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TRANSFERRED TO
YALE MEDICAL LIBRARY
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in 2012 with funding from
Open Knowledge Commons and Yale University, Cushing/Whitney Medical Library
http://www.archive.org/details/handbuchderhygie06weyl
HANDBUCH DER HYGIENE.
IN ZEHN BÄNDEN.
BEARBEITET VON
Dr. Albrecht, Berlin ; Prof. Assmann, Berlin ; Geheimrat Dr. Baer, Berlin ; Prof.
R. Blasius, Braunschweig ; Dr. Agkes Bluhm, Berlin ; Sanitätsrat Dr. Braehmer,
Berlin ; Oberrealschulprofessor Dr. L. Burgerstein, Wien ; Prof. Büslng , Berlin-
Friedenau; Direktor Dr. Edelmann, Dresden; Prof. Finkelnburg, Bonn; Prof.
v. Fodor, Budapest; Sanitätsrat Dr. Füller, Neunkirchen; Landwirt Georg H.
Gerson, Berlin ; Dr. F. Goldschmidt, Nürnberg ; Privatdozent Dr. Helnzerling,
Darmstadt ; Oberstabsarzt Dr. Helbig , Dresden ; Prof. Htjeppe , Prag ; Stadt-
Elektriker Dr. Kallmann, Berlin ; Privatdozent und Baumeister Knauff, Berlin ;
Prof. Kraft, Brunn; Prof. Kratschmer, Wien; Dr. D. Kulenkampff, Bremen;
Prof. Loeffler, Greifswald; Bergrat Meissner, Berlin; Direktor Merke, Moabit-
Berlin; Dr. E. Metschnikoff, Paris; Prof. J. Munk , Berlin ; Prof. Neisser,
Breslau ; k. k. österr. Sekretär im Min. d. Innern Dr. Netolitzky , Wien ;
Privatdozent Dr. H. Neumann , Berlin ; Prof. Chr. Nussbatjm , Hannover ;
Oberingenieur Oesten, Berlin; Dr. Oldendorff , Berlin; Baurat Osthoff,
Berlin; Bauinspektor E. Richter, Hamburg; Ingenieur Rosenboom, Kiel; Reg.-
und Medizinalrat Dr. Roth , Oppeln ; Bauinspektor Ruppel , Hamburg ; Berg-
assessor Saeger, Friedrichshütte; Physikus Dr. Schäfer, Danzig; Fabrikinspektor
Schellenberg, Karlsruhe; Dr. Schellong, Königsberg i. P. ; städt. Ingenieur
Schmidt, Dresden ; Bauinspektor R. Schultze, Köln ; Inspektor Dr. Sendtner,
München; Dr. med. Sommerfeld, Berlin; Direktor Dr. W. Sonne, Darmstadt;
Baurat Stubben, Köln ; Prof. Stutzer, Bonn ; Direktor Dr. J. H. Vogel, Berlin ;
Prof. Weber, Kiel ; Reg.- und Medizinalrat Dr. Wehmer, Coblenz ; Prof. Weichsel-
baum, Wien; Medizinalrat Dr. Wernich, Berlin; Dr. Th. Weyl, Berlin; Dr.
Zadek, Berlin.
HERAUSGEGEBEN VON
Dr. med. TH. WEYL,,
PRIVATDOCENTEN DER TECHNISCHEN HOCHSCHULE ZU
CHARLOTTENBURG-BERLIN.
SECHSTER BAND.
MIT 90 ABBILDUNGEN IM TEXT.
JENA,
VERLAG VON GUSTAV FISCHER.
1897.
HANDBUCH DER HYGIENE.
HERAUSGEGEBEN VON
DR. MED. TH. WEIL,
PRIVATDOCENTEN AN DER TECHNISCHEN HOCHSCHULE ZU
CHARLOTTENBURG-BERLIN.
SECHSTER BAND.
SPECIELLE BAUHYGIENE.
TEIL B.
BEARBEITET
VON
San.-Eat Dr. Bkähmer in Berlin ; Prof. F. W. Büsing in Berlin-Friedenau ; Ober-
stabsarzt Dr. Helbig in Dresden; Baumeister Knauff in Berlin; Dr. Kulen-
kampff in Bremen ; Baurat Osthoff in Berlin ; Bauinspektor Schultze in Köln ;
Privatdozent Dr. med. Th. Weyl in Berlin.
MIT 90 ABBILDUNGEN IM TEXT.
GENERALREGISTER Züffl SECHSTEN RANDE.
JENA,
VERLAG VON GUSTAV FISCHER.
1897.
s
Alle Rechte vorbehalten.
• —
-V G ■
Inhalt.
(Den einseinen Abteilungen sind eingehendere Inhaltsverzeichnisse
vorgedruckt.)
Seite
1) Markthallen und Viehhöfe: von G. Osthoff in Berlin. . 1
2) Volks- und Hausbäder; von R. Schultze in Köln ... 85
3) Sicherheit in Theatern und größeren Versammlungsräumen ;
von F. W. Büsing in Friedenau-Berlin 117
4) As}de und niedere Herbergen; von M. Knauff und Th.
Weyl in Berlin . 145
5) Schiffshygiene; von D. Kulenkampff in Bremen . . . 185
6) Eisenbahnhygiene; von 0. Brähmer in Berlin .... 237
7) Hygienische Ansprüche an militärische Bauten ; von H e 1 b i g
in Dresden 315
Generalregister zum sechsten Bande 349
ANLAGEN
FÜR DIE VERSORGUNG DER STÄDTE
MIT LEBENSMITTELN.
MARKTHALLEN, SCHLACHTHÖFE
UND VIEHMÄRKTE.
BEARBEITET
VON
GEORG OSTHOFF,
REGIERUNGS-BAUMEISTER UND STADT-BAURAT A. D., VORSTAND DER GESELL-
SCHAFT EUR MARKT- UND KÜHLHALLEN IN BERLIN.
MIT 22 ABBILDUNGEN.
HANDBUCH DER HYGIENE
HERAUSGEGEBEN VON
DR. THEODOR WEYL.
SECHSTER BAND. ERSTES HEFT.
JENA,
VERLAG VON GUSTAV FISCHER.
1894.
Inhaltsübersicht.
Seite
Einleitung 1
I. Die Wochenmärkte 2
1. Allgemeines 2
2. Geschichtliches 3
3. Anforderungen, welche an die Wochenmärkte gestellt werden
müssen. — Groß- und Kleinhandel 4
4. Allgemeine Grundsätze für den Marktverkehr 6
a) Kleinmarkt- Verkehr 6
b) Großmarkt- Verkehr 6
5. Vorteile der Markthallen 7
a) Schutz vor Wind und Wetter 7
b) Verhinderung der Warenentwertung durch das Wetter . 8
c) Zweckmäßige Aufstellung der Waren und Ausdehnung des
Marktes 8
d) Begünstigung des Großhandels 9
6. Allgemeines über Markthallen 9
7. Die Verwaltung der Markthallen 10
a) Die Verwaltung in der Kleinmarkthalle 10
b) „ „ „ „ Großmarkthalle 10
8. Die Gebühren und die Rentabilität der Markthallen . . . 12
9. Die Lage der Markthallen in der Stadt .15
10. Die bauliche Anlage und die inneren Einrichtungen ... 15
IL Die Märkte für Pferde und Vieh .17
III. Die Schlachthöfe und Schlachtviehmärkte . . . 23
A. Die Schlachthöfe 23
1. Allgemeines 23
2. Das Grundstück 27
IV Inhalt.
Seite
3. Die Gestaltung der Anlage 29
4. Die Schlachthäuser 30
a) Großvieh-Schlachthäuser 32
b) Kleinvieh-Schlachthäuser 35
c) Schweine-Schlachthäuser 35
d) Schlachthaus für Pferde 41
e) Schlachthaus für krankes Vieh 41
5. Kaidaunenwäschen 41
6. Kühlanlagen 42
A. Die Kältemaschinen 42
a) Allgemeines 42
ß) Die Absorptions-Kältemaschinen 44
y) Die Kompressions-Kältemaschinen 44
1. Kompressions - Kältemaschinen, welche mit per-
manenten Gasen arbeiten 44
2. Kompressions - Kältemaschinen , welche mit
flüchtigen Flüssigkeiten arbeiten 45
a) Die Schwefligsäure-Kältemaschine .... 45
b) Die Ammoniak-Kältemaschine 45
c) Die Kohlensäure-Kältemaschine 45
B. Die Kühleinrichtungen 46
a) Allgemeines 46
ß) Kühleinrichtungen mittels Röhren , durch welche
kaltes Salzwasser strömt 46
y) Kühleinrichtungen mit unmittelbarer Berührung
von Luft und Salzwasser 47
ö) Kühleinrichtungen mit Röhren, welche mit der
verdampfenden flüchtigen Flüssigkeit (Ammoniak)
in Berührung stehen 48
C. Die Kühlräume 48
7. Stallungen 49
8. Düngerstätten 49
9. Talgschmelze und Albuminfabrik 51
10. Das Verwaltungsgebäude 51
11. Die Wasserversorgung, Beleuchtung, Kanalisation und
Abwässer-Kläranstalt 52
12. Die inneren Einrichtungen 53
lo. Das Gewicht des Viehes und des Fleischverbrauches . 54
14. Die Gebühren 55
15. Die Anlagekosten 55
B. Die Schlachtvieh-Märkte 56
1. Allgemeines 56
2. Die Gestaltung der Anlage 59
Inhalt. V
Seite
3. Das Grundstück 60
4. Markthallen für Schlachtvieh 60
a) Markthallen für Großvieh 751
b) „ „ Kälber und Schafe 62
c) „ „ Schweine 63
5. Stallungen 63
6. Börse und Gastwirtschaft 63
7. Schlachthaus für krankes Vieh und Stallungen für ver-
dächtiges und krankes Vieh 63
8. Sonstige Anlagen 64
C. Avisgeführte Schlachthöfe und Viehmärkte 64
1. Der Schlachthof zu Schwiebus 64
2. „ „ „ Osnabrück 66
3. „ „ „ Tilsit 66
4. „ „ „ Lübeck 66
5. „ „ „ Essen 70
6. „ „ „ Halle a./S 70
7. „ „ „ Hannover 70
8- „ „ „ Leipzig 74
9. „ „ „ Berlin 74
Litte ratur 77
Register 78
Verzeichnis der Abbildungen.
Fig. 1. Markthalle in Berlin 18
2 19
»3. „ „ „ 20
»4. „ „ „ 20
»5. „ „ „ 20
„ 6. Pferdemarkt in Wien 22
„ 7. Rinderschlachthaus in Berlin 33
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„ 9. Schlachthof in Cassel 34
„ 10. „ „ München 37
„ 11. „ „ Graz 38
„ 12. „ „ Halle 39
„ 13. „ „ Erfurt 40
VI Inhalt.
Seite
Fig. 14. Schlachthof in Schwiebus 65
15. „ „ Osnabrück 67
16. „ „ Tilsit 68
17. „ „ Lübeck 69
18. „ „ Essen 71
19. „ „ Halle 72
20. „ „ Hannover 73
21. „ „ Leipzig 75
22. „ „ Berlin 76
Einleitung.
Je größer eine Stadt, desto schwieriger ist ihre Versorgung mit
ausreichenden und guten Lebensmitteln, und desto schwieriger ist die
Durchführung der Kontrolle über Unschädlichkeit und Güte derselben.
Regelt sich in den kleinen Städten das Angebot der Lebensmittel
und die Preise derselben sehr rasch nach der Nachfrage, sodaß selten
der Bedarf weder ungenügend gedeckt wird, noch bedeutend kleiner ist,
als die zum Verkauf ausgebotenen Lebensmittel, da die letzteren stets
aus unmittelbarer Nähe der betreffenden Stadt auf den Markt gebracht
werden, so hängt das Angebot der Lebensmittel in größeren Städten
schon wesentlich von anderen Faktoren ab, zumal dann, wenn die Stadt
so groß ist, daß das umliegende platte Land den Lebensmittelbedarf
dieser Stadt entweder zeitweilig oder überhaupt nicht zu decken vermag.
In diesem Falle ist eine Zufuhr von Lebensmitteln häufig aus weiter
Ferne erforderlich, welche entweder durch größere Gesellschaften oder
durch eine besondere , von der Stadt eingesetzte Verwaltung derartig
geregelt werden muß, daß zu jeder Zeit Angebot und Nachfrage sich
decken und so der richtige Massen- und Preisausgleich ermöglicht wird.
Diese von einer Stadt verbrauchten Lebensmittel können nun solche
sein, welche in großen Zwischenräumen gehandelt werden, wie das Ge-
treide, oder zu rasch wiederkehrenden Zeiten oder täglich, wie das
Schlachtvieh, wie die täglichen Bedürfnisse des Menschen an Gemüse,
Eiern, Butter, Geflügel etc.
Schon in den ältesten Zeiten zeigt sich bei den verschiedensten
Kulturvölkern überall da, wo sich eine große Anzahl von Menschen
angesiedelt haben und ihren Unterhalt in der Betreibung von Handel,
Gewerbe, Viehzucht, Ackerbau etc. suchen , das Bedürfnis, die oft be-
nötigten Lebensmittel an einer oder mehreren (Zentralstellen, auf Märkten,
einkaufen zu können.
Diese Märkte sind nun, den Gegenständen, welche auf denselben
gehandelt werden, entsprechend, sehr verschieden ausgebildet und
daher in folgende Gruppen zu teilen:
Wochenmärkte, d. s. Märkte, auf denen die täglichen Bedürfnisse
einer Stadt an Lebensmitteln gehandelt werden.
Märkte für Getreide.
Märkte für Pferde und Vieh, welches nur zum Besitzwechsel auf-
getrieben wird.
Märkte für Schlachtvieh.
Handbuch der Hygiene. Bd. VI. 1
2 GEORG OSTHOFF,
Da nun für uns die Märkte für Getreide, welche wohl gar keiner
sanitären Maßregel unterliegen, ohne Bedeutung sind, so beschränken
wir uns hier auf:
1) die Wochenmärkte,
2) „ Märkte für Pferde und Vieh,
3) „ Märkte für Schlachtvieh.
Für die Lebensmittelversorgung einer Stadt genügt es nicht, die
zu ihrer Ernährung notwendigen Lebensmittel in der erforderlichen
Menge zuzuführen, sondern es muß letzteres auch in solcher Weise ge-
schehen , 1) daß die betreffenden Lebensmittel von gesundheitlicher und
guter Beschaffenheit sind; 2) daß das Einführen und Feilbieten der-
selben die gesundheitlichen Verhältnisse der betreffenden Stadt nicht
schädigt ; endlich 3) daß der Verkehr in den Straßen der Stadt und
die öffentliche Sicherheit überhaupt nicht beeinträchtigt werden.
Es ist somit Aufgabe der Marktpolizei, durch Aufsicht und Unter-
suchung festzustellen, daß die feil gebotenen Erzeugnisse der Landwirt-
schaft und die sonstigen Rohartikel weder verdorben, noch in anderer
Weise gesundheitsschädlich seien ; in gleicher Weise ist dafür zu sorgen,
daß das Fleisch geschlachteter Tiere, welches zum Verkaufe ausgeboten
wird, gesund und genießbar ist. Ganz besonders ist aber bei dem Schlacht-
vieh nicht nur Sorge zu tragen, daß die zur Untersuchung benötigten
Vorkehrungen auf dem Markte getroffen werden, sondern es ist in erster
Linie darauf zu achten, daß nur gesundes Vieh geschlachtet werde.
Dies ist in ausreichendem Maße aber nur dann möglich, wenn alles
Vieh nur in einer Centralschlachtstätte , auf einem öffentlichen
Schlachthofe geschlachtet wird J.
I. Die Wochenmärkte.
1. Allgemeines.
Die Wochenmärkte, d. s. also diejenigen Märkte, auf denen die
täglichen Bedürfnisse einer Stadt an Lebensmitteln feilgeboten werden,
bildeten sich mit dem Fortschritte der Kultur bei den verschiedenen
Völkern mehr und mehr aus und haben in England und Frankreich,
z. T. auch schon in Deutschland , eine so vollkommene Durchbildung
erfahren , daß in der Versorgung der Millionenstädte London , Paris,
Berlin mit Lebensmitteln niemals eine Stockung eintritt.
