 

1  000  000 

Achs- 

tD 

:0 

^2 

a 

>  2  S 

°   8        N 

Zu- 

1 000  000 

durch- 

Bahnnen 

— 
3" 

CO 

.2 

CD 

co  73  13 

kilometer 

CO 

'5 

5 

S 

CD 

3 
S 

0 
S 

CS 
CO 

B 

1  eigene 
ch  Unfj 
ährend 

1*1  SJ 

8>.g    B^ 

'S     S     CD 

sammen 

beförderte 
Reisende 

fahrene 
Personen- 

der 
Personen- 

a 

W 

e8 

CO 

.SP 

NJ 

W  SP 

kilometer 

B 
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wagen 

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0  ■— ' 

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get. 

verl. 

get. 

verl. 

get. 

verl. 

get. 

verl. 

get.  verl. 

get. 

verl. 

I.  Staatsbah- 

nen und  auf 

Rechnung  des 

Staates  ver- 

waltete Privat- 

bahnen 

410 

271 

2532 

3213 

2 

151 

40 

52 

42 

203 

0,09 

0,45 

0,00 

0,02 

O,02 

0,08 

II.  Privat- 

bahnen unter 

Staatsver- 

waltung 

I 

3 

4 

III.  Privat- 

bahnen unter 

eigener  Ver- 

waltung 

72 

24 

204 

300 

10 

4 

4 

4 

H 

0,11 

0,39 

O,01 

0,02 

O,03 

0,10 

Summa  von 

I,  II,  III 

483 

295 

2739 

3517 

2 

161 

44 

56 

46 

217 

0,09 

0,44 

O.00 

0,02 

0,02, 

0,08 

Betreffs  der  übrigen   europäischen  Staaten   ist   folgendes  fest- 
gestellt 4 : 


Es  fallen  in 

auf    1000  000 
Zugkilometer 

auf  l  000  000 
Reisende 

Tote 

Verletzte 

Tote 

Verletzte 

0,57 
0,10 
0,24 
0,41 
0,17 
0,87 
0,31 
0,45 
0,47 

1,89 
0,48 
0,4  9 
1,80^ 
0,25° 
0,57 
0,76 
0,7  2 
0,49 

0,02 

0,01 
0,01 
0,01 
0,01 

0,17 
0,05 

0,01 

0,08 
0,14 

0,04 
0,05 
0,07 
0,33 
0,15 

Dänemark      .    .    . 
Frankreich     .    .    . 
Italien    ..... 
Niederlande  .    .    . 
Oesterreich-Ungarn 
Rumänien       .    .    . 

Schweiz      .... 

Von  dieser  europäischen  Statistik  hat  sich  leider  England  ausge- 
schlossen. Das  Material,  das  uns  sonst  über  die  Statistik  der  Unfälle 
bei    den    englischer]  Eisenbahnen    zu  Gebote    steht,  kann  keinen 

6 


Eisenbahnhygiene. 


243 


Reicl 

seisenbahn 

amt, 

Berlin 

1894 

,  s.  Seite  72,  73 

Unfällen  verunglückten  Personen 

Aufserdem    sind 

Bahnbeamte  und 
Arbeiter 

Andere  Personen 

Im  ganzen 

verunglückt 

H  0 

Ä 

berechnet 

1« 

"2   e 
0  « 

►     Ol 

aul 

"je 

durch 

durch 

Selbst- 

Unfälle 

auf 

ö|  9 

es 

1     u 

bei 

mord 

der  Züge 

während 

der  Fahrt 

sonstige 
Weise 

eigenes  V 
h  Unfälle 

U.    S.    -H 

e  eigener 

eit  beim  I 

der   Ba 

überhaupt 

■S  a 

)0  Wagen 
meter  alle 
Art 

Nebenbe- 
schäftig- 
ungen 

und 
Selbst- 
mord- 

MJ< 

0  2 

versuch 

O  .3 

0 

a 

0  a 

O    <o 

0  j2 
0  IE 
0  „a 

*  Ja 

-  S 

1 

get.   verl. 

get.   verl. 

get. 

verl. 

get. 

verl. 

get. 

verl. 

zusammen 

get. 

verl. 

get. 

verl. 

IO 

236 

I 

367 
I 

1671 

9 

34 

214 

144 

642 
1 

2288 
I 

2930 
2 

9,28 

3,98 

0?23 
0,17 

5 

521 

140 

31 

IO 

22 

330 

1 

10 

12 

25 

197 

222 

10,47 

0,38 

1 

73 

9 

2 

IO 

247 

379 

1831 

9 

35 

224 

156 

668 

2486 

3154 

9,34 

0,24 

6 

594 

149 

33 

Anspruch  auf  Zuverlässigkeit  und  Vollständigkeit  machen.  Die  Schwie- 
rigkeit von  Privatbahnen ,  wie  sie  in  England  fast  nur  vorhanden  sind, 
sichere  statistische  Nachrichten  zu  erhalten,  macht  sich  auch  hier  geltend. 
Die  meisten  Gesellschaften  berücksichtigen  mehr  das  zerstörte  Material 
und  die  Entschädigungssummen  als  die  Zahl  der  Todesfälle  und  Ver- 
letzten. Wir  verzichten  deshalb  auf  eine  Wiedergabe  und  verweisen  auf 
Weber's  „Schule  des  Eisenbahnwesens"  (S.  765). 

Für  Nordamerika  geben  B  ü  t  e  und  B  o  r  r  i  e  s6  folgende  Statistik : 

In  der  Zeit  vom  1.    Juli    1888    bis    zum    1.   Juli    1889    wurden    auf 
allen  nordamerikanischen  Bahnen: 


getötet 

Eisenbahnpersonal  1 972 

Reisende  310 

andere  Personen  3541 

Summa     5823 


verletzt 

20028 

2  146 

4  135 

20309 


244  BRAEHMER, 

Auf  die  verschiedenen  Klassen  der  Bediensteten  verteilen  sich  diese 
Zahlen,  wie  folgt : 

Stellung  der  Beamten                Anzahl  Getötet  Verletzt 

Zugpersonal 138323  1179  11  301 

Weichensteller,  Signalwärter 

und  Wächter 33  044  229  2  155 

Andere  Bedienstete      .     .     .         517  136  536  6360 

Nichtklassifizierte    ....            16240  28  212 


Insgesamt     704743  1972  20028 


Demnach  sind  in  Nordamerika  von  704743  insgesamt  im  Eisenhahn- 
dienst beschäftigten  Personen  in  einem  Jahre  nicht  weniger  als  1972  ge- 
tötet und  20  028  verletzt  worden.  Es  entfällt  durchschnittlich  ein  Toter 
auf  357  Bedienstete  und  ein  Verletzter  auf  je  35  Bedienstete.  Amerika 
dürfte  demnach  unter  den  Eisenhahnländern  wohl  am  ungünstigsten  in 
Bezug  auf  Unglücksfälle  der  Eisenhahnbeamten  dastehen. 

Von  den  Reisenden  wurde  von  je  1523133  einer  getötet  und  von 
je  220024  einer  verletzt.  Diese  amerikanische  Statistik  kann  nachBüte 
und  Borries6   nur  als  eine  angenäherte  gelten. 

Vergleicht  man  die  jetzige  Statistik  mit  der  früheren,  so  ist  im 
allgemeinen  eine  Verminderung  der  Unfälle  zu  konstatieren. 

Mit  Rücksicht  auf  den  beschränkten  Raum  wollen  wir  nur  das  Bei- 
spiel von  Frankreich  anführen5:  in  der  Zeit  von  1835 — 1859  kam  in 
Frankreich  1  getöteter  Reisender  auf  1 955  555  und  1  Verletzter  auf 
496  551,  in  der  Zeit  von  1872—1879    1  Toter   auf  27  879000  Reisende. 

Die  hier  für  größere  Zeiträume  erwiesene  Abnahme  der  Unglücks- 
fälle bezieht  sich  zunächst  nur  auf  die  Reisenden.  Verunglück- 
ungen der  Eisenbahnbediensteten  dagegen  haben  sich 
bisher  weder  in  Frankreich  noch  anderswo  wesentlich 
vermindert. 

Wiederholt  ist  die  Thatsache  beobachtet  worden,  daß  sich  zu  be- 
stimmten Zeiten  Unfälle  bei  einzelnen  Bahnen  häufen, 
so  z.  B.  Anfang  der  70er  Jahre  an  der  Anhalter  Bahn.  Wenn  solche 
Häufung  von  Unfällen  auf  die  Abnutzung  des  Materials  oder  auf  Mängel 
in  der  Betriebsleitung  zurückzuführen  ist,  muß  mit  der  Erkennung  der 
Schäden  auch  Besserung  eintreten.  Schon  aus  diesem  Grunde  halten 
wir  eine  zuverlässige  und  gleichmäßige  Unfallstatistik  der  Eisenbahnen 
für  segensreich  und  würden  es  mit  Freuden  begrüßen,  wenn  der  inter- 
nationale Eisenbahnkongreß  eine  solche  anbahnen  würde. 

Aus  Vorstehendem  geht  hervor,  daß  die  Gefahr,  auf  der  Eisenbahn 
zu  verunglücken,  verhältnismäßig  gering  ist.  Weber5  hat  berechnet, 
daß  sie  bei  den  preußischen  Eisenbahnen  3  mal  geringer  ist  als  die 
gewiß  nicht  sehr  naheliegende  Wahrscheinlichkeit,  das  große  Los  in  der 
preußischen  Lotterie  zu  gewinnen.  Nach  einer  anderen  Berechnung 
W  eb  er 's  wird  ein  Reisender,  wenn  er  Tag  und  Nacht  auf  einer  preußischen 
Eisenbahn  fährt  und  21  km  in  der  Stunde  zurücklegt,  nach  307  Jahren 
verletzt  und  nach  1540  Jahren  getötet  werden.  Endlich  ist  nach  Weber 
statistisch  nachgewiesen,  daß  im  Jahre  1872  in  Preußen  mehr  Personen 
(546)  durch  Lastfuhrwerk  verunglückten  als  durch  Eisenbahnfahrt  (460). 


Eisenbahnhygiene.  245 

So  erfreulich  diese  verhältnismäßig  geringe  Gefahr  ist,  der  in  ihr 
liegende  Trost  muß  verstummen  angesichts  der  schweren  und  fürchter- 
lichen Wirkungen  eines  jener  Eisenbahnunfälle,  wie  wir  sie  alle  im  Ge- 
dächtnis haben.  Hoffen  wir,  daß  es  der  Vervollkommnung  der  Eisen- 
bahntechnik trotz  der  immer  mehr  zunehmenden  Anforderungen  an  die 
Fahrgeschwindigkeit  und  Transportmenge  gelingen  möge,  die  Zahl  der 
Unfälle  zu  vermindern ! 


Litteratur  *.  S.  247. 


2.  Natur  der  Unfälle. 


Was  nun  die  Natur  der  Unfälle  betrifft,  so  können  bei  Eisen- 
bahnunfällen Verletzungen  derselben  Art  und  derselben  Schwere  vor- 
kommen wie  bei  allen  anderen  Gewaltwirkungen. 

Eine  besondere  Erörterung  erfordert  nur  eine  Gruppe  von  Ver- 
letzungen, das  sind  die  Störungen  im  Nervensystem  nach  Unfällen,  mag 
man  dieselben  nun  traumatische  Neurose,  railway-spine  oder 
railway-bire,  traumatisches  Irrsein,  traumatische  Hysterie  nennen. 

Diese  nervösen  Störungen  sind  nicht  nur  die  Folge  von  Rücken- 
markserschütterungen, sondern  auch  die  Folge  von  peripherischen 
Verletzungen ,  welche  mit  oder  ohne  Shock  die  Ursachen  nervöser 
Störungen  werden  können.  Es  giebt  wohl  kaum  ein  ärztliches  Thema, 
welches  die  Männer  der  Wissenschaft  und  der  Praxis  seit  den  Haftpflicht- 
gesetzen der  Eisenbahnen  so  lebhaft  beschäftigt  hat  wie  die  vorstehende 
Frage.  Chirurgen,  wie  Paget,  Neurologen,  wie  Charcot,  Leyden, 
Oppenheim,  Seligmüller,  Bahnärzte,  wie  Riegler,  haben  sich 
eingehend  mit  dieser  Frage  beschäftigt.  Der  Widerstreit  der  Meinungen 
fand  ein  lebhaftes  Echo  bei  denjenigen  Verwaltungen,  für  welche  die 
traumatische  Neurose  ein  großes  praktisches  Interesse  hat.  Wie  eng 
verbunden  der  wissenschaftliche  Austrag  dieser  Frage  mit  der  Praxis 
ist,  beweist,  daß  derselbe  Streit,  der  seit  einem  Decennium  Deutschlands 
Aerzte  und  Verwaltungen  bewegt,  etwa  20  Jahre  früher  in  England,  wo 
die  Entschädigungsfrage  bei  Eisenbahnunfällen  zuerst  eine  Regelung 
fand,  mit  derselben  Lebhaftigkeit  geführt  wurde. 

Die  erste  wissenschaftliche  Bearbeitung  wurde  1866  von  Erichsen 
veröffentlicht7,  welcher  aus  einer  großen  Kasuistik  einen  Symptomen- 
komplex aufstellt,  den  er  railway-spine  nennt.  Er  sieht  die  Grundlage 
der  Krankheit  nicht  in  einer  Verletzung,  sondern  in  einer  chronischen 
Entzündung  des  Rückenmarks  und  der  Rückenmarkshäute.  Auf  demselben 
Standpunkt  standen  Leyden,  Erb,  Bernhard,  Westphal,  nur  daß 
sie  dem  Shock  schon  eine  größere  Bedeutung  beilegten.  Riegler  10  faßte 
die  Störungen  in  dem  Begriff  Siderodromophobie  zusammen:  eine 
mehr  oder  weniger  hochgradige,  mit  allgemeiner  hysterischer  Verstimmung 
und  krankhafter  Abneigung  gegen  die  gewohnte  Thätigkeit  verbundene 
spinale  Irritation ,  welche  unter  Einwirkung  des  Shock  bei  den  im  Ma- 
schinen- und  Fahrdienst  Angestellten  sich  aus  einer  durch  ihren  Beruf 
selber  bedingten  Krankheitsanlage  -entwickelt  habe. 

Eine  neue  Aera  begann  im  Jahre  1883,  als  Charcot7  die  sich  an 
Verletzungen  anschließenden  nervösen  Krankheitszustände  Hysteria  virilis 
nannte  und  seine  Ansicht  damit  begründete,  daß  die  Hypnose  der  Hyste- 
rischen und  die  der  nach  Verletzungen  an  nervösem  Shock  Leidenden  die 
größte  Aehnlichkeit  hätten.  Diese  Theorie  Charcot's  wurde  besonders 
lebhaft  bekämpft   von    Thomson    und    Oppenheim8.     Für   0  p  p  e  n  - 


246  BRAEHMER, 

heim  bilden  die  Sjmiptome  des  sich  an  eine  Verletzung  anschließenden 
Krankheitszustandes  die  Elemente  der  Psychose  oder  Psychoneurose, 
also  einer  Krankheitsform,  der  eine  erkennbare  materielle  Ver- 
änderung nicht  zu  Grunde  liegt.  Dieselbe  sei  weder  eine  reine 
Melancholie  noch  Hypochondrie  noch  Hysterie  noch  Epilepsie  noch  Neur- 
asthenie ,  sondern  eine  Mischform ,  die  sich  mit  keiner  der  genannten 
Krankheitserscheinungen  ganz  deckt.  Diese  Theorie  Oppenheim's  und 
die  von  ihm  auf  Grund  dieser  Theorie  abgegebenen  Gutachten  fanden 
vielfach  lebhaften  Widerspruch,  sowohl  bei  den  die  Entschädigung  fest- 
setzenden Organen,  als  auch  bei  den  Aerzten ;  von  den  letzteren  bekämpfte 
besonders  Seligmüller15  die  Oppen  heim' sehe  Theorie  und  wandte 
sich  gegen  den  Mißbrauch,  der  mit  dem  Worte  der  traumatischen  Neurose 
getrieben  werden  kann,  wenn  Simulanten  einzelne  von  Oppenheim  als 
für  die  traumatische  Neurose  charakteristische  Symptome  vortäuschen  und 
leichtgläubige  Aerzte  sich  täuschen  lassen. 

Damit  ist  der  Kampf  gegen  die  traumatische  Neurose  entbrannt, 
welcher  infolge  der  neueren  sozialen  Gesetzgebung,  der  Haftpflicht  und 
Unfallgesetze  in  allen  Ländern  mit  großer  Lebhaftigkeit  geführt  wird. 

Es  verbietet  uns  leider  der  Raum,  auf  eine  kritische  Beleuchtung 
der  Frage  einzugehen.  Für  die  Eisenbahnhygiene  liegt  die  Bedeutung 
der  Erage  nicht  nur  in  der  Feststellung  der  Entschädigungen,  sondern  in 
einer  großen  Gefahr,  die  dem  Eisenbahnbetriebe  entstehen  kann.  Die 
Aerzte  und  Bahnverwaltungen  sind  jetzt  einstimmig  der  Ansicht,  daß 
jede  Form  einer  Psychose  auch  nach  relativer  Genesung  dauernd  vom  Eisen- 
bahndienst auszuschließen  ist.  Wie  oft  nimmt  ein  der  Simulation  Ver- 
dächtiger, aber  nicht  Ueberführter  teils  aus  eigenem  Antrieb,  teils  auf  An- 
ordnung des  Arztes,  oder  einem  Druck  der  Vorgesetzten  folgend,  den  Dienst 
wieder  auf!  Ist  der  Betreffende  wirklich  kein  Simulant,  ist  er  mit  einer 
Krankheit  behaftet,  der  Seelenstörungen  zu  Grunde  liegen,  wie  es  Oppen- 
heim will ,    so  läge    darin    eine  große  Gefahr  für  die  Betriebssicherheit. 

Die  Entscheidung  dieser  schwerwiegenden  Frage  erfordert  daher  den 
ganzen  Ernst  des  mit  großer  Erfahrung  ausgestatteten  Arztes.  Es  giebt 
gewiß  nach  Eisenbahnverletzungen  unzweifelhafte  Psychosen  und  Neurosen ; 
wir  können  aber  nicht  zugeben,  daß  solche  Psychoneurosen,  auch  wenn 
sie  dem  Oppenheim' sehen  Krankheitsbilde  entsprechen,  nur  nach  Ver- 
letzungen vorkommen. 

Ein  weiteres  Eingehen  auf  die  Symptomatologie  der  traumatischen 
Neurose*)  verbietet  sich  in  einem  Handbuche  der  Hygiene  von  selbst. 
Es  sei  deshalb  auf  die  reichhaltige,  S.  247  citierte  Litteratur  verwiesen. 

Auf  Grund  unserer  Kenntnisse  dürften  die  folgenden  Sätze  gerecht- 
fertigt erscheinen. 

1)  Die  sog.  traumatische  Neurose  nach  Eisen  bahnver- 
letzungen  ist  bei  dem  heutigen  Stande  der  Wissenschaft 
noch  nicht  als  eine  durch  eigenartige  Symptome  hin- 
länglich charakterisierte  Krankheitsform  anzusehen. 

2)  Die  Neurosen  und  Psychosen  des  Eisenbahnper- 
sonals nach  Verletzungen  unter  scheiden  sich  nicht  von 
solchen,  welche  durch  andere  Ursachen  hervorgerufen 
werden. 


*)  Wird  in  einem  späteren,  nur  für  Aerzte  geschriebenen  Buche  geschehen, 

io 


Eisenbahnhygiene.  247 

Die  sonstigen  Eisenbahnverletzungen  unterscheiden  sich 
von  den  durch  andere  Gewaltwirkung  hervorgerufenen  nur  dadurch,  daß 
sie,  entsprechend  der  Gewalt  der  einwirkenden  Kräfte,  meistens  schwerer 
sind  als  in  irgend  einem  anderen  Betriebe.  Die  schwersten  Verletzungen 
und  Verstümmelungen  entstehen  durch  Entgleisungen  oder  Zusammen- 
stöße, in  den  Stationen  oder  auf  freier  Bahn ,  jedoch  in  viel  größerer 
Zahl  in  den  Stationen.  Die  Entgleisungen  werden  verursacht  durch 
unrichtige  Handhabung  des  Zugdienstes,  falsche  Stellung  der  Weichen, 
Mängel  am  Oberbau,  Mängel  an  Fahrzeugen  (Achsbrüche,  Radreifen- 
brüche). Die  häufigsten  Ursachen  der  Zusammenstöße  sind:  falsche 
Aufstellung  von  Fahrzeugen ,  mangelhafte  Signalisierung  oder  Nichtbe- 
achtung der  Signale,  falsche  Dispositionen  des  Stationspersonals,  falsche 
Weichenstellung,  unzeitige  Ingangsetzung  der  Fahrzeuge,  zu  schnelles 
Fahren,  Zugtrennung. 

Während  bei  Zusammenstößen  und  Entgleisungen  meistens  Massen- 
verletzungen auftreten ,  entstehen  die  Verletzungen  einzelner 
Reisender  oder  Bediensteter  noch  durch  andere  Ursachen:  z.  B.  durch 
Fallen  beim  Besteigen  oder  Verlassen  der  Züge,  durch  Quetschungen 
zwischen  den  Buffern  (eine  Ursache,  welche  in  Amerika,  wo  die  Wagen 
meistens  einen  Centralbuffer  haben,  selten  vorkommt),  durch  Fall  vom 
Trittbrett  während  der  Fahrt,  durch  Ueberfahren  bei  falscher  Hand- 
habung der  Wegebarriere,  durch  Selbstmord  u.  s.  w. 

1)  V.  Weber,  Gefährdungen  des  Maschinen-  u.  Fahrpersonals  der  Eisenbahnen  (1862). 

2)  Brosius,  Die  Eisenbahnen  der    Vereinigten  Staate?i  von  Nordamerika  (1876). 

3)  Geschäftliche  Nachi-ichten  über    die  preufsischen    Staatseisenbahnen,    1.    Teil  (1894 — 95), 
60—63. 

4)  Statistique  des  chemins  de  fer  de  l'Europe  (1890). 

5)  v.  Weber,  Schule  des  Eisenbahnwesens  (1880)   360,   770. 

6)  Büte  u.  v.  Borries,  Bericht  über  eine  im  Auftrage  des  preufsischen  Ministers  der  öffent- 
lichen Arbeiten   1891   untei-nommene  Studienreise  (1892)   125. 

7)  Oppenheim,  Berl.  ärztl.  Korrespbl.  (1887)  143. 

8)  Oppenheim,  Die  traumatischen  Neurosen  (1889). 

9)  Statistik   der    im  Betriebe    befindlichen    Eisenbahnen    Deutschlands  ,     bearbeitet    im    Beichs- 
eisenbahnamt  (1892). 

10)  Biegler,  Die  Folgen  der    Verletzungen  auf  Eisenbahnen  (1879). 

11)  Paget,  Eisenbahnverletzungen,  aus  dem  Englischen  übersetzt  von  Placzek  (1892). 

12)  Thiem,  Behandlung  und  Begutachtung  der    Unfallverletzten  (1892). 

13)  Hoffmann ,    Die    traumatische  Neurose   und   das   Unfallversicherungsgesetz    in    Volkmann's 
Vorträgen  (1892). 

14)  Becker,  Bestimmung  der  Arbeits-  und  Erwerbsunfähigkeit  nach  Verletzungen  (1892). 

15)  Seligmüller,  Die  Errichtung  von   Unfallkrankenhäusern  (1890). 

lb)  Krankheiten. 

1.  Krankheiten  der  Reisenden. 

Die  durch  schädliche  Einwirkungen  des  Eisenbahnbetriebes  ent- 
standenen Krankheiten  der  Reisenden  lassen  sich  nach  Zahl  und 
Art  naturgemäß  nicht  statistisch  feststellen.  Viele  Personen  machen 
sich  die  Abhängigkeit  einer  Erkrankung  von  einer  Eisenbahnfahrt  über- 
haupt nicht  klar;  bei  anderen  ist  schwer  zu  bestimmen,  wie  viel  auf 
andere  Ursachen,  z.  B.  Gemütsaufregung  beim  Abschied  und  beim 
Wiedersehen ,  Luftveränderung ,  veränderte  Lebensweise  u.  s.  w.,  zu 
schieben  ist. 

Schon  Niemeyer1  berichtet  über  Fälle  Halla's  vonPara- 
lysis  des  Nervus  facialis  bei  Reisenden,  welche,  durch  schnelles 


248  BRAEHMER, 

Laufen  erhitzt,  den  Zug  kurz  vor  seinem  Abgang  noch  erreichten  und 
bei  geöffnetem  Fenster  einen  Vordersitz  einnahmen.  Sicher  konstatiert 
sind  ferner  Fälle  von  akuter  Laryngitis,  Bronchitis  und 
Pneumonie,  welche  auf  dieselbe  Weise  entstanden.  Augenka- 
tarrhe und  Rachenkatarrhe  nach  Eisenbahnfahrten  hat  wohl  jeder 
Arzt  behandelt.  Sehr  häufig  sind  Verdauungsstörungen  nament- 
lich nach  langen  Fahrten,  befördert  durch  das  Sitzen  in  den  hintersten, 
besonders  schwankenden  Wagen  der  Schnellzüge.  Diese  Verdauungs- 
störungen, verbunden  mit  nervösen  Erscheinungen,  folgen  so  unmittelbar 
auf  die  Fahrt,  daß  ihre  Ursache  nicht  zu  verkennen  ist.  Viele  Per- 
sonen, die  an  Migräne  leiden,  bekommen  nach  jeder  Fahrt  einen  Anfall, 
nach  unserer  Erfahrung  besonders  nach  einer  Nachtfahrt.  Doch  ist  das 
Reisen  bei  Tage  durchaus  kein  Schutz.  Mehrfach  sind  Fälle  von  akuter 
Harnverhaltung  und  tagelangen  Urinbeschwerden  ärztlich  beobachtet 
worden. 

Die  Erwerbung  einer  akuten  Infektionskrankheit 
durch  eine  Eisenbahnfahrt  ist  naturgemäß  schwer  nachzuweisen ,  ist 
jedoch  mehr  als  wahrscheinlich.  Nach  privater  Mitteilung  von  H  e  r  z  o  g 
ist  in  Bayern  eine  Infektion  durch  einen  Eisenbahnwagen,  in  dem  ein 
Pockenkranker  gefahren,  konstatiert  worden. 

Litteratur  s.  S.  253. 

2.  Krankheiten  des  Eisenbahnpersonals. 

Unter  den  Erkrankungen  der  Eisenbahnbeamten  erfordern  die  des 
Maschienen-  und  Fahrpersonals  allein  besondere  Berücksichtigung.  Viel- 
fach ist  von  französischen  Aerzten,  so  von  Cahen,  die  Behauptung 
aufgestellt  worden,  daß  bei  den  Fahrbeamten  nicht  nur  ein  guter 
Gesundheitszustand  herrsche,  sondern  daß  der  Fahrdienst  sogar  fördernd 
auf  die  Gesundheit  wirke 2.  Diese  Ansicht  wird  durch  die  unten  folgende 
Statistik  widerlegt. 

Leider  ist  die  Statistik  der  Erkrankungen  des  Eisenbahnpersonals 
nicht  überall  mit  derselben  Zuverlässigkeit  und  Uebereinstimmung 
durchgeführt.  Aus  dem  jedoch,  was  als  verbürgt  gelten  kann,  geht 
sicher  hervor,  daß  gewisse  Krankheiten  beim  Fahrpersonal  überwiegen, 
vor  allem  aber,  daß  der  physische  Organismus  der  Fahrbeamten  sich 
durch  gewisse  Einflüsse  schneller  abnutzt  als  bei  anderen  Beamten. 

Nach  den  Veröffentlichungen  3  des  Kaiserl.  Gesundheitsamtes  stellte 
sich  die  Erkrankungsziffer  von  60741  Beamten  von  21  deutschen  Eisen- 
bahnverwaltungen im  Jahre  1880  auf  57,12  Proz.  Dagegen  beträgt  die 
Erkrankungsziffer  von  146000  deutschen  Bahnbeamtem  im  Jahre  1875 
59,56  Proz. 

Für  die  einzelnen  Beamtenkategorien  ergaben  sich  folgende  Er- 
krankungszifiern : 

1875  1880 

Zugbeförderungspersonal 120,22  90,58 

Zugbegleitungspersonal 82,03  75*86 

Bahnbewachungspersonal       ....  48,50  48,25 

Stations-  und  Expeditionspersonal  .     .         47,16  45,16 

Sonstige  pensionsberechtigte  Personen         35,43  38,86 

Unter  den  Krankheiten  spielen  Rheumatismus,  die  Krankheiten 
des  Verdauungsapparates  und  die  der  Atmungsorgane  eine  bedeutende 
Rolle. 


Eisenbahnhygiene. 


249 


Sehr  wertvoll  durch  den  Vergleich  mit  der  übrigen  Bevölkerung 
ist  folgende  englische  Statistik  von  Findlaison4,  welche  für 
die  Jahre  bis  1882  gelten. 


Alter 

Von   100  starben  jährlich 

Jedes  Mitglied  war  täglich 
krank  (Tage) 

Eisenbahn- 
arbeiter 

im  ganzen 
Lande 

Eisenbahn- 
arbeiter 

im  ganzen 
Lande 

25 
30 
40 

5° 
60 

o,55 
1,10 

1.72 
2,24 

5,49 

0,71 
0,77 
1,03 
1,50 
2,61 

9,10 

9,77 

10,99 

15,00 

14,84 

6,83 

6,91 

8,21 

11.49 

18,73 

Aus  dieser  Statistik  geht  deutlich  hervor,  daß  der  Prozentsatz 
der  Todesfälle  und  der  Krankheitstage  bei  den  Eisen- 
bahnangestellten erheblich  größer  ist  als  bei  der 
übrigen  Bevölkerung. 

Eine  einheitliche  Krankheitsstatistik  wurde  vom  Jahre  1883  ab 
jährlich  vom  Verein  der  deutschen  Eisenbahnverwaltungen  herausgegeben. 
Nach  5-jährigem  Bestehen  ist  diese  Statistik  leider  eingestellt  worden, 
weil  man  sich  durch  die  thatsächlich  in  den  einzelnen  Jahrgängen  wenig 
verschiedene  Statistik  genügend  informiert  glaubte. 

Die  letzte  aus  dem  Jahre  1887  stammende  Statistik  stellen  wir 
in  folgender  Tabelle  zusammen : 

(Tabelle  siehe  S.  250  u.  251  oben.) 

L  e  n  t 7  führt  folgende  Statistik  an,  welche  für  die  Beamten  einiger 
rheinischen  Bahnen  gilt. 

Auf  100  Beamte  kommen 

_  _  .  Rhein.  Eisen- 

Beamten-Kategonen  :  ,    , 

1876  1877 

Lokomotivführer 84,2  81,0 

Heizer 112. 4  82,3 

Zugführer  und    Packmeister  75,0  79  6 

Schaffner 83,0  72,1 

Bremser 86,9  62,1 

Bahnwärter  etc 36.0  31,4 

Stationsbeamte 46,2  36.2 

Expeditionsbeamte     ....  36,0  25,5 

Bureaubeamte 26,3  43,4 

überhaupt  46,2  39.8 

Ferner  kommen  auf  100  Krankheitsfälle: 

Verletzungen 12,8  15,2 

Infektionskrankheiten  etc.    .  3,9  2,8 

Allgemeine  Ernährungsstö- 
rungen      11,6  13,8 

Krankh.    des    Herzens    und 

Gefäfssystems 0,8  1,1 

Krankh.    d.    Atmungsorgane  26,4  24,4 

Krankh.  der  Verdauungs- 
organe      27,5  26,5              29,2          27,1                 26,8          25,2 


Erkrankung 

en  : 

Berg. 

-Mark. 

Saarbr.  u 

.    Rhein 

Eisenbahn 

Nahe-Bahn 

1876 

1877 

1876 

1877 

110,1 

106.1 

217,6 

203,2 

112. 3 

92,7 

181.1 

169,4 

154,0 

110,8 

202,6 

108,6 

139-8 

r23,5 

283,1 

172,9 

H7,8 

IOI,4 

243,7 

165,9 

66,0 

54,9 

79,2 

58,7 

56,<i 

57,4 

88,5 

55,9 

303 

32,1 

24,7 

37,o 

36.7 

35.7 

42,1 

29,2 

70,2 

64,8 

III. 3 

83,7 

8,1 

8,6 

8,9 

10,3 

4-1 

3,5 

1,5 

1,7 

18,6 

20,0 

23,3 

24,6 

1,0 

1,0 

0,8 

0,7 

24.9 

24.1 

25,2 

24,3 

13 


250 


BRAEHMER, 


II.  Krank- 

I.  Allgemeine  Ergebnisse 

Allgemeine 

und  Blut- 

krankheiten 

Benennung 
des 

a 

u 

e 

öS 

u 

ä  g 
.2  s 

•**     B 

"S 

OD 

3 

00 

Dienstzweiges 

ir.    CO 

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CD 

3 

cS 

3.S 

G  ® 

J2 
:S 

0 

ja 

EH 

5 

65 

Tage 

I.  Zugbeförderungs- 

beamte    .     . 

12  702 

IO436 

82 

91 

I94309 

19 

3441 

2475 

16 

31 

Prozent 

(27,11) 

(19,34) 

(0,13) 

(0,24) 

II.  Zugbegleitungs- 

beamte   . 

13  671 

8  750 

64 

198 

211  844 

24 

2600 

1639 

14 

18 

Prozent 

19,03 

11,99 

0,10 

0,13 

III.  Bahnbewachungs- 

beamte     .     .     . 

20  053 

7  677 

38 

217 

211  719 

28 

2235 

I409 

II 

33 

Prozent 

11.15 

7,03 

0,05 

0,16 

IV.  Stationsbeamte  . 

17  363 

5  588 

32 

!.S5 

142  539 

26 

1572 

928 

H 

34 

Prozent 

9.05 

5.34 

O,08 

0,20 

(Fortsetzung  von  S.  249.) 

Erankh.  d.  Gehirns,  Rücken- 
marks   u.    Nervensystems 

Krankh.  der  Harn-  und  Ge- 
schlechtsorgane     .... 

Krankh.      der     Bewegungs- 
organe     

Krankh.   der  Haut    und   des 
Zellgewebes 

Krankh.   des  Auges       .    . 
„  ,,     Gehörorgans  . 

Krankh.     ohne      bestimmte 
Angabe  


Rhein.  Eisen- 
bahn 


0,6 


0,8 


Berg. -Mark. 
Eisenbahn 


M 


Saarbr.  u.  Rhein. 
Nahe-Bahn 

2.8  2.3 


1,2 


0,3 


0,9 


8.1 

7,7 

6.2 

8,0 

6.1 

6,3 

2.7 

2.5 

2.0 

2.S 

2,7 

2,9 

0.5 

0.4 

0,4 

0,4 

0,5 

0,3 

0,6 


0,1 


0,1 


Ungemein  wertvoll  sind  die  Angaben,  die  wir  aus  der  im  Auftrage 
der  deutschen  Eisenbahnverwaltungen  von  Z  i  1 1  m  e  r s  verfaßten  Dienst- 
unfähigkeits-  und  Sterbensstatistik  entnehmen.  Dieselbe  erstreckt  sich 
für  das  Jahr  1880  auf  50508  Zugbeamte;  davon  waren  23140  Zugbe- 
förderungsbeamte und  27  368  Zugbegleitungsbeamte. 


Es  erkrankten 

Zugbeförderungs- 
beamte 

Zugbegleitungs- 
beamte 

es    wurden 
dienst- 
unfähig 

es  starben 

es    wurden 
dienst- 
unfähig 

es  starben 

an  Rheumatismus 

,,    Krankheiten      des     Nerven- 

,,    Geisteskrankheiten    .... 
,,    Krankheiten  der  Augen  .    . 
,,               ,,              „     Ohren  .    . 
„               .,              ,,     Atmungs- 

,,    Krankheiten  d.  Verdauungs- 

43 

59 

6 

19 
14 

26 
17 

5 
25 

55 
30 

64 

49 

9 

15 

15 

67 
15 

4 

45 

151 
43 

Eisenbahnhygiene. 


251 


heitsgruppen   und  Krankheitsformen 

Krankh.  des 

Krankheiten 

CO 

, 

Nervensystems 

der 

B 
3 

a 
< 

u   co 

B 
M 

u 

CS 
kl 

Verletzungen 

CO 

O   0 
$1 

CO 

'S 
to    ki 

CO 

'S 

ja 

Selbst- 

s 

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ja 
k, 
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a    B 

•  P<      CO 

CO    -M 
O    'S 

J3 
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CS 

b 

CD 

60 
3 
< 

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CS 

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0 

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B 

CS 

B    co 

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ja  es 
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ca 

kl 

M 

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co  a 
ja  s 
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et 
u 

a 
ca 

w 

a 

CO 

5 

3 

B 

3 

CO 

B 

CS 

mord 

T3 

M 

M 

603 

9 

234 

55 

1376 

160 

2660 

607 

838 

Il6 

2 

(4.7  5) 

O  07 

1,84 

0,43 

(IO,83) 

(1,26) 

(20,94) 

4,78 

6,59 

0,91 

(0,02) 

450 

17 

170 

50 

1558 

176 

2034 

46c 

915 

93 

3 

3,29 

0,12 

1,24 

0,37 

11,40 

1.29 

14,88 

3»3ö 

6,69 

0,68 

0,02 

462 

7 

2l6 

5i 

1433 

190 

1643 

587 

460 

123 

8 

2.30 

0,03 

1,68 

0,25 

7,15 

0,95 

8,19 

2,93 

2,29 

0,6 1 

0,04 

472 

13 

185 

28 

967 

175 

1343 

3J2 

186 

122 

4 

2,79 

O,07 

1,07 

o,it> 

5,57 

I.Ol 

7,73 

1,80 

1,07 

0,70 

0,02 

Noch  interessanter  ist  die  Feststellung  des  Lebensalters, 
in  dem  die  Dienstunfähigkeit  meistens  eintritt,  wie  sie 
aus  den  Z  i  1 1  m  e  r '  sehen  Tabellen  8  hervorgeht.  Der  Wichtigkeit  und 
des  Vergleiches  wegen  wollen  wir  hier  auch  die  anderen  Beamten- 
kategorien berücksichtigen.  Demnach  werden  die  meisten  Z  u  g  b  e  - 
förderungsbeamten  pensioniert  im  Alter  von  46— 50  Jahren  und 
zwar  nach  einem  Dienstalter  von  19,7  Jahren;  die  meisten  Zugbe- 
gleitungsbeamten im  Alter  von  51— 55  Jahren  nach  einem  durch- 
schnittlichen Dienstalter  von  21  Jahren;  die  meisten  Stationsbe- 
amten im  Alter  von  56 — 60  Jahren  und  zwar  nach  einem  durchschnitt- 
lichen Dienstalter  von  27,3  Jahren ;  die  meisten  Bahnbewachungs- 
beamten im  Alter  von  61 — 65  Jahren  nach  einem  Dienstalter  von 
27,1  Jahren.  Diese  Zusammenstellung  ist  ungemein  lehrreich  und  läßt 
sich  durch  Verfolgung  der  früheren  Jahrgänge  bestätigen.  Auch  hier 
lernen  wir  stufenweise  die  Abnutzung  der  verschiedenen  Dienstzweige 
der  Eisenbahnbeamten  kennen. 

Wenn  wir  aus  Vorstehendem  entnommen  haben,  daß  die  Mehrzahl 
der  Krankheiten  des  Maschinen-  und  Fahrpersonals  Krankheiten  der 
Atmungsorgane,  der  Verdauungsorgane,  der  Nerven  und  Rheumatismus 
sind,  so  können  wir  diese  Krankheiten  ungezwungen  auf  die 
im  Eisenbahndienst  liegenden  Schädlichkeiten  zurück- 
führen: Erzeugung  von  Dampf  und  die  damit  verbundene  Hitze,  Ent- 
Wickelung von  Ruß  und  Staub,  Schnelligkeit  der  Fortbewegung  auf  schwerem 
starrem,  Fuhrwerk  und  die  dadurch  hervorgerufene  Erschütterung,  Un- 
regelmäßigkeit des  Dienstes,  der  Ernährung  und  des  Schlafes.  Aehnliche 
Schädlichkeiten  werden  stets  ähnliche  Krankheiten  hervorrufen,  und  man 
könnte  daher  nur,  soweit  diese  Schädlichkeiten  für  das  Eisenbahnfahren 
spezifisch  sind,  von  spezifischen  Eisenbahnkrankheiten  reden.  Eine  solche 
spezifische  Schädlichkeit  ist  vor  allem  die  Erschütterung  auf  der  Ma- 
schine.    Mit  Rücksicht  auf  diese   haben   denn   auch   mehrere  Autoren, 


15 


252  BRAEHMER, 

besonders  Riegler2,  eine  professionelle  Krankheit  des  Ma- 
schinenpersonals angenommen,  die  in  einem  eigentümlich  ver- 
änderten Zustand  der  Nervencentra,  einer  Irritation  derselben,  ihren 
Grund  haben  soll. 

Nach  R  i  e  g  1  e  r  -  überwiegen  die  spinalen  Symptome ,  seltener 
sind  die  cerebralen  Symptome  in  Form  hysterischer  Verstimmung.  Er 
identifiziert  eigentlich  beide  Zustände.  Als  Hauptsymptome  der  pro- 
fessionellen Maschinenkrankheit  führt  er  an:  Rückenschmerzen  spontan 
oder  bei  Druck  auf  die  Dornenfortsätze,  welche  auf  den  Hinterkopf  und 
auf  die  Extremitäten  ausstrahlen,  Angst  und  Beklemmung,  Herzklopfen, 
Kurzatmigkeit,  Schwerfälligkeit  der  Bewegungen,  Schwäche,  selbst  Läh- 
mung, Anästhesie  oder  Hyperästhesien  u.  s.  w.  Ein  Vergleich  dieser  Sym- 
ptome mit  den  im  vorigen  Kapitel  (S.  245)  angeführten  der  traumatischen 
Neurosen  beweist  die  Aehnlichkeit. 

Riegler2  nimmt  mit  Recht  nur  bei  einer  Klasse  der  Eisenbahn- 
beamten eine  spezifische  Krankheit  an,  bei  den  Loko- 
iiio tivbeamten,  die  er  auf  die  dauernde  Erschütterung  zurückführt. 

Unsere  Stellung  zu  der  Frage  ist  folgende :  Die  statistisch  festge- 
stellten Thatsachen,  daß  das  Maschinenpersonal  früher  invalide  wird,  daß 
ferner  die  Fähigkeit  den  Einflüssen  des  Dienstes  zu  widerstehen,  mit  der 
Zahl  der  Dienstjahre  bei  demselben  sich  vermindert,  d.  h.  daß  die 
durchschnittlichen  Krankheitstage  sich  von  Jahr  zu  Jahr  vermehren,  die 
Thatsache  endlich,  daß  die  Erschütterung  auf  der  Lokomotive  viel  in- 
tensiver als  auf  den  anderen  Wagen  ist ,  können  dazu  verleiten,  ge- 
meinsame Kranheitserscheinungen  zu  suchen,  welche  eine  bestimmte 
Krankheitsform  für  das  Maschinenpersonal  ergeben. 

Aus  obiger  Statistik  (S.  251)  haben  wir  ersehen,  daß  von  den 
Dienstunfähigkeitsursachen  die  Nervenkrankheiten 
überwiegen.  Dieselben  entwickeln  sich  allmählich  und  treten  zuerst 
hauptsächlich  dadurch  in  Erscheinung,  daß  sie  auch  die  Widerstands- 
fähigkeit gegen  andere  Krankheiten  vermindern;  je  länger  der  Loko- 
motivbeamte im  Dienste  ist,  um  so  häufiger  und  leichter  erkrankt  er 
an  Rheumatismus,  Bronchialkatarrh  u.  s.  w.  Erst  die  häufigere  Wieder- 
kehr dieser  Erkrankungen  und  das  allmähliche  Hinzutreten  von  ner- 
vösen Störungen  leiten  in  vielen  Fällen  hinüber  zu  der  Diagnose  einer 
Nervenkrankheit. 

Das  erste  Symptom  ist  gewöhnlich  eine  Herzneurose  und  zwar  schon 
bei  verhältnismäßig  jungen  Führern.  Es  folgen  Störungen  im  vasomoto- 
rischen Gebiete,  Kongestivzustände  nach  dem  Gehirn,  Neuritiden,  die 
gewöhnlich  als  Rheumatismus  bezeichnet  werden.  Die  Klagen  erstrecken 
sich  auf  Herzklopfen ,  Kopfschmerzen  (Kreuzschmerzen  viel  seltener  als 
bei  der  Nervenstörung  nach  Unfällen) ,  Schlaflosigkeit ,  Schmerzen  und 
Schwere  in  den  Beinen.  Dabei  ist  auch  hier  der  Appetit  und  der  Kräfte- 
zustand  unvermindert.  Daß  auch  hier  psychische  Erscheinungen  hinzu- 
treten, ist  erwiesen,  sowohl  durch  die  oben  angegebene  Statistik  als 
auch  durch  unsere  persönlichen  Erfahrungen.  Von  Zillmer8  sind  leider 
die  Formen  von  Geisteskrankheit ,  welche  Dienstunfähigkeit  bedingen, 
nicht  angegeben.  Die  von  uns  beobachteten  Fälle  sind  teils  ausgespro- 
chene Melancholie,  teils  Hysterie. 

16 


Eisenbahnhygiene.  253 

So  erwiesen  wir  es  auch  halten ,  daß  der  Maschinendienst  nervöse 
und  psychische  Störungen  hervorzurufen  geeignet  ist,  so  können  wir  uns 
doch  mit  dem  Ausdruck  „professionelle  Krankheit  des  Maschinenpersonals" 
ebensowenig  befreunden,  wie  mit  dem  der  „traumatischen  Neurose",  und 
zwar  aus  demselben  Grunde :  man  kann  nicht  zugeben ,  daß  die  beim 
Maschinenpersonal  beobachteten  Nervenstörungen  ein  Krankheitsbild  er- 
geben, welches  bei  keiner  anderen  Berufsklasse  vorkommen  könnte.  Die 
Benennung  ist  bequem.  Wir  halten  es  aber  nicht  für  zweckmäßig,  Namen 
zu  schaffen ,  um  bei  denselben  alle  Krankheitserscheinungen  oft  recht 
widerhaarig  unterzubringen. 

Sektionen  von  nervenkranken  Lokomotivbeamten  sind  bisher  nicht 
bekannt  geworden.  Dieselben  sterben  selten  im  Dienst,  wechseln  nach 
ihrer  Pensionierung  meistens  den  Wohnort,  fühlen  sich  wohler ,  oft  bis 
zur  vollständigen  Gesundung,  und  sterben  erst  nach  Jahren  an  einer 
interkurrenten  Krankheit. 

1)  Niemeyer,  Pathol.  und  Ther.  2.  Bd.  316  (1865). 

2)  Kiegler,  Die  Eisenbahn- Berufskrankheit  (1880)   6. 

3)  Veröffentlichungen  des  Kaiserl.   Oesundh.-A.    6.  Jahrg.   No.   39,   213. 

4)  Westergaard,    Mortalität  und  Morbidität  (1882)  344. 

5)  Behm ,  Statistik  der  3Jortalitäts-  ,  Invaliditäts-  und    3forbilitätsverhältnisse  der    deutschen 
Eisenbahnverioaltungen  ( 1878). 

6)  .Richter,   Die  Pflege  und  Entivickelung  der  medizinischen  Statistik  bei   der  österreichischen 
Südbahn  (1885). 

7)  Lent,  in  Korrespbl.  des  Niederrh.    Ver.  f.  öf.   Qesundhpfl.   7.   Bd.   132  (1876— 1877). 

8)  Zillmer,   Dienstunfähigkeits-  und  Sterbensstatistik  der  deutschen  Eisenbahnbeamten,  im  Auf- 
trage der  deutschen  Eisenbahnverwaltungen  bearbeitet  (1890). 

9)  Statistische  Nachrichten  über  die  Erkrankungsverhältnisse  der  Beamten  des  Vereins  deutscher 
Eisenbahnverwaltungen   (1887). 

10)  Petri,   Transportmittel  und  Infektionsgefahr  in  „Sachverständigen  Zeitung'1,    Jahrg.   1896, 
No.  5. 


IY.  Die  Abwehr  der  durch  den  Eisenbahnbetrieb  für 
Gesundheit  und  Leben  entstehenden  Gefahren. 

Zur  Abwehr  der  durch  den  Eisenbahnbetrieb  entstehenden  Schädlich- 
keiten und  Gefahren  sind  3  Bedingungen  erforderlich: 

a)  die  zweckmäßige  Beschaffenheit  und  Einrichtung  der  Betriebs- 
mittel und  des  Betriebes, 

b)  ein  gesundes ,  der  Veranwortlichkeit  gewachsenes  Eisenbahn- 
personal, 

c)  eine  zweckmäßige  Organisation  des  ärztlichen  Bahndienstes. 

a)  Sanitäre  Bedingungen  seitens  der  Betriebsmittel  und  des 

Betriebes. 

Die  Sicherheit  des  Eisenbahnbetriebes  wird  hauptsächlich 
durch  zwei  Ursachen  in  Frage  gestellt:  durch  die  Fahrge- 
schwindigkeit und  durch  das  Gewicht  der  Eisenbahnzüge. 
Da  nun  beide  Ursachen  der  Ausbreitung  des  Verkehrs  entsprechend  zu- 
genommen haben,  so  wäre  der  Schluß  auf  eine  Verminderung  der  Sicher- 
heit gerechtfertigt;  dies  würde  auch  der  Fall  sein,  wenn  die  Verwal- 
tungen sich  nicht  bemüht  hätten,  den  Gefahren  des  Eisenbahnbetriebes 
durch  Verbesserung  der  Betriebsmittel  zu  begegnen. 

Handbuch  der  Hygiene.    Bd.  VI.  1  7 

I7 


254  BRAEHMER, 

Es  soll  nun  im  folgenden  gezeigt  werden,  welche  Bedingungen 
seitens  der  Betriebsmittel  und  des  Betriebes  zu  erfüllen  sind,  um  eine 
möglichst  große  Sicherheit  zu  erreichen. 

Die  für  die  technischen  Abschnitte  benutzte  Litteratur  ist  folgende: 

Heusinger  von  Waldegg,  Handb.  f.  spez.  Eisenbahntechnick,  5  Bände,  Leipzig  1875 
bis   1882  (Engelmann). 

G.  Meier,   Grundzüge  des  Eisenbahnmaschinenwesens,  4   Teile,  Berlin  1883 — 1892. 

von  Weber,  Schule  des  Eisenbahnwesens,  Leipzig  1885  (J.   E.    Weber). 

Brosius  und  Koch,  Bas  Eisenbahnwesen,    Wiesbaden  1892 — 1894  (J.   F.  Bergmann). 

Haarmann,  Ueber  den  Wert  der  verschiedenen  Eisenbahn-Oberbaukonstruktionen,  Berlin  1881. 

Schubert,    Die  Sicherungwerke    im  Eisenbahnbetriebe,    Wiesbaden  1880  (J  F.  Bergmann). 

Pollitzer,  Die  Anwendung  der  Elektrizität  im  Eisenbahnbetriebsdienst,  Wiesbaden  1890 
(J.  F.  Bergmanii). 

Roll,  Encyklopädie  des  gesamten  Eisenbahnwesens  in  alphabetischer  Anordnung,  Wien 
1890  —  1895  (Gerold  Sohn).  —  Rehbein,  Sto/sfangschiene,  Berlin  1895. 

Für  die  wichtigsten  und  neuesten,  fortwährenden  Aenderungen  unterworfenen  Teile  der 
Betriebsmittel  haben  wir  folgende  Zeitschriften  benutzt : 

Centralbl.  f.  Bauverwaltung,  Berlin.  —  L'  Economiste  frangais,  Paris.  —  Bulletin  du 
la  Commission  internationale  du  Congres  des  chemins  de  fer ,  Bruxelles.  —  Bulletin  du 
Ministere  des  travaux  publics,  Paris.  —  Engineering,  London.  —  Engineering,  New- York  — 
Glaser'*  Annalen,  Berlin.  —  Oesterreichische  Eisenbahnzeitung,  Wien.  —  Revue  generale  des 
chemins  de  fer,  Paris.   —  Schweizerische  Bauzeitung.  Zürich. 

1.  Bahnhöfe. 

Der  Zugang  zu  den  Bahnhöfen  soll  leicht  und  selbst  bei  großem 
Verkehr  möglichst  bequem  sein.  Es  [ist  daher  zweckmäßig,  dieselben 
nicht  allzu  weit  von  den  Städten,  ferner  möglichst  frei  und  sichtbar 
anzulegen  und  sie  mit  größerer  Vorhalle  oder  mit  Gartenanlagen  zu  ver- 
sehen. Das  zu  einer  Ansammlung  der  Reisenden  dienende  Vestibül 
muß  geräumig,  Billetschalter  etc.  deutlich  bezeichnet  sein.  Die  Bahn- 
steige sollten  überdacht  sein ,  um  die  Personen  gegen  Unbilden  des 
Wetters,  auch  gegen  Sonnenbrand  zu|  schützen.  Ankunfts-  und  Ab- 
fahrtssteig sind  am  besten  getrennt,  bei  starkem  Verkehr  sind  für 
Stationen  mit  verschiedenen  Linien  verschiedene  Bahnsteige  notwendig. 
Die  Warteräume  sind  an  Stationen,  auf  denen  ein  genügend  langer 
Aufenthalt  stattfindet,  mit  Restauration  zu  verbinden.  Gutes  Trink- 
wasser muß  leicht  zu  erreichen  und  deutlich  bezeichnet  sein,  ebenso 
die  Stelle  der  Aborte,  um  so  mehr,  da  Durchgangswagen  mit  mehreren 
Aborten  nur  bei  einer  Anzahl  von  Schnellzügen  vorhanden  und  die  Aborte 
bei  dem  in  Deutschland  üblichen  Coupesystem  oft  schwer  zu  erreichen  und 
meistens  nicht  in  genügender  Zahl  vorhanden  sind.  Dringend  muß  ver- 
langt werden,  daß  überall  die  größte  Reinlichkeit  und  Sauberkeit  herrsche. 
Tägliches  Waschen  und  Scheuern  mit  Desinfektionsseifen,  Fernhalten 
aller  Decken  und  Teppiche  aus  den  Warteräumen,  gründliche  Reinigung 
der  Bedürfnisanstalten,  vor  allem  fortwährende  Lüftung  derselben  ist 
dringendes  Erfordernis.  In  dieser  Beziehung  ist  es  als  ein  Fortschritt 
zu  begrüßen,  daß  in  den  Schnellzügen  mit  Durchgangswagen  neuerdings 
Wartefrauen  eingestellt  sind,  welche  für  die  peinlichste  Sauberkeit  zu 
sorgen  haben. 

Die  freiliegenden  Bedürfnisanstalten  der  kleinen 
Stationen  entsprechen  den  Anforderungen  der  Hygiene  noch  besser 
als  die  im  Inneren  großer  Bahnhöfe  gelegenen,  namentlich  wenn  letztere 
keine  direkte  Verbindung  mit  der  frischen  Luft,  sondern  nur  eine  solche 
mit  der  Bahnhofshalle  oder  mit  dem  Vestibül  besitzen.  Diesen  For- 
derungen sollten  die  Techniker  bei  Anlage  der  Empfangsgebäude  durch- 

18 


Eisenbahnhygiene.  255 

aus  entsprechen.  Die  Aborte  sollen  durch  Thür  oder  Fenster  mit  der 
frischen  Luft  in  direkter  Verbindung  stehen. 

Die  Beleuchtung  der  Bahnhöfe  und  der  Schienen straßen  muß  eine 
ausreichende,  womöglich  elektrische  sein  (S.  273). 

Wünschenswert  ist  auch  im  Interesse,  alter  kranker  oder  ver- 
wundeter Reisender  die  Anlage  von  Personenaufzügen. 

2.  Oberbau. 

Unter  Oberbau  einer  Eisenbahn  versteht  man  den  eigentlichen 
Schienenweg.  Zu  demselben  gehören  die  Bettung,  die  Schwellen  und  die 
Schienen  mit  allen  notwendigen  Befestigungsstücken.  Die  Anordnung 
des  Oberbaues  hat  vielerlei  Wandlungen  durchgemacht.  Die  ver- 
schiedenen Systeme  können  natürlich  an  diesem  Orte  nicht  besprochen 
werden.  Ihre  Verschiedenheiten  waren  anfänglich  zum  Teil  durch 
Eigentümlichkeiten  der  Länder  bedingt:  das  holzarme  und  eisenreiche 
England  verwandte  mehr  Eisen  zum  Oberbau,  Amerika  dagegen,  wo 
früher  das  umgekehrte  Verhältnis  stattfand,  mehr  Holz.  Heute  ist  es 
entsprechend  der  Größe  der  Eisenproduktion  auch  dort  anders.  Deutsch- 
land hat  ein  in  der  Mitte  liegendes  System  eingeschlagen. 

In  Amerika  werden  die  hölzernen  Querschwellen  so  eng  neben- 
einander gelegt,  daß  der  Druck  auf  die  Bettung  ein  verhältnismäßig 
geringer  wird.  Da  dort  auch  fast  nur  Steinschlag,  sowie  eine  sehr 
schwere  Schiene  verwandt  wird,  so  ist  der  Gang  der  Fahrzeuge  nicht 
selten  ruhiger  und  geräuschloser  als  bei  uns  aut  dem  Kontinent. 

Hinsichtlich  des  Systems  der  Schwellen-Anordnung  unterscheidet 
man  Lang-  oder  Querschwellen-Oberbau.  Jedes  System  hat  selbst- 
verständlich das  Bestreben,  einem  Auseinanderweichen  der  Schienen 
vorzubeugen  und  die  Schienen,  Schwellen,  Bettung  möglichst  lange 
zu  erhalten.  Für  unseren  Zweck  genügt  es,  zu  wissen,  daß  sich  bis  jetzt 
breitbasige  Schienen  auf  hölzernen  Querschwellen  am  besten  bewährt 
haben  und  am  meisten  verbreitet  sind.  Die  Langschwellen  haben  nur 
scheinbar  den  Vorzug  der  stetigen  Unterstützung  der  Schienen  und 
werden  in  Deutschland  wegen  ihrer  großen  Mängel  nicht  mehr  ange- 
wendet. 

Das  Material  der  Schienen  ist  jetzt  zumeist  ein  nach  dem 
Bessemer-  oder  Thomas-  Verfahren  hergestellter  Stahl  (vgl.  dies.  Hdb. 

8.  Bd.  471).  Die  Länge  der  Schienen  ist  infolge  der  fortgeschrittenen  Tech- 
nik allmählich  von  5,  6  bis  auf  18  m  gewachsen.   Am  gebräuchlichsten  sind 

9,  10  und  12  m  lange  Schienen.  Eine  Grenze  der  Länge  ist  gegeben  durch 
die  Anforderungen  an  die  Transportfähigkeit,  leichte  Hantierung  auf  der 
Baustelle  und  Abwehr  der  durch  die  Dilatation  drohenden  Gefahren, 
sowie  die  Forderung  einer  homogenen  Darstellung  des  Materials  bei 
der  Verhüllung  des  Metalls.  Je  länger  die  Schiene,  desto  größer  muß 
die  Lücke  zwischen  2  Schienen  sein.  Wenn  die  sich  bei  steigernder 
Temperatur  verlängernde  Schiene  zwischen  festen  Punkten  eingespannt 
gedacht  wird,  so  erzwingt  sie  die  Verlängerung  durch  seitliches  Aus- 
biegen, wodurch  naturgemäß  die  Entgleisung  eines  Zuges  herbeigeführt 
wird.  Auf  Brücken  sind  sinureiche  Einrichtungen  getroffen,  welche  die 
Fahrzeuge  über  die  Lücken ,  in  denen  die  Schienen  sich  ausdehnen 
können,  hinüberleiten.  Die  Verbindungen  auf  der  Strecke  gewähren  den 
Schienen  einen  Spielraum.    Wenn  trotzdem  eine  Ausbiegung  der  Schienen 

17* 

19  ■*■  • 


256  BRAEHMER, 

zuweilen  eintritt,  so  beweist  das  die  Schwierigkeit  einer  Regulierung  der 
Schienenlücken. 

Wenn  demnach  die  Schienenlücken  nicht  zu  vermeiden  sind,  so 
bilden  sie  andererseits  in  hygienischer  Beziehung  eine  große  Belästigung. 
Das  Geräusch  und  Stoßen  der  Wagen  beim  Passieren  der  Lücken  ist 
allen  bekannt.  Es  ist  daher  von  jeher  das  Streben  der  Techniker  ge- 
wesen, einen  geräuschlosen  ruhigen  Gang  der  Fahrzeuge  herbei- 
zuführen. Leider  haben  die  auf  Milderung  des  Stoßes  beim  Passieren 
der  Schienenlücken  gerichteten  Bestrebungen  ihren  Zweck  bisher  nur 
zum  Teil  erreicht. 

Auf  der  hygienischen  Ausstellung  zu  Budapest  1894  war  eine  Vor- 
richtung von  der  Dresdener  Bank  ausgestellt,  „Stoß fangschiene" 
genannt,  welche  eine  neue  Schienenverbindung  darstellt.  Dieselbe  führt 
durch  eine  neben  dem  Stoß  gelegte  Hilf'sschiene  die  Räder  ohne  merklichen 
Stoß  über  die  Schieneniücken  hinweg,  wodurch  das  bekannte  hämmernde 
Geräusch  aufhört.  Die  mit  dieser  neuen  Erfindung  auf  der  Berliner  Stadt- 
bahn und  in  den  meisten  Direktionsbezirken,  in  Rußland,  Oesterreich, 
der  Schweiz  angestellten  Versuche  sind  günstig  ausgefallen.  Sollte  sich 
die  Stoßfangschiene  bewähren ,  so  wäre  das  ein  großer  Segen  für  die 
Reisenden  und  für  die  Fahrbeamten. 

Die  Bettung  trägt  den  eigentlichen  Schienenweg.  An  sie  ist  die 
Anforderung  zu  stellen,  daß  sie  den  Druck  der  rollenden  Last  dauernd 
aushält,  ohne  zu  große  Veränderungen  zu  erleiden.  Sie  muß  das 
Wasser  der  Niederschläge  so  schnell  abführen,  daß  im  Winter  kein 
Auffrieren  stattfinden  kann,  und  daß  ihre  Decke  die  Staub  bildenden, 
tiefer  liegenden  Teile  des  Bodens  nicht  nach  oben  durchläßt.  Man 
geht  daher  immer  mehr  dazu  über,  die  Bettung  aus  Steinschlag  oder 
Kies  herzustellen. 

Die  Bahnbewachung  erfolgt  durch  Bahnwärter,  Weichensteller, 
Schrankenschließer  unter  Aufsicht  eines  Bahnmeisters.  Eine  Bahn- 
meisterei umfaßt  eine  Strecke  von  15 — 24  km.  Bahnwärter  be- 
aufsichtigen Strecken  bis  zu  3  km. 