Die Lebensmittel, welche unsere Wochenmärkte füllen, bestehen
aus den Erzeugnissen des Grund und Bodens und der Fisch- und Vieh-
zucht, also aus Gemüsen, Hülsenfrüchten, Obst, Südfrüchten, Kartoffeln,
Fischen, Fleisch, Wild, Geflügel, Eiern, Käse, Butter etc. Diese werden
nun in den Städten entweder gar nicht oder nur in ungenügend großen
Mengen , dagegen fast ausschließlich auf dem platten Lande erzeugt,
und es benötigt eine Stadt solche Produkte in um so größeren Massen,
je größer diese Stadt ist, und es muß eine Stadt aus um so größerem
Umkreise mit diesen Lebensmitteln versorgt werden, je größer dieselbe
ist und je weniger die Gegend, in welcher diese Stadt liegt, selbst
solche Lebensmittel hervorbringt. Es ist demnach der Wochenmarkt
bestimmt , eine Stadt mit den Erzeugnissen einer mehr oder minder
Markthallen und Viehhöfe. 3
großen Fläche des umliegenden platten Landes oder ferner Länder zu
versorgen.
Wie nun die Beschaffenheit der Gegenstände, welche dem Wochen-
markte zugeführt werden, zeigt, sind dieselben z. T. durch Regen und
Schnee leicht dem Verderben ausgesetzt, z. T. sehr empfindlich gegen
Staub und Hitze, sodaß die Verkaufsgegenstände einerseits , anderer-
seits aber die Verkäufer, sowie das auf dem Markte verkehrende Pub-
likum durchaus genügenden Schutz vor der Witterung verlangen und
Anlagen beanspruchen können, welche das Verderben der Produkte
und der Kleider, sowie eine nachteilige Beeinflussung der Gesundheit
von Käufern und Verkäufern hintanhalten.
Solche Anlagen, welche Käufern und Verkäufern Schutz gegen die
Unbilden der Witterung gewähren und die Waren vor dem Verderben
durch Ueberdachung schützen, bestehen in der Regel aus Hallen, welchen,
weil in ihnen die Wrochen-M ä r k t e abgehalten werden, kurzweg der
Name „Markthallen" beigelegt ist.
2. Geschichtliches 2.
Schon bei den Assyrern und alten Aegyptern sollen Wochen-
märkte bestanden haben, welche besonders bei dem letzteren Volke
ziemlich entwickelt waren. Bestimmte Nachrichten über Wochenmärkte
im Altertume besitzen wir jedoch erst über solche der Griechen
und Römer.
Agora hieß bei den Griechen und Forum bei den Römern der
Ort, wo entweder unter freiem Himmel oder in dazu errichteten Gebäuden
Lebensmittel und andere zum täglichen Bedürfnisse erforderliche Gegen-
stände verkauft wurden. Die Griechen gaben ihren Marktplätzen eine
quadratische Form und umgaben sie mit geräumigen, mehrschiffigen, oft
zweigeschossigen Säulenhallen zum Schutze der Marktbesucher gegen
Sonne und Regen.
Bei den Römern hießen die Markttage Nundinae, weil anfangs
an jedem 9. Tage die Landleute zur Stadt zu kommen pflegten. Das
römische Wort Mercatus, welches Handel bedeutet , wurde später auch
auf den Marktplatz übertragen, wie wir auch heute noch unter Markt
sowohl den Marktplatz, als auch die Gelegenheit verstehen, von vielen
Verkäufern auf engem Räume einhandeln zu können. Von diesem Worte
„Mercatus" ist unser deutsches Wort „Markt", das französische
„marche", das englische „market" und das italienische „mercato" abgeleitet.
Die Marktplätze der Römer, welche ein längliches Rechteck bildeten,
wurden oft als Arenen für die Kämpfe der Gladiatoren benutzt, und es
waren infolgedessen die Portiken breiter und die Säulenweiten größer,
als bei den griechischen Märkten. Im Mittelalter und in der Renaissance-
Zeit behielt man die römische Einrichtung der Märkte bei, wie die noch
erhaltenen Beispiele in Florenz und anderen italienischen Städten zeigen.
Anstatt aber die Plätze mit selbständigen Säulenhallen zu umgeben,
wurden die angrenzenden Häuserreihen mit solchen versehen. So sind
auch die Märkte der alten deutschen Reichsstädte (z. B. Münster) gebaut.
Später gab man diese Säulenhallen und damit die einzigen Räume auf,
welche den Waren, den Käufern und Verkäufern bei schlechtem Wetter
Schutz gewährten.
1*
3
4 GEORG OSTHOFF.
Fortschreitender Luxus und das Bedürfnis nach guten Lebensmitteln
ließen, nachdem sich in den Städten und im öffentlichen Leben neuer
Aufschwung kundgegeben, von den offenen Märkten, welche Waren,
Verkäufer und Käufer den Unbilden der Witterung aussetzten, absehen.
Man suchte Schutz in bedeckten Hallen, welche Luft und Licht in
reichem Maße zulassen.
Paris nimmt in Bezug auf Anlage vorzüglicher Markthallen eine
der ersten Stellen ein. In Paris entstand in den Jahren 1811 — 1820
die erste große Markthalle zu St. Germain, der später mehrere
andere folgten, von denen die Centralhallen besondere Beachtung verdienen.
— In England, wo die Anlagen der Gesundheitspflege überall auf der
Höhe der Zeit stehen, findet man in den kleinsten Städten vorzüglich
durchgeführte Markthallen, aber entgegengesetzt dem in Frankreich
üblichen Systeme (wo behördliche Bevormundung alles schematisiert und
centralisiert, und die Behörde auch die Anlage und Verwaltung der
Markthallen in ihre Hand genommen hat) entstehen in England Markt-
hallen von Gesellschaften und Privaten, welche dieselben auch verwalten.
— Belgien und Italien huldigen mehr und minder dem französischen
Systeme und besitzen in neuester Zeit hergestellte gute Markthallen.
— ■ In den meisten größeren Städten Deutschlands ist man erst in der
allerjüngsten Zeit an die Verbesserung der Markteinrichtungen gegangen.
Berlin hat erst seit dem Jahre 1886 etwa 15 vorzüglich durchgeführte
Markthallen erhalten, während München, Stuttgart, Frankfurt a. M. ,
Köln a. Rh. und Oldenburg schon vorher, dagegen Leipzig, Dresden,
Hannover, Chemnitz und Halberstadt erst nachher mit Errichtung von
Markthallen zur Hebung des Marktverkehrs vorgegangen sind.
3. Anforderungen, welche an die Wochenmärkte gestellt werden
müssen. — Grofs- und Kleinhandel3.
Jeder Markt soll für die Verkäufer eine Gelegenheit darbieten, die
gesammelten, gewonnenen oder erzeugten Produkte und Waren zum Ver-
kaufe zu bringen und zwar zu bestimmt wiederkehrenden Zeiten, um
die größtmöglichste Menge Käufer zu bestimmen, zu diesen Zeiten sich
auf dem Marktplatze einzufinden. Jeder Markt soll aber auch dem
Käufer eine Auswahl liefera, damit derselbe imstande ist, gerade die-
jenige Ware und dasjenige Produkt zu kaufen, welches seine Bedürfnisse
befriedigt. Die wesentlichen Bedingungen jedes Marktes sind daher der
Zusammenfluß von Käufern und Verkäufern zu einer bestimmten Zeit
und an einem bestimmten Orte. In den kleinen Städten muß sich das
Verkaufsgeschäft auf wenige Tage der Woche und auf wenige Stunden
des Tages zusammendrängen, während die großen Städte in der Lage
sind, täglich und während des ganzen Tages einen Wochenmarkt zu be-
völkern.
Bei der Unentbehrlichkeit der meisten Marktartikel für das täg-
liche Leben liegt es wohl in der Natur der Sache, daß es sich alle
Städte — denn eine jede Stadt hat und muß ihren Wochenmarkt haben —
angelegen sein lassen, diese Quelle der Ernährung nicht versiegen zu
lassen, alle Anordnungen zn treffen , welche den Besuch des Marktes
erleichtern, und alle Hindernisse zu beseitigen, welche ihn stören oder
erschweren können. Was kann wohl mehr im Interesse einer städtischen
Bevölkerung liegen, als möglichst oft, möglichst wohlfeil und möglichst
Markthallen und Viehhöfe. 5
gut die unentbehrlichsten Lebensmittel erhalten zu können, und es hat
für diese Zwecke gewiß keine untergeordnete Bedeutung, wenn man
Anordnungen trifft, welche den Wochenmärkten durch Ueberdachungen
Schutz gewähren, wenn man Hallen erbaut, in denen diese Märkte ab-
gehalten werden.
Diese Wochenmärkte werden der Größe der Stadt und auch des Ver-
brauchs der Waren entsprechend eine verschiedene Gestalt und einen
verschiedenen Charakter annehmen. Zunächst sind es die Landleute,
Gärtner, Ackerbürger etc., welche den Markt besuchen und ihm Ware
zuführen. Eine solche Zufuhr kann sich jedoch nur auf wenige Meilen
erstrecken. Ein solcher kleiner Umkreis genügt aber nicht für eine
große Stadt, es müssen hier schon Aufkäufer, Kommissionäre, Kaufleute etc.
auftreten, um die Verzehrungsgegenstände in großen Mengen und in
größerer Entfernung aufkaufen zu lassen. Ein einzelnes Land ist meist
auch nicht imstande, den Markt einer Großstadt mit allen nötigen Markt-
artikeln zu versehen, es müssen hier wiederum fremde Länder und Erd-
teile ihre Beiträge dazu liefern.
Bei der geringeren oder größeren Ausdehnung des Marktverkehrs
in den größeren Städten kann es nicht ausbleiben, daß nach und nach
ein Großhandel sich Bahn brechen muß, ein Handel, der sich nicht
damit beschäftigen kann, eine große Menge Waren in kleinen Teilen zu
verkaufen, sondern der darauf angewiesen ist, den durch den Kleinhandel
entstehenden Verlust sich durch einen Abschlag auf den Preis der Ware
entschädigen zu lassen, und es dem Höker überläßt, aus der Differenz
der Einkaufs- und Verkaufspreise eine Quelle der Ernährung zu finden.
In dieser Weise gestaltet sich durch den natürlichen Verlauf des Markt-
verkehrs auf den Wochenmärkten größerer und großer Städte ein Groß-
und ein Kleinhandel, beide gleich wichtig, beide gleich unentbehrlich,
beide der sorgsamsten Beachtung wert.
Wie sich der Großhandel durch die Natur der Dinge entwickelt,
so pflegt derselbe auch da seine Wohnung aufzuschlagen, wo der Klein-
handel sich befindet, und geht mit demselben Hand in Hand. Nur in
Erankreich, wo man es liebt, scharfe Grenzen zu ziehen, um auch scharfe
Kontrollen üben zu können, hat man bestimmte Gebäude für den Groß-
handel bestimmt, Märkte, welche die Stadt mit allen möglichen Bedarfs-
artikeln versehen, und zwar in solchen Mengen, daß der Vertrieb nur
im Wege des Großhandels möglich ist und man eben deshalb auch dafür
sorgen zu müssen meint, daß dies ebenfalls nur im Wege des Großhandels
geschieht. — In England sucht der Großhandel zwar auch seine be-
stimmten Stätten, keine Behörde denkt aber daran, bestimmte Regelungen
vorzunehmen, geleitet von dem Grundsatze, daß jedes künstliche Ein-
greifen in einen freien Handel immer dazu beiträgt, den Verkehr zu be-
einträchtigen und die frei sich entwickelnde Thätigkeit zu lähmen. — In
Berlin hat man für den Großhandel die 2 Centralmarkthallen errichtet,
in welchen der Großhandel seine Waren aufspeichert, um daselbst ver-
auktioniert zu werden. Von hier aus fließen die Waren dann den großen
Abnehmern (Hotelbesitzern, Restaurateuren etc.) und den Kleinmarkt-
hallen zu.
Die Art des Verkehrs bei einem Großhandel und bei einem Klein-
handel veranlaßt andere Einrichtungen für jeden.
6 GEORG OSTHOFF,
4. Allgemeine Grundsätze für den Marktverkehr 4 .
a) Kleinmarktverkehr.
Die seit vielen Jahrhunderten bestehenden Wochenmärkte haben
allgemein giltige Grundsätze herausgebildet, welche ohne Nachteile
für den Marktverkehr nicht verlassen werden dürfen, sich vielmehr als
unumstößliche Wahrheiten, volkswirtschaftliche Anschauungen und For-
derungen darstellen.
Das Wesen eines jeden Marktes bedingt notwendigerweise eine freie
Bewegung auf den Märkten, soweit es nur immer die Aufrechterhaltung
der Ordnung und die sonstigen Verhältnisse zulassen, und diese Freiheit
bildet die erste und sicherste Grundlage des Bestehens und Gedeihens
eines Marktes. Diese Freiheit ist notwendig, um wahre und richtige
Marktpreise zu erzielen, also Preise, welche sich nach der Menge der
vorhandenen Waren und nach der Zahl der Käufer in natürlicher Weise
regeln.
Wird der Käufer gezwungen, zu einem Preise zu kaufen, den ihm
der Verkäufer unwillkürlich bestimmt, oder der Verkäufer veranlaßt, nur
zu einem festgesetzten Preise zu verkaufen, so kann nicht mehr von
einem Marktpreise, sondern nur von einem Monopolpreise die
Rede sein, der bald Käufer und Verkäufer von dem Markte verjagen
wird. Ein solcher Zwang braucht aber nicht immer in direkter und in
auffälliger Weise ausgeübt zu werden, es können durch Maßregeln der
Stadt oder der Verwaltung Hindernisse für Käufer und Verkäufer bereitet
werden, welche auf den Marktverkehr einen ebenso nachteiligen Ein-
fluß haben müssen. Es können Anordnungen getroffen werden, welche
den Verkäufer vom Markte verscheuchen, das Angebot verringern, also
die Preise erhöhen. Der freie Handel, der freie Verkehr auf den Märkten
ist und wird immer dasjenige sein, was die Marktpreise am besten und
angenehmsten regelt, und es wird jede Verwaltung den besten Weg ein-
schlagen, wenn sie diese Freiheit, die für die Erzeugung und den Ver-
brauch von Lebensmitteln unentbehrlich ist, so wenig als möglich hemmt
und beschränkt.
Ueberall, wo Märkte und Markthallen bestehen, wird es für not-
wendig gehalten, für polizeiliche Aufsicht Sorge zu tragen, und
zwar nach 3 Richtungen hin : Zunächst ist eine Aufsicht über richtiges
Maß und Gewicht unentbehrlich, um das Publikum vor Betrügereien zu
schützeu und den ländlichen Verkäufer gegen ungerechtfertigte For-
derungen der städtischen Käufer sicherzustellen. Sodann muß auch
das Publikum gegen Ankauf von Waren, welche der Gesundheit schäd-
lich sind, gesichert sein. Eine solche Aufsicht fördert den Verkauf,
weil das Publikum mit größerer Ruhe und Zuversicht an das Einkaufen
geht. Endlich muß ein Organ vorhanden sein , welches Ruhestörungen
verhindert und Streitigkeiten sofort beilegt oder entscheidet.
b) Großmarkt verkehr.
Wenn irgend etwas dazu beiträgt, den Markt mit einer genügenden
Menge WTare zu versehen , also das Angebot zu erweitern und die
Preise zu ermäßigen, so ist es der Großhandel mit Lebensmitteln, welcher
Markthallen und Viehhöfe. 7
mit der Erweiterung einer Stadt und mit der Ausdehnung der Ver-
zehrung in gesteigertem Maße seine Thätigkeit entwickelt. Es bedarf
diese Art des Handels der sorgfältigsten Beachtung und der größten
Unterstützung, denn nur durch diese Art des Handels ist es möglich,
einer großen Stadt die entsprechende Menge von Lebensmitteln zu-
zuführen.
Je größer eine Stadt ist, desto weniger wird das umliegende platte
Land imstande sein, den Verbrauch an Lebensmitteln in derselben zu
decken, desto höher werden die Preise derselben steigen, weil einesteils
die Arbeitslöhne in der Nähe der Großstadt höher sind, als in Klein-
städten, ferner auch weil die Nachfrage größer ist, als das Angebot. In
größeren Entfernungen von der Großstadt sind die Lebensmittel billiger,
aber es ist der Transport nach der Großstadt teuerer. Hier wird nun der
Großhandel seine Flügel entfalten, die billigen Lebensmittel in großen
Mengen aus der Ferne heranziehen, den Bedarf mit dem Angebot aus-
gleichen und die Preise der Lebensmittel so regeln, daß die Versorgung
der Großstadt mit Lebensmitteln nicht mehr allein abhängig ist von der
Menge und der Güte der in ihrer Umgegend erzeugten Waren. Eisen-
bahnen, gute Wege und Wasserstraßen sind ganz besonders geeignet,
die Märkte zu füllen, also das Angebot zu vergrößern, und wie diese
Anstalten überhaupt den Handel unterstützen und befördern, so müssen
dieselben auch dazu beitragen, den Verkehr auf den Märkten zu er-
leichtern und zu beleben.
5. Vorteile der Markthallen 8.
Von ganz besonderem Vorteil für den Handel mit Lebensmitteln
sind die Markthallen , sowohl für den Großhandel , als auch für den
Kleinhandel. Die Vorzüge bestehen in folgenden:
a) Schutz der Käufer und Verkäufer vor Wind
und Wetter.
Viele Käufer bleiben bei schlechtem Wetter zu Hause, weil ihre
Gesundheit und ihre Kleidungsstücke ihnen mehr wert sind, als der
kleine Gewinu, den sie beim Einkaufe von Lebensmitteln möglicherweise
dann erzielen können, wenn sie dieselben auf dem offenen Markte und
nicht bei Hökern oder Hausierern einkaufen. Ebenso wird bei schlechtem
Wetter der Markt auch von den Verkäufern weniger besucht, und so
tritt hierdurch ein Mißverhältnis ein, welches auf den natürlichen Ver-
trieb der Ware und auf die Verzehrung von ungünstigem Einflüsse
sein muß. Bei schlechtem Wetter ist der offene Markt spärlich besucht,
und der Käufer sucht seine Bedürfnisse sich in anderer Weise zu be-
schaffen, wozu die Kellerwirtschaften, welche dem Käufer jeden Ver-
brauchsgegenstand übermitteln, und das Hausieren die beste Gelegenheit
darbieten. Ist das Marktpublikum gegeu die Einflüsse der Witterung
geschützt, so findet auch der freie Verkehr zwischen Verkäufern und
Käufern keine Hindernisse, die Ware kann zur Prüfung ausgelegt, das
Handeln braucht nicht beeilt zu werden, und die Märkte erlangen be-
züglich des Angebots und der Kauflust eine gewisse Gleichmäßigkeit
und Stetigkeit, welche für die Feststellung der Preise ohne Nachteil
nicht gut entbehrt werden kann.
8 GEORG OSTHOFF,
b) Verhinderung der Warenentwertung durch
das Wetter.
Auf die Entwertung der Waren haben große Wärme, große Kälte,
Regen und Sonnenschein bedeutenden Einfluß. Auf dem offenen Markte
kann daher eine vollständige Entwertung einzelner Waren zu Zeiten
eintreten, während eine Markthalle die Verkäufer gegen solche Ver-
luste schützt , was wiederum auch für die Käufer von Bedeutung ist,
da die vordorbenen Waren der Verzehrung entzogen werden , das An-
gebot also abnimmt.
In ganz besonderem Maße wirkt günstig auf die Verwertung der leicht
verderbenden Lebensmittel die Einrichtung von Kühl räumen in den
Markthallen, welche in die Kellerräume der letzteren verlegt werden
können. Solche durch Kältemaschinen bis auf etwa +2 ° C. künstlich
kühl gehaltene Räume sind für die Markthallen ebenso großes Bedürfnis
wie für die Schlachthöfe *).
Welcher Schaden aus Mangel an Kühlräumen oftmals entsteht,
zeigen besonders die Markthallen Berlins, in denen im Sommer mehr-
fach für viele Tausende Mark Geflügel und Wild verdirbt. Solche
Kühlräume bieten große gesundheitliche und wirtschaftliche Vorteile.
Erst die Kühlanlage macht die Markthalle, als Stapelplatz aller leicht
verderbenden Lebensmittel, zu dem, was sie sein soll, zu einem Orte
zur Erhaltung der Lebensmittel. Erst durch die Kühlanlage ist die
Marktballe imstande, die Preise der Lebensmittel möglichst konstant,
auf dem niedrigsten Satze zu erhalten , weil sie noch besser, als der
Schutz vor Regen und Staub allein, ein Verderben dieser Lebensmittel
verhütet und es ermöglicht, die an einem Tage nicht verkauften Waren
bis zu den nächsten Tagen frisch , ansehnlich und verkäuflich zu
erhalten.
c) Zweckmäßige Aufstellung der Waren und Ausdehnung
des Marktes.
Die beschränktere Begrenzung einer Markthalle fordert die Auf-
stellung der Waren dicht neben einander und ermöglicht eine bequemere
und bessere Uebersicht über dieselbe. Ebenso ist eine bessere gesund-
heitspolizeiliche Aufsicht über die ausgestellten Waren möglich.
Durch den auf wenige Vormittagsstunden beschränkten Verkehr auf
dem offenen Markte entstehen dem Verkäufer häufig nicht unbedeutende
Verluste. Denn es müssen die Verkäufer gegen Ende der kurzen Markt-
zeit ihre Waren oft mit Schaden losschlagen, um dieselben nicht wieder
mit nach Hause nehmen zu brauchen. Aus dieser Verlegenheit ziehen
Höker und Marktbesucher oft genug Vorteile.
Durch die Erbauung von Markthallen — also durch Bauten, welche
nicht täglich geräumt und anderen Zwecken dienstbar gemacht zu werden
brauchen, wie das bei öffentlichen Plätzen der Fall ist, sondern recht
eigentlich für den ungestörten und unausgesetzten Marktbetrieb be-
stimmt sind — wird ferner der Stadtbewohner in die Lage gebracht,
*) Es ist sehr zu bedauern , daß die vorzüglich eingerichteten Berliner Kleinmarkt-
hallen solcher Kühlräume gänzlich entbehren. Er>t jetzt ist die neue Fleichgroßhalle
(Markthalle Ia) mit einer Kühlhalle versehen worden.
8
Markthallen nnd Viehhöfe. 9
täglich seine Bedürfnisse kaufen zu können, und er ist nicht mehr ge-
nötigt, von einem Markttage zum anderen sich mit Lebensmitteln zu
versorgen.
Hierdurch werden dreifache Vorteile für den Käufer erreicht: erstens
braucht derselbe nur so viel Geld täglich zu verausgaben, als er täglich
an Lebensmitteln nötig hat ; zweitens kann derselbe stets frische Ware
beziehen, und drittens ist er in der Regel in der Lage, bei eintretender
Preissteigerung eines Artikels diesen nicht heute einzukaufen, sondern an
einem anderen Tage, an welchem das Angebot größer ist und die Preise
niedriger sind.
Hervorgehoben muß noch werden , daß es für das kaufende Pub-
likum von Wichtigkeit ist, daß der Markt nicht nur morgens statt-
findet, sondern auch auf den Abend ausgedehnt wird , da eine Menge
Käufer, z B. Arbeiter, nur abends in der Lage sind, ihre Bedürfnisse
auf dem Markte einzuhandeln.
d) Begünstigung des Großhandels.
Alle Vorteile, welche der Kleinhandel von der Markthalle hat, sind
in erhöhtem Maße für den Großhandel vorhanden. Erst durch Er-
richtung von Markthallen ist es dem Großhändler möglich, seine Ware
vor dem Verderben sicher zu schützen und an demselben Orte den
Verkauf vornehmen und bis zur Fortschaffung der Ware diese in der
bisherigen Weise lagern zu lassen.
Bei dem Einflüsse, den die Hallenverwaltung auf die in den Markt-
hallen vorzunehmenden Geschäfte auszuüben im Stande ist, bei den Ein-
richtungen, welche in dieser Beziehung in der Halle getroffen werden
können, ist es sicher, daß ein geordneter und ersprießlicher Großhandel
in den meisten Eällen erst durch die Markthalle überhaupt möglich ist
und so recht eigentlich erst ins Leben gerufen werden kann. Die Markt-
halle giebt dem Produzenten erst Gelegenheit, seine Ware in größeren
Mengen zu verkaufen und nötigenfalls einen raschen Verkauf zu ermöglichen.
6. Allgemeines über Markthallen 6.
Eine Klein markt halle hat den Zweck , die Wochenmärkte
unter Dach zu bringen. Es werden also darin die täglich benötigten
Lebensmittel im kleinen verkauft. — Eine Großmarkthalle dagegen
ist ein Raum, in welchem die von dem Kaufmanne aus mehr oder
minder großen Entfernungen mit der Eisenbahn, mit Schiffen oder Fuhr-
werken in großen Mengen ankommenden Lebensmittel aufgespeichert und
in größeren Mengen verkauft werden, welche dann in der Regel in die
Kleinmarkthallen gelangen.
Kleine und diejenigen größeren Städte, welchen ihren Lebensmittel-
bedarf aus der allernächsten Umgebung decken, sind einer Großmarkt-
halle nicht bedürftig, und es kann der Bau einer solchen unterbleiben.
Größere Städte jedoch, welche ihre Lebensmittel aus größerer Ent-
fernung beziehen und in denen sich ein Großhandel für Lebensmittel
schon entwickelt hat , müssen der Einrichtung einer Großmarkthalle
teilhaftig werden, jedoch wird hier, wie in Frankfurt a. M. und in
10 GEORG OSTHOFF,
Leipzig , sehr zweckmäßig ein Teil einer Kleinmarkthalle gleich von
vornherein für den Großhandel bestimmt werden können. Erst in großen
Städten von mehr als 500 000 Einwohnern, welche stets gezwungen
sind, ihren Bedarf an Lebensmitteln aus großem Umkreise zu decken,
ist die Ausführung einer Großmarkthalle geboten, da die Bevölkerung sich
sonst einesteils ganz und gar in die Hände von Hökern und Auf-
käufern giebt, andernteils zu Zeiten ihren Bedarf nicht rechtzeitig decken
wird und denselben stets mit unverhältnismäßig hohen Preisen be-
zahlen muß.
7. Die Verwaltung der Markthallen.
Die Einrichtung der Verwaltung ist in einer Kleinmarkthalle eine
andere, als in der Großmarkthalle, und richtet sich überhaupt nach be-
stimmten Handelsgrundsätzen, welche in dem betreffenden Lande oder
der Stadt herrschend sind. Auch wird die Verwaltung in einer Markt-
halle, welche von Privaten errichtet und betrieben wird, sich anders
gestalten, als wenn die Markthalle sich in den Händen der Stadt befindet.
a) Die Verwaltung in der Kleinmarkthalle.
Eine Kleinmarkthalle, welche hauptsächlich den Zweck hat, Käufern
und Verkäufern ein Obdach zu gewähren, bedarf einiger Arbeiter zur
Reinhaltuug der Halle, der Polizei zur Verhütung von Unzuträglich-
keiten und zur Schlichtung von Streitigkeiten, ferner Organe zur Un-
tersuchung der Genußfähigkeit der Lebensmittel, eines Hallenmeisters
oder Marktvogtes, der die Plätze anweist, den Markt eröffnet und
schließt und die Marktgelder einkassiert, und endlich eines Wagemeisters.
Die Anzahl der Beamten ist demnach nur gering.
b) Die Verwaltung in der Großmarkthalle7.
In Paris, Brüssel und Wien wird der Großverkauf in der Großmarkt-
halle ausschließlich durch die Markthallenverwaltung besorgt, welche
ihn mittels öffentlicher Versteigerung vornimmt. Mit diesem Marktbetriebe
ist die Erhebung von Steuern verbunden, welche in französischen und
belgischen Städten der Stadt, in Wien dem Staate zufließen. Bei dieser
französischen Einrichtung der Verwaltung sind eine Menge von Beamten
mit vielen Funktionen nötig, und es ist der Aufsicht und des Zwanges
kein Ende. In Wien war anfänglich eine vollständige Hallendirektion
eingesetzt, welche von einer städtischen Kommision, bestehend aus 7
Mitgliedern des Gemeinderates, überwacht wurde. Außerdem waren Konzept-
und Kanzleibeamte, Ober- und Unterkontrolleure, Wagemeister und Diener
angestellt. — Bei der englischen Einrichtung der Verwaltung ist jeder
berechtigt, seine Ware in die Großmarkthalle zu senden und dort selbst
oder durch irgend einen beliebigen Beauftragten verkaufen zu lassen.
Hier ist also der Großverkauf vollständig freigegeben, und es beschränkt
sich die Verwaltung neben der Handhabung der Sicherheits- und Gesund-
heitspolizei darauf, die Lagerung der Waren anzuordnen, den vorschrifts-
mäßigen Verkauf zu beaufsichtigen, die Gebühren zu erheben und für
rechtzeitige Bäumung der Halle zu sorgen. Die gleiche Einrichtung ist
auch in Frankfurt a. M. bei der gleichzeitig mit dem Markthallenbau
stattgehabten Umwandlung des Marktwesens eingeführt worden. Bei
der englischen Markteinrichtung hat die Verwaltung nur die Baulich-
Markthallen und Viehhöfe. 11
keiten der Hallen und inneren Einrichtungen in Ordnung zu halten, für
Reinlichkeit zu sorgen, die Plätze in der Halle zu verteilen und die
Platzgebühren zu erheben, sodaß stets wenige Personen zur Besorgung
dieser Geschäfte genügen. Wenn nur die zur Aufrechterhaltung der
Ordnung gegebenen Vorschriften erfüllt sind, so entziehen sich der
Marktverkehr, die Verkaufsgeschäfte, die Art und Weise des Verkaufs
jeder Aufsicht durch die Marktbeamten.
In deutschen Städten wird man wohl stets mehr den englischen
Einrichtungen sich hinneigen. Wenn man auch aus Vorliebe für polizeiliche
Ueberwachung eine genaue Marktordnung erlassen und die Beamten
mit der Aufsicht über die Einhaltung derselben beauftragen wird, so
wird man behördlicherseits sich wohl nirgends in die Abwickelung und
den Gang der Geschäfte einmischen.
Eine Großmarkthalle benötigt außer den Verwaltungsbeamten auch
noch Geschäftsvermittler, sogen. Makler oder Kommissionäre.
Auch bezüglich dieser besteht in Frankreich und England ein großer
Unterschied. In Frankreich ist man der Ansicht, daß der Verkäufer nur
Vertrauen zu einem Vermittler gewinnen könne, wenn derselbe zugleich
Beamter ist, eine Kaution gestellt hat und zugleich verpflichtet ist, das
Interesse des Eigentümers der Ware soviel als möglich wahrzunehmen.