Weichensteller  haben  auf  Bahnhöfen  die  Weichengebiete  zu 
überwachen  und  die  Weichen  zu  stellen.  Außerdem  liegen  ihnen  die 
laufenden  Bewachungsarbeiten  und  die  kleineren  Verrichtungen  zur 
Weichenunterhaltung  ob,  die  sich  mit  einfachen  Instrumenten  ausführen 
lassen,  endlich  der  Signaldienst.  Nur  wenige  Bahnwärter  an  den  Enden 
der  Bahnhöfe  oder  an  Blockstationen  auf  freier  Strecke  bedienen  Signale 
an  Masten  oder  mechanische  Blockeinrichtungen.  Auf  den  Bahnhöfen 
selbst  werden  die  Signale  meistens  von  den  Weichenstellern  gestellt. 
Für  die  bauliche  Instandhaltung  dieser  Objekte  sind  besondere  Organe 
erforderlich. 

Große  Sorgfalt  erfordert  die  Erhaltung  des  Bahnkörpers 
in  dem  normalen,  den  Anfordernngen  des  Betriebes  entsprechenden 
Zustande.  Hierzu  sind  Vorarbeiter,  an  der  Spitze  von  Arbeiterkolonnen 
bestellt,  welche  in  geeigneter  Jahreszeit  die  laufenden  Arbeiten  ohne 
Unterbrechung  verrichten.     Auch  sie  beaufsichtigt  der  Bahnmeister. 

Die  Einrichtungen  für  die  Sicherung  dieser  auf  den 
Geleisen  sich  bewegenden  Personen  sind  auf  mäßig  befahrenen 
Strecken    einfachster  Art.     Im   allgemeinen   begnügt    man   sich   damit, 


Eisenbnhnhygiene.  257 

elektrische  Läutesignale  erschallen  zulassen,  die  aber  nicht  an 
jeder  Arbeitsstelle  wahrnehmbar  sind. 

Auf  besonders  gefahrvollen  Strecken  geht  man  dazu  über  Läute- 
signale, welche  der  nahende  Zug  selbst  in  Aktion  setzt,  aufzustellen, 
um  die  Arbeiter  rechtzeitig  zu  warnen.  Unter  Umständen  werden  auch 
Knallsignale  angewandt.  Außerdem  bestehen  allgemeine  Vorschriften, 
welche  das  Verhalten  des  zwischen  Geleisen  sich  bewegenden  Personals 
zur  Verhütung  von  Unfällen  zu  regeln  bestrebt  sind.  Immer  wird  die 
Hauptsache  bleiben,  daß  die  Streckenarbeiter  durch  Beobachtung  der 
gebotenen  Vorsicht  und  Aufmerksamkeit,  Kenntnis  der  Fahrpläne  sich 
selbst  vor  Unfällen  schützen. 

Die  Bahnverwaltungen  sollten  aber  überall  auf  Brücken,  in  Tunnels, 
auf  Viadukten  dafür  sorgen,  daß  das  Personal  jederzeit  so  viel  freien 
Raum  zum  Beiseitetreten  findet,  um  leicht  und  schnell  sich  einer  Ge- 
fährdung zu  entziehen.  Die  Viadukte  der  Berliner  Stadtbahn  sind  in 
dieser  Beziehung  leider  mangelhaft. 

Den  Gefahren,  welche  für  Dritte,  namentlich  für  Fuhrwerke  auf 
Ueberwegen  in  gleicher  Höhe  der  Schienen  entstehen  können,  begegnet 
man  in  Deutschland  auf  Hauptbahnen  durch  Schranken,  zu  deren 
Bedienung  neuerdings  besondere  Wärter  gestellt  werden ;  bei  Kleinbahnen 
fallen  die  Schranken  zumeist  fort,  dafür  wird  die  Geschwindigkeit  der 
Züge  ermäßigt.  In  Amerika  fand  eine  Sicherung  der  Wege  überhaupt 
nicht  statt,  entsprechend  den  gestellten  höheren  Anforderungen  an  die 
Selbständigkeit  und  das  eigene  Denken  des  Publikums.  Der  einzige 
Schutz  bestand  hier  in  Mäßigung  der  Geschwindigkeit,  großen  Warnungs- 
tafeln und  starkem  Läutesignal.  Neuerdings  beginnen  jedoch  auch  die 
amerikanischen  Bahnen  mit  der  Errichtung  von  Schranken. 

3.  Signal-  und  Telegraphenwesen, 

Zur  Sicherung  der  Züge  auch  im  Rangierdienst,  dienen  im  wesent- 
lichen das  Signal-  und  Telegraphenwesen,  sowie  die  verschiedenen  Block-, 
Weichen-  und  Signal- Verriegelungssysteme.  Durch  Signale  werden  Bahn- 
höfe sowie  unfahrbare  Strecken  bei  Reparaturen  oder  plötzlich  ein- 
tretenden Fahrthindernissen,  Schienenbrüchen  u.  s.  w.  gedeckt.  Mit  der 
Vervollkommnung  des  Signalwesens  ging  die  Sicherheit  und  die  Schnellig- 
keit der  Eisenbahn  in  gleichem  Schritt. 

Ein  Eisenbahnsignal  soll  eine  sichere  und  schnelle  Verständigung 
zwischen  allen  beim  Eisenbahnbetrieb  beteiligten  Personen  herbeiführen, 
auf  den  Stationen  sowohl,  wie  auf  der  Strecke. 

Die  meisten  Staaten  haben  für  ihr  Gebiet  Signalordnungen 
eingeführt,  denen  sich  alle  Bahnen  unterwerfen.  Diese  Signalordnungen 
stimmen  in  vielen  Ländern  überein.  Bei  der  großen  Bedeutung  des 
Signalwesens  für  die  Sicherheit  wäre  es  eine  dankenswerte  Aufgabe  der 
internationalen  Eisenbahnkonferenz,  eine  vollkommene  Einheit  zu 
schaffen. 

Es  giebt  zwei  Arten  der  Signale  bei  den  Eisenbahnen :  sicht- 
bare und  hörbare.  W'enn  auch  nicht  an  Bedeutung  gleich,  so  können 
wir  doch  keine  der  beiden  Arten  entbehren,  da  die  sichtbaren  durch  Nebel, 
Regen,  Schneegestöber,  die  hörbaren  durch  Windrichtung,  fremdes  Ge- 
räusch, auch  durch  Feuchtigkeit  der  Luft,  Gewitter  u.  s.  w.  illusorisch  ge- 
macht werden  können.  Letzteres  gilt  namentlich  bei  Benutzung  der  Elektri- 

21 


258  BRAEHMER, 

cität.     Die  Sicherheit  des  Eisenbahnbetriebes  erfordert  es  daher,   daß 
alle  Arten  der  Signale  gepflegt  werden  und   sich  gegenseitig  ergänzen. 

Die  sichtbaren  (optischen)  Signale  werden  gegeben 
1)  bei  Tage  durch  verschieden  gefärbte  Scheiben  und  Fahnen,  bei  Dunkelheit 
durch  farbige  Laternen  und  Lichter,  2)  durch  Armbewegung,  eine  Form, 
die  nur  für  kurze  Entfernungen  Wert  hat,  3)  durch  verschiedene  Gegen- 
stände, wie  Fahnen,  Scheiben,  Laternen,  Flügel,  die  entweder  mit  der  Hand 
bewegt  oder  an  hohen  Stangen  angebracht ,  aus  der  Ferne  gestellt 
werden.  Nach  ihrem  Zweck  wurden  die  Signale  bisher  in  3  Hauptarten 
geteilt:  Ordnungssignal  (Bahn  frei),  Gefahrsignal  (Zug  muß 
sofort  halten),  Vorsichtssignal  (Zug  muß  langsam  fahren).  Dieser 
dreifache  Zweck  wurde  bisher  meistens  und  wird  zum  Teil  noch  optisch 
folgendermaßen  ausgedrückt:  Weiß  bedeutet  Ordnungssignal,  Rot  Gefahr- 
signal, Grün  Vorsichtssignal.  Bei  dem  Handsignal  bedeutete  Frontstellung 
des  Bahnwärters  gegen  den  Zug  mit  herunterhängenden  Armen  freie 
Fahrt ;  wagerechtes  Ausstrecken  des  Armes  gegen  das  Geleis  in  Deutsch- 
land Vorsicht ;  (in  Oesterreich  wurde  der  Arm  schräg  nach  unten ,  in 
England  über  den  Kopf  gehalten);  das  Schwenken  irgend  eines  Gegen- 
standes, einer  Fahne,  eines  Lichtes :  Gefahr.  Die  dritte  Form  der  op- 
tischen Signale  wurde  in  Deutschland  und  England  als  Flügeltelegraph, 
in  Oesterreich  und  Frankreich  als  Wendescheibe  angewendet.  Hier  be- 
deutete im  allgemeinen  der  Arm  des  Signalmastes,  schräg  nach  aufwärts 
gerichtet,  Ordnung  (in  England  wurde  er  ganz  heruntergelassen),  wag- 
rechte Richtung  des  Armes  Gefahr ,  Richtung  nach  abwärts  Vorsicht. 
Verstärkt  wurde  die  Wirkung  dieser  Signale  nachts  durch  das  An- 
bringen roter  oder  grüner  Laternen  am  Arm  des  Mastes. 

Neuerdings  haben  sich  namentlich  in  Deutschland  wesentliche 
Aenderungen  vollzogen  (Fig.  1 — 7  S.  259).  Außer  Rot,  welches  überall 
in  der  Welt  „  H  a  1 1 "  bedeutet,  gilt  in  Deutschland  nur  noch  Grün  als 
Signalfarbe  und  bedeutet  „freie  Fahrt".  Das  weiße  Licht  ist  im  all- 
gemeinen kein  Signal  mehr.  Die  Signale  selbst  sind  an  Masten  oder 
Stöcken  befestigt,  werden  auch  direkt  mit  der  Hand  gegeben.  Bei  Weichen 
sind  meist  nur  noch  Formsignale  (keine  farbigen  Signale)  im  Gebrauch, 
was  vielleicht  für  alle  Signale  anzustreben  sein  dürfte,  um  die  Gefahr 
der  Farbenblindheit  zu  beseitigen.  Am  besten  würden  in  Zukunft  alle 
Farbensignale  durch  geometrische  Figuren  ersetzt  werden. 

Die  hörbaren  (akustischen)  Signale  werden  gegeben  durch 
Handpfeifen,  Glocken,  Hörner,  elektrische  Läutwerke,  durch  die  Dampf- 
pfeife der  Lokomotive  und  durch  Knallpatronen. 

Die  letzteren  bestehen  aus  mit  Zündmasse  gefüllten  Blechkapseln, 
die  auf  die  Schienen  gelegt  werden;  sobald  das  Rad  der  Lokomotive  die 
Kapsel  berührt ,  zerspringt  sie  mit  lautem  Knall,  für  den  Lokomotiven- 
führer ein  gebieterisches  „Halt".  Die  Knallsignale  werden  hauptsächlich 
auf  der  Strecke  angewandt  und  tragen  namentlich  in  England,  wo  dichte 
und  reichliche  Nebel  an  der  Tagesordnung  sind,  zur  Sicherheit  bei. 

Bei  der  verschiedenen  Bedeutung,  welche  die  einzelnen  Formen 
der  akustischen  Signale  in  den  verschiedenen  Ländern  besitzen,  können 
wir  nicht  auf  die  Einzelheiten  eingehen  und  erheben  nur  an  dieser  Stelle 
von  neuem  die  Forderung  einer  einheitlichen  internationalen  Regelung. 


Fig.   1.      Halt  Fig.   2.     Fieie  Fahrt 

bei  Tage.  bei  Dunkelheit.  bei  Tage.  hei  Dunkelheit. 


r° 


■Q         { 


S> 


Fig.  3.     Halt  für  das  durchgehende  und  abzweigende 

Gleis  Fig.   4.     Freie   Fahrt   für  das  durchgehende  Gleis 

bei  Tage.  bei  Dunkelheit.  bei  Tage.  bei  Dunkelheit. 


0 


-a       -n 


m 


Fig.  5.     Für  Fahrt  für  ein  abzweigendes   Gleis 
bei  Tage.  bei  Dunkelheit. 


P 


HG: 


Fig.   6.     Fahrt    frei    für    ein    anderes    ab- 
zweigendes Gleis 
bei  Tage.  bei  Dunkelheit. 


Vorsignal. 


bei  Tage. 


Fig.   7.     Halt 


bei  Dunkelheit. 


Fig.   1  —  7.     Die  wichtigsten  Signale   der  preufsischen  Staats-Eisenbahnen  nach  der  Signal-Ordnum 
für  die   Eisenbahnen  Deutschlands  vom  5.  Juli  1892. 


260  BRAEHMER, 

Das  Bevorstehen  der  Abfahrt  oder  Ankunft  eines  Zuges ,  das  An- 
ziehen oder  Loslassen  der  Bremsen,  das  Halten  oder  Langsamfahren  der 
Züge  wird  durch  verschiedene  Töne  der  Glocke,  der  Hand-  oder 
Dampf  pfeife,  der  Hörn  er  oder  der  elektrischen  Läutewerke  markiert. 
Not-  und  Alarmsignale  können  u.  a.  vom  Zugpersonal  und  den  Reisenden 
mittels  einer  am  Zuge  entlang  geführten  Signalleine,  durch  welche  beim 
Anziehen  die  Lokomotivpfeife  zum  Ertönen  gebracht  wird,  gegeben  werden. 
Neuerdings  kommen  fast  allgemein  die  kontinuierlichen  Bremseinrich- 
tungen (S.  275)  in  Anwendung,  durch  welche  auch  seitens  der  Reisenden 
ein  schnelles  Anhalten  des  Zuges  bewirkt  werden  kann.  Andere  Me- 
thoden, z.  B.  elektrische  Einrichtungen,  ähnlich  den  Haustelegraphen, 
sowie  pneumatische  Klingelzüge  haben  sich  ebenfalls  bewährt.  Die 
Elektricität  ist  jetzt  der  unentbehrlichste  Motor  in    dem  Signaldienst. 

Mit  Hilfe  der  Elektricität  erhält  man  2  Klassen  von  Signalen 
solche  welche  nur  vorübergehende  Zeichen  geben  (Läutewerke)  und 
solche ,  welche  aus  Punkten  und  Strichen  die  Zeichen  für  Buchstaben 
zusammensetzen,  mit  anderen  Worten,  welche  schreiben.  Das  Tele- 
graphenwesen dient  demnach  zur  Sicherung  der  Züge,  insofern  es  die 
Stationen  unter  einander  vom  Gange  der  Züge,  von  Unregelmäßigkeiten 
und  Störungen  im  Betriebe,  von  Abweichungen  in  der  Fahrordnung 
durch  Ertönen  verschiedener  Glockensignale  in  Kenntnis  setzt. 

Das  Block-,  Weichen-  und  Signal  -Verriegelungs- 
system bezweckt  Signale  in  solche  Abhängigkeit  von  dem  Willen  des 
leitenden  Stationsbeamten  zu  bringen,  daß  sie  ohne  seine  Einwilligung 
nicht  gegeben  werden  können ,  oder  daß  Signale  nur  gegeben  werden 
können,  wenn  gewisse,  einer  Fahrt  hinderliche  Weichen  durch  Schutz- 
stellung unschädlich  gemacht  worden  sind. 

Die  Weichen  werden  auch  elektrisch  blockirt,  d.  h.  in  ihrer  Grund- 
stellung festgehalten  und  so  in  Abhängigkeit  von  den  Signalen  ge- 
bracht, so  daß  letztere  erst  gegeben  werden  können,  wenn  die  Weichen 
sämtlich  für  eine  gewisse  Gruppe  und  eine  Zugrichtung  richtig  gestellt 
worden  sind.  Das  Fahrsignal  selbst  verriegelt  dann  mechanisch  noch 
einmal  die  Weichen  in  ihrer  Stellung,  so  daß  sie  nicht  umgestellt 
werden  können. 

Es  besteht  auch  bereits  eine  Central- Weichen  -  und  Signal - 
Stellung  vom  Stationszimmer  aus.  Die  fraglichen  Weichen  und 
Signale  haben  jede  ihren  kleinen  elektrischen  Motor,  der  von  dem  Stations- 
beamten durch  Beschicken  mit  Strom  in  Bewegung  gesetzt  die  Weiche 
oder  das  Signal  stellt.  Durchgeführt  ist  dieses  System  vielfach  in 
Amerika,  in  Europa  hat  die  Station  Prerau  der  K.  Ferd.  Nordbahn 
dasselbe  mit  Erfolg  angewendet. 

Neuerdings  ist  versucht  worden,  die  Stationen  mit  den  sich 
nähernden  Zügen  oder  mit  bereits  abgefahrenen  Zügen 
in  Rapport  zu  setzen,  so  daß  also  ein  Zug  an  jeder  Stelle  auf 
freier  Strecke  oder  auf  einem  Bahnhof  festgehalten  werden  kann,  wenn 
dazu  eine  dem  Zugpersonal  unbekannte  Gefahr  Veranlassung  geben 
sollte.  Es  wird  dies  erreicht,  indem  den  Schienen  und  dem  Zuge  elek- 
trische Energie  zugeführt  wird,  welche  von  beliebiger  Stelle  aus  zur 
Aktion  gebracht  werden  kann ,  um  im  Zuge  oder  auf  der  Lokomotive 
Warnungszeichen  —  sichtbare  oder  hörbare  —  hervorzurufen.  Man  ver- 
mag dann  vom  Zuge  und  nach  vor-  oder  zurückliegenden  Stationen  zu 
sprechen  oder  durch  Zeichen  sich  zu  verständigen.  Dies  von  Perells 
erfundene   System    ist   scheinbar   sehr  vollkommen;   in   der  That  aber 

24 


Eisenbahnhygio.ne.  261 

eignet  es  sich  schon  wegen  der  Kosten  nicht  zur  allgemeinen  Ein- 
führung, zumal  da  wegen  der  Möglichkeit  des  Versagens  der  elek- 
trischen Kraft  auch  noch  die  anderen  Sicherheitsmaßregeln  beibehalten 
werden  müßten. 

4.  Weichen. 

Das  Ausweichen  der  sich  begegnenden  Fahrzeuge  ist  auf  einer 
eingeleisigen  starren  Eisenstraße  nicht  möglich.  Man  hat  daher  eine 
Betriebsvorrichtung  —  die  Weiche  —  erdacht,  um  einen  Zug  in  ein 
anderes  Geleise  zu  bringen,  um  Wagen  zu  verschieben  und  Züge  aus- 
weichen zu  lassen,  die  sich  überholen  oder  kreuzen  müssen. 

Die  Einrichtung  einer  Weiche  läßt  sich  in  folgender  Weise  erklären : 
an  den  beiden  Schienen  eines  Geleises  liegen  2  Zungen,  d.  h.  Schienen- 
stücke von  etwa  6  m  Länge,  welche  um  einen  am  Ende  liegenden  Punkt 
drehbar  sind.  Solange  die  Zungen  an  den  Schienen  fest  anliegen,  geht  der 
Zug  gerade  aus.  Werden  sie  so  weit  gedreht,  daß  die  beweglichen  Enden 
der  Zungen  bis  zu  einem  schräg  anliegenden  Geleise  geführt  werden, 
so  ist  der  Zug  gezwungen  in  die  Ausweichekrümmung  überzugehen.  Die 
Weichenböcke  (Hebel)  werden  entweder  einzeln  von  der  Hand  des 
Weichenstellers  bedient,  oder  es  wird  eine  ganze  Gruppe,  bis  zu  30 
Weichen,  vereinigt  und  durch  ein  System  von  Hebeln,  welche  an  einem 
Punkt  (Weichenturm)  vereinigt  werden ,  gestellt  (Centralweichen- 
stellung).  Von  dem  Turm  aus  kann  der  Weichensteller  die  einzelnen 
Gruppen  gut  übersehen.  Er  stellt  von  dort  nicht  nur  die  Weichen, 
sondern  auch  die  mit  den  Weichen  in  abhängige  Verbindung  gebrachten 
Signale  (s.  S.  257).  —  Um  Lokomotiven  und  Fahrzeuge  in  andere  Geleise 
zu  bringen,  dienen  auch  Schiebebühnen  und  Drehscheiben. 

5.  Lokomotiven. 

Die  Lokomotive  ist  eine  mittels  Dampferzeugung  sich  selbst  und 
den  Eisenbahnzug  fortbewegende  Maschine.  Sie  besteht  aus  einem 
Wagen,  auf  welchem  der  Dampfkessel  und  die  eigentliche  Maschine  sich 
befinden.  Meistens  steht  in  Verbindung  mit  der  Lokomotive  ein  zweiter 
eiserner  Wagen,  Tender  genannt,  auf  welchem  die  zur  Hervorbringung 
des  Dampfes  notwendigen  Materialien,  Kohle  und  Wasser,  untergebracht 
sind.  Die  kleineren  Lokomotiven  sind  gewöhnlich  mit  dem  Tender 
vereinigt.  Ist  es  nicht  der  Fall,  so  bilden  Lokomotive  und  Tender 
gleichsam  ein  Ganzes.  Auf  beiden  bewegen  sich  Führer  und  Heizer, 
um  die  Erzeugung  der  Dampf  kraft  zu  unterhalten.  Der  Führer  ist 
derjenige,  dem  die  größte  Verantwortung  für  die  Sicherheit  des  Zuges 
zufällt.  Er  hat  die  Feuerung  zu  überwachen ,  den  Dampf  in  die  Cy- 
linder  zu  lassen  und  zu  regulieren,  rechtzeitig  Wasser  zu  nehmen,  vor 
allem  aber  ununterbrochen  die  vor  ihm  liegende  Strecke  im  Auge  zu 
behalten.  Der  Heizer  hat  Kohlen  in  den  Ofen  zu  schütten  und  Wasser 
in  genügender  Menge  mit  dem  Injektor  in  den  Kessel  zu  schaffen. 

Der  ganze  Wagen  ruht  auf  starken  Federn,  und  würde  ohne 
letztere  das  längere  Fahren  auf  einer  Lokomotive  für  Menschen  kaum 
möglich  sein.  Bei  den  preußischen  Bahnen  ist  jetzt  ein  kleiner  Sitz 
für  den  Führer  auf  der  Lokomotive  errichtet,  da  die  fortwährende  An- 
spannung aller  physischen  Kräfte  durch  das  Stehen  beeinträchtigt  wird. 
Außerdem  pflegen  die  Führer  auch,  um  die  Erschütterung  auszugleichen, 

25 


262  BRAEHMER, 

zeitweise  zu  treten.  Sie  heben  an  derselben  Stelle  ohne  Unterlaß 
einen  Fuß  nach  dem  anderen  in  die  Höhe  und  versichern,  dadurch 
besser  imstande  zu  sein  ihre  verantwortungsvolle  Thätigkeit  zu  beherr- 
schen, als  im  Sitzen. 

Wenn  aber  die  meisten  Lokomotivführer  auch  auf  den  Sitz  ver- 
zichten wollen,  kein  Führer  dürfte  die  offene  Lokomotive,  wie 
sie  früher  allgemein  verbreitet  war,  zurückwünschen. 

Es  ist  kaum  zu  fassen,  wie  lange  sich  die  französischen  Bahnärzte 
und  1880  noch  Riegler  gegen  die  überdachten  Führer  s  t  än'd  e 
sträubten.  Sie  gingen  davon  aus,  daß  jede  Beschäftigung  in  freier  Luft  ge- 
sunder wäre ,  daß  die  frische  Luft  andere  gesundheitswidrige  Nachteile 
ausgleiche,  daß  außer  der  starken  Hitze  sich  im  überdachten  Baum  Gase, 
Kohlensäure  und  Stickstoff  ansammeln,  deren  Entweichen  schwierig  wäre 
und  welche  der  Maschinist  einatmen  müßte ,  daß  endlich  der  Kampf  mit 
den  Elementen  bei  offnem  Führerstande  den  Körper  der  Maschinisten 
stählte.  Demgegenüber  hat  sich  der  verdeckte  Fahrerstand  nun- 
mehr in  allen  Ländern  siegreich  Bahn  gebrochen. 

Ein  wichtiger  Punkt  in  der  Thätigkeit  des  Führers  ist  die  Regu- 
lierung der  ihm  vorgeschriebenen  Fahrzeit.  Die  Fahrord- 
nungen werden  von  den  Centralbehörden  zusammengestellt  im  inter- 
nationalen Verkehr  nach  vorheriger  Vereinbarung  auf  periodischen  Kon- 
ferenzen. Die  Fahrgeschwindigkeit  hat  sich  fast  überall  bedeutend  ver- 
mehrt. Vor  40 — 50  Jahren  fuhren  Personenzüge  4  Meilen,  d.  h.  30  km 
in  der  Stunde.  Jetzt  fahren  in  Preußen  die  Güterzüge  40,  Personenzüge 
60,  Schnellzüge  80  km ;  die  letzteren  dürfen  sogar  unter  besonderen 
Umständeu  ihre  Geschwindigkeit  auf  90  km  ausdehnen.  In  England 
fährt  man  vielfach  noch  schneller ,  in  Amerika  ist  die  Durchschnitts- 
geschwindigkeit 65,  also  der  europäischen  durchaus  nicht  überlegen, 
wie  man  häufig  annimmt,  wenngleich  auf  einzelnen  Strecken  mit  mehr 
als  100  km  die  Stunde  gefahren  wird. 

Ob  die  Geschwindigkeit  der  jetzt  am  schnellsten  fahrenden  Züge 
noch  wesentlich  überschritten  werden  kann,  ist  mehr  als  zweifelhaft. 
Ein  weiteres  Ueberschreiten  würde  nicht  nur  große  technische  Schwierig- 
keiten bieten,  sondern  auch  die  Sicherheit  und  das  Wohlbefinden  der 
Reisenden  in  Frage  stellen.  Wohl  werden  die  Lokomotiven  größer  und 
stärker  gebaut,  namentlich  in  Amerika  mit  6—8  Achsen  und  Dreh- 
gestellen. Eine  wesentliche  Vergrößerung  des  Kessels  namentlich  nach 
oben  hin  ist  jedoch  bei  den  häufigen  Ueberbrückungen  der  Schienen- 
straßen kaum  möglich. 

Daß  schon  jetzt  unsere  Blitzzüge  auf  ängstliche  Personen  einen 
gesundheitsnachteiligen  Einfluß  ausüben,  dafür  giebt  es  ja  Beweise 
genug,  und  dürften  wir  wohl  an  einer  Geschwindigkeitsgrenze  ange- 
langt sein,  welche  eine  wesentliche  Vermehrung  der  jetzigen  Fahrge- 
schwindigkeit verbietet, 

Außer  der  bisher  angeführten  Thätigkeit  hat  die  neuere  Technik 
den  Lokomotivführern  noch  einen  weiteren  Wirkungskreis  zugewiesen, 
welcher  ihre  Verantwortlichkeit  wesentlich  erhöht :  die  Dampfbremse 
und  die  Dampfheizung,  Einrichtungen,  welche  von  der  Lokomotive 
aus  bedient  und  für  welche  der  nötige  Dampf  bereit  gehalten  werden 
muß.  Wir  werden  diese  Einrichtungen  näher  in  den  betreffenden  Ab- 
schnitten (S.  271  und  275)  besprechen. 

26 


Eisenbahnhygiene.  263 

Sehr  wichtig  ist  endlich  die  Auswahl  des  Heizmaterials. 
Gute  Steinkohle  wird  bevorzugt.  Auf  der  Berliner  Stadtbahn  wird 
Koks  angewandt,  der  den  Vorteil  hat,  wenig  Rauch  zu  entwickeln. 
Auch  darf  bei  der  Steinkohlenheizung  der  Feuerraum  nicht  zu  stark 
gefüllt  sein,  um  Rauch,  Ruß  und  gefährliches  Funkensprühen  zu  ver- 
meiden. Um  die  durch  Funkensprühen  drohende  Feuersgefahr  zu  ver- 
meiden, müssen  die  Schornsteine  der  Lokomotiven  mit  Schutzvorrich- 
tungen, Funkenfängern,  versehen  sein. 

Wer  einmal  auf  einer  Lokomotive  gefahren  ist,  wird  mit  uns  in  den 
Wunsch  einstimmen ,  daß  alles  gethan  werde ,  um  die  Erschütterung 
zu  mäßigen.  Vor  allem  müssen  die  ausgelaufenen  Radbandagen  recht- 
zeitig abgedreht  und  so  wieder  auf  die  normale  Form  gebracht  werden, 
um  so  die  Stöße  thuulichst  zu  vermeiden ;  unbrauchbar  gewordene  alte 
Maschinen  müssen  rechtzeitig  ausrangiert  werden. 

6.  Die  Wagen. 

Der  Teil  der  Eisenbahnen,  dessen  Mängel  und  Vorzüge  dem 
Reisenden  naturgemäß  am  meisten  in  die  Augen  fallen,  ist  der 
Raum,  in  welchem  er  sich  während  der  Fahrt  aufhält.  Hierhin  ist  er, 
ob  mit  Recht  oder  Unrecht,  am  ersten  geneigt,  die  Gründe  für  eine 
Erkrankung  oder  einen  Unfall  zu  verlegen.  Wenn  man  bedenkt,  wie 
primitiv  die  ersten  Eisenbahnwagen  waren,  ursprünglich  ganz  offen,  mit 
einem  sehr  niedrigen  Dach  und  ganz  kleinen  Fensteröffnungen  versehen, 
die  nur  durch  Vorhänge  geschützt  waren,  mit  einem  Talglicht  erleuchtet 
und  ungeheizt,  so  muß  der  heutige  Reisende  über  den  erreichten  Fort- 
schritt staunen.  Seitdem  die  Lokomotiven  leistungsfähiger  geworden 
und  größere  Lasten  befördern  können  ohne  der  Geschwindigkeit  Ab- 
bruch zu  thun,  hat  man  die  Wagen  etwas  höher  bauen  und  den  auf 
den  einzelnen  Reisenden  fallenden  Raum  etwas  größer  bemessen  können. 
Allerdings  darf  diese  Erhöhung  mit  Rücksicht  auf  die  Schwerpunkts- 
lage und  auf  die  Tunnels,  Brücken  u.  s.  w.  nicht  zu  groß  sein,  um  ge- 
fährliche Schwankungen  zu  verhüten.  Die  Wagen  dürfen  auch  nicht 
zu  lang  sein  wegen  der  zu  durchfahrenden  Kurven.  Auch  muß  sich 
die  Breite  der  Wagen  nach  der  Spurweite  richten.  Was  jedoch  in 
Bezug  auf  Raumvermehrung  erreicht  werden  kann,  ist  wohl  erreicht, 
und  es  wird  später  gezeigt  werden,  daß  bei  strenger  Befolgung  der 
übrigen  hygienischen  Vorschriften  der  jetzt  auf  den  Einzelnen  fallende 
Raum  genügt. 

Man  hat  vor  Jahren  die  gebräuchlichen  Eisenbahnwagen 
in  mehrere  Systeme  eingeteilt,  und  zwar  nach  der  Zahl  der 
Achsen,  wie  auch  nach  der  Anordnung  der  Wagenabteile.  Die  englischen 
Wagen  wurden  meistens  durch  2,  die  amerikanischen  durch  4,  die  deut- 
schen durch  3  Achsen  getragen.  Betreffs  der  Anordnung  der  Sitzplätze  be- 
deutete das  englische  System:  Coup6wagen,  das  amerika  nische: 
Interkommunikationswagen   (auch   wohl   Pullm  an n- System   genannt). 

Bevor  wir  auf  die  Vorzüge  bez.  Nachteile  dieser  Systeme  eingehen, 
wollen  wir  kurz  die  Zusammensetzung  der  Persone n'w a g e n 
beschreiben. 

Wir  haben  bei  den  Wagen  hauptsächlich  die  Achsen, 
das  Untergestell  und  den  Wagenkasten  in  Betracht  zu 
ziehen. 

Eine  Achse  besteht  aus  der  WTelle  und  den  mit  diese  verbundenen 

27 


264  BRAEHMER, 

beiden  Rädern.  Während  man  ursprünglich  und  heutigentags  noch  bei 
kleinen  Wagen  2  oder  3  Achsen  anwandte,  haben  zuerst  die  Amerikaner, 
eine  geniale  Erfindung  benutzend,  eine  größere  Zahl  von  Achsen  ange- 
wandt, wodurch  erreicht  wurde,  daß  die  Wagen  länger  gebaut  werden  konnten 
und  ruhiger  liefen.  Es  werden  hier  an  beiden  Enden  des  Wagens  durch 
einen  Rahmen  mehrere  Achsen  zu  einem  sog.  Drehgestell  derartig  ver- 
bunden, daß  ein  Drehgestell  mit  2,  3  und  noch  mehr  Achsen  gleichsam 
nur  einen  Stützpunkt  an  jedem  Wagenende  bildet.  In  der  Mitte  jedes 
der  beiden  Rahmen  befinden  sich  zwei  metallene  Pfannen  und  je  ein 
Bolzen  als  Drehpunkt.  Infolge  dieser  Anordnung  passen  sich  die 
Wagen  den  Krümmungen  der  Schienenwege  leichter  an  und  laufen  vor 
allen  Dingen  ruhiger.  In  Amerika  hat  man  Wagen  von  70  engl.  Fuß 
—  also  21  m  —  Länge.  In  Deutschland  ist  der  größte  im  Betrieb  be- 
findliche Personenwagen  der  des  deutschen  Kaisers.  Derselbe  mißt 
17,5  m  Länge  und  ruht  auf  6  Achsen.  Auch  die  meisten  Schlafwagen 
auf  dem  Kontinent,  sowie  eine  größere  Zahl  von  Personenwagen  ruhen 
auf  4  Achsen,  doch  giebt  es  —  namentlich  in  England  —  noch  viel- 
fach 2-  und  3-achsige  Wagen  ohne  Drehgestell. 

Als  feststehend  ist  zu  betrachten,  daß,  je  größer  der  Radstand, 
d.  h.  die  Entfernung  der  beiden  äußersten  Achsen,  und  je  kleiner  im 
Verhältnis  zu  dieser  Entfernung  die  Länge  des  Wagenkastens  ist,  um 
so  ruhiger  der  Wagen  läuft. 

Bei  den  Wagen  ohne  Drehgestell  ruht  auf  den  Achsen  das  Unter- 
gestell, welches  die  Verbindung  zwischen  den  Achsen  und  dem  Wagen- 
kasten vermittelt.  Die  Untergestelle  der  Wagen  werden  in  neuerer 
Zeit  meistens  aus  Eisen  hergestellt;  nur  in  England  und  Amerika 
werden  dieselben  vielfach  aus  Holz  gebaut,  und  wird  hierdurch  das 
Dröhnen  während  der  Fahrt  etwas  verringert.  Demselben  Zwecke  dient 
die  Federung,  zu  welcher  lange,  aus  dünnen  Stahlblättern  zusammen- 
gesetzte Federn  von  einer  gewissen  Elasticität  und  Tragkraft  verwendet 
werden.  Um  eine  noch  größere  Wirksamkeit  zu  erzielen,  kommt  öfter 
eine  doppelte  Federung  zur  Anwendung,  doch  macht  sich  hierbei  häufig 
ein  Schwanken  der  Wagen  bemerkbar. 

Bei  den  Wagen  mit  Drehgestellen  kommen  die  vorerwähnten  Unter- 
gestelle in  Fortfall.  Die  Wagenkasten  sind  unten  durch  starke  hölzerne 
bez.  eiserne  Längs-  und  Querbalken  verbunden ;  letztere  stützen  sich 
auf  die  Drehgestelle. 

Die  Anordnung  der  Wagenplätze  erfolgt  im  wesentlichen 
nach  den  schon  S.  263  angeführten  Systemen.  Natürlich  bietet  jedes  der- 
selben Vorzüge  und  Nachteile.  Jedoch  gebührt  vom  hygienischen  Stand- 
punkte aus,  namentlich  für  längere  Fahrten,  den  Durchgangswagen 
die  weiteste  Verbreitung;  nur  für  kürzere  Strecken  mit  lebhaftem  Ver- 
kehr mag  das  Coup6system ,  welches  eine  schnellere  Entleerung  ge- 
stattet, vorzuziehen  sein.  Für  längere  Fahrten  ist  unbedingt 
das  Durchgangssystem,  wie  es  Amerika  bei  seinen  7 — 8-tägigen 
Fahrten  mit  bestem  Erfolge  eingeführt  hat ,  im  Interesse  der 
Gesundheit  der  Reisenden  vorzuziehen.  Das  stunden- 
lange Gebanntsein  an  einen  engen  Platz,  die  Schwierigkeit,  einen 
Abort  zu  erreichen,  der  nicht  an  jedes  Coup6  stößt,  die  aufge- 
zwungene, oft  unsympathische  Nachbarschaft  von  Mitreisenden,  von 
denen  jeder  seine  eigenen  Wünsche  betrefis  Oeffnung  der  Fenster,  der 
Verdunkelung  der  Sonne,  jeder  seinen  eigenen  Appetit  hat,  seinen 
eigenen  Tabak  raucht,    die  Unmöglichkeit,   bei  längeren  Fahrten  jeden 

28 


Eisen  baknhygiene. 


265 


Augenblick  den  Restaurationswagen  aufsuchen  zu  können,  die  Unsicher- 
heit, mit  verdächtigen  Leuten  stundenlang  allein  eingeschlossen  zu  sein, 
die  ja  oft  zu  traurigen  Ueberfällen  geführt  hat  —  das  alles  ist  wohl 
geeignet,  nicht  nur  die  Behaglichkeit  des  Reisenden  zu  stören,  sondern 
auch  auf  seine  Gesundheit  nachteilig  zu  wirken.  Die  wenigen  Vorteile 
der  Coupewagen,  welche  wesentlich  in  Herstellung  bequemerer  Liege- 
plätze begründet  sind,  werden  tausendfach  aufgewogen  durch  die  Vor- 
teile der  Durchgangswagen. 

Daß  das  reine  Coup^system  Ueberfälle,  Raub  und  Mord  veranlaßt 
hat,  dafür  haben  wir  bis  in  die  neueste  Zeit  Beispiele  namentlich  in 
Amerika  und  in  Italien,  wo  die  Regierung  sogar  angeordnet  hat,  daß 
die  Schaffner,  auf  dem  Trittbrett  gehend,  ab  und  zu  die  Coup6s  in- 
spizieren, eine  Anordnung,  welche  die  große  Zahl  der  durch  das  Wandern 
der  Schaffner  auf  dem  Trittbrett  während  der  Fahrt  entstandenen  Un- 
fälle zu  vermehren  geeignet  ist.  Auf  deutschen  Bahnen  ist  seit  Ein- 
führung der  Bahnsteigsperre  das  Betreten  der  Trittbretter 
dem  Zugpersonal  während  der  Fahrt  zwar  verboten;  das 
Verbot  wird  aber  vielfach  nicht  beachtet. 

Von  den  verschiedenen  Durchgangswagen  sind  die  in  Amerika 
üblichen  Salonwagen,  bei  denen  der  Durchgang  in  der  Mitte  sich  be- 
findet wegen  der  mit  ihnen1verbundenen  Belästigung  der  Mitreisenden 
unbeliebt  (Fig.  8). 


ajcrt 


J)irnst-rawm^ 


Fig.   8.     4-achsiger  Drehgestellwageu  mit  mittlerem   Durchgang. 

Die  ihnen  anhaftenden  Nachteile  werden  durch  die  in  Europa  und 
namentlich  in  Deutschland  sich  einbürgernden  Durchgangswagen  ge- 
mildert; es  sind  dies  Coup6wagen  mit  Seitengang,  welche  sich 
in  unseren  Durchgangszügen  und  Schlafwagen  so  trefflich  bewähren. 
Die  geringe  Belästigung  durch  die  in  den  Seitengängen  wandelnden 
Mitreisenden  kann  durch  Herunterlassen  der  vorhandenen  Gardinen 
aufgehoben  werden  (Fig.  9,  S.  266). 


29 


266 


BRAEHMER, 


Die  Anordnung  der  Aborte  und  die  unbefangene  Benutzung 
derselben  wird  ebenfalls  bei  diesem  System  wesentlich  erleichtert.  Wir 
wissen,  daß  Reisende,  wenn  sie  einen  Abort  nur  unter  Erregung  von 
Aufmerksamkeit  der  Mitreisenden  benutzen  konnten,  aus  einem  gewissen 
Schamgefühl  die  Benutzung  auf  Kosten  ihrer  Gesundheit  unterließen. 
Eine  Promenade  in  dem  Seitengang  läßt  den  an  einem  Ende  des  Wagens 
liegenden  Abort  unbemerkt  benutzen. 

Mit  dem  Abort  muß  eine  reinliche  und  ausreichende  Wasch- 
gelegenheit verbunden  sein,  und  können  in  dieser  Beziehung  die 
amerikanischen  Einrichtungen  als  Vorbild  dienen.  Notwendig  ist  auch 
die    Anbringung     von    Urinirgefäßen     zur    Verhütung    der    Be- 


Fig.   9.     4-achsiger  Drehgestell-(Durchgangs-)Wagen  mit  seitlichem  Gange. 


schmutzung  der  Stühle;  ebenso  ist  eine  sorgfältige  Reinigung,  Spülung 
und  Lüftung  der  Aborte  nach  jeder  Fahrt  notwendig.  Eine  Des- 
infektion mit^  Karbol  belästigt  durch  den  Geruch,  dagegen  ist  das 
Einlegen  eines  Stückes  gewöhnlicher  weißer  Seife  in  das  Urinirgefäß 
zweckmäßig.  Welche  Anordnung  aber  auch  die  Wagen  haben,  gefordert 
muß  werden,  daß  die  Reisenden  aller  Klassen  jeden  Augen- 
blick leicht  und  unbemerkt  den  Abort  erreichen  können. 

Die  Verteilung  der  Plätze  ist  in  Deutschland  so  eingerichtet,  daß 
in  der  I.  Klasse  6,  in  IL  8,  in  der  III.  10  Sitzplätze  benutzt  werden 
können.  Coupewagen  mit  Aborten  haben  gewöhnlich  einen  Platz 
weniger.  Die  angegebenen  Zahlen  sind  jedoch  nur  Maximalzahlen,  und 
haben  die  Schaffner  die  Pflicht  durch  eine  gerechte  Verteilung  eine 
geringere  Besetzung  der  Coup6s  herbeizuführen.  In  der  4.  Klasse  be- 
finden sich  vielfach  noch  Stehplätze.  Das  Stehen  machen  sich  jedoch 
durch  Benutzung  mitgeführter  Gepäckstücke  auch  für  längere  Fahrten 
die  Reisenden  selbst  erträglich.  Uebrigens  ist  ein  gesundheitlicher  Nach- 
teil des  Stehens  während  der  Fahrt  mit  Ausnahme  des  Stehens  auf 
der  Lokomotive  bisher  nicht  beobachtet. 

Das  Raum  Verhältnis  der  Wagen  zu  der  Zahl  der 
Plätze  wird  am  besten  durch  folgende  Tabelle  illustriert.    Es  entfällt 

30 


Eisenbahnhygiene.  2ö7 

nach  einer  Berechnung  Wiehert' s  bei  den  jetzt  gebräuchlichen  Per- 
sonenwagen der  preußischen  Staatseisenbahneu  auf  jeden  Reisenden 
bei  voller  Besetzung: 

1.   Klasse  2.   Klasse         3.  Klasse  4.  Klasse 

in  Durchgangswagen: 
Luftraum  2,24   cbm  1,50   cum  1,00   cbm         0,80   cbm 

Bodentläehe     1,04   qm  0,70   qm  0,4ti   qm  o,38   qm 

Sitzbreite         0,80  m  0,60   m  o,47   m  — 

iu  Coupewageu: 
Luftraum  1,90   cbm  1,28   cbm  0,84   cbm 

Bodenääche     0,86   qm  0,58   qm  0,38   qm 

Sitzbreite         0,82   m  o,62   m  o,50   m 

Diese  Tabelle  spricht  durchweg  zu  Gunsten  der 
Durchgangs  wagen. 

Da  jedoch  selten  alle  Plätze  besetzt  sind  und  jalsdann  nur  auf 
kurze  Zeit,  so  ist  das  Verhältnis  viel  günstiger.  Im  Jahresdurchschnitt 
und  zwar  für  das  Jahr  1887 — 1888  betrug  die  Besetzung  der  Plätze 
bei  den  preußischen  Staatseisenbahnen  nur : 

8,9  Proz.  für  die  1.  Wagenklasse 

20,5      ,,  „  ,,     2.  „ 

21,0       „  „  ,,     3.  „ 

3M       ,,  „  „     4.  „ 

Durchschnittlich  24  Prozent  für  alle  Wagenklassen,  wonach  also  auf 
jeden  Reisenden  das  4-fache  Luftquan tum,  als  für  jeden 
Platz  angewiesen,  entfällt.  Eine  gewisse  Berechtigung  den 
Beisenden  höherer  Klassen  einen  größeren  Luftraum  anzuweisen,  er- 
giebt  sich  aus  der  statistisch  festgestellten  Thatsache,  daß  die  Reisenden 
der  höheren  Wagenklassen  im  allgemeinen  längere  Strecken  zurücklegen 
als  die  der  niederen  Klassen. 

Was  nun  die  Sitze  betrifft,  so  kann  man  die  Beschaffenheit  und 
Bequemlichkeit  derselben  nur  nach  Durchschnittsmenschen  einrichten. 
Aut  besonders  starke  Leute,  Kinder  u.  s.  w.  Rücksicht  zu  nehmen,  ist 
nicht  angängig.  Bei  den  preußischen  Staatsbahnen  sind  die  Sitze  aus- 
reichend hoch  und  tief.  Die  Unterschiede  in  den  Dimensionen  der 
verschieden  Klassen  sind  gering.  Die  Sitze  der  1.  und  2.  Wagenklasse 
sind  gepolstert  und  teils  mit  Leder,  teils  mit  anderen  Stoffen  überzogen ; 
mehrfach  giebt  es  auch  besondere  Sitzkissen ,  welche  auf  der  einen 
Seite  mit  Leder  überzogen  sind.  Die  Sitze  sind  meistens  so  einge- 
richtet, daß  sie  bei  geringer  Besetzung  der  Coupes  zum  Liegen  benutzt 
werden  können.  —  Eine  gesundheitlich  sehr  zu  empfehlende  Einrich- 
tung: die  Sitze  im  Sommer  aus  Stroh-  und  Holzgetiecht  herzustellen, 
ist  bis  jetzt  leider  noch  nicht  allgemein  genug  eingeführt. 

Die  sonstige  Einrichtung  der  Coup6s  ist  in  den  letzten 
Wagenklassen  eine  verhältnismäßig  einiachere  als  in  den  ersten.  Hier 
wird  namentlich  der  Schall  durch  die  Polsterung  der  Wände  und  durch 
Bedecken  der  Fußböden  mit  Teppichen  oder  Linoleum  gedämpft,  wodurch 
gleichzeitig  im  Winter  die  Kälte  etwas  abgehalten  wird.  Das  Klappern 
der  Thüren  und  Fenster,  sowie  das  Eindringen  von  Staub  soll  durch 
eingelegte  Gummi  oder  Filzstreifen  vermindert  werden.  Alles  sonstige 
Inventar,  z.  B.  Gepäcknetze  müssen  so  befestigt  sein,  daß  kein  Klappern 
entsteht,  die  Wand-  und  Sitzbekleidungen  dürfen  keine  zu  grellen 
Farben  haben.     Sämtliche  Fenster  müssen  bei  jedem  Witterungswechsel 

3» 


268  BRAEHMEK, 

leicht  zu  öffnen  und  zu  schließen  sein ,  zur  Abhaltung  der  Sonnen- 
strahlen sind  leicht  stellbare,  am  besten  braune  oder  blaue  Vorhange 
notwendig.  In  den  letzten  Wagenklassen,  die  weder  Teppiche  noch 
einen  Linoleumbelag  führen,  sollte  man  die  Fußböden  wenigstens  mit 
Rohrdecken  belegen,  um  die  Füße  trocken  uud  warm  zu  halten. 

Lüftung,  Heizung,    Beleuchtung  der  Wagen  siehe  S.  268 — 274. 

Die  Erschütterung  der  Eisenbahnwagen  wird  durch 
die  verschiedensten  Ursachen  bedingt.  Ein  Wagen  lauft  um  so  ruhiger, 
je  größer  der  Abstand  der  äußersten  Achsen ,  je  besser  er  abge- 
federt ist,  je  glatter  und  weniger  abgenutzt  die  Räder,  je  besser  der 
Zustand  des  Bahnkörpers,  der  Schwellen,  der  Schienen  und  die  Art 
der  Befestigung  der  letzteren  sind,  auch  je  mäßiger  die  Geschwindig- 
keit ist.  Ueber  diese  einzelnen  Punkte  findet  man  noch  Näheres  auf 
S.  262.  Ueberall  ist  man  bemüht,  die  Ursachen  der  Erschütterung  auf- 
zuheben. Als  Beweis  dafür  sei  eine  Anordnung  des  preußischen  Eisen- 
bahnministeriums aus  dem  Jahr  1889  angeführt: 

„Es  sind  nur  solche  Wagen  als  letzte  in  die  Züge  einzustellen, 
welche  sich  besonders  bezüglich  der  Achsen,  Räder,  Lager  und  Federn 
in  vollständig  gutem  Zustande  befinden ;  ferner  sind  auch  die  letzten 
Wagen  fest  zu  kuppeln,  auch  ist  beim  Herabfahren  auf  starkem  Gefälle 
rechtzeitig  zu  bremsen.  Die  Stations-  und  die  Revisionsbeamten  der 
Zugang-Stationen  haben  den  Zustand  sowie  die  gute  Kuppelung  der 
letzten  Wagen  genau  zu  prüfen,  die  Zugführer  sowie  die  übrigen  Fahr- 
beamten haben  die  Schluß  wagen  so  viel  wie  möglich  im  Auge  zu  behalten 
und  der  Station  sofort  Meldung  zu  machen,  wenn  der  Gang  des  letzten 
Wagens  ein  unruhiger  ist ,  oder  wenn  Klagen  der  darin  fahrenden 
Reisenden  laut  werden.  Die  Station  hat  den  betreffenden  Wagen 
nötigenfalls  der  Werkstatt  zur  Prüfung  oder  Reparatur  zuzuführen.  Viel- 
fach ist  das  Schwanken  der  Wagen  lediglich  der  mangelhaften  Geleis- 
lage zuzuschreiben ;  die  Bahnmeister  werden  daher  angewiesen,  auf  gute 
Geleislage  ihr  Augenmerk  zu  richten". 

7.  Lüftung  der  Eisenbahnwagen. 

Das  Bedürfnis  nach  ausreichender  Lüftung  ist  bei  den  Eisenbahn- 
wagen nicht  minder  groß  als  in  Wohnräumen ,  begegnet  aber  nicht 
minder  großen  Schwierigkeiten.  Wenn  einerseits  bei  den  Eisenbahn- 
wagen schon  die  natürliche  Lüftung  durch  die  vielen  Fugen  eine 
größere  ist  als  in  fest  gefügten  uud  gemauerten  Wohnräumen ,  so  ist 
andererseits  der  Raum  niedriger  und  kleiner  und  der  bei  vollbesetzten 
Wagen  auf  den  Einzelnen  fallende  Luftkubus  geringer. 

Die  einfachste  und  natürlichste  Art  der  Ventilation,  nämlich  das 
Oeffnen  der  Fenster,  verbietet  sich  bei  starkem  Wind,  bei  Staub 
und  Ruß,  bei  Regen  und  vor  allen  Dingen  bei  Kälte.  Man  hat  daher  eine 
ganze  Anzahl  Systeme  erdacht,  welche  entweder  frische  Luft  zuführen 
oder  verbrauchte  Luft  abführen  oder  beides  gleichzeitig  bezwecken 
sollen.  Diese  Systeme  gründeten  sich  anfangs  nur  auf  theoretische 
Vermutungen  und  praktische  Erfahrungen;  erst  im  Jahre  1875  haben 
Wolffhügel  und  Lang2  experimentell  festgestellt,  durch  welche  Ein- 
richtungen die  Luft  im  Eisenbahnwagen  am  besten  gebessert  wird, 
während  man  es  bis  dahin  dem  subjektivem  Gefühl  überließ,  die  größere 
oder   geringere  Güte   der  Luft  in   den   Eisenbahnwagen  zu   ermitteln. 

32 


Eisenbahnhygiene.  269 

Diese  Untersuchungen  wurden  in  den  Jahren  1887—1888  auf  Veran- 
lassung des  preußischen  Kriegsniinisteriums  wiederholt,  weil  man  die 
beste  Art  der  Ventilation  für  Kranke  nwagen  und  Lazaretzüge 
festzustellen  versuchte.  Hierbei  übertrug  man  die  von  Pettenkofer 
für  Wohnräume  aufgestellte  Theorie,  daß  mit  der  durch  die  Lungen 
ausgeschiedenen  Kohlensäure  proportional  die  Verschlechterung  der  Luft 
steigt,  auch  auf  die  Eisenbahnwagen. 

Die  Menge  der  von  einem  Menschen  ausgeatmeten  Kohlensäure  ist 
zwar  nach  Alter,  Geschlecht,  Bewegung  bezw.  Ruhe  verschieden,  doch 
kann  man  für  die  Berechnung  der  Ventilationsgröße  den  von  Petten- 
kofer *  ermittelten  Durchschnittswert  von  22,6  CO  2  pro  Kopf  und 
Stunde  zu  Grunde  legen. 

Es  ist  nun  ferner  durch  die  Erfahrung  festgestellt,  daß  eine  durch 
den  menschlichen  Atemprozeß  auf  höchstens  1  p.  mille  C02  gebrachte 
Atemluft  die  menschliche  Gesundheit  schädigt.  Berücksichtigt  man 
ferner,  daß  die  atmosphärische  Luft  selbst  schon  im  Mittel  0,4  p.  mille 
CO  2  enthält,  so  läßt  sich  unter  Annahme  eines  nicht  zu  überschreitenden 
Grenzwertes  von  höchstens  1  p.  mille  C02  berechnen,  wie  viel  atmo- 
sphärische Luft  einem  Räume  von  bekanntem  Inhalte  zugeführt  werden 
muß,  damit  dieser  Grenzwert  nicht  überschritten  wird. 

Die  angestellte  Rechnung,  über  welche  in  Bd.  IV  S.  244  und  249 
dies.  Handb.  das  Nähere  angeführt  ist ,  ergiebt  nun ,  daß  der  Mensch 
im  Mittel  eine  stündliche  Zufuhr  von  32  cbm  atmosphärischer  Luft 
braucht,  wenn  der  Grenzwert  von  1  p.  mille  C02  innegehalten  werden 
soll.  Da  aber  dem  Reisenden  in  einem  vollbesetzten  Coup6,  wie  S.  267 
ausgeführt  wurde,  im  Mittel  nur  1  cbm  Luftraum  zur  Verfügung  steht, 
so  folgt  daraus,  daß  zur  Erreichung  eines  dem  obigen  Grenzwerte  ent- 
sprechenden Luftwechsels  derselbe  in  der  Stunde  ein  32-facher  sein 
müßte. 

Diese  Aufgabe  einer  32  fachen  Lüftung  ist  aber  bei  dem  augenblick- 
lichen Stande  der  Technik  eine  unlösbare;  denn  wir  wissen,  daß  schon 
eine  5  fache  Lüftung  —  viele  Hygieniker  glauben,  schon  eine  3  fache  — 
das  unangenehme  Gefühl  des  Zuges  hervorruft. 

Nach  Leißner1  enthält  aber  die  Luft  in  der  Nähe  des  sich  be- 
wegenden Eisenbahnzuges  auch  im  freien  Felde  von  1,8  bis  zu  2,28 
p.  mille  C02,  weil  letztere  durch  die  Verbrennungsprodukte  der  Maschine 
wesentlich  vermehrt  wird. 

Sollten  sich  diese  Angaben  bestätigen,  so  wäre  es  selbstverständlich 
unmöglich,  den  Gehalt  der  Luft  im  Coup6  auf  1  p.  mille  C02  zu  halten. 
Deshalb  legt  Leißner  auch  einen  Grenzwert  von  2  p.  mille  C02  zu 
Grunde.  Dann  wäre  'zwar  nur  eine  16  fache  stündliche  Lüftung  er- 
forderlich, aber  das  Problem  bliebe  darum  zur  Zeit  nicht  weniger 
unlösbar. 

Diesen  Ueberlegungen  entspricht  das  Resultat  der  über  die  künst- 
liche Lüftung  von  Eisenbahnwagen  vorliegenden  Versuche. 

Es  ist  bisher  kein  Lüftungssystem  bekannt  geworden,  welches  in 
der  Lage  wäre,  in  den  Coupes  einen  dauernden  Gehalt  der  atmosphä- 
rischen Luft  an  höchstens  1  p.  mille  Kohlensäure  herzustellen1.  Diesen 
Anschauungen  schließt  sich  auch  der  Bericht  der  amerikanischen  Master 
Car  Builders  Association  an3. 

Am  besten  scheinen  sich  noch  Wolpert-Sauger  von  bestimmten 
Dimensionen  bewährt  zu  haben,  deren  Schächte  man  bis  auf  den  Wagen- 
Handbuch  der  Hygiene.  Bd.  VI.  .,  0 

33  lö 


270  BRAEHMER, 

boden  hinabführt  (vergl.  dies.  Handb.  4.  Bd.  285  Fig.  50  und  51,  S.  287 
Fig.  55  und  56,  S.  186  Fig.  106). 

Die  genannten  Apparate  saugen  nur),  wie  ihr  Name  sagt,  die  ver- 
dorbene Luft  ab.  Es  entsteht  deshalb  die  Frage,  ob  auch  für  eine 
künstliche  Zufuhr  frischer  Luft  gesorgt  werden  muß. 

Diese  Frage  läßt  sich  für  den  größten  Teil  der  Fälle  verneinen. 
Solange  die  Fenster  geöffnet  werden  können,  ist  eine  maschinelle  Ein- 
richtung zur  Luftzufuhr  selbstverständlich  unnötig.  Ferner  strömt  dem 
Coup6  durch  das  Oeff'nen  der  Thüren  auf  den  Stationen  eine  häufig  über- 
große Luftmenge  zu. 

Sollte  aber  unter  besonderen  Verhältnissen,  etwa  auf  sehr  selten 
haltenden  Kurierzügen  oder  in  Lazarethwagen  eine  künstliche  Zufuhr  von 
Luft  nötig  werden,  so  wird  man  die  Außenluft  an  den  vorhandenen  Heiz- 
körpern vorwärmen,  wenn  die  Temperaturdifferenz  zwischen  Außen-  und 
Innenluft  eine  zu  große  ist. 

Von  besonderer  Wichtigkeit  wäre  es  bei  künstlicher  Zufuhr  von 
Frischluft,  dieselbe  staubfrei  zumachen.  Es  scheint,  als  wenn  dieses 
offenbar  lösbare  Problem  noch  nicht  gelöst  wurde.  Anfänge  sind  da- 
durch gemacht,  daß  man  die  Gleise  mit  Steinschlag  abdeckt,  wodurch 
die  Stauberzeugung  wesentlich  verringert  wird.  Der  Staub,  der  von 
den  Maschinen  ausgeht,  bleibt  aber  das  Hauptübel. 

Nach  diesen  Vorbemerkungen  sollen  nun  die  hauptsächlichen  zur  Lüf- 
tung von  Eisenbahnwagen  wirklich  in  größerem  Umfange  benutzten  Ein- 
richtungen kurz  geschildert  werden. 

a)  Fenster.  Dieselben  bilden,  soweit  es  die  Witterung  gestattet, 
die  bequemste  und  wirksamste  Art  der  Lufterneuerung. 

b)  Thüren.  Dieselben  kommen  selbstverständlich  nur  auf  den 
Stationen  in  Betracht  und  wirken  wie  die  Fenster. 

c)  Lüftungsvorrichtungen  in  Oberlichtaufbauten.  Sie  sind 
namentlich  auf  den  preußischen  Staatsbahnen  in  Gebrauch  und  be- 
währen sich  hier  im  allgemeinen  vorzüglich,  namentlich  wenn  die 
Außenluft  nicht  zu  kalt  ist.  Einwendungen  werden  gegen  diese  Ein- 
richtungen nur  insofern  erhoben,  als  dieselben  neben  der  frischen 
Luft  auch  dem  Staub  Einlaß  gewähren  und  bisweilen  einen  unan- 
genehmen Zug  erzeugen.  Eigentlich  sind  die  Oberlichtaufbauteu  nichts 
anderes  als  Thüren  und  Fenster,  die  eine  besonders  zweckentsprechende 
Lage  erhalten  haben. 

d)  W  olpert- Sauger.  Vergl.  über  dieselben  oben  und  Bd.  IV, 
S.  285,  287  und  786  dies.  Handb. 

e)  Apparate  von  Viehoff  &  Voss  (Fig.  10,  S.  271). 

In  jedem  Wagenabteil  befinden  sich  seitwärts  oberhalb  der  Fenster 
2  Vorrichtungen,  ähnlich  eingerichtet  wie  die  Ejektoren  an  den  Vakuum- 
bremsen (S.  276).  Diese  beiden  Apparate  wirken  nur  während  der  Fahrt: 
Wird  in  der  Richtung  des  Pfeils  gefahren,  so  strömt  frische  Luft  durch 
das  Rohr  A  in  das  Coupe  bei  S,  ein  Teil  der  einströmenden  Luft  entweicht 
unbenutzt  durch  das  konische  Rohr  bei  C.  Im  Gegensatze  hierzu  saugt 
das  konische  Rohr  F  des  Apparates  der  anderen  Seite  die  Luft  des 
Coupes  ab.  Bei  Umkehr  der  Fahrrichtung  wirken  auch  beide  Apparate 
im  entgegengesetzten  Sinne. 

Im  Innern  der  Wagen  bei  B  und  D  finden  sich  stellbare  Schieber 
in  Rosettenform  a,  welche  sich  mit  Hilfe  der  Handhabe  übereinander- 
schieben  lassen  und  die  Apparate  außer  Funktion  setzen. 

34 


Eisenbahnhygione. 


271 


1)  Leissner,  Glaser's   Annalen  (1892)    121. 

2)  Löffler,  D.    Vierteljahr  sschr.  f.  öftentl.  Gesundheitspß.  (1890)  22.  Bd.   124. 

3)  Wiehert,  D.    Vierteljahr sschr.  f.  öfentl.  Gesundheitspfl.  (1890)  22.   Dd.  105. 

4)  Clauss,    Ventilation  der  Personenwagen,   Monatsbl.   f.  öffentl.   Gesundheitspß.   Okt.    1893. 

5)  Leissner,  Glaser's  (Annalen   1894)   224. 

G)  Born's    Ventilationsa2>parat  Jür   Eisenbahnen,   Ges.-Ingen.  (188ü). 

7)  Martin,    De  quelques    appareils    nouveaux   pour   le  chaujjaye  et  la  Ventilation  des  voitures, 
Rev.  d'hyy.  (1883). 

8.  Heizung  der  Wagen  1, 3. 
(Vergl  dies.  Handb.  4.  Bd.  293  ff.) 

Wie  die  Lüftung,  so  schafft  auch  die  Heizung  fast  nur  für  den 
Winter  Sorgen.  Die  Vorrichtungen  für  Heizung  und  Lüftung  haben 
aufeinander  Rücksicht  zu  nehmen ,  denn  je  starker  der  Luftwechsel 
ist,  um  so  stärker  muß  die  Heizung  sein.  Die  Lüftung  wird  daher 
so  anzulegen  sein ,  daß  sie  die  Heizung  möglichst  wenig  beein- 
trächtigt. Da  sich  die  warme  Luft  an  der  Decke  ansammelt,  so 
würde  dieselbe  durch  eine  oben  angebrachte  Lüftung  abgesaugt  werden. 