Aus diesem Grunde hält man es für nötig, diesen Beamten die eingehende
Ware zu überweisen, denselben den Verkauf solcher unter gewissen Be-
dingungen zu übertragen und es denselben zu überlassen, sich mit dem
Einsender zu verrechnen und hierbei bestimmte Gebühren in Ansatz zu
bringen. Die Verkaufsgeschäfte werden überdies zur größeren Sicherheit
des Eigentümers, aber gleichzeitig auch zur näheren Prüfung der ein-
gehenden Gebühren von der Hallenverwaltung beaufsichtigt, wobei sich
jedoch diese Aufsicht wesentlich auf die Versteigerungen und auf die
dabei erzielten Preise erstreckt. — In England dagegen hat die Verwal-
tung der Großmarkthallen mit dem Verkaufe gar nichts zu thun und be-
schäftigt sich nur damit, die Platzgelder zu erheben. Den Verkauf selbst
besorgen die Eigentümer der Waren oder die Kommissionäre. Letztere
sind in der Regel freie, durch keine Behörde ernannte oder beschäftigte
Kaufleute, deren Geschäft es ist, den Verkauf der ihnen vom Eigentümer
übertragenen Ware bestmöglichst zu vermitteln. Diese Kommissionäre
sind bei dem Großhandel namentlich für das Ausland von außerordent-
licher Bedeutung, und dennoch beruht die ganze Abwickelung der Ver-
kaufsgeschäfte und die Beziehung zwischen Verkäufern und Maklern
lediglich auf gegenseitigem Vertrauen. — Die Wahl zwischen behördlich
angestellten (französischen) und freien (englischen) Maklern wird in Deutsch-
land wohl durchgängig zu Gunsten der letzteren ausfallen, weil diese
das Interesse der Auftraggeber weit besser wahren werden, als die Be-
amten, und weil die freien Kommissionäre stets befürchten müssen, daß
die auswärtigen Geschäftshäuser sich ihren Konkurrenten zuwenden, so-
bald sie beim Verkaufe die ihnen übergebenen Waren nicht alle Kon-
junkturen ausnutzen. Schon dadurch, daß der Eigentümer keine Wahl
unter den kaufmännischen Kräften hat und den von der Behörde gestell-
ten Kommissionär nehmen muß, wird gerade das richtige Moment bei
jedem Kaufgeschäfte, die Konkurrenz, vollständig beseitigt.
In Berlin beschäftigt sich die Verwaltung der Centralmarkthallen
nicht mit dem Verkaufe von Waren. Hier ist ein Mittelding zwischen
der französischen und englischen Einrichtung geschaffen. Es sind hier
Kaufleute als Verkaufsvermittler zugelassen, welche einen guten Leumund
12 GEORG OSTHOFF.
besitzen und eine Kaution von 20000 Mark bei der Stadt hinterlegen
müssen. Diese Kaution dient dazu, die Stadt bezüglich der von den
Verkaufsvermittlern gemieteten Lagerräume zu decken, aber nicht dazu,
berechtigten Ansprüchen der Großproduzenten gerecht zu werden. An
diese Verkaufsvermittler, welche ihre Agenten in die Provinzen senden,
haben die Produzenten ihre Waren zu schicken, und es verkaufen erstere
je nach Wunsch der Absender die Waren freihändig oder im Auktions-
wege. Diese Verkaufsvermittler beziehen außer der Provision und der
Rückerstattung ihrer baren Auslagen keine weiteren Gebühren.
8. Die Gebühren und die Rentabilität der Markthallen.
Da die Wochenmärkte dazu bestimmt sind, den hauptsächlichsten,
wenn nicht ganzen Bedarf einer Stadt an Lebensmitteln zu bestimmten
Tagen und Stunden zuzuführen , so hängt die Lebensmittelversorgung
einer Stadt fast gänzlich von dem Besuche der Verkäufer auf den
Wochenmärkten und der Menge und Güte ihrer Waren ab. Die Markt-
hallen schützen nun die Waren vor dem Verderben , die Käufer und
Verkäufer vor der Ungunst der Witterung, führen größere Stetigkeit
in den Preisen der Lebensmittel und in Angebot und Nachfrage herbei
und tragen dadurch zur leichteren, besseren und billigeren Versorgung
der Stadt mit Lebensmitteln bei. — Die Annehmlichkeiten und Vor-
züge, welche die Markthallen für Käufer und Verkäufer mit sich bringen,
gestatten die AuferleguDg selbst bedeutender Abgaben für die von den
Verkäufern eingenommenen Plätze und machen daher die Verzinsung
und Amortisation der Anlagekosten der Markthallen möglich, ohne die
Preise der Lebensmittel zu steigern, vorausgesetzt, daß diese Anlage-
kosten in einem richtigen Verhältnisse zu der Verwendung der Halle
stehen.
Nun ist aber in der Regel erst dann ein Markt fähig, bei geringen
Platzgebühren eine Markthalle rentabel zu machen, wenn die Stadt be-
reits eine gewisse Größe besitzt und sich während einer Woche ein
mehrmaliger Markt als notwendig herausstellt, und es ist überhaupt
die Notwendigkeit der Errichtung einer Markthalle, selbst in großen
Städten, auch nur dann vorhanden , wenn das meiste Publikum seine
Waren auf Wochenmärkten, nicht aber von Hausierern einhandelt.
Um eine Rentabilität der Markthallen zu erzielen und nur geringe
Standgebühren zu benötigen, ist es unter allen Umständen nötig, ein
Grundstück zu erwählen, welches geringe Kaufkosten erfordert, sowie
die Halle den Erfordernissen des Marktverkehrs anzupassen und mit
geringen Mitteln herzustellen. Sollte ein öffentlicher Platz nicht zur
Verfügung stehen , so werden diese Bedingungen am besten erreicht,
wenn die Halle inmitten der Häuserblocks erbaut wird, da auf diese
Weise elegante und große Facaden , welche hohe Kosten verursachen,
vermieden werden. Wo aber die Hallen an die Straßen gesetzt werden
müssen, sind den ersteren mit Vorteil Geschäftshäuser oder Läden
vorzubauen , um so die teueren Facaden zu verwerten und zur Ver-
zinsung zu bringen. Ebenso sollen die Hallen und ihre inneren Ein-
richtungen zwar dauerhaft, aber einfach ausgeführt werden, um auf
diese Weise geringe Anlage- und Unterhaltungskosten zu erzielen.
Die Kosten der Markthallen sind nun sehr verschieden. Es
kosteten :
Markthallen und Viehhöfe. K>
1) Die Centralmarkthaile in Berlin, bestehend aus Stein mit Eisen-
konstruktion des Daches, mit Keller und einem Geschoß mit Gallerien, 160
M. p. qm bebauter Grundfläche.
2) Die Kleinmarktballe am Magdeburger Platz, bestehend aus Stein
und Eisenkonstruktion des Daches, mit Keller und einem Geschoß ohne
Gallerien, 176 M. p. qm.
3) Die Großmarkthalle in Wien, bestehend aus Stein, 145,60 M. p. qm.
4) Die Markthalle in Frankfurt a. M., bestehend aus Eisen und Glas,
181,20 M. p. qm.
5) Die Markthalle zu Leipzig, bestehend aus Stein mit Eisenkonstruk-
tion des Daches, mit Keller, einem Geschoß und Gallerien, ca. 312
M. p. qm.
6) Die Markthalle zu Heilbronn (Projekt von Osthoff), aus Stein
mit Holz-Sheddach, mit Keller und einem Geschoß, veranschlagt zu 83,50
M. p. qm.
7) Die Markthalle zu Halberstadt aus Stein mit einem Sheddach,
mit Keller und einem Geschoß, 106,20 M. p. qm.
Der Verfasser berechnet den Raumbedarf einer Markthalle
für Städte:
a) mit 20 OOO bis 30 OOO Einwohnern zu 35 qm p. IOOO Einwohner,
b) ,, 30OOO „ 5OOOO ,. ,, 30 ,, ,, „ ,,
c) mit mehr Einwohnern ,, 25 ,, ,, ,, ,,
Werden in einer Markthalle Kühleinrichtungen ausgeführt, was in
jeder Weise zu empfehlen ist, so vergrößern sich die Baukosten der
Markthalle nur unbedeutend, da man die Kühlräume mit den Maschinen
etc. in den Keller anordnen kann, dagegen kommen noch die Kosten
der Dampfkessel, Dampfmaschinen, Kühlmaschinen und Kühlapparate
hinzu.
Man kann nun annehmen, daß
a) Städte bis zu 20000 Einwohnern 130 qm Kühlraumfläche in der
Markthalle gebrauchen, und daß dann die Kosten für Bau, innere Ein-
richtung der Kühlzellen, für sämtliche Kessel, Maschinen und Kühl-
apparate 35 000 M. betragen. Eerner:
b) Städte von 20000 bis 35 000 Einwohnern 180 qm Kühlraum-
fläche mit 42 000 M. Kosten benötigen.
c) Städte von 35 000 bis 50 000 Einwohnern mit 300 qm Kühlraum-
grundfläche bei 62 000 M. Unkosten auskommen.
d) Städte von 50 000 bis 75 000 Einwohnern 400 qm Kühlhaus-
fläche bedürfen bei einer Summe von 82 000 M.
e) Städte von 75 000 bis 100000 Einwohnern 600 qm mit 116 000
M. beanspruchen.
f) Städte von 100.000 bis 150000 Einwohnern 800 qm mit 148000
M. benötigen.
Um nun einen ungefähren Anhalt über die Kosten zu haben, welche
die Kühlanlagen im Betriebe erfordern, sei hier bemerkt, daß die jähr-
lichen Unkosten bei 200 Betriebstagen, inkl. Amortisation und Unter-
haltung der Maschinen etc., betragen :
13
14
GEORG OSTHOFF,
Gröfse des
Kühlraumes
Jährliche
Unkosten
Erforderliche Miete
der Kühlzellen
p. qm und Jahr
130 qm
180 „
300 „
400 „
5540 Mk.
73IO „
13440 .,
17400 „
64 Mk.
61 „
67 „
65 ,.
Die Miete für die Stände in der Markthalle ist überall
verschieden :
a) Leipzig.
b) Frankfurt a. M.
p. qm und Tag
b. monatl
Zahlung
b. tägl.
Zahlung
1) Fleisch, Wild
Geflügel
40 Pf.
50 Pf.
2) Süßwasserfische
30 .,
35 >.
3) Obst, Grünwaren,
Butter, Käse,
Eier, Backwaren,
Mehl, trockenes
Gemüse, Blumen.
Seife
20 „
30 „
4) Kartoffeln
15 ..
20 „
5) Holzwaren etc.
IO „
J5 >•
1) Für die Stände p. qm. und Tag.
a) am Mittwoch und Sonnabend:
im Erdgeschofs 40 Pf.
auf der Gallerie 30 ,,
ß) an den anderen Wochentagen:
im Erdgeschosse 20 Pf.
auf der Gallerie 15 „
2) Für die nicht numerierten Plätze p. qm
und Tag 20 Pf. an allen Tagen.
c) Berlin.
pr. qm ur.
d Tag bei
monatl.
täglicher
Vergebung
1) Fleisch, Wild,
40
Pf.
50 Pf.
Geflügel
2) Süßwasserfische
30
,,
35 »
(ohne Wasser)
3) Seefische
20
„
30 ,,
4) Obst, Käse, But-
ter, Eier, Ge-
müse,Blumen etc.
20
,,
30 „
5) Kartoffeln
20
,,
20 „
6) Holzwaren
IO
11
10 „
7) Kellerräume
5
M
10 „
d) Halberstadt.
Die gröfste Höhe der Gebühren ist
hier festgesetzt wie folgt:
am Mitt-
an den
woch und
übrigen
Sonnabend
Wochentg
pr. qm in
Pfennig.
Fisch-Stände p. Tag
55
40
Fleisch- ,, „ ,,
65
45
Gemüse- ,, ,, ,,
45
35
Keller- „ ,, ,,
10
10
Die Gebühren sind in den 3 ersten Städten viel zu niedrig, um eine
genügende Verzinsung der Kosten des Grundstückes, der Gebäude und
der inneren Einrichtungen, — welch' letztere in Frankfurt a. M. aller-
dings sehr primitive sind und den Ansprüchen der Neuzeit an praktische
Fleisch- und Fischstände nicht entsprechen, — zu erzielen. Dagegen
scheinen die Gebühren der Markthalle zu Halberstadt diesen Er-
wartungen zu entsprechen.
14
Markthallen und Viehhöfe. 15
9. Die Lage der Markthallen in der Stadt.
Für die Großmarkthalle ist die Notwendigkeit maßgebend, die
Halle in unmittelbarer Nähe eines Bahnhofes oder eines Schiffahrts-
weges zu haben, damit die von auswärts, manchmal aus weiter Ferne
kommenden Güter unmittelbar in die Halle verladen werden können.
Ganz andere Ansprüche werden an die Lage der Kleinmarkt-
hallen gestellt. Diese sollen im Innern einer Kleinstadt oder im In-
nern eines Stadtviertels einer Großstadt liegen und zwar dort, wo der
Verkehr am größten ist, wo früher schon ein Wochenmarkt bestand,
oder in dessen Nähe.
Bei der Groß mark t halle ist die Bequemlichkeit der Anfuhr
der in großen Mengen ankommenden Lebensmittel und die der Abfuhr
der in kleinen Mengen von dieser Halle zu den Kleinmarkthallen zu
gelangenden Waren für die Lage der Großmarkthalle maßgebend.
Die Lage der Kleinmarkthalle richtet sich dagegen hauptsächlich nach
der Bequemlichkeit des Publikums. Wie der schönste und größte Laden
wenig besucht werden wird, wenn derselbe in einer abseits vom großem
Verkehr liegenden, wenig besuchten Straße sich befindet, so werden auch
diejenigen Kleinmarkthallen weit weniger vom Publikum benutzt
werden, welche sich abseits von den Verkehrsmittelpunkten der Stadt
befinden, als diejenigen, welche innerhalb derselben liegen und bequem
zugängig sind*).
Der gewöhnliche WTochenmarkt, dem die Ware mit Kiepen, Wagen
und Karren zugeführt wird, bedarf keiner großartigen Verkehrszugänge
durch Eisenbahnen und Wasserverbindungen, hat seine beste Lage da,
wo er den Käufern am nächsten ist. So finden sich die meisten dieser
Märkte daher auch mitten in der Stadt, in den belebtesten Teilen der-
selben. Erst wenn die Entfernungen des Käufers vom Markte zu groß
werden, und der Gang zum Markte zu viel Zeit in Anspruch nimmt,
bilden sich neue Marktbezirke9. In dieser Hinsicht ist Berlin am
richtigsten vorgegangen,, indem es die ersten 8 Kleinmarkthallen
in bestimmten Entfernungen von einander erbaut hat. Hier hat sich
gezeigt, daß die Hausfrauen schon kaum mehr in die Markthallen
wandern, wenn die Entfernungen von der Markthalle mehr als 20 Mi-
nuten groß ist, wenn dieselbe also etwa 1200 m beträgt. In solchem
Umkreise von den Markthallen haben sich überall schon Vorkostläden
angesiedelt, welche ihre reichliche Verzinsung finden.
Leipzig , Frankfurt a. M. , Hannover , Dresden , Chemnitz dagegen
haben nur eine Markthalle erbaut und beanspruchen von vielen Haus-
frauen, daß sie eine ganze Stunde weit zu Markte gehen.
10. Die bauliche Anlage und die inneren Einrichtungen der
Markthallen l ° .
Da die Markthallen reine Nützlichkeitsbauten sind, deren Anlage-
kosten sich durch die Standgelder angemessen verzinsen sollen, wie
*) Dies hat in der jüngsten Zeit Berlin erfahren. Im vorigen Jahre sind in Berlin
7 neue Markthallen zu den vorhandenen 8, welche innerhalb der eng bebauten Stadtviertel
lagen, hinzugekommen, diese aber an die Peripherie der Stadt gelegt worden. Einige
dieser neuen Markthallen , welche abseits der Pferdebahn und an der Stadtgrenze lagen,
mußten wegen Mangels an Käufern , und daraus hervorgehend, wegen Mangels an Ver-
käufern sehr bald wieder geschlossen werden.