A\ -^C 


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Coupe 


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Griff 


Kosette  (rnitDreHsc/iießer), 

Fig.   10.     Lüftungsapparat  von  Vieh  off  und  Voss. 


Dagegen  wird  durch  die  Absaugung  vom  Wagenfußboden  aus,  wie  viel- 
fache Versuche  festgestellt  haben,  eine  möglichst  gleichmäßige  Verteilung 
der  Wärme  in  den  verschiedenen  Höheschichten  des  Wagens  erzielt. 
Der  Heizung  in  Eisenbahnwagen  stehen  außer  den  angeführten  noch 
andere  Schwierigkeiten  entgegen :  die  Größe  der  Abkühlungsflächen  im 
Verhältnis  zu  dem  geringen  Raum,  die  dünnen  Wäude,  viele  Fenster 
und  Thüren,  das  häufige  Oeffnen  der  letzteren  und  der  scharfe  Luftzug 
während  der  Fahrt.  Dazu  kommt,  daß  der  immerhin  beengte  Raum 
keine  großen  Heizanlagen  oder  Oefen  gestattet,  daß  strahlende  Wärme 
in  dem  engen  Raum  namentlich  den  in  der  Nähe  des  Heizkörpers 
Sitzenden  sehr  lästig  werden  kann.  Es  ist  daher  kaum  möglich,  die 
Heizung  während  einer  langen  Fahrt  gleichmäßig  zu  erhalten.  Berück- 
sichtigen wir  dazu  noch  die  Verschiedenheit  der  Anforderungen  der 
Reisenden,  von  denen  einige  in  Pelze  gehüllt,  andere  mit  einem  leichten 
Ueberrock  bekleidet  sind,   so  wird  man  es  begreiflich  finden,    daß  die 

18* 
35 


272  BRAEHMER, 

Eisenbahn  Verwaltungen  sich  erst  spät  mit  der  Heizung  der  Wagen  be- 
schäftigten. 

Die  ersten  Heiz  ein  rieh  tun  gen  bestanden  in  eisernen  Kästen, 
die,  mit  heißem  Wasser  oder  Sand  gefüllt,  auf  die  Wagenfußböden  gelegt 
wurden.  Solange  ihre  Anwendung  sich  auf  die  1.  und  2.  Klasse  be- 
schränkte, war  sie  zu  ermöglichen  und  bot,  wenn  auch  in  ungleich- 
mäßiger Weise,  so  doch  immerhin  einigermaßen  Schutz  gegen  die  Kälte. 
An  einzelnen  Bahnen  ist  diese  Heizmethode  noch  gebräuchlich.  Als 
man  aber  erkannte,  daß  die  Reisenden  der  3.  und  4.  Klasse  dasselbe 
Anrecht  auf  Schutz  gegen  die  Kälte  haben,  mußte  man  dies  primitive 
Heizungssystem  verlassen  und  ging  zu  der  Ofenheizung  über.  Die- 
selbe erfolgte  durch  eiserne  Kanonen-  oder  Füllöfen,  die  teils  von  innen, 
teils  vom  Dach  aus  zu  füllen  waren.  Diese  Oefen  ergeben  eine  gute 
und  schnelle  Heizung,  machen  aber  den  Aufenthalt  in  ihrer  Nähe  un- 
gesund und  bedingen  Feuersgefahr.  In  Amerika,  wo  sie  noch  stark  im 
Gebrauch  sind,  ist  mancher  Unglücksfall  dadurch  noch  vergrößert,  daß  bei 
Entgleisungen  und  Zusammenstößen  durch  die  umgeworfenen  Oefen  Feuer 
ausbrach. 

Eine  andere,  vielfach  gebräuchliche  Form  der  Ofenheizung  besteht 
darin,  daß  der  Ofen  unterhalb  des  Wagens  angebracht  ist  und 
die  an  seinen  Wänden  erwärmte  Luft  durch  Kanäle  in  die  Wagen  ge- 
leitet wird,  eine  Heizungsform,  welche  nicht  genug  Wärme,  vielfach 
jedoch  Staub  in  die  Wagen  führt  und  auch  nicht  ohne  Feuersgefahr  ist. 

Eine  dritte  Form,  welche  vielfältig  angewendet  wird,  ist  die 
Heizung  mit  chemisch  präparierter  Holzkohle,  welche  bei  ge- 
ringer Luftzuführung  langsam  fortbrennt ;  die  Verbrennung  geschieht  in 
eisernen  Kästen,  die  wegen  der  Entwickelung  von  Kohlenoxydgas  gegen 
die  Coupes  abgeschlossen  sein  müssen  und  unterhalb  der  Sitze  ange- 
bracht sind,  daher  zunächst  den  Füßen  zu  gute  kommen. 

Die  Beheizung  mittels  warmen  Wassers  findet  vielfach  in 
Schlafwagen  Anwendung  und  stellt  eine  gleichmäßige  Temperatur  her; 
auch  Gasheizungen  sind  im  Gebrauch,  jedoch  sind  diese  nicht  un- 
gefährlich. 

Den  bis  hierher  angeführten  Heizungsarten  gegenüber,  bei  denen 
jeder  Wagen  unabhängig  von  dem  anderen  ist,  hat  sich  etwa  seit  einem 
Decennium  eine  Heizungsform  immer  mehr  eingebürgert,  welche  von 
einer  Stelle,  in  der  Regel  von  der  Lokomotive  aus,  den  ganzen  Zug 
versorgt  —  das  ist  die  Dampfheizung2.  Der  Dampf  wird  durch 
Röhren  von  Wagen  zu  Wagen  geführt,  in  die  unterhalb  der  Sitze 
liegenden  oder  an  den  Wagenwänden  befindlichen  Heizkörper  oder  Heiz- 
rohre. Beispielsweise  ist  auf  der  Berliner  Stadtbahn  die  Dampfheizung 
auf  die  vollendetste  Weise  ausgeführt;  sie  giebt  eine  angenehme  Wärme  und 
gestattet  eine  Regulierung  derselben.  Die  einzige  Klage,  welche  über 
sie  bekannt  wurde,  ging  dahin,  daß  sie  bei  längerer  Fahrt  und  langen 
Zügen  nicht  ausreichte.  Ein  Erkalten  kann  nur  seinen  Grund  haben 
in  einer  zu  langen  Rohrleitung,  in  einer  Unterbrechung  derselben  seitens 
des  Lokomotivführers,  was  mit  allen  Mitteln  verhindert  werden  müßte. 
In  hygienischer  Beziehung  gehört  der  Dampfheizung  der  Eisenbahn- 
wagen die  Zukunft,  wie  solches  prinzipiell  schon  im  Jahre  1886  von 
dem  preußischen  Eisenbahnminister  anerkannt  worden  ist.  Auch  auf 
süddeutschen  Bahnen  hat  sie  sich  schon  lange  bewährt,  ebenso  geht 
man  in  Amerika  nach  und  nach  zur  Dampfheizung  über.  Trotz  ihrer 
hohen  Anlagekosten  muß  sie  mit  allen  Mitteln  erstrebt  werden.    Nirgends 

36 


Eisenbahnhygiene.  273 

ist  Sparsamkeit  unangebrachter  als  hier  auf  Kosten  der  Gesundheit  und 
Wohlfahrt  der  Reisenden. 

Ausführlicheres  über  Heizung  s.  dies.  Handb.   4.  Bd.  263  ff. 

1)  Lü/tungs-  und  lltizungseinrichtungen  der  Eisenbahnen,   Dingler's  polyt.  Journ.   265. 

2)  Tischer  v.  Rösslerstamm,  Die  Uampßieizung  der  Eisenbahn,    Wien   1889. 
o)  Mallieux,  Le  chauffage  des  voitures,  Oes.-Ingen.  (1889). 

9.  Beleuchtung  der  Wagen  ] . 

Die  Notwendigkeit  einer  guten  Beleuchtung  der  Eisenbahnwagen 
ist  ebenso,  wie  seinerzeit  die  Notwendigkeit  einer  Schutzwand  auf  der 
Lokomotive,  bestritten  worden,  und  zwar  aus  hygienischen  Gründen. 
So  behauptete  Wiehert1,  das  Lesen  auf  der  Eisenbahn  führe  zu 
Nerven-  und  Augenkrankheiten.  Wir  möchten  dem  nicht  nur  nicht  zu- 
stimmen, sondern  das  Gegenteil  behaupten.  Den  Augen  schadet  vielleicht 
das  Lesen  in  einem  Wagen  auf  holprigem  Pflaster,  beim  Fahren  auf  glatten 
Schienen  jedoch  sicherlich  nicht,  wenn  die  Beleuchtung  ausreichend  und  die 
Augen  normal  sind.  Was  die  Nervenerkrankungen  betrifft,  so  wirken 
nach  unserer  Erfahrung  auf  solche  Leute,  die  auf  der  Eisenbahn  nicht 
schlafen  können  —  und  deren  giebt  es  eine  große  Anzahl  —  10-  bis 
12-stündige  Nachtfahrten  viel  schädlicher,  wenn  mangelhafte  Beleuchtung 
ihnen  das  Lesen  unmöglich  macht.  Für  solche,  die  schlafen  können 
und  schlafen  wollen,  sind  ja  Vorrichtungen  vorhanden,  um  das  Licht 
abzudämpfen.  Die  Bestrebungen  auf  Verbesserung  der  Beleuchtung  sind 
daher  von  der  Hygiene  warm  zu  begrüßen. 

Ursprünglich  wurden  die  Wagen  beleuchtet  durch  Talglichter, 
Stearinkerzen,  Oellampen.  Petroleum  wurde  wegen  Explosions- 
gefahr nicht  angewendet.  Der  oben  an  der  Decke  angebrachte  Beleuchtungs- 
apparat ist  durch  eine  Glasglocke  abgeschlossen.  Seit  etwa  20  Jahren 
ist  die  Gasbeleuchtung  fast  überall  eingeführt  worden  und  hat  sich 
wegen  ihrer  Helligkeit,  Reinlichkeit  und  Einfachheit  durchaus  bewährt. 
Unter  den  WTagen  sind  starke  eiserne  Behälter  angebracht,  in  welchen 
die  für  einen  gewissen  Zeitraum  ausreichende  Gasmenge  mitgeführt  wird. 
Da  das  gewöhnliche  Steinkohlengas  zu  wenig  kohlenstotfreich  und  leucht- 
fähig, demnach  in  zu  großen  Quantitäten  mitgeführt  werden  müßte,  so 
hat  man  das  kohlenstoffreichere  Fettgas  gewählt,  welches  in  stark  ge- 
preßtem Zustande  den  Behältern  zugeführt  wird. 

Das  Fettgas  wird  aus  Braunkohlenteeröl,  einem  bei  der  Paraffin- 
erzeugung erhaltenen  Nebenprodukt  von  unangenehmem  Geruch,  herge- 
stellt. Dasselbe  wird  von  den  meistens  in  der  Nähe  der  Bahnhöfe 
liegenden  Gasanstalten  nach  Füllständern  geleitet  und  von  hier  mittels 
Schläuchen  in  die  Behälter  der  Wagen  gepreßt.  Besonders  verdient 
•um  die  Entwickelung  der  Beleuchtung  der  Wagen  mit  Fettgas  hat  sich 
die  Firma  Julius  Pintsch  in  Berlin  gemacht. 

Leider  hat  sich  diese  fast  allen  Ansprüchen  genügende  Beleuchtung 
als  nicht  ungefährlich  erwiesen.  Bei  Zusammenstößen  und  Entgleisungen 
sind  durch  Explosion  des  unter  den  Wagen  befindlichen  Gases  die  trau- 
rigsten Folgen  entstanden.  Wir  erinnern  an  das  namenlose  Unglück  in 
Wannsee  bei  Berlin  (1885),  ferner  in  Limito  bei  Mailand  (1891),  end- 
lich an  die  Explosion  auf  der  Berliner  Stadtbahn  (1894).  Auch  aus 
Amerika   wird   von   schweren  häufigen  Folgen   der  Gasexplosionen  be- 

37 


274  BRAEHMER, 

richtet.  Sorgfältige  Untersuchungen  unserer  ersten  Eisenbahntechniker, 
an  denen  sich  auch  die  Firma  Julius  Pintsch  in  Berlin  beteiligte, 
haben   den   eigentlichen  Grund   der  Explosion   nicht  feststellen  können. 

Angesichts  dieser  Gefahr  müssen  wir  trotz  der  unbestreitbaren 
Vorzüge  der  Gasbeleuchtung  eine  Beleuchtungsart  erstreben,  welche 
mindestens  dieselben  Vorzüge  ohne  die  Gefahr  besitzt:  das  ist  die 
elektrische  Beleuchtung.  Sie  hat  sich  bereits  in  Amerika  be- 
währt, wo  jedoch  die  meisten  Wagen  immer  noch  mit  Gas,  die  Schlaf- 
wagen sogar  noch  mit  Oellampen  beleuchtet  werden.  Auch  in  den 
europäischen  Staaten  fängt  sie  an,  sich  langsam  einzubürgern,  so  in 
Schweden,  Norwegen,  England,  Oesterreich,  wo  das  Unglück  bei  Mai- 
land die  Frage  der  elektrischen  Beleuchtung  in  Fluß  gebracht  hat.  Auch 
in  Preußen  macht  man  in  jüngster  Zeit  Versuche,  u.  a.  in  den  Schnell- 
zügen zwischen  Berlin  und  Frankfurt.  Auch  die  in  den  Zügen  laufenden 
Postwagen  werden  neuerdings  teilweise  mit  elektrischer  Beleuchtung  ver- 
sehen.  In  neuester  Zeit  werden  Versuche  mit  Acetylenbeleuchtung  gemacht. 

Die  Vorzüge  der  elektrischen  Beleuchtung  sind  folgende:  größere 
Helligkeit,  geringere  Wärmeerzeugung  und  geringere  LuftverschlechteruDg, 
leichtere  Bedienung,  größere  Stetigkeit,  geringere  Gefahr. 

Wenn  trotzdem  die  Einführung  der  elektrischen  Beleuchtung  keine 
schnelleren  Fortschritte  macht,  so  liegen  die  Gründe  in  technischen 
Schwierigkeiten  und  in  den  Kosten.  Wir  unterschätzen  diese  Gründe 
keineswegs,  halten  sie  jedoch  nicht  für  unüberwindlich  und  glauben,  daß 
auch  auf  den  Eisenbahnen  die  elektrische  Beleuchtung  sich  eine  herr- 
schende Stellung  erobern  wird. 

Ausführlicheres  über  Beleuchtung  s.  dies.  Handb.  4.  Bd.   39  f.   105  f.  210  ff. 

1)  Wiehert,  D.    Viertelj.  f.  öfi.  Gespfl.  (1890)   22.   Bd.   113  f. 

2)  Die  Frage  der  elektrischen  Zugbeleuchtung,  Archiv  J.  Eisenbahnwesen  (1888). 

10.  Kuppelung  der  Wagen  und  Buffer. 

Wenn  die  einzelnen  Wagen  bei  der  Zusammenstellung  eines  Zuges 
ohne  weitere  Vorrichtungen  aneinander  geschoben  würden,  so  bildeten  sie 
eine  starre  Masse,  welche  namentlich  den  Krümmungen  sich  wenig  an- 
passen könnte.  Verbände  man  die  Wagen  durch  Ketten  miteinander, 
so  würde  bei  schnellem  Bremsen  und  beim  Anhalten  des  Zuges  jeder 
Wagen  auf  den  vorhergehenden  einen  starken  Stoß  ausüben  und  ihn 
beim  Fehlen  elastischer  Zwischenverbindungen  beschädigen.  Man  hat 
daher  Zug-  und  Kuppelungsvorrichtungen  angewandt,  welche  die  beim 
Zusammenstoßen,  Anziehen  und  Anhalten  des  Zuges  auftretenden 
Zug-  und  Stoßwirkungen  abschwächen.  Diese  Vorrichtungen  bestehen 
aus  einer  unterhalb  jedes  Eisenbahnwagens  angebrachten  elastischen 
Stange,  an  deren  beiden  Enden  die  zur  Verbindung  der  WTagen  dienen- 
den Zughaken  und  Kuppelungsvorrichtungen  angebracht  sind.  Die  letz-  • 
teren  sind  zwei  durch  eine  Schraube  verbundene  Bügel,  welche  in  die 
Zughaken  zweier  zu  verbindenden  Wagen  eingehakt  werden.  Durch 
Drehen  der  Schraube  werden  die  Wagen  einander  so  weit  genähert, 
daß  die  Buffer  sich  berühren.  Die  letzteren  sind,  wie  bekannt,  cylin- 
drische  Eisenkörper,  welche  in  einer  runden  Scheibe  endigen  und  am 
entgegengesetzten  Ende  gegen  eine  kräftige  Feder  stoßen.  Außer  dieser 
sog.  Hauptkuppelung  ist  noch  eine  zweite,  eine  Sicherheits- 
kuppelung, vorhanden,  welche  erst  in  Thätigkeit  tritt,  wenn  die 
Hauptkuppelung  zerreißen  sollte. 

3» 


Eisenbahnhygiene.  275 

Da  die  Bediensteten  bei  dieser  Kuppelung  zwischen  die  Wagen  bez. 
Buffer  treten  müssen ,  so  liegt  die  Gefahr  der  Quetschung  sehr 
nahe,  und  sind  thatsächlich  schon  vielfach  derartige  Unglücksfälle  ein- 
getreten. Zur  Milderung  dieser  Gefahr  haben  die  dem  Verein  deutscher 
Eisenbahnverwaltungen  angehörenden  Bahnen  die  Bestimmung  getroffen, 
die  Buffer  so  lang  zu  gestalten,  daß  nach  erfolgtem  Zusammenpressen 
der  Bufferfedern  die  Entfernung  der  beiden  Wagenkasten  immer  noch 
etwa  s/4  m  betragen  soll.  Auch  hat  man  Seiten  kuppe lun gen  er- 
sonnen, bei  deren  Anwendung  das  Dienstpersonal  nicht  zwischen  die 
Wagen  zu  treten  braucht,  sondern  durch  eine  sinnreiche  Vorrichtung 
von  der  Seite  Kuppelung  und  Entkuppelung  vornehmen  kann.  Endlich 
existieren  noch  selbstthätige  Kuppelungseinrichtungen,  bei  denen 
die  Wagen  durch  einfaches  Zusammenstoßen  sich  verbinden.  Alle  diese 
meist  sinnreichen  Vorrichtungen  haben  sich  bisher  noch  nicht  hinreichend 
bewährt,  um  im  Großen  angewandt  zu  werden.  In  Amerika  jedoch 
sind  mehrfach  solche  Kuppelungen  in  Betrieb,  die  sich  bewährt  haben 
sollen.  Hier  ist  auch  das  Centralkuppelungssystem,  bei  welchem 
statt  der  beiden  seitlichen  Buffer  nur  eine  in  der  Mitte  am  Ende  der 
Zugstange  befindliche  Bufferscheibe  an  jedem  Wagenende  sich  befindet 
(namentlich  in  Nordamerika),  sehr  verbreitet.  Aus  der  Mitte  jeder 
Bufierscheibe  ragt  ein  Kettenglied  zur  Hälfte  hervor.  Beim  Anstoßen 
der  Wagen  erfolgt  die  Berührung  derart,  daß  durch  einen  von  oben 
nach  unten,  von  der  Plattform  der  Wagen  aus  durch  das  Ende  des 
Kettengliedes  zu  schiebenden  Bolzen  eine  feste  Verbindung  eintritt. 
Da  die  Bufferscheiben  sich  am  Ende  der  elastischen  Zugstange  be- 
finden, so  hvirkt  diese  Vorrichtung  gleichzeitig  als  Zug-  und  als  Stoß- 
vorrichtung. 

Auf  diese  Weise  ist  eine  Quetschung  der  Bediensteten  zwischen 
den  Buffern  ausgeschlossen,  und  ihre  allgemeine  Einführung  bei  dem 
jetzigen  Stande  der  Technik  eine  Forderung  der  Hygiene. 

11.  Bremsen. 

Die  in  der  Fahrt  begriffenen  Züge  in  der  Geschwindigkeit  zu 
mäßigen  bez.  zum  Stillstand  zu  bringen,  ist  die  Aufgabe  der  Bremsen. 
Die  hemmende  Wirkung  der  Bremsen  wird  durch  stählerne  oder  eiserne 
(auch  hölzerne)  Klötze  hervorgerufen,  welche  gegen  die  Räder  gepreßt 
werden.  Dies  geschah  früher  allgemein  durch  eine  Schraubenspindel 
mit  Kurbel,  welche  ein  Hebelwerk  in  Bewegung  setzt.  Diese  Vorrich- 
tung heißt  Hand-  oder  Schraubenbremse  und  wird  heutigentags 
bei  den  Güterzügen  noch  allgemein  angewendet. 

Bei  den  Personen-  und  Schnellzügen  dagegen  wendet  man  um  eine 
schnellere  und  intensivere  Bremsvorrichtung  hervorzubringen  jetzt 
meistens  kontinuierlich  wirkende  Bremsen  an,  bei  denen  als  treibende 
Kraft  der  Luftdruck  benutzt  wird.  Diese  Bremsen  können  nicht  nur 
durch  das  Personal,  sondern  auch  durch  die  Reisenden  vom  Innern  des 
Wagens  aus  in  Thätigkeit  gesetzt  werden.  Elektrische  Bremsen  haben 
bis  jetzt  keinen  Eingang  gefunden. 

Außer  den  Luftdruckbremsen  sind  zu  erwähnen  die  Heberlein- 
schen  Friktionsbremsen,  bei  denen  die  im  fahrenden  Eisenbahnzuge 
vorhandene  lebendige  Kraft  zur  'Hervorbringung  einer  Bremswirkung 
nutzbar  gemacht  wird. 

Eine  in  England,   Frankreich,  Oesterreich,   der  Schweiz  verbreitete 

39 


276  BRAEHMER, 

kontinuierlich  wirkende  Bremse  ist  die  Hardy'sche  Vakuum-  oder 
Luftleer  bremse,  die  u.  a.  auf  der  Berliner  Stadt-  und  Ringbahn 
ausschließlich  benutzt  wird.  Bei  dieser  Bremse  wird  in  einer  unter 
dem  Eisenbahnzuge  entlang  geführten  Rohrleitung,  welche  zwischen  den 
einzelnen  Wagen  durch  Gummischläuche  verbunden  ist,  sowie  in  dem 
mit  dieser  Rohrleitung  in  Verbindung  stehenden  Vakuumcylinder  eine 
Luftverdünnung  erzeugt  und  hierdurch  die  Bremswirkung  hervorge- 
rufen. Die  Luftverdünnung  wird  durch  einen  auf  der  Lokomotive  an- 
gebrachten Dampf  Strahlapparat ,  welcher  wie  eine  Saugpumpe  wirkt, 
hervorgerufen. 

Auf  ähnlichen  Prinzipien  beruhen  die  meisten  Luftdruck-  und  Luft- 
leerbremsen. Besonders  in  Aufnahme  gekommen  sind  wegen  ihrer  schnellen 
und  energischen  Wirkung  die  Bremsen  von  WTestinghouse  (Fig.  11  s. 
Beilage)  Carpenter,  Steel,  Schleifer  u.  a.  In  Nordamerika,  England 
und  auch  in  Deutschland  ist  die  W  es  tinghouse- Bremse  am  meisten 
verbreitet.  Das  Anziehen  der  Bremsgestänge  und  Bremsklötze  wird  bei 
dieser  Einrichtung  durch  komprimierte  Luft  bewirkt,  welche  in  be- 
sonderen, unter  der  Lokomotive  sowie  unter  den  Fahrzeugen  ange- 
brachten Luftbehältern  vorrätig  gehalten  wird.  Diese  Bremsen  sowie 
die  von  Carpenter,  Schleifer  u.  a.  haben  noch  den  Vorzug,  auto- 
matisch zu  wirken,  wobei  erreicht  wird,  daß  beim  Zerreißen  einer 
Kuppelung  eine  sofortige  Wirkung  sämtlicher  Bremsen  eintritt,  indem 
an  der  Zerreißstelle  die  Preßluft  aus  der  Hauptrohrleitung  entweicht. 
Diesen  Vorzug  hat  die  Luftleerbremse  der  Berliner  Stadt-  und  Ring- 
bahn nicht,  und  würde  hier  bei  etwaigem  Zerreißen  eines  Zuges  die 
Bremswirkung  aufhören. 

12.  Massnahmen  gegen  ansteckende  Krankheiten6. 

{Vergl.  dies.  Handb.  9.  Bd.) 
a.  Allgemeine  Maßnahmen. 

Schon  früh  haben  die  Eisenbahnverwaltungen  darauf  Bedacht  ge- 
nommen die  Reisenden  vor  ansteckenden  Krankheiten  zu  schützen  und 
der  Einschleppung  größerer  Epidemien  vorzubeugen. 

In  Betracht  kommen  fast  alle  akuten  Infektionskrankheiten,  vor 
allem  die  Cholera;  von  den  chronischen  ist  es  die  Tuberkulose, 
gegen  welche  man  neuerdings  besondere  Maßnahmen  zu  treffen  im 
Begriffe  steht.  Daß  ein  beginnender  Typhus,  daß  ein  Schar lach- 
rekonvalescent  neben  gesunden  Reisenden  die  Eisenbahn  be- 
nutzt, ist  eine  häufige  Erfahrung.  WTenn  auch  nicht  ganz  zu  be- 
seitigen ,  so  sind  doch  diese  Gefahren  zu  verringern  durch  einen 
Appell  an  die  Angehörigen  oder  an  die  zuständigen  Aerzte,  Kranken 
bei  denen  auch  nur  die  Möglichkeit  einer  Infektionsgefahr  vorliegt, 
das  Reisen  zu  verbieten.  Da  wir  jedoch  mit  Unverstand  und  Sorg- 
losigkeit, oft  auch  mit  Unmöglichkeiten  zu  rechnen  haben,  so  sind  die 
Eisenbahnverwaltungen  mehr  oder  weniger  darauf  bedacht  gewesen 
durch  Maßnahmen  der  öffentlichen  Gesundheitspflege  den  Gefahren 
der  Infektion  entgegenzutreten.  So  hat  die  preußische  Verwaltung 
am  2.  Juli  1884  folgende  Verordnung  erlassen,  welche  wir  hier  im  Aus- 
zug mitteilen: 

I.  Die  Bedürfnisanstalten  auf  den  Bahnhöfen  und  in  den  Zügen 
sind  sorgfältig  rein  zu  halten  und  zu  desinfizieren. 

40 


Fig.  11. 
Die  Westinghouse-Schnellbremse. 

Allgemeine  Beschreibung  der  Wirkungsweise. 

Gepreßte  Luft  ist  die  für  den  Betrieb  der  Bremse  angewendete  Kraft.  Sämtliche  Bremsen  eines  Zuges  können  sowohl  von  der  Lokomotive 
als  auch  vom  Zuge  aus  gleichzeitig  in  Thätigkeit  gesetzt  werden,  und  bei  Zugtrennungen  sowie  bei  Brüchen  von  wesentlichen  Teilen  der  Luftleitung  und 
der  Bremsapparate  kommen  alle  Bremsen  des  Zuges  selbstthätig  zur  Wirkung. 

Die  erforderliche  Luft  wird  durch  eine  an  der  Lokomotive  angebrachte  Luftpumpe  A,  B   in  den   Hauptluftbehälter  C  gepreßt.    Von   hier  aus 

felangt  dieselbe  durch  das  Führer- Brems ventil  I)  in  die  Hauptleitung  E,  welche  sich  über  den  ganzen  Zug  erstreckt,  und  füllt  an  jedem  gebremsten 
'ahrzeuge  einen  Hilfsluftbehälter  G  vermittelst  eines  damit  verbundenen  Funktionsventils  F.  Jedes  Funktionsventil  steht  ferner  mit  einem  Brems- 
cylinder  H  in  Verbindung,  dessen  Kolbenstange  bei  R  an  das  Bremsgestänge  angreift. 

Die  im  Hilfsluftbehälter  G  aufgespeicherte  Preßluft  bildet  den  Kraftvorrat  für  die  betreffende  Bremse. 

Das  Funktionsventil  F  regelt  beim  Bremsen  das  Einströmen  der  Preßluft  in  den  Bremscylinder  und  beim  Lösen  das  Entweichen  der  Luft  aus 
dem  Bremscylinder  ins  Freie. 

Das  Anziehen  der  Bremsen  erfolgt,  sobald  durch  das  Führer-Bremsventil  Luft  aus  der  Hauptleitung  ausgelassen,  oder  in  der  letzteren  ander- 
weitig eine  Druckverminderung  verursacht  wird.  Erfolgt  die  Verminderung  des  Leitungsdruckes  langsam,  wie  dies  bei  gewöhnlichen  Betriebsbremsungen 
geschieht,  so  wirkt  die  Schnellbreruse  genau  so,  wie  die  ältere  automatische  Westinghouse  -  Bremse.  Die  Funktionsventile  lassen  alsdann  aus  den  zuge- 
örigen  Hilfsluftbehältern  Preßluft  in  die  Bremscylinder  ein,  wodurch  die  Bremskolben  vorwärts  getrieben  und  die  Bremsklötze  gegen  die  Kader  gepreßt 
werden.  Die  Stärke  der  Bremswirkung  richtet  sich  nach  der  Größe  der  Druckverminderung  in  der  Hauptleitung ;  der  Führer  kann  daher  die  Bremsen 
mit  größerer  und  geringerer  Kraft  anziehen  ,  je  nachdem  er  mehr  oder  weniger  Luft  aus  der  Leitung  entweichen  läßt.  Wird  der  Druck  in  der  Haupt- 
leitung E  schnell  erheblich  vermindert  (bei  Notbremsungen,  Zugtrennungen  etc.) ,  so  öffnen  die  Funktionsventile  F  Kanäle ,  durch  welche  nicht  nur  aus 
den  HilfsluftbebälltTii  Q,  sondern  auch  aus  der  Hauptleitung  E  gepreßte  Luft  in  die  Bremscylinder  H  strömt.  Es  wird  also  bei  Notbremsungen  die  in 
der  Hauptleitung  vorhandene  Preßluft  mit  zum  Bremsen  nutzbar  gemacht,  und  die  dadurch  bewirkte  plötzliche  Abnahme  des  Leitungsdruckes  beschleunigt 
die  Wirkung  der  sämtlichen  Bremsern  im  Zuge  derartig,  daß  auch  an  den  längsten  Zügen  alle  Bremsen  nahezu  in  dem  gleichen  Augenblicke  in  Thätig- 
keit treten. 

Das  Lösen  der  Bremsen  erfolgt  durch  Steigerung  des  Luftdruckes  in  der  Hauptleitung,  indem  Preßluft  aus  dem  Hauptluftbehälter  C  der  Loko- 
motive durch  das  Bremsventil  D  in  die  Rohrleitung  E  eingelassen  und  dadurch  in  der  letzteren  der  ursprüngliche  Druck  wieder  hergestellt  wird.  Infolge- 
dessen lassen  die  Funktionsventile  die  in  den  Bremscylindern  wirksame  Preßluft  ins  Freie  entweichen ,  wodurch  der  Druck  auf  die  Bremskolben  aufge- 
hoben wird,  während  gleichzeitig  die  Hilfsluftbehälter  G  wieder  mit  Luft  aufgefüllt  werden.  (Entnommen  aus:  Vorläufige  Vorschriften  für  die  Be- 
dienung der  Luftdruckbremse  von  Westinghouse.     Ohne  Jahreszahl  und  Verleger.) 

Beilage  zum  Handbuch  der  Hygiene  VIII.  Bd    (S.  276). 


Eisenbaknhygiene.  277 

II.  In  den  zum  Aufenthalt  des  Publikums  bestimmten  Räumen, 
Wartesälen,  Vestibülen  u.  s.  w. ,  ferner  in  den  Uebernachtungszimmern 
des  Zugpersonals ,  in  den  Räumen  (Baracken) ,  welche  bei  Bauten  von 
Arbeitern  zum  Wohnen  benutzt  werden,  ist  auf  Reinlichkeit  und  ge- 
hörige Lüftung  mit  Strenge  zu  halten. 

III.  Besondere  Sorgfalt  ist  auf  die  Beschaffung  ausreichenden  und 
gesunden  Trinkwassers  zu  verwenden.  Die  Beschaffenheit  des  Brunnen- 
wassers ist  erneut  zu  untersuchen  und  die  Benutzung  von  nicht  zweifellos 
gutem  Wasser ,  sowie  jede  Verunreinigung  der  Stellen ,  von  welchen 
Wasser  zum  Trink-  und  Hausgebrauch  entnommen  wird  und  ihre  nächste 
Umgebung  zu  verhindern.  Den  Königlichen  Eisenbahndirektionen  wird 
die  häufige  und  nachdrückliche  Ueberwachung  der  Ausführung  dieser 
Vorschriften  zur  besonderen  Pflicht  gemacht. 

Diese  Vorschriften,  welche  die  wesentlichen  Punkte,  Desinfektion, 
Lüftung,  Reinlichkeit,  gesundes  Trinkwasser  betonen,  sind,  wenn  sie  be- 
folgt werden,  geeignet  manche  Ansteckung  zu  verhindern. 

Gegen  Hautkrankheiten  des  Kopfes,  die  zuweilen  durch  An- 
lehnen des  Kopfes  an  die  Polster  übertragen  werden,  haben  verschiedene 
Bahnen  Netze  über  die  Polster  in  Kopfhöhe  gespannt,  die  häufig  gewechselt 
werden.  Sicherer  noch  wird  sich  der  Reisende  schützen ,  durch  eine 
hinlänglich  große  Kopfbedeckung  beim  Anlehnen. 

b.  Maßnahmen  gegen  die  Cholera. 

Wenn  auch  eine  direkte  Uebertragung  der  Cholera  durch  die 
Eisenbahn  nicht  erwiesen  und  wie  bei  anderen  Infektionskrankheiten 
schwer  zu  erweisen  ist,  so  lehren  doch  alle  bisherigen  Epidemien,  daß 
die  Verbreitung  der  Cholera  den  Verkehrswegen  folgt ;  nicht  disponierte 
Personen  verschont  sie ,  ebenso  Orte,  die  ihr  keinen  günstigen  Boden 
gewähren.  Findet  sie  den  letzteren ,  so  entsteht  ein  Choleraherd. 
Dieser  Erfahrung  gegenüber  haben  die  Eisenbahnbehörden  von  jeher 
der  Verhinderung  der  Verschleppung  der  Cholera  ihre  Aufmerksamkeit 
zugewandt.  Dieselbe  war  gerichtet  auf  die  Ueberwachung  der  aus 
Choleraorten  kommenden  Züge:  auf  das  Gepäck,  auf  das  Eisenbahn- 
personal und  auf  die  Reisenden. 

Eine  große  Schwierigkeit  stand  diesen  Bestrebungen  früher  ent- 
gegen in  der  Unmöglichkeit  zu  Zeiten  einer  Choleragefahr  die  Gesunden 
von  den  Kranken  streng  zu  unterscheiden.  Erst  die  Kocn'sche  Ent- 
deckung des  Cholerabacillus  hat  uns  das  Rüstzeug  gegeben  den  wirklich 
Cholerakranken  und  die  in  ihm  liegende  Gefahr  zu  treffen.  Die  erste 
Aufgabe  ist  daher  die  Ermittelung  des  Bacillus.  Der  Choleraverdächtige, 
der  von  Bacillen  frei  ist,  wird  wie  jeder  andere  Kranke  angesehen. 

Wenn  wir  durch  diese  Entdeckung  in  den  Stand  gesetzt  sind 
planvoller  zu  handeln ,  so  haben  auch  die  Erfahrungen  der  Epidemie 
von  1892,  namentlich  der  Hamburger,  manche  frühere  Maßnahmen  als 
überflüssig  und  verkehrt  erwiesen.  Auf  Grund  dieser  Erfahrung  fanden 
im  Jahre  1893  in  Dresden  internationale  Besprechungen  statt,  aus 
welchen  die  an  dieser  Besprechung  beteiligten  Länder  Veranlassung  ge- 
nommen haben,  neue  Maßnahmen  im  Eisenbahnverkehr  in  Cholerazeiten 
einzuführen.  Die  in  Preußen  von  den  Ministern  des  Innern,  der  öffent- 
lichen Arbeiten,  der  Justiz-  und  der  Medizinalangelegenheiten  erlassenen 
Anweisungen  vom  8.  August  1893  lauten: 

4* 


278  BRAEHMER, 


Grundsätze  für  die  Einrichtung  des  Eisenbahnverkehrs 
in  Cholerazeiten. 

1.  Von  den  Gesundheitsbehörden  wird  den  Eisenbahndirektionen  mitgeteilt, 
welche  Stationen  mit  den  erforderlichen  Krankentransportmitteln  versehen  sind  und 
eine  geeignete  Krankenunterkunft  bieten.  Auf  allen  diesen  Stationen ,  welche  im 
folgenden  als  Kranken  Übergabestationen  bezeichnet  sind,  ist  von  der 
Eisenbahnverwaltung  vorsorglich  auf  die  Bereitstellung  der  erforderlichen  Bäunilich- 
keiten  zur  vorläufigen  Unterbringung  von  auf  der  Eisenbahn  Erkrankten  bis  zu 
ihrer  Aufnahme  in  eine  Krankenanstalt  Bedacht  zu  nehmen.  Wenn  ein  besonderes 
Gelaß  nicht  verfügbar  gemacht  werden  kann,  so  genügt  es,  einen  Baum  auszuwählen, 
welcher  im  Bedürfnisfalle  sofort  behufs  Aufnahme  von  Kranken  geräumt  werden 
kann.  Im  Notfalle  ist  der  Kranke  bis  zur  Abholung  in  dem  auszurangierenden, 
auf  ein  Nebengeleise  zu  stellenden  Wagen,  in  welchem  er  befördert  worden  ist,  'zu 
belassen. 

2.  Bei  Annäherung  der  Cholera  an  die  Grenze  werden  auf  den  von  den 
Landes-Centralbehörden  zu  bezeichnenden  Zollrevisionsstationen  des 
Grenzgebietes,  wo  ein  erheblicher  Zutritt  von  Beisenden  aus  dem  von  der 
Cholera  ergriffenen  Lande  stattfindet,  Aerzte  bei  der  Ankunft  der  Züge  ständig  an- 
wesend sein ,  um  an  der  Cholera  Erkrankten  oder  der  Erkrankung  Verdächtigen 
ihre  Hdfe  angedeihen  zu  lassen.  Eine  Untersuchung  aller  Beisenden  ist  nicht  die 
Aufgabe  der  Aerzte ;  diese  werden  jedoch  bei  der  Zollabfertigung  anwesend  sein  und 
eintretenden  Falls  über  die  Notwendigkeit  der  Desinfektion  von  schmutziger  Wäsche, 
getragenen  Kleidungsstücken  und  sonstigen  etwa  mit  Choleraentleerungen  be- 
schmutzten Gepäckgegenständen  Entscheidung  treffen  (vergl.  No.  13). 

3.  Im  Innern  des  Landes  findet  beim  Auftreten  der  Cholera  eine  regel- 
mäßige Untersuchung  der  Beisenden  nicht  statt ;  es  werden  jedoch  dem  Fersonal 
che  Stationen  bekannt  gegeben ,  auf  welchen  Aerzte  sofort  erreichbar  und  zur  Ver- 
fügung sind.  Die  Bezeichnung  dieser  Stationen  erfolgt  durch  die  Landes-Central- 
behörde  unter  Berücksichtigung  der  Verbreitung  der  Epidemie  und  der  Verkehrs- 
verhältnisse. 

4.  Auf  den  zu  2  und  3  bezeichneten  Stationen  sind  zur  Vornahme  der  Unter- 
suchung Erkrankter  die  erforderlichen  Bäume,  welche  thunhchst  mit  einem  Klosett 
versehen  sein  oder  unmittelbar  zusammenhängen  müssen ,  von  der  Eisenbahnver- 
waltung, soweit  sie  ihr  zur  Verfügimg  stehen,  herzugeben. 

5.  Ein  Verzeichnis  sämtlicher  unter  1  bis  3  bezeichneten  Stationen ,  aus 
welchem  auch  ersichtlich  ist,  wo  Aerzte  sofort  erreichbar  und  zur  Verfügung  sind, 
ist,  nach  der  geographischen  Beihenfolge  der  Stationen  geordnet ,  jedem  Führer 
eines  Zuges,  welcher  zur  Fersonenbeförderung  dient,  zu  übergeben. 

6.  Die  Schaffner  haben  dem  Zugführer  von  jeder  während  der  Fahrt  vor- 
kommenden auffälligen  Erkrankung ,  insbesondere  von  schwerem  Brechdurchfall, 
sofort  Meldung  zu  machen. 

Die  Sorge  um  den  Erkrankten  hat  sich  zunächst  auf  eine  möglichst  bequeme 
Lagerung  desselben  zu  erstrecken  und  ist  Sache  desjenigen  Schaffners ,  dessen  Auf- 
sicht der  betreffende  Wagen  untersteht. 

Der  Erkrankte  ist  der  nächsten  im  Verzeichnis  aufgeführten  Uebergabestation 
zu  übergeben,  wenn  er  dies  wünscht  oder  wenn  sein  Zustand  eine  Weiterbeförderung 
unthunlich  macht.  Berührt  der  Zug  vor  der  Ankunft  auf  der  nächsten  Uebergabe- 
station eine  Zwischenstation,  so  hat  der  Zugführer  sofort  beim  Eintreffen  dem  dienst- 
habenden Stationsbeamten  Anzeige  zu  machen ;  dieser  hat  alsdann  der  Kranken- 
übergabestation ungesäumt  telegraphisch  Meldung  zu  erstatten,  damit  möglichst  die 
unmittelbare  Abnahme  des  Erkrankten  aus  dem  Zuge  selbst  durch  die  Kranken- 
hausverwaltung ,    die  Polizei-   oder  die  Gesundheitsbehörde  veranlaßt   werden  kann. 

Verlangt  der  Erkrankte ,  seine  Beise  fortzusetzen  ,  so  ist  die  ärztliche  Ent- 
scheidung darüber,  ob  der  Beisende  weiter  befördert  werden  darf,  auf  der  nächsten 
Station,  auf  welcher  ein  Arzt  anwesend  ist,  einzuholen. 

Will  der  Erkrankte  den  Zug  auf  einer  Unterwegsstation  vor  der  nächsten 
Uebergabestation  (No.  1)  verlassen ,  so  ist  er  hieran  nicht  zu  hindern.  Der  Zug- 
führer hat  aber  dem  diensthabenden  Beamten  der  Station,  auf  welcher  der  Erkrankte 
den  Zug  verläßt,  Meldung  zu  machen,  damit  der  Beamte,  falls  der  Erkrankte  nicht 
bis  zum  Eintreffen  ärztlicher  Hilfe  auf  dem  Bahnhofe,  wo  er  möglichst  zu  isolieren 
sein  würde,  bleiben  will,  seinen  Namen ,  Wohnort  und  sein  Absteigequartier  fest- 
stellen und  unverzüglich  der  nächsten  Polizeibehörde  unter  Angabe  der  näheren 
Umstände  mitteilen  kann. 

7.  Sobald  eine  Choleraerkankung  eintritt ,  sind  sämtliche  Mitreisende ,  aus- 
genommen Angehörige  des  Erkrankten ,    welche    zu   seiner  Unterstützung    bei    ihm 

42 


Eisenbahnhygiene.  279 

bleiben  wollen,  aus  dem  Wagenabteil,  in  welchem  sich  der  Erkrankte  befindet  und, 
wenn  mehrere  Wagenabteile  einen  gemeinschaftlichen  Abort  haben,  aus  diesen  sämt- 
lichen Abteilen  zu  (Mitfernen  und  in  einem  anderen  Abteil,  und  zwar  abgesondert  von 
den  übrigen  Reisenden,  unterzubringen.  Bei  der  Ankunft  auf  der  Krankenübergabe- 
station  sind  diejenigen  Personen,  welche  sich  mit  dem  Kranken  in  demselben  Wagen- 
abteil befunden  haben ,  sofort  dem  etwa  anwesenden  Arzte  zu  bezeichnen  ,  damit 
dieser  denselben  die  nötigen   Weisungen  erteilen   kann. 

Im  übrigen  muß  das  Eisenbahnpersonal  beim  Vorkommen  verdächtiger  Er- 
krankungen mit  der  größten  Vorsicht  und  Ruhe  vorgehen ,  damit  alles  vermieden 
wird ,  was  zu  unnötigen  Besorgnissen  unter  den  Reisenden  oder  beim  sonstigen 
Publikum  Anlaß  geben  könnte. 

8.  Der  Wagen,  in  welchem  sich  ein  Cholerakranker  befunden  hat ,  ist  sofort 
außer  Dienst  zu  stellen  und  der  nächsten  geeigneten  Station  zur  Desinfektion  zu 
übergeben.  Die  näheren  Vorschriften  über  diese  Desinfektion ,  sowie  über  die 
sonstige  Behandlung  der  Eisenbahn-Personen-  und  Schlafwagen  bei  Choleragefahr 
enthält  die  als  Anlage  I  beigefügte  Anweisung. 

9.  Mit  dem  Inhalte  der  in  Anlage  II  beigefügten  Anweisimg  zur  Ausführung 
der  Desinfektion  bei  Cholera  sind  sämtliche  Eisenbahnbeamte  genau  bekannt  zu 
machen. 

Die  Zugbeamten  haben,  wenn  sie  mit  Ausleerungen  Erkrankter  in  Berührung 
gekommen  sind,  sich  sorgfältig  zu  reinigen  und  etwa  beschmutzte  Kleidungsstücke 
desinfizieren  zu  lassen  (vergl.  Anlage  II) ;  die  in  gleiche  Lage  gekommenen  Reisenden 
sind  auf  die  Notwendigkeit  derselben  Maßnahmen  aufmerksam  zu  machen. 

Alle  Personen,  welche  mit  Cholerakranken  in  Berührung  kommen,  müssen  bis 
nach  stattgehabter  gründlicher  Reinigung  ihrer  Hände  unbedingt  vermeiden ,  die 
letzteren  mit  ihrem  Gesicht  in  Berührung  zu  bringen,  da  durch  direkte  Zuführung 
des  Krankheitsstoffes  durch  den  Mund  in  den  Körper  eine  Ansteckung  erfolgen 
kann.  Es  ist  deshalb  auch  streng  zu  vermeiden,  während  oder  nach  dem  Umgange 
mit  Kranken  vor  erfolgter  sorgfältiger  Reinigung  der  Hände  zu  rauchen  oder 
Speisen  und  Getränke  zu  sich  zu  nehmen. 

10.  Eine  besondere  Sorgfalt  ist  der  Erhaltung  peinlicher  Sauberkeit  in  allen 
Bedürfnisanstalten,  Abtritten  und  Pissoirs  auf  den  Stationen  zuzuwenden  ;  die  Sitz- 
bretter der  Aborte  sind  durch  Abwaschung  mit  einer  Lösung  von  Kaliseife  (siehe 
Anlage  II  unter  1 ,  3)  mindestens  einmal  täglich  zu  reinigen.  Eine  Desinfektion 
der  Aborte,  welche  alsdann  mit  Kalkmilch  (siehe  Anlage  II  unter  II,  8)  und  unter 
wiederholtem  Uebergießen  der  Fußböden  mit  Kalkmilch,  soweit  sie  diese  Behandlung 
vertragen,  zu  bewirken  ist,  erfolgt  lediglich  auf  den  Stationen  der  Orte,  an  welchen 
die  Cholera  ausgebrochen  ist,  und  auf  solchen  Stationen,  wo  dies  ausdrücklich  an- 
geordnet werden  sollte.  Die  zur  Beseitigung  üblen  Geruchs  für  die  warme  Jahres- 
zeit  allgemein    getroffenen    Bestimmungen    werden  jedoch  hierdurch    nicht  berührt. 

11.  Der  Boden  zwischen  den  Gleisen  ist,  sofern  er  auf  den  Stationen  infolge 
Benutzimg  der  in  den  Zügen  befindlichen  Bedürfnisanstalten  verunreinigt  ist,  durch 
wiederholtes  Uebergießen  mit  Kalkmilch  gehörig  zu  desinfizieren. 

12.  Eine  Beschränkung  des  Eisenbahngepäck-  und  Güterver- 
kehrs findet,  abgesehen  von  dem  bezüglich  einzelner  Gegenstände  ergangenen 
Ausfuhr-  und  Einfuhrverbot,  nicht  statt. 

13.  Eine  Desinfektion  von  Reisegepäck  und  Gütern  findet  künftig 
nur  in  folgenden  Fällen  statt : 

a)  Auf  den  zu  2  bezeichneten  Zollrevisionsstationen  erfolgt  auf  Anordnung  der 
ständig  anwesenden  Aerzte  die  Desinfektion  von  schmutziger  Wäsche,  alten 
imd  getragenen  Kleidungsstücken  und  sonstigen  Gegenständen,  welche  zum 
Gepäck  eines  Reisenden  gehören,  sofern  dieselben  nach  ärztlichem  Er- 
messen als  mit  Choleraentleerungen  beschmutzt  zu  erachten  sind. 

b)  Die  Desinfektion  von  Expreß-,  Eil-  und  Frachtgütern  erfolgt  nur 
bei  solchen  Gegenständen,  welche  nach  Ansicht  der  Ortsgesundheitsbehörde 
als  mit  Choleraentleerungen  beschmutzt  zu  erachten  sind. 

Briefe  und   Korrespondenzen ,   Drucksachen  ,   Bücher ,    Zeitungen ,    Ge- 
schaftspapiere  u.  s.  w.  unterliegen  keiner  Desinfektion. 
Die  Einrichtung  und  Ausführung  der  Desinfektion  wird  von  den  Gesundheits- 
behörden    veranlaßt ,    welchen    von    dem    Eisenbahnpersonal    thunlichst    Hilfe    zu 
leisten  ist. 

14.  Sämtliche  Beamte  der  Eisenbahnverwaltung  haben  den  Anforderungen  der 
Polizeibehörden  und  der  beaufsichtigenden  Aerzte,  soweit  es  in  ihren  Kräften  steht 
und  nach  den  dienstlichen  Verhältnissen  ausführbar  ist,  unbedingte  Folge  zu  leisten 
und  auch  ohne  besondere  Aufforderung  denselben  alle  erforderlichen  Mitteilungen  zu 
machen.     Von    allen   Dienstanweisungen   und   Maßnahmen   gegen  die  Choleragefahr 

43 


280  BRAEHMER, 

lind  von  allen  getroffenen  Anordnungen  und  Einrichtungen  ist  stets  sofort  den  dabei 
in  Frage  kommenden  Gesundheitsbehörden  Mitteüung  zu  machen. 

15.  Ein  Auszug  dieser  Anweisung,  welcher  die  Verhaltungsmaßregeln  für  das 
Eisenbahnpersonal  bei  choleraverdächtigen  Erkrankungen  auf  der  Eisen- 
bahnfahrt enthält,  ist  in  Anlage  III  beigefügt.  Von  diesen  Verhaltungsmaß- 
regeln ist  jedem  Fahrbeamten  eines  jeden  zur  Personenbeförderung  dienenden  Zuges 
ein  Abdruck  zuzustellen. 

16.  Von  jedem  durch  den  Arzt  als  Cholera  erkannten  Erkrankungsfall  ist 
seitens  des  betreffenden  Stationsvorstehers  sofort  dem  betreffenden  Betriebsamt  und 
der  Ortspolizeibehörde  schriftliche  Anzeige  zu  erstatten,  welche,  soweit  sie  zu  er- 
langen sind,  folgende  Angaben  enthalten  soll: 

a)  Ort  und  Tag  der  Erkrankung, 

b)  Name,  Geschlecht,  Alter,  Stand  oder  Gewerbe  des  Erkrankten, 

c)  woher  der  Kranke  zugereist  ist, 

d)  wo  der  Kranke  untergebracht  ist. 


Atiweisung  über  die  Behandlung  der  Eisenbahn-Personen-  und 
Schlafwagen  bei  Choleragefahr. 

I.   Behandlung  der  gewöhnlichen  Personenwagen. 

1.  Während  der  Dauer  einer  Choleraepidemie  im  Inlande  oder  in  einem  be- 
nachbarten Gebiete  ist  für  eine  besonders  sorgfältige  Peinigung  und  Lüftung  der 
Personenwagen  Sorge  zu  tragen. 

Die  in  den  Zügen  befindlichen  Bedürfnisanstalten  sind  regelmäßig  zu  desin- 
fizieren und  zu  dem  Zweck  die  Trichter  und  Abfallrohre  nach  Reinigimg  mit  Kalk- 
milch zu  bestreichen,  die  Sitzbretter  mit  Kaliseifenlösung  zu  reinigen  (vergl.  No.  4 
und  Anlage  II  unter  II,  8). 

2.  Ein  Personenwagen,  in  welchem  ein  Cholerakranker  sich  befimden  hat,  ist 
sofort  außer  Dienst  zu  stellen  und  der  nächsten  geeigneten  Station  zur  Desinfektion 
zu  überweisen,  welche  in  nachstehend  angegebener  Weise  zu  bewirken  ist. 

Bei  Personenwagen  1.  und  2.  Klasse  sind  die  etwa  durch  Entleerung  des 
Kranken  beschmutzten  Stellen  —  auch  der  Polsterungen  —  mit  Lappen,  die  mit 
Kaliseifenlösung  (vergl.  No.  41  befeuchtet  sind,  sorgfältig  und  wiederholt  abzureiben ; 
demnächst  ist  der  infizierte  Wagen  durchweg  einer  gründlichen  Peinigung  zu  unter- 
werfen und  sodann  in  einem  warmen,  luftigen  imd  trockenen  Raum  mindestens  sechs 
Tage  lang  aufzustellen. 

Bei  Personenwagen  3.  und  4.  Klasse  sind  die  inneren  und  äußeren  Seiten  wände 
des  Wagens,  Fußböden,  Sitze,  Trittbretter  mit  Kaliseifenlösung  abzuwaschen,  insbe- 
sondere die  etwa  durch  Ausleerung  der  Kranken  beschmutzten  Stellen  sorgfältig  und 
wiederholt  abzureiben;  demnächst  ist  der  infizierte  Wagen  mindestens  24  Stunden 
lang  unbenutzt  an  einem  warmen,  luftigen  und  trockenen  Raum  aufzustellen. 

Die  bei  der  Reinigung  beschmutzter  Stellen  verwendeten  Lappen  sind  zu  ver- 
brennen. 

3.  Bei  Massentransporten  von  Personen  der  3.  und  4.  Wagenklasse,  welche 
aus  einer  von  der  Cholera  ergriffenen  Gegend  herkommen,  muß,  auch  wenn  wäh- 
rend der  Fahrt  ein  Erkrankungsfall  sich  nicht  ereignet  hat,  besondere  Sorgfalt  auf 
die  Reinhaltung  der  Wagen  verwendet  werden.  Wenn  irgend  thunlich,  sind  die- 
selben nach  jedesmaliger  Beendigung  eines  solchen  Transports  ebenso  zu  behandeln, 
wie  bezüglich  der  Personenwagen  3.  und  4.  Klasse  in  No.  2  bestimmt  ist.  Doch 
können  die  Wagen ,  nachdem  sie  trocken  geworden  sind ,  sofort  wieder  benutzt 
werden. 

4-  Zur  Herstellung  von  Kalkmilch  wird  1  1  zerkleinerter,  reiner  gebrannter 
Kalk,  sog.  Fettkalk,  mit  4  1  Wasser  gemischt,  und  zwar  in  folgender  Weise: 

Es  wird  von  dem  Wasser  etwa  3/4  1  in  das  zum  Mischen  bestimmte  Gefäß  ge- 

fossen  und  dann  der  Kalk  hineingelegt.    Nachdem  der  Kalk  das  Wasser  aufgesogen 
at  imd  dabei  zu  Pulver  zerfallen   ist,    wird   er  mit  dem  übrigen  Wasser  zu  Kalk- 
milch verrührt. 

Dieselbe  ist,  wenn  sie  nicht  bald  Verwendung  findet,  in  einem  gut  geschlossenen 
Gefäß  aufzubewahren  und  vor  dem  Gebrauch  umzuschüttein. 

Zur  Herstellung  von  Kaliseifenlösung  werden  3  Teile  Seife  (sog.  Schmierseife 
oder  grüne  oder  schwarze  Seife)  in  100  Teilen  heißem  Wasser  gelöst  (z.  B.  1/i  kg 
Seife  in  17  1  Wasser). 

44 


Eisenbahnhygiene.  281 

IL  Behandlung  der  Schlafwagen  und  der  in  denselben  befind- 
lichen A  u  s  r  ü  st  ungsgegen  stände. 

1.  Werden  von  dem  Laufe  der  Schlafwagen  Gegenden  berührt,  in  welchen 
Cholerafälle  vorgekommen  sind,  so  muß  nach  Beendigung  der  Fahrt  die  gebrauchte 
Wäsche  desinfiziert  werden.  Zu  diesem  Zweck  ist  dieselbe  mindestens  24  Stunden 
lang  in  einer  Lösung  von  Kaliseife  (vergl.  I  No.  4)  zu  belassen,  demnächst  mit  Wasser 
zu  spülen  und  zu  reinigen.  Zur  Wäsche  sind  zu  rechnen  :  die  Laken,  die  Bezüge 
der  Bettkissen  und  der  Decken,  sowie  die  Handtücher. 

2.  Die  Klosetts  sind,  wie  unter  I  No.  1  bestimmt,  zu  behandeln. 

3.  Ist  ein  Schlafwagen  von  einem  Cholerakranken  oder  der  Cholera  ver- 
dächtigen Reisenden  benutzt  worden,  so  ist  außerdem  die  Desinfektion  des  Wagens 
selbst  erforderlich.  Letztere  hat  in  der  unter  I  No.  2  vorgeschriebenen  Weise  zu 
erfolgen,  jedoch  sind  die  von  dem  Kranken  benutzten  Bettkissen,  Decken  und  be- 
weglichen Matratzen,  nachdem  sie  zunächst  mit  Kaliseifenlösung  stark  angefeuchtet 
sind ,  in  Dampfapparaten  zu  desinfizieren.  Am  besten  sind  solche  Apparate ,  in 
welchen  der  Dampf  unter  Ueberdruck  (nicht  unter  7io  Atmosphäre)  zur  Verwendung 
kommt. 

4.  Für  den  Fall,  daß  es  sich  als  notwendig  erweisen  sollte,  einen  Schlafwagen- 
lauf gänzlich  einzustellen,  bleibt  Bestimmung  vorbehalten. 

III.   Allgemeine  Bestimmungen. 

1.  Die  vorstehenden  Bestimmungen  finden  sinngemäße  Anwendung  bei  Er- 
krankungen von  Zug-  und  Postbeamten  in  den  von  ihnen  benutzten  Gepäck-  und 
Postwagen. 

2.  Die  mit  der  Desinfektion  beauftragten  Arbeiter  haben  jedesmal,  wenn  sie 
mit  infizierten  Dingen  in  Berührung  gekommen  sind,  sich  gründlich  zu  reinigen  und 
etwa  beschmutzte  Kleidungsstücke  desinfizieren  zu  lassen  (vergl.  Anlage  II). 


Verhaltungsmafsregeln  für  das  Eisenbahnpersonal  bei  cholera- 
verdächtigen Erkrankungen  auf  der  Eisenbahnfahrt. 

1.  Von  jeder  auffälligen  Erkrankung,  welche  während  der  Eisenbahnfahrt  vor- 
kommt, insbesondere  von  schwerem  Brechdurchfall,  hat  der  Schaffner  dem  Zugführer 
sofort  Meldung  zu  machen. 

2.  Die  Sorge  um  den  Erkrankten  hat  sich  zunächst  auf  eine  möglichst  be- 
queme Lagerung  desselben  zu  erstrecken  und  ist  Sache  desjenigen  Schaffners,  dessen 
Aufsicht  der  betreffende  Wagen  untersteht. 

3.  Ein  Verzeichnis  sämtlicher  Stationen ,  welche  mit  den  erforderlichen 
Krankentransportmitteln  ausgerüstet  sind  und  eine  geeignete  Krankenunterkunft 
bieten  (Krankenübergabestationen),  wird,  nach  der  geographischen  Reihenfolge  der 
Stationen  geordnet,  jedem  Führer  eines  Zuges,  welcher  zur  Personenbeförderung 
dient,  übergeben.  Aus  dem  Verzeichnis  ist  auch  ersichtlich,  auf  welchen  Stationen 
ständig  Aerzte  sofort  erreichbar  und  zur  Verfügung  sind. 

Der  Erkrankte  ist  der  nächsten  im  Verzeichnis  aufgeführten  Uebergabe- 
station  zu  übergeben,  wenn  er  dies  wünscht  oder  wenn  sein  Zustand  eine  Weiter- 
beförderung unthunlich  macht.  Berührt  der  Zug  vor  der  Ankunft  auf  der  nächsten 
Uebergabestation  eine  Zwischenstation,  so  hat  der  Zugführer  sofort  beim  Eintreffen 
dem  diensthabenden  Stationsbeamten  Anzeige  zu  machen;  dieser  hat  alsdann  der 
Krankenübergabestation  ungesäumt  telegraphisch  Meldimg  zu  erstatten,  damit 
möglichst  die  unmittelbare  Abnahme  des  Erkrankten  aus  dem  Zuge  selbst  durch 
die  Krankenhausverwaltung,  die  Polizei-  oder'  die  Gesundheitsbehörde  veranlaßt 
werden  kann. 

Verlangt  der  Erkrankte,  seine  Eeise  fortzusetzen,  so  ist  die  ärztliche  Ent- 
scheidung darüber,  ob  der  Reisende  weiter  befördert  werden  darf,  auf  der  nächsten 
Station,  auf  welcher  ein  Arzt  anwesend  ist,  einzuholen.  Wdl  der  Erkrankte  den 
Zug  auf  einer  Unterwegsstation  vor  der  nächsten  Uebergabestation  verlassen,  so  ist 
er  hieran  nicht  zu  hindern,  der  Zugführer  hat  aber  dem  diensthabenden  Beamten 
der  Station,  auf  welcher  der  Erkrankte  den  Zug  verläßt,  Meldung  zu  machen,  damit 
der  Beamte,  falls  der  Erkrankte  nicht  bis  zum  Eintreffen  ärztlicher  Hilfe  auf  dem 
Bahnhofe,  wo  er  mögüchst  zu  isolieren  sein  würde,  bleiben  will,  seinen  Namen, 
Wohnort  und  sein  Absteigequartier  feststellen  und  unverzüglich  der  nächsten  Polizei- 
behörde imter  Angabe  der  näheren  Umstände  mitteilen  kann. 

4.  Sobald  eine  Choleraerkrankung  eintritt,  sind  sämtliche  Mitreisende,  ausge- 
nommen Angehörige  des  Erkrankten,  welche  zu  semer  Unterstützung  bei  ihm  bleiben 

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282  BRAEHMER, 

wollen,  aus  dem  Wagenabteil,  in  welchem  sich  der  Erkrankte  befindet  und,  wenn 
mehrere  Wagenabteile  einen  gemeinschaftlichen  Abort  haben,  aus  diesen  sämtlichen 
Abteilen  zu  entfernen  und  in  einem  anderen  Abteil,  und  zwar  abgesondert  von  den 
übrigen  Reisenden,  unterzubringen. 

5.  Die  Zugbeamten  haben,  wenn  sie  mit  Ausleerungen  Erkrankter  in  Be- 
rührung gekommen  sind,  sich  sorgfältig  zu  reinigen  und  etwa  beschmutzte  Kleidungs- 
stücke desinfizieren  zu  lassen ;  die  in  gleiche  Lage  gekommenen  Reisenden  sind  auf 
die  Notwendigkeit  derselben  Maßnahmen  aufmerksam  zu  machen. 

c)  Maßnahmen  gegen  Tuberkulose. 

Die  Untersuchung  von  Eisenbahnwagen,  in  denen  eine  größere  An- 
zahl Lungenkranker  befördert  wird,  hat  die  hier  gegebene  Gefahr  einer 
Infektion  erwiesen.  Prausnitz2  benutzte  Durchgangswagen  von  München 
nach  Meran,  Petri3  einen  Teil  der  zur  Zeit  der  Koch'schenTuberkulin- 
behandlung  in  Berlin  angekommenen  Schlafwagen.  Beide  Forscher  fanden 
Bacillen,  hauptsächlich  an  den  Fußböden,  weniger  an  Wänden  und  Bänken, 
die  wenigsten  an  den  Decken.  Die  größte  Verbreitung  der  Keime  findet 
sich  also  an  den  Fußböden,  wo  die  Kranken  ihre  Sekrete  in  unzweck- 
mäßiger Weise  entleeren  und  vertrocknen  lassen.  Im  Auswurf,  be- 
sonders im  getrockneten,  haben  wir  nach  Com  et5  u.  a.  die  hauptsäch- 
liche Vermittelung  der  Ansteckung  zu  erblicken.  Es  liegt  daher  auf 
der  Hand,  daß  die  Eisenbahnen  durch  geeignete  Maßregeln  die  Ver- 
breitung von  Tuberkulose  zu  vermindern  im  Stande  sind. 

Aus  den  Petri 'sehen  Versuchen  3  hat  das  Kaiserliche  Reichsgesund- 
heitsamt Veranlassung  genommen  entsprechende  Vorschläge  dem  Mini- 
sterium für  öffentliche  Arbeiten  zu  unterbreiten.  Dieselben  unterliegen 
augenblicklich  noch  der  Prüfung. 

Notwendig  und  vielfach  durchgeführt  wird  schon  jetzt  die  Auf- 
stellung von  geeigneten  Spucknäpfen  in  Bahnhöfen  und  Personen- 
wagen, die  Beschränkung  der  Anwendung  von  Teppichen  und  Fasern- 
decken, häufiges  Reinigen  und  Aufwaschen  der  Wagenböden,  das  Vor- 
ziehen der  glatten  Stoffe  zum  Bezüge  der  Sitzbänke  vor  den  Plüsch- 
stoffen. An  den  Bahnen,  welche  den  Verkehr  von  Lungenkranken  nach 
Kurorten  übermitteln ,  muß  durch  Anschläge  ermahnt  werden  Verun- 
reinigungen und  Auswurf  zu  vermeiden.  Auch  die  Einrichtung  von 
Desinfektionsanstalten,  in  welchen  die  einzelnen  Teile  des  Wagens,  viel- 
leicht sogar  die  ganzen  Wagen  dem  strömenden  Dampfe  ausgesetzt 
werden,  ist  zu  erstreben, 
d)  Maßregeln  gegen  die  Uebertraguug   von  Viehseuchen. 

Diese  Maßregeln  richten  sich  gegen  die  Uebertragung  von  Rinder- 
pest, Milzbrand,  Maul-  und  Klauenseuche  und  die  verschiedenen 
Schweinekrankheiten  durch  die  Eisenbahnwagen,  Rampen  und  die  Ein- 
und  Ausladeplätze  für  Vieh. 

Für  Deutschland  ist  diese  Materie  durch  Reichsgesetz  vom  25. 
Februar  1876  geregelt,  auf  Grund  dessen  der  Reichskanzler  Ausführungs- 
bestimmungen erlassen  hat. 

Im  folgenden  sind  die  wichtigsten  Paragraphen  des  Gesetzes  und 
der  Ausführungsbestimmungen  abgedruckt. 

1.  Gesetz  betreffend  die  Beseitigung  von  Ansteckungsstoffen  bei  Vieh- 
beförderungen auf  Eisenbahnen  vom  25.  Februar  1876. 

§  1.  Die  Eisenbahn  Verwaltungen  sind  verpflichtet,  Eisenbahnwagen,  in  welchen 
Pferde,   Maultiere,  Esel,  Rindvieh,    Schafe,   Ziegen  oder  Schweine  befördert  worden 

46 


Eisenbahnhygiene.  283 

sind,   nach  jedesmaligem  Gebrauche   einem    Reinigungsverfahren  (Desinfektion)   zu 

unterwerfen,  welches  geeignet  ist,  die  den  Wagen  etwa  anhaftenden  Ansteckungsstoffe 
vollständig  zu  tilgen. 

Gleicherweise  sind  die  bei  Beförderung  der  Tiere  zum  Füttern,  Tränken,  Be- 
festigen oder  zu  sonstigen   /wecken  benutzten  Gerätschaften  zu  desinfizieren. 

Auch  kann  angeordnet  werden,  daß  die  Kämpen,  welche  die  Tiere  beim  Ein- 
und  Ausladen  betreten  haben,  sowie  die  Vieh-Ein-  und  Ausladeplätze  und  die  Vieh- 
höfe der  Eisenbahnverwaltungen  nach  jeder  Benutzung  zu  desinfizieren  sind. 

2.  Ausführungsbestimmungen  zum  Reichsgesetz  vom 
25.  Februar  1876. 

4.  Der  eigentlichen  Desinfektion  der  Wagen  muß  stets  die  Beseitigung  der 
Streumaterialien,  des  Düngers,  der  Beste  von  Anbindesträngen  u.  s.  w.,  sowie  eine 
gründliche  Reinigung  des  Wagens  durch  heißes  Wasser  vorangehen.  Wo  letzteres 
nicht  in  genügender  Menge  zu  beschaffen  ist,  darf  auch  unter  Druck  ausströmendes 
kaltes  Wasser  verwendet  werden;  jedoch  muß  zuvor  zum  Zweck  der  Aufweichung 
der  anhaftenden  Unreinigkeiten  eine  Abspülung  mittels  heißen  Wassers  erfolgen. 
Die  Reinigung  ist  nur  dann  als  eine  ausreichende  anzusehen,  wenn  durch  sie  alle 
von  dem  stattgehabten  Viehtransport  herrührenden  Verunreinigungen  vollständig 
beseitigt  sind. 

Die  Desinfektion  selbst  muß  bewirkt  werden: 

a)  unter  gewöhnlichen  Verhältnissen  durch  Waschen  der  Fußböden,  Decken 
und  Wände  mit  einer  auf  mindestens  50"  C.  erhitzten  Sodalauge,  zu  deren 
Herstellung  wenigstens  2  kg  Soda  auf  100  1  Wasser  verwendet  sind; 

b)  in  Fällen  einer  wirklichen  Infektion  des  Wagens  durch  Rinderpest, 
Milzbrand  oder  Maul-  und  Klauenseuche,  oder  des  dringenden  Verdachtes 
einer  solchen  Infektion  durch  sorgfältiges  Bepinseln  der  Fußböden,  Decken 
und  Wände  mit  5-proz.  Karbolsäurelösung.  Die  letztere  ist  durch  Mischen 
von  1  Teil  der  im  Handel  als  100-proz.  Karbolsäure  oder  Acidum  carboheum 
depuratuin  bezeichneten  Karbolsäure  mit  18  Teilen  Wasser  unter  häufigem 
Umrühren  herzustellen. 

Diese  Art  der  Desinfektion  (b)  ist  in  der  Regel  nur  auf  Anordnung  der  zu- 
ständigen Polizeibehörde,  ohne  solche  Anordnung  jedoch  auch  dann  vorzunehmen, 
wenn  die  Bahnbeamten  von  Umständen  Kenntnis  erlangen,  welche  es  zweifellos 
machen,  daß  eine  wirkliche  Infektion  des  Wagens  durch  Rinderpest,  Milzbrand  oder 
Maul-  und  Klauenseuche  vorhegt,  oder  welche  den  dringenden  Verdacht  einer  solchen 
Infektion  begründen.  Der  Landespolizeibehörde  bleibt  vorbehalten,  diese  Art  der 
Desinfektion  (b)  auch  in  anderen  Fällen  anzuordnen,  wenn  sie  solches  zur  Verhütung 
der  Verschleppung  der  oben  bezeichneten  Seuchen  für  unerläßlich  erachtet. 

Bei  gepolsterten  Wagen  ist  die  Polsterung,  welche  entternbar  sein  muß,  in  aus- 
reichender Weise  zu  reinigen.  Hat  eine  wirkliche  Infektion  des  Wagens  durch  eine 
übertragbare  Seuche  stattgefunden,  oder  liegt  der  dringende  Verdacht  einer  solchen 
Infektion  vor,  so  muß  die  Polsterung  verbrannt  werden.  Der  Wagen  selbst  ist  in 
der  zu  Absatz  1—3  angegebenen  Weise  zu  behandeln.  Ausländische  Wagen,  deren 
Polsterung  nicht  entfernbar  ist,  dürfen  im  Inlande  nicht  wieder  beladen  werden. 

Die  im  Absatz  1  angegebene  Reinigung  gilt,  vorbehaltlich  der  Bestimmungen 
im  Absatz  2  b  und  Absatz  3,  als  ausreichende  Desinfektion  in  denjenigen  Fällen,  in 
welchen  im  Eisenbahnwagen  nur  einzelne  Stücke  Kleinvieh  in  Kisten  oder  Käfigen 
befördert  worden  sind,  sofern  zur  Zeit  des  Gebrauchs  die  betreffenden  Kisten  mit 
wasserdichten  Fußböden,  festen  Wänden  und  aus  Latten  mit  den  für  die  Atmung 
der  Tiere  notwendigen  Zwischenräumen  hergestellten  Deckeln,  die  Käfige  mit  wasser- 
dichten Fußböden  und  von  unten  bis  mindestens  zur  ganzen  Höhe  der  Tiere  mit 
festen  Wänden  versehen  waren,  und  eine  Verunreinigung  des  Wagens  durch  Streu- 
raaterialien,  Futter,  Dünger,  Exkremente  u.  s.  w.  nicht  wahrnehmbar  ist. 

Anhang:  Leichentransport. 

Bestimmungen  über  den  Leichentransport  wurden  im  hygienischen 
Interesse  erlassen.  Dieselben  sind  im  Betriebsreglement  für  die  Eisen- 
bahnen Deutschlands  vom  17.  Dezember  1887  enthalten. 

Der  §  34  desselben  bestimmt  u.a.:  Die  Leiche  muß  in  einem  hinlänglich 
widerstandsfähigen  Metallsarge  eingeschlossen  und  letzterer  von  einer  hölzernen  Um- 
hüllung derart  umgeben  sein,  daß  jede  Verschiebung  des  Sarges  innerhalb  der  Um- 

47 


284  BRAEHMER, 

hüllung  verhindert  wird.  Die  Leiche  muß  von  einer  Person  begleitet  sein,  welche 
ein  Fahrbillet  zu  lösen  und  denselben  Zug  zu  benutzen  hat,  in  dem  sich  die  Leiche 
befindet.  Bei  dem  Transport  von  Leichen,  welche  von  Polizeibehörden,  Kranken- 
häusern, Strafanstalten  u.  s.  w.  an  öffentliche  höhere  Lehranstalten  übersandt 
werden,  bedarf  es  einer  Begleitung  nicht.  Auch  genügt  es,  wenn  solche  Leichen  in 
dicht  verschlossenen  Kisten  aufgegeben  werden.  Von  der  Zusammenladung  mit  der 
Leiche  sind  ausgeschlossen  :  Nahrungs-  und  Genußmittel  einschließlich  der  Kohstoffe, 
aus  welchen  Nahrungs-  und  Genußmittel  hergestellt  werden. 

Jede  Leiche  muß  von  einem  Leichenpaß  begleitet  sein. 

Der  Transport  von  an  ansteckenden  Krankheiten 
Verstorbenen  sollte  gesetzlich  untersagt  werden,  soweit 
derselbe  nicht  zu  wissenschaftlichen  Forschungen  erforderlich  ist. 

1)  Becher,    Verschleppung  der  Choleraerreger,  Dtsch.  med.    Wochenschr.  (1892)   37. 

2)  Praussnitz,    Tuberkidose.      Verbreitung  durch  Eisenbahnwaggons,   Münchener  med.    Wochen- 
schrift (1892). 

3)  Petri,  Arbeiten  d.  Kais.  Gesundheitsamtes.  (1894)  9.  Bd.   111   (1894). 

4)  Schmöckel,   Choleramafsnahmen,   Dtsch.   Eisenbahnztg.   (1893). 

5)  Cornet,   Die    Verbreitung  der   Tuberkelbacillen  (1889)   Separatabdr.    108. 

6)  Löffler,    Vierteljahr sschr.  f.   öffentl.   Oesundheitspfl.  (1890)  22.  Bd.   132. 

13.  Das  Rettungswesen  bei  den  Eisenbahnen. 

Das  Rettungswesen  bei  Eisenbahnunfällen  und  bei  plötzlichen  Er- 
krankungen hat  sich  zu  erstrecken  auf  die  BereithaltuDg  der  zur  ersten 
Hilfe  notwendigen  Verbandgegenstände  und  Arzneimittel,  auf  möglichst 
schnelle  Herbeischaffung  ärztlicher  Hilfe,  auf  zweckmäßige  Maßnahmen 
bis  zur  Ankunft  des  Arztes,  endlich  auf  geeignete  Transportmittel  und 
Unterkunftsräume  für  Verwundete  und  Kranke. 

Bei  den  preußischen  Staatsbahnen  waren  bereits  1856  durch 
Ministerialerlaß  zweckmäßige  Einrichtungen  getroffen  worden ,  die  sich 
neuerdings  wesentlich  vervollkommnet  haben.  Andere  Länder  sind  diesen 
Bestrebungen  mehr  oder  weniger  gefolgt.  Es  würde  zu  weit  führen, 
die  Einrichtungen  der  einzelneu  Länder  zu  besprechen.  Wir  sehen  es 
vielmehr  als  unsere  Hauptaufgabe  an,  die  notwendig  erscheinenden 
Forderungen  aufzustellen  unter  Hinweis  auf  das,  was  sich  bereits  be- 
währt hat. 

I.  Auf  allen  Stationen  müssen  Rettungskästen  vorhanden  sein, 
welche  alles  enthalten ,  was  der  Arzt  nötig  hat ,  um  einen  Verletzten 
zu  verbinden  und  transportfähig  zu  machen,  und  um  plötzlich  Erkrankten 
die  erste  Hilfe  zu  gewähren.  Dementsprechend  bestehen  bei  den  preußi- 
schen Eisenbahnen  große  und  kleine  Rettungskästen. 

Der  große  Rettungskasten  hat  zwei  räumlich  getrennte  Ab- 
teilungen :  die  erste  Abteilung  A  ist  zum  gemeinschaftlichen  Gebrauch 
für  den  Arzt  und  die  Beamten  bestimmt,  sie  enthält: 

1)  2  knieförmig  gebogene  große  Scheren  zum  Aufschneiden  der  Kleidungsstücke. 

2)  10  Hohlschienen  von  biegsamem  Draht,  und  zwar  5  breitere  für  das  Bein 
und  5  schmälere  für  den  Arm. 

3)  60  m  Sublimatmull,  je  1  m  in  einem  besonderen  starken,  blauen  Papierum- 
schlag verpackt,  mit  der  Aufschrift:  „1  m  ganzer  Sublimatmull". 

4)  60  m  Sublimatmull  in  Stücke  von  20  cm  Länge  und  Breite  geschnitten  und 
je  1  m  in  einem  besonderen,  starken,  gelben  Papierumschlag  verpackt  mit  der  Auf- 
schrift :  „1  m  Verbandmull  in  Läppchen". 

5)  30  Päckchen  reine,  antiseptische  Verbandbaumwolle,  zu  je  100  g  in  starkem 
Papierumschlag  verpackt  und  mit  der  Aufschrift:  „Verbandbaumwolle". 

6)  12  Tafeln  gewöhnliche ,  geleimte  Watte ,  in  einem  starken  Papierumschlag 
verpackt. 


Eisenbahnhygiene.  285 

7)  36  Baum\voll-(Calico-)Binden,  6  cm  breit  und  5  m  lang. 

8)  50  Binden  von  gestärktem  Mull,  6  cm  breit  und  5  m  lang. 

9)  12  dreieckige  Verbandtücher  (Mitcllen),  deren  kürzere  Seiten  je  90  cm 
lang  sind. 

10)  1  Gross  starker  Sicherheitsnadeln  in  einer  Schachtel  mit  Aufschrift. 

11)  1  Fläschchen  mit  100  g  Aethertropfen  (Aether  sulfuricus). 

12)  10  Stückchen  Würfelzucker  in  einer  Flasche  mit  weiter  Oelfnung. 

13)  2  Nagelbürsten,  einzeln  in  Pergamentpapier  verpackt. 

14)  2  Stück  guter  Seife,  einzeln  in  Staniol  verpackt. 

15)  2  Handtücher,  etwa  l1/«  m  lang. 

16)  3  Waschbecken  aus  Papiermasse. 

17)  20  Sublimatplätzehen  (nach  Professor  Angerer-München)  von  je  1  g,  mit 
der  Aufschrift  „Gift",  in  gut  verkorktem  Glas.  Ein  Plätzchen  genügt  für  den  In- 
halt der  Literflasche  (s.  18). 

18)  Eine  1  Liter  haltende  Flasche,  als  Gießflasche  (Irrigator),  aus  starkem  Glas  und 
mit  2  Oeffnungen,  einer  gewöhnlichen  oben  und  einer  seitlichen,  nahe  dem  Boden, 
letztere  so  eng,  daß  ein  gewöhnlicher  Irrigatorschlauch  darüber  gezogen  werden 
kann,  beide  mit  guten  Korken  verschlossen.  Diese  Flasche  ist  immer  mit  vorrätigem 
Sublimatwasser  gefüllt. 

19)  Ein  Behälter  mit  2  Berzeliusröhren  und  Korkstopfen  in  Vorrat,  einen  Stopfen 
von  jeder  im  großen  Rettungskasten  befindlichen  Sorte. 

20)  Ein  1  m  langer  Gummischlauch  zur  Gießflasche,  zu  der  unteren  Gieß- 
flasche passend  und  an  einem  Ende  mit  einem  zur  Spitze  ausgezogenen  Glasröhr- 
chen versehen  (sog.  Berzeliusröhre). 

21)  4  große  und  2  kleine  Gummibinden  aus  Naturgummi ,  nicht  gewebt  (beste 
Qualität).     Jede  mit  Langenbeck'scher  Schlußklammer. 

22)  1  starker  Wachsstock. 

23)  2  Stück  Tragtücher. 

24)  1  Exemplar  der  Anleitung. 

25)  1  Exemplar  der  „Kurze  Winke"  (s.  S.  290),  auf  der  Innenseite  des  Kasten- 
deckels  befestigt. 

26)  Ein  Verzeichnis  des  Inhalts  des  ganzen  Rettungskastens,  auf  der  Innenseite 
des  Deckels  befestigt. 

Die  Abteilung  B  ist  zur  ausschließlichen  Benutzung  des  Arztes 
bestimmt  und  als  solche  mit  einem  Schilde  bezeichnet,  sie  enthält: 

1)  Eine  Verband tasche  von  Leder,  darin :  a)  1  einklingiges  Bistouri,  b)  1  Schere, 
c)  1  gewöhnliche  Sonde ,  d)  1  Hohlsonde ,  e)  1  Kornzange  zum  Feststellen  der 
Griffe,  zugleich  als  Unterbindungspincette  und  Nadelhalter  verwendbar,  f)  1  ana- 
tomische Pincette,  g)  4  Unterbindungspincetten,  h)  10  größere  krumme  Nähnadeln, 
i)  1  Dechamps'sche  Nadel,    k)  1  Rasirmesser. 

2i  2  Rollen  Jodoformseide  von  mittlerer  Stärke   (nach  Hagedorn-Magdeburg). 

3)  30  Gipsbinden  in  einer  gut  schließenden  Blechbüchse,  die  Fugen  mit  Papier 
verklebt. 

4)  200  g  Chloralchloroform,  ohne  Alkohol. 

5)  1  Chloroformmaske  mit  zugehörigem  Glas  nach  Esmarch. 

6)  10  Morphiurnpulver  zu  je  0,01  Morphium  muriaticum. 

7)  40  g  pulverisiertes  Jodoform  in  einer  Hartgummibüchse  mit  doppeltem  ab- 
schraubbaren Deckel,  einem  durchlöcherten  und  darüber  einem  ganzen,  und  mit  der 
Aufschrift:  „Jodoform,  Gift". 

8)  2  Gläschen  mit  je  30  g  blau  gefärbter,  officineller,  verflüssigter  Karbolsäure. 

9)  Einige  Drainröhren  verschiedener  Dicke,  10  cm  lang,  in  einem  weithalsigen, 
verkorkten  Fläschchen  mit  Alkohol. 

Ueber  die  Notwendigkeit  des  Chloroforms,  für  welche  die 
wissenschaftliche  Deputation  in  Preußen  sich  ausgesprochen  hat,  sind  die 
Meinungen  geteilt.  Das  oft  viele  Jahre  unbenutzt  stehende  Chloroform  kann 
sich  verflüchtigen  und  auch  chemisch  verändern ;  wir  würden  daher  raten, 
wenigstens  auf  den  Bahnhöfen ,  in  deren  unmittelbarer  Nähe  Apotheken 
liegen,  auf  das  Chloroform  zu  verzichten ,  auf  den  anderen  für  möglichst 
guten  Verschluß  sowie  für  sehr  reines  Chloroform  zu  sorgen  und  —  bleibt 

Handbuch  der  Hygiene.    Bd.  VI.  19 

49 


286  BRAEHMER, 

es  jahrelang  unbenutzt  —  es  durch  neues  unter  anderweitiger  Verwendung 
des  alten  zu  ersetzen. 

Notwendig  halten  wir  noch  eine  subkutane  Spritze  mit  Morphium- 
lösung  und  Aether  in  den  Kasten  hinainzufügen,  ein  Vorschlag,  dem  man 
sich  leider  bisher  in  Preußen  verschlossen  hat. 

Für  Hilfeleistung  auf  der  Strecke  haben  Zugführer  einen  kleinen 
Rettungskasten  mit  Blutstillungsmitteln  und  den  allernotwendigsten 
Verbandmitteln  bei  sich  zu  führen.  In  Preußen  hat  dieser  Kasten 
folgenden  Inhalt: 

1)  1  knieförinig  gebogene  große  Schere,  zum  Aufschneiden  der  Kleidungsstücke. 

2)  5  m  Subliniatmull,  je  1  m  in  einem  besonderen,  starken,  blauen  Papierum- 
schlag verpackt,  mit  der  Aufschrift:  „1  m  ganzer  Sublimatmull". 

3;  5  m  Sublimatmull,  in  Stücke  von  20  cm  Länge  und  Breite  geschnitten  und 
je  1  m  in  einem  besonderen,  starken,  gelben  Papierunischlag  verpackt,  mit  der  Auf- 
schrift :  „1  m  Verbandmull  in  Läppchen". 

4)  20  ßaumwoll-(Calico-)Bincfen,  6  cm  breit,  5  m  lang,  in  Papier  verpackt  und 
mit  Aufschrift 

5)  6  dreieckige  Verbandtücher  (Mitellen),  deren  kürzere  Seiten  je  90  cm 
lang  sind. 

6)  1  Nagelbürste,  in  Pergamentpapier  verpackt. 

7)  1  Stück  gute  Seife,  in  Staniol  verpackt. 

8)  1  Handtuch,  etwa  l1/*  m  lang. 

9)  1  Waschbecken  aus  Papiermasse. 

10)  1  große  und  1  kleine  Gummibinde,  je  mit  Langenbeck'scher  Schluß  klamm  er. 

11)  1  Exemplar  der  „Kurze  Winke"  (s.  S.  290),   an  der  Innenseite  des  Deckels 
befestigt. 

12)  Ein  Inhaltsverzeichnis  des  kleinen  Rettungskastens,    an    der  Innenseite    des 
Deckels  befestigt. 

Da  die  meisten  Unglücksfälle  auf  oder  in  der  Nähe  von  Stationen 
vorkommen,  so  ist  die  Notwendigkeit  der  kleinen  Kästen  vielfach 
bestritten  worden.  Nach  unserer  Erfahrung  wird  der  Inhalt  allerdings 
oft  unbrauchbar.  In  Preußen  ist  daher  eine  vierteljährliche  Revision 
bez.  Erneuerung  vorgeschrieben.  Unter  dieser  Vorschrift  halten  wir 
jedoch  die  allgemeine  Einführung  auch  der  kleinen  Rettungskästen  für 
nützlich ;  vielleicht  würde  sich  noch  besser  eine  nur  vom  Zugführer  zu 
tragende  Verbandtasche  empfehlen ,  welche  das  Allernötigste  zum  Ver- 
bände enthält;  ein  ähnlicher  Vorschlag  ist  von  H erzog- München  *) 
gemacht  worden.  Auch  die  Blechbüchsen  mit  sterilisiertem  Verband- 
material, wie  sie  Dührsen*)  eingeführt  hat,  würden  empfehlenswert  sein. 

Die  Rettungskästen  müssen  in  trockenen  Räumen  aufbewahrt  und 
gut  verschlossen  gehalten  werden ;  unbrauchbar  Gewordenes  muß  er- 
neuert werden;  Verbandgegenstände,  die  durch  längeres  Aufbewahren 
an  Güte  verlieren,  können  dabei  anderweitig  verwendet  werden.  Alles 
Verbandmaterial  muß  dem  neuesten  Stande  der  Wissenschaft  ent- 
sprechen. 

II.  Zum  Transport  der  Verletzten  ist  die  Aufstellung  von  Trag- 
bahren auf  den  Stationen  notwendig.  Dieselben  dürfen  nicht  zu  breit 
und  müssen  darauf  berechnet  sein,  daß  bei  der  Weiterbeförderung  auf  einem 
Wagen  der  Verletzte  auf  derselben  Bahre  liegen  bleiben  kann.  Auf 
größeren  Stationen  sind  Rettungswagen  bereit  zu  halten ;  einen  solchen 
hat  bereits  1881  Czatary  in  Pest  konstruiert  und  ist  derselbe  auf  der 
Berliner  hygienischen  Ausstellung  mit  einem  Ehrendiplom  ausgezeichnet 

*)  Mündliche  Mitteilungen. 


Eisenbahnhygiene. 


287 


worden.  Die  von  Czatary  gerühmten  Vorzüge  dieses  Wagens,  welcher 
bereits  bei  den  ungarischen  Staatsbahnen  im  Gebrauch  ist  (Fig.  12),  be- 
stehen in  der  doppelten  Verwendung  der  im  Wagen  befindlichen  Betten  als 
Tragebetten  und  Krankenlager,  ferner  in  der  leicht  durchzuführenden 
Desinfektion  der  einzelnen  Betten  und  des  ganzen  Wagens,  in  der  Einrich- 
tung von  Doppelfenstern  zur  Erleichterung  der  Ventilation  u.  s.  w. 
Solche  WTagen  sind  nicht  nur  für  verletzte,  sondern  auch  für  erkrankte 


Fig.    12.     Rettungswagen  der  ungarischen  Staatsbahn  nach  Dr.  von   Czatary. 

Reisende  wünschenswert.     Sie  müssen  sich  in  jeden  Zug  leicht  einfügen 
lassen  und  auch  die  nötigsten  Gegenstände  zur  Krankenpflege  enthalten. 

Die  österreichische  Regierung  hat  bereits  3  solcher  Kran- 
kenwagen aufgestellt.  In  Deutschland  ist  Bayern  mit  der  Einrichtung 
von  Transportwagen  für  Kranke  und  Verwundete  vorangegangen.  Seit 
einem  Jahre  hat  dort  jedes  der  10  Oberbahnämter  am  Centralsitz  einen 
Wagen  mit  folgender  Einrichtung : 

Die  Wagen  sind  für  die  Unterbringung  von  10  Tragbahren ,  welche  auf  be- 
sonderen Ständern  mit  Grund'  scher  Federanordnung  aufgelegt  werden  können, 
eingerichtet. 

Die  Tragbahren  selbst  nach  Muster  jener  der  freiwilligen  Sanitätskolonne,  je- 
doch mit  Holmen  aus  Stahlröhren  ausgeführt,  besitzen  verstellbare  Holmenenden, 
wobei  die  Verlängerungen  in  die  hohlen  Holmenstangen  hineingeschoben  und  im 
herausgezogenen  Zustande  durch  eine  einfache  Drehung  in  dieser  Stellung  festge- 
halten werden  können. 

Bei  dem  Transport  der  Kranken  zu  den  Eisenbahnwagen  sind  die  Holme  für 
gewöhnlich  zu  verlängern,  um  den  Trägern  das  Zwischentreten  zwischen  die  Holme, 
somit  das  Tragen  der  Bahre  selbst,  zu  erleichtern. 

Die  Verkürzbarkeit  der  Bahrenholme  hat  noch  weiter  den  schätzbaren  Vor- 
teil, daß  die  Bahren  mit  eingeschobenen  Holmen  in  die  den  freiwilligen  Sanitäts- 
Hauptkolonnen  gehörigen  Krankenwagen  zum  Landtransport  einstellbar  sind. 

Es  kann  somit  die  Umbettung  auf  eine  andere  Lagerstatt  beim  Uebergang 
vom  Eisenbahn-  zum  Landtransport  vermieden  werden. 

Wie  aus  der  Skizze  (Fig.  13,  S.  288)  ersichtlich,  ist  auf  einer  Plattform  des 
Wagens  ein  Eiskasten  mit  aufgebautem  Trinkwasserbehälter  aufgestellt. 

IQ* 

5i  iy 


288 


BRAEHMER, 


Die  Einbringung  der  Bahren  in  die  Wagen  soll  daher  ,  wenn  immer  möglich, 
auf  der  freien  Plattform  erfolgen. 

Um  diese  Einbringung  für  die  Kranken  so  schonend  als  möglich  ausführen  zu 
können,  sind  die  Tragbahren  mit  Gleitrollen  ausgerüstet. 

Ferner  befindet  sich  bei  jedem  Wagen  ein  Paar  Einladeschienen ,  welches  auf 
die  Plattform  mit  herabgeschlagener  Uebergangsbrücke  gelegt ,  das  Einrollen  der 
Tragbahre  in  den  Wagen  ermöglicht.  Bei  dem  Einheben  der  Bahren  auf  die  Ständer 
ist  zu  beachten,  daß  die  Verlängerungen  der  Hohne  auf  der  Kopfseite  zu  kürzen, 
dagegen  auf  der  Fußseite  verlängert  zu  belassen  sind. 

Um  das  Einheben  im  Bedarfsfalle  zu  erleichtern ,  sind  jedem  Wagen  2  lose 
Einladehaken  beigegeben ,  welche  in  die  oberen  Querbinder  der  Ständer  eingehängt 
werden  können. 

Die  Bahren  sind  auf  die  Ständer  so  aufzulegen ,  daß  die  Verstärkungen  der 
kopfseitigen  Bahrgriffenden  hinter  die  Tragschiene  des  Ständers  zu  hegen  kommen 
und  sich  an  letztere  anschließen. 


Fig.  13.     Kranken-  und  Verwundeten-Transport-Wagen  der  bairischen  Staatsbahnen. 

Hierdurch  ist  eine  Verschiebung  der  Bahren  in  der  Längsrichtung  verhütet; 
ebenso  behindert  die  Form  der  Trägerenden   eine  seitliche  Verschiebung  der  Bahre. 

Den  Wagen ,  welche  für  Gasbeleuchtung  eingerichtet ,  sind  auch  Oellampen 
(Notlichteinsätze)  beigegeben. 

Da  nicht  ausgeschlossen  ist,  daß  bei  längerem  Stillstande  der  Wagen  die  Gas- 
füllung sich  mindert,  muß  für  rechtzeitige  Nachfüllung  Sorge  getragen  werden. 

Befindet  sich  auf  der  Hinterstellungsstation  keine  Oelgasfabrik  oder  ein 
Recipientenwagen ,  so  ist  der  Wagen  im  Bedarfsfalle  der  nächst  gelegenen  Gasab- 
gabestelle zuzuleiten  und  beschleunigte  Füllung   und  Rücksendung  zu   veranlassen. 

Für  den  Fall,  daß  die  Gasbeleuchtungseinrichtimg  defekt  werden  sollte ,  sind 
die  Notlichteinsätze ,  welche  zur  sofortigen  Verwendbarkeit  geeignet  unterhalten 
werden  müssen,  zu  benutzen. 

Für  eine  ergiebige  Ventilation  des  Wagens  ist  durch  Anbringung  von  8  W  o  1- 
p er t' sehen  Luftsaugern  und  eines  Windfängers,  dessen  Reguliervorrichtung  an 
der  Wagenwandung  zunächst  dem  Ofen  angebracht,  Sorge  getragen. 

Bezüglich  der  Heizung  wird  bemerkt,  daß  die  erforderlichen  Brennmaterialien, 
vorzugsweise  klein  gemachtes  Holz,  in  der  hierzu  bestimmten  Kiste  immer  eingelegt 
sein  müssen,  um  den  Wagen  möglichst  rasch  erwärmen  zu  können. 


52 


Eisenbahnhygiene.  289 

Im  allgemeinen  muß  daran  festgehalten  werden ,  daß  diese  Wagen  und  deren 
Einrichtungen  so  in  Ordnung  gehalten  sein  müssen,  daß  dieselben  zu  jeder  Zeit  ohne 
Verzögerung  verwendet  werden  können. 

Die  Herausnahme  einzelner  Einrichtungsgegenstände  aus  den  Wagen ,  sowie 
das  Einbringen  von  nicht  im  Inventarverzeichnis  aufgeführten  Gegenständen  ist 
daher  unter  allen  Verhältnissen  unzulässig. 

Zur  Instandhaltung  der  gesamten  Einrichtung  während  der  Hinterstellung  der 
Wagen  ist  die  periodische  Revision  und  Reinigung  der  einzelnen  Gegenstände  unbe- 
dingt notwendig. 

Während  die  Revision  der  für  die  ärztlichen  Bedürfnisse  vorhandenen  Aus- 
rüstungen durch  den  hierfür  verantwortlichen  Bahnarzt  zu  den  vorgeschriebenen 
Zeitabschnitten  erfolgt ,  ist  die  Instandhaltung  und  Reinigung  der  übrigen  Ein- 
richtungen der  k.  Betriebswerkstätte  der  Hinterstellungsstation  in  der  Weise  zu 
übertragen ,  daß  dieselbe  die  Reinigung  des  Wagens  und  dessen  Einrichtungen  auf 
Anruf  des  k.  Bahnamtes,  bei  welchem  die  Schlüssel  zu  dem  Wagen  an  einem  den 
diensthabenden  Betriebsbeamten  zugänglichen  Platze  aufzubewahren  sind  und  welches 
für  den  ordnungsmäßigen  Zustand  des  Wagens  verantwortlich  ist,  vollzieht. 

Hierbei  ist  vorzugsweise  für  Verhütung  des  Mottenfraßes  in  den  Wolldecken 
und  Unterlagkissen  in  entsprechender  Weise  Sorge  zu  tragen. 

Die  Fenstervorhänge  sind  geschlossen  zu  halten ,  ebenso  die  Bettvorhänge 
(Schubvorhänge)  vor  den  Bahrenständern  auszuziehen  und  zuzuknöpfen ,  um  das 
Einlegen  von  Staub  in  die  Falten  zu  verhüten, 

Die  Revisionen  sind  für  gewöhnlich  in  der  wärmeren  Jahreszeit  monatlich  aus- 
zuführen, für  die  Wintermonate  genügt  einmalige  Reinigung,  insofern  die  praktischen 
Erfahrungen  nicht  andere  Termine  als  erforderlich  erscheinen  lassen. 

Ist  bei  einem  Eisenbahnunfalle  die  Absendung  eines  Kranken-  und  Verwundeten- 
Transportwagens  an  die  Unfallstelle  erforderlich,  so  hat  derjenige  Betriebsbeamte, 
welcher  für  Bereitstellung  und  Abfertigung  des  Hilfszuges  zu  sorgen  hat,  auch  die 
Sorge  dafür  zu  übernehmen ,  daß  der  Kranken-  und  Verwundeten-Transportwagen 
vor  der  Einstelluug  in  den  Hilfszug  entsprechend  in  Stand  gesetzt  wird. 

Zu  diesem  Zwecke  ist  der  Wagen  zu  lüften  und  bei  kaltem  Wetter  zu  heizen, 
alsdann  sind  die  Wasserbehälter  mit  reinem  frischen  Trinkwasser  und  der  Eisbe- 
hälter mit  Eis  zu  füllen  und  eine  Flasche  Spiritus  in   den  Wagen  zu  stellen. 

Als  Erfrischungsmittel  sind  aus  der  Bahnhofwirtschaft  mitzunehmen: 

V2  Flasche  Cognak,  1  Flasche  Rotwein,  2  Flaschen  mittelstarker  Weißwein, 
1  Büchse  Fleischextrakt  und  etwas  Chokolade. 

Von  der  Hinterstellung  dieser  Wagen  ist  der  freiwilligen  Sanitätskolonne  Mit- 
teilung zu  machen  und  dieselben  zur  Besichtigung  der  Wagen  einzuladen. 

In  Preußen  fehlen  bis  jetzt  eigene  Krankenwagen  bei  den  Eisen- 
bahnen. Bei  Massentransporten  werden  Personenwagen  4.  Klasse  mit 
bereit  gehaltener,  zweckentsprechender  Einrichtung  versehen  und  haben 
sich  im  Kriege  1870  im  ganzen  bewährt.  Für  die  Friedenszeit,  nament- 
lich für  den  Transport  Schwerkranker  halten  wir  bereitstehende  Kranken- 
wagen für  notwendig  und  wird  sich  auch  Preußen  der  bayerischen  Ein- 
richtung anschließen  müssen. 

III.  Die  Fahrbeamten  und  das  Stationspersonal  müssen  in  der 
ersten  Hilfeleistung6  in  besonderen  Unterrichtskursen  unterwiesen 
werden.  Diese  Einrichtung  ist  in  Preußen  in  durchaus  zweckmäßiger  Weise 
durchgeführt.  Die  Bahnärzte  unterweisen  jährlich  in  einer  Anzahl  von 
Unterrichtsstunden  die  Beamten  im  Gebrauch  der  kleinen  und,  so  weit  es 
erlaubt  ist,  auch  der  größeren  Rettungskästen,  sowie  in  der  Leistung  der 
ersten  Hilfe  bis  zur  Ankunft  des  Arztes.  Es  muß  den  Leuten  immer 
von  neuem  eingeprägt  werden,  daß  sie  nicht  schaden  dürfen,  daß  sie 
sich  selbst  vor  der  Berührung  eines  Verwundeten  gehörig  reinigen,  wie 
sie  sich  bei  Ohnmächten,  starken  Blutungen  u.  s.  w.  zu  verhalten  haben. 
Durch  Ministerialerlaß  von  1877  und  1881  ist  folgende  Anleitung  über 
die  nächsten  Verhaltungsmaßregeln  gegeben  worden: 


53 


290  BRAEHMER, 

Kurze  Winke  für  die  Beamten 

zur  vorläufigen  Hilfeleistung  bei  Verletzungen  vor  Ankunft  des  Arztes. 

1.  Bewahre  Kaltblütigkeit  und  sorge  für  Ordnung.  Halte  Unberufene 
von  der  Unglücksstätte  entfernt,  denn  Du  bist  bis  zur  Ankunft  des  Arztes  für  die 
Versorgung  des  Verunglückten  verantwortlich. 

2.  Befreie  die  Verletzten  aus  ihrer  üblen  Lage,  ohne  etwas  an  ihnen  zu  zer- 
reißen oder  abzutrennen,  und  lagere  sie  bequem  abseits  der  Geleise. 

3.  Vor  allem  stelle  fest,  ob  eine  starke  Blutung  vorhanden  ist,  d.  h.  ob  an 
einer  Stelle  das  Blut  förmlich  herausströmt  oder  gar  herausspritzt.  Die  Wunde 
lege  frei,  ohne  den  Verletzten  zu  entkleiden,  nur  durch  Aufschneiden  der  Kleider 
mit  der  Schere,  wo  es  am  stärksten  blutet,  zuerst. 

4.  Sende  bei  anscheinender  Gefahr  für  den  Verletzten  sofort  nach  ärztlicher 
Hilfe. 

5.  Ehe  Du  verbindest,  wasche  und  bürste  Deine  Hände  und  tauche 
sie  dann  in  Sublimatwasser.  Keine  Wunde  darfst  Du  mit  etwas  anderem  über- 
rieseln, als  mit  Sublimatwasser,  noch  mit  etwas  anderem  berühren  oder  verbinden, 
als  mit  Sublimatmull,  den  Du  mit  Binden  oder  Tüchern  befestigst.    (§  7.) 

6.  Den  stark  blutenden  Körperteil  lagere  womöglich  hoch  und  drücke  Ballen 
von  Sublimatmull  fest  auf,  bis  das  Blut  steht.  Kannst  Du  letzteres  nicht  erreichen, 
so  benutze  die  Guminibinden. 

7.  Ohnmächtige  lagere  mit  dem  Kopfe  tief,  lockere  die  Kleider  um  Hals 
und  Rumpf,  besprenge  ihr  Gesicht  mit  Wasser  und  lasse  sie  auf  kurze  Zeit  an 
Aethertropfen  riechen. 

8.  Verrenkungen  und  Knochenbrüche  versuche  nicht  durch  Ziehen 
einzurichten.  Sorge  nur  dafür,  daß  bei  Brüchen  und  Verrenkungen  am  Bein  der 
Verletzte  keinen  Versuch  macht,  sich  zu  stellen. 

Nur  wenn  die  Schmerzen  sehr  groß  sind  und  der  Verletzte  weiter  gebracht 
werden  soll,  oder  wenn  an  einer  Bruchstelle  eine  Wunde  ist :  schneide  die  Kleider 
auf,  hänge  den  gebrochenen  Arm  in  ein  dreieckiges  Tuch  und  schiebe  dem  ge- 
brochenen Bein  eine  gepolsterte  Schiene  unter,  welche  Du  mit  Binden  oder  Tüchern 
befestigst. 

Bei  Wunden  über  gebrochenen  Knochen  sollst  Du  ganz  besonders  vorsichtig  sein. 

9.  Verbrannte  Hautstellen  beriesele  nicht ,  sondern  belege  sie  mit 
einer  einfachen  Lage  von  Subhmatmull,  bedecke  sie  mit  Verbandwatte  und  befestige 
diese.  , 

Brandb  äsen  öffne  nicht. 

10.  Bricht  oder  hustet  ein  Kranker  Blut,  so  bringe  ihn  in  eine 
halbsitzende  Lage,  lasse  ihn  etwas  kaltes  Wasser  oder  Eis  schlucken  und  beruhige 
ihn  durch  Zureden. 

11.  Keinem  Kranken  oder  Verletzten  gestatte,  geistige  Getränke  nach 
Gutdünken  zu  genießen,  nur  sehr  Schwachen  darfst  Du  eüien  Schluck  Wein,  Brannt- 
wein oder  10 — 20  Aethertropfen  auf  Zucker  geben. 

Aehnliclie  EinrichtuDgen  wie  in  Preußen  sind  bereits  in  anderen 
Ländern  erfolgt,  und  können  wir  nur  ihre  allgemeine  Einrichtung  be- 
fürworten. 

IV.  Zur  schnellen  Herbeischaffung  ärztlicher  Hilfe 
ist  es  notwendig,  daß  die  Stationen  telephonisch  mit  den  Bahnärzten 
sowie  auch  mit  anderen  in  der  Nähe  wohnenden  Aerzten  und  mit 
Krankenhäusern  in  Verbindung  stehen.  Bei  größerem  Massenunglück 
kann  niemals  der  ärztlichen  Hilfe  zu  viel  werden  und  darf  keine  Mühe 
gescheut  werden,  möglichst  viele  Aerzte  herbeizurufen. 

V.  Ein  bahnärztliches  Zimmer  auf  jeder  größeren  Station, 
wie  es  auch  vielfach  besteht,  halten  wir  für  dringend  wünschenswert. 
Dort  werden  am  besten  die  Rettungskästen  aufbewahrt  und  die  täglichen 
Sprechstunden  abgehalten,  sowie  Einrichtungen  getroffen  für  die  vor- 
läufige Lagerung  von  Kranken  und  Verletzten.  Die  ständige  Anwesen- 
heit eines  du-jour- Arztes,  wie  von  mehreren  Seiten  vorgeschlagen,  halten 
wir  nicht  für  gerechtfertigt.     Höchstens  bei  Massentransporten  und  zur 

54 


Eisenbahn  hjrgiene.  291 

Zeit  von   Epidemien    müßte    vorübergehend    ein   permanent  ärztlicher 
Dienst  eingerichtet  werden. 

1)  Riegler,    Ueber  das  Eisenbahnrettungswesen  (1880). 

'_')  Herzog,  Bettungswesen  bei  den  Eisenbahnen,  Verhandl.  des  internationalen  med.  Kongresses, 
Berlin  1890. 

3)  Stich,   Krankenbeförderung  auf  Eisenbahnen,   Verhandl.  des  intern,  hygienischen  Kongresses, 
Pest   1894. 

4)  Weber,   Gefährdungen  des  Eisenbahnpersonals  (1862). 

5)  Schmidt,  Die  Unfälle  auf  Eisenbahnen,  ihre   Ursachen  und  Verhütungen,   Allgemeine  Bau- 
zeitung (1890). 

ß)    Vergl.   Dienst- Vorschrift  betr.  das  Rettungswesen  auf  den  Eisenbahnen  von  1896. 


14.  Wohlfahrtseinrichtungen  bei  den  Eisenbahnen. 

Die  Eisenbahnhygiene  hat  nicht  nur  den  Zweck,  den  Gefahren  für 
Leib  und  Leben  vorzubeugen,  sondern  auch  die  einmal  eingetretenen 
Schäden  zu  lindern.  Je  mehr  die  Eisenbahnen  und  die  mit  ihnen  ver- 
bundenen Folgen  sich  ausbreiteten,  um  so  weniger  konnten  die  Eisen- 
bahnverwaltungen sich  den  Forderungen  entziehen,  welche  Entschädig- 
ungen für  Verletzung  oder  Krankheit,  für  Erwerbsunfähigkeit,  für  den 
Tod  des  Ernährers  einer  Familie  bezweckten.  Dahingehende  Einrich- 
tungen bestehen  bereits  in  den  meisten  Ländern  und  haben  vielfach 
gesetzliche  Sanktion  erhalten.  Indem  wir  die  Verhältnisse  Deutschlands 
zu  Grunde  legen,  haben  wir  zu  betrachten  a)  das  Haftpflichtgesetz  (für 
auf  den  Eisenbahnen  verunglückte  Reisende),  b)  Wohlfahrtseinrichtungen 
für  Eisenbahnbeamte,  c)  Wohlfahrtseinrichtungen  für  Eisenbahnarbeiter. 

a)  Haftpflicht. 

Gesetzliche  Bestimmungen,  welche  die  Entschädigung  der  durch  den 
Eisenbahnbetrieb  verletzten  Reisenden,  sowie  der  Hinterbliebenen  von 
Getöteten  regeln,  bestehen  in  Deutschland  erst  seit  1871.  Bis 
dahin  konnten  die  deutschen  Bahnverwaltungen  nur  zu  einer  Ent- 
schädigung gezwungen  werden,  wenn  als  Ursache  für  einen  Unfall  ein 
Mangel  im  Betriebe  oder  in  den  Betriebsmitteln  sich  erweisen  ließ,  ein 
Beweis,  der  meistens  schwer  zu  führen  war.  Jetzt  haftet  die  Bahnver- 
waltung für  jeden  Schaden,  der  durch  Tötung  oder  Verletzung  von 
Menschen  beim  Bahnbetriebe  entsteht,  sofern  dieselbe  nicht  nachweisen 
kann,  daß  der  Unfall  durch  höhere  Gewalt  oder  durch  eigene  Schuld 
des  Getöteten  oder  Verletzten  verursacht  worden  ist.  Im  Falle  einer 
Tötung  besteht  die  Entschädigung  im  Ersatz  der  Kosten  einer  ver- 
suchten Heilung,  der  Beerdigung  sowie  des  Vermögensnachteiles, 
welchen  der  Getötete  während  der  Krankheit  durch  Erwerbsunfähigkeit 
erlitten  hat.  Wenn  der  Getötete  zur  Zeit  seines  Todes  gesetzlich  ver- 
pflichtet war  einem  Anderen  Unterhalt  zu  gewähren,  kann  dieser  inso- 
weit Ersatz  fordern,  als  ihm  infolge  des  Todesfalles  der  Unterhalt  ent- 
zogen worden  ist.  Wenn  nur  eine  Körperverletzung  herbeigeführt 
worden  ist,  so  hat  die  Bahnverwaltung  neben  den  Heilungskosten  den 
Vermögensnachteil  zu  ersetzen,  welchen  der  Verletzte  durch  eine  infolge 
der  Verletzung  eingetretene  zeitweise  oder  dauernde  Erwerbsunfähigkeit 
oder  Verminderung  der  Erwerbsfähigkeit  erleidet. 

Ein  ähnliches,  die  Haftpflicht  im  Eisenbahnbetrieb  regelndes  Gesetz 
war  in  Oesterreich-Ungarn   schon  im  Jahre  1869  erlassen  worden. 

55 


292  BRAEHMER, 

In  Frankreich,  England  und  Amerika  hat  man  keine  eigenen  Ge- 
setze für  den  Schutz  der  Eisenbahnreisenden,  schützt  sie  vielmehr  durch 
Handhabung  der  dort  bereits  lange  bestehenden  gesetzlichen  Bestimmungen 
für  Schadenersatz  wegen  körperlicher  Verletzung.  Ein  wesentlicher  Unter- 
schied ist  der,  daß  in  Deutschland  und  Oesterreich  die  Bahnverwaltung 
zu  beweisen  hat,  daß  sie  unschuldig  ist,  während  in  Frankreich,  England 
und  Amerika  der  Beschädigte  beweisen  muß,  daß  die  Eisenbahn  ein  Ver- 
schulden trifft.  In  Deutschland,  Oesterreich  und  Frankreich  werden  die 
gesetzlichen  Bestimmungen  milder  ausgeführt,  die  Entschädigungssumme 
ist  aber  keine  zu  hohe;  in  England  ist  das  Verhältnis  ein  umgekehrtes. 
Die  preußischen  Staatseisenbahnen  haben  infolge  des  Haftpflicht- 
gesetzes gezahlt  an  fremde  Personen  1892/93  =  981  395  M.,  1893/94  = 
1204  266  M. 

b)  Einrichtungen  für  Beamte. 

Aerztliche  Fürsorge.  Den  Beamten  des  äußeren  Dienstes 
wird  von  den  Staatsbahnen  Preußens  freie  ärztliche  Hilfe  für  sich  und 
ihre  Angehörige  durch  einen  Bahnarzt  gewährt.  Auch  die  übrigen  Länder 
Europas,  neuerdings  auch  Rußland,  haben  ähnliche  Einrichtungen.  Nur 
in  Amerika,  wo  die  Bahnbediensteten  nicht  Beamte  sind,  sondern  gegen 
Tageslohn  angestellt  werden,  bleibt  diesen  die  Sorge  für  ärztliche  Hilfe 
selbst  überlassen.  Als  Ersatz  dafür  existiert  in  Amerika  eine  große 
Anzahl  von  Logen,  die  ihre  Mitglieder  in  Krankheitsfällen  unterstützen 
und  denen  fast  alle  Bahnbedienstete  angehören.  Die  Einrichtung  der 
freien  Behandlung  durch  einen  Bahnarzt  kommt  nicht  nur  den  Beamten, 
sondern  auch  den  Verwaltungen  zu  gute,  da  dieselbe  eine  ständige  Ueber- 
wachung  des  physischen  Organismus  des  Personals  ermöglicht. 

Fürsorge  für  Beamte  infolge  von  Betriebsunfällen. 

In  Preußen  wurden  die  Eisenbahnbeamten  bis  zum  Jahre  1887  nach 
Unfällen  ebenso  entschädigt  wie  die  Reisenden,  d.  h.  sie  waren  ge- 
zwungen, nach  dem  Haftpflichtgesetz  vom  Jahre  1871  ihre  Ansprüche 
geltend  zu  machen.  Im  Anschluß  an  das  deutsche  Unfallversicherungs- 
gesetz vom  Jahre  1885  trat  das  Gesetz  betreffend  die  Fürsorge  für 
Beamte  infolge  von  Betriebsunfällen  am  18.  Juni  1887  in  Wirksamkeit, 
dessen  erste  Bestimmungen  lauten: 

§  1.  Unmittelbare  Staatsbeamte,  welche  in  reichsgesetzlich  der  Unfallversiche- 
rung unterliegenden  Betrieberi  beschäftigt  sind,  erhalten,  wenn  sie  infolge  eines  im 
Dienste  erlittenen  Betriebsunfalles  dauernd  dienstunfähig  werden ,  als  Pension 
662/3  Proz.  ihres  jährlichen  Diensteinkommens,  soweit  ihnen  nicht  nach  anderweiter 
gesetzlicher  Vorschrift  ein  höherer  Betrag  zusteht. 

Personen  der  vorbezeichneten  Art  erhalten,  wenn  sie  infolge  eines  im  Dienste 
erlittenen  Betriebsunfalls  nicht  dauernd  dienstunfähig  geworden,  aber  in  ihrer  Er- 
werbsfähigkeit beeinträchtigt  worden  sind,  bei  ihrer  Entlassung  aus  dem  Dienste 
als  Pension : 

1)  im  Falle  völliger  Erwerbsunfähigkeit  für  die  Dauer  derselben  den  im  ersten 
Absätze  bezeichneten  Betrag; 

2)  im  Falle  teilweiser  Erwerbsunfähigkeit  für  die  Dauer  derselben  einen  Bruch- 
teil der  vorstehend  bezeichneten  Pension,  welcher  nach  dem  Maße  der  ver- 
bliebenen Erwerbsfähigkeit  zu  bemessen  ist. 

Steht  solchen  Personen  nach  anderweiter  gesetzlicher  Vorschrift  ein  höherer 
Betrag  zu,  so  erhalten  sie  diesen. 

Nach  dem  Wegfall  des  Diensteinkommens  sind  dem  Verletzten  außerdem  die 
noch  erwachsenden  Kosten  des  Heilverfahrens  zu  ersetzen. 

56 


Eisenbahnhygiene.  293 

Nach  diesem  Gesetze  sind  gezahlt  worden  an  Beamte 
bez.  Angehörige  bei  den  preußischen  Staatsbahnen  im  Jahre  1892/93 : 
1489  946  M.,  im  Jahre  1893/94:  1484179  M. 

Beamtenpensionsgesetz  vom  27.  März  1872. 

Nach  demselben  erhalten  sämtliche  Eisenbahnbeamte  der  preußischen 
Staatsbahn  nach  10-jähriger  Dienstzeit  eine  Pension  von  1/4  des  Ge- 
haltes, deren  Höhe  mit  jedem  weiteren  Dienstjahr  um  1/6o  steigt,  jedoch 
die  Höhe  von  3/4  des  letzten  Gehaltes  nicht  überschreiten  darf.  Diese 
Höhe  trifft  nach  45  Dienstjahren  ein.  Witwen  erhalten  den  3.  Teil  des 
Quotums  der  Männer.  Die  Privatbahnen  haben  eigene  Pensionskassen, 
deren  Mitgliedschaft  obligatorisch  ist. 

c)  Einrichtungen  für  Arbeiter. 

Krankenversicherungsgesetz  in  Deutschland  vom 
15.  Juni  1883.  Nach  diesem  Gesetz  sind  in  Deutschland  die  Ar- 
beiter des  Eisenbahnbetriebes  gegen  Krankheit  versichert.  Sie  erhalten 
im  Krankheitsfalle  freie  ärztliche  Behandlung  für  sich  und  ihre  Ange- 
hörige, Arznei,  Brillen,  Bruchbänder  u.  s.  w.,  außerdem  im  Falle  der 
Erwerbsunfähigkeit  ein  Krankengeld  in  Höhe  der  Hälfte  ihres  Tage 
lohnes.  Diese  Leistungen  werden  gewährt  aus  Beiträgen  der  Arbeiter 
(gewöhnlich  2  Proz.  des  Tagelohns)  und  aus  Beiträgen  der  Verwaltungen 
(die  Hälfte  der  Arbeiterbeträge).  Auch  dieses  Gesetz  hat  sich  bis  jetzt 
segensreich  bewährt  und  viel  dazu  beigetragen  den  Eisenbahnver- 
waltungen einen  kräftigen  und  geordneten  Arbeiterstand  zu  erhalten. 
Andere  Länder,  wie  Oester reich  und  die  Schweiz,  haben  ähnliche 
Gesetze  erlassen. 

Im  Jahre  1893  betrug  die  Zahl  sämtlicher  Arbeiter  an  den  preußischen 
Staatsbahnen  durchschnittlich  190016,  die  Einnahmen  sämtlicher  Eisen- 
bahnkrankenkassen 4920  237  M.,  die  Ausgaben  5  003  797  M. 

Unfallversicherungsgesetz  vom  6.  Juli  1884. 

Nach  diesem  Gesetz  sind  alle  im  Eisenbahnbetrieb  beschäftigten 
Arbeiter,  also  auch  die  Streckenarbeiter,  Bremsarbeiter,  Hilfsheizer, 
Hilfsweichensteller,  Putzer  sowie  die  Arbeiter  in  den  Werkstätten  gegen 
die  Folgen  der  im  Betriebe  sich  ereignenden  Unfälle  versichert.  Der 
Schadenersatz  besteht  im  Falle  der  Verletzung:  1)  in  den  Kosten 
des  Heilverfahrens,  welche  vom  Beginn  der  14.  Woche  nach  Eintritt 
des  Unfalls  entstehen,  2)  in  einer  dem  Verletzten  vom  Beginn  der 
14.  Woche  nach  Eintritt  des  Unfalls  an  für  die  Dauer  der  Erwerbs- 
unfähigkeit zu  gewährenden  Rente. 

Die  Rente  beträgt  im  Falle  völliger  Erwerbsunfähigkeit  für  die 
Dauer  derselben  66  2/3  Proz.  des  Arbeitsverdienstes;  im  Falle  teil- 
weiser Erwerbsunfähigkeit  für  die  Dauer  derselben  einen  Bruchteil  der 
Rente,  welcher  nach  dem  Maße  der  verbliebenen  Erwerbsfähigkeit  zu 
bemessen  ist. 

Die  Rente  ist  nach  Maßgabe  des  Arbeitsverdienstes  während  des 
letzten  Jahres  zu  berechnen.  Im  Falle  der  Tötung  ist  als  Schaden- 
ersatz zu  leisten  das  Zwanzigfache  des  täglichen  Arbeitsverdienstes  als 
Beerdigungskosten,    sowie    eine   den  Hinterbliebenen    des    Getöteten    vom 

57 


294  BRAEHMER, 

Todestage  an  zu  gewährende  Rente.  Dieselbe  beträgt  für  die  Witwe 
20  Proz.,  für  jedes  'Kind  bis  zum  15.  Lebensjahr  15  Proz.,  für  Ascen- 
denten  des  Verstorbenen ,  wenn  dieser  ihr  einziger  Ernährer  war, 
20  Proz. 

Nach  diesem  Gesetz  zahlten  die  preußischen  Staatsbahnen  im  Jahre 
1891/92  bis  2921695  Mk.,  im  Jahre  1892/93  bis  3  332011  Mk.  für  Be- 
triebsunfälle. 

Invaliditäts-  und  Altersversicherungsgesetz  vom 
22.  Juni  1889. 

Dasselbe  unterwirft  die  im  Eisenbahnbetriebe  und  in  den  Eisen- 
bahnwerkstätten beschäftigten  Arbeiter  der  Versicherung  gegen  In- 
validität und  Alter.  Die  Altersrente  tritt  mit  dem  70.  Jahre  ein  und 
wird  gezahlt,  auch  wenn  der  Empfänger  seine  Arbeit  noch  vollständig 
auszuführen  im  Stande  ist.  Nimmt  die  Leistungsfähigkeit  ab,  so  kann 
der  Lohn  um  die  Höhe  der  Rente  gekürzt  werden. 

Die  Rente  ist  keine  hohe  und  genügt  nicht  zum  Leben,  dafür  hat 
sie  den  Vorzug,  keine  Unterstützung  zu  sein,  sondern  eine  rechtliche 
Forderung. 

15.  Betrieb  und  Leitung  der  Eisenbahn. 

Die  einzelnen  von  uns  besprochenen  Betriebsmittel  durch  das 
Personal  in  Thätigkeit  zu  setzen,  zu  lebendiger  Wirkung  zu  entfalten, 
ist  die  Aufgabe  des  Betriebes  und  der  Betriebsleitung. 

Eine  Eisenbahn  ist  eine  öffentliche  Verkehrsa astalt  in  großem 
Maßstabe.  Ihre  Verwaltung  erfordert  kaufmännische,  technische  und 
juristische  Kenntnisse,  die  sich  niemals  in  einer  Person  in  hinreichendem 
Maße  vereinigen  lassen.  Sie  muß  daher  naturgemäß  eine  kollegiale  sein 
und  sich  zusammensetzen  aus  3  verschiedenartig  vorgebildeten  Elementen : 
einem  technischen,  welches  für  das  Vorhandensein  guter  und  zweck- 
mäßiger Betriebsmittel  sorgt,  einem  kaufmännischen,  welches  die 
Benutzung  der  Betriebsmittel  durch  Personen  und  Güter  regelt,  und 
einem  juristischen,  welches  dafür  sorgt,  daß  die  beiden  anderen 
Elemente  gesetzmäßig  verfahren,  und  daß  der  Anstalt  kein  Unrecht 
geschieht.  Selbstverständlich  muß  das  Kollegium  getragen  werden  von 
einem  Vorsitzenden,  der  reife  Erfahrung  mit  weitem  Blick  verbindet. 

Die  ersten  Eisenbahnen  wurden  von  Privatgesellschaften  gebaut. 
Erst  als  einzelne  Staaten  selbst  Bahnen  bauten  und  die  Verwaltung  von 
Bahnen  übernahmen,  wurde  in  höchster  Instanz  die  Verwaltung  einem 
Ministerium  unterstellt.  Ohne  auf  die  Vorzüge  und  Nachteile  der 
Staats-  und  Privatbahnen  einzugehen,  kann  es  für  ausgemacht 
gelten,  daß  den  hygienischen  Maßnahmen  bei  den  Staatsbahnen  eine 
größere  Berücksichtigung  und  eine  mehr  einheitliche  Sorgfalt  zugewendet 
wird  als  bei  den  Privatbahnen. 