15
16 , GEORG OSTHOFF,
auch die Verwaltungskosten durch sie gedeckt werden müssen, so sind
diese Hallen in der einfachsten, aber zweckentsprechendsten Weise her-
zustellen. Wie elegante Fagaden zu vermeiden oder durch Herstellung
von Läden etc. auszunutzen sind, ebenso sind eiserne Prachtbauten, wie
die Markthalle zu Frankfurt a. M. unzweckmäßig, weil solche Bauten
im Sommer zu heiß und im Winter zu kalt sind. Die Außenwände
sollen aus starkem Mauerwerke bestehen, welches die Kälte und Wärme
von dem innern abhält. Hölzerne, von eisernen Säulen unterstützte
Sheddächer, welche von oben Nordlicht einlassen, sind einfach und
bequem, beanspruchen aber eine besondere Ventilation durch genügende
Zuführung kalter Luft von unten auf der Nordseite und Abführung der
erwärmten Luft mittels hochgeführter Luftabsauger (von Alex. Huber
in Köln a. Rh.).
Die Hauptbedingungen für den Bau einer Markt-
halle sind folgende:
a) Die Halle soll möglichst viel Licht, aber hauptsächlich nörd-
liches Licht erhalten;
b) sie soll, bei geringster Zugluft im unteren Teile , oben vor-
züglich gelüftet sein ;
c) sie soll derart starke Außenmauern besitzen, daß im Sommer
die Hitze und im Winter die Kälte abgehalten wird;
d) sie soll dem Bedarf entsprechend geräumig genug sein,
e) genügend viele und bequeme Zugänge besitzen,und
f) ein geringes Baukapital beanspruchen.
Von wesentlicher Bedeutung für die Markthallen sind ihre Zu-
gänge. Es ist durchaus erforderlich, daß die in die Häuserblocks
geschobenen Hallen in bequemster Verbindung mit den umliegenden
Straßen stehen, daß diese Verbindungen genügende Breite haben und
daß deren so viele als möglich vorhanden sind , weil hierdurch der
Verkehr am meisten geteilt und abgeleitet wird.
Diese Zugänge sind aber so zu legen, daß nicht ein Hauptgang
zwischen den Ständen und sonst nur Nebengänge mit untergeordneten
Ständen geschaffen werden, sondern derartig, daß alle Gänge gleichmäßig
besucht und dadurch alle Stände gleichwertig werden. Die Zugänge sind
mindestens 3,5 m breit zu machen und mit Windfängen zu versehen.
Wagen und breite Karren brauchen in die Kleinmarkthallen nicht
hineinzufahren.
Bei der Großmarkthalle, wo das bequeme Auf- und Abladen der
Waren auf und von den Wagen von großer Bedeutung und das Publikum
in geringer Anzahl vertreten ist, wird man dafür Sorge tragen, daß
die Wagen und Karren in die Halle fahren können. Dabei erscheint
es rätlich, die Einrichtung der Eisenbahn-Güterschuppen nachzuahmen
und den Fußboden der Halle zu erhöhen, sodaß ein bequemes Be- bezw.
Entladen der an den Längsseiten der Halle unter Dach vorgefahrenen
Land- und Eisenbahnfuhrwerke möglich ist, während der mittlere Raum
teils den Waren als Lagerplatz, teils dem Publikum als Gang dient.
Von besonderer Wichtigkeit aber ist es, die Waren so zu legen, daß
das Auktionsgeschäft bequem und glatt von statten geht.
Das Innere der Kleinmarkthalle besteht aus Ständen, welche an
Längsgängen angeordnet sind.
16
Markthallen und Viehhöfe. 17
In Entfernungen von etwa 30 in sind Quergänge angeordnet. Die
Stände sind verschieden geartet, je nach ihrem Zwecke. Die Gemüse-
stände sind Stände aus Gitter , welche vorne offen , nur durch
einen Ladentisch oder Brett vom Gange abgesperrt sind, seitlich etwa
1,5 m, hinten 2,0 m Höhe haben und welche mit Bords zum Aufstellen
der Gemüsekörbe etc. versehen sind. Die Fleischstände dagegen
sind aus Gitter bestehende, 2,5 m hohe Läden, welche oben einen Gitter-
boden haben, vorne einen nach oben zu öffnenden Ladenverschluß be-
sitzen und mit Ladentisch, Haublock und Hakenrahmen ausgestattet sind.
Die Stände für lebende Fische sind Bassins aus Marmorplatten,
welche einen stetig fließenden Wasserzufluß, sowie einen Ueberlauf und
einen mit Verschlußstöpsel versehenen Bodenablauf besitzen.
Die Stände für Gemüse und für die Fische macht man in Deutsch-
land in der Regel 2 m lang und 1,8 bis 2,2 m tief. Die Fleischstände
dagegen haben eine Länge und Tiefe von 2,5 m oder mehr. In der
Centralhalle in Paris entfallen auf jeden Stand für Fleischer 5 bis 9 qm,
für Frucht- und Blumenhändler 4 qm, für Gemüsehändler 2 qm Grund-
fläche.
Die Gänge zwischen den Standreihen sind mindestens 2,3 m, besser
2,5 m breit zu machen.
Außer dem großen Hallenraum e für Verkaufsgegenstände müssen
in der Markthalle vorhanden sein : a) ein oder zwei Räume für Büreaux
der Verwaltung; b) ein Raum für die Marktpolizei; c) ein Raum für
mikroskopische Untersuchungen ; d) Aborte und Pissoirs, Angenehm
ist den Verkäufern eine kleine Gastwirtschaft mit Kaffeeküche.
Große Keller anzulegen, hat keinen Zweck, es sei denn, dieselben
würden durch Kühlmaschinen kühl gehalten. In diesem Falle werden
sie auch nur benutzt.
In den Keller müssen mehrere bequeme Steintreppen von mindestens
1,5 m Wangenbreite mit 15 cm Steigung und 30 cm Auftritt hinabführen.
Aufzüge werden selten benutzt.
An geeigneten Orten sind Sammelgruben zur Aufnahme
derAbfälle anzulegen (siehe hierüber in E. Richter: Straßenhygiene
[Bd. II, Abteilung 1 dieses Handbuches]). Eine künstliche Beleuch-
tung mittels Gas oder elektrischen Lichtes ist durchzuführen, ebenso
wie die Anlagen der Zuführung reinen Wassers und der Abführung der
Schmutzwasser geboten sind.
Als Beispiele sind hier 3 Markthallen in Berlin vorgeführt, welche
als mustergiltig betrachtet werden können.
(Fig. 1—5 S. 18, 19 und 20.)
II. Märkte für Pferde und Vieh.
Wohl fast in jeder Stadt über 10000 Einwohnern sind im Jahre
mehrere Tage festgesetzt, an denen ein Auftrieb und ein Handel mit
Pferden und Vieh stattfinden kann, und es ist für solche Märkte ent-
weder ein freier Platz in der Stadt, oder ein Platz außerhalb der Stadt
zur Verfügung gestellt. In großen Städten dagegen ist häufig ein Platz
Handbuch der Hygiene. Bd. VI. 2
18
GEORG OSTHOFF,
Kleinmarkthalle zu Berlin zwischen der Dresdener Strafse und dem Luiseuufer.
Arch. Blankenstein.
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Fig. 1.
18
^3
Markthallen und Viehhöfe.
19
Kleinmarkthalle zu Berlin an der Eisenbahnstrafse.
Arch. Blankenstein.
Fig. 2.
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20
GEORG OSTHOFF,
Kleinmarkthalle zu Berlin auf dem Magdeburger Platze.
Arch. Blankenstein.
Fig. 3.
Fig. 4.
Fig. 5.
20
Markthallen und Viehhöfe. 21
für solche Märkte besonders hergerichtet und mit den nötigen bau-
lichen Anlagen versehen. In mittleren Städten begnügt man sich mit
einfachen Schranken von Holz oder Eisen, an welche die Pferde
und das Hornvieh angebunden werden, während die Schweine und Schafe
in leichte, wegnehmbare Hürden gesperrt werden. Die Märkte der
kleineren Städte entbehren dagegen durchweg fast jeder der oben
erwähnten Einrichtungen. Hier werden Pferde und Hornvieh an die
in einer Reihe aufgefahrenen Wagen gebunden, während Schweine und
Schafe auf den Wagen verkauft werden.
Wie ein gut durchgebildeter Pferdemarkt herzustellen ist, möge
an dem Entwurf für einen Pferdemarkt in Wien (Fig. 6, vom Baurate
Paul in Wien) gezeigt werden11:
Dieser Markt teilt sich dem Zwecke nach in 2 Hälften, nämlich
einerseits für den Verkauf von Reitpferden und andererseits für den von
Wagenpferden. Beide Märkte haben eine Rundbahn erhalten, eine für
das Probereiten und eine andere für das Probefahren. Der von der Bahn
umschlossene Kreis bildet den Raum für die Käufer, Verkäufer und Zu-
schauer. Die ganze Anlage verlangt eine Grundfläche von 208,7 m Länge
und 174,0 m Breite. Für die Reitabteilung hat der kreisrunde Platz einen
Durchmesser von 82 m. Die Bahnbreiten betragen 7,0 m. Die Reitbahn
ist mit einem gegen den Zuschauerplatz weit vorspringenden Dache zu
überdecken, damit die Zuschauer bei Regenwetter unter dem Vordache
Schutz finden können. Die Pferdestände ordnen sich im Vierecke rings
um die genannten Rundbahnen an und dienen entweder nur für die
Marktstunden als Verkaufsstände oder auch für längere Einstallung.
Letztere sind in der Abbildung als Pferdestallung bezeichnet. In ersteren
genügt die Standbreite von 1,4 m und die Standlänge von 2,5 m für
ein Pferd ; letztere müssen aber bequemer (mit Standabmessungen von
1,6 m Breite und 3,5 m Länge) eingerichtet werden. Auch haben die
Stallungen Futterböden zu erhalten. Zwischen den Stallungen und der
Fahr- und Rennbahn ist der Platz zu pflastern, um denselben für Probe-
fahrten mit schweren Zügen benutzen zu können. Das Verwaltungs-
gebäude hat die Räume für den Aufenthalt der Tierärzte, für die Schreib-
hilfe, für die Parteien und Pferdewärter und endlich eine Wohnung für
den Marktaufseher zu enthalten. Zu beiden Seiten dieses Gebäudes
sind die reichlich mit Fenstern zu versehenden Durchgangsräume der
Pferde (a in der Zeichnung), welche von Tierärzten untersucht werden,
anzuordnen. Diese Tierärzte verweilen während der Ankunft der Pferde
in den Nebenräumen b.
Die Schranken zum Anbinden der Pferde und des Hornviehes sind
so zu stellen, daß der Käufer imstande ist, jedes Tier von allen Seiten
zu besehen. Die Schranken sind demnach so anzuordnen, daß das Vieh
nur an der einen Seite an dieselben angebunden werden kann und
zwischen den nächstliegenden Schranken noch ein Gang von mindestens
1,5 m frei bleibt. Hinter 2 Reihen von Tieren ist ebenfalls ein Gang
von 3,0 m erforderlich.
Vollkommnere Einrichtungen zum Aufstellen von Hornvieh, sowie
zum Unterbringen von Kleinvieh und Schweinen sind in dem Kapitel in
„Schlachtviehmärkte" zu finden.
22
GEORG OSTHOFF,
Entwurf eines Pferdemarktes in Wien.
Arch. Paul.
Wagen -Auf Stellungsplatz
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Wagen -Aufstellung splitz^ |
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174 00-
Fir. 6.
Markthallen und Viehhöfe. 23
III. Schlachthöfe und Schlachtviehmärkte.
Es würde logisch richtig sein, hier zunächst die Schlachtviehmärkte
den übrigen vorher besprochenen Märkten anzuschließen und zuletzt die
Schlachthöfe zu behandeln. Da aber die Anlage der Schlachtvieh-
märkte wesentlich von der Anlage der Schlachthöfe abhängig ist, und
überdies mit wenigen Ausnahmen nur eine dem Schlachthofe dienende
Anlage ist, erscheint es wünschenswert, zunächst die Schlachthöfe und
dann die Schlachtviehmärkte zu besprechen.
A. Die Schlachthöfe12.
1. Allgemeines.
Schlachthöfe sind Anlagen, in welchen diejenigen Tiere, deren Fleisch
den Menschen zum Genüsse dient, getötet, bis zur Zerteilung ausge-
schlachtet, im lebenden und getöteten Zustande auf ihren allgemeinen
Gesundheitszustand, sowie auf die Genußfähigkeit ihres Fleisches tier-
ärztlich untersucht werden, und endlich, in welchen das gesunde Fleisch
bis zum Bedarfe aufbewahrt und konserviert wird.
Infolgedessen besteht ein Schlachthof aus vielen Gebäuden oder
Räumen, in welchen die Einstallung des Viehes (in Ställen), das Schlachten
desselben (in Schlachthäusern), die Aufbewahrung und Konservierung
des Fleisches (in Kühlräumen), die Reinigung der Eingeweide (in
Käldaunenwäschen), die Beseitigung des Düngers (in Düngerhäusern)
vor sich geht, und welche zur Unterbringung der Verwaltung und der
Beamten (Verwaltungsgebäude), zur Reinigung und zum Aufenthalte der
Meister und Gesellen (Meister- und Gesellenstuben), zur Aufstellung
der Dampfkessel (Kesselhaus) und der Maschinen und Pumpen (Ma-
schinenhaus) dienen.
Ein solcher Schlachthof wird aus gesundheitlichen Gründen erbaut
und dazu bestimmt, sämtliche Schlachtungen im gesamten Gebiete der
Gemeinde in sich aufzunehmen, und es ist alsdann die Ausübung des
Schlachtens an irgend einem anderen Platze verboten.
Die Zusammenlegung aller Schlachtungen einer Stadt an einem
einzigen Orte oder, wie in Paris, Wien oder in anderen großen Städten,
an einzelnen wenigen Plätzen oder, mit anderen Worten, das Errichten
„öffentlicher Schlachthöfe mit allgemeinem Schlacht-
zwange", hat in erster Linie den Zweck, eine genaue und zu-
verlässige Ueberwachung über die Gesundheit des Tieres und
Fleisches und über die sonstige Beschaffenheit des Fleisches aus-
zuüben. Eine solche Ueberwachung ist nicht möglich, wenn jeder
Metzger die Tiere in seinem Hause schlachtet, und ist um so we-
niger durchführbar, je größer die Stadt, also je größer die Anzahl
der Metzger ist. Eine solche Ueberwachung wurde von Jahr zu Jahr
notwendiger, nachdem im Jahre 1858 in Preußen die Abdeckereigerecht-
same aufgehoben wurden und sich herausstellte, daß die Trichinose-
erkrankungen immer häufiger auftraten.
Das Bedürfnis nach einer sachgemäßen Fleischbeschau und die Ein-
sicht, daß die Ueberwachung über die Güte des Fleisches nur in einzelnen
23
24 GEORG OSTHOFF,
Hauptschlachtstätten ausgeübt werden könne, führte in Preußen zu dem
„Gesetz vom 18. März 1868 und den Abänderungen und Ergänzungen
vom 9. März 1881", welche Gesetze den Gemeinden die Macht in die
Hände geben, innerhalb ihres Bezirks die Metzger zu zwingen, in einem
einzigen Schlachthofe ihre Tiere zu schlachten und alle diejenigen em-
pfindlich zu strafen, welche frisches Fleisch von auswärts in die Stadt
einführen, ohne dasselbe im öffentlichen Schlachthofe tierärztlich unter-
suchen zu lassen. Vergl. hierüber H e r t w i g : Fleischbeschau im Bd. III
dieses Handbuches.
Außer diesem Hauptzwecke, der Gewährleistung, daß nur gesundes
Fleisch in den Handel kommt, weist der öffentliche Schlachthof noch
folgende Vorteile auf: 1) Es werden die durch die Einzelschlachtstätten
verursachten Ausdünstungen aus der Stadt entfernt, und 2) es wird
das lästige Treiben des Schlachtviehes innerhalb der Stadt beseitigt
oder doch wesentlich eingeschränkt.
Im römischen Altertume und im Mittelalter bestanden öffentliche
Schlachthöfe in allen Städten, und es räumte erst der dreißigjährige Krieg
in Deutschland mit diesen vorzüglichen Einrichtungen auf, welche jedoch
in einzelnen Städten noch bis in die allerneueste Zeit erhalten blieben.