Unter  der  Centralbehörde,  welche  allgemein  giltige  Anord- 
nungen giebt,  fungieren  als  größere  Verwaltungsbezirke  Direktionen 
oder  Bahnämter,  welche  das  ausführende  Element  bilden.  Denselben 
steht ,  um  die  Betriebsmittel  ins  Leben  treten  zu  lassen,  ein  großer 
Beamtenapparat  zur  Verfügung,  den  man  im  allgemeinen  einteilt 
in  Bureaubeamte  und  Beamte  des  äußeren  Betriebs.  Für  uns  kommen 
hauptsächlich  nur  die  letzteren  in  Betracht. 

Die  Beamten  des  äußeren  Dienstes  haben  eine  vier- 
fache Aufgabe: 

58 


Eisenbahnhygiene.  295 

1)  Beschaffung  der  Zugkraft,  Zugbeförderungsdienst.  Den- 
selben führen  aus:  Lokomotivführer  und  Heizer. 

2)  Ueberwachung  und  Besorgung  des  Personentrans- 
portes, Zugbegleitungsdienst.  Hierzu  gehören  Zugführer,  Pack- 
meister,  Schaffner,  Bremser,  Putzer,  Revisoren. 

3)  Stationsdienst,  Stationsvorstände,  Rangiermeister,  Weichen- 
steller, Billeteure,  Expedienten  u.  s.  w. 

4)  Bahnbewachungs-  und  Bahnerhaltungsdienst.  Den- 
selben führen  unter  den  Oberingenieuren  aus:  die  Bahnmeister, 
Bahnwärter,  Nachtwächter  u.  s.  w. 

Außer  diesen  4  Kategorien  sind  noch  zu  erwähnen  der  Güterab- 
fertigungsdienst und  der  Werkstättendienst.  Beide  gehören 
nicht  eigentlich  zum  äußeren  Betriebe.  Ein  weiteres  Eingehen  auf  den 
Mechanismus  des  Betriebes  würde  den  Rahmen  der  vorliegenden  Schrift 
überschreiten.  Wir  haben  es  nur  für  nützlich  gehalten ,  für  unsere 
spätere  Ausführung  zu  zeigen,  in  welchen  Beamtenklassen  der  Betrieb 
und  die  Sicherheit  des  Betriebes  hauptsächlich  ruhen. 

Welchen  Umfang  dieser  Verwaltungsapparat  hat,  geht  daraus  hervor, 
daß  bei  den  preußischen  Staatsbahnen  im  Jahre  1892  :  100  916  Beamte, 
95,375  Betriebsarbeiter,  54  487  Streckenarbeiter,  41939  Werkstätten- 
arbeiter angestellt  waren.  Die  Summe  der  unter  dem  Minister  in 
Preußen  stehenden  Eisenbahnarmee  beträgt  also  nahezu  300000  Mann. 
Die  Summe  der  Eisenbahnbediensteten  der  ganzen  Welt  beträgt  schätzungs- 
weise gegen  4  Millionen. 

Die  Organisation  eines  solchen  Beamtenapparates 
ist  nicht  nur  durch  ihre  Größe,  sondern  auch  durch  die  Ansprüche, 
die  man  an  Pflichttreue,  Mut  und  Entschlossenheit  der  einzelnen  stellt, 
sowie  durch  die  Gefahren  annähernd  einer  Armeeverwaltung  zu  ver- 
gleichen. 

Während  die  Armeen  jedoch  überall  Aerzte  in  ihren  eigenen 
Reihen  bis  zu  den  höchsten  Stellen  hinauf  bestellen,  welche  nicht  nur 
kranke  und  verwundete  Soldaten  heilen,  sondern  durch  Maßnahmen 
der  Gesundheitspflege  ihre  Schlagfertigkeit  und  Sicherheit  erhöhen  sollen, 
haben  die  Eisenbahnverwaltungen  hiervon  bis  jetzt  nur  in  beschränktem 
Maße  Gebrauch  gemacht.  Welche  Vorteile  würden  ihnen  erwachsen, 
welche  Ersparnisse  an  Entschädigungen  für  Verunglückte,  an  Pensionen 
für  Abgenutzte,  an  Material,  wie  viel  größer  würde  die  Sicherheit  für  Leib 
und  Leben  der  Reisenden  und  Beamten  sein ,  wenn  Aerzte  als  be- 
ratende Mitglieder  in  der  Verwaltung  säßen!  In  dieser  Erkenntnis  haben 
ja  bereits  eine  große  Anzahl  Staaten  und  Privatgesellschaften  Aerzte 
in  den  Direktionen  angestellt.  Wir  müssen  aber  fordern,  daß  diese 
Anstellung  überall  durchgeführt  wird,  und  werden  die  Notwendigkeit 
einer  solchen  in  dem  Kapitel  über  die  Organisation  des  bahnärztlichen 
Dienstes  begründen  (S.  307). 

Wenn  die  am  1.  April  1895  stattgehabte  Umgestaltung  der  preußischen 
Staatseisenbahnen  zum  Teil  durch  Ersparnisrücksichten  hervorgerufen 
worden  ist,  so  waren  doch,  in  erster  Linie  Rücksichten  auf  eine  bessere 
und  einfachere  Gestaltung  des  Betriebes  bestimmend.  Man  wollte  durch 
die  Abschaffung  der  Betriebsämter,  welchen  mit  ihrem  großen  Beamten- 
apparat bis  dahin  die  Ausführung  des  ganzen  Betriebes  oblag,  un- 
nötiges Schreibwerk  vermeiden   und   statt  dessen   den   einzelnen  prak- 

59 


296  BRAEHMER, 

tischen  Beamten  zu  einer  größeren  selbständigen  Thätigkeit  heranziehen 
und  ihm  eine  größere  Verantwortlichkeit  auferlegen.  Wie  weit  diese 
Absicht  durch  die  Neuorganisation  erreicht  wird,  läßt  sich  bei  dem 
kurzen  Bestehen  derselben  noch  nicht  sagen,  um  so  weniger,  da 
manche  Einrichtungen  sich  noch  in  einem  Uebergangsstadium  be- 
finden. Doch  glauben  wir  aus  den  kurzen  Erfahrungen  schon  die 
Hoffnung  entnehmen  zu  können,  daß  das  Heranziehen  des  Einzelnen  zu 
einer  selbständigeren  Thätigkeit  und  das  dadurch  erweckte  Gefühl 
einer  größeren  Verantwortlichkeit  auch  die  Sicherheit  des  Eisenbahnbe- 
triebes günstig  beeinflussen  wird.  Wie  weit  der  ärztliche  Bahndienst 
durch  die  Umgestaltung  beeinflußt  wird ,  ersehe  man  aus  dem  be- 
treffenden Kapitel  (S.  307). 

Schließlich  weisen  wir  noch  auf  eine  Institution  im  preußischen 
Staate  hin,  welche  für  UDser  ganzes  Eisenbahnwesen  von  großem  Werte 
ist:  die  Militäreisenbahn,  welche  zunächst  von  Berlin  nach  Zossen 
geht,  demnächst  aber  bis  Jüterbok  verlängert  werden  soll.  Dieselbe 
untersteht  nicht  nur  dem  Kriegsminister,  sondern  auch  dem  Minister 
der  öffentlichen  Arbeiten.  Sie  befördert  täglich  je  3  Züge  nach  beiden 
Richtungen  zur  Benutzung  für  jedermann  und  unterliegt  denselben  Ge- 
setzen wie  die  übrigen  Eisenbahnen.  Das  ganze  Stations-  und  Fahrpersonal 
besteht  aus  Soldaten :  die  Bahnhofsvorsteher  sind  Offiziere,  die  Lokomotiv- 
führer sind  Unteroffiziere,  die  Bahnwärter  Gefreite  u.  s.  w.  Der  Wert 
dieser  Einrichtung  ist  abgesehen  von  seiner  militärischen  Bedeutung 
ein  doppelter:  erstens  gehen  aus  dem  Eisenbahnregiment  gute  und  zu- 
verlässige Eisenbahnbeamte  hervor,  zweitens  wird  hier  eine  gute  Ge- 
legenheit gegeben  und  benutzt,  um  neue  Erfindungen  auf  dem  Gebiete 
des  Eisenbahnwesens  zu  prüfen. 

b)  Sanitäre  Bedingungen  seitens  des  Eisenbahnpersonals. 

Keinen  geringeren  Einfluß  als  die  Beschaffenheit  der  Betriebsmittel 
und  die  Ausführung  des  Betriebes  hat  auf  Leben  und  Gesundheit  der 
Eisenbahnreisenden  die  Gesundheit  und  Leistungsfähigkeit  des  Personals. 
Es  giebt  kaum  eine  Berufsklasse,  in  deren  Hand  das  Wohl  und  Wehe 
so  vieler  Menschen  liegen  kann,  wie  das  Betriebspersonal  der  Eisen- 
bahn. Die  wenigsten  von  den  Hunderttausenden,  welche  täglich  auf  der 
Bahn  fahren,  machen  sich  diese  Abhängigkeit  klar.  Vielmehr  denken 
sich  die  Meisten  den  Mechanismus  des  Betriebes  so  fest  ineinander  ge- 
fügt und  die  Betriebsmittel  so  vollkommen,  daß  sie  kaum  glauben,  die 
Sicherheit  eines  Eisenbahnzuges  könne  von  dem  Fehler  eines  Menschen 
abhängig  sein.  Und  doch  ist  dem  so.  Wie  der  kleinste  Fehler  an  einer 
wohleingerichteten  Maschine  die  empfindlichste  Störung  verursachen 
kann,  so  kann  auch  ein  Fehler  eines  Eisenbahnbeamten  die  schwersten 
Folgen  herbeiführen,  auch  wenn  alle  übrigen  ihre  Pflicht  thun. 

Doch  nicht  nur  die  Sicherheit  der  Eisenbahnzüge  kann  der  Be- 
triebsbeamte gefährden,  sondern  er  kann  auch  durch  mangelhafte  Beauf- 
sichtigung und  Ausführung  hygienischer  Maßnahmen,  die  in  seine  Hand 
gelegt  sind,  Gefahren  für  die  Gesundheit  der  Reisenden  herbeiführen. 
Was  nützen  die  Vorschriften  über  Heizung,  Ventilation,  zweckmäßige 
Verteilung  der  Plätze,  wenn  Zugführer  und  Schaffner  dieselben  nicht 
überwachen,  wenn  ein  Wagen  bis  auf  den  letzten  Platz  angefüllt  wird, 
während  ein  anderer  leer  bleibt  u.  s.  w. 

6o 


Eisenbahnhygiene.  297 

Es  sind  ja  nicht  alle  Dienstzweige  des  äußeren  Betriebes  von  gleicher 
Bedeutung  für  die  Sicherheit  und  Gesundheit  der  Reisenden ;  die  einen 
können  durch  die  ihnen  zugewiesenen  Funktionen  größeren  Schaden  an- 
richten als  andere.  Diejenigen  Klassen  der  Beamten,  welche 
durch  die  Art  ihres  Berufes  eine  besonders  große  Verant- 
wortung tragen  und  am  meisten  schaden  können,  sind  die 
Lokomotivführer,  Weichensteller,  Bahnwärter,  Stations- 
beamte,  Zugführer,  Schaffner,  Bremser.  Von  allen  diesen 
Beamten  wird  eine  solche  Verantwortung,  Spannkraft,  Aufmerksamkeit 
verlangt,  daß  nur  eine  vollkommene  Gesundheit  des  Körpers  und  Geistes 
eine  volle  Gewähr  für  die  Erfüllung  derselben  bietet.  Aber  auch  die 
wenigen  anderen  Dienstzweige  des  äußeren  Betriebes  verlangen  vollständige 
körperliche  und  geistige  Gesundheit.  Geringere  gesundheitliche  Anfor- 
derungen sind  zu  stellen  im  inneren  Eisenbahndienst  an  Bureau-,  Kassen-, 
Kanzleibeamte,  Telegraphisten,  Materialienverwalter.  Ihre  Untersuchung 
geschieht  hauptsächlich  aus  dem  Grunde,  um  nicht  kränkliche,  frühzeitig 
in  den  Ruhestand  tretende  Beamte  aufzunehmen. 

Die  Beamten  des  äußeren  Betriebes  müssen  demnach 
bei  der  Anstellung  auf  ihre  Gesundheit  hin  untersucht 
werden,  es  muß  ihre  Gesundheit  während  der  Dienstzeit  beaufsichtigt 
und  gepflegt  werden,  im  Falle  nicht  mehr  ausreichender  Gesundheit 
muß  rechtzeitig  die  Pensionierung  oder  wenigstens  Enthebung  von  einer 
verantwortungsvollen  Stelle  eintreten. 

1.  Die  Anstellung. 

Die  meisten  Eisenbahnverwaltungen,  wenigstens  auf  dem  Kontinent, 
haben  frühzeitig  die  ärztliche  Untersuchung  vor  der  Anstellung  einge- 
führt und  besitzen  jetzt  Formulare,  welche  die  Punkte,  auf  die  es  an- 
kommt, enthalten.  Das  durch  Ministerialverordnung  bei  allen  preußischen 
Bahnen  eingeführte  Formular  lautet: 

Aerztliches   Zeugnis 

über  den   Gesundheitszustand  des    

aus  behufs  Entscheidung  der  Frage  über  dessen  körper- 
liche Brauchbarkeit  zur  Uebernahme  einer  Beamtenstelle  im  Bezirk  der  Königlichen 

Eisenbahndirektion  zu  ,  ausgestellt  vom  Bahnarzte 

Dr.  med in  

1.  Für  welchen  Dienstzweig  bewirbt  sich  die  betreffende  Person  ?  (Siehe  No.  19,  20.) 

2.  a)  Wie  lange  kennen  Sie  die  Person  ? 

b)  Haben  Sie   dieselbe   bereits   früher  längere  Zeit   behandelt   und   an  welcher 
Krankheit  ? 

3.  a)  Hat  der  Untersuchte  beim  Militär  gedient? 

Wenn  nicht: 
b)  Ist  er  der  Ersatzreserve  I.  Klasse  überwiesen  und  hierbei  als  übungspflichtig 
ausgewählt?    Oder  ist  er  der  Ersatzreserve  IL  Klasse  überwiesen?    Oder  als 
dauernd  untauglich  zum  Dienst   und    weshalb  befunden?    Oder  ist  die  end- 
giltige  Entscheidung  über  die  Militärdienstpflicht  noch  ausgesetzt? 
(Nach  Angabe  des  Untersuchten.) 

4.  Ist  die  Entlassung  vom  Militär  infolge  einer  Erkrankung  oder  einer  Verletzung 
erfolgt  ? 

Und  welcher? 

(Nach  Angabe  des  Untersuchten.    Militäranwärter  haben  dem  Arzte  diejenigen 
in  ihrem  Besitze  befindlichen  Militärpapiere  vorzulegen,   aus  denen  hervorgeht 

6i 


298  BRAEHMER, 

welche  Gründe  für  die  Entlassung  aus  dem  Militärdienste  bez.  für  die  Invalidi- 
tätserklärung  maßgebend  gewesen  sind.)] 

5.  Hat  der  Untersuchte  bereits   früher  an  einer  erheblichen  Krankheit  oder  Ver- 
letzung gelitten  ? 

An  welcher?  und  in  welcher  Zeit? 
(Nach  Angabe  des  Untersuchten.) 

6.  a)  Länge  des  Körpers  (in  Centimetern :) 

b)  Umfang  des  Brustkorbes. 

c)  Wie  ist  der  Knochenbau? 

d)  Wie  ist  die  Muskulatur? 

7.  a)  Entspricht  der  Gesamteindruck  dem  angegebenen  Alter  von  Jahren  ? 

b)  Und  sind  diesem  die  Körperkräfte  angemessen? 

8.  a)  Wie  ist  der  Bau  der  Brust? 

b)  Sind  die  Brustorgane  gesund?  anderenfalls  welche  Mängel  hegen  vor? 

9.  a)  Wie  ist  die  Beschaffenheit  der  Stimme? 
b)  Ist  die  Sprache  leicht  verständlich  ? 

10.  a)  Wie  verhalten  sich  Leber  und  Milz? 

b)  Sind  die  Drüsen  vergrößert  und  beim  Drucke  schmerzhaft? 

11.  a)  Wie  ist  der  Zustand  des  Gehörs  ? 

b)  Kann  einer  Unterhaltung,  welche  ohne  Anstrengung  der  Stimme  geführt  wird, 
mit  abgewendetem  Gesicht  gefolgt  werden? 

c)  Kann  die  Flüstersprache  auf  7  Meter  Entfernung  mit  jedem  Ohre  verstanden 
werden  ? 

12.  a)  Wie  ist  die  Sehschärfe  der  Augen  ? 

b)  Können  insbesondere  die  auf  der  vierten  Seite  dieses  Zeugnisses  abgedruckten 
Buchstaben  ohne  Brille  auf  3  Meter  (10  Fuß)  Entfernung  gelesen  werden? 
(Erfordernis  für  den  äußeren  Dienst  No.  20.) 

c)  Kann  gewöhnliche  Druckschrift  in  der  Größe  der  vorstehenden  Fragen  auf 
47  Centimeter  (18  Zoll)  Entfernung  gelesen  werden?  (Hierbei  ist  der  Ge- 
brauch der  Brille,  die  gewohnheitsmäßig  getragen  wird,  statthaft.)  (Erfordernis 
für  den  inneren  Dienst  No.  19.) 

d)  Können  Farben,  namentlich  Kot  und  Grün,  unterschieden  werden  ?  *) 

e)  Zeigen  sich  Spuren  überstandener  Augenkrankheiten? 

f )  Sind  sonst  Abweichungen  von  einem  ungeschwächten  Sehvermögen  vorhanden  ? 

13.  a)  Finden  sich  an  den  Gliedmaßen  Mängel  oder  Gebrechen? 

b)  Sind  Knochen  auftreibungen  oder  Verkrümmungen  vorhanden? 

c)  Sind  dies  Folgen  einer  früheren  Beschädigung? 

d)  Hemmen  dieselben  die  Brauchbarkeit  des  betreffenden  Gliedes? 

14.  Ist  eine  auffallende,  entstellende  oder  ansteckende  Krankheit  vorhanden  ? 

15.  a)  Ist  Epilepsie  oder  eine  andere  Nervenkrankheit  zu  vermuten? 
b)  Werden  sie  vom  Untersuchten  in  Abrede  gestellt? 

16.  Sind  Unterleibsbrüche  vorhanden?  und  von  welcher  Art?  (Hindernis  für  den 
Dienst  als  Bremser,  Schaffner,  Zugführer,  Lokomotivbeamter,  Weichensteller, 
Bahnwärter.) 

17.  Sind  bedeutende  Krampfadern  (Varices)  oder  Unterschenkelgeschwüre  vorhanden  ? 
(Hindernis  für  den  äußeren  Dienst  No.  20.) 

18.  Findet  sich  Veranlassung  zu  sonstigen  Bemerkungen  über  den  Körper-  und 
Geisteszustand  ? 

19.  Eignet  sich  der  Untersuchte  demnach  zum  inneren  Eisenbahndienst,  als  Bureau-, 
Kassen-,  Kanzleibeamter,  Telegraphist,  Materialienverwalter? 

20.  Eignet  sich  derselbe  zum  äußeren  Dienst : 

a)  für  die  unteren  Stellen  als :  Lokomotivheizer,  Maschinenwärter,  Bremser, 
Schaffner,  Bahnwärter,  Weichensteller,  Magazinaufseher,  Lademeister,  Bangier- 
meister,  Wagenmeister,  Portier,  Wächter  ? 

b)  für  die  mittleren  Stellen  als :  Stations-  und  Abfertigungsbeamter ,  Bahn- 
meister ? 

Der  Untersuchte  versichert  hierdurch,  die  an  ihn  gestellten  Fragen  wahrheits- 
getreu beantwortet  und  wissentlich  nichts  verschwiegen  zu  haben,  was  für  die  Be- 
urteilung seines  Gesundheitszustandes  von  Wichtigkeit  ist. 

,  den  *?E 18 


*)  Die  Untersuchung  auf  diese  Frage  kann  durch  Vorlegung  verschiedenfarbiger  Woll- 
fäden erfolgen.  (Wird  eine  andere  Art  der  Untersuchung  angewandt,  so  ist  die- 
selbe anzugeben.) 

62 


Eisenbahnhygiene.  299 

Daß  ich  vorstehendes  Zeugnis  meiner  ärztlichen  Ueberzeugung  und  Amtspflicht 
gemäß  ausgestellt  habe,  versichere  ich  hiermit. 

,  den  t«; 18 

Der  Bahnarzt 


suiaxeginptt 

Das  vorgedruckte  Formular  ist  allmählich  durch  Zusätze  und  Ver- 
besserungen entstanden.  Eine  weitere  Aenderung  steht  in  Aussicht, 
nachdem  der  Minister  eine  Kommission  zur  Aufstellung  neuer  Anforderungen 
an  die  Sehschärfe  ernannt  hat.  Betreffs  der  letzteren  sollen  die  Beamten 
mit  Rücksicht  auf  ihre  Dienstverrichtung  in  3  Gruppen  geteilt  werden, 
von  denen  die  erste  mindestens  2/3  auf  jedem  Auge,  die  zweite  2/3  und 
l/2,  die  dritte  ]/2  und  1/6  Sehschärfe  besitzen  soll.  Auch  über  das 
Brillentragen  und  die  Untersuchungsmethoden  werden  neue  Bestimmungen 
getroffen  werden. 

Vorstehendes  Formular  gilt  für  alle  Beamte,  sowohl  die  des  äußeren 
als  die  des  inneren  Betriebes,  und  macht  nur  in  wenigen  Punkten  einen 
Unterschied  zwischen  den  beiden  Beamtenkategorien.  Die  Annahme 
oder  Ablehnung  eines  Untersuchten  liegt  in  der  Hand  des  Arztes,  ver- 
langt aber  eine  auch  der  Verwaltung  verständliche  Begründung.  Zur 
Ausstellung  giltiger  Aufnahmeatteste  sind  in  Preußen  jetzt  nur  die  Bahn- 
ärzte berechtigt,  womit  anerkannt  ist,  daß  ohne  Vertrautsein  mit  den 
einzelnen  Dienstzweigen  ein  richtiges  Urteil  sich  nicht  abgeben  läßt. 

Das  Bahnpolizeireglement  für  die  Eisenbahnen  im  Norddeutschen 
Bunde  von  1870  schreibt  vor,  daß  die  zur  Ausführung  der  Bahnpolizei 
berufenen  Beamten  die  zu  ihrem  Dienst  erforderlichen  Eigenschaften 
besitzen  sollen.  Erst  am  12.  Juni  1876  erfolgten  Bestimmungen  des 
Bundesrates  über  die  körperliche  Befähigung  von  Bahn- 
polizeibeamten und  Lokomotivführern,  worin  u.  a.  die  Er- 
füllung der  nachstehend  bezeichneten  Vorbedingungen  erforderlich 
erachtet  wurde: 

Für  Nachtwächter  körperliche  Rüstigkeit. 

Für  Portiers  und  Perrondiener  relative  körperliche  Rüstigkeit. 

Für  Bremser  und  Schmierer,  Rangiermeister,  Schaffner,  Packmeister, 
Zugführer  körperliche  Gewandtheit  und  Rüstigkeit,  namentlich  normales 
Hör-  und  Sehvermögen. 

Für  Bahnwärter,  Weichensteller,  Bahnmeister,  Stationsaufseher,  As- 
sistenten und  Lokomotivführer  körperliche  Rüstigkeit,  namentlich  normales 
Hör-  und  Sehvermögen. 

Diese  Bestimmungen  wurden  von  dem  preußischen  Eisenbahnminister 
im  Jahre  1878  nur  als  Mindestforderungen  hingestellt,  über  welche  hinaus 
höhere  Anforderungen  zu  stellen  nicht  ausgeschlossen  sei. 

Die  hier  gemachten  Unterschiede  können  nur  den  Zweck  haben,  den 
Aerzten  einen  gewissen  Maßstab  für  die  Beurteilung  zu  geben,  im  übrigen 
werden  dieselben  selbständig  und  unabhängig  wissen,  was  sie  der  Sicher- 

63 


300  BRAEHMER, 

heit  des  Betriebes  schuldig  sind,  und  bei  allen  genannten  Kategorien  die 
strengsten  Anforderungen  stellen.  Sie  werden  sich  in  diesem  Bestreben 
aucb  nicht  irre  machen  lassen  durch  den  Ministerialerlaß  vom  8.  Juli 
1872,  in  welchem  auf  eine  vom  Kriegsminister  ausgesprochene  Befürch- 
tung hin  die  Eisenbahndirektionen  veranlaßt  werden,  die  Invalidität  der 
Militäranwärter  nicht  etwa  von  vornherein  als  eine  die  körperliche  Quali- 
fikation des  Anwärters  und  dessen  Anstellungsfähigkeit  überhaupt  negie- 
rende Eigenschaft  anzusehen,  sondern  auf  Grund  ärztlicher  Untersuchung 
genau  prüfen ,  ob  der  Betreffende  für  den  Eisenbahndienst  überhaupt 
untauglich,  oder  ob  nicht  etwa  seine  Verwendung  in  einzelnen  Dienst- 
zweigen zulässig  ist.  Bei  allem  "Wohlwollen  für  das  Institut  der  Civil- 
versorgung  unserer  Krieger  haben  die  Bahnärzte  ihr  Auge  zunächst  nur 
auf  die  Sicherheit  des  Betriebes  zu  lenken.  Militäranwärter  mit  irgend 
welchen  Gebrechen  können  nur  im  inneren  Eisenbahndienst  angestellt 
werden. 

Ein  weiteres  Eingehen*)  auf  die  einzelnen  Fragen  des  Formulars 
gestattet  der  zur  Verfügung  stehende  Raum  nicht.  Es  sei  deshalb  nur 
auf  die  unten  (S.  307)  angegebene  Litteratur  verwiesen. 

2.  Erhaltung  und  Pflege  des  Eisenbahnpersonals. 

Auch  in  diesem  Abschnitte  werden  wir  nur  die  Zweige  des  äußeren 
Betriebes,  welche  für  die  Sicherheit  in  Frage  kommen,  in  unsere  Be- 
trachtung ziehen ;  in  erster  Linie  die  Maschinen-  und  Fahrbeamten, 
welche  den  Schädlichkeiten,  die  ihre  Leistungsfähigkeit  in  Frage  stellen 
können,  am  meisten  ausgesetzt  sind.  Wir  haben  zu  erörtern  ihr  Ein- 
kommen, Wohnung  und  Kleidung,  Einteilung  der  Dienstzeit,  Urlaub, 
Verpflegung  während  der  Fahrt,  Unterkunfts-  und  Uebernachtungsräume. 

a)    Einkommen. 

Nach  dem  preußischen  Staatshaushaltsetat  für  das  Jahr  1893—1894 
stellte  sich  die  Besoldung  der  Eisenbahnbeamten  folgendermaßen : 

Stations-  und  Streckenpersonal. 

Stationsvorsteher  1.  Klasse 2100 — 3200 

„  2.       „         1800—2600 

Stationsaufseher,   Stationsassistenten-   und  Schiffs- 
kapitäne 2.  Klasse 1500 — 2200 

Telegraphisten 1 200  —  1 800 

Eangier-  und  Wagenmeister 1200 — 1600 

Weichensteller  1.  Klasse 1000 — 1500 

Portiers  ,    Billetschaffner ,    Weichensteller ,    Krahn- 

meister  etc 800 — 1200 

Bahnmeister  1.  Klasse      1800 — 2600 

Bahnmeister 1500 — 2100 

Telegraphenaufseher      1500 — 2100 

Bahn-  und  Krahnwärter,  sowie  Nachtwächter      .    .  700—900 

18821  Beamte  erhalten  Dienstwohnung 
Staatskassen-Bendan ten-  und  Güterexpeditons -Vor- 
steher      •   .  2400  -3200 

Stationseinnehmer  und  Güterexpedienten 1800—2600 

Lademeister 1200  — 1800 

Lokomotivführer,  Schiffsmaschinisten,  Maschinisten  1200—2000 

Lokomotivheizer,  Maschinenwärter,  Trajektheizer  etc.  1000— 1 500 

*)  Wird  in  einem  zweiten  nur  für  Aerzte  geschriebenen  Buche  geschehen. 

64 


Eisenbahnliygiene.  301 

Zugführer  und  Steuerleute 1 100—1500 

Packmeister 1100 — 1500 

Schaffner 800  —  1200 

Bremser  und  Matrosen 800—1200 

Werkstättenvorsteher 2100 — 3600 

Werkmeister 1800 — 2600 

Werkführer 1200 — 1600 

Materialienvcrwalter  1.  Klasse 2100 — 3000 

„                  2.  Klasse 1500 — 2200 

Magazinaufseher 1000 — 1500 

2077  Beamte  erhalten  Dienstwohnimg. 

Außerdem  erhalten  sämtliche  Dienstzweige  Wohnungszuschuß  und, 
das  Fahrpersonal  Meilengelder,  Prämien  für  Material-Ersparnisse  u.  s.  w. 
•die  in  einem  bestimmten  Betrage  (250 — 350  M.)  bei  der  Bemessung 
der  Pensionsquote  zum  Gehaltsatze  hinzutreten. 

Nach  unserer  Erfahrung  genügen  die  obigen  Gehaltssätze,  die 
allerdings  den  Gehältern  anderer  Berufsarten  mit  gleicher  Vorbildung 
entsprechen,  nicht,  um  in  schweren  Zeiten  eine  absolute  Sorglosigkeit 
zu  gewährleisten.  Sorglos  muß  das  Leben  der  Männer  sein,  von  deren 
Spannkraft  die  Sicherheit  des  Betriebes  abhängt. 

b)  Wohnung. 

(Vergl.   dies.  Handb.  4.   Bd.  850/.) 

Damit  der  Beamte  seine  Ruhepause  möglichst  unverkürzt  genießen 
kann,  ist  es  nötig,  daß  derselbe  nicht  allzu  weit  vom  Bahnhofe  entfernt 
wohne.  Die  Behörden  sollten  daher  überall  Bestimmungen  treffen,  daß 
eine  gewisse  Entfernung ,  etwa  1  km ,  nicht  überschritten  werden 
dürfte.  Diesem  Wunsche  wird  in  großen  Städten  vielfach  dadurch 
Rechnung  getragen,  daß  die  Verwaltungen  Häuser  mit  Dienstwohnungen 
für  das  Fahrpersonal  besitzen. 

Die  Wohnungen  der  Beamten  müssen  gesund  und  ruhig  gelegen 
sein.  Das  beste  und  größte  Zimmer  muß  Schlafzimmer  sein.  Die  Dienst- 
wohnhäuser liegen  leider  häufig  in  unmittelbarer  Nähe  der  Bahnhöfe, 
Werkstätten  und  Gasanstalten.  Namentlich  die  Anstalten,  in  denen 
das  Oelgas  bereitet  wird,  liefern  so  übelriechende  und  gefährliche 
Ausdünstungen,  daß  sie  die  Gesundheit  der  in  der  Nähe  Wohnenden 
wohl  zu  schädigen  imstande  sind.  Unter  Abstellung  dieser  Uebelstände 
üben  die  Dienstwohnhäuser  eine  wohlthuende  Wirkung  auf  den  Betrieb 
aus,  fördern  das  Gefühl  der  Zusammengehörigkeit  und  das  Pflicht- 
bewußtsein der  Beamten. 

c)  Kleidung. 

(Vergl.  dies.  Handb.   1.  Bd.  361  ß.) 

Die  Beamten  des  äußeren  Dienstes  tragen  überall,  soweit  sie  dienst- 
lich mit  dem  Publikum  in  Berührung  kommen,  Uniform.  Im  Sommer 
sind  joppenartige  Dienströcke  von  leichterem  Stoff  gestattet,  eine 
Einrichtung,  von  der  mit  Recht  vielfach  Gebrauch  gemacht  wird.  Im 
Winter  wurden  früher  Pelze  von  den  Uniformverwaltungen  dienstlich 
geliefert ;  seit  einigen  Jahren  ist  man  davon  zurückgekommen  und  stellt 
die  Anschaffung  eines  Pelzes  in  das  Belieben  der  Beamten.  Zur  Er- 
Handbuch der  Hygiene.    Bd.  VI.  20 

°5 


302  BRAEHMER, 

leichterung  der  Anschaffung  besteht  bei  jeder  Verwaltung  eine  obliga- 
torische Kleiderkasse,  welche  die  Uniform  liefert. 

Vom  hygienischen  Standpunkte  aus  ist  zu  verlangen,  daß  die  Uni- 
formen den  Witterungsverhältnissen  Rechnung  tragen  und  daß  sie  keinen 
Augenblick  die  Gewandtheit  beeinträchtigen.  Am  besten  empfehlen  sich 
joppenartige  Röcke,  nicht  mit  stehenden,  sondern  mit  umgelegten  Kragen, 
leichte  Mützen.  Lange  Pelze  sind  für  die  meisten  Dienstzweige  ent- 
behrlich. Sie  haben  manchen  Unglücksfall  beim  Auf-  und  Absteigen 
von  der  Maschine  oder  dem  Trittbrett  veranlaßt.  Selbst  bei  der  größten 
Kälte  werden  warme  oder  mit  Pelz  gefütterte  kurze  Mäntel  genügen. 
Dringend  wünschenswert  wären  leichte  Regenmäntel,  die  schon  auf  dem 
Gange  von  der  Wohnung  nach  den  Stationen  zu  benutzen  sind.  Das 
Tragen  von  wollenen  Hemden  ist  für  die  Fahrbeamten  äußerst  wohl- 
thuend.     Das  Schuhzeug  sei  wasserdicht,  warm  and  bequem. 

d)  Bestimmung  der  Dienstzeit. 

Die  Erhaltung  der  Leistungsfähigkeit  der  Eisenbahnbeamten  und 
die  Rücksicht  auf  die  von  ihr  abhängige  Sicherheit  des  Eisenbahnbe- 
triebes fordern,  daß  die  Dienstzeit  der  Beamten  eine  gewisse  Grenze 
nicht  überschreite.  Diese  Grenze  muß  verschieden  sein  je  nach  der 
mit  dem  betreffenden  Dienstzweige  verbundenen  Verantwortlichkeit  und 
Anstrengung. 

Jeder  Dienstzweig  im  äußeren  Eisenbahnbetrieb  ist  mit  Verant- 
wortlichkeit verbunden.  Die  größte  Verantwortung  tragen  die  L o kö- 
rn o  t  i  v  beamten,  welche  gleichzeitig  den  schädlichen  Einwirkungen  der 
Eisenbahnfahrten  am  meisten  unterliegen  und  bei  Unfällen  selbst  in 
die  größte  Gefahr  kommen ;  nächst  ihnen  das  mit  dem  Stations-, 
Signal- ,  Weichensteller-  und  Bahnbewachungsdienst  betraute  Personal 
endlich  die  Zugbegleitungsbeamten.  Nicht  zu  verkennen  ist  allerdings, 
daß  die  Fortschritte  der  Technik  (Centralweiche,  Blocksystem,  Luft- 
druckbremse u.  s.  w.)  die  Verantwortlichkeit  verschiedener  Dienstzweige 
und  die  Möglichkeit  der  Gefährdung  durch  Einzelne  wesentlich  ver- 
mindert haben. 

Auch  innerhalb  der  einzelnen  Dienstzweige  ist  die  Verantwort- 
lichkeit eine  verschiedene,  je  nachdem  der  Dienst  auf  Stationen  und 
Strecken  mit  starkem  oder  schwachem  Verkehr,  auf  Schnell-  und 
Personen  -  oder  Güterzügen ,  mit  guten ,  neuen  oder  minderwertigen 
älteren  Betriebsmitteln  ausgeübt  wird.  Wenn  nun  auch  außergewöhn- 
liche Ereignisse,  Epidemien,  Kriege  und  andere  Dinge,  welche  plötz- 
lichen, starken  Verkehr  hervorrufen,  die  Dienstzeit  nicht  immer  an  eine 
gewisse  Grenze  binden  können,  so  muß  man  doch  verlangen,  daß  diese 
Grenze  niemals  aus  einseitiger  Rücksichtnahme  auf  Ersparnis  an  Be- 
amten oder  auf  große  Ueberschüsse  überschritten  werden  darf. 

Die  aus  den  meisten  Ländern  vorliegenden  Bestimmungen  über  die 
Dienstzeit  sind  teils  nicht  ausreichend,  teils  dadurch  in  ihrem  Werte 
beschränkt,  daß  ihre  Durchführung  nicht  durch  genügende  Aufsicht  ge- 
sichert wird,  besonders  den  Privatbahnen  gegenüber. 

Die  Dauer  der  Dienstzeit  soll  betragen : 


66 


Eisenbahnhygiene.  303 

Maximum  der  ununterbro-     Minimum  der  un-    Minimum  der  dienst- 
chenen  Dienstzeit  unterbrochenen  freien    Tage    im 

in  täglichen  Rast  Monat 

Deutschland  (exkl.  Bayern)         14     Std.  8  Std.                          2  Tg. 

Frankreich  12        „  10  „  — 

Oesterreich-Ungarn  12 — 18  ,,  6 — 12  „                             3    ,, 

Rufsland  18       ,,  9  ,,                             2    „ 

Schweiz  12       „  10  ,,                             4    „ 

In  England  und  Amerika,  wo  nur  Privatbahnen  bestehen,  ist  die 
Frage  der  Dienstzeit  noch  nicht  über  das  Stadium  der  parlamentarischen 
Erwägung  hinausgekommen. 

Der  Verfasser  hat  auf  dem  internationalen  hygienischen  Kongreß 
in  Budapest  die  nachfolgenden  Forderungen  aufgestellt  für  den  nor- 
malen Verkehr,  welche  von  der  Sektion  für  die  Verkehrshygiene  ein- 
stimmig angenommen  worden  sind. 

„Das  Maximum  der  ununterbrochenen  täglichen  Dienstzeit  beträgt  für 
das  Maschinenpersonal  10 — 12  Stunden,  für  das  Stations-,  Signal-,  Bahn- 
bewachungs-,  Weichensteller-  und  Zugbegleitungspersonal  12 — 14  Stunden. 

Erfordert  der  Betrieb  eine  Teilung  der  Maximaldienstzeit,  so  ist 
täglich  auf  eine  ununterbrochene  Ruhepause  von  8  Stunden  Bedacht  zu 
nehmen. 

Die  Wege  von  und  zur  Wohnung  bei  weiterer  Entfernung,  sowie 
die  Dienstpausen,  die  weniger  als  3  Stunden  betragen,  sind  in  die  Dienst- 
zeit einzuschließen. 

Mindestens  alle  10  Tage  ist  eine  24-stündige  Ruhepause,  jährlich 
wenigstens  ein  14-tägiger  Urlaub,  dessen  Dauer  mit  dem  Dienstalter 
steigt,   notwendig. 

Die  Dienstzeit  würde  demnach  betragen: 


täglich 

monatlich 
Stunden 

jährlich 

für  das  Maschinenpersonal 

10—12 

270-374 

3108—3726 

für  das  übrige  Personal 

12—14 

324—378 

3726-4347 

Die  Dienstzeit  ist  möglichst  unabhängig  vom  Einkommen  zu  ge- 
stalten. 

Eine  wirksame  Durchführung  von  Bestimmungen  über  die  Dienstzeit 
von  Eisenbahnangestellten  ist  nur  möglich  durch  staatlich  bestellte 
Kommissäre  mit  Vollzugs-  und  Strafgewalt". 

e)  Urlaub. 

Selten  tritt  die  günstige  Einwirkung  eines  Urlaubs  auf  die  Frische  und 
Elasticität  eines  Körpers  so  augenscheinlich  zu  Tage  wie  bei  den  Ma- 
schinen- und  Fahrbeamten  der  Eisenbahn.  Die  blaßgraue  Farbe,  die 
schlaffe  Haltung,  die  Schwerfälligkeit  des  Ganges,  der  verbitterte  Aus- 
druck, oft  noch  verstärkt  durch  die  Schwierigkeiten  bei  der  Urlaubs- 
bewerbung, bilden  einen  [enormen  Kontrast  zu  dem  blühenden  Aus- 
sehen des  von  einem  3-  oder  4-  wöchentlichen  Urlaub  Zurückkehrenden. 

Wer  diese  augenscheinliche  Wirkung  des  Urlaubs  jahrelang  be- 
obachtet, muß  sich  wundern,  daß  die  Verwaltungen  Schwierigkeiten  bei 
der  Urlaubserteilung  machen,  daß  sie  nicht  vielmehr  gradezu  einen  ob- 
ligatorischen Urlaub  einführen.  Diese  Fürsorge  für  die  Gesundheit  des 
Personals  und  die  dadurch  bedingte  Sicherheit  des  Betriebes  wäre  auch 
eine  weise  Oekonomie. 

67  20* 


304  BRAEHMER, 

Nach  Bescheinigung  einer  Krankheit  durch  den  Bahnarzt,  besonders 
wenn  es  sich  um  den  Aufenthalt  in  einem  Kurort  handelt,  erfolgt  selbst- 
verständlich der  Urlaub.  Ist  eine  Bescheinigung  einer  vorliegenden  Krank- 
heit gerade  nicht  möglich,  so  wird  höchstens  ein  8-tägiger  Urlaub  und 
auch  ein  solcher  nur  unter  Schwierigkeiten  erteilt. 

Entsprechend  der  Verschiedenheit  der  körperlichen  Frische  in  den 
einzelnen  Lebensaltern,  kann  auch  die  Zeit  des  Urlaubs  eine  verschiedene 
sein.  Für  die  ersten  5  Dienstjahre  genügen  etwa  8  Tage ,  für  die 
darauf  folgenden  5  Jahre  14  Tage,  für  die  Zeit  vom  10.  bis  20.  Dienstjahre 
3  Wochen,  von  da  ab  4  Wochen.  Der  Urlaub  muß  obligatorisch  sein 
und  muß  angenommen  werden,  gleichviel  ob  er  am  Orte  der 
Station  oder  außerhalb  verbracht  wird.  Häusliche  Verhältnisse  machen 
ja  oft  eine  Reise  unmöglich. 

Ein  großes  Verdienst  würde  sich  aber  jede  Verwaltung  erwerben, 
wenn  sie  nach  Art  der  Militärlazarette  in  Teplitz,  Carlsbad  u.  s.  w. 
Sommerfrischen  oder  Erholungsstationen  für  die  Bahn- 
beamten errichtete.  Für  ganz  Preußen  würden  vielleicht  2  solcher 
Stationen,  am  besten  an  Orten  mit  Solbädern,  genügen.  Die  Verwaltung 
könnte  so  billig  eingerichtet  werden ,  daß  jeder  Beamte  ohne  großen 
Zuschuß  seinen  Urlaub  dort  verbringen  könnte.  Manche  Länder,  be- 
sonders Bayern,  besitzen  bereits  ähnliche  Einrichtungen. 

f)  Die  Ernährung  des  Fahrpersonals. 

Die  vom  Verein  deutscher  Eisenbahnverwaltungen  sorgsam  durch- 
geführte Statistik,  welche  leider  aufgehoben  worden  ist,  sagt  uns,  daß 
von  allen  Eisenbahnbediensteten  an  Störungen  der  Ver- 
dauungsorgane erkranken:  Zugbeförderungsbeamte  20  Proz., 
Zugbegleitungsbeamte  14  Proz.,  Bahnbewachungsbeamte  8  Proz.,  Stations- 
beamte 9  Proz.  Da  die  letzteren  beiden  Beamtengruppen  keinen  anderen 
Schädlichkeiten  unterliegen  als  andere  Berufsarten ,  so  haben  wir  es 
hier  nur  mit  den  Verdauungskrankheiten  des  Fahrpersonals  bez.  mit 
der  Ernährung  des  letzteren  zu  thun. 

Weitaus  überwiegend  ist  beim  Fahrpersonal  der  akute  Darm- und 
Magenkatarrh.  Selbstverständlich  können  die  aus  der  Statistik  her- 
vorgegangenen Zahlen  nur  annähernde  sein,  da  sie  nur  die  dienstunfähig 
gewordenen  Beamten  berücksichtigen,  während  viele,  um  die  Fahrdiäten 
nicht  zu  verlieren,  oder  aus  anderen  Gründen  trotz  ihrer  Erkrankung 
Dienst  thun  und  sich  nicht  beim  Arzte  melden. 

Zwei  Einflüssen  verdanken  die  häufigen  Erkrankungen  des  Fahrper- 
sonals an  Verdauungsstörungen  ihre  Entstehung:  der  unregelmäßigen 
Zeit  der  Nahrungsaufnahme  und  der  Beschaffenheit  der  Kost  außerhalb 
des  Stationsortes.  Dem  ersten  Punkte  legen  wir  die  geringere  Be- 
deutung bei.  Obwohl  wir  nicht  verkennen,  daß  die  richtige  Einteilung 
von  Schlafen,  Wachen,  Arbeiten,  Essen  die  Gesundheit  günstig  beein- 
flußt, so  ist  doch  auch  nicht  zu  bestreiten,  daß  eine  gewisse  sich  immer 
wiederholende  Regelmäßigkeit  in  der  Unregelmäßigkeit  des  Fahrdienstes, 
vorausgesetzt,  daß  die  Pausen  nicht  zu  lang  sind  und  die  Zeit  der 
Ruhe  nicht  zu  schnell  auf  die  Füllung  des  Magens  erfolgt,  den  Körper 
an  diese  Schädlichkeiten  gewöhnen  kann.  Anders  steht  es  mit  dem 
zweiten  Punkte,  mit  der  Kost  außerhalb  des  Stationsortes.  Wie  voll- 
zieht sich  dieselbe? 

68 


Eisenbahnhygiene.  305 

Nur  eine  geringe  Zahl  von  Beamten  beschafft  sich  außerhalb  ihres 
Wohnortes  ein  normales  Mittag-  oder  Abendessen,  selbst  wenn  die 
günstige  Zeit  dazu  gegeben  ist.  Die  Mehrzahl  derselben  wandert  viel- 
mehr, mit  Blechbüchsen  und  Flaschen  bewaffnet,  die  Kaffee,  Suppe  und 
ähnliche  Dinge  enthalten,  zur  Station;  sie  nehmen  auch  wohl  kaltes 
Fleisch,  Brot,  harte  Eier,  manche  auch  Bier,  in  sehr  seltenen  Fällen 
Wein  mit.  Der  Branntwein  ist  wenigstens  bei  den  Angehörigen  der 
preußischen  Bahnen  glücklicherweise  selten.  Die  häufige  Einschärfung 
eines  dahin  gehenden  Verbotes  und  die  strenge  Bestrafung  von  Dienst- 
vergehen, welche  auf  Trunkenheit  zurückgeführt  werden,  hält  die  meistens 
aus  straffen  militärischen  Verhältnissen  hervorgegangenen  Fahrbeamten 
von  übermäßigem  Alkoholgenuß  zurück. 

Es  kommt  nun  vor,  daß  Beamte  sich  mit  den  von  Hause  mitge- 
nommenen Speisen  und  Getränken  während  einer  Abwesenheit  von  24, 
ja  zuweilen  36  Stunden  begnügen.  Das  Kochen  resp.  Erwärmen  des  mit- 
genommenen Kaffees  u.  s.  w.  auf  der  Maschine  ist  ja,  wo  die  Zeit  es 
gestattet,  meistens  erlaubt.  Daß  diese  Ernährung  für  einen  verant- 
wortungsvollen, große  Spannkraft  des  Geistes  und  Körpers  erfordernden 
Beruf  nicht  genügt,  liegt  auf  der  Hand. 

Eine  bessere  Bezahlung,  Verpflegungsdiäten  während  der 
Fahrt  verfehlen  nach  unserer  Erfahrung  den  Zweck ;  der  Verheiratete  denkt 
immer  wieder  an  seine  Familie,  welche  ihn  oft  genug  dazu  herausfordert; 
er  spart  jeden  Pfennig,  um  nachher  im  Kreise  der  Familie  besser  leben 
zu  können.  Der  Unverheiratete  spart  für  die  Vergnügungen  nach  ge- 
thaner  Arbeit.  Der  hygienische  Nutzen  einer  regelmäßigen  Verpflegung 
wird  von  dem  Fahrpersonal  nicht  gewürdigt. 

Unseres  Erachtens  giebt  es  nur  ein  Mittel  gegen  die  Unzweck- 
mäßigkeit  der  Ernährung,  d.  i.  die  obligatorische  Naturalver- 
pflegung.  Die  Bahnverwaltungen  würden  sich  auch  nicht  schlecht 
bei  diesem  Modus  stehen.  Verträge  mit  Bahnhofsrestaurateuren  an 
geeigneten  Stationen  könnten  billige  Preise  festsetzen,  die  Fahrkompetenzen 
könnten  entsprechend  gekürzt  werden,  und  wie  viel  würden  die  Ver- 
waltungen sparen  durch  die  geringere  Zahl  von  Dienstunfähigkeiten! 

In  diesem  Sinne  spricht  sich  auch  Beetz2  aus.  Hoffentlich  ge- 
lingt es  recht  bald,  die  Verwaltungen  von  der  Wichtigkeit  einer  guten 
Ernährung  des  Fahrpersonals  und  der  geeigneten  Abhilfe  zu  überzeugen. 

g)   Uebernachtungs-  und  Unterkunftsräume  für  das 
Fahrper  sonal. 

Den  dritten  Teil  des  Tages  verbringt  durchschnittlich  jeder  Mensch 
im  Schlaf,  um  wieder  erfrischt  an  die  Arbeit  zu  gehen ;  kein  Schlaf 
erfüllt  diesen  Zweck  so  sehr,  wie  der  im  eigenen  Bette  und  in  gewohnter 
Umgebung.  Der  Eisenbahnbetrieb  bringt  es  nun  aber  mit  sich,  daß  seine 
Beamten,  länger  als  2  Drittel  des  Tages,  ja  oft  mehrere  Tage  von 
Hause  entfernt,  des  Schlafes  im  eigenen  Bette  entbehren.  Selbst- 
verständlich sind  die  Beamten  nicht  während  der  ganzen  Abwesenheit 
thätig  und  es  bleibt  ihnen  immerhin  Zeit  zur  Buhe.  Wie  steht  es  aber 
mit  der  Gelegenheit  zum  Schlafen,  d.  h.  mit  den  Unterkunftsräumen? 
Nach  unserer  Information  ist  hierfür  nur  in  wenigen  Fällen  ausreichend 
gesorgt,  und  Stich3  kommt  in  seinem  auf  dem  internationalen  medi- 
zinischen Kongreß  1890  zu  Berlin  gehaltenen  Vortrag  über  denselben 
Gegenstand  zu  ähnlichem  Ergebnis. 

69 


306  BRAEHMER, 

Die  Uebernacktungsräume  befinden  sich  meistens  in  den  Bahn- 
hofsgebäuden oder  in  unmittelbarer  Nähe  derselben.  Man  hat  nicht 
selten  hierfür  durchaus  ungeeignete  Räume  zur  Verfügung  gestellt. 
Bisweilen  liegen  dieselben  auf  dem  Boden ,  dicht  unter  dem  Dache, 
andere  in  unmittelbarer  Nähe  der  Maschinenhäuser;  manche  derselben 
sind  kalt,  andere  wieder  mit  eisernen  Oefen  überheizt.  Oft  findet  sich 
nur  ein  großer  Raum  mit  vielen  Schlafstellen,  sodaß  eine  fortwährende 
Störung  durch  ankommende  und  fortgehende  Parteien  entsteht.  Am 
schlimmsten  ist  aber  der  Umstand,  daß  sich  oft  ein  neu  Angekommener 
in  das  noch  warme  Bett  eines  eben  Abreisenden  legen  muß.  Welche 
Gefahren  für  die  Gesundheit,  welche  Hindernisse  für  ruhigen  Schlaf! 
Wir  halten  es  für  vollkommen  berechtigt,  daß  die  Logierzimmer  für 
dienstlich  reisende  Direktionsmitglieder  behaglich  ausgestattet  sind, 
müssen  aber  auch  fordern,  daß  man  den  Uebernachtungsräumen  des 
Fahrpersonals  eine  größere  Sorgfalt  zuwende ! 

WTenn  nun  auch  die  Untersuchungen  von  Stich3,  welcher  sich  an 
eine  große  Anzahl  von  Verwaltungen  um  Auskunft  gewandt  hatte,  und 
unsere  persönlichen  Erfahrungen  fast  überall  gänzlich  unzureichende 
Vorkehrungen  für  die  Unterkunft  des  Fahrpersonals  ergeben  haben,  so 
ist  doch  nicht  zu  verkennen,  daß  einzelne  Verwaltungen  mit  Erfolg  be- 
müht gewesen  sind,  Besserung  zu  schaffen.  So  sind  in  Preußen  die 
Beamten  meistens  mit  eigener  Bettwäsche  versehen ,  die  sie  in  einer 
Blechbüchse  mit  sich  führen.  Mehrfach  hat  man  die  Unterkunftsräume 
für  kurze  Ruhepausen  von  den  eigentlichen  Schlafräumen  getrennt. 
In  einzelnen  größeren  Stationen  sind  die  Uebernachtungsräume  mit 
elektrischer  Beleuchtung,  Centralheizung,  Badeeinrichtung  versehen  und 
stehen  unter  Aufsicht  und  Bedienung  eines  Hausmeisters. 

Da  diese  Einrichtungen  jedoch  nur  vereinzelt  vorhanden  sind,   so 
halten  wir  es  für  die  Pflicht  der  Verwaltungsbehörden,  bestimmte  Vor- 
schriften  über  die  Einrichtung  und   Erhaltung  der   Unterkunftsräume 
zu  erlassen,  an  welche  nachfolgende  Anforderungen  zu  stellen  sind: 
I.  Unterkunftsräume    und    Schlafräume     für    das    Fahrpersonal 

müssen  getrennt  sein. 
II.  Sie  müssen  zwar  in  der  Nähe  der  Bahnhöfe  liegen,  aber  doch 
dem  lauten  Geräusch  nicht  zu  sehr  ausgesetzt  sein. 

III.  Sie  müssen  von  genügender  Größe,  gut  zu  lüften,  zu  heizen 
und  zu  beleuchten  sein. 

IV.  Die  einzelnen  Schlafräume  enthalten  am  besten  1 — 2  Betten, 
jedenfalls  darf  die  Zahl  der  Betten  nicht  so  groß  sein ,  daß 
Abgehende  und  Ankommende  sich  im  Schlafe  stören. 

V.  Jeder  Beamte  hat  seine  eigene  Bettwäsche. 
VI.  In  jedem   Uebernachtungsgebäude  müssen  Bäder  zur   unent- 
geltlichen Benutzung  vorhanden   sein. 
VII.  Bedienung  und  Wecken  erfolgt  durch  einen  angestellten  Haus- 
meister.    Gelegenheit  zum   Trocknen    der   Kleider  und  zum 
Erwärmen  von  Nahrungsmitteln  muß  gegeben  sein. 

3.  Pensionierung. 

Die  Privatbahnen  haben  Pensionskassen  für  ihre  Mitglieder.  Bei 
den  Staatsbahnen  unterstehen,  wenigstens  in  Preußen,  die  Beamten  dem 
allgemeinen  Beamtenpensionsgesetz.  Mit  Unrecht ;  denn  wir  haben  schon 
oben   nachgewiesen,   daß   die  Fahrbeamten,  wenigstens   die  Lokomotiv- 


Eisenbalmhygiene.  307 

beamten,  durchschnittlich  nach  20  Dienstjahren,  also  wesentlich  früher 
als  andere  Berufsklassen,  invalide  werden.  Während  der  Bureaubeamte, 
der  5—6  Stunden  täglich  in  Ruhe  am  Schreibtisch  sitzt,  bequem  50  Jahre 
dienen  und  dann  mit  3/4  seines  Gehaltes  sorglos  seine  letzten  Tage 
verbringen  kann,  erreicht  der  Lokomotivbearate  bei  seiner  aufreibenden 
Thätigkeit  niemals  die  Höhe  dieser  Pension  und  muß  sich  kärglich 
oft  noch  Jahrzehnte  durchschleppen.  Er  muß  fortwährend  auf  der  Wacht 
sein  und  täglich  seine  Station  verlassen;  es  wäre  daher  eine  That 
der  Gerechtigkeit,  wenn  man  ihm  schon  früher  bei  seiner  vorzeitigen 
Abnutzung  eine  höhere  Pension  gewährte.  Wir  glauben  nichts  Unbe- 
rechtigtes zu  verlangen,  wenn  wir  die  schon  von  uns  auf  den  Kongressen 
in  Berlin  und  Pest  aufgestellte  Forderung  immer  wiederholen,  dem 
Lokomotivbeamten  bei  seiner  Pensionierung  jedes 
Dienstjahr  doppelt  anzurechnen  wie  dem  Soldaten  das 
Kriegsjahr. 

Nur  die  Erreichung  dieses  Zieles  wird  die  Furcht  vor  der  Pen- 
sionierung bannen  und  verhindern,  daß  invalide  Beamte  länger  an  ver- 
antwortungsvoller Stelle  bleiben,  als  mit  der  Sicherheit  des  Betriebes 
vereinbar  ist.  Jetzt  wird  der  Kampf  zwischen  der  Sorge  für  ein  ge- 
sundes, der  Verantwortung  gewachsenes  Personal  und  der  Humanität 
die  Entscheidung  stets  erschweren. 

1)  v.  Czatary,  Ueber  Hygiene  des  Eisenbahnwesens  und  der  Eisenbahn-Reisenden,  Verhand- 
lungen des  internationalen  medizinischen  Kongresses,  Berlin  1890  (Sektion  für  Eisenbahn- 
hygiene) 

2)  Beetz,  Die  Ernährung  des  Fahrpersonals  loährend  der  Fahrt ,  Verhandlungen  des  inter- 
nationalen medizinischen  Kongresses,  Berlin  1890  (Sektion  für  Eisenbahnhygiene). 

3)  Stich,  Uebernachtungs-  und  Unterkunftsräume  für  das  Fahrpersonal ,  Verhandlungen  des 
internationalen  medizinischen  Kongresses,  Berlin   1890  (Sektion  für  Eisenbahnhygiene). 

4)  Braehmer,  Ueber  den  Einflufs  der  Aerzte  auf  den  Eisenbahnbetrieb,  Verhandlungen  des 
internationalen  medizinischen  Kongresses,  Berlin  1890  (Sektion  für  Eisenbahnhygiene). 

5)  Braehmer ,  Bestimmung  der  Dienstzeit  der  Eisenbahn  -  Angestellten,  Verhandlungen  des 
internationalen  Kongresses,  Pest  1894. 

6)  Schwechten ,  Körperliche  Erfordernisse  für  den  Eisenbahndienst ,  Verhandlungen  des 
internationalen  medizinischen  Kongresses,  Berlin  1890  (Sektion  für  Eisenbahnhygiene. 

7)  TJffelmann,  Ernährung  der  Beisenden  auf  Eisenbahnfahrten,  Berlin  1886. 

8)  Wernicli  und  Wehmer,  Lehrbuch  des  öffentlichen  Gesundheitswesen  (1894). 

9)  Silex,  Sehvermögen  der  Eisenbahnbeamten  (1894). 

10)  R.  Eegnier  (Paris),  Fixation  de  la  duree  du  Service  des  employes  de  chemin  de  fer  au 
point  de  vue  des  diverses  branches  du  service.  In  Verhandlungen  des  internationalen  Kon- 
gresses, Pest  1894. 

c)   Organisation  des  ärztlichen  Bahndienstes. 

Der  ärztliche  Dienst  bei  den  Eisenbahnen  hat  folgende  Obliegen- 
heiten: 

I.  Die  Sorge,  daß  nur  gesunde,  dem  schweren  Betriebsdienst  ge- 
wachsene Beamte  eingestellt  werden. 

IL  Die  fortlaufende  Beobachtung  des  physischen  Zustandes  der 
Beamten,  namentlich  die  periodische  Untersuchung  des  Seh-  und  Hör- 
vermögens. Mitwirkung  an  einer  statistischen  Aufstellung  der  Krank- 
heiten und  Unfälle  der  Beamten. 

III.  Beobachtung  aller  Momente,  welche  den  Gesundheitszustand 
während  der  Dienstzeit  stören  können. 

VI.  Hygienische  Ueberwachung  der  Bahnhöfe,  Werkstätten,  Wärter- 
buden, Gasanstalten  etc. 

7i 


308  BRAEHMER, 

V.  Initiativanträge,  welche  die  aus  der  Beobachtung  sich  ergebenden, 
den  Gesundheitszustand  störenden  Einflüsse  zu  ändern  geeignet  sind. 

VI.  Außerdienststellung  und  rechtzeitige  Pensionierung,  wenn  der 
körperliche  Zustand  des  Beamten  der  Verantwortung  nicht  gewachsen  ist. 

VII.  Mitwirkung  bei  der  Ausführung  des  Haftpflicht-,  Pensions- 
und Unfallfürsorge- Gesetzes,  sowie  der  3  großen  sozialpolitischen  Ge- 
setze, welche  sich  auf  die   nichtbeamteten   Eisenbahnarbeiter  beziehen. 

VIII.  Unterweisung  des  Fahr-  und  Stationspersonales  in  der  ersten 
Hilfeleistung  nach  Unfällen.  Beaufsichtigung  und  Sorge  für  die  gute 
Beschaffenheit  der  Rettungseinrichtungen. 

IX.  Mitwirkung  bei  den  Maßnahmen  gegen  die  Einschleppung  von 
Epidemien  durch  die  Eisenbahnen. 

X.  Beratung  der  Verwaltung  in  allen  weiteren  hygienischen  sowohl 
das  Personal  als  den  Betrieb  betreffenden  Fragen. 

XI.  Endlich  ärztliche  Behandlung  der  zum  äußeren  Betriebe  ge- 
hörenden Beamten  und  Arbeiter. 

Zur  erfolgreichen  Durchführung  der  vorstehenden  Funktionen  ge- 
hört außer  der  rein  ärztlichen  Befähigung  eine  genaue  Kenntnis  des 
Betriebes  und  der  Betriebsmittel,  der  einzelnen  Dienstzweige  und  der 
damit  verbundenen  Verantwortung,  der  Arbeitsstunden  und  der  Ruhe- 
pausen, der  Schlaf-  und  Unterkunftsräume  außerhalb  der  Stationen,  der 
Rettungseinrichtungen,  des  Signalwesens,  der  gesetzlichen  Bestimmungen 
über  Unfälle,  Fürsorge,  Haftpflicht,  der  den  Fahrbeamten  zu  ihrer  Ver- 
pflegung gegebenen  Gelegenheiten  etc. 

Leider  müssen  wir  bekennen,  daß  die  Würdigung  dieser  Bedeutung 
des  ärztlichen  Bahndienstes  noch  viel  zu  wünschen  übrig  läßt,  sowohl  bei 
den  Verwaltungen  als  auch  bei  den  Aerzten. 

Die  Privatbahnen  überließen  es  anfänglich  den  Beamten,  sich 
die  Anstellungsfähigkeit,  Notwendigkeit  eines  Urlaubs,  temporäre  oder 
dauernde  Dienstunfähigkeit  von  dem  Arzte  ihrer  Wahl  bescheinigen  zu 
lassen.  Nur  in  verwickelten  Fällen  wandten  sie  sich  an  einen  Vertrauens- 
arzt, meistens  einen  Medizinalbeamten. 

Besser  waren  von  vornherein  die  Verhältnisse  bei  den  Staats- 
und  staatlich  verwalteten  Bahnen,  welche  in  Würdigung  der 
hygienischen  Bedeutung  der  Aerzte  meistens  früh  Bahnärzte  anstellten, 
welchem  Modus  sich  die  Privatbahnen  nach  und  nach  anschlössen.  In 
vielen  Ländern  haben  die  Direktionen  Chefärzte ,  so  in  Frankreich, 
Oesterreich,  in  andern  sitzt  ein  Arzt  in  der  obersten  Verwaltung,  so  in 
Ungarn ,  Serbien.  In  Amerika  hat  man  erst  vor  wenigen  Jahren  an- 
gefangen Chefärzte  in  die  Verwaltungen  zu  wählen.  Von  den  deutschen 
Bundesstaaten  ist  die  ärztliche  Organisation  am  vollständigsten  in  Bayern, 
wo  ein  Chefarzt  alle  hygienischen  Maßregeln  leitet,  und  außerdem  in  jeder 
Eisenbahnstation  Bahnärzte  angestellt  sind.  Die  letzteren  haben  Amts- 
charakter und  erfreuen  sich  der  damit  verbundenen  Autorität.  Diese  in 
mancher  Beziehung  musterhafte  Organisation  fehlt  in  den  übrigen  Bundes- 
staaten ;  in  den  meisten  derselben  finden  sich  jedoch  bereits  Anfänge 
eines  ärztlichen  Bahndienstes. 

In  Preußen  hat  die  am  1.  April  1895  ins  Leben  getretene  Neu- 
gestaltung der  Staatsbahnen  auch  eine  Neugestaltung  des  ärztlichen  Bahn- 
dienstes zur  Folge  gehabt.     Die  Grundzüge  dieser  Neugestaltung  sind  in 

72 


Eisenbabnhygiene.  309 

Kurzem  folgende :  „Einheitlichkeit  des  ärztlichen  Bahndienstes  und  der 
Anstellungs  -  Bedingungen  der  Bahnärzte  in  ganz  Preußen.  Verwaltung 
der  Bahnarzt-  und  Bahnkassenarzt-Stellen  eines  Bezirkes  durch  denselben 
Arzt.  Anstellung  nach  geographischen  Bezirken  mit  Wohnungszwang  und 
nicht  nach  Dienststellen.  Behandlung  der  Beamten  und  Arbeiter  nebst 
Angehörigen.  Ausstellung  aller  von  der  Verwaltung  geforderten  Gut- 
achten und  Berichte  bei  der  Anstellung,  bei  Krankheiten  und  Beur- 
laubungen, Pensionierungen,  sowie  aller  Atteste,  welche  zur  Ausführung 
der  sozialpolitischen  Gesetze  notwendig  sind,  Beaufsichtigung  der  Rettungs- 
einrichtungen ,  Unterweisung  der  Beamten  in  der  Leistung  der  ersten 
Hilfe,  Hilfeleistung  bei  Eisenbahnunfällen,  periodische  Untersuchung  der 
Beamten  auf  Hör-  und  Sehvermögen ,  Anstellung  von  besoldeten  Augen- 
ärzten. Honorar  in  Form  von  festen  Gehältern  berechnet  nach  der  Zahl 
der  Köpfe,  der  Zahl  der  bei  der  Anstellung  zu  untersuchenden  Arbeiter 
sowie  nach  lokalen  Verhältnissen.  Die  Zahl  der  Bahnärzte  ist  so  groß 
und  derart  verteilt,  daß  eine  genügende  ärztliche  Beaufsichtigung  ermög- 
licht wird." 

Bei  der  Besetzung  der  Bahnarztstellen  sollen  in  Preußen  die  Physiker 
nach  einem  Ministerial-Erlaß  in  erster  Linie  berücksichtigt  werden,  in  den 
Provinzen  ist  dies  auch  vielfach  der  Fall,  in  Berlin  höchst  selten.  Es  bleibt 
auch  fraglich,  ob  die  Physiker  an  sich  zu  der  eigenartigen  bahnärztlichen 
Thätigkeit  mehr  befähigt  sind.  Diese  Befähigung  wird  jetzt  nur  erworben 
durch  die  Praxis,  in  welche  der  Bahnarzt  eintritt  ohne  alle  Vorkenntnisse, 
um  von  vornherein  die  volle  Verantwortung  zu  tragen.  Diese  Lehrzeit 
kann  aber  den  Eisenbahnverwaltungen  nicht  zum  Vorteil  gereichen.  Wir 
halten  es  daher  für  notwendig  Vorlesungen  über  Eisenbahnhygiene  ins 
Leben  zu  rufen ,  an  denen  sich  Aerzte  und  Eisenbahnbeamte  beteiligen 
können. 

Die  so  vorbereiteten  Aerzte  sind  als  Bahnärzte  an  allen  Eisen- 
bahnstationen anzustellen  und  mit  der  nötigen  Autorität  zu  versehen, 
freie  Fahrkarten  sind  ihnen  im  ausgedehnten  Maße  zu  gewähren.  Jeder 
Direktion  bez.  jeder  größeren  Verwaltung  muß  ein  Oberarzt  zuge- 
teilt sein,  welcher  in  allen  hygienischen  Maßnahmen  mitzuwirken  und 
die  Bahnärzte  in  ihren  Wirkungskreis  einzuführen  hat.  Regelmäßige 
Konferenzen  aller  Bahnärzie,  wie  sie  jetzt  schon  stellenweise  stattfinden, 
sind  obligatorisch  einzuführen.  Die  Gehälter  der  Bahnärzte  müssen  auf 
eine  ihrer  Thätigkeit  entsprechende  Höhe  gebracht  werden.  Die  An- 
stellung muß  auf  längere  Zeit  erfolgen,  und,  falls  frühere  Invalidität  des 
Arztes  eintritt,  Pensionsberechtigung  eingeführt  werden.  Den  Bahnärzten 
ist  amtlicher  Charakter  beizulegen,  sowohl  den  Behörden  als  den  Beamten 
gegenüber.  Sollte  das  Gutachten  eines  Bahnarztes  beanstandet  werden, 
so  ist  ein  Obergutachten  eines  aus  3  Bahnärzten  bestehenden  Konziliums 
einzuholen,  eine  Maßregel,  die  sich  bei  den  bayrischen  Bahnen  vorzüglich 
bewährt. 

Nicht  zu  trennen  von  dem  ärztlichen  Bahndienst  in  Preußen  sind  die 
Krankenkassen,  zu  welchen  die  Eisenbahn-  und  Werkstätten- Arbeiter 
seit  dem  Kassengesetz  von  1884  in  Deutschland  vereinigt  sind.  Ein  großer 
Teil  der  Kassenmitglieder,  wie  die  Bremsarbeiter,  Streckenarbeiter,  Hilfs- 
heizer,  können  auf  die  Sicherheit  des  Betriebes  denselben  Einfluß  haben 
wie  die  Beamten,  von  denen  sie  sich  nur  durch  die  äußere  Stellung 
unterscheiden.  In  zweckmäßiger  Weise  befinden  sich  daher  die  Kassen- 
arztstellen  in   den   Händen   der  Bahnärzte,    denen    die  Begutachtung 

73 


310  BRAEHMER, 

der  Kassenmitglieder  in  allen  Fragen,  die  sich  auf  den  Betrieb  beziehen, 
ohnehin  zusteht. 

Was  die  Frage  der  Spezialisten  anbetrifft,  so  haben  einige 
Länder,  z.  B.  Oesterreich-Ungarn ,  für  verschiedene  Fächer  Spezialärzte 
angestellt.  In  Preußen  sind  bis  jetzt  nur  Spezial-Augenärzte  angestellt. 
Wünscht  der  Bahnarzt  bei  anderen  Krankheiten  eine  spezialistische 
Behandlung  eines  Patienten,  so  ist  er  meistens  darauf  angewiesen,  den- 
selben irgend  einer  Poliklinik  zu  überweisen.  Wir  halten  dieses  Ver- 
fahren nicht  für  ausreichend,  sondern  wünschen  den  Bahnarzt  in  die 
Lage  versetzt,  sobald  er  eine  spezialistische  Behandlung  für  erforderlich 
hält,  eine  solche  auf  Kosten  der  Verwaltung  herbeiführen  zu  können. 
Die  Thätigkeit  des  Spezialisten  darf  sich  jedoch  nur  auf  die  Behandlung 
erstrecken  —  die  Begutachtung  verbleibt  allein  den  Bahnärzten,  die  auch 
die  periodischen  Sehprüfungen  der  Beamten  vorzunehmen  haben.  Jeder 
Bahnarzt  muß  mit  den  neuesten  Untersuchungsmethoden  auf  Sehschärfe 
und  Farbensinn  hinlänglich  vertraut  sein,  um  die  Grenze  zu  finden,  über 
welche  hinaus  Mängel  der  Sicherheit  Gefahr  bringen. 

Vorstehende  Forderungen  enthalten  nichts  Unmögliches  und  nichts 
Ueberfiüssiges.  Sie  sind  notwendig  im  Interesse  der  Sicherheit  des 
Eisenbahnbetriebes.  Zu  dieser  Sicherheit  beizutragen,  ist  der  Zweck 
der  Organisation  des  ärztlichen  Bahndienstes,  welcher  sich  aus  den 
oben  genannten  Obliegenheiten  zusammensetzt. 

Wenn  nun  auch  die  von  uns  aufgestellten  Forderungen  bei  der 
Neugestaltung  des  ärztlichen  Bahndienstes  in  Preußen  nur  zum  Teil 
berücksichtigt  worden  sind,  so  bedeutet  die  letztere  doch  einen  Fort- 
schritt gegen  früher;  ein  weiterer  Fortschritt  ist  um  so  mehr  zu  hoffen, 
als  die  Verwaltungen  sich  nicht  mehr  der  Erkenntnis  verschließen,  daß 
der  ärztliche  Bahn  dienst  einen  jener  Faktoren  bildet,  welche  die  Sicher- 
heit des  Eisenbahnbetriebes  verbürgen.  Diese  Erkenntnis  berechtigt  auch 
zu  der  Hoffnung,  daß  in  Zukunft  für  den  ärztlichen  Bahndienst  grösere 
finanzielle  Mittel  bereit  gestellt  und  unsere  obigen  Forderungen  er- 
möglicht werden.  Damit  aber  der  Sanitätsdienst  bei  den  Eisenbahnen 
in  seiner  vollen  Bedeutung  gewürdigt  werde,  müssen  auch  die  Aerzte 
selbst  zu  der  ihnen  noch  vielfach  mangelnden  Erkenntnis  kommen,  daß 
ihre  Thätigkeit  nicht  nur  darin  besteht,  Kranke  und  Verletzte  zu  heilen 
und  Krankheits-Bescheinigungen  auszustellen,  sondern  mitzuwirken  an 
der  Erforschung  und  Bekämpfung  der  Gefahren,  welche  Leib  und  Leben 
durch  den  Eisenbahnbetrieb  bedrohen  —  an  der  Eisenbahn- 
hygiene. 

1)  v.  Czatary,    Sanitätsdienst  bei  den  ungarischen  Eisenbahnen,    Zeitschr.  f.  soziale  Medizin 
1.  Bd.    123. 

2)  Braehmer,   Die  Aufgaben  und  Thätigkeit    des  Eisenbahnarztes ,    Sachverständigen  Zeitung 
(1895)  No.  5. 

3)  Braehmer,  Denkschrift  im  Auftrage  des  Ausschusses  der  deutschen  Bahnärzte  (1895). 

4)  Braehmer,  Zur  Organisation  des  ärztlichen  Bahndienstes  iu  Preufsen,  Aerzüiches    Vereins- 
blatt (1896). 

5)  Verordnung    des   russischen     Verkehrsministers    vom  20.  Juni  1893    No.  8536,    Ueber  die 
Organisation  des  ärztlich  sanitären  Dienstes  bei  den  russischen  Eisenbahnen. 


74 


Eisenbahnhygiene. 


311 


Verzeichnis  der  Abbildungen. 


Signalbuch  vom   1.  Januar  1893,  nach  der  Signalordnung  für  die 
Eisenbahnen  Deutschlands  vom  5.  Juni   1892. 


Figur-No. 

Seite 

1 

• 

2 

3 

4 

>   259 

5 

6 

7 

. 

8 

265 

9 

\   266 

10 

271 

11 

276 

12 

287 

13 

288 

Entnommen  aus : 


Technisches     Bureau 
Staatsbahn. 


der     Hauptwerkstatt     einer     preufsischen 


Vorschriften  für  die  Bedienung  der  Luftdruckbremse  von   Westing- 

house  (im  Gebrauch  der  preufsischen  Staatsbahn). 
Entwurf  der  Generaldirektion  der  ungarischen  Staatsbahnen. 
Entwurf  der  Generaldirektion  der  bayrischen  Staatsbahnen. 


Druckfehler-Berichtigung. 

Auf  Seite  245   Zeile  16  von  oben  mufs  es  heifsen    „railway  -  b  r  <i  i  n"    statt  ,,railway-bire' 


75 


Register. 


Aborte  254. 

—     in  Wagen  266. 
Achsen  263. 

Altersversicherungsgesetz  294. 
Amerikanische  Bahnen  240.  243.  257.  292. 

303.  308. 
Anstellung  von  Bahnbeamten  297. 

Bahnärzte  295.  307. 
Bahnhöfe  254. 
Beamtenpensionsgesetz  293. 
Becher  284. 
Becker,  Litt.  247. 
Bedürfnisanstalten  254. 
Beetz,  Litt.  307. 
Behm,  Litt.  253. 
Beleuchtung  der  Wagen   273. 
Bettung  256. 
Blocksystem  260. 
Born,  Litt.  271. 
Braehmer,  Litt.  307.  310. 
Brennen  262.  275. 
Brosius,  Litt.  247. 
Büte  und  Borries  243. 
Buffer  274. 

Cahen  248. 

Carpenterbremse  276. 

Central-Weichenstellung  260. 

Cholera  276  ff. 

Clauss,  Litt.  271. 

Cornet  282. 

Coupewagen  263.  265. 

v.  Czatary  286.  Litt.  307.  310. 

Dampfheizung  272. 
Dienstzeit  302. 
Drehgestell  264. 
Drehscheiben  261. 
Durchgangswagen  263.  265. 

Hinkommen  der  Eisenbahnbeamten  300. 
Elektrische  Lokomotive  239. 
Ernährung  der  Bahnbeamten  304. 

Farbenblindheit  299. 
Fenster  270. 


Eührerstand,  bedeckter  262. 

—  offener  262. 

Gasbeleuchtung  273. 

Gasheizung  272. 

Geschichte  der  Eisenbahnen  238. 

Haber,  Litt.  239. 
Haftpflicht  291. 
Halle  247. 

Hautkrankheiten  276. 
Heberlein-Bremse  275. 
Heilmann's  Lokomotive  239. 
Heizmaterial  für  Lokomotive  263. 
Heizung  der  Wagen  271. 
Herzog  286. 
Hoffmann,  Litt.  247. 
Holzkohle  272. 

Infektionskrankheiten  276. 

—  auf  Eisenbahnen  248. 
Invaliditätsgesetz  294. 

Kleidung  der  Bahnbeamten  301. 
Klosetts  254. 
Knallpatronen  258. 
Krankheiten  der  Reisenden  247. 

—  des  Eisenbahnpersonals  248. 
Krankenkassen  309. 
Krankenwagen  269. 
Kuppelung  der  Wagen  274. 

Lang  268. 

Lazarettzüge  269. 

Leichentransport  283. 

Leifsner  269. 

Lent  249. 

Lokomotiven  261. 

Lüftung  der  Personenwagen  268. 

Löffler  271  Litt.  284. 

Mallieux,  Litt.  273. 
Martin,  Litt.  271. 
Militärärzte  296. 

Niemeyer  247. 


76 


Register. 


313 


Oberbau  255. 
Oelgasfabriken  301. 
Ofenheizung  272. 
Oppenheim  245. 

Paget,  Litt.   247. 
Paralysis  nervi  facialis  247. 
Perells  260. 
Personenaufzüge  255. 
Petri  253  Litt.  284. 
Pinsch,  Jul.  273. 
Praussnitz  284. 
Prerau  260. 

Professionelle    Krankheit     des     Maschinen- 
personals 252. 
Pullmann- System  263. 

Railway-bire  245. 
Railway-spine  245. 
Raumverhältnisse  der  Wagen  266. 
Rettungskasten  284. 
Rettungswagen  286. 
Rettungswesen  284. 
Riegler  245.   250.  262. 
Richter,  Litt.  253. 

Salonwagen  265. 

Schiebebühnen  261. 

Schienen  237.  255. 

Schlafwagen,  Ansteckung  durch  280. 

Schmökel  284. 

Schranken  257. 

Seligmüller  246. 

Signale  257. 

Sitze  267. 

Sommerfrischen  304. 

Spucknäpfe  232. 

Spezialisten  als  Bahnärzte  309. 

Stich  305. 

Stofsfangschiene  256. 

Telegraphie  257. 
Tender  261. 


Thiem,  Litt.  247. 

Tischer  v.  Rösslerstamm,  Litt.  273. 

Todesfälle,    Statistik    der,    auf  Eisenbahnen 

249. 
Traumatische  Neurose  245. 
Trinkwasser  277. 
Tuberkulose  282. 
Thüren  270. 
Typhus  276. 

Uebernachtungsräume  305. 
Unfallstatistik  239. 
Unfallversicherung  293. 
Untergestell  der  Wagen  264. 
Urinier gefäi'se  266. 
Urlaub  303. 

Ventilation  der  Wagen  268. 
Verdauungskrankheiten  304. 
Verpflegungsdiäten  305. 
Verriegelung  260. 
Verwaltung  der  Eisenbahn  294. 
Viehoff  und  Voss  270. 
Viehseuchen  282. 

Wagen,  Personen-  263. 
Waschgelegenheit   266. 
Wasser  s.  Trinkwasser. 
Watt,  Jam.  238. 
v.  Weber  239  Litt.  244. 
Weichen  261. 
Weichensteller  256. 
Westergaard,  Litt.  253. 
Westinghouse-Bremse  276. 
Wiehert  266.  273. 

Wohlfahrtseinrichtungen      für     Eisenbahn- 
beamte 291. 
Wohnung  für  Eisenbahnbeamte  301. 
Wolffhügel  und  Lang  268. 
Wolpert-Sauger  269. 

Zillmer  250.  252. 


77 


Gesundheitliche  Ansprüche 


an 


militärische  Bauten. 


BEARBEITET 


VON 


DR.  C.  E.  HELBIG, 

OBERSTABSARZT  A.   D.   IN   DRESDEN. 


MIT  9  ABBILDUNGEN  IM  TEXT. 


JENA, 
VERLAG  VON  GUSTAV  FISCHER. 

1897. 


Alle  Rechte  vorbehalten. 


Inhaltsübersicht. 


Srite 

Einleitung 315 

1.  Kaserne        316 

a)  Allgemeines  und  Geschichte 316 

b)  Lage  und  Baugrund 319 

c)  Grundriß  und  Hof 319 

d)  Wohngebäude  für  Mannschaften 323 

e)  Mannschaftsstube 324 

f)  Andere  Räume  für  Mannschaften 326 

«)  Schlafsaal 326 

ß)  Wasch-  und  Putzstube 327 

y)  Speise-,  Unterrichts-  und  Uebungssäle 328 

(5)  Krankenstube       .                328 

g)  Sonstige  Wohnungen 329 

h)  Wirtschafts-  und  Reinlichkeitsanlagen 330 

o)  Wasserversorgung 330 

ß)  Küche,  Schlachthaus 331 

y)  Bad,  Waschhaus 332 

6)  Desinfektion 333 

f)  Abfallbeseitigung 333 

i)  Stall       335 

k)  Feuerschutz,  Umzäunung 337 

2.  Privatkaserne,   Quartier 338 

3.  Festung,  Kasematten 339 

4.  Gefängnis,  Gerichtsstelle,  Wache 341 

5.  Krankenhaus 341 

6.  Invalidenhaus        342 

7.  Lager 343 

Litteratur 346 

Verzeichnis  der  Abbildungen 348 

Register 349 


Einleitung. 

Die  militärischen  Unterkünfte  zerfallen  in  vorübergehende  und 
bleibende.  Bei  ersteren  unterscheidet  man  solche,  die  nur  zur  ein- 
maligen Benutzung  bestimmt  sind,  wie  Biwaks  und  Kriegslager.  Beide 
kommen  an  dieser  Stelle  ebensowenig  in  Frage  wie  die  zu  Reisezwecken 
aufgesuchte  Unterkunft  des  Soldaten  im  Eisenbahnwagen  oder  Schiffe. 
Eine  andere  Art  der  vorübergehenden  Unterkünfte  bilden  die  zu  wieder- 
holter militärischer  Benutzung  bestimmten  Kriegsschiffe  und  Friedens- 
lager. Erstere  sind  ebenfalls  kein  Gegenstand  der  nachfolgenden  Dar- 
stellung. 

Die  bleibenden  Unterkünfte  umfassen  die  Gebäude  für  die  be- 
fehlenden und  verwaltenden  Stellen,  die  Kasernen,  Ställe,  Exerzier-  und 
Turnhallen,  Reithäuser,  Wachen,  Gefängnisse,  Festungen,  Schulen,  Er- 
ziehungsanstalten, Kranken-  und  Invalidenhäuser,  Vorratsgebäude  und 
Werkstätten.  Von  diesen  mannigfachen  Baulichkeiten  und  Einrichtungen 
kommen  hier  diejenigen  nicht  zur  Besprechung,  welche  in  Bezug  auf 
gesundheitliche  Verhältnisse  sich  in  keiner  Weise  von  den  entsprechen- 
den Civilbauten  unterscheiden,  wie  die  Gebäude  für  Kommandos,  die 
Schulen  und  die  Vorratsräume.  Auch  die  militärischen  Werkstätten 
zählen  hierzu,  von  denen  die  größeren  meist  von  Civilarbeitern  betrieben 
werden. 

Im  allgemeinen  besitzen  die  militärischen  Unterkünfte,  welche  große 
Massen  gesunder  Männer  zum  Zwecke  der  Ausbildung  und  Landesver- 
teidigung auf  einem  thunlichst  engen  Räume  vereinen,  eine  hohe  Wichtig- 
keit in  gesundheitlicher  Hinsicht.  Denn  je  zusammengedrängter  Menschen 
zu  leben  genötigt  sind,  um  so  deutlicher  pflegt  jede  Vernachlässigung 
eine  größere  Erkrankungshäufigkeit  und  auch  vermehrte  Sterblichkeit 
zu  bewirken.  Kasernen  und  Lager  sind  daher  um  so  bessere  Prüf- 
steine für  die  Zweckmäßigkeit  gesundheitlicher  Maßnahmen,  als  beim 
Heere  die  für  die  Zivilbevölkerung  undurchführbare  allgemeine  Krank- 
heitsstatistik keinerlei  Schwierigkeit  bereitet.  Allerdings  wird  man  bei 
der  Verallgemeinerung  von  Erfahrungen,  die  bei  militärischen  Wohnungs- 
anlagen gewonnen  sind,  den  Umstand  berücksichtigen  müssen,  daß  nicht 
die  Wohnung  in  gesundheitlicher  Hinsicht  allein  Ausschlag  giebt,  sondern 
daß  die  Art  der  WTohnungsbenutzung  von  wesentlichem  Einfluse  ist  und 
auf  letztere  die  militärischen  Vorschriften  einschneidenderen  Einfluß  aus- 
üben, als  es  eine  „Wohnungsordnung"  in  bürgerlichen  Verhältnissen  für 
gewöhnlich  vermag. 

Handbuch  der  Hygiene.    Bd.  VI.  21 


316  HELBIG, 

Bei  der  Wichtigkeit  der  Sache  entstand  allmählich  eine  reiche 
Litterat  ur  über  die  gesundheitlichen  Beziehungen  der  Militär  bauten. 
Sämtliche  militärärztliche  Zeitschriften  und  Jahresberichte,  sowie  alle 
Werke  über  Militärgesundheitspflege  berücksichtigen  die  militärische 
Unterkunft;  Einzelschriften  findet  man  vonFränkel1,  Frölich2 
und  Billings3  aufgeführt.  Von  Sammelwerken  mit  Beschreibun- 
gen militärischer  Unterkünfte  erschienen  in  deutscher  Sprache  seit  1887 
zu  Wien  14  Bände  der  vom  k.  k.  Reichskriegsministerium  herausge- 
gebenen :  „Hygienischen  Verhältnisse  der  größeren  Garnisonsorte  der  öster- 
reichisch-ungarischen Monarchie"  und  seit  1893  zu  Berlin  5  Bände  der 
„Garnisonbeschreibungen"  der  Medizinalabteilung  des  K.  preußischen 
Kriegsministeriums  (Cassel,  Stettin,  Liegnitz,  Hannover,  Potsdam).  — 
Angaben  über  einzelne  neue  deutsche  Militärbauten  mit  Grundrißskizzen 
erschienen  von  Zeit  zu  Zeit  in  den  „Statistischen  Nachweisungen"  der 
Garnisonbauverwaltung,  so  beispielsweise  über  die  Jahre  1884 — 1891  in 
der  „Zeitschrift  für  Bauwesen"  4 . 

Vergl.  Litteratur  8.  346. 

1.  Kaserne. 

a)  Allgemeines  und  Geschichte. 

Gegenüber  anderen  Wohnhäusern  bedingt  die  größere  Bewohnerzahl 
für  die  Kaserne  erheblich  größere  Maße.  Bis  auf  die  neueste  Zeit,  wo 
die  Fabrik  und  das  Gefängnis  an  Ausdehnung  mit  ihr  wetteifert,  pflegte 
die  Kaserne  neben  vereinzelten  Schlössern  mächtiger  Dynasten  oder 
den  Anlagen  reicher  Stifte  überhaupt  die  größte  bewohnte  Baulichkeit 
darzustellen. 

Eine  Geschichte  des  Kasernenwesens  und  eine  vergleichende 
Beschreibung  der  Heeresunterkunft  in  den  verschiedenen  Ländern  würde 
nicht  nur  für  die  Geschichte  der  menschlichen  Bildung,  sondern  auch 
für  Fragen  des  Staatshaushaltes  und  für  das  Heer  selbst  wichtig  sein. 
Leider  fehlt  es  an  einem  solchen  Werke. 

Wo  irgend  eine  größere  Anzahl  Bewaffneter  wiederholt  oder  dauernd 
unterzubringen  war,  machten  sich  kasernenartige  Unterkünfte  nötig,  die 
bereits  im  Altertum  nur  ungenügenden  Ersatz  in  den  Bürgerquartieren 
fanden.  Man  kann  deshalb  schon  für  die  damalige  Zeit  Kasernen  nach- 
weisen, insbesondere  bei  den  Körnern,  deren  castra  in  den  Städten 
kasernenartig  eingerichtet  waren.  Es  finden  sich  derartige  Ruinen  häufig; 
die  am  besten  erhaltenen  sind  die  der  Gladiatorenkaserne  hinter  dem 
großen  Theater  zu  Pompeji.  Weniger  erhalten  sind  Ruinen  von  Kasernen 
für  Soldaten  in  Otricoli,  in  der  hadrianischen  Villa  bei  Tivoli,  zu  Bajae 
bei  Neapel,  ferner  zu  Rom  die  castra  urbana  für  die  vier  1500  Mann 
starken  Stadtkohorten,  die  castra  Ravennatium  des  Augustus,  die  castra 
praetoria  u.  s.  w.  Diese  mehrstöckigen  Anlagen  zeichneten  sich,  trotz- 
dem die  einzelnen,  nur  für  wenige  Leute  berechneten  Zimmer  oft  der 
Fenster  entbehrten,  durch  Geräumigkeit  und  insbesondere  durch  breite, 
luftige  und  helle  Gallerien  aus.  Auch  scheint  bereits  eine  Trennung  von 
Wohn-  lind  Schlafraum  stattgefunden  zu  haben  5. 

Weniger  dem  Begriffe  „Kaserne"  als  dem  des  „Lagers"  entsprachen 
die  castra  außerhalb  der  Städte,  auch  wenn  sie  bleibende  waren. 
Aehnelte  doch  die  Legion,  wenigstens  bis  auf  Septimius  Severus,  mehr 
einer  mobilen  Feldtruppe  als  der  modernen  Garnison. 


Militär-Bauten.  317 

Im  Mittelalter  schwand  mit  dem  Aufhören  der  stehenden  Heere 
das  Bedürfnis  für  eigentliche  Kasernen.  Allerdings  erinnert  der  Grund- 
riß mancher  mehrstöckiger  Donjons  6  des  12.  Jahrhunderts  an  die  Defeu- 
sionskaserne,  die  sich  später  aus  ihm  herausbildete.  Doch  ist  die  Aehn- 
lichkeit  immerhin  mehr  äußerlich,  da  die  Voraussetzung  einer  Kaserne, 
nämlich  die  dauernde  Anwesenheit  einer  Masse  Bewaffneter,  noch  fehlte. 

Für  die  Zeit,  wo  nach  dem  Ende  des  Mittelalters  sich 
die  Anfänge  der  stehenden  Heere  bildeten,  ließ  sich  aus  der  Litteratur 
der  Ursprung  der  Kasernen  bisher  nicht  erweisen;  denn  die  zahlreichen 
Schriften  über  Befestigung  und  Bewaffnung  aus  jener  Zeit  erwähnen 
zwar  häufig  die  Unterkunft  der  Belagerer,  kaum  je  aber  die  Mannschafts- 
wohnungen in  der  befestigten  Ortschaft.  B-ichter7  giebt  den  Grund- 
riß einiger  Kasernen  vom  Ausgange  des  16.  bis  zum  17.  Jahrhundert, 
führt  aber  als  Quellen  neuere  Zeitschriften  an.  Eine  Anzahl  solcher 
Bauten  erhielt  sich  hauptsächlich  in  England  und  Frankreich  bis  auf 
unsere  Tage.  Eigentümlich  sind  für  diese  Grundrisse  zahlreiche,  für  je 
1  oder  2  Zimmer  bestimmte  Treppen. 

Am  Ende  des  17.  Jahrhunderts  (seit  1685)  brachte  Vauban,. 
der  Gründer  des  modernen  Eestungswesens ,  ohne  das  Vorgefundene 
wesentlich  abzuändern,  feste  Grundsätze  in  den  Kasernenbau.  Er  trennte 
die  einzelnen,  72  Mann  starken  Kompagnien,  die  je  ein  Haus  mit  zwei 
besonderen,  einläufigen  Treppen  erhielten.  Es  gab  nur  Stuben  für  je 
12  Mann,  keine  Nebenräume  und  keine  Gänge.  Der  Luftraum  schwankte 
je  nach  dem  Stockwerke  und  der  Benutzung  von  8,7  bis  21  m3  auf 
den  Kopf. 

Die  Veränderungen,  welche  bis  etwa  1820  an  dem  Vauban'schen 
Vorbilde  angebracht  wurden,  waren  in  baulicher  Hinsicht  geringe  Ver- 
besserungen, insofern  man  die  zahlreichen,  schmalen  und  steilen  Treppen 
durch  wenige  breitere  ersetzte.  Die  dadurch  nötig  gewordenen  Gänge, 
sowie  die  Zusammenlegung  von  mehreren  kleineren  Zimmern  zu  einem 
größeren  stellen  aber  in  gesundheitlicher  Hinsicht  erhebliche  Verschlechte- 
rungen dar. 

Die  durch  den  Einfluß  der  Encyklopädisten  in  der  zweiten  Hälfte 
des  vorigen  Jahrhunderts  hervorgerufene  Aufmerksamkeit  auf  die  Mängel 
aller  öffentlichen  Einrichtungen  veranlaßte  zunächst  in  Frankreich 
das  Bestreben,  verbesserte  Truppenunterkünfte  herzustellen.  Im  Jahre  1788 
wurde  gleichzeitig  mit  dem  Entwürfe  des  ersten  gemäß  gesundheitlichen 
Grundsätzen  zu  erbauenden,  nach  der  Gräfin  Lariboisiere  benannten 
Krankenhauses  auch  für  den  besten  Plan  einer  gesunden  Infanterie-  und 
Kavalleriekaserne  je  ein  Preis  von  50  Louisdor  (etwa  1000  M.)  aus- 
gesetzt. Während  aber  das  Krankenhaus :  „Lariboisiere"  nachträglich 
—  vom  Jahre  1846  an  —  wirklich  erbaut  wurde,  verschwanden  die 
Kasernenentwürfe  während  der  ersten  französischen  Revolution  völlig. 
Gegen  Mitte  dieses  Jahrhunderts  veranlaßte  in  Frankreich  die  Zunahme 
der  Sterblichkeit  der  —  Pferde  Verbesserungen  zunächst  in  der  Unter- 
kunft der  berittenen  Truppen. 

Der  Gedanke  eines  gesundheitlich  entworfenen  Kasernements  wurde 
erst  nach  dem  Krimkriege,  dessen  Verlustziffer  eine  nicht  zu  überhörende 
Mahnung  ausdrückte,  in  England  wieder  aufgenommen  und  zwar  1862 
durch  ein  Blaubuch 8  über  die  Untersuchung  von  162  Kasernen  und 
114  Lazaretten,  dessen  treffliche  Vorschläge  für  die  militärischen 
Wohnungsanlagen  in  Großbritannien  seitdem  maßgebend  blieben. 

21* 


318  HELBIG, 

Auf  Frankreich  wirkte  das  Vorbild  Englands  trotz  der  im  Krim- 
kriege gemeinsam  gemachten  Erfahrungen  nicht  ein.  Selbst  bei  den 
nach  1866  und  1871  eintretenden  Heervermehrungen  hielt  man  an  Ent- 
würfen von  Beimas  aus  dem  Jahre  1822  fest  und  verbaute  nach  diesen 
schlechten  Vorbildern  160  Millionen  Frcs.  Arnould's9  Warnung 
blieb  unbeachtet.  Erst  zufolge  des  Aufsehens,  welches  ein  sensationeller 
Roman  l  °  über  das  dortige  Kasernenleben  hervorrief,  scheint  seit  1890 
auch  in  Frankreich  allgemeine  Besserung  einzutreten.  Insbesondere  be- 
achtet man  mehr  und  mehr  das  System  T  o  1 1  e  t '  s  (siehe  S.  344)  ,  das 
eine  beachtenswerte  Neuheit  im  Kasernenbaue  darstellt,  und  die  eigen- 
artigen Vorschläge  dieses  bereits  seit  1870  für  die  gesundheitliche  Ver- 
besserung der  Militärbauten  thätigen  Ingenieurs  47.  Das  Rundschreiben21 
des  Kriegsministeriums  an  die  Generalkommandos  vom  5.  Februar  1894 
betont  bezüglich  der  Kasernenfragen:  „Ces  questions,  qui  Interessent  le 
bien-etre  et  la  sante  des  hommes,  ainsi  que  le  bon  fonctionnement  des 
Services  interieurs  des  corps  de  troupe." 

Die  kleineren  europäischen  Staaten  schlössen  sich,  wie  in  anderen 
Heeresangelegenheiten,  meist  den  französischen  und  englischen  Vorbildern 
an,  doch  führten  sie  auch  selbständig  Verbesserungen  aus,  so  beispiels- 
weise die  Trennung  der  Wohnzimmer  vom  Schlafsaal,  die  Belgien  auf 
Betrieb  der  Putzeys11,  später  auch  Dänemark,  nach  hannoverschem 
und  sächsischem  Vorgange  annahmen. 

Die  Vereinigten  Staaten  von  Nordamerika,  über  deren  mili- 
tärische Bauten  in  den  letzten  Jahren  keine  größere  Veröffentlichung  er- 
folgte, sollen  zur  Zeit  die  besten  Kasernen  herstellen  und  insbesondere 
eine  Anpassung  an  die  dort  wesentlich  verschiedenen  Witterungsver- 
hältnisse erreichen.  Eine  solche  Anpassung  erscheint  in  den  west-  und 
mitteleuropäischen  Staaten  weit  weniger  nötig,  darf  aber  nicht,  wie  es 
bisweilen  geschieht,  völlig  außer  acht  gelassen  werden  und  einer  ge- 
dankenlosen Anwendung  desselben  Schemas  für  ein  ganzes  Reich  Platz 
machen. 

Rußland  erließ  die  erste  Vorschrift  über  den  Kasernenbau  nach 
Erismann12  erst  1875.  Bis  dahin  war  mit  Ausnahme  von  Peters- 
burg und  dem  Moskauer  Bezirke  das  stehende  Heer  bei  den  Bürgern 
untergebracht. 

In  Oester  r  ei  ch- Ungarn  erschien  1895  eine  neue  „Anleitung  für 
den  Neubau  von  Kasernen"  56,  die  ohne  bestimmte  Vorschriften  zu  geben, 
die  Größe  eines  Wohngebäudes  auf  ein  Bataillon  oder  ein  Artillerie- 
Regiment  beschränkt  (§  39). 

In  Deutschland  trat  schon  seit  dem  vorigen  Jahrhunderte  das 
Bestreben,  eine  geeignete  Unterkunft  für  das  Friedensheer  herzustellen, 
hie  und  da  hervor.  In  Preußen,  dessen  Einrichtungen  seit  1866  den 
anderen  deutschen  Staaten  maßgebend  wurden,  stellte  das  Gesetz  vom 
13.  Mai  1820  die  Erbauung  von  Kasernen  als  Grundsatz  auf;  bis  dahin 
war  den  Städten  die  Unterbringung  der  Garnison  übertragen  und  zwar 
erst  seit  1810  unter  Ausgleichung  der  Einquartierungslast  durch  den 
damals  eingeführten  Servis.  Im  Norddeutschen  Bunde  war  bereits  die 
Hälfte  der  aktiven  Armee  im  Frieden  kaserniert.  —  Die  Vorliebe  für 
gewaltige  Gebäudemassen,  die  der  Erzielung  gesundheitlich  tadelloser 
Verhältnisse  hinderlich  war,  begründete  sich  meist  durch  die  Kostspielig- 
keit des  Baulandes.  Doch  auch  die  von  1870,  bez.  1873,  bis  etwa  1878 
auf  fiskalischem  Waldboden  entstandene  Albertstadt  bei  Dresden13,  die 


Militär-Bauten.  319 

zur  Zeit  größte  Kasernenanlage  der  Welt,  zeigt  in  den  älteren  Teilen 
fast  ausschließlich  sehr  ausgedehnte  Wohnungsanlagen.  Die  grundsätzliche 
Verteilung  eines  ganzen  Regiments  auf  demselben  Baugrunde  in  kleine 
Gebäudegruppen,  z.  B.  für  ein  Bataillon  und  Einzelhäuser  für  Kompagnien, 
begann  mit  den  1871  vollendeten  Militärquartierhäusern  zu  Schwerin  14, 
fand  aber  bisher  wenig  Nachahmung,  so  beispielsweise  bei  den  Halb- 
bataillonskasernen des  1.  Pommerschen  Grenadierregiments  No.  2  zu 
Stettin  lft. 

Im  allgemeinen  läßt  sich  nicht  verkennen,  daß  seit  der  Mitte  dieses 
Jahrhunderts  die  Grundsätze  der  Gesundheitslehre  auf  den  Kasernenbau 
in  den  Kulturstaaten  stetig  wachsenden  Einfluß  gewannen,  und  daß  ins- 
besondere seit  dem  letzten  Jahrzehnte  die  „Kaserne"  mehr  und  mehr 
aufhört  mit  der  dreifaltigen  Begriffsverbindung  von  Un wohnlichkeit, 
Schmutz  und  Mephitismus  zusammenzufallen.  Wenn  befriedigende  Zu- 
stände nicht  allenthalben  mit  erwünschter  Schnelligkeit  zu  erreichen 
waren,  so  lag  das  zum  Teil  daran,  daß  durch  die  sich  häufig  über- 
stürzenden Heervergrößerungen  die  Aufgabe  mehr  und  mehr  erschwert 
wurde. 

b)Lage  und  Baugrund. 

An  die  Lage  der  Kaserne  sind  zunächst  dieselben  Anforderungen 
zu  stellen,  wie  an  die  eines  gesunden  Wohnhauses  (vergl.  4.  Bd.  2.  Abt. 
S.  537).  Wird  die  Kaserne,  wie  es  jetzt  wohl  meist  geschieht,  außerhalb 
der  Ortschaft  auf  freiem  Gelände  oder  im  Walde  angelegt,  so  ist,  worauf 
M.  Kirchner16  hinweist,  die  Entfernung  vom  Orte  nicht  unnötig  groß 
zu  wählen.  Gegen  Ueberflutung  mit  dem  anwachsenden  Häusermeere 
der  benachbarten  Stadt  schützen  rechtzeitige  Bodenankäufe  oder  orts- 
polizeiliche Bauverbote.  Die  unmittelbare  Nachbarschaft  eines  großen 
Uebungsplatzes  erscheint  dienstlich  erwünscht  und  für  Offiziere  und 
Mannschaften  bequem,  hat  aber,  was  Forst17  betont,  Bedenken  hin- 
sichtlich des  Blendlichts  einer  großen  unbebauten  Bodenfläche  und  noch 
mehr  wegen  des  auf  dieser  sich  bildenden  Staubes.  Man  wird  daher 
von  vornherein  auf  Zwischenlegung  eines  mit  dichtem  Gehölz  und  Bäumen 
bepflanzten  Landstreifens  bedacht  sein  müssen. 

Der  Baugrund  kommt  hauptsächlich  hinsichtlich  der  Malaria  und 
bei  der  Beseitigung  der  Abfallstoffe  in  Betracht.  Es  gelten  hierbei  die 
allgemeinen  Grundsätze  (vergl.  S.  537  ff.  des  4.  Bandes).  Machen  sich 
bei  Kasernenbauten  Aufschüttungen  nötig,  so  ist  vom  Unternehmer 
die  Ausführung  mit  einwandfreien  Stoffen  zu  bedingen  und  von  der 
Aufsichtsbehörde  zu  überwachen. 

c)  Grundriß  und  Hof. 

Allgemein  verwirft  man  die  Anordnung  der  Gebäude  als  geschlossenes 
Viereck  und  den  sog.  Mittelkorridor.  Trotzdem  weisen  zahlreiche 
neue  Kasernen  und  Lazarette  den  letzteren  noch  auf.  Auch  gestattet 
ihn  die  Garnison-Gebäudeordnung  (1.  Teil  §  5,  12)  sogar  in  Wohn- 
gebäuden. Man  kann  sich  nicht  so  leicht  von  einem  seit  fast  2  Jahr- 
hunderten üblichen  Schema  trennen,  um  so  weniger,  als  es  Ersparnis 
an  Baukosten  verspricht. 

Allerdings  vermeidet  man,  zu  beiden  Seiten  eines  langen  Ganges 
Mannschaftsstuben    (oder   Krankenzimmer)    anzuordnen,   wohl    aber    führt 


320 


HELBIG, 


man  zwischen  Geschäftszimmern,  Wirtschaftsräumen,  Wohnungen  für 
Verheiratete,  Unterrichts-  oder  Putzzimmern  und  anderen  Nebengelassen 
einen  Mittelgang  hindurch.  Es  tritt  dann  häufig  der  Fall  ein,  daß  bei 
einer  Heervermehrung  diese  Nebenräume  doch  zur  Unterbringung  von 
Mannschaften  benutzt  werden  müssen ,  zumal  wenn  für 
die  betreffenden  Nebenzwecke  besondere  Häuser  aufge- 
führt werden.  Auch  das  geschlossene  Viereck  fand  beim 
Kasernengrundrisse  noch  im '  vorigen  Jahrzehnt,  wie  der 
Lageplan  (Fig.  1)  der  Infanteriekaserne  zu  Zwickau  in 
Sachsen  zeigt,  Anwendung.  Allerdings  lag  das  Gebäude 
hoch  und  die  Baulichkeiten  an  dessen  vierter  Seite  waren 
nur  niedrig. 

Fig.  1.     Lageplan    der   Infanterie-Regiments-Kaserne   zu  Zwickau 
im  Mafsstabe  von  1  :  3140. 


£  x  -b,  r  x,  t  e  r 

31,335^ 

13T52 


Fig.  2.     Grund 
Kaserne  im  Mafsstabe 


Grundsätzlich  sollte  das  einzelne  Mannschaftsgebäude  unter  Aus- 
schluß der  Küche  nur  eiDer  Kompagnie  Unterkunft  gewähren.  In  diesem 
Falle  macht  sich  bei  einem  freistehenden  Hause  überhaupt  kein  längerer 
Gang  nötig,  da  in  3  Stockwerken  (einschließlich  des  Erdgeschosses)  bei 
Zimmern  für  je  12  Mann  alle  Wohnräume  von  der  Treppe  aus  zu  er- 
reichen sind.  Wie  auch  kurze  Gänge  bei  kleinen  Gebäuden  in  falscher 
Weise  angebracht  werden  können,  zeigt  der  beistehende  Grundriß  der 
Infanteriekaserne  No.  III  zu  Hannover  aus  dem  Jahre  1831. 


Militär-Bauten. 


321 


Trennt  man,  wie  es  die  Gesundheitspflege  verlangt,  Wohn-,  Schlaf- 
und  Putzräume,  oder  steht  die  Kompagniekaserne  nicht  frei,  sondern 
zwischen  anderen  Häusern  eingebaut,  oder  ist   sie    weniger    als  3  Stock- 


Mafsstab   1  :  600. 
Fig.  3.     1.  Obergestock  der  Kaserne  No.  III  am  Waterlooplatze  zu  Hannover. 


werke  hoch,  so  läßt  sich  ein  Gang  kaum  umgehen,  der  auf  die  eine  Seite 
des  Gebäudes,  nie  aber  in  dessen  Mitte  zu  liegen  kommt. 

Längere  Gänge  werden  nötig,  wenn  das  mehrstöckige  Gebäude  bei 
wenig  Treppen  mehr  als  eine  Kompagnie  aufnimmt.  Man  legt  diese 
Gänge  auf  die  Hofseite,  falls  nicht  bei  freier  und  hoher  Lage  des  Ge- 
bäudes Rücksicht  auf  die  herrschenden  Winde,  auf  die  Nordrichtung 
oder  sonst  dem  entgegensteht.  Ein  Beispiel  eines  solchen  Ganges  bietet 
der  Grundriß  (Fig.  2)  eines  Flügels  der  oben  erwähnten  Zwickauer 
Kaserne. 

Wie  verfehlt  solche  Anlagen  auch  vom  Verwaltungsstandpunkte  aus 
sind,  zeigte  ein  im  Dachgestocke  dieser  Kaserne  am  29.  April  1897  aus- 
gebrochenes Schadenfeuer,  wobei  trotz  baldiger  Entdeckung  und  emsiger 
Abwehr  durch  geschulte  Feuerwehren  das  Riesengebäude  bis  zum  Keller 
ausbrannte  und  Vorräte  im  Werte  von  mehr  als  einer  Million  Mark  zu 
Grunde  gingen. 

Die  Stellung  der  einzelnen  Bauten  derselben  Kasernenanlage  zu 
einander  bei  dem  Blocksystem  kann  ebenso  verschieden  sein,  wie  dies 
bei  Krankenhäusern  in  derselben  Bauweise  der  Fall  ist. 

Sind  in  derselben  Anlage  mehrere  Kasernen  unterzubringen,  so  er- 
schwert das  Anreihen  der  ausgedehnten  Baulichkeiten  an  einer  einzigen 
Hauptstraße  (in  der  Albertstadt  bei  Dresden  beträgt  die  Länge  der  sog. 
Heerstraße,  an  deren  einer  Seite  4  Regimentskasernen  und  einige  andere 
Militäretablissements  liegen,  über  3  km)  den  Verkehr,  die  Beschleußung, 


322 


HELBIG, 


die  Versorgung  mit  Gas  und  Wasser  etc.  Ebenso  erscheint  bei  einer 
einzelnen  Kaserne  die  Anordnung  aller  Baulichkeiten  in  einer  Reihe  ebenso 
unzweckmäßig  wie  häßlich;  doch  bilden  andererseits  weit  hervorstehende 
Flügel  den  Uebergang  zur  geschlossenen  Bauweise.  Stromeyer18  will 
deshalb  keine  Flügel  über  25  Fuß  aus  der  Facade  hervortreten  lassen. 
Ein  Beispiel  einer  linearen  Anordnung  zeigt  beistehender  Grundriß  (Fig.  4) 


einer  Grenadierkaserne  in  der  Albertstadt  bei  Dresden.  —  Betreffs  des 
Abstandes  der  einzelnen  Häuser  sind  die  allgemein  für  Wohnungen 
geltenden  Grundsätze  zu  befolgen,  insbesondere  ist  den  Fenstern  bewohnter 
Räume  ein  Lichteinfallswinkel  von  45  °  zu  sichern  (vergl.  Bd.  4,  S.  455). 

An  Hofraum  bedarf  die  Kaserne  erheblich  mehr  als  das  städtische 
Wohnhaus  (S.  457  des  4.  Bandes),  man  rechnet  mindestens  doppelt 
soviel  als  die  bebaute  Fläche.  Doch  ist  diese  Bemessung  von  der 
Anzahl  der  Stockwerke,  deren  Belegzahl,  der  Waffengattung,  der  Nähe 
des  Uebungsplatzes  etc.  abhängig. 

Die  Kaserne  pflegt  man,  wenn  sie  außerhalb  des  Ortes  erbaut  wird, 
neuerdings  mit  Gärten  auszustatten. 

In  der  Albertstadt  bei  Dresden  besitzt  sogar  jede  Kaserne  außer  einem 
Garten  für  Offiziere  und  Gartenland  für  Unteroffiziersfamilien,  noch  einen 
Park  für  Mannschaften.  Außer  der  Annehmlichkeit,  die  solche  Anlagen  ge- 
währen, bieten  sie  den  Vorteil,  lästige  Nachbarschaft  fern  zu  halten  und 
Grundfläche  für  künftige  Erweiterung  der  Wohnungsanlagen  zu  sichern. 
Die  Gewährung  von  etwas  Gartenland  für  die  in  der  Kaserne  oder  in 
der  Stadt  wohnenden  Unteroffiziersfamilien  empfiehlt  sich  aus  denselben 
Gründen,  aus  denen  man  neuerdings  in  Städten  derartige  kleine  Familien- 
gärten seitens  der  Gemeinde  oder  milder  Stiftungen  beschafft. 

Kasernengärten  zu  Nutzzwecken  sind  in  Deutschland  nicht  üb- 
lich; in  Frankreich  werden  sie  als:  „potagers"  empfohlen,  jedoch  wird 
vor  etwaigem  Mißbrauche  gewarnt 21.  Auch  die  erwähnte  österreichische 
„Anleitung  für  den  Neubau  von  Kasernen"  5  6  nimmt  in  §  415  „Mann- 
schaftsgemüsegärten" in  Aussicht. 

Anpflanzungen  verdecken  oft  zweckmäßig  häßliche  Winkel, 
Schuppen,  Latrinen  u.  dergl.    Doch  dürfen  diese  Pflanzungen  nicht  zu 


Militär-Bauten.  323 

dicht  an  das  Mauerwerk  heranreichen  (Garnison-Gebäudeordnung,  1.  Teil 
§  38,  8).  Ueber  Graswuchs  auf  flachen  Dächern  vergl.  S.  746 
des  4.  Bandes,  über  Anpflanzungen  gegen  Malaria  den  9.  Band 
dieses  Werkes,  sowie  1.  Band,  S.  223. 

d)  Wohngebäude  für  Mannschaften. 

Hinsichtlich  der  Anforderungen  an  die  freie  Lage  und  den  Bau- 
stoff unterscheidet  sich  das  Gebäude  zur  Unterbringung  der  Mannschaft 
nicht  von  anderen  Wohnhäusern.  Die  Zahl  der  Stockwerke  darf 
einschließlich  des  Erdgeschosses,  auch  wenn  dieses  unbewohnt  bleibt, 
zwei  nicht  übersteigen,  während  die  deutsche  Garnison-Gebäudeordnung 
(§  5  des  1.  Teiles)  drei  bewohnte  Geschosse  zu  nur  3,8  m  Höhe 
übereinander  gestattet.  Betreffs  der  Anforderungen  an  eine  bequeme 
und  feuersichere  Treppe  ist  dem  in  der  2.  Abt.  des  4.  Bandes  (S.  716) 
Bemerkten  betreffs  der  Kaserne  kaum  etwas  hinzuzufügen. 

Das  Treppenhaus  sollte,  was  man  bisweilen  unbeachtet  läßt,  der 
weniger  günstig  gelegenen  Seite  der  Anlage  zugewiesen  werden.  Die 
Garnison  -  Gebäudeordnung  (a.  a.  0).  gewährt  für  jede  Kompagnie  eine 
besondere  Treppe  von  ausreichender  Breite. 

Auf  den,  wie  erwähnt,  thunlich  zu  mindernden  langen  Gängen 
pflegt  man  Kleider  zu  reinigen,  Stiefel  zu  wichsen,  Aufstellungen,  selbst 
Exercier-  und  Zielübungen  vorzunehmen;  dies  alles  sollte  aber  im  Hin- 
blick auf  die  dadurch  veranlaßte  Stauberzeugung  thunlich  beschränkt 
werden. 

Die  Benutzung  des  Dachraumes  als  W7ohnung  tritt  dort  zurück, 
wo  man  dem  unschönen  und  unpraktischen  Satteldache  (oder  gar  Pult- 
dache) das  Altandach  vorzieht. 

Letzteres  empfiehlt  sich,  aus  wasserdichtem  Stoffe  (Cement)  in 
wagerechter,  ebener  Gestalt  hergestellt,  auch  durch  seine  Billigkeit  und 
Feuersicherheit.  Dagegen  sind  die  aus  Stilgründen  bisweilen  beliebten 
ungewöhnlichen  Dachformen  zu  verwerfen ;  insbesondere  bieten  Ueber- 
hängedächer  im  deutschen  Klima  keinen  Vorteil. 

Besonderer  Beachtung  verdienen  bei  der  dichten  Belegung  der 
Kaserne  die  Zwischenböden,  die,  wie  S.  462  und  657  des  4.  Bandes 
für  Wohnungen  ausgeführt  wurde,  auch  bei  Kasernen  lediglich  aus 
feuerbeständigem  Stoffe  unter  Vermeidung  von  organischen  Füllmateriale 
bestehen  sollten.  Der  Ersatz  der  hergebrachten  hölzernen  Balken  durch 
eiserne  Träger  erscheint  für  größere  Kasernenneubauten  schon  zur 
Minderung  der  erfahrungsmäßig  hohen  Feuergefährlichkeit  solcher 
Anlagen  unerläßlich  und  bei  richtiger  Ausführung  auf  die  Dauer  kaum 
teurer. 

Die  Unterkellerung  wird  häufig  nur  so  weit  vorgenommen,  als 
man  Kellerräume  zu  Heizanlagen,  Küchen,  Vorratsgelassen,  Kohlen- 
behältern u.  s.  w.  bedarf.  Auf  Gelände  mit  hohem  Grundwasserstande 
ist  aber  eine  durchgehende  Unterkellerung  —  abgesehen  von  den  er- 
forderlichen Isolierschichten  —  auch  bei  kleineren  Wohngebäuden  un- 
erläßlich, während  auf  trockenem  Grunde  wenigstens  größere  Bauwerke 
einer  solchen  Unterkellerung  bedürfen. 

9 


324  HELBIG, 


e)  Mannschaftsstube. 

Bezüglich  der  Mannschaftsstube  bestimmt  die  deutsche  und  öster- 
reichische Vorschrift,  daß  jedem  Manne  4  1/2  m2  Grundfläche  zu  gewähren 
sind.  Es  würde  dies  kaum  zureichen,  auch  wenn  darin  nicht  der  Ofen 
und  die  zur  Unterbringung  des  Bettes,  der  Schränke  und  Tische 
nötige  Fläche  enthalten  wäre.  In  England  gelten  9,9  m2  als  Mindest- 
fläche. Die  Größe  des  Kasernenzimmers  bemißt  man  in  Deutschland 
in  der  Regel  auf  8 — 12  Mann. 

Doch,  gilt  dies  nur  von  neuen  Anlagen,  während  solche  Kasernen, 
welche  in  alten  Gebäuden  nachträglich  eingerichtet  wurden,  Stuben  bis 
32  Mann  neben  kleineren  für  2 — 6  Bewohner  enthalten.  Im  Interesse 
der  Wohnlichkeit  kann  man  mit  der  früheren  preußischen  Vorschrift  19 
eine  Bewohnerzahl  von  10  als  oberste  Grenze  annehmen. 

Ein  eigentümliches  Mittel,  den  Luftraum  der  Mannschaftsstuben  durch 
weite,  nicht  verschließbare,  nach  dem  Seitengang  gehende  Oeffnungen  zu 
vergrößern,  bewährte  sich  nach  H.  Hobrecht57  in  Moskauer  Kasernen 
und  wäre  vielleicht  in  Anlagen  mit  Sammelheizungen  auch  bei  uns  ver- 
wertbar. Bei  ungeschickter  Anwendung  dürfte  dadurch  freilich  die  Wohn- 
lichkeit beeinträchtigt  werden. 

Bei  der  geringen  Raumbemessung  bedarf  das  Kasernenzimmer  einer 
sorgsamen  Lüftung,  die  einen  in  der  Stunde  mindestens  einmaligen 
Luftwechsel  sichert.  Am  besten  geschieht  dies  durch  Sammelheizungen, 
die  neben  wirtschaftlichen  Vorzügen  den  Vorteil  der  Staubverminderung 
gegenüber  den  gewöhnlichen  Oefen  gewähren  und  17—19°  C.  Zimmer- 
wärme erzeugen  sollen. 

Da  derartige  Heizanlagen,  die  bisher  in  Deutschland  nur  bei  den 
sächsischen  Kasernen  eingeführt  wurden,  eine  hinreichende  Lufter- 
neuerung lediglich  während  der  Zeit,  wo  geheizt  wird,  bewirken,  so 
müssen  Hilfsmittel  der  natürlichen  Ventilation,  wie  Kippfenster,  Glas- 
jalousien u.  dergl.  außerdem  vorgesehen  sein  (vergl.  S.  [696  ff.  des 
4.  Bandes). 

Die  Beleuchtung  der  Mannschaftsstuben  durch  Fenster  bietet 
gegenüber  anderen  Wohnungen  kaum  etwas  Besonderes. 

Die  in  den  Kasernen  weit  verbreitete  Gepflogenheit ,  einzelne 
Fenster  mit  Schränken  zu  verstellen,  um  einen  Raum  für  Unteroffizieren 
abzusondern,  macht  selbstredend  die  besten  baulichen  Vorkehrungen  un- 
wirksam. Zur  künstlichen  Beleuchtung  gewährt  die  deutsche  Gar- 
nison-Gebäudeordnung für  je  10  Mann  eine  Hängelampe  und  für  je  2 
Unteroffiziere  eine  Stehlampe. 

Die  Wände  der  Zimmer  in  Kasernen  bedürfen  mehr  als  sonst  der 
Abrundung  der  Ecken  zur  Vermeidung  von  Staubansammlungen. 

Tapeten  sind  unzulässig;  dem  in  Deutschland  vorgeschriebenen 
Kalkanstriche  ist  ein  Oelanstrich  wenigstens  bis  zur  Manneshöhe  vor- 
zuziehen. 


Militär-Bauten.  325 

Einer  besonderen  Beachtung  bedarf  der  Fußboden.  Dieser  ist 
durch  die  eisernen  Stiefelbeschläge  der  Mannschaften  mehr  als  in  anderen 
Wohnungen  der  Abnutzung  und  dort,  wo  besondere  Putz-  und  Wasch- 
räume fehlen,  auch  der  Beschmutzung  und  Durchfeuchtung  im  hohen 
Grade  ausgesetzt. 

Da  Stein-  oder  Cementboden  aus  klimatischen  Gründen  in  Deutsch- 
land eines  kostspieligen  Linoleumbelags  bedarf,  so  ist  man  auf  hölzerne 
Dielung  angewiesen,  deren  Uebelstände  S.  670  des  4.  Bandes  hervor- 
gehoben werden.  Die  üblichen  Fußbodenanstr  i  che  sind  für  Kasernen 
zu  wenig  haltbar,  besser  bewährt  sich  das  Tränken  mit  siedendem 
Leinöle.  So  behandelte  Dielen  kann  man  an  Stelle  des  üblichen  Scheuerns 
nach  oberflächlichem  Abfegen  mit  nassen  Tüchern  abwaschen,  und  es 
läßt  sich  dabei  ein  hoher  Grad  von  Reinheit  und  und  Staubfreiheit  er- 
zielen. Jedoch  muß  das  Tränken  jährlich  mindestens  einmal  erneuert 
werden.  Auch  der  von  Schaff  er20  angegebene,  in  Oesterreich  und 
Prankreich  mit  gutem  Erfolge  erprobte  Teer  anstrich  bedarf  einer 
jährlichen  Wiederholung.  Er  hat  den  Nachteil  eines  dunklen  Aussehens, 
soll  aber  billig  sein,  eine  leichte  Reinigung  durch  Aufwischen  gestatten, 
das  Ungeziefer  beseitigen  und  den  eigentümlichen  Kasernengeruch  ver- 
decken. Unter  dem  Namen  „Coaltarisation"  (von  coal,  Kohle,  und  tar,  Teer, 
teeren)  wurde  das  Verfahren  durch  das  oben  (S.  318)  erwähnte  Rund- 
schreiben 2 *  im  französischen  Heere  eingehend  bekannt  gemacht  und 
neben  der  Anschaffung  von  Fußabstreichern  zur  Einführung  empfohlen, 
jedoch  der  hohen  Kosten  wegen  nicht  vorgeschrieben. 

Von  der  Ausrüstung  der  Mannschaftsstube  bietet  die  Unterbringung 
der  Lagerstätten  überall  da,  wo  keine  besonderen  Schlafräume  zur 
Verfügung  stehen,  erhebliche  Schwierigkeit.  Das  vorschriftsmäßige  Bett 
nimmt  etwa  1  1/2  m2  Bodenfläche  in  Anspruch;  da  es  der  Lüftung 
wegen  etwa  i/3  m  von  der  WTand  abstehen  soll,  so  beengt  es  den  ohne- 
hin beschränkten  Raum  tagsüber  in  störender  WTeise.  Man  stellt  des- 
halb, wie  auf  Schiffen ,  mehrere  Lagerstellen  übereinander;  zur  Ver- 
hütung von  Unfällen  ist  ein  dreifaches  Aufeinanderschlafen  ver- 
boten 22. 

In  England  richtete  man  die  eisernen  Bettstellen  zum  Zusammen- 
schieben ein,  wobei  am  Tage  das  Bettzeug  zusammengerollt  am  Fußende 
liegt.  In  Spanien  und  sonst  stellt  man  die  unbenutzten  Betten  senk- 
recht an  die  Wand.  Auch  zog  man  sie,  wie  den  lit  hamac  (siehe  S.  343), 
mit  Schnüren  an  die  Zimmerdecke  u.  s.  w.  Ueber  das  deutsche  Kasernen- 
bett siehe  S.  327. 