Die Anlage von Schlachthöfen der Neuzeit mit Schlachtzwang rührt von
Napoleon I. her, welcher in den Jahren 1807 — 1810 den Städten in
Frankreich gebot, öffentliche Schlachthäuser zu errichten, und verbot,
daß solche in der Nähe menschlicher Wohnungen hergestellt würden.
Die „öffentlichen Schlachthöfe" befinden sich entweder in den
Händen der Städte, oder in denen der Fleischerinnung, oder im Eigen-
tume von Unternehmern.
Die Frage , von wem der Schlachthof erbaut und be-
trieben werden soll, ist ohne weiteres nicht zu beantworten.
Thatsache ist, daß die meisten Schlachthöfe Deutschlands sich im Be-
sitze der Städte befinden, daß jedoch verschiedene Städte den Fleischer-
innungen gestattet haben, öffentliche Schlachthöfe zu erbauen, wie Biele-
feld, Chemnitz, Döbeln, Dresden, Eisenach, Göppingen, Hannover, Jena,
Marburg, Meerane, Namslau, Reichenbach i. V., Sensburg i. Ostpr.,
Strehlen, Stuttgart, Weimar u. a., und daß endlich an einzelnen Orten,
z. B. in Gnesen, Leobschütz, Reichenbach i. Schles. u. a. 0. der Schlacht-
hof von einem Unternehmer erbaut ist und betrieben wird.
Geht man von dem allein richtigen Grundsatze aus, daß der öffent-
liche Schlachthof eine rein gesundheitliche Anstalt sein soll, daß derselbe
errichtet wird, um eine genaue und gründliche tierärztliche Ueber-
wachung über den Gesundheitszustand derjenigen Tiere zu ermöglichen,
welche dem Menschen zum Genüsse dienen, und betrachtet man die
Schlachthausgesetze der einzelnen deutschen Staaten, besonders die be-
treffenden preußischen Gesetze, so muß man zu der Ansicht kommen,
daß diese gesundheitliche Anstalt, welche unter der strengsten Ueber-
wachung der Gesundheitspolizei stehen muß, wenn sie überhaupt ihren
gesundheitlichen Zweck erfüllen soll, am besten und richtigsten in den
Händen der Stadtgemeinde sich befinden wird, welche den Betrieb der
Anstalt zu leiten und sämtliche Beamte selbst einzustellen hat.
Da der Schlachthof eine gewerbliche Anstalt im eigentlichen Sinne
des Wortes nicht ist — wenigstens nicht in Preußen, wo das Gesetz
vom 18. März 1868 bezw. vom 9. März 1881 vorschreibt, daß ein
höherer Zinsfuß als 5 Proz. jährlich und ein höherer Amortisationssatz
24
Markthallen und Viehhöfe. 25
als 1 Proz. nebst den jährlichen ersparten Zinsen nicht berechnet
werden dürfen — so liegt es auf der Hand, daß der Schlachthof zum
Teil seine Bestimmung verfehlt hat, wenn derselbe in die Hände eines
Unternehmers gelegt ist. Denn einesteils ist letzterer nicht imstande,
einen hohen Gewinn durch den Betrieb im Schlachthofe zu erzielen ;
anderenteils hat derselbe nicht den mindesten Vorteil an einer gründ-
lichen gesundheitlichen Fleisch- und Viehuntersuchung, welche immer
von einem stadtseitig angestellten Tierarzte besorgt werden muß. Daß
bei einem solchen Betriebe stets die Neigung des Unternehmers vor-
handen ist, mit den Fleischern, welche seine Anlage so gewinnbringend,
wie überhaupt möglich machen, auf dem besten Fuße zu stehen, und
dem städtischen Untersuchungsbeamten nicht sehr in die Hände zu ar-
beiten, ist natürlich. Es liegt aber auch gar kein Grund vor, wenn
einmal der Schlachthof kein städtischer werden soll, ihn dann nicht der
Fleischerinnung zu überlassen, welche ihn doch als ihre eigentliche
Werkstätte benutzt, welche doch die Gebühren dafür zu bezahlen hat
und welche ihn gewinnbringend macht. Der in Preußen gesetzlich zu-
lässige Gewinn ist immerhin hoch genug, um einer Fleischerinnung
noch etwa 1 Proz. der Anlagekosten als Reingewinn ihrer Innungs-
kasse zufließen zu lassen und ihre sonstigen Abgaben an die Innungs-
kasse dadurch zu verringern.
Die Gründe jedoch, welche wohl für die Erbauung und den Betrieb
eines Schlachthofes seitens der Innung ins Feld geführt werden — und
zwar a) daß alle übrigen Handwerker ihre Werkstätten selbst errichten
und betreiben können ; b) daß der Stadt ein Verwaltungszweig abge-
nommen werde, von dem sie keinen hohen Verdienst, aber viel Mühe
und Arbeit habe, und c) daß die etwaige Entschädigungsfrage für die
aufzugebenden Schlachtstätten der einzelnen Fleischer von vornherein
wegfalle — sind nicht sehr schwerwiegend. Denn einesteils sind alle
Werkstätten der übrigen Handwerker keine Anstalten, in welchen Gegen-
stände verarbeitet werden, die dem Menschen zum Genüsse dienen oder
doch deren Gesundheitsverhältnisse unmittelbar vor dem Genüsse nicht ge-
nügend von jedem Laien festgestellt werden können, während das meiste
ungesunde Fleisch als solches nur am lebenden Tiere in Verbindung mit
dem ausgeschlachteten dann zu erkennen ist, wenn die inneren edleren
Teile, (Herz, Lunge, Nieren, Magen) noch vorhanden sind und unter-
sucht werden können. Anderenteils wird die städtische Behörde von
der Verwaltung des Schlachthofes nicht befreit ; denn sie hat nicht nur
die Verwaltungsbeamteu anzustellen, sondern auch den ganzen Betrieb
zu überwachen, die Bücher nachzusehen, die Erträgnisse des Schlacht-
hofes, die Verzinsung und die Amortisation und die Gebühren festzu-
setzen u. s. w. Endlich aber ist die Entschädigungspflicht den einzelnen
Fleischern gegenüber genau gleich zu wahren, ob der Schlachthof in
den Händen der Stadt oder der Innung sich befindet, und es ist nicht
anzunehmen, daß die einzelnen Fleischer die Entschädigungsansprüche
niedriger stellen oder daß diese bei richterlichem Spruche niedriger
ausfallen, wenn der Schlachthof von der Innung erbaut wird, als wenn
die Stadt den Bau aus ihren Mitteln bestreitet.
Hat aber die Stadtverwaltung ein für allemal gesetzlich die Pflicht
der genauen gesundheitspolizeilichen Ueberwachung, der Anstellung des
Tierarztes und der Fleischbeschauer, der Bücherüberwachung und der
Gebührenfestsetzung, also ohnedies die Hauptverwaltungsarbeiten zu er-
ledigen, so liegt es doch in der Natur der Sache, daß es richtiger ist,
26 GEORG OSTHOFF,
wenn die Stadt die Schlachthofanlage gleich selbst erbaut und betreibt,
welche ihr immerhin einen bestimmten Gewinn einbringt und ihr über-
dies die Sicherheit bietet, daß im Schlachthofe die größte Reinlichkeit
und Ordnung herrschen.
Reinlichkeit und Ordnung sind aber auf einem von der Stadt ver-
walteten Schlachthofe leichter und gründlicher zu schaffen, als in den
Anlagen, welche in den Händen von Unternehmern oder Innungen sich
befinden, da Reinlichkeit und Ordnung zu schaffen, für den städtischen
Schlachthofbeamten die erste Pflicht ist, während sie Zeit und Geld
kosten und somit für den Beamten, welcher den Vorteil des Unter-
nehmers oder seiner Innung in erster Linie im Auge hat, Nebensache
sind. Ebenso ist eine gewissenhafte Untersuchung des Fleisches eher
von städtischen Beamten zu erwarten, als von denjenigen, welche von
Unternehmern oder Innungen angestellt sind, da, wie gesagt, diesen
Angestellten vornehmlich die Pflicht obliegt, für die Rentabilität der
Anstalt zu sorgen.
Die Frage, ob durch die Anlage eines öffentlichen
Schlachthofes und durch den Schlachthauszwang das Fleisch
verteuert werden könnte, ist längst durch die Praxis in den
vielen Städten mit öffentlichen Schlachthöfen verneint worden.
Diese Frage läßt sich aber auch auf rechnerischem Wege einfach
beantworten.
Die Gewichte des Schlachtviehes sind im großen Durchschnitte
folgende :
des Ochsen 500 kg Lebendgewicht, davon 300 kg FJeischgewicht, also ein Verhältnis von 1,7
der Kuh 250 ,, ,, „ 140 ,, „ ,, „ ,, ,, 1,8
des Kalbes 40 ,, ,, „ 25 „ „ „ „ ,, „ 1,6
„ Schafes 30 „ „ „15 „ ,, „ „ „ ,, 2,0
„ Schwein. 150 „ „ „ HO „ „ ., „ „ „ 1,4
Es kostet durchschnittlich:
ein Ochse 1,20 M. für I kg Lebendgewicht, oder 2,00 M. für I kg Fleichgewicht
eineKuh 1,00 ,, ,, 1 ,, ,, ,, 1,80 „ ,, I „ „
ein Kalb o,75 „ ,, I ,, ,. ,, 1,20 ,, „ I „ „
ein Schaf 0,60 ,, ,, 1 „ ,, ,, 1,20 ,, ,, 1 ,, ,,
„ Schweini,oo ,, „ I „ ,, „ 1,40 ,, ,, I ,, „
Wird nun festgesetzt, daß die Gebühren 1 Pfennig von 1 kg Lebend-
gewicht betragen, so ergiebt das bei einem durchschnittlichen Verhältnis
des Lebendgewichtes zum Fleischgewicht wie 1,6 : 1 für 1 kg Fleisch-
gewicht 1,6 Pfennig, und bei einem Durchschnittspreise von 1,60 M. für
1 kg Fleischgewicht eine Erhöhung dieses Preises auf 1,60 -\- 0,016 =
1,616 M. oder rund auf 1,62 M., d. i. eine Preiserhöhung gleich dem
80. Teile des AnsckafFungswertes.
Diese Preissteigerung von 1,60 M. auf 1,62 M. für jedes Kilo-
gramm Fleischgewicht ist aber so gering, daß dieselbe lOOfach aus-
geglichen wird durch die größere Bequemlichkeit, welche den Metzgern
durch die vollkommenen Einrichtungen des Schlachthofes geboten werden,
und dadurch, daß der Verkauf des schlechten oder minderwertigen
Fleisches, welcher vor der Eröffnung eines öffentlichen Schlachthofes in
jeder Stadt bei den kleinen Metzgern in großem Schwünge ist, nach
der Inbetriebsetzung desselben aufhört und somit die besseren Schlachter
ihr gutes Fleisch leichter und in größeren Mengen verkaufen können.
26
Markthallen und Viehhöfe. 27
Daß aber bei diesen geringen Schlachtgebührcn ein Schlachthof
noch rentabel ist, ist durch den Verfasser dieses wiederholt nachge-
wiesen. Die Ausgaben (einschließlich lProz. Amortisation und 2 Proz. Un-
terhaltung) bei einem Schlachthofe ohne Kühlanlage belaufen sich für
Städte von 5.000 bis 15000 Einwohner auf 0,90 bis 0,80 M., bei
größeren Städten auf 0,80 M. für jeden Einwohner und Jahr ; die Ein-
nahmen dagegen unter Anwendung obiger Schlachtgebührea auf 1,30 M.
für jeden Einwohner und Jahr. Da nun ein Schlachthof ohne Kühl-
anlage bei den neuesten vollkommensten Einrichtungen etwa 8 M. für
jeden Einwohner kostet, so ist der Ueberschuß von 1,30 — 0,80 = 0,50 M.
imstande diese 8,00 M. Anlagekosten mit 6,25 Proz. zu verzinsen. Bei
den kleinsten Städten mit 5 000 Einwohnern würde dieser Ueberschuß
nur 1,30—0,96 = 0,34 M. betragen und somit die Verzinsung 4,25 Proz.
ausmachen.
Hieraus ist deutlich genug zu ersehen, daß eine Verteuerung
des Fleisches durch die Seh lacht gebühren nicht ein-
treten kann. Eine solche ist auch nirgends eingetreten, obgleich
an einzelnen Orten die Fleischer eine solche, aber vergeblich, durchzu-
setzen versucht haben. Die auswärtige Konkurrenz zwang dieselben
jedesmal nach kurzer Zeit, die Preise auf die alte Höhe wieder herab-
zusetzen.
2. Das Grundstück.
Je vollkommener der Schlachthof ausgebildet und durchgebildet ist,
desto weniger Wert ist auf die Lage des Grundstücks zu legen. Seit-
dem? die Schlachthöfe in jeder Weise peinlich rein gehalten und mit
den vorzüglichsten Lüftungs- und Desinfektionsanlagen versehen werden,
brauchen die nachstehenden Vorschriften nicht in voller Strenge ein-
gehalten zu werden.
Diese Vorschriften sind:
a) Das Grundstück muß außerhalb der Stadt, aber möglichst nahe
dem Verkehrsmittelpunkt der Stadt liegen, und möglichst so, daß der
Schlachthof nicht inmitten der zukünftigen Bebauung liegt.
Es ist für die Metzger eine gewisse Unbequemlichkeit, vom Innern
der Stadt in die ferne Umgebung zum Schlachthofe wandern zu müssen.
Infolgedessen wird man ein Grundstück wählen , welches unter Ein-
haltung der vorstehenden Bedingung unmittelbar an der Stadt liegt.
Nur ganz große Städte, wie Berlin, können sich den Luxus einer weiten
Entfernung ihres Schlachthofes von dem Mittelpunkte der Stadt erlauben,
da hier nur Großschlächter schlachten, während der Kleinschlächter
sein Fleisch in der Fleischgroßmarkthalle einkauft.
b) Das Schlachthofgrundstück muß stets derart zur Stadt gelegen
sein, daß zwischen beiden eine bequeme Zuwegung vorhanden ist oder
geschaffen werden kann.
Bei ganz kleinen Städten bis 10000 Einwohner genügt eine Zu-
fahrtstraße zum Schlachthofe von 7,0 m einschließlich eines 2,0 m breiten
Fußweges. Bei größeren Städten sollte diese Straße 9,0 m Breite, bei
einem Fußwege von 2,5 m Breite besitzen. Städte über 50000 Ein-
wohner dagegen sollten sich mit einer Straße von weniger als 12,0 m
Breite nicht begnügen, wovon 7,0 m auf die Fahrbahn und je 2,5 m auf
die beiden Fußwege entfallen.
27
28 GEORG OSTHOFF,
c) Das Grundstück ist thunlichst auf derjenigen Stadtseite zu
wählen, in die vom Hinterlande her das meiste Vieh eingetrieben wird,
Diese Regel gilt nur für diejenigen Städte, welche ein Viehzucht
treibendes Hinterland besitzen, die also ihren Bedarf an Vieh aus
nächster Nähe decken. Um das lästige Durchtreiben des Viehes durch
die Stadt zu verhüten, ist es ratsam, den Schlachthof in die Nähe der-
jenigen Straße zu legen, auf der das meiste Vieh angetrieben wird oder,
wenn dasselbe aus mehreren Richtungen zuströmt, diese verschiedenen
Straßen außerhalb der Stadt mit dem Schlachthofe zu verbinden.
d) Das Grundstück muß derart zur bestehenden oder vorgesehenen
Eisenbahn liegen, daß die Anlage eines Geleisstranges von dem nächsten
Bahnhofe möglich ist.
Obgleich selbstverständlich diese Vorschrift nur dann Giltigkeit
hat, wenn ein großer Teil des Schlachtviehes mit der Bahn ankommt,
so unterliegt dieselbe dennoch einer besonderen Einschränkung. Sie
hat eigentlich nur Wert, wenn ein Schlachtviehmarkt im Anschlüsse an
den Schlachthof vorhanden ist oder später geschaffen werden soll.