Bei  der  Wahl  des  Materials  für  die  Betten  und  die  sonstige 
Zimmerausrüstung  ist  auf  die  Verhütung  des  Einnistens  von  Insekten, 
insbesondere  von  W7anzen,  Rücksicht  zu  nehmen. 

Wesentlicher  als  die  Art  der  Ausrüstung  der  Stuben  mit  Schränken, 
Tischen,  Stühlen,  Gardinen,  Spucknäpfen  u.  s.  w.  erscheint  der  Erlaß 
von  Verhaltungsvorschriften  und  die  Aufsicht  über  deren  Be- 
folgung. 

Die  Einzelheiten  der  einschlagenden  Bestimmungen  sind  je  nach  der 
Oertlichkeit,  der  Waffengattung,  der  Zimmereinrichtung,  den   vorhandenen 


326  HELBIG, 

Nebenräumen  u.  s.  w.    verschieden;    es    muß    in  dieser    Hinsicht    auf   die 
militärischen  Werke  und  die  dienstlichen  Vorschriften  verwiesen  werden. 

f)  Andere  Räume  für  Mannschaften. 

a)  Schlafsaal. 

Besondere  Schlafräume ,  die  eine  Erhöhung  des  für  jeden  Mann 
von  der  Garnisongebäudeordnung 2  3  in  Deutschland  gewährten  Luft- 
raumes von  15  bis  16  m3  auf  mindestens  20  m3  und  der  Fußboden- 
flache  von  41j2  auf  mindestens  7  m2  bedingen,  sind  eine  Forderung  der 
Gesundheitspflege,  die  überall  da,  wo  nicht  kleine  Abteilungen  in  Einzel- 
gebäuden untergebracht  sind,  zur  Geltung  kommt.  Denn  in  den  großen 
Kasernengebäuden  kann  die  am  Tage  durch  Staub  verunreinigte,  mit 
Tabaksqualm  erfüllte ,  dicht  belegte  Mannschaftsstube  trotz  aller  Maß- 
nahmen und  Vorschriften  auf  die  Dauer  keinen  zum  Schlafen  geeigneten 
Raum  bieten.  Nur  getrennte  Schlafsäle  lassen  sich  tagsüber  gehörig 
lüften  und  reinhalten.  Ihre  Anlage,  die  nach  §  12  der  deutschen 
Garnison-Gebäudeordnung  in  jedem  einzelnen  Fall  der  Genehmigung  des 
Kriegsministeriums  unterliegt,  muß  die  allgemein  an  gesunde  Wohn- 
räume gestellten  Anforderungen  erfüllen,  die  hier  nicht  im  Einzelnen 
zu  wiederholen  sind.  Schwierigkeit  bietet  die  hinreichende  Lüftung, 
die  um  so  nötiger  erscheint,  als  der  Aufenthalt  im  Schlafraum  an- 
haltender und  regelmäßiger  zu  sein  pflegt  als  beispielsweise  der  im 
Theater,  in  der  Schule  und  für  gewöhnlich  selbst  der  Verbleib  im  Wohn- 
zimmer. Zur  Förderung  des  natürlichen  Luftwechsels  erhalten  die 
Schlafsäle,  soweit  thunlich,  an  zwei  gegenüberliegenden  Seiten  Fenster; 
diese  kann  man,  wenn  man  die  Enden  freistehender  Gebäude  oder 
deren  Flügel  benutzt,  auch  an  drei  Seiten  anbringen.  In  der  Albert- 
stadt  bei  Dresden  haben  einzelne  Säle  sogar  an  allen  vier  Seiten  Fenster. 
Letztere  sollten  bei  freier  Lage  des  Gebäudes  in  unserem  Klima  an 
der  Wetterseite  mit  Doppelfenstern  versehen  sein ,  auch,  falls  das  Ge- 
bäude eine  Sammelheizung  hat,  bis  auf  mindestens  +  12  °  C.  erwärmt 
werden. 

Versäumt  man  dies,  so  zeigen  sich  leicht  Uebelstände.  Die  am  Tage 
ausgekühlten  Wände  verdichten  den  von  den  Schläfern  ausgeatmeten 
Wasserdampf  und  werden  feucht.  Dies  hindert  u.  a.  den  natürlichen 
Luftwechsel  durch  die  Poren  des  Mauerwerkes.  Man  findet  dann  gegen 
Morgen  die  von  Leo24  erwähnte  erhebliche  Vermehrung  der  Kohlen- 
säure in  der  Saalluft.  Ferner  zeigen  sich  die  Mannschaften  zumeist  gegen 
Frost  und  Erkältung  empfindlicher  als  gegen  verdorbene  Luft,  deren 
Schädlichkeit  sie  nicht  sofort  wahrnehmen  und  deren  Geruch  sie  gewohnt 
sind.  Sie  suchen  sich  deshalb  vor  der  Kälte  durch  Verhängen  der 
Fenster  mit  Strohmatten,  Verstopfen  der  Spalten  mit  Moos,  auch  dadurch, 
daß  sie  sich  angekleidet  schlafen  legen  u.  s.  w.,  zu  schützen.  Nicht 
selten  zeigt  die  ärztliche  Statistik,  daß  nach  dem  Ersätze  eines  alten 
mangelhaften  Kasernements  durch  ein  neues,  ungleich  besseres  die  Er- 
krankungshäufigkeit nicht,  wie  man  erwartete,  geringer  wird,  sondern 
sogar  durch  Zunahme  der  durch  Erkältung  veranlaßten  Krankheitsfälle  *) 
steigt. 

*)  Nach  Petrin25  soll  mit  dem  Pavillonsystem,  bez.  durch  die  Decentrslisation 
bei    Kasernen    in  Deutschland    (ähnlich    wie  in  Indien,    England,    Oesterreich- Ungarn   und 


Militär-Bauten.  327 

Als  Lage  des  Schlafsaals  wählte  man  bei  den  Kasernen  des 
früheren  hannoverschen  Heeres  die  Nachbarschaft  der  Mannschaftstuben, 
während  man  in  Sachsen  oft  ein  darüber  befindliches  Stockwerk  vorzieht. 
Die  Größe  darf  der  Wohnlichkeit  wegen  und  im  Hinblick  auf  die 
Störung  durch  später  Eintreffende  oder  früher  Ausrückende  nicht  zu 
hoch,  keinesfalls  auf  über  100  Schlafstätten  bemessen  werden,  während 
neuere  Kasernen  bis  über  200  in  einem  Saale  vereinen. 

Die  Bettstellung  und  die  Ausrüstung  sind  kaum  von  all- 
gemeiner Bedeutung.  Bezüglich  der  Art  der  Lagerstätten  schreibt  die 
deutsche  Garnison-Gebäudeordnung  eine  eiserne  Bettstelle  von  1,5  m2 
Bodenfläche  (bei  1,9  m  Länge  und  0,79  m  Breite)  vor.  Als  Bettunter- 
lage dient  ein  Strohsack  und  ein  mit  1  1/2  kg  Roßhaaren  gefülltes  Kopf- 
polster, zum  Bedecken  aber  eine  nahtlose  2,34  m  lange,  1,33  m  breite 
und  2,1  kg  schwere  Wolldecke,  die  vom  Oktober  bis  Mai  verdoppelt, 
bei  Bedarf  verdreifacht  (bisweilen  verfünffacht)  werden  muß. 

Die  Einwände,  welche  man  militärischerseits  gegen  abgesonderte 
Schlafräume  machte,  nämlich  die  Vermehrung  der  Reinigungsarbeit  bei 
zwei  getrennten  Räumen,  die  Abnahme  des  Interesses  des  Soldaten  an 
seiner  Wohnung  bei  Tage  und  die  Möglichkeit,  bei  plötzlichem  Bedarfe 
beide  Räume  mißbräuchlich  als  Truppenunterkunft  zu  benutzen,  erwiesen 
sich  nach  jahrzehntelanger  Erfahrung  als  unzutreffend.  Den  einzigen 
ernstlichen  Einwurf,  der  gegen  Schlafräume  vorliegt,  bilden  die  ver- 
mehrten Geldkosten.  Er  kann  aber,  wie  erwähnt,  nur  dann  als  stich- 
haltig gelten,  wenn,  wie  in  England,  die  geringe  Ausdehnung  des  Hauses 
an  sich  die  Durchführung  gesundheitlicher  Maßnahmen  überhaupt  er- 
leichtert. Sonst  sind  solche  Unkosten,  die  eine  Verbesserung  ungünstiger 
Gesundheitsverhältnisse  herbeiführen,  eine,  um  einen  Ausdruck  Arnould's9 
zu  gebrauchen,  „für  das  öffentliche  Vermögen  sehr  günstige  Kapital- 
anlage". 

ß)  Wasch-  und  Putzstube. 

Schon  in  den  alten  Kasernen  pflegte  bisweilen  zum  Putzen  der 
Waffen  und  des  Lederzeuges,  sowie  zum  Kleiderreinigen  jeder  Kom- 
pagnie ein  besonderer  Raum  im  Keller  oder  im  Erdgestock  zuge- 
wiesen zu  werden.  Die  deutsche  Garnison-Gebäudeordnung  (I,  §  35) 
bewilligt  hierzu  jeder  Kompagnie  45  m2  Fläche. 

Bei  neueren  Kasernenanlagen  findet  man  hie  und  da  ohne  ersicht- 
lichen Grund  die  günstigst  gelegenen  Eckzimmer  als  Putzraum  ver- 
wendet. Zweckmäßig  legt  man  letzteren  nach  dem  Hofe  zu  oder  sonst 
an  die  abgelegenste  Stelle,  dabei  jedoch  thunlich  nahe  an  die  Wohnräume. 
Eür  die  Reinlichkeit  der  Wohnstuben  erscheint  es  nötig,  auch  das  Stiefel- 
wichsen  und    das  Waschen    der   Hände    und    des  Gesichts    in    die  Putz- 


Frankreich)  die  Sterblichkeit,  die  in  alten  Kasernen  ll%o  betrug,  in  neuen  auf  9  %o 
gesunken  sein.  Da  in  Deutschland,  wie  oben  erwähnt,  die  neuen  Kasernen  im  allgemeinen 
ebensowenig,  wie  die  alten,  decentralisiert  sind ,  so  wären  diese  Zahlen  wohl  anders  zu 
deuten,  soweit  man  überhaupt  einer  so  allgemeinen  Statistik  ohne  nähere  Angabe  der  be- 
treffenden Jahre  und  der  Quelle  Wert  beilegen  darf.  Dafs  Decentralisation  nicht  gleich- 
bedeutend mit  Salubrität  ist,  zeigen  die  Dem  ml  er 'sehen  (S.  319  erwähnten)  Militär- 
Quartierhäuser  zu  Schwerin,  die  in  getrennte  Kompagnieblocks  zerfielen,  aber  nach  Rich- 
ter7 nur  8,8  ms  Luftraum  jedem  Bewohner  gewährten. 

13 


328  HELBIG, 

räume  zu  verweisen  und  diese  entsprechend  auszurüsten.  Als  Ersatz  der 
Putzräume  legte  man  hie  und  da  offene  Galerien  an,  was  im  deutschen 
Klima  während  des  Winters  zu  Unzuträglichkeiten  führt.  Ebensowenig 
ist  das  Putzen  auf  der  Treppe  oder  in  einem  geschlossenen  Korridor 
wegeri  des  entstehenden  Staubes,  der  von  da  aus  in  die  Wohnräume 
dringt,  bei  Kasernements  rätlich. 

y)  Speise-,  Unterrichts-  und  Uebungssäle. 

Leichter  als  Schlaf-  und  Putzräurae  lassen  sich  Speisezimmer 
entbehren.  Immerhin  aber  macht  sich  deren  Einrichtung  bei  großen 
Kasernements  aus  naheliegenden  Gründen  erwünscht.  Da  die  Speise- 
säle viel  Raum  beanspruchen  und  sich  nicht  leicht  zu  anderem  Zwecke, 
wie  z.  B.  zum  Unterrichte,  benutzen  lassen,  so  bestimmt  die  Garnison- 
Gebäudeordnung  (I,  18),  daß  der  Mannschaftsspeisesaal  so  bemessen 
werde,  daß  nur  die  Hälfte  der  darauf  Angewiesenen  gleichzeitig  essen 
kann,  wobei  auf  den  Kopf  0,75  m2  Grundfläche  zu  rechnen  sind. 

Räume  für  theoretischen  Unterricht  kommen  vorwiegend  bei 
den  Spezialwaffen  in  Betracht  und  unterliegen  den  Anforderungen,  wie 
Schulen  überhaupt  (vergleiche  Bd.  7,  S.  51—181). 

Auch  die  Infanteriekaserne  bedarf  für  die  Kapitulantenschule  eines 
besonderen,  auf  den  Bedarf  eines  Bataillons  eingerichteten  und  meist  von 
den  Musikern  mit  benutzten  Unterrichtssaals.  M.  Kirchner16  ver- 
wirft den  Gebrauch,  wonach  die  theoretische  Unterweisung  in  überfüllten 
Wohn-  und  Schlafstuben  vor  stehenden  oder  auf  Schemeln  ohne  Lehne 
sitzenden  Leuten  abgehalten  wird.  Solange  nicht  die  Mittel  des  deut- 
schen Staatshaushaltes  eine  allgemeine  Einrichtung  von  Unterrichtssälen 
gestatten ,  wie  sie  einzelne  sächsische ,  französische ,  dänische ,  schwe- 
dische u.  s.  w.  Kasernen  besitzen ,  empfiehlt  sich  die  in  Oesterreich- 
Ungarn  übliche  Benutzung    des    Speisesaales    zum   Mannschaftsunterricht. 

Für  den  Exerzierraum  gelten  dieselben  Anforderungen  wie  an 
die  Turnhalle  (vergl.  4.  Bd.,  S.  939,  und  7.  Bd.,  S.  174—176),  als 
welche  er  meist  gleichzeitig  benutzt  wird.  Die  Größe  bemißt  sich 
hauptsächlich  nach  der  Rekrutenzahl;  letztere  stieg  durch  die  Ein- 
führung der  2-jährigen  Dienstzeit  erheblich. 

Da  ein  Bataillon  gegen  1000  m8,  ein  Regiment  mehr  als  das  Doppelte 
an  bedecktem  Exerzierraum  bedarf,  so  legt  man  ihn  fast  ausnahmslos  in 
ein  besonderes  Exerzierhaus. 

6)   Krankenstube. 

Die  Frage,  ob  eine  Kaserne  Krankenstuben  erhalten  soll,  erscheint 
in  allgemein  hygienischer  Hinsicht  von  Bedeutung. 

Die  größte  Ausbildung  erhielt  diese  Einrichtung  in  Frankreich,  wo 
die  infirmerie  bis  auf  Ludwig  XIV.  das  Militärlazarett  ersetzte  und  1838 
unter  Soult  eine  moderne  Gestalt  bekam.  Meist  im  eigenen  Gebäude 
untergebracht,  faßt  sie  21/2 — 3  Proz.  der  Mannschaftsstärke.  Sie  nimmt 
auch  Geschlechtskranke  auf  und  ist  mit  Besuchszimmer,  Bad  u.  s.  w. 
ausgestattet.     Nach  Morache26  . bewirkt    die   Unbestimmtheit    des  Be- 

14 


Militär-Bauten.  329 

griffes :  „leicht"  bei  Erkrankungen,  daß  manche  Truppenärzte  nur  wenig 
Kranke  in  die  Infirmerie  aufnehmen,  während  andere  Aerzte  die  ihrige 
zu  einem  vollständigen  Krankenhause  ausbilden. 

Nicht  zu  verwechseln  mit  der  Kasernenkrankenstube  sind  die  eng- 
lischen Regiments  lazare  tte  ,  die  österreichischen,  gemäß  der  Vorschrift 
vom  18.  Dezember  1873  eingerichteten  Maroden häuser,  die  deutschen 
Hilfslazarette  u.  s.  w.  Auch  ist  davon  zu  unterscheiden  der  in 
jeder  Kaserne  nötige  Raum,  worin  der  tägliche  Revierkrankendienst  statt- 
findet, der  nach  der  deutschen  Friedens-Sanitätsordnung  (§  16,  4)  nicht  in 
der  Krankenstube  abgehalten  wird. 

Nach  mancherlei  Schwankungen  wurden  in  Deutschland  reglemen- 
tarisch die  Versuche  mit  Revierkrankenstuben  im  Frühjahr  1873  auf- 
gegeben. Als  aber  bei  den  späteren  plötzlichen  Heervermehrungen  die 
seit  dem  26.  Januar  1868  von  62/3  Proz.  auf  5  Proz.  der  Garnisonstärke 
herabgesetzte  Normalkrankenzahl  der  Friedenslazarette  nicht  mehr  inne- 
gehalten werden  konnte  und  schließlich  noch  weiter  (bis  auf  4  Proz.) 
vermindert  wurde,  so  machte  sich  die  Wiedereinrichtung  von  Kranken- 
stuben in  den  Kasernen  nötig,  deren  Ausrüstung  u.  a.  durch  die  Bei- 
lage 3  zu  §  16,  1  der  erwähnten  Friedens-Sanitätsordnung  bestimmt  wurde, 
Diese  Stuben  sind  auf  l1/^  Proz.  der  Truppenstärke  bemessen  und  gewähren 
für  das  Bett  nur  20  m3  Luftraum.  Sie  stellen  Notbehelfe  dar  bis  dahin, 
wo  der  Staatshaushalt  die  Wiederstellung  einer  höheren  Normalgröße 
der  Krankenhäuser  gestattet.  Ihre  Nachteile  liegen  in  der  Unthunlich- 
keit  der  Beschaffung  einer  angemessenen  Krankenverpflegung ,  in  der 
Verschleppung  mancher  Erkrankungsfälle,  die  bei  einer  geordneten  Laza- 
rettbehandlung von  vornherein  günstiger  verlaufen  wären,  in  der  Zer- 
splitterung ärztlicher  und  pflegerischer  Kraft,  in  der  Raumentziehung  zum 
Nachteile  der  gesunden  Mannschaften,  in  der  Ansteckungsgefahr  bei  Irrung 
in  der  Diagnose  u.  s.  w.  Beispielsweise  berichtete  über  Scharlachan- 
steckung durch  Krankenzimmer  in  Kasernen  Eklund54. 

g)  Sonstige  Wohnungen. 

Die  Offiziere  und  Beamten  sind  in  der  Friedensgarnison  zu- 
meist auf  Selbstmieten  oder  auf  das  Bewohnen  eigener  Häuser  gegen 
Empfang  von  Servis  und  Wohnungsgeld  angewiesen.  In  Deutschland 
wird  in  der  Regel  für  jede  kasernierte  Kompagnie  (Eskadron,  Batterie) 
nur  eine  Offizierswohnung  und  für  jedes  Infanteriebataillon  eine  Assi- 
stenzarzt  wohnung  (laut  §  1  des  1.  Teils  der  mehrerwähnten  Garnison- 
Gebäudeordnung)  vorgesehen.  Beiderlei  Wohnungen  sind  für  Ledige  be- 
stimmt und  haben  eine  besondere  gesundheitliche  Wichtigkeit  ebensowenig 
wie  die  Unteroffizierstuben.  Letztere  werden  nach  der  Art  der  Mann- 
schaftsstuben, aber  geräumiger  hergestellt  und  der  Dienststellung  ent- 
sprechend vollständiger  ausgestattet. 

Bei  der  Unterbringung  Verheirateter  zeigen  sich  mehrfach 
Schwierigkeiten.  Zunächst  schwankt  die  Kopfzahl  einer  Familie.  Es 
trägt  dem  zwar  die  Anmerkung  zu  §  44,  1  des  1.  Teils  der  Garnison- 
gebäude-Ordnung Rechnung;  immerhin  kann  aber  die  Vergrößerung  einer 
Familienwohnung  in  einer  fertigen  Kaserne  meist  nur  auf  Kosten  anderer 
berechtigter  Interessen  geschehen.  Sodann  zeigen  Kinder  eine  größere 
Empfänglichkeit  für  akute  Exantheme  und  für  Diphtherie  und  erhöhen 
deshalb  in  der  Kaserne  andauernd  die  Gefahr  der  Seucheneinschleppung. 


330  HELBIG, 

Allerdings  darf  der  Arzt  selbst  Kinder,  die  von  einer  ansteckenden 
Krankheit  befallen  sind,  aus  der  Kaserne  zwangsweise  entfernen  lassen, 
jedoch  nur  dann,  wenn  in  einem  Civilkrankenhause  entsprechende  Unter- 
bringung möglich  ist27  ;  er  setzt  sich  dabei  aber  leicht  dem  Vorwurfe  der 
Unmenschlichkeit  aus  und  bewirkt,  daß  künftig  derartige  Krankheitsfälle 
nach  Möglichkeit  verheimlicht  werden. 

Es  wurde  deshalb  in  Deutschland  die  Zahl  der  Wohnungen  für 
Verheiratete  auf  2  für  jede  Kompagnie  beschränkt,  die  in  einem  be- 
sonderen Gebäude  (§  4,  4  des  1.  Teiles  der  Garnison-Gebäudeordnung) 
vereinigt  werden.  Davon  ausgenommen  sind  nur  die  möglichst  in  der 
Kaserne  selbst  unterzubringenden,  verheirateten  Feldwebel  und  Wacht- 
meister. 

M.  Kirchner16  stellt  an  die  Wohnung  für  einen  verheirateten 
Unteroffizier  dieselben  Anforderungen  wie  an  eine  Arbeiterwohnung  (s. 
4.  Band,  S.  870)  und  verlangt  je  eine  Stube,  zwei  Kammern,  eine  Küche 
mit  Speisekammer,  Dachbodenraum,  zwei  kleine  Keller,  einen  Abort,  ein 
Stück  Gartenland,  auch  für  je  vier  solche  Wohnungen  eine  Waschküche 
mit  Rollkammer. 


h)  Wirtschafts-   und   Reinlichkeitsanlagen. 

ß)  Wasserversorgung. 

Die  Kaserne  wird,  falls  der  Garnisonort  eine  Leitung  mit  hin- 
reichend reinem  Wasser  besitzt,  zweckmäßig  dieser  angeschlossen,  und 
zwar  versorgt  man  womöglich  auch  die  oberen  Stockwerke. 

Abgesehen  von  dem  Wegfalle  des  Wassertragens,  das  die  bei  der 
kurzen  Dienstzeit  für  den  kriegerischen  Beruf  zu  sparenden  Kräfte  der 
Mannschaften  unnötig  in  Anspruch  nimmt,  fördert  man  durch  eine  Ver- 
sorgung aller  Stockwerke  mit  Wasser  die  Reinlichkeit  der  Menschen  und 
Räume,  auch  wird  eine  Klosettspülung  ermöglicht  und  die  Feuersicherheit 
erhöht.  Zu  letzterem  Zwecke  versieht  man  die  Auslaufhähne  mit  Ge- 
winden zum  Anschrauben  von  Schläuchen. 

Die  deutsche  Garnison-Gebäudeordnung  (1.  Teil,  §  40,  3)  gestattet 
aber  ohne  besondere  Genehmigung  nur  die  Versorgung  der  Küche,  der 
Waschanstalt  und  des  Bades  mit  Leitungswasser;  für  den  sonstigen 
Wasserbedarf  dienen  Wasserstöcke  und  Feuerhydranten  auf  dem  Kaser- 
nenhofe. 

Die  Brunnen  auf  den  Höfen  sind  besonders  bei  berittenen  Truppen 
in  Gefahr,  durch  Jauche  verunreinigt  zu  werden.  Sie  bedürfen  deshalb 
einer  fortwährenden  technischen,  chemischen  und  bakteriologischen  Be- 
aufsichtigung, die  in  Deutschland  durch  die  Verfügungen  des  preuß. 
Kriegsministeriums  u.  s.  w.  vom  11.  März  1890  eingehend  angeordnet 
wurde.  Cy Sternen  kommen  in  Deutschland  im  Frieden  bei  mili- 
tärischen Anlagen  kaum  zur  Benutzung. 

Der  Wasserbedarf  wird  verschieden  angegeben.  Man  kann  ihn 
auf  mindestens  50  1  täglich  für  einen  Mann  und  ebenso  hoch  für  ein 
Pferd  beziffern.  Dabei  sind  aber  Bäder,  Klosettspülung,  sowie  Sprengung 
der  Wege  und  Pflanzungen  nicht  gerechnet.  Auch  ist  der  Bedarf  bei 
Schadenfeuer  zu  berücksichtigen. 

16 


Militär-Bauten.  331 

Als  zutreffend  führt  man  häufig  die  Angabe  von  Parkes28  an, 
wonach  auf  jeden  Soldaten  in  England  täglich  zu  rechnen  sind :  für  die 
Küche  1,  Waschzimmer  und  Bad  4,  Kasernenreinigung  21/4,  Wäsche 
u.  s.  w.  21/2,  zusammen  93/4  Gallonen  =  44  Liter  und  außerdem  bei 
vorhandenen  Wasserklosetts  5  Gallonen  ==  22  Liter.  Vergl.  auch  S.  426 
des   1.  Bandes. 

ß)    Küche,  Schlachthaus. 

Die  Kasernenküchen  zerfallen  in  solche  für  die  Mannschaften,  die 
Unteroffiziere  und  die  Offizierspeiseanstalt.  Aus  Verwaltungsrück- 
sichten und  zur  Verhütung  von  Mißbrauch,  worauf  Forst17  aufmerk- 
sam macht,  sind  diese  Küchen  ebenso  wie  die  dazu  gehörigen  Schlächte- 
reien thunlich  zu  trennen.  Diese  notwendige  Trennung  und  die  Schwierig- 
keit, warme  Speisen  auf  weite  Entfernungen  fortzuschaffen,  geben  häufig 
Anlaß,  die  Küchen  in  den  Wohngebäuden  unterzubringen.  Die  Garnison- 
Gebäudeordnung  (1.  Teil,  §  16,  1)  gewährt  für  die  Mannschaftsküche 
eines  Bataillons  oder  Kavallerieregiments  60 — 80  m2.  Man  legt  sie  ge- 
wöhnlich in  das  Erdgeschoß. 

Selbst  die  besten  technischen  Vorkehrungen,  wie  Dampfkochtöpfe, 
Dunstabzüge,  Exhaustoren  und  andere  mechanische  Lüftungsvorrichtungen, 
hindern  erfahrungsgemäß  das  Eindringen  von  Wasserdampf  und  Ge- 
rüchen in  die  oberen  Stockwerke  auf  die  Dauer  nicht.  Es  sollte  des- 
halb ein  besonderes  Gebäude,  welches  den  Speisesaal,  das  Bad,  Vorrats- 
räume u.  s.  w.  mit  umfassen  kann,  für  jede  größere  Küche  vorgeschrieben 
sein.  Ist  in  diesem  Gebäude  der  Speisesaal  nicht  mit  unterzubringen,  so 
soll  ein  gedeckter  Gang  die  nötige  Verbindung  herstellen. 

Die  Küchen- Ausstattung  wurde  in  den  letzten  Jahrzehnten 
durch  maschinelle  Erfindungen  und  durch  Verbesserungen  im  Heizwesen 
vielfach  verändert,  während  die  Fortschritte  der  Chemie  auf  den  Küchen- 
betrieb kaum  Einfluß  hatten. 

Auf  beides  kann  an  dieser  Stelle  ebensowenig  eingegangen  werden, 
wie  auf  die  baulichen  Einzelheiten  betreffs  der  feuersicheren  und  wasser- 
dichten Fußböden ,  Wände  und  Decken ,  der  Wasserabläufe ,  der  Vor- 
kehrungen zur  Entfernung  des  Wrasens  u.  s.  w.  Vergleiche  darüber: 
Band  4,  S.  765  ff.,  ferner  über  den  Betrieb  der  Militärdampfküche  die 
Einzelschrift  von  Neree  2  9 . 

Die  Kasernenküche  dient  häufig  zur  Ausbildung  einer  Anzahl  Mann- 
schaften im  Kochen,  damit  im  Kriegsfalle  auf  dem  Freilager  die  Speisen 
in  zweckmäßigerer  Weise  als  sonst  bereitet  werden  können. 

Zur  Reinhaltung  der  Luft  in  der  Kaserne  bedarf  der  Küchen - 
betrieb  einer  fachkundigen  Aufsicht,  insbesondere  sind  Gestank  er- 
zeugende Verrichtungen,  die  der  Unternehmer  zu  eigenem  Xutzen  darin 
vornimmt,  wie  das  von  Forst17  erwähnte  Seifenkochen,  zu  verbieten. 

In  demselben  Gebäude  mit  der  Küche  vereinigt  man  zweckmäßig 
die  Kantine  oder  Marketenderei.  Jedes  Bataillon  und  Kavallerie- 
regiment erhält  nach  der  Garnison-Gebäudeordnung  (1.  Teil,  §  20)  eine 
solche  mit  20 — 25  m2  Grundfläche  für  das  Verkaufsgelaß,  einer  Vor- 
ratskammer, Keller  und  Marketenderwohnung. 

Handbuch  der  Hygiene.    Bd.  VI.  22 

17 


332  HELBIG. 

Militärische  Schlachthäuser  giebt  es  in  Deutschland  nur  für 
sächsische  und  vormals  französische  Garnisonen  (Metz,  Straßburg). 

Sie  bewährten  sich  im  Betriebe :  in  gesundheitlicher  Beziehung  bieten 
sie  gegenüber  anderen  Schlachtanstalten  (S.  23 — 78  dieses  Bandes) 
nichts  Eigentümliches.  M.  Kirchner16  spricht  sich  über  Garnison- 
schlachthäuser lobend,  Petrin25  über  die  sächsischen,  die  er  irrig  für 
Eleischer-Ausbildungs-  oder  Uebungsanstalten  hält,  mißfällig  aus. 


y)  Bad,  Waschhaus. 

Bäder  fanden  vor  Einführung  der  sogenannten  Douchen  nur 
vereinzelt  in  Kasernen  Eingang,  da  Schwimmbassins  zu  erhebliche 
Kosten  beim  Bau  und  Betriebe  verursachen,  "Wannen  aber  neben  den- 
selben Nachteilen  noch  den  der  Langsamkeit  bei  der  Benutzung  zeigen. 
Der  Ab-  und  Zulauf  des  Wassers  erfordert  allein  etwa  x/4  Stunde 
Zeit,  so  daß  in  einer  Wanne  stündlich  höchstens  3  Mann  baden  können. 

Schon  1861  beschrieb  Dunal30  die  Brause-Einrichtung  einer 
Kaserne  in  Marseille.  Die  ersten  derartigen  Anlagen  in  Deutschland  scheinen 
die  Kaserne  des  1.  Garde-Ulanenregiments  zu  Potsdam  und  die  Schützen- 
kaserne in  der  Albertstadt  bei  Dresden  um  das  Jahr  1871  erhalten  zu 
haben.  Die  Garnison-Gebäudeordnung  (1.  Teil,  §  37)  gewährt  für  jedes 
Bataillon  oder  Kavallerieregiment  8 — 12  Brausen  mit  je  5  m2  Grund- 
fläche, wovon  3m2  auf  den  Ankleideraum  kommen.  Alle  Brausen  in 
derselben  Kaserne  sind  thunlich  in  einer  Badeanstalt  zu  vereinigen. 
An  letztere  sind  in  gesundheitlicher  Hinsicht  dieselben  Anforderungen 
wie  an  Volksbäder  (siehe  S.  83  — 111   dieses  Bandes)  zu  stellen. 

Ebensowenig  bieten  die  zum  S  chwinim -Unterrichte  erforderlichen 
militärischen  Badeanlagen  an  Flüssen  oder  Seeen  in  baulicher  Hinsicht 
Besonderheiten ;  obwohl  deren  Betrieb,  zumal  der  des  Sprungturmes, 
zu  Schädigungen  und  Todesfällen  bisweilen  Anlaß  giebt.  Dampfbäder, 
die  in  Rußland  als  wöchentliches  Bedürfnis  auch  in  den  Kasernen  vor- 
handen sind,  hält  man  sonst  für  Militärwohnungen  entbehrlich. 

Größere  Garnisonen  pflegen  die  Mannschaftswäsche  in  besonderen 
Garnison-Waschanstalten  mit  maschinellem  Betriebe  reinigen  zu 
lassen ;  es  erfolgt  alsdann  in  der  Kaserne  nur  die  Besorgung  der  Wäsche 
der  Unteroffiziersfamilien.  Sonst  erhält  nach  der  Garnison-Gebäude- 
ordnung (1.  Teil,  §  33)  der  Truppenteil  zum  Selbstbetrieb  eine  Wasch- 
küche im  Kellerraum  eines  für  Wirtschaftszwecke  bestimmten  Gebäudes, 
außerdem  jedes  kasernierte  Bataillon  eine  Rollkammer  und  jede  Kom- 
pagnie einen  Dachbodenraum  zum  Trocknen. 

Hygienische  Besonderheiten  bieten  diese  Räume,  falls  nur  die  Wasch- 
küche außerhalb  des  Wohngebäudes  liegt  und  die  Entfernung  des  Schmutz- 
wassers genügend  vorgesehen  ist,  kaum.  Da  ein  Bataillon  täglich  über 
50  kg  Schmutzwäsche  liefert  und  bei  200  kg  die  Maschinenbehandlung 
bereits  1  Pferdestärke  erfordert,  so  erscheint  schon  bei  einer  Garnison- 
stärke von  einigen  Regimentern  der  gesundheitlich  wünschenswerte  An- 
staltsbetrieb   auch   hinsichtlich  der  Kosten  vorteilhaft. 

iS 


Militär-Bauten.  333 


d)  Desinfektion. 

Roth  und  Lex  raten,  das  in  jeder  Garnison  erforderliche  Des- 
infektion s  z  i  nun  e  r  in  einer  Kaserne  anzulegen.  Zweckmäßiger  er- 
scheint dessen  Unterbringung  im  Garnisonlazarette. 

Da  es  sich  in  Kasernen,  neben  der  eigentlichen  Desinfektion,  häufig 
um  Vertilgung  von  Ungeziefer  in  Kleidern  und  Geräten  handelt,  so 
ist  bei  der  Desinfektionsanstalt  ein  kleiner  Raum  erwünscht,  dessen  Luft 
andauernd  auf  60 — 70°  erwärmt  werden  kann.  Auf  diese  Weise  lassen 
sich  ohne  jede  Beschädigung  Kleider  von  Läusen,  Lederstücke  und  Möbel 
von  Würmern,  Polster  von  Motten,  Betten  von  Wanzen  u.  s.  w.  befreien, 
vorausgesetzt,  daß  die  Einwirkung  der  heißen,  trocknen  Luft  bei  größeren 
Stücken  mindestens  24  Stunden  anhält. 

Größere  Desinfektionsvorkehrungen  machen  sich  in  Kasernen  bei 
Unterbringung  von  Mannschaften,  die  wegen  des  Ausbruchs  einer  Seuche 
von  auswärts  verlegt  werden,  und  bei  anderen  Anlässen  nötig.  Für 
solche  Fälle  kann  die  von  Th.  Petruschky31  während  des  Krieges 
1870/1  im  Zeughause  zu  Stettin  angegebene  Desinfektions-  und  Iinpf- 
Anstalt 3  2  hinsichtlich  des  Grundrisses  auch  heute  noch  als  Vorbild 
dienen. 

e)  Abfallbeseitigung. 

In  den  meisten  Ländern  bildeten  die  Abtritte  eine  Schattenseite 
selbst  salubrer  Kasernements.  Allerdings  sind  hier  infolge  des  engen 
Zusammendrängens  der  Bewohner  die  Schwierigkeiten  der  Abfallbe- 
seitigung größer  als  bei  den  meisten  anderen  Wohnungsanlagen. 

Was  zunächst  den  Harn  betrifft,  so  behält  auch  die  neue  deutsche 
Garnison-Gebäudeordnung  (1.  Teil,  §  36,  2)  den  hergebrachten  „Urinier- 
eimer" von  20  1  Inhalt  bei,  den  sie  am  Tage  zusammen  mit  den  Nacht- 
stühlen für  Offiziere  in  einem  gut  gelüfteten  und  unmittelbar  von  außen 
beleuchteten  Gelasse  unterbringt. 

Diese  Geräte  machen  sich  nötig,  wo  die  Abtritte  aus  den  Wohn- 
gebäuden auf  die  Höfe  verwiesen  werden.  Legt  man  dagegen,  was 
hygienisch  unbedenklich  erscheint,  die  Abtritte  in  weit  vorspringende 
Risalite  oder  in  Flügel  des  Wohngebäudes,  so  lassen  sich  Nachtstühle  für 
Gesunde  entbehren  und  die  Uriniereimer  bei  Bedarf  durch  einige  Nacht- 
töpfe ersetzen.  Diese  werden  von  Männern  beim  Gebrauche  in  die  Hand 
genommen  und  beugen  dem  Danebenlaufen  des  Harns  besser  vor  als 
feststehende  Eimer,  auch  wenn  letztere  nach  der  Garnison-Gebäudeordnung 
(1.  Teil,  Beilage  C  zu  §  43,  S.  87)  zu  diesem  Zwecke  mit  hölzernem 
Untersatze  versehen  sind.  Die  Reinhaltung  der  Nachtgeschirre  macht, 
falls  diese  am  Tage  mit  reinem  Wasser  gefüllt  aufbewahrt  werden 
und  aus  Steingut  gefertigt  sind,  kaum  mehr  Schwierigkeit  als  die  der 
Eimer  und  der  dazu  gehörigen  Untersätze. 

Die  Pissoire  wurden  wiederholt  (2.  Bd.  1.  Abtlg.  S.  110—112, 
269,  und  2.  Abtlg.  S.  190—191;  7.  Bd.,  S.  193—196)  eingehend  be- 
sprochen und  durch  Abbildungen  erläutert.  Bei  Anlagen  in  den  oberen 
Stockwerken  bleibt  dem  Einfrieren  im  Wiuter  durch  Einlegen  eines 
Rohres  der  Sammelheizung  oder  sonst  vorzubeugen. 

09  * 
19 


334  HELBIG, 

Die  Abtritte  wurden  an  den  angeführten  Stellen  und  in  Band  4, 
S.  780,  883,  behandelt.  In  Kasernen  darf  ihre  Zahl  nicht  zu  gering  sein, 
da  die  Gleichartigkeit  der  Lebensweise  auch  eine  ziemliche  Gleich- 
zeitigkeit der  Darmentleerung  bei  der  Mehrzahl  der  Bewohner  bewirkt. 
Die  Garnison-Gebäudeordnung  (Teil  1,  §  42)  bewilligt  für  je  20  Mann 
einen  Sitz,  welcher  Forderung  in  älteren  Kasernen  nicht  immer 
genügt  ist. 

Der  Sitte  den  Kot  nicht  sitzend,  sondern  nach  Art  vieler  Slaven 
und  Romanen,  kauernd  zu  entleeren,  tragen  in  Frankreich  ein  paar  Fuß- 
stapfen, die  neben  einem  Loche  in  dem  asphaltierten  Fußboden  angebracht 
sind,  als  latrines  ä  la  turc  Rechnung,  während  man  in  Deutschland  das 
Aufsteigen  auf  die  Brille  durch  Vorneigung  der  Rückwand  des  Abtritts 
zu  hindern  suchte.  Ueber  den  Nutzen  niedriger  Abtrittsitze  bei  Ver- 
stopfung vergl.  2.  Bd.,  1.  Abtlg.  S.  90,  91  und  112. 

Die  Lage  des  Abtritts  in  der  Kaserne  soll  nicht  versteckt,  sondern 
thunlich  zugänglich,  hell  und  luftig  sein.  Dabei  muß  das  Einfrieren 
im  Winter,  das  zu  großen  Mißhelligkeiten  zu  führen  pflegt,  rechtzeitig 
vorgesehen  werden. 

Die  Art  der  Fortschaffung  des  Kotes  und  Harns  überläßt  die 
Garnison-Gebäudeordnung  (1.  Teil,  §  42)  dem  örtlichen  Ermessen. 

In  der  That  versuchte  die  deutsche  Militärverwaltung  in  den  letzten 
Jahrzehnten  zahlreiche  Arten  der  Abfallbeseitigung  von  den  bedenklichen 
Sickerbrunnen  an,  in  denen  Hausabwässer,  Harn  und  sogar  Stalljauche 
dem  Grundwasser  in  allerdings  kostenloser  Weise  zugeführt  werden,  bis 
zu  maschinellen  Vorrichtungen,  die  schon  bei  der  Prüfung  versagten, 
und  zu  der  trefflichen,  aber  sachkundige  Aufsicht  und  viel  Betriebs- 
kosten erfordernden  Weyl' sehen  Feuerlatrine33;  vergl.  2.  Bd.,  1.  Abt., 
S.  91,  u.  7.  Bd,  S.  188*).  Wo,  wie  in  der  Albertstadt  bei  Dresden, 
verschiedene  Systeme  der  Abfallbeseitigung  nebeneinander  bestehen  und 
sich  deshalb  ein  Vergleich  ermöglichen  läßt,  stellt  sich  die  Abfuhr  in 
Tonnen  billiger  als  Kanalisation  mit  dem  Süvern' sehen  Sedimentierver- 
fahren  (s.  Bd.  2,  1.  Abtlg.,  S.  48).  Im  allgemeinen  aber  wird  sich  die 
Wahl  zwischen  Gruben,  Tonnen,  Schwemmkanalisation  u.  s.  w.  nach  den 
örtlichen  Verhältnissen  richten. 

Die  Beschleußung  schließt  sich  ebenfalls  thunlich  derjenigen  des 
Ortes  an.  Dabei  sind  die  Tagewässer  in  Rechnung  zu  ziehen,  deren 
Menge  bei  Kasernenneubauten  leicht  unterschätzt  wird. 

Die  große  Dachfläche  der  zahlreichen,  ausgedehnten  Gebäude  und 
noch  mehr  die  nötige  Befestigung  der  Höfe  und  Uebungsplätze  hindert 
das  Versickern  des  Regens  und  bewirkt  eine  Vermehrung  des  ablaufenden 
Tagewassers,  wobei  Sedimentieranlagen  leicht  in  ihrer  Wirkung  beein- 
trächtigt werden  und  andere  Uebelstände  entstehen  können.  Liegt  das 
Grundwasser  des  Gebäudes  hoch,  so  sind  bei  Ausführung  der  Siele  die 
Höfe  und  Plätze  der  Kasernenanlage  zu  drainieren. 


*)  Dagegen  scheint  sich  die  neue,  von  Tb.  Weyl,  Hyg.  Rdsch.  1897,  beschriebene 
Feuerlatrine  zu  bewähren.  Dieselbe  ist  seit  lx/2  Jahr  im  Kasernement  des  2.  Garde- 
Feld-Artillerieregiments  zu  Nedlitz  bei  Potsdam  in  Betrieb,  verursacht  äufserst  geringe 
Kosten  und  bedarf  keines  geschulten  Wärters. 


Militär-Bauten.  335 


i)  Stall. 

Die  Pferdeställe  haben  für  die  Menschengesundheitspflege  insoweit 
Bedeutung ,  als  sie  zum  vorübergehenden  oder  bleibenden  Aufenthalt 
von  Menschen  dienen  und  die  Entstehung  von  solchen  Tierkrankheiten 
begünstigen,  welche  auf  Menschen  übertragbar  sind.  Während  für  die 
gesunde  Wohnung  des  Soldaten  die  allgemeinen  Grundzüge  seit  einigen 
Jahrzehnten  schon  feststehen  und  die  Anwendung  auf  die  militärischen 
Unterkünfte  vorwiegend  eine  Geldfrage  bildet,  steht  hier  die  zweck- 
mäßige Gestalt  und  Einrichtung  weniger  fest,  und  es  stellen  sich  deshalb 
häufig  Umänderungen  selbst  bei  solchen  Ställen  als  nötig  heraus,  die 
erst  kürzlich  und  mit  Aufwand  beträchtlicher  Mittel  erbaut  wurden. 

Der  III.  Teil  der  deutschen  Garnison-Gebäudeordnung  mit  den  Vor- 
schriften „über  die  zu  erbauenden  Stallungen,  Reitbahnen  und  Beschlag- 
schmieden" erschien  bisher  nicht.  Die  dazu  ausgegebenen  Deckblätter 
beziehen  sich  auf  die  „Vorschrift  über  Einrichtung  und  Ausstattung  der 
Militär-Pferdeställe"  vom  16.  Dezember  1886. 

Frühere  preußische  Vorschriften ,  wie  die  „über  Militair  -  Pferde- 
ställe mit  Zubehör"  vom  Jahre  1837,  verboten  die  Vereinigung  von 
Wohnungen  mit  daneben  oder  darunter  liegenden  Stallungen  in  demselben 
Gebäude  „ohne  ausdrückliche  Genehmigung  des  Ministerii". 

Man  kam  aber  bis  auf  die  neueste  Zeit  hin  und  wieder  auf  eine 
solche  Vereinigung  zurück,  weil  dabei  den  berittenen  Mannschaften  eine 
größere  Wohnfläche  über  den  Stallungen  ohne  erhebliche  Mehrkosten 
geboten  werden  kann.  Denn  auf  jeden  Reiter  kommt  ein  Pferd,  das 
selbstredend  mehr  Fläche  beansprucht  und  nur  im  Erdgeschosse  unter- 
zubringen ist.  Auch  hoffte  man,  daß  durch  eine  undurchlässige  Zwischen- 
decke die  Stallluft  von  dem  oberen  Stockwerke  abgehalten  würde. 

Erfahrungsgemäß  bewährte  sich  aber  die  Unterbringung  von  Stall 
und  Wohnung  unter  demselben  Dach  ebensowenig,  wie  die  häufig  in  den 
Handbüchern  der  Militärhygiene  abgebildeten  für  Roß  und  Reiter  gemein- 
samen Zelte.  Ein  Schläfer  vermag  die  in  jeder  größeren  Stallung  not- 
wendige Wache  nicht  zu  ersetzen  und  ist  überdies,  falls  seine  Lagerstätte 
nicht  durch  Erhöhung  oder  sonst  geschützt  wird,  in  steter  Gefahr,  von 
etwa  sich  losmachenden  Pferden  beschädigt  zu  werden. 

Auch  in  einem  leeren  Stalle  erscheint  die  Unterbringung  von  Menschen 
gesundheitlich  unstatthaft,  doch  läßt  sie  sich  bei  ausbrechenden  Seuchen 
und  im  Kriege  nicht  vermeiden.  Da  dem  ruhenden  Pferde  reichliches 
Licht  wenig  zuträglich  ist,  so  sind  die  Ställe  für  Menschen  stets  zu 
dunkel,  außerdem  oft  feucht  und  für  unser  Klima  im  Winter  meist  zu 
kühl.  Auch  lassen  sie  sich  trotz  undurchlässiger  Fußböden  und  Wände, 
die  übrigens  nur  ausnahmsweise  vorhanden  sind,  nicht  hinreichend  des- 
infizieren. 

Insbesondere  kommen  diese  Uebelstände  bei  der  Einrichtung  von 
Reiterkasernen  zu  Kriegslazaretten  in  Frage.  Man  sollte  deshalb  lediglich 
Gesunde  oder  innere  Kranke  in  Ställen  unterbringen,  Verwundete  nur  im 
äußersten  Notfalle.  Noch  im  Kriege  1870/1  machte  man  in  dieser 
Hinsicht  üble  Erfahrungen. 


336 


HELBIG, 


Die   gemeinsame   Unterbringung    von   Mensch    und   Pferd    in    den 
verschiedenen  Gebäuden  derselben  Kasernenanlage,   wie  sie  bei  der 

Kavallerie  und  Artillerie 
stattfindet ,  kann  so  ge- 
schehen, daß  man  alle  Mann- 
schaften wie  Infanterie  ka- 
serniert und  im  Kasernen- 
hofe die  Stallgebäude  auf- 
stellt, wie  dies  der  in  Fig.  5 
wiedergegebene  Lageplan 
des  westlichen  Teiles  der 
Albertstadt  bei  Dresden  aus 
dem  Jahre  1878  verdeut- 
licht. Die  dem  entgegenge- 
setzte Mischung  von  Wohn- 
gebäuden und  Ställen  zieht 
Tollet  vor  (Fig.  6),  wäh- 
rend Grub  er  (Fig.  7) 
einen  vermittelnden  Stand- 

Fig.  5.   Lageplan  des  westlichen  Teils  der  . 

Albertstadt  bei  Dresden;    im  Mafsstabe  von  pUIlkt   einnimmt. 

1  :  20  000. 


Fig.    6.     Lageplan  einer  Reiterkaserne  nach  Tollet  für  ein  Regiment.     Mafsstab  von  1:2500» 

22 


Militär-Bauten. 


337 


Die  Besprechung  der  Vorzüge  und  Nachteile  dieser  drei  und  zahl- 
reicher anderer  Anordnungsweisen  bleibt  den  militärischen  und  militär- 
hygienischen Fachschriften  ebenso  überlassen,  wie  die  zweckmäßige 
Bauweise  des  Stalles  nur  von  der  Tiergesundheitspflege  beurteilt  werden 
kann. 


Fig.  7.     Lageplan  einer  Reiter-Kaserne  für  ein  Regiment  mit  zweigeschossigen  Mann- 
schaftswohngebäuden im  Mafsstabe  von  1  :  4160  nach  Grub  er. 


aa  Offizierwohnung, 

b     Stabsgebäude, 

c     Unteroffizierwohnung, 

dd  Mannschaftswohnung, 

e      Marketenderei, 

/     Turn-  und  Fechtsaal, 

g     Brausebad  und  Waschküche, 

h     Arrest, 

ii    Ställe  der  Eskadronen, 

Tc     Stall   des  Stabes, 

11    Kammern, 


mm  Grofse  Reitschulen,     5 

n  Kleine  Reitschule, 

oo  Brunnen, 

p  Beschlagschmiede,' 

q  Krankenstall, 

r  Stall  für  verdächtige  Pferde,- 

ss  Offene  Reitschulen, 

t  Turnplatz, 

u  Arrestantenhof,'} 

vv  Streustrohbehälter, 

w  Aufstellungsplatz. 


k)  Feuerschutz;  Umzäunung. 

Erfahrungsgemäß  werden  Kasernen  häutiger,  als  man  meinen  sollte, 
durch  Feuersbrünste  beschädigt,  die  allerdings  in  den  meisten  Fällen 
Vorrats  räume  betreffen. 

Es  ist  deshalb  bereits  bei  der  Anlage  auf  Anbringung  von  Hydranten 
und  in  deren  Ermangelung  oder  für  den  Eall  des  Versagens  auf  Wasser- 


^3 


338  HELBIG, 

behälter,  ferner  auf  Brandmauern,  feuersichere  Treppen  und  Gänge,  auf 
ein  Spritzenhaus  und  Räume  für  Eimer,  Schläuche  etc.  zu  achten.  Ferner 
ist  der  Feueralarm  und  die  jährliche  Spritzenprobe  in  den  Beschäftigungs- 
plan der  kasernierten  Truppen  aufzunehmen.  Die  stehenden  Wasserfässer 
füllt  man  zweckmäßig  mit  einer  starken,  kaum  einfrierenden  etwa  10-proz. 
Kochsalzlösung,  die  vor  den  sonst  vorgeschlagenen  Salzen,  wie  Chlor- 
calcium,  den  Vorzug  hat,  die  bespritzten  Wände  und  Sachen  weniger  zu 
schädigen.  Auch  ist  eine  solche  Lösung,  falls  unversteuertes  Chlornatrium 
verwandt  wird,  billig  und  dabei  unbegrenzt  haltbar.  Das  verdunstete 
Wasser  muß  entsprechend  alljährlich  durch  Nachgießen  ersetzt  werden. 

Bezüglich  der  nötigen  Umzäunung  des  Grundstückes  enthält  die 
Garnison-Gebäudeordnung  (1.  Teil,  §  39)  das  auch  für  Civilbehörden 
nachahmungswerte  Verbot  der  „Vorrichtungen  zum  Zweck  der  Ver- 
letzung beim  unbefugten  Uebersteigen". 

Derartige  Maßnahmen,  wie  spanische  (friesische)  Reiter,  Selbstschüsse, 
Stacheldrahtzäune,  Fußangeln,  Glasscherbenbesatz  u.  dergl.  gewähren  er- 
fahrungsgemäß gegen  den  Gewohnheitsverbrecher  keinerlei  Schutz. 

2.  Priratkaserne,  Quartier. 

Außer  den  dem  Militärfiskus  oder  den  Gemeinden  gehörigen  Kasernen 
giebt  es  solche,  die  Privatbesitzern  abgemietet  sind  (Schemalien).  Sofern 
ein  derartiges  Gebäude  zu  diesem  Zwecke  erbaut  wird,  prüft  die 
Militärbehörde  den  Bauplan.  Sonst  entsprechen  die  Privatkasernen  in 
ihrer  Anlage  selten  den  gesundheitlichen  Forderungen,  während  ihre 
innere  Einrichtung  meist  mehr  befriedigt,  da  bei  ihrer  Beaufsichtigung 
das  Rücksichtnehmen  auf  den  Fiskus  nicht  so  wie  bei  ärarischen  Ge- 
bäuden ins  Gewicht  fällt.  Auch  haben  Privatkasernen  meist  den  Vorzug- 
geringer  Ausdehnung. 

Schlechter  als  derartige  Anlagen  sind  die  ständigen  Bürger- 
quartiere für  einzelne  oder  wenige  Mannschaften. 

Wenn  auch  '  die  meisten  Privatpersonen  dem  Krieger  bereitwillig 
vorübergehend  Unterkunft  gewähren,  so  pflegten  sich  gewerbsmäßig  mit 
der  dauernden  oder  wiederholten  Verquartierung  in  der  Regel  nur  be- 
denkliche Elemente  zu  beschäftigen,  deren  Angebot  bei  Ermangelung  von 
Mitbewerb  die  Behörde  annehmen  mußte.  Ohne  vermehrte  Geldent- 
schädigung vermochte  selbst  sorgsame  Aufsicht  nicht  die  Nachteile  der 
Bürgerquartiere  zu  beseitigen ;  bei  einer  entsprechenden  Erhöhung  des 
Quartiergeldes  stellte  sich  aber  die  Erbauung  von  Kasernen  meist  als 
vorteilhafter  heraus. 

Die  Quartieraufsicht  hat  u.  a.  zu  beachten,  daß  nur  als  Wohnungen 
bereits  benutzte  Zimmer,  nicht  aber  Keller,  Dachräume,  Ställe,  Scheunen, 
Werkstätten  zum  Quartiere  eingeräumt  werden.  Vorübergehender  Aufent- 
halt oder  entsprechender  Ausbau  gestatten  Ausnahmen.  Gefahr  droht 
nach  Maßgabe  der  Erkrankungsstatistik  den  Verquartierten  vornehmlich 
durch  die  Art  der  Heizung,  insbesondere  durch  Ofenklappen,  ferner 
in  größeren  Städten  durch  die  Gasleitung  und  in  kleineren  durch  Sturz 
auf  dunklen  Treppen. 

Trotz  der  erwähnten  Uebelstände  bewirkt  der  Wegfall  der  Anhäufung 
großer    Menschenmassen    in    demselben  Gebäude,    daß    leidliche    Quartiere 

24 


Militär-Bauten.  339 

schlechten  Kasernen  vorzuziehen  sind,  insbesondere  wenn  von  der  durch 
die  Garnison-Gebäudeordnung  (1.  Teil,  §  46)  gewährten  Befugnis  Gebrauch 
gemacht  wird,  für  nicht  kasernierte  Truppen  Badeeinrichtungen,  Revier- 
krankenstuben  etc.  aus   Garnisonverwaltungsmitteln  zu  unterhalten. 

3.  Festung. 

Meist  findet  man  in  den  Werken  über  Militärgesundheitspflege  die 
Angabe,  die  älteste  Kaserne  —  als  solche  pflegt  man  die  Vauban'sche 
anzusehen  —  habe  gleichzeitig  der  Verteidigung  gedient.  Es  trifft  dies 
im  allgemeinen  nicht  zu,  denn  weder  die  hölzernen  Dachbalken,  noch  die 
Anordnung  der  Fenster,  die  Mauerstärke  etc.  solcher  Kasernen  erscheinen 
geeignet,  dem  Belagerungsgeschütze  mehr  Widerstand  zu  leisten  als  irgend 
ein  anderes  steinernes  Wohnhaus.  Mit  den  Fortschritten  der  Artillerie 
verschwand  die  Widerstandskraft  selbst  eines  Hauses  mit  gewölbter  Ein- 
deckung  vollends,  und  man  befestigte  deshalb  Kasernen  höchstens  noch 
gegen  Volksaufstände.  Wie  Wiel  &  Gnehm34  hervorheben,  erscheint 
auch  letzteres  unzweckmäßig,  da  bei  der  Wirksamkeit  der  Hinterlader 
„Aufständische  kaum  daran  denken  werden,  eine  Kaserne  anzugreifen,  sie 
müßten  denn  selbst  im  Besitze  von  Geschützen  sein.  Im  letzteren  Falle 
entziehen  sich  aber  die  Verhältnisse  aller  Vorausberechnung,  und  wie  das 
Beispiel  der  Pariser  Commune  von  1871  lehrt,  könnten  dann  die  gegen 
die  Insurgenten  angelegten  Bollwerke  letzteren  zur  Verteidigung  gegenüber 
den  Truppen  dienen". 

Die  Festung,  wie  sie  in  den  letzten  Jahrhunderten  sich  entwickelt 
hat,  enthält  zur  Aufbewahrung  der  Vorräte  und  als  gesicherten  Aufent- 
halt für  die  Besatzung  steinerne,  bombenfeste  Gewölbe,  die  entweder 
als  Hangars  (Hangdächer,  vom  neulateinischen :  angarium,  Beschlagraum) 
größere  Säle  bilden  oder  als  Kasematten  in  kleine  Abteilungen  zer- 
fallen. Nach  der  Außenseite  sind  alle  Gewölbe  fensterlos  oder  nur  mit 
Schießscharten  versehen,  während  sie  nach  innen  einige,  bisweilen 
mehrere  und  größere  Fenster  haben.  Die  gesundheitlichen  Verhältnisse 
dieser  Unterkunft  werden  in  den  einschlägigen  Handbüchern  bis  auf  die 
Einzelheiten  erörtert. 

Hierauf  einzugehen,  erscheint  um  so  weniger  nötig,  als  es  sich  that- 
sächlich  vielfach  um  veraltete  Dinge  handelt.  Denn  ebensowenig,  wie  die 
steinernen  Kasernen  in  Sebastopol  (1855)  und  Paris  (1871)  den  damaligen 
Geschützen  widerstanden,  gewähren  die  damaligen  Kasematten  bei  den 
heutigen  Geschossen  Sicherheit.  Schon  die  Wirkung  der  Schießwoll- 
granaten, wie  sie  beispielsweise  die  Photographie  der  Walsroder  Fabrik 
von  Wolff  &  Co.35  veranschaulicht,  nötigte  im  vorigen  Jahrzehnte  zur 
Abänderung  der  bisherigen  Festungen ;  inzwischen  wurden  aber  noch 
wirksamere  Geschosse  erfunden.  Nähere  Mitteilungen  über  diese  Aenderung 
müssen  hier  unterbleiben,  denn  es  fehlen  die  nötigen  Abbildungen  der 
fast  durchweg  geheim  gehaltenen  Bauten,  auch  werden  letztere,  da  bei 
der  Neuheit  der  Sache  Erfahrungen  über  die  zweckmäßigste  Gestaltung 
und  die  besten  Stoffe  fehlen,  verschieden  ausgeführt. 

Im  allgemeinen  entwickelt  sich  die  Kasematte  aus  der  Kellerwohnung, 
welche  sie  bisher  darstellt,  zur  ausgemauerten  Erdhöhle,  die  auch  an 
der  Innenseite  der  feindlichen  Sprenggeschosse  wegen  keine  freie  Wand 

25 


340  HELBIG, 

hat,  und  deren  spärliche  Fenster  im  Kriegsfalle  durch  centimeter- 
starke  Stahlplatten,  Sandsäcke  und  Holzlatten  abgedichtet  werden.  Der 
schützende  Erdwall  auf  der  gewölbten  oder  aus  Stahl  hergestellten  Ein- 
deckung  muß  eine  Stärke  von  mehr  als  einigen  Metern  erhalten;  ihn 
erst  im  Falle  des  feindlichen  Angriffs  aufzuschütten ,  wie  es  u.  A.  bei 
älteren,  mit  starken  Balken  gedeckten  Festungslazaretten  geschehen 
sollte,  ist  deshalb  unthunlich.  Nur  einige  geringe  Vorzüge  gewähren 
die  neuen  Kasematten  in  hygienischer  Hinsicht,  nämlich  erstens  den 
einer  sorgsameren  Lüftung,  welche  in  den  Traditorenkasematten  zur 
Entfernung  des  Pulverdampfes  nötig  wird.  Zweitens  fällt  der  nasse 
Graben  weg  und  damit  der  schädliche  Einfluß  der  Feuchtigkeit,  denn 
Wasser  teilt  den  zerstörenden  Stoß  eines  krepierenden  Brisanzgeschosses 
auf  viel  weitere  Entfernung  dem  Mauerwerke  mit,  als  dies  durch  Erd- 
reich geschieht.  Drittens  kommt  auf  den  Mann  meist  ein  größerer 
Luftraum  (20  m  3),  und  endlich  zerfallen  die  weiten  Hangars,  da  aus- 
gedehnte Wölbungen  keinen  hinlänglichen  Widerstand  leisten,  in  kleinere 
Grotten. 

Um  solche  Räume  im  Frieden  bewohnbar  zu  machen,  würde  es 
außer  der  Abhaltung  der  Feuchtigkeit  durch  Isolierschichten  einer  be- 
ständigen künstlichen  Lufterneuerung  und  einer  die  Kellertemperatur 
auf  Zimmerwärme  erhöhenden,  selbst  im  Sommer  anhaltenden  Heizung 
bedürfen.  Da  die  Erfüllung  dieser  Forderungen  in  weiterem  Umfange 
meist  unthunlich  ist,  so  bleibt  das  Bewohnen  der  Kasematten  im  Frieden 
unter  andauernder  sanitärer  Aufsicht  auf  die  nötigen  Wachmannschaften 
zu  beschränken.  Roth  und  Lex36  befürworten,  hinter  detachierten 
Forts  für  deren  Besatzung  Baracken  anzulegen.  Die  Erbauung  leichter, 
im  Kriege  abzubrennender  oder  dem  Feinde  preiszugebender  Kasernen 
dürfte  in  kleinen  Festungen  das  einzige  Mittel  zur  Erzielung  gesunder 
Unterkunft  für  den  Frieden  bilden. 

Die  Beseitigung  der  Abfälle  ist  in  Festungen  zur  Erhaltung 
der  Besatzung  von  erheblicher  Wichtigkeit. 

Was  Mängel  in  dieser  Hinsicht  verschulden  können,  zeigt  das  Bei- 
spiel von  Torgau,  wo  vom  1.  September  1813  bis  10.  Januar  1814  in 
der  sonst  nur  5000  Einwohner  zählenden  Stadt  nach  Richter37  680 
Civilisten  und  19  757  Militärpersonen  als  verstorben  verzeichnet  wurden, 
ungerechnet  weiterer  10  000  nicht  verzeichneter  Verstorbenen.  Von  der 
französischen  Besatzung  waren  in  4  Monaten  6/7  und  zwar  meist  dem 
Typhus  erlegen. 