Denn nur die Händler — und nur diese bevölkern einen Viehmarkt —
lassen Vieh in ganzen Wagenladungen oder ganzen Zügen von auswärts
kommen, und nur für solche, in bestimmt wiederkehrenden Zeiten auf-
zufahrende Viehzüge hat ein Geleisanschluß Wert. Für die hie und
da einmal von einem Metzger bestellte eine Wagenladung Vieh aber
einen besonderen Geleisstrang anzulegen und deshalb ein sonst un-
günstiges Grundstück zu erwählen, wäre verwerflich. Diese wenigen
Wagenladungen Vieh können auch auf dem Bahnhofe ausgeladen , das
Großvieh und die Schafe zum Schlachthofe getrieben, die Kälber und
Schweine dagegen auf Wagen dahin befördert werden.
e) Das Grundstück muß in einer nicht kanalisierten Stadt am un-
teren Laufe eines Flusses liegen und in einer kanalisierten so, daß die
flüssigen Abgänge des Schlachthofes die städtischen Kanäle möglichst
wenig durchlaufen und daß diese Kanäle dann möglichst weit unterhalb
in den Fluß gehen. Ist jedoch ein passendes Grundstück am unteren
Laufe eines Flusses nicht zu bekommen oder ist weder ein Fluß, noch
ein genügend W'asser haltender Bach, noch eine Kanalisation vorhanden,
so ist man genötigt, Abwässerreinigungsanstalten auf dem Schlachthofe
anzulegen, welche nicht nur auf mechanischem Wege, sondern auch auf
chemischem Wege die Abwässer reinigen können. Kläranlagen, welche
die festen Stoffe mechanisch aus den Abwässern entfernen, sind überall
da nötig, wo dieselben die städtischen Kanäle durchfließen oder wo
nicht ein genügend großer Fluß vorhanden ist.
f) Das Grundstück soll so groß sein , daß der darauf angelegte
Schlachthof zu jeder Zeit erweitert und in seinen einzelnen Teilen ver-
größert werden kann.
Gewöhnlich wird der Schlachthof so groß gebaut, daß derselbe
innerhalb der nächsten 10 Jahre nach der Eröffnung nicht vergrößert
zu werden braucht. Da aber mit der Vergrößerung der Stadt der Fleisch-
verbrauch und die Anzahl der Schlachtungen zunehmen , so wird das
Grundstück so groß zu wählen sein, daß der Schlachthof für die nächsten
25 bis 30 Jahre vergrößerungsfähig ist.
Hat das Grundstück eine zweckmäßige Form, d. h. ist dieselbe an-
nähernd rechteckig , wobei sich die Länge zur Breite verhalten möge
wie 1 : 1 bis 3:2, so muß das Grundstück groß sein für Städte von
28
Markthalleu und Viehhöfe. 29
5000 bis 7000 Einwohner O.4 0 qm auf jeden Einwohner
7000 ,, IO 000 ,, 0.35 „ „ ,, „
10 OOO ,, 5OOOO ,, 0,30 „ ,, „ „
über 50000 „ 0,25 „ „ „ „
3. Die Gestaltung der Anlage.
Die Gestaltung der Schlachthofanlage hängt wesentlich von der
Form und Größe des Grundstückes, von der Gestaltung seiner Ober-
fläche, von der Größe der Stadt und vom Klima der Gegend ab.
Die Form und Größe des Grundstücks machen ihren unmittelbaren
Einfluß auf den Entwerfenden geltend, dessen Verständnis aller ein-
schlagenden Verhältnisse es überlassen bleiben muß, die Gruppierung
der Gebäude dem Bedürfnisse entsprechend geschickt zu wählen. Hier
kann aus nahe liegenden Gründen Näheres nicht mitgeteilt werden. —
Der Einfluß, den die Oberflächengestaltung des Grundstückes ausübt, ist
der, daß man der Kostenersparnis wegen gezwungen ist, tiefe Fundamente
zu vermeiden, jedoch nicht wohl den Schlachthof in einem größeren
Gefälle als 1 : 50 anzulegen. Man wird also anstreben, die leichten
Gebäude in die Aufschüttung zu setzen und diese zu einer geschickten
Anlage der Düngerabfuhrstelle auszunutzen. — Die Größe der Stadt
führt entweder zu einem engen Zusammenlegen aller Gebäude oder zu
einem mehr oder weniger großen Auseinanderzerren derselben. — Die
klimatischen Verhältnisse der Gegend üben aber insofern Einfluß auf
die Grundrißanlage des Schlachthofes aus, als es in Gegenden mit
vielen Niederschlägen und starker Kälte von Vorteil ist, die Gebäude
so zu stellen, daß die Beamten und Fleischer von einem Schlachthause
in das andere und von da in die Kaidaunenwäschen etc. unter Dach
gelangen können und somit keine offenen Höfe zu überschreiten brauchen.
Die Rücksichtnahme auf diese letztere Bedingung und auf die Größe
der Stadt hat zu zwei verschiedenen Schlachthof-Anordnungen geführt,
welche der Verfasser dieses — entsprechend dem Lande, in welchem
sie entstanden und entwickelt sind — die „deutsche" und die „franzö-
sische" Anordnung genannt hat.
Bei der französischen Anordnung steht jedes Gebäude für
sich da und ist von Straßen umgeben. Diese Anordnung ist außer in
den französischen, belgischen und italienischen Städten anzutreffen in:
Berlin, Bielefeld, Bremen, Cassel, Chemnitz, Dortmund, Freiburg i. Baden,
Hannover , Karlsruhe , Leipzig , Lübeck , Metz , München , Straßburg,
Wien etc.
Die deutsche Anordnung ist aus dem alten deutschen Schlacht-
und Kuttelhof hervorgegangen, welcher fast durchweg aus einem Ge-
bäude mit mehreren Räumen bestand. Es besteht nun die neue deutsche
Anlageordnung entweder aus einem solchen einzigen Gebäude mit
mehreren den verschiedenen Zwecken dienenden Räumen, oder aus
mehreren zusammenhängenden Gebäuden, oder aus den verschiedenen
Gebäuden, welche durch einen Verbindungsgang miteinander verbunden
sind. — In großen Städten wird man zum Schlachten des Großviehes,
des Kleinviehes (Kälber, Schafe, Ziegen), der Schweine, der Pferde und
des kranken Viehes besondere Gebäude, also 5 getrennte Schlacht-
häuser errichten. In Städten von 15000 bis 50000 Einwohner da-
gegen wird man zweckmäßig das Schlachten des Großviehes und des
Kleinviehes in einer einzigen Halle vornehmen lassen und somit nur
29
30 GEORG OSTHOFF,
4 Schlachthäuser benötigen. Wird überdies in den betreffenden Städten
kein Pferdefleisch verzehrt, so kann das Schlachthaus für Pferde fort-
fallen, und es wird sich schon die Anzahl der Schlachthäuser auf 3
verringern. In noch kleineren Städten endlich wird man das Großvieh,
das Kleinvieh und die Schweine in einer einzigen Halle schlachten
können , sodaß jetzt nur noch 2 Schlachthäuser geschaffen zu werden
brauchen.
Die durch die deutsche Anordnung geforderte unmittelbare Ver-
bindung der Gebäude untereinander ermöglicht eine große Raum- und
Kostenersparais, hat aber bei manchen ausgeführten Anlagen den Fehler
hervorgebracht, eine Vergrößerung der einzelnen Gebäude und eine
Erweiterung der ganzen Anlage, welche infolge der Vermehrung der
Einwohner und der Veränderung des Bedürfnisses notwendig erschien,
undurchführbar werden zu lassen (Stuttgart, Genf, Ulm, Mülheim
a. d. Ruhr etc.). Wo aber diese Vergrößerung durch geschickte An-
ordnung in jeder Weise ermöglicht ist, da ist fast durchgehends eine
Uebersichtlichkeit in den einzelnen Räumen erzielt, welche den Beamten
die Aufsicht wesentlich erleichtert und den Meistern eine bequeme
Ueberwachung ihrer Gesellen ermöglicht.
Als Vorschriften für gute deutsche Anordnungen können gelten:
a) Es sollen die Schlachthäuser entweder unmittelbar oder durch
andere Gebäude oder Räume miteinander in Verbindung stehen.
b) Die Stallungen sollen derart nahe an die Schlachthäuser ge-
rückt werden, daß die Tiere nur kurze Wege haben und leicht von den
Stallungen zum betreffenden Schlachthause bewegt werden können ; be-
sonders sollen die Stallungen der schwer zu treibenden Tiere (Kälber
und Schweine) unmittelbar mit dem bezüglichen Schlachthause in Ver-
bindung stehen.
c) Die Kaidaunenwäschen und Düngerstätten sollen so nahe, wie
überhaupt angängig, bei den Schlachthäusern stehen und von letzteren
unter Dach zu erreichen sein.
d) Das Kühlhaus soll in unmittelbarer Verbindung mit den Schlacht-
hallen stehen, damit das zur Kühlung aus letzteren in das Kühlhaus
zu bringende Fleisch nicht dem Staube der Höfe oder Straßen aus-
gesetzt ist.
e) Eine Vergrößerung der Schlachthäuser, Stallungen, Kaidaunen-
wäschen und des Kühlhauses muß leicht möglich sein.
4. Die Schlachthäuser.
In den Schlachthäusern wird das Schlachten der Tiere, sowie eine
sachverständige Untersuchung derselben, des Fleisches und der inneren
Teile vorgenommen.
In Frankreich bestehen die Schlachthäuser aus einzelnen Kammern,
während in Deutschland überall (mit Ausnahme von Berlin, Metz,
Straßburg und Freiburg in Baden) nur Hallen hergestellt sind.
Die Vorzüge der Schlachthallen bestehen:
a) In der bequemeren, stetigeren und vollkommneren Ueberwachung
der Beamten über die Schlachtungen und über den Gesundheitszustand
der Tiere und des Fleisches.
b) In der stetigeren Ueberwachung der Schlächter untereinander
über die Güte der Schlachttiere und Vollkommenheit ihrer Hantierungen;
die Erfahrung hat gezeigt, daß diejenigen Metzger, welche gewohnt
30
• Markthallen und Viehhöfe. 31
waren, mittelmäßige Tiere zu schlachten, sich bald nach Benutzung des
Schlachthauses, um dem Hohne und Spotte ihrer Genossen zu entgehen,
veranlaßt sahen, in den Kampf um Erwerbung der besten Tiere mit
einzutreten.
c) In der größeren Reinlichkeit, die in einer großen Halle leichter
zu erreichen ist, als in kleinen Kammern, und
d) in der besseren Lüftung.
In Deutschland sind außer in Berlin, Freiburg i. Br. und in den
elsaß-lothringischen Städten in den Schlachthöfen nur Schlacht- Hallen
ausgeführt.
In Berlin deswegen, weil hier nur wenige Großschlächter vor-
handensind, welche jeder einen für sich abgesperrten Raum zur Verfügung
gestellt haben wollen. Die übrigen Fleischer schlachten gar kein Groß-
vieh, sondern höchstens Kleinvieh, kaufen dagegen in der Regel das
Fleisch in der Fleisch-Großmarkthalle.
Die Schlachthäuser sollen im Sommer möglichst kühl, im Winter
möglichst warm sein, sehr viel Tageslicht erhalten und gut gelüftet
sein. Ersteres ist durch starke Mauern und dadurch zu erzielen, daß
man die Hallen in der Längsachse von Nord nach Süd stellt, damit im
Sommer die Mittagsonne nicht durch die Fenster dringen kann. Viel
Tageslicht ist durch seitliche Fenster oder noch besser durch Oberlicht
zu erzielen. Eine gute Lüftung der Hallen kann aber nur durch eine
systematische Zuführung frischer und Abführung der verdorbenen Luft
erreicht werden.
Die Fenster richtet man als Schiebefenster zum Oeffnen ein, jedoch
so, daß unten und oben ein Stück geöffnet wurden kann, während das
Mittelstück fest bleibt. Diese seitlichen Fenster können erst in 2,0 m
Höhe über dem Fußboden beginnen.
Die Wände der Schlachthäuser verputzt man in 2,0 m Höhe in ge-
bügeltem Cementmörtel oder verkleidet dieselben mit glasierten hellen
Ziegeln. Es ist für die unteren Teile der Wände ein Material zu
wählen, welches kein W7asser anzieht und den Schmutz abwaschen läßt.
Oelfarbe darf man erst nach 2 Jahren auf den Cementputz bringen.
Der Fußboden muß fest, dauerhaft und zäh sein und darf beim
Auffallen von schweren eisernen Gegenständen nicht zerspringen; der-
selbe muß das Wasser beim Reinigen rasch und vollständig abführen;
er darf also nicht mit Löchern oder solchen Rillen versehen sein,
welche Wasser und Schmutzteile zurückhalten ; derselbe darf kein
Schmutzwasser in sich aufnehmen, damit die beim Ausdünsten er-
folgenden üblen Gerüche vermieden werden; derselbe darf nicht glatt
sein, damit die Metzger bei ihren schweren Hantierungen nicht aus-
gleiten, sonderni überall festen; Fuß fassen können; derselbe darf
nur geringe Ausbesserungen unterworfen , und es müssen dieselben
leicht auszuführen sein. Meines Erachtens ist ein Cementfußboden, der
jedoch nicht geglättet, sondern nur mit hölzernen Kellen rauh abge-
rieben wird, der beste Fußboden für Schlachthallen.
Das Dach der Schlachthallen besteht am besten aus Holzcement,
welcher sehr dick ist, Wärme und Kälte abhält und sehr wenig Re-
paraturen erfordert. Bei Holzcement kann man in Deutschland sich
die Gewölbe über den Schlachthallen sparen.
31
32 GEORG OSTHOFF,
a) Großvieh-Schlachthäuser.
Die Kammern der Großvieh-Schlachthäuser der französischen Ein-
richtung werden in der Regel zu beiden Seiten eines oben offenen
Hofes oder einer überdeckten Halle angelegt. In den Kammern wird
dann meistens das Großvieh, auf dem Hofe oder in der Halle das Klein-
vieh geschlachtet. Bei der Kammeranordnung ist dann auf dem Schlacht-
hofe nur ein Groß- und Kleinvieh-Schlachthaus eben beschriebener An-
ordnung und ein Schweineschlachthaus, während ein eigenes Schlacht-
haus für Kleinvieh fehlt. Man ersieht hieraus, wie erwünscht es im
allgemeinen ist, das Schlachthaus für Kleinvieh mit dem für Großvieh
zu vereinigen, wie Verfasser dieses auch stets für Schlachthöfe in allen
kleineren Städten bis zu 60000 Einwohner vorschlägt.
Die Größe der Kammern schwankt zwischen 18 und 100 qm. In
Rouen sind wohl die kleinsten bisher ausgeführten Schlachtkammern vor-
handen und zwar in folgenden Maßen: 4,4 auf 4,0 m, also in 17,6 qm
Größe. In Berlin sind die Kammern etwa 9,4 auf 5,2 m, also rund
49 qm groß.
In Fig. 7 und 8 (S. 33, 34) ist das Rinderschlachthaus auf dem
Centralschlachthofe in Berlin abgebildet.
Die Schlachthallen für Großvieh bestehen entweder aus einer
einschiffigen, ungeteilten Halle, oder aus einer dreischiffigen Halle, oder
aus einer fünfschiffigen Halle. Die Schiffe werden durch Säulenreihen
gebildet, welche die Dachkonstruktion der Halle tragen.
Die Bequemlichkeit, welche die einschiffige Halle im Betriebe vor
den geteilten Hallen voraus hat, und die größere Uebersichtlichkeit,
welche sie bietet, wird durch die großen Kosten eines komplizierten
Dachstuhls aufgewogen. Die einschiffige Halle ist daher nur in wenigen
Schlachthöfen bei Anwendung beweglicher Winden zur Durchführung
gekommen und zwar in Dresden, Hannover und Liegnitz.