Um  günstige  Verhältnisse  in  dieser  Hinsicht  zu  erlangen,  beschafft 
man  zunächst  für  den  Belagerungsfall  besondere,  im  Frieden  meist  un- 
benutzte, bombensichere  Abtritte  mit  großen,  dichten  Gruben  oder  mit 
einer  Spülung,  deren  Ablaufwasser  keinem  anderen  Zwecke  in  der 
Festung  dient. 

Die  Einzelheiten  einer  auf  frühere  Verhältnisse  berechneten,  jedoch 
noch  beachtenswerten  Latrinenanlage  beschrieb  von  Cohausen38.  Die 
Schußfestigkeit  der  Abtritte  soll  nicht  nur  die  Benutzer,  die  sonst  andere 
Stellen  verunreinigen,  sichern,  sondern  auch  hindern,  daß  der  Inhalt  der 
Düngergrube    durch    explodierende    feindliche    Geschosse    verstreut    wird. 

Beschleußung  und  Entwässerung  müssen  rechtzeitig  vorgesehen 
werden;  beide  machen  bei  niedriger  Lage  der  Festung  bisweilen  er- 
hebliche Schwierigkeit. 

26 


Militär-Bauten.  341 

Zur  Wasserbeschaffung  nach  Unterbrechung  der  Leitung 
dienen  gewöhnliche,  artesische  oder  Norton 'sehe  (abessinische)  Brunnen, 
deren  Ergiebigkeit  bereits  im  Frieden  ermittelt  wird.  Nicht  selten 
bleibt  man  auf  thunlich  filtriertes  Flußwasser  oder  auf  Cysternen  an- 
gewiesen. Der  tägliche  Wasserbedarf  berechnet  sich  selbst  im  Notfalle 
auf  mindestens  10  1  für  jeden  Mann  und  30  1  für  jedes  Pferd,  dessen 
Unterhaltung  für  Festungen  meist  eine  erhebliche  Belastung  in  hygie- 
nischer Hinsicht  darstellt. 

Zur  Unterbringung  der  Verwundeten  bedarf  es  im  Hin- 
blick auf  den  Genfer  Vertrag  für  belagerte  Festungen  keiner  weiteren 
Vorkehrungen,  als  der  sonst  erforderlichen. 


4.  Gefängnis,  Grerichtsstelle,  Wache. 

Nach  dem  „Militärstrafgesetzbuch  für  das  Deutsche  Reich"  vom 
20.  Juni  1872  sind  als  Freiheitsstrafen  Gefängnis,  Festungshaft 
und  Arrest  zulässig.  In  gesundheitlicher  Hinsicht  bieten  diese  Straf- 
arten ebensowenig,  wie  die  Militär-Gerichts  lokale,  Besonderheiten 
(s.  die  2.  Abtlg.  des  5.  Bandes).  Nicht  einmal  die  Verwendung  alter 
Kasematten  läßt  sich  als  eine  Besonderheit  des  Militärgefängnisses  be- 
zeichnen, denn  solche  dienen  häufig  auch  als  Civilgefängnisse. 

Die  militärische  Wache  ist  für  den  Soldaten  in  größeren  Garni- 
sonen, wo  ihn  der  Wachdieust  häufiger  trifft,  von  gesundheitlicher  Be- 
deutung. Sprichwörtlich  wurde  die  Beschaffenheit  der  von  Tabaksqualm 
erfüllten  Wachstubenluft,  worin  ein  Wachhabender  16  von  24  Stunden 
zubringt. 

Infolge  des  erhöhten  Wärmebedürfnisses  der  vom  Postenstehen  bei 
kalter  Witterung  zurückkehrenden  Leute  wird  das  Wachzimmer  häufig 
überheizt  und  jede  Lüftungsvorrichtung  thunlichst  unwirksam  gemacht. 
Hierzu  kommt  bei  Regen  das  in  Ermangelung  eines  besonderen  Raumes 
in  demselben  Zimmer  stattfindende  Trocknen  der  feuchten  und  schmutzigen 
Mäntel  u.  s.  w.  Während  sonst  bei  militärischen  Bauten  auf  die  Kosten 
wesentlich  Rücksicht  genommen  werden  mußte,  kamen  diese  bei  den 
meist  monumental ,  bisweilen  in  klassischem  Style  angelegten  größeren 
Wachhäusern  kaum  in  Frage.  Hier  hat  vielmehr  die  Ueberlieferung  aus 
einer  Zeit,  welche  gesundheitliche  Anforderungen  nicht  machte ,  die  er- 
wähnten Mißstände  bis  auf  unsere  Tage  verschleppt. 

Manche  Hauptwachen  in  großen  Garnisonen  werden  von  einem 
Lazaretgehilfen  mit  bezogen  und  können  deshalb  für  dringliche  Fälle 
zur  ersten  Hilfe  in  ähnlicher  Weise  dienen ,  wie  dies  eine  preußische 
Verfüguug 3  9  bezüglich  männlicher  Civilpersonen ,  die  in  der  Nähe  von 
Garnisonlazaretten  verunglückten,  gestattet. 


5.  Krankenhaus. 

Zur  Unterbringung  erkrankter  Soldaten  dient  im  Frieden  außer 
den  S.  328  erwähnten  Krankenstuben,  Infirmerien,  Marod enhäuseru, 
Hilfslazaretten  und  dergl.  das  Garnisonlazarett,  dessen  Größe  in 
Deutschland  auf  3  1/2 —  4  Proz.  der  Garnisonstärke,  bez.  auf  2  Proz. 
der  Stärke  der  zugehörigen  Nachbargarnisonen,  bemessen  wird,  und 
über  dessen  Einrichtung  und  Betrieb  der  3.  Teil,  sowie  die  11.  Beilage 

27 


342  HELBIG, 

der  Friedenssanitätsordnung  das  Nähere  festsetzt.  Hierzu  kommt  das 
erst  neuerdings  eingerichtete  Geneshaus  (Filiallazarett  außerhalb 
der  Garnison  für  Rekonvalescenten)  und  das  Militär-Badeinstitut. 
Je  ein  solches  besitzt  das  deutsche  Heer  zu  Wiesbaden  und  Landeck, 
zwei  zu  Teplitz  in  Böhmen,  während  an  Stelle  des  fehlenden  Militär- 
seebades  (wie  es  beispielsweise  Belgien  im  „institut  balneaire  de 
Tarmee'1  zu  Ostende,  Ungarn  zu  Balaton  -  Füred  und  Cirkvenica  einge- 
richtet hat)  Kurvergünstigungen  zu  Norderney  (S.  426  der  4.  Beilage 
zu  §  17,4  der  Friedenssanitäsordnung)  treten.  Klimatische  Militär- 
kurorte besitzen  mehrere  Seemächte  in  ihren  Kolonien;  für  Deutsch- 
land könnte  hierzu  nur  Südwestafrika  in  Frage  kommen.  Im  Kriege 
gilt  bezüglich  der  Unterbringung  der  Kranken  und  Verwundeten  für 
Deutschland  die  Kriegssanitätsordnung  vom  10.  Januar  1878. 

Die  Anforderungen  an  militärische  Lazarette  fallen  in  gesundheit- 
licher Beziehung  mit  denen  an  Krankenhäuser  überhaupt  zusammen 
(vergl.  5.  Bd.,  S.  1 — 284).  Die  wenigen  Besonderheiten  betreffen  den 
militärischen  Dienstbetrieb  und  haben  kaum  allgemeine  Wichtigkeit.  Eine 
ausführliche  Darstellung  der  Militärlazarette  im  weiteren  Sinne  gab 
Heibig40,  auch  sonst  behandeln  alle  Werke  über  Militärhygiene  diesen 
Gegenstand  mehr  oder  weniger  eingehend. 


6.  Invalidenliaus. 

Als  Erfinder  dieser  eigenartigen  militärischen  Einrichtung  gilt  Franz  I. 
von  Frankreich,  der  den  felddienstunfähigen  Söldnern  als  morte-paye  Halb- 
sold auf  Lebenszeit  gab  und  sie  in  festen  Schlössern  vereinigte.  Lud- 
wig XIV.  erbaute  das  hötel  des  invalides  zu  Paris,  worin  zur  .Zeit  noch 
Ganzinvaliden,  wie  im  Invalidenhause  zu  Avignon,  untergebracht  sind. 
Aehnliche  Anstalten  besitzen  England,  Holland,  Rußland  u.  s.  w.  In 
Deutschland  sind  nach  dem  Pensionsgesetz 4  x  die  Invalidenhäuser  (zu 
Berlin,  Stolp  ,  Carlshafen,  Benediktbeuern  und  Comburg)  vorzugsweise 
für  solche  Unteroffiziere  und  Soldaten  bestimmt,  welche  besonderer  Pflege 
und  Wartung  bedürfen;  die  Unterbringung  hört  grundsätzlich  auf,  wenn 
die  Verhältnisse  des  Invaliden  „ihn  dazu  nicht  mehr  geeignet  erscheinen 
lassen".  Die  Einrichtung  ist  in  den  verschiedenen  Ländern  abweichend,  je 
nachdem  nur  Invaliden,  wie  in  Frankreich  und  England,  oder  auch  Fa- 
milien, wie  in  Deutschland  und  Oesterreich,  versorgt  werden.  Es  be- 
dingt ferner  eine  Verschiedenheit ,  je  nachdem  alle  Versorgte  im  Hause 
selbst  anwesend  sind,  oder  ein  Teil  der  Invaliden  dauernd  in  die  Heimat 
beurlaubt  wird,  wie  dies  in  Preußen  geschieht. 

Die  seit  Einführung  der  Pensionen  überflüssig  gewordenen  In- 
stitute zeigten  nirgends  befriedigende  Ergebnisse.  Die  zum  Teil  dem 
Trünke  verfallenen  alten  Krieger  und  deren  oft  verkommene  Ange- 
hörigen können  in  einer  Anstalt,  besonders  wenn  sie  umfangreich  ist, 
von  einer  meist  ebenfalls  im  Ruhestande  befindlichen  Oberleitung  nur 
unzulänglich  beaufsichtigt  werden.  „Jede  Anhäufung  von  müßigen 
Menschen" ,  bemerkt  ein  nordamerikanischer  Bericht 4  2  über  diesen 
Gegenstand,  „muß  notwendig  ein  Herd  der  Demoralisation  werden." 
Nur  die  hergebrachte  Ueberlieferung  bewahrte  bisher  die  noch  be- 
stehenden Invalidenhäuser  vor  der  Aufhebung.     In  gesundheitlicher  Hin- 

28 


Militär-Bauten.  343 

sieht  besitzen  sie  im  Vergleich  mit  anderen  Altersversorghäusern  keinerlei 
Besonderheit. 


7.  Lager. 

Der  Begriff  „Lager"  läßt  sich  weder  vom  Biwak  oder  Freilager 
noch  von  der  Kaserne  scharf  abgrenzen.  Die  für  nur  eine  Nacht  be- 
stimmte Raststelle  eines  römischen  Kriegsheeres  bezeichnet  man  als 
Lager,  da  die  Römer  stets  Wall  und  Graben  um  ein  freigelegenes 
Biwak  zu  ziehen  pflegten.  Im  Gegensatz  hierzu  nennt  man  die  stei- 
nernen Kasernen  und  Baracken  bei  dem  modernen  Artillerieschießplatz 
auch  Lager,  da  sie  nicht  das  ganze  Jahr  hindurch  von  derselben  Truppe 
benutzt  werden  und  im  Winter  zumeist  leerstehen.  Im  allgemeinen 
kann  man  zwischen  solchen  für  den  vorübergehenden,  einmaligen  Ge- 
brauch, z.  B.  bei  Belagerungen,  und  solchen  zu  wiederholter  Benutzung 
bestimmten  unterscheiden.  Nur  die  letztere  Art  kommt,  wie  bereits  in 
der   Einleitung   zu   diesem  Abschnitte    erwähnt    wurde,    hier  in  Frage. 

Eine  derartige  Unterkunft  unterscheidet  sich  von  den  gewöhnlichen 
Kasernements  meist  durch  leichte  Bauart  und  weite  Ausdehnung.  Es 
kommt  deshalb  hier  häufiger  als  bei  Kasernen  die  Baracke  zur  An- 
wendung. 

Der  Zweck  des  Friedenslagers  besteht  in  manchen  Ländern ,  wie 
Rußland  und  England ,  vorwiegend  in  der  Vereinigung  einer  größeren 
Truppenmasse  zum  gemeinsamen  Exerzieren  und  zur  Felddienstübung. 
In  Deutschland  befinden  sich  Lager  vorwiegend  bei  den  Artillerie- 
schießplätzen. Neuerdings  machte  jedoch  die  große  Tragweite  des  klein- 
kalibrigen  Gewehres  auch  Lager  für  Infanterie  zu  Massenübungen  im 
Scharfschießen  erforderlich.  Bei  dem  hohen  Bodenwerte  der  besseren 
Ländereien  können  für  derartige  ausgedehnte  Anlagen  nur  solche  ebene 
Gelände  ausgesucht  werden,  welche  wegen  Trockenheit  oder  Eisengehalt 
des  Bodens  oder  aus  sonstigem  Grunde  unfruchtbar  oder  nur  mit  minder- 
wertigem Walde  bewachsen  sind. 

Bisher  erschien  in  Deutschland  keine  besondere  Lagerordnung. 
Die  preußische  „Instruction  über  die  Lagerung  der  Truppen  im  Frieden" 
vom  20.  Dezember  1842  bezieht  sich  auf  Zelte,  Hütten  und  Freilager; 
die  Garnisongebäudeordnung  (1.  Teil  §  47)  bestimmt  nur  den  Belegungs- 
raum in  Baracken  auf  3  m5  für  den  Mann  und  zählt  (in  Beilage  D) 
die  Geräteausstattung  bei  vorübergehender  Unterkunft  auf. 

In  gesundheitlicher  Beziehung  zeigen  die  Lager  Eigentümlich- 
keiten wegen  der  meist  schwierigen  Wasserbeschaffung  und  Ent- 
wässerung, sowie  der  dichten  Belegung.  Insbesondere  ist  die  letztere 
wichtig,  denn  die  erwähnten  3  m2  Bodenfläche  erscheinen  zwar  gegen- 
über der  früher  oder  in  anderen  Ländern  gewährten  reichlich,  lassen 
jedoch  bei  Tage  entfernbare  Bettstellen ,  etwa  wie  den  lit  hamac  von 
Maurice  43,  als  Bedürfnis  erscheinen.  Auch  wenn  man  die  Wege  zwischen 
den  Baracken  mit  einrechnet,  ergiebt  sich  die  Dichtigkeit  der  Bewohnung 
im  Lager  erheblicher  als  die  volkreicher  Städte,  was  Roth  und  Lex44 
durch  Zahlen  und  Diagramme  zu  erweisen  suchen.  Wechselt  die  Be- 
satzung in  einem  Sommer  mehrmals,  so  sollte  eine  strenge  Aufsicht 
das  infolge  des  kurzen  Aufenthaltes  fehlende  Interesse  der  Leute  an 
der  Reinlichkeit  ihrer  W'ohnung  ersetzen. 

29 


344  HELBIG. 

Außerhalb  der  vom  Mai  bis  August  andauernden  Schießzeit  stehen 
in  Deutschland  die  Lager  bis  auf  die  nötige  Wachmannschaft  meist  leer, 
wenn  man  sie  nicht  ausnahmsweise  wegen  des  Ausbruches  einer  Seuche 
oder  eines  Schadenfeuers  oder  dergleichen  in  einer  nahen  Garnison  be- 
legt. Bei  solchem  Anlasse  und,  wenn  in  ein  Artillerielager  zur  Abhal- 
tung von  Uebungen  im  gefechtsmäßigen  Schießen  oder  dergleichen  Infan- 
terie einrückt,  kommt  häufig  die  S.  335  erwähnte  Belegung  leerstehender 
Pferdeställe  mit  Menschen  in  Frage. 

Trotz  dieser  und  anderer  hygienischer  Mängel  bleibt  die  Erkran- 
kungshäufigkeit der  Friedenslager  in  Deutschland  zufolge  der  nur  kurzen 
Belegungsdauer  und  des  Leerstehens  im  Winter  meist  gering. 

Auch  im  Auslande  wurde  vielfach  ein  günstiger  Einfluß  des  Lager- 
aufenthaltes beobachtet,  insbesondere  dort,  wo  mangelhafte  Kasernen  den 
Gesundheitszustand  beeinträchtigen,  wie  beispielsweise  in  Frankreich,  wo 
man  1833  die  Krankenzahl  in  den  Zeltlagern  halb  so  hoch  wie  in  der 
Garnison  fand  43.  Viry  45  schließt  dagegen  für  1871/2  bereits  auf  einen 
wohlthätigen  Einfluß  des  Versailler  Lagers  aus  einem  Verhältnisse  der 
dortigen  Krankenzahl  zu  der  in  der  Kaserne  zu  Versailles  von  242,4  pro 
mille  zu  243,2  pro  mille. 

Als  Lagerkrankheiten  gelten  außer  Erkältungen  hauptsäch- 
lich Wechselfieber,  das  bei  Truppen  aus  Garnisonen  mit  Malaria 
beim  Beziehen  des  Lagers  nach  französischen  und  ungarischen  Er- 
fahrungen auszubrechen  pflegt,  und  Vener ie,  zu  deren  Abhaltung 
außer  regelmäßiger  Besichtigung  der  Mannschaften  und  Ueberwachung 
der  Prostitution  bisweilen  besondere  Lagerbordelle46  errichtet  wurden. 

Hinsichtlich  der  Lagerausstattung  kann  auf  das  über  Kasernen 
vorstehend  Vermerkte  verwiesen  werden,  so  insbesondere  hinsichtlich 
der  Badeeinrichtung,  der  Waschanstalt,  eines  Desinfektionsraumes,  der 
Anpflanzungen  u.  s.  w.  Nötiger  als  in  der  Garnison  sind  für  das 
Lagerleben  der  Leute  Zerstreuungsmittel,  wie  Kegelbahnen,  Spielplätze, 
Büchereien  und  dergleichen. 

Zum  Schlüsse  bleibt  auch  an  dieser  Stelle  noch  des  Systems 
Tolle  t 's47  zu  gedenken,  das  der  Erfinder  zunächst  für  Lager  bestimmte. 
Diese  eigenartige  Bauweise,  bei  der  die  wagrechte  Decke  des  gewöhn- 
lichen Wohnzimmers  durch  einen  Spitzbogen  ersetzt  wird,  findet  sich  in 
ihrer  Anwendung  auf  das  Krankenhaus  S.  90 — 96  und  118  des  5.  Bandes 
beschrieben,  und  daselbst  durch  die  Figuren  76 — 81  sowie  106  veran- 
schaulicht. Nachdem  ein  Versuch  mit  einer  Geniekaserne  im  Fort  Cor- 
meilles  bei  Paris  seit  1872  günstig  ausgefallen  war,  ließ  General  Ducrot 
im  Bezirke  des  8.  Korps  zu  Bourges,  Cosne  und  Autun  Tollet'  sehe 
Kasernen  erbauen.  Ueber  das  Ergebnis  berichtete  u.  a.  eine  Kommission 
der  Societe  de  medecine  publique48  im  Juli  1879  günstig;  ebenso  wurde 
es  bei  den  Senatsverhandlungen49  in  demselben  Jahr  beurteilt.  Die  da- 
bei zur  Sprache  gekommenen,  auffallend  niedrigen  Erkrankungsziffern*) 
der  in  den  Baracken  untergebrachten  Leute  erweckten  Mißtrauen.  Dies 
scheint    der  allgemeinen  Verbreitung  des  Systems,    das  sich  der  Erfinder 


*)  So  betrug  angeblich65  bei  der  Infanterie  in  Autun  die  Sterblichkeit  0,00  °/00  gegen- 
über der  mittleren  von   10,8  °/00  und  in  Cosne  die  Erkrankungsziffer  22  gegenüber  528°/0o' 

30 


Militär-Bauten. 


345 


inzwischen  hatte  patentieren  lassen,  während  der  nächsten  Jahre  hinder- 
lich gewesen  zu  sein.  Gegen  die  den  Bautechnikern  ungeläufigen  ogivalen 
Gewölbe  sprachen  sich  auch  Hygieniker,  so  W.  Roth  50,  aus.  Am  meisten 
schreckte  aber  die  Größe  der  Bodenfläche,  welche  Tollet  für  seine 
Kasernen  verlangte,  zurück.  In  Oesterreich  wurde  es  trotzdem  von 
Franz  Gruber51,  in  Deutschland  von  Adolf  Schuster52  lebhaft 
befürwortet.  Während  im  letzteren  Lande  unseres  Wissens  ein  Ver- 
such mit  Spitzbogengebäuden  zur  Militär-  oder  Krankenunterbringung 
bisher  unterblieb,  wurde  in  der  Artilleriekaserne  am  Rennwege  zu  Wien 
1880  ein  Pavillon  für  38  Mann  und  ein  Stall  für  24  Pferde  erbaut. 
Tollet  suchte  einem  kälteren  Klima  mit  reichlichem  Schneefalle  durch 
die  auf  S.  93  und  in  Figur  79  des  5.  Bandes  erwähnte  Verdoppelung 
des  Spitzbogens  bei  einem  Krankensaale  Rechnung  zu  tragen,  G  r  u  b  e  r 
und  Völckner  nahmen  dagegen  die  aus  den  beistehenden  Figuren  8 
und   9    ersichtlichen    Abänderungen    bei    den    Wiener   Bauten    vor.      Sie 


Fig.  8.     Querschnitt  einer  Baracke  nach  Tollet  im  Mafsstabe  von   1:170. 


Fig.   9.     Querschnitt  einer  Baracke  nach  Grub  er  und  Völckn  er  im  Mafsstabe  von  1  :  170. 

3i 


346  HELBIG, 

ersetzten  dabei  den  Ogivalbogen  durch  den  Ovalbogen  und  mieden  die 
in  Kontrekurven  gekrümmten  Dachflächen,  legten  vielmehr  über  die  ovale 
Bogendecke  einen  von  Pfetten  getragenen  Sparrenrost  u.  s.  w.,  so  daß 
der  Pavillon  von  Außen  das  Ansehen  eines  Hauses  mit  senkrechten 
Wänden  und  Satteldach  erhielt.  Durch  diese  und  ähnliche  Abän- 
derungen werden  drei  Vorzüge  des  Spitzbogenbaues,  nämlich  Einfach- 
heit, Billigkeit  und  Vermeidung  stockender  Luftschichten,  wesentlich 
beeinträchtigt. 

Die  Bestrebung  Toll  et 's,  dem  Kasernement  eine  ungewöhnliche 
Gestalt  zu  geben,  erweckte  Nachahmung,  so  beispielsweise  die  eigen- 
artigen Baracken  mit  ovalem  Grundrisse,  welche  Stolpe  &Kumlien53 
für  die  schwedische  Reiterei  entwarfen,  u.  a. 

1)  Fr.  Fränkel,  Bibliotheca  medicinae  militaris  etc.  I.  (Glogau   1876),  62. 

2)  H.  Frölich,  Militärmedicin,    Wreden's  Sammlung  kurzer  medicinischer  Lehrbücher,   13.  Bd., 
{Braunschweig  1887),  394. 

3)  Index- catalogue  of  the  library  ofthe  Surgeon  General' s  Office,   1.  Bd.  (Washington  1880), 
774—776. 

4)  Zeitschrift  für  Bauwesen,  43.  Jahrg.  (Berlin  1893)   119  ff. 

5)  J.  Overbeck  u.  A.  Mau,  Pompeji,    4.   Aufl.  (Leipzig  1884)   193  ß. 

6)  J.    Naeher,    Milüärarchitektonische     Anlage    der    Ritterburgen    (Dachau- München    1893), 
50,   59. 

7)  J.    Durm,    H.   Ende,    E.    Schmitt    u.    H.    Wagner,    Handbuch  der  Architektur,    4.   Teil, 
7.  Balbbd.  (Darmstadt  1887),  464-588. 

8)  General  report    of  the  commission  appointed  for  improving  the  sanitary  condition  of  bar- 
racks  and  hospitals,  (London  1861),  338  Folioseiten. 

9)  Arnould,   Nouveaux  elements  d'hygiene  (Paris  1881),  400  u.   1199. 

10)  Lucien  Descaves,  Sous-qffs.  (Paris  1889),  deutsch  von  Ludwig  Wechsler  (Budapest  1890). 

11)  F.  u.  E.   Putzeys,    Hygiene    des    agglomcrations  militaires.     La  construction    des  casernes 
(Liege  1892),   66. 

12)  M.    v.    Pettenkofer  u.  H.  v.  Ziemssen,  Handb.  der  Hygiene  2.   Teil  2.   Abteil.   (Leipzig 
1882),   267. 

13)  Bauten  u.  s.  w.  von  Dresden  (ebenda  1878),   249 — 273.], 

14)  Deutsche  Bauzeitung  5.  Jahrg.   (1871),  No.  43,   341.  :'S 

15)  Garnisonbeschreibungen,    herausgeg.    von  der    Medizinalabteilung    des    K.   preufs,    Kriegs- 
ministeriums, 2.  Bd.  (Berlin   1895),  73,   Taf.  16. 

16)  M.  Kirchner,  Grundrifs  der  Militärgesundheitspflege  (Braunschiceig  1896),   794 — 853. 

17)  H.  v.  Forst,    Unsere  Kasernen    (Hannover  1884,    später:    Leipzig,    Zuckschioerdt  &  Co.). 

18)  L.   Stromeyer,   Maximen  der  Kriegsheilkunst,  2.   Aufl.  (Hannover  1861),   2. 

19)  Ueber  Einrichtung  und  Ausstattung  der   Kasernen  für  die  K.  preufs.    Truppen,  v.   6.  Juli 
1843,  §   6. 

20)  Allgemeine    Wiener  med.  Zeitung  (1886),  No.   15. 

21)  Bulletin  officiel  du  ministere  de  la  guerre,  1894  No.  7,  89 — 97. 

22)  Erlafs  des   Militär- Oekonomiedepartement  v.   26.   September   1860. 

23)  Garnison-Gebäudeordnung  vom  19.   Dezember  1889. 

24)  W    Roth,    Veröffentlichungen  aus  dem  E.    sächsischen  Militärsanitätsdienst  (Berlin  1879), 
239. 

25)  Gerloczy  Zsigmond,    Verhandlungen  des  8.  internationalen  hygienischen  Kongresses,  5.  Bd. 
(Budapest  1896),   252—257. 

26)  Morache,   Traue  d'hygiaie  militaire,  1.   Aufl.    (Paris   1874),   386. 

27)  Friedens- Sanitätsordnung  v.   16.   Mai  1891,  §   31,    11,  S.  47. 

28)  Parkes,    Manual  of  practical  hygiene,    »  .  especially  .   ...  of  the  army,  8.    Aufl.  (London 
1891),   3. 

29)  A.   v.  Neree,  Militär dampfküche  und  Badeanstalt  (Berlin  1880). 

30)  Recueil  de  memoires  etc.,  (1861),  380. 

31)  Roth    u.    Lex,    Handb,  der  Militärgesundheitspflege  1.  Bd.  (Berlin  1872),  544  u.  Taf.  1. 

32)  Sanitätsbericht    über    die    deutschen  Heere    im    Kriege   gegen    Frankreich    1870/1,    6.    Bd. 
(Berlin  1886),  58;   Beil.  8  u.   Taf.  2. 

33)  Hygienische  Rundschau  6.  Bd.,  No.  4  v.  15.  Februar  1897,   208 — 216. 

34)  J.   Wiel  m.  R.  Gnehm,  Handbuch  der  Hygiene  (Karlsbad  1878),  717. 

35)  M.  v.  Förster,  Schiefswolle  in  ihrer  militärischen  Verwendung.  Berlin   1888,    Taf,  1. 

36)  Roth  u.  Lex,  Handbuch  der  Militärgesundheüspflege,  1.  Bd.  (Berlin  1872),   651. 

37)  G.    A.    Richter ,     Medizinische    Geschichte    der    Belagerung    und    Einnahme    der   Festung 
Torgau    (Berlin   1814). 

32 


Militär-Bauten.  347 

38)  Arch    für  die  Offiziere  der  K.  preufs.  Artillerie-  und  Ingenieur-Corps  68.   Bd.  (1870),  91. 

39)  Kriegsministerialerlafs  No.   1628/1.   M.   A.  vom   15.   März   1896. 

40)  Roth  m.  Lex,  Handbuch  der  Militärgesundheitspflege  2.  Bd.  (Berlin  1875),  235 — 467 
u.  485—506. 

41)  Gesetz,  betr.  die  Pensionirung  etc.  des  Reichsheeres  etc.  v.  27.  Juni  1871,  §   78. 

42)  T.  W.  Evans,  Comimssion  sanitaire  des  £tats-Unis,  5.    Aufl.  (Paris   1867),  172. 

43)  Marvaud,    Etüde  sur  les  casernes ;    Annales  d'hygiine  publique,  (1873),  242  —  247. 

44)  Roth  v.  Lex,  Handb.  der  Militärgesundheitspfiege  2.   Bd.  (Berlin   1875),   19 — 23. 

45)  Gazette  hebd.  de  med.  et  de  Chirurgie  v.  20.   August  1875. 

46)  Goffres,  Considerations  . .  .   sur  le  camp  de  Chälons  (Paris  1865),   74. 

47)  C.  Tollet,  Reforme  du  casernement  (Paris  1877).  ■ —  Memoire  . .  .  sur  les  logements  collectifs, 
höpitaux,  casernes  etc.  (ebenda  1878).  —  Logements  collectifs  :  casernes  (ebenda  1888), 
Fol.  mit  9    Taf. 

48)  Revue  d'hygiine  et  de  police  sanitaire  (Paris   1879),   1009 — 1027. 

49)  Journal  officiel  de  la  Ripublique  francaise  (Paris   1879),  9159  und  10709. 

50)  W.  Roth,  Jahresbericht  über  .  .  .  Militairsanitätswesen  2.  Jahrg.  1874   (Berlin  1875),  34. 

51)  Gruber,   Casernenbau  (Wien  1880) 

52)  M.  v.  Pettenkofer  u.  H.  v.  Ziemssen,  Handb.  der  Hyg.  2.  Teil,  2.  Abteil.  (Leipzig 
1882),   370—389. 

53)  G.   Stolpe  u.  A.  Kumlien,  Projet  de  casernes  (Stockholm  1876). 

54)  A.  F.  Eklund,   Contribution  ä  la  geographie  medicale  (Stockholm  1881). 

55)  L.  Degen,  Das  Krankenhaus  und  die  Kaserne  der  Zukunft  (München  1882),   398. 

56)  Normal- Verordnungsblatt  für  das  k.  u.  k.  Heer  (Wien   1895),  33.   Stück 

57)  Deutsche  Bauzeitung  No.  32  vom  12.  April  1882  (Berlin)  188. 


Handbuch  der  Hygiene.     Bd.  VI.  oo 


348  HELBIG,  Militär-Bauten. 


Verzeichnis  der  Abbildungen. 


Fig.  1  Seite  320.  Lageplan  der  Infanterie-Kaserne  zu  Zwickau  in  Sachsen  im  Mafs- 
stabe  von  1  :  3140.  Aus  dem  ,, Handbuch  der  Architektur",  IV.,  7.  Halbband  (Darmstadt 
1887),  Seite  522,  Fig.  493. 

Fig.  2  Seite  320.  Grundrifs  des  1.  Obergestocks  eines  Flügels  derselben  Kaserne  im 
Mafsstabe  von   1  :  1200.     Ebenda,  Fig.   494. 

Fig.  3  Seite  321.  Grundrils  des  1.  Obergestocks  der  Kaserne  No.  III  am  Waterloo- 
platze  zu  Hannover  im  Mafsstabe  von  1  :  600.  Aus  den  :  ,, Garnisonbeschreibungen,  heraus- 
gegeben von  der  Medizinalabteiluug  des  k.  preufs.  Kriegsministeriums''  ;  4.  Band,  Berlin 
1896,  Tafel  V. 

Fig.  4  Seite  322.  Grundrifs  eines  Flügels  des  1.  Obergestocks  der  östlichen  Grena- 
dierkaserne in  der  Albertstadt  bei  Dresden  im  Mafsstabe  von  1  :  1050.  Aus  der  „Viertel- 
jahrsschr.  für  öffentliche  Gesundheitspflege",   11.   Band,  Braunschweig  1879,   1.  Heft. 

Fig.  5  Seite  336.  Lageplan  des  westlichen  Teiles  der  Albertstadt  bei  Dresden  im 
Mafsstabe  von   1  :  20  000.     Ebendaher. 

Fig.  6  Seite  336.  Lageplan  einer  Reiterregimentskaserne  nach  Tollet  im  Mafsstabe 
von  1  :  2500.  Aus  dem  ,, Handbuch  der  Architektur",  IV.,  7.  Halbband,  Darmstadt  1887, 
Seite  546,  Figur  546. 

Fig.  7  Seite  337.  Desgleichen  einer  solchen  Kaserne  mit  zweigeschossigen  Mann- 
schaftswohngebäuden im  Mafsstabe  von  1  :  4160.  Aus  Franz  Gruber  ,,Casernenbau  in 
seinem  Bezüge  zum  Einquartierungsgesetz",  Wien   1880,  Tafel  III,  Figur  8. 

Fig.  8  Seite  345.  Querschnitt  einer  Tollet 'sehen  Baracke  im  Mafsstabe  von  l  :  170. 
Ebendaher  Tafel  I,  Figur  2. 

Fig.  9  Seite  345.  Desgleichen  durch  eine  Baracke  nach  Gruber  und  Völckner. 
Ebenda,  Fig.  3. 


34 


General-Register 

zum  sechsten  Bande. 


A. 

Abdominal typhus  in  Berlin  147. 
Aborte   96.  254. 

—  auf  Schiflfen   208. 

—  in  Wagen    266. 
Absorber  43. 
Achsen  263. 

Agora  3. 

Akustik  der  Theater  121. 

Albertstadt  322. 

Albuminfabrik  51. 

Altersversicherungsgesetz  294. 

Amerikanische  Bahnen  240.  243.  257.  292. 

303.  308. 
Ammoniak- Eismaschine  45. 
Anstellung  von  Bahnbeamten  297. 
Arbeiterbaracken  171. 
Arbeitshaus  in  Berlin   148. 
Armstrong  218. 
Arnould  318.  327. 
Aschebeförderung  205. 
Asphaleia  137. 
Assyrer,  Märkte  der  3. 
Asyle    145  ff. 

—  in  Berlin   162  ff. 

—  „  Elberfeld  166. 

—  „  England  169. 

—  „  Moskau  168. 

—  „  Paris  148.  167  ff. 

—  ,,  Wien  167. 
Auson,  Admiral  187- 
Auswandererwesen  212.  228. 


Badeofen  107. 
Badewannen  90. 

—  heizbare   108. 
Bäder  auf  Schiffen  210. 

—  in  Asylen   150. 

—  in  Kasernen  332. 

—  irische  95. 

—  römische  95. 

—  russische  95- 

—  s.   a.    die    einzelnen    Arten    der    B., 
Dampfbäder,  Brausebäder  u.  s.  w. 


Bahnärzte  295.  307. 
Bahnhöfe  254. 
Baukosten  103  ff. 
Baumeister  149. 
Bayreuth,  Theater  in  132  ff. 
Beamtenpensionsgesetz  293. 
Becher  284. 
Beck  und  Henkel  33. 
Becker  149. 

—  247  (Litt.). 
Bedürfnisanstalten  254. 
Beetz  307  (Litt.). 
Behm  253  (Litt.). 
Behnke  169. 

—  s.  a.  Litteratur. 
Beielstein  über  Bäder  110. 
Bell-Colemann,  Eismaschine  44. 
Beleuchtung  der  Wagen  273. 

—  in  Theatern  119.  122. 
Beimas  318. 

Berlin,  Exanthematicus  in  147. 

—  Flecktyphus  in  147. 

—  Pennen  in    147.   155. 

—  Pocken  in  147. 

—  Polizeiverordnung    über  Pennen  etc. 
in  153. 

—  Recurrens  in  147. 

—  Theater  in   136. 

—  Volksbad  in  94. 

—  Volkskaffeehaus  in   173. 

—  Wärmehallen  in    176. 
Betriebsordnung  119. 
Bettung  256. 
Bilge-water  190 

Billings  316. 

Büsche  190. 

Bilschgase   193. 

Bilschraum  190. 

Bilschwasser  195  ff. 

Blane  187. 

Blankenstein,  Architekt  18.  19.  20.  33.  74. 

Blocksystem  260. 

Bochum,  Kosthaus  in   174. 

Bock  148. 

Bohr  186. 

Boerner  &  Co.  87.  102.  110. 

23* 


350 


Register. 


Börner's  Patentclosett  209. 

Boog  über  Theater  138. 

Booth  über  Asyle  in  London  152. 

Bordeaux,  Volksbad  in  106. 

Born  271  (Litt.) 

Braehmer  307  (Litt.).  310  (Litt.). 

Brände  118. 

—  s.  a.  Theaterbrände. 

—  Theaterbrand  zu  Nizza  117. 

„  ,,     Oporto  117. 

,,  „     Paris  117. 

„  „     Wien  117.  127. 

Brandmauern  für  Theater  125. 
Braunschweig,   Brausebad  in  94. 

—  Theater  in    124. 
Brausebad   s.  a.  Volksbad. 
Brausebäder  86. 

—  in  Amerika  107. 

—  „  Berlin  94. 

—  ,,  Bordeaux   106. 

—  ,,  Braunschweig  94. 

—  „  England   106. 

—  ,,  Frankreich   106. 

—  ,,  Hannover  93. 

—  „  Holland  106. 

—  „  Köln  94.  97. 

—  ,,   Liverpool  106. 

—  .,  Mainz  94. 

—  ,,  Mannheim  92. 

—  „  München  92. 

—  ,,  Oesterreich   106. 

—  „  Offenbach  95  ff. 
Brausezelle   90. 

Bremen,  Volkskaffeehaus  in  175. 

—  Zahl  der  Schiffe  und  Matrosen   li 
Bremsen  262.  275. 

Breslau,  Recurrens  in  148. 
Brosius  247  (Litt.). 
Brückwald,  Architekt  133. 
Brühkessel  54. 
Brüssel,   Flecktyphus  in  148. 
Budapest,  Theater  in  122. 
Bühnenmaschinerie  122. 

—  regen  124. 
Büte  und  Borries  243. 
Buffer  274. 

Bugge  213. 
Burton-Brown  206. 
Busley  206. 


Cahen  248. 
Carpenterbremse  276. 
Carre,  Eismaschinen  44. 
Central-Weichenstellung  260. 
Chemnitz,    Markthallen  in  60. 
Cholera  276  ff. 

—  in  London   147. 

—  „  Pennen   147. 

—  bacillen  im  Bilschwasser  196 
Cirkusanlagen  130  ff. 
Citronensaft  gegen  Skorbut  187. 
Clauss  271    (Litt.). 

Common  lodging  houses  146  ff.  152. 
act   147. 


Coaltarisation  325. 

v.  Cohausen  340. 

Cook  187. 

Cornet  282. 

Coupeewagen  263.  265. 

v.  Czatary  286.  307  (Litt.).  310  (Litt. 

D. 

Dampfbäder    108.  109. 

—  heizung  272. 
Demmler  327. 
Deschamps  148. 
Desinfektion  der  Schiffe   194  ff. 
Destillierapparate  auf  Schiffen  223. 
Dienstzeit  302. 

Douchebäder  109. 

Drehgestell  264. 

Drehscheiben  261. 

Dresden,  Kaserne  in  322.  336. 

Dresdener  Konferenz  231. 

Dryholystoning  195. 

Dünal  30. 

Düngerstätten  für  Schlachthäuser  49  fl 

—  wagen  51. 
Dujardin-Beaumetz  170. 
Dumesnil  148. 
Dunbar  197. 

Duncan   146. 

Dunggruben  für  Schlachthäuser  49  ff. 

Durchgangswagen  263.   265. 


E. 
Eau  de  la  sentine   190. 
Einkommen  der  Eisenbahnbeamten  300. 
Eisenbahnanschlufs  für  Düngerstätten  51. 

—  für  Viehmärkte  58. 
Eiserner  Vorhang  125  ff. 
Eismaschinen  44.  219. 

—  s.  a.  die  einzelnen  Konstrukteure. 
Eklund  329. 

Elberfeld,  Asyl  in   166. 
Elektrische  Beleuchtung  274. 

—  Lokomotive   239. 
Elektrisches  Licht  in  Theatern  129. 
Ende  &  Böckmann  über  Bäder  110. 
England,  Asyle  in   169. 

—  Volksbäder  in    106. 
Entleerung  der  Theater  127  ff. 
Erfurt,  Schlachthof  in  40. 
Erhardt  198. 

Erismann  318. 

Ernährung  auf  Schiffen  213. 

—  der  Bahnbeamten  304. 

—  in  Asylen   158. 
Erwärmung  des  Badewassers  100. 
Exanthematicus  in  Berlin   147. 

—  in  Paris   148. 
Explosion  auf  Schiffen   192. 


F. 
Farbenblindheit  299. 
Fenster  in  Eisenbahnwagen  270. 
—     in  Theatern    179. 


Register. 


351 


Feuergefährlichkeit  der  Theater    119.  138 
Filter  für  Schiffe    224. 
Flammen  in  Theatern   129. 

—  bewegliche    122. 

—  geschützte    122. 
Flecktyphus  in  England    146 

—  in  Festungen  146. 

—  ,,  Gefängnissen   146. 

—  ,.  Irland    146. 

—  .,    Breslau   148. 

—  „   Brüssel   148. 

—  ,,   Riga  148. 
Fleischverbrauch  54  ff. 

—  Verteuerung  durch  Schlachthöfe  26. 
Flock    192. 

Focks    über    den     Brand     des    Ringtheaters 

138. 
Fölsch  über  Theater  138. 
Fonssagrives  218. 
Forum  als  Markt  3. 
Forst  319.  331. 

Frankfurt  a.  M.,  Theater  in  122.  124. 
Frankreich.  Volksbäder  in   106. 
Friedel  187. 
Froelich  316. 
Führerstand 

—  bedeckter  262. 

—  offener  262. 

G. 

Gärtner  192.  206. 

Gangbreite  in  Versammlungsräumen   131. 

Gasbeleuchtung  273. 

Gase,   inspirable  bei  Theaterbränden    127. 

Gasheizung  272. 

—  licht  in  Theatern    129. 
Geary  187. 

Gebläse  203. 

Gebühren  in  Markthallen  12.  14. 
Gefängnis,  Krankheiten  im   146. 
Geleisanlagen   für  Viehmärkte  64. 
Geschäftsvermittler  11. 
Geschichte  der  Eisenbahnen  238. 
Gesetze  über  niedere  Herbergen   151   ff. 
Gewerbeverein,    Niederösterr.,    über    Feuer- 
schutz  in  Theatern    138. 
Gewicht  des  Schluchtviehes  26.  54. 
Gilardone  über  Theatersicherheit    120.   138. 
Gipsdielen  für  Theater  123. 
Girgensohn  148. 
Glasgow,   Flecktyphus  in   146. 
Glover  146. 
Goltdammer  156.  172  Litt. 

—  über  Pennen   147 

—  ,,     Recurrens   146. 
Graz,  Schlachthof  in  38. 
Green  204. 
Grofshandel  4  ff. 

Grove  87.  102. 

Grube  von  der  Heydt,  Schlafhaus  der  170. 

Gruber,  F.,  336.  345. 

II. 

Haack  205. 
Haber  239  (Litt.). 
Hackländer,  Architekt  66 


Hähne  102. 
Hafenarzt  212. 
Haftpflicht  29  J. 
Halla  247. 
Halle,  Schlachthuf  in   39. 

—  Theater  in   122.   134. 
Hamburg,  Kaffeehalle  in    175. 

—  Musterung  in    189. 
Hanfseile,  feuergefährlich    119.  121. 
Hannover,  Volksbad  in  93. 

—  Kaserne  in   321. 
Hausordnung  119. 
Hautkrankheiten  276. 
Hawsksley  145. 

Hay,  Captain   155. 
Heberlein-Bremse  275. 
Hechler,  Architekt  60 
Hecht,  Architekt  70. 
Heilmann's    Lokomotive  239. 
Heizmaterial  f.  Lokomotive  263. 
Heizung  der  Bäder  98. 

—  der  Theater  122. 

—  der  Wagen  271. 
Heibig  342. 
Hennicke  s.  Litteratur. 
Herbergen  171   ff. 
Herwig  195. 
Herzog-München  286. 
Hirsch,  A.   149. 

—  Dr.  med.  Mustertheater  von  137.  138. 
Hobrecht,  H  ,  324. 

Höpfner,  Architekt  137. 
Hofgröfse  der  Theater  121.  129. 
Hoffmann  247  (Litt.). 
Hohlsteine  für  Theater  123. 
Holland,  Volksbäder  in  106. 
Holzapfel  über  Bäder  110. 

—  kohle  272. 

—  schiffe  183 

—  werk  in  Theater  121. 
Horizont  in  Theatern  122. 
Hospitäler  auf  Schiffen  211 
Huber  54 

—  Ventilation  nach  36. 
v.  d.  Hude,  Architekt  136. 

Humboldt,  Akt. -Ges.,  baut  Eismaschinen  48. 
Hydranten  für  Theater  124. 


I. 

Impfungen  auf  Schiffen  213. 
Imprägnierungsmittel  für  Coulissen  122. 
Infektionskrankheiten  276. 

—       auf  Eisenbahnen   248. 
Invaliditätsgesetz  294. 
Irland,  Flecktyphus  in  145. 
Irrespirable  Gase   bei   Theaterbränden  127. 


J. 

Jacobi  148. 

Jünglingsheime  171. 

Jüptner,  Frhr.  v.,  über  Theater  138. 

Junck  über  Theater  138. 


352 


Register. 


K. 

Kältemaschinen  42  ff. 

Kaffeehallen  172. 

Kaidaunenwäsche  41. 

Kalk  zur  Desinfektion  der  Schiffe   196. 

Karlinsky  190. 

Kasematten  339. 

Kaserne  316  ff. 

Keller  unter  Markthallen  17. 

Kiel  190. 

Kielschwein  190. 

Kindersterblichkeit  in  Liverpool  146. 

—  in  Nottingham   145. 
Kirchen,  Sicherheit  der  132. 
Kirchner  186.  319.  330. 
Klasen  über  Badeanstalten  110. 
Kleidung  der  Bahnbeamten  301. 
Kleinhandel  4  ff. 

Klinger  über  Bäder  99.  110. 

Klosetts  254 

Knallpatronen  258. 

Koch  u    Gaffky   über  Desinfekt.  der  Schiffe 

195. 
Köln,   Volksbad  in   94.   97. 
Kohlenladungen  194. 

—  oxydvergiftung  auf  Schiffen  192. 

—  räum  98. 

—  Säurevergiftung  auf  Schiffen  192. 
Kolschwein  190. 

Kompressor  44. 

Korksteine  für  Theater  123. 

Korridore  in  Theatern  129. 

—  in  Versammlungsräumen    131. 
Kosten  der  Bäder  103  ff. 
Kosthaus  in  Bochum   174. 
Krankenkassen    für    Eisenbahnarbeiter    309. 

—  für  Seeleute  229. 
Krankenwagen  269. 
Krankheiten  der  Reisenden  247. 

—  des  Eisenbahnpersonals  248. 
Küchen  auf  Schiffen  210. 
Kühlanlagen  42  ff. 

—  apparate  219. 

—  haus  48  ff. 

—  räume  8. 
Kuppelung  der  Wagen  274. 

L,. 

Lang  268. 

Lapparent  186. 

Lassar  87.   110. 

Lazarette  auf  Schiffen   211. 

Lazarettzüge  269. 

Lebert  148. 

Lederer  227. 

Leichentransport  283. 

Leiszner  269. 

Lent  249. 

Leonhardt  über  Bäder  110. 

Lessing-Theater  in  Berlin  136. 

Lex  s.  Roth. 

Licht,  Architekt  74. 

Liddle  155. 

Linde's  Eismaschinen  47. 

Lindemann,  Architekt  33.   74. 


Linner,  Architekt  38. 

Litteratur  über  Feuersicherheit  der  Theater 

138. 
Litten  148. 
Liverpool,  Kindersterblichkeit  in  146. 

—  Volksbäder  in   106. 
Löffler  271  (Litt),   284. 
Löscheinrichtungen  für  Theater  123. 
Lokomotiven  261. 

London,  Asyle  in  152. 

—  Pennen  in   146. 

—  Recurrens  in   146. 
Lüeff,  Architekt  38. 
Lüftung  103. 

—  der  Personenwagen  268. 

—  des  Schiffes   198  ff. 

Luftraum  in  common  lodging  houses  150. 
Lythfoot,  Eismaschine  von  44. 


M. 

Macdonald  190. 
Mägdeheime  171. 
Märkte  1  ff. 
Mainz,  Volksbad  in  94. 
Mallieux  273  (Litt.). 
Mannheim,  Brausebad  in  92. 
Marggraff  über  Bäder  110. 
Market  3. 
Markthallen  4  ff.  60  ff. 

—  Beleuchtung  der   17. 

—  für  Grofshandel  9. 

—  ,,     Kleinhandel   9. 

—  in  Belgien  4. 

—  ,,    Berlin  4.  5. 

—  „    Chemnitz  4- 

—  .,    Deutschland  4. 

—  ,,    Dresden  4. 

—  ,,    England  4. 

—  „    Frankfurt  a.  M.   4. 

—  ,,    Halberstadt  4. 

—  ,,    Hannover  4. 

—  ,,    Italien  4. 

—  „    Köln  4. 

—  ,,    Leipzig  4. 

—  „    München  4. 

—  ,,    Oldenburg  4. 

—  ,,    Paris  4. 

—  „    Stuttgart  4. 

—  innere  Einrichtung  derselben  15. 

—  Kosten  derselben   12  ff. 

—  Mieten  in  denselben   14. 

—  Raumbedarf  derselben   13. 

—  Rentabilität  derselben   12. 

—  Verwaltung  derselben   10. 
Marktpreise  6. 

Martin  271  (Litt.) 

Marx  107.  110. 

Mauerwerk  in  Theatern  121. 

Medizinkiste  auf  Schiffen  212. 

Meinert  175. 

Mercato  3. 

Mercatus  3. 

Mericourt  186. 

du  Mesnil  149.    170. 

Meyer,  A.  über  Badeanstalten. 


Register. 


353 


Mildner  über  Bäder  110. 
Militärärzte  296. 
Monier-Bauten  für  Theater  123. 

—  Wände  90. 
Monopolpreise  6. 
Morache  328. 
Morgenstern  L.  175. 
Moritz,  Architekt,  74. 
Moskau,  Asyle  in  168. 
Mülheim  a.  R.,  Schlachthof  in  40. 
München,   Brausebad  in  92. 

—  Uoftheater  in   125. 

—  Schlachthof  in  37. 
Münnich  87. 

Munk  über  Volksküchen  173. 
Murchison  über  Flecktyphus  146. 
Muster-Theater  136,  137. 

N. 

Napoleon  I.  erbaut  Schlachthäuser  24. 

Neckelmann,  Architekt,  136. 

Neree  331. 

Neues  Theater  in  Berlin  136. 

New  York,  Volksbad  in  107. 

Niemeyer  247. 

Nizza,  Theater  in  117. 

Nocht  194,  197. 

Nordmann,  Architekt  70. 

Notbeleuchtung  der  Theater  119.  120.  129. 

Nottingham,  Sterblichkeit  in  145. 

Nundinae  3. 


Personenaufzüge  255. 
Peters  über  Bäder   110. 
Petri  253  (Litt.).  284. 
Petrin  326. 
Pferdemärkte  17  ff. 

—  in  Wien  21. 
Pictet's  Eismaschine  44. 
Pinsch,  Jul.,  273. 
Pissoire  96. 

Pistor  über  Pennen  etc.   149. 

Plumert  192. 

Pocken  in  London   147. 

—  in  Pennen   147. 
Polizei  auf  Märkten   6. 

—  -Verordnung    über    Theatersicherheit 
138. 

Praktikables  119. 

Praufsnitz  284. 

Prerau  260. 

Pressköpfe  198. 

Professionelle    Krankheit    des    Maschinen- 

persouals  252. 
Prokop  über  Theater  138. 
Prospekte  in  Theatern  119.  122. 
Proviant  214. 
Pullmann-System  263. 
Putzeys  318. 


<*• 


Quarantänen  230. 


O. 

Oberbau  255. 
Oelgasfabriken  301. 
Oesterreich,  Volksbäder  in  106. 
Ofenheizung  272. 
Offenbach,  Stadtbad  in  95  ff. 
Oporto,  Theater  in  117. 
Oppenheim  245. 
Orth  über  Tierseuchen  57. 
Osthoff  (s.  a.  Litteratur)  39. 

—  erbaut  Schlachthof  in  Halle  70. 

—  ,,  ,,  in  Schwiebus  64. 

—  „  „  in  Tilsit  66. 

—  über  Bäder  110. 

P. 

Paget  247  (Litt). 
Paralysis  nervi  facialis  247. 
Paris,  Asyle  in  148,  167. 

—  Flecktyphus  in   148. 

—  Markthallen  in  4. 

—  Pennen  in   148. 

—  Theater  in   117. 
Parkes  206. 

Patentklosett  von  Börner  209. 
Paul,  Baurat  21. 

Pennen  in  Berlin  147.  156. 

—  in  London   146. 

—  „  Paris   148. 
Perells  260. 

Perking's  Heifswasserheizung  64. 


lt. 

Rabitz-Bauten  für  Theater  123. 

—  Wände  91. 
Rae  219. 

Ränge,  erlaubte  Zahl  der  120.  128. 
Railway-bire  245. 

—  spine  245. 
Randel  über  Bäder  86.   110. 
Raoul  198. 

Rauer  193. 

Raumverhältnisse  der  Wagen  266. 

Recurrens  in  Berlin   147. 

—  in  London   146. 

—  Vorkommen  des   146. 
Reincke  186. 

Renk  über  Bäder   110. 
Restaurationen  in  Theatern  120. 
Rettungskasten  284. 

—  wagen  286. 

—  wesen  284. 
Richter  253  (Litt.). 
Riegler  245.  250.  262. 
Riga,   Flecktyphus  in  148. 
Ringeling  193. 

Rippen  190. 

Risch  s.  Litt. 

Robertson,  H    über  Badeanstalten  110. 

Rochard,  Jul.   148. 

Rodney  187. 

Roesicke  137. 

Root  203. 

Roth  und  Lex  333.   343. 


354 


Register. 


S. 

Saatholz  190. 

Sabordement  193. 

Salonwagen  265. 

Sander  149. 

Sandstein  195. 

Saugköpfe  200. 

Sauvageot  über  Theater   138. 

Schaffer  324. 

Schiebebühnen  261. 

Schienen  237.  255 

Schiffsluft  191. 

—  hygiene  180  ff. 
Schlachthöfe  30  ff. 

—  Berechnung  der  GröTse  ders.  40. 

—  Beleuchtung  ders.  32. 

—  Entwässerung  ders.   32. 

—  deutsche,  29. 

—  französische   29. 

—  für  krankes  Vieh   41. 

—  für  Pferde  41. 

—  Gebühren  auf  dens.   55. 

—  Kosten  ders.  55   ff. 

—  in  Berlin  29.   31.   33.   74. 

—  „   Bielefeld  29. 

—  ,,   Bonn  40. 

—  ,,    Braunschweig  40. 

—  „   Bremen  29. 

—  „   Cassel  29. 

—  „  Chemnitz  29. 

—  ,,   Dortmund  29. 

—  „  Erfurt  70. 

—  ,,  Essen  70. 

—  „   Frankreich  29. 

—  „    Freiburg  i.   Br.   29. 

—  „    Genf  30. 

—  „    Graz  38. 

—  „   Halle  39.   70. 

—  ,,   Hannover  29.    70. 

—  „   Italien  29. 

—  ,,   Leipzig   29.  40.  74. 

—  „  Lübeck  29.   66 

—  „  Metz  29. 

—  ,,  Mülheim  a.  R.   30.  40. 

—  „   München  29.   37.  40. 

—  ,,  Osnabrück   66. 

—  „  Schwiebus  64. 

—  „  Strafsburg  29. 

—  „  Stuttgart  30. 

—  „  Ulm  30. 

—  „  Wien  29. 

—  ,,  Wiesbaden  40. 

—  Verwaltung  ders.  23.  24. 

—  Verwaltungsgebäude  für  dies.   51. 

—  Wasserversorgung  ders.   52  ff. 
Schlachtvieh,  Gewicht  des  26. 

—  markte  23. 
Schlafhänser  170  ff. 

—  stellen  s.  a.  Pennen. 

—  wagen,  Ansteckung  durch  280 
Schmidt,  Architekt  136. 

Schmitt,  Ed.,  172.   175 
Schmörkel  284. 
Schnürboden  der  Theater   1 25. 
Schranken  257. 
Schnitze  über  Bäder    110. 


Schuster  345. 

Schweineschlachthäuser  35  ff 
Schwiening,  Architekt  66. 
Schwimmbad  92. 
Schwitzbäder  108.  109. 
Seekrankheit  228. 
Seeling,  Architekt  133. 
Selbstentzündung  auf  Schiffen  192. 
Seligmüller  246. 
Semper,  G.,  Architekt  133. 
Seydel  193. 
Signale  257. 
Simon,  H.,  149. 

—  Sir  John  152. 
Sitze  267 

Sitzgröfse  in  Theatern  128. 
Sjögvist  198. 

Skorbut  auf  Schiffen  187.  218. 
Soffittenbeleuchtung   1 1 9. 
Sommerfrischen  304. 
Spanten  190. 

Spezialisten  als  Bahnärzte  309. 
Spielhagen,  Architekt  40. 
Spirituosen  auf  Schiffen   187. 
Spncknäpfe  282. 
Stadtbad  s.  a.  Volksbad. 
Stände  für  Fische  17 

—  ,,    Fleisch  17 

—  ,,    Gemüse  17. 

—  Miete  ders.  13. 
Stallungen  49. 

Sterblichkeit  auf  Schiffen   188. 
Stich  305 
Stofsfangschiene  256. 

Stude  über  Feuersicherheit  138. 
Stubben,  J.,  über  Badeanstalten  110. 
Stuttgart,  Herberge  in  173. 

—  Mägdeheim  in  172. 

Sublimat  zur  Desinfektion  der  Schiffe  195. 
Submersion  193. 

T. 

Talgschmelze  51. 
Tanks  auf  Schiffen  210. 
Telegraphie  auf  der  Eisenbahn  257 
Telegraphen  in  Theatern  130. 
Tender  261. 
Theater,  grofse  123. 

—  kleine   123 

—  in  Bayreuth   132  ff. 

—  „  Berlin  136. 

—  ,,   Braunschweig   124.    126. 

—  „  Budapest  122. 

—  „  Frankfurt  a.  M.    122.   124. 

—  „  Halle  122.  134. 

—  ,,  München  125. 

—  ,,  Nizza  117. 

—  „  Oporto  117. 

—  „  Paris   117. 

—  ,,  Wien   117. 
Thiem  247  (Litt.). 
Thüren  in  Eisenbahnen   270. 

—  in  Theatern   129. 

—  .,  Versammlungsräumen   131. 
Tischer  von  Rösslerstamm  273  (Litt.). 


Register. 


355 


Todesfälle,  Statistik  der  auf  Eisenbahnen  249. 
Tollet  318.  336.  344. 
Traumatische  Nekrose  245. 
Treppen  in  Theatern  128  ff. 

—  in  Versammlungsräumen   131. 
Treutier  &  Schwarz  204. 
Trinkwasser  277. 
Trockenräume  98. 
Tuberkulose  282. 

Turner  192. 

—  über  Feuersicherheit  der  Theater  138. 
Typhus  276. 

—  abdominalis  s.  Abdominaltyphus. 

—  exanthematicus  s.  Exanthematicus. 

—  s.   auch  Flecktyphus. 

—  bacillen  im  Bilschwasser  196. 


U. 

Uebernachtungsräume  305. 
Unfallstatistik  239. 

—     Versicherung  293. 
Untergestell  der  Wagen  264. 
Urlaub  der  Eisenbahnbeamten  303. 
Uriniergefäfse  266. 
Utley's  Fenster  201. 


V. 

Vauban  317. 

Valiin  198. 

Ventilation  der  Theater  129. 

—  der  Wagen  268. 

—  s.  a.  Lüftung. 
Ventilatoren  202  ff. 
Verdauungskrankheiten  304. 
Vergiftung  auf  Schiffen  192. 
Verkehrhygiene  178  ff. 
Verpflegungsdiäten  305. 
Verriegelung  260. 
Versammlungsräume  131. 
Versatzstücke  121. 
Versicherung  der  Seeleute  230. 
Verwaltung  der  Eisenbahn  294. 
Viehoff  u.  Voss  199.  270. 
Viehmärkte  17  ff.  56  ff. 

—  seuchen  282. 
Vinen  155. 
Viry  344. 
Völckner  345. 
Volksbäder  im  Altertum  85. 

—  s.  a.  Brausebad. 

—  kaffeehaus  in  Berlin  173. 

—  küchen  172. 
Vorhang,  eiserner  125  ff. 


W. 

Wärmehallen  in  Berlin  176. 
Wärmstuben  172. 
Wagen,  Personen-  263. 
Wagner,  E.  über  Bäder   110. 
Wagner-Theater  132  ff. 
Walbrach  211. 
Wannenbäder  91. 
Waschgelegenheit  266. 
Wasser  s.  Trinkwasser. 

—  bedarf  99. 

—  beschaffung  99. 

—  druck  auf  Bühnen  122. 

—  hähne  102. 

—  leitung  101. 

—  Versorgung  auf  Schiffen  222. 

—  —     der  Theater  124. 
Watt,  Jam.,  238. 

v.  Weber  239  (Litt.).   244. 
Wegebreiten  in  Theatern  128. 
Weichen  261. 

—  steller  256. 
Weifs,   Architekt  34. 
Wendeltreppen  in  Kirchen  132. 
Wenzel   189. 

Wernich  über  Schlafstellen  151. 
Werkstätten  in  Theatern  120. 
Westergaard  253  (Litt.). 
Westinghouse-Bremse  276. 
Weyl,  Th.,  Gesundheit  der  Städte  156. 

—  Feuerlatrine  334. 
Wiehert  266.  273. 
Wiebe,  Architekt  70. 
Wien,  Asyle  in  167. 

—  Theater  in  117. 

—  Wärmehalle  in   176. 
Windhausen,  Eismaschine  44. 
Windsack  199. 
Wochenmärkte  1  ff. 

Wohlfahrtseinrichtungen    für  Eisenbahnbe- 
amte 291. 

Wohnung  für  Eisenbahnbeamte  301. 
Wohnungen  in  Theatern  120. 
Wolffhügel  u.  Lang  268. 
Wolkenschleier  119. 
Wolpert-Sauger  269. 
Wyfs   148. 

Z. 

Zekeli  über  Bäder  119. 
Zenetti,  Architekt  37. 
Zillmer  250.  252. 
Zuschauerraum  der  Theater  130. 
Zwickau,  Kaserne  in  320. 
Zwischendeck  207. 

—  decker,  Ernährung  der  216. 


Frommannsche  Buctidruckerei  (H.  Pohle)  in  Jena.  —  1672 

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Date  Due 

Demco  293-5 

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