Die dreischiffige Halle (Fig. 9 u. 10, S. 34, 37) ist dagegen die gebräuch-
lichste, während eine fünfschiffige Schlachthalle nur in Braunschweig
angewendet ist, jedoch irgend einen Vorzug vor der dreischiffigen nicht
aulweist, dagegen an Unbequemlichkeit und geringerer Uebersichtlich-
keit leidet. Die dreischiffige Halle besteht aus einem Mittelgange
und zwei seitlichen Schlachtständen, oder es wird bei Anwendung be-
weglicher Winden oftmals das eine Seitenschiff zum Schlachten der
Tiere, das andere zum Auskühlen derselben benutzt.
Die größte Anzahl der an einem Tage vorkommenden Schlachtungen
sollte maßgebend für die Größe der Schlachthalle sein. Da aber durch
Errichtung eines genügend großen Kühlhauses die Fleischer nicht mehr
dann schlachten, wenn der Bedarf ein großer ist, also nicht ein oder
zwei Tage vor den Sonn- und Feiertagen, sondern dann, wenn sie das
Vieh erhalten, so werden in der Regel zwei bis drei Hauptschlachttage
in jeder Woche angenommeu werden können, also im Jahre bei 300
Arbeitstagen und 50 Arbeitswochen 100 — 150 Schlachttage. Dividiert
man die Anzahl der in einem Jahre vorgekommenen Schlachtungen durch
diese Zahl 100 oder 150 und multipliziert diesen Quotienten mit 1,5,
so erhält man die größte Anzahl der an einem Schlachttage vorkommenden
Großviehschlachtungen, welche für die Größe des Schlachthauses maß-
32
Markthallen und Viehhöfe.
33
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Handbuch der Hygiene. Bd. VI.
33
34
GEORG OSTHOFF,
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Fig. 8.
Central-Schlacht- und Viehhof zu Berlin.
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Fig. 9.
Schlachthof zu Cassel. Arch. : Weiss.
34
Markthallen und Viehhöfe. 35
gebend ist. Im großen Durchschnitt werden im Jahre 0,12 Stück
Großvieh für jeden Einwohner einer Stadt geschlachtet.
b) Kle invieh- Schachthäuser.
Wie schon bei den Großvieh-Schlachthäusern erwähnt, sind die
Kleinvieh-Schlachthäuser bei Städten bis zu etwa 60 000 Einwohnern in
der Regel mit dem Großvieh - Schlachthause vereinigt, da in der
Regel die Großviehmetzger auch Kleinvieh schlachten. Einzelne
Techniker haben sich jedoch durch die Hakenrahmen, welche sowohl
das Schlachthaus für Kleinvieh, als auch das für Schweine gebraucht,
verleiten lassen , beide Schlachträume zusammenzulegen. Bedenken
hat dies nur in sofern als daß die Groß- und Kleinviehmetzger die
Bequemlichkeit vermissen, in einem einzigen Räume schlachten zu
können. Selbstverständlich ist dann aber erste Bedingung, daß das
Schweinebrühhaus vom Schlachthause durch eine oben geschlossene
Wand getrennt und gut gelüftet ist.
Wegen des geringen Gewichtes des Kleinviehes sind Aufzugsvor-
richtungen nicht nötig, sodaß man sich mit Hakenrahmen begnügt.
Die Schlachthalle für Kleinvieh ist in der Regel ebenso erbaut,
wie die für Großvieh. Die Hakenrahmen stehen dann an den 3 Seiten
eines Schlachtstandes, welcher die ganze Breite des Mittelschiffes ein-
nimmt und die Länge von 3,8m, besser von 4 mhat, wobei dieser Schlacht-
stand nach dem Mittelgange offen ist.
Da auch bei der Bemessung der Größe des Schlachthauses die
größte Anzahl der an einem Tage vorkommenden Schlachtungen maß-
gebend ist, so kann dieselbe, wenn nicht bekannt, folgendermaßen be-
rechnet werden : Bei 300 Arbeitstagen und 50 Wochen und bei wöchent-
lich 2 — 3 Schlachttagen, also bei jährlich 100 — 150 Schlachttagen, ge-
nügt es, um die größte Anzahl der Schlachtungen an einem Tage zu
finden, wenn man die Anzahl der jährlichen Schlachtungen dividiert
durch 100 — 150 und diesen Quotienten mit 1,5 multipliziert. Die An-
zahl der jährlichen Schlachtungen beträgt im Durchschnitte etwa 0,35
für jeden Einwohner.
c) Schweineschlachthäuser.
Da den Schweinen nicht, wie dem Groß- und Kleinvieh, die Haut
abgezogen wird, sondern nur die Borsten abgeschabt werden, nachdem
sie in heißem Wasser erweicht sind, zerfällt das Schlachten der Schweine
in zwei Teile, welche räumlich von einander getrennt werden können
und wegen der übel riechenden Dämpfe, welche beim Brühen ent-
stehen, auch getrennt werden müssen. So entstehen zwei getrennte,
jedoch zusammengehörige Räume, der Brühraum, in welchem das
Schwein abgestochen und enthaart wird, und der Ausschlachteraum,
in welchem dasselbe vollständig ausgeschlachtet, seiner Eingeweide be-
raubt und ausgekühlt wird. Da nun die enthaarten Tiere von dem
Brühraum in den Ausschlachteraum gelangen müssen, ist es zweck-
mäßig, diese beiden Räume nebeneinander zu legen, aber nach Mög-
lichkeit durch eine Wand von einander zu trennen, ohne den Transport
der enthaarten Schweine ins Ausschlachtehaus zu behindern.
3*
35
36 GEORG OSTHOFF,
Je nach der Lage des Brühhauses zur Ausschlachtehalle smd 4 ver-
schiedene Anordnungen des Schweineschlachthauses möglich und zwar:
a) Der Brühraum liegt im Mittelschiffe einer dreischiffigen Halle, deren
beide Seitenschiffe die Ausschlachteräume bilden. Diese Anordnung ist
in München ausgeführt (Fig. 10). b) Der Brühraum liegt in der Mitte
der Halle, geht durch die ganze Breite derselben, und es lehnen sich
beiderseitig die Ausschlachtehallen an, wie die Figur 1 1 des Schweineschlacht-
haus zu Graz zeigt, c) Der Brühraum befindet sich am Ende des Schweine-
schlachthauses (s. Fig. 13). d) Der Brühraum befindet sich an einer
Längsseite der Schlachthalle (s. Fig. 12 der Schlachthalle in Halle a. S.).
Die letzten beiden Anordnungen sind die zweckmäßigsten, da von
einem Ende nach einer Richtung hin die Tiere am bequemsten befördert
werden können. Bei diesen Anordnungen ist es auch möglich, die Schweine-
ställe direkt an die Brühhalle und die Kaidaunenwäsche direkt an die
Ausschlachtehalle zu legen, und so alle Räume bequem anzuordnen und
den Gegenstrom zu vermeiden.
Bei der letzten Anordnungen sind im Brühraume Enthaarungstische
angeordnet, von welchen die enthaarten Tiere mittels Laufwinden fort-
genommen und an einen beliebigen Haken der Hakenrahmen gehängt
werden. Deshalb sind dort die Hakenrahmen in der Richtung nach dem
Brühraume laufend entworfen. Hierbei sind große Oeffnungen zwischen
Brühraum und Ausschlachteraum erforderlich, sodaß eine Trennung der
beiden Räume nur in etwa 2,5 m Höhe über den Laufwinden mittels
einer Wand möglich ist.
In manchen Städten sind die Fleischer jedoch gewöhnt, nicht auf
Tischen, sondern auf niedrigeren Schrägen die Schweine zu enthaaren,
dann macht man diese Schrägen fahrbar, indem man sie vorne mit
2 Rädern und hinten mit 2 Handhaben versieht. In diesem Falle ist
eine Bewegung der Schweine aus dem Brühraume nach dem Ausschlachte-
raume mittels Laufwinden unnötig, da dieser Transport durch die fahr-
baren Schrägen von statten geht. Dann aber kann auch eine andere An-
ordnung der Hakenrahmen, und zwar so, wie bei der Kleinvieh-Schlacht-
halle angenommen, passend erscheinen, allerdings nur bei der Anordnung c.
Man wird dabei den Brühraum vom Ausschlachteraum von unten bis
oben durch eine Mauer trennen und nur im Mittelschiffe des Aus-
schlachteraumes, welches als Gang dient, eine genügend große Oeffnung
anbringen, wie das im Erfurter Schweineschlachthause (Fig 13) ge-
schehen ist.
(Fig. 10, 11, 12 und 13 S. 37, 38, 39 und 40.)
Je nach den Anordnungen des Brühraumes zum Ausschlachteraume
wird man die Konstruktion des Schweineschlachthauses wählen. Säulen
sind in der Regel überall zu stellen, da sie die Anbringung der Haken-
rahmen erleichtern.
Wichtig ist die Entlüftung des Brühraumes, welche bis vor kurzem
nicht zu erreichen war, bis der Verfasser dieses mit dem Ventilations-
spezialisten Alexander Huber in Köln a. Rh. in Verbindung trat
und eine von beiden bearbeitete, dem H u b e r patentierte Lüftungsan-
lage auf dem vom Verfasser dieses erbauten Schlachthofe in Dessau
zur Durchführung brachte, welche sich trotz mancher Unvollkommen-
heilen in der Ausführung sehr gut bewährt hat (s. 12, Die inneren Ein-
richtungen).
In manchen Schweineschlachthäusern, selbst der allerneuesten Zeit,
*6
Markthallen und Viehhöfe.
37
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Fig. 10.
Schlacht- und Viehhof zu München.
Arch. : Zenetti.
37
38
GEORG OSTHOFF,
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Markthallen und Viehhöfe.
39
Fig. 12.
Schlacht- und Viehhof zu Halle a./S.
Arch.: Osthoff.
39
40
GEORG OSTHOFF,
findet man die Anordnung, daß die Schweinegedärme im Schlachthause
selbst gereinigt werden, so in Mülheim a. d. Ruhr, Braunschweig,
Wiesbaden, Bonn, München und Leipzig. Diese Anordnung ist sehr
wenig empfehlenswert, da das Reinigen der Eingeweide einesteils heißes
Wasser beansprucht, welches, mit den schmutzigen Gedärmen in Be-
rührung kommend, übel riechende Dämpfe entwickelt, die dem in der
Nähe hängenden, zum Auskühlen bestimmten Fleische nur schädlich
sein können, anderenteils aber auch die schmutzigen Eingeweide nicht
schnell genug aus dem Schlachthause, in welchem durchaus auf größte
Reinlichkeit zu sehen ist, entfernt und in solche Räume gebracht
.JCkvuc-vvu&vvC rjtt/vv ,
Fig. 13.
Schlachthof zu Erfurt. Arch. : Spielhagen.
werden können, welche für diese übel riechenden Tierteile besonders
eingerichtet und mit allen erforderlichen Lüftungsvorrichtungen ver-
sehen sind. Ist es jedoch nicht möglich, eine genügend große Kal-
daunenwäsche in nächstem Anschlüsse an das Schweine-Ausschlachte-
haus zur Ausführung zu bringen, was allerdings anzuraten und vor-
zuziehen ist, so möge man das Brühhaus zugleich als Kaidaunen-
wäsche einrichten und dementsprechend größer gestalten. Es werden
dadurch die gerügten Uebelstände vermieden; allein es empfiehlt sich
diese Anordnung bei starkem Betriebe nicht, weil im Verkehre Gegen-
strömungen auftreten. Es müssen nämlich zunächst die Schweine vom
Brühhause in das Ausschlachtehaus und dann die Kaidaunen von hier
in das Brühhaus zur Kaidaunenwäsche zurück. Sind diese Gegen-
strömungen in den Schlachthöfen mittlerer und großer Städte zu ver-
meiden, so kann die zuletzt erwähnte Anordnung, die Kaidaunenwäsche
für Schweine in das Brühhaus zu legen , bei kleinen Städten mit
einer Anzahl bis zu 15000 Einwohnern im allgemeinen als nicht un-
zweckmäßig bezeichnet werden.
Im großen Durchschnitte kommen auf jeden Einwohner jährlich
0,18 Schlachtungen. Zur Berechnung der Größe des Schlachthauses
werden wieder 2 oder 3 wöchentliche oder 100 — 150 jährliche Schlacht-
4o
Markthallen und Viehhöfe. 41
tage angenommen. Behufs Berücksichtigung der stärksten Schlachttage,
falls diese nicht bekannt sind, kann angenommen werden, daß diese
zweimal so groß sind, als die durchschnittlichen täglichen Schlachtungen,
welche zu ermitteln sind, indem man die Anzahl aller jährlichen Schlach-
tungen durch 100 oder 150 dividiert.
d) Schlachthaus für Pferde.
Das Schlachthaus für Pferde bedarf derselben Einrichtungen, wie
das für Großvieh. Es enthält demnach ein oder mehrere Großvieh-
winden, einen Brühkessel, Hakenrahmen und Kaldaunenwaschgefäße.
Das Schlachthaus darf der großen und schlagenden Tiere wegen nicht
zu klein sein. Die kleinsten Innenraummaße sind 5,0 auf 5,0 m.
e) Schlachthaus für krankes Vieh.
Da in diesem Schlachthause alle Viehgattungen geschlachtet werden,
so ist dasselbe mit Großviehwinden , mit Hakenrahmen für Kleinvieh
und Schweine, mit einem Brühkessel, mit Kaldaunenwaschgefäßen etc.
zu versehen. Kurze Zeit nach Eröffnung des Schlachthofes kommen
selten noch kranke Tiere auf den Schlachthof, sodaß dieses Schlacht-
haus möglichst klein zu machen ist.
Bei kleineren Schlachthöfen genügt es, einen Stall für Großvieh,
Kleinvieh und Schweinen unmittelbar an das Schlachthaus für krankes
Vieh zu erbauen. Für große Schlachthöfe ist aber auch noch ein be-
sonderer Stall für verdächtiges Vieh aller Viehgattungen herzustellen.
Während aus dem ersten Stalle alles Vieh in das Schlachthaus für
krankes Vieh gelangt, kann dasselbe aus dem Untersuchungsstalle
ebensowohl in dies Schlachthaus befördert, als auch als gesund dem
Metzger wieder überliefert werden.
5. Kai dau neuwaschen.
Kaidaunenwäschen (Kuttlereien, Kutteleien) sind auf kleinen Schlacht-
höfen mindestens eine, auf größeren zwei vorhanden, und zwar eine für
Groß- und Kleinvieh und eine für Schweine. Dieselben sollten stets
in unmittelbarer Nähe der betreffenden Schlachthallen liegen und mit
diesen unter Dach verbunden sein, doch so, daß die üblen Gerüche
nicht in die Schlachthallen treten können. Diese Kaidaunenwäschen
sind mit Trögen zum Reinigen der Eingeweide, zwischen denen Tisch-
platten liegen und über denen Hähne für kaltes und heißes Wasser an-
gebracht sind, ausgestattet. Auch sind in der Regel ein Bottich zum
Brühen der Füße und ein Heißwasserbottich, sowie ein oder mehrere
Entfettungstische angebracht.
Betreffs der Größe der Kaidaunenwäschen ist zu beachten , daß
vor den Waschgefäßen ein Raum von 3,0 m Breite freibleibt, damit die
Metzger bequem stehen und die Kaidaunen hinter ihnen in kleinen
Karren angefahren werden können. Ferner ist zu beachten, daß so
viel Tröge vorhanden sein müssen, als an einem Tage Schlachtungen
vorkommen, daß aber in jedem Kaidaunentrog täglich die Kaidaunen
von 12 Stück Großvieh, von 24 Stück Kleinvieh und von 18 Schweinen
gereinigt werden können.
41
42 GEORG OSTHOFF,
Zum Vorreinigen der Großviehmägen sind häufig und zweckmäßig
dreimal so große Tröge bei dem Düngerhause angebracht.
6. Kühlanlagen 13.
Ein Kühlhaus sollte keinem Schlachthofe fehlen, da dieses erst
die gesundheitliche Anlage zu einer vollkommenen macht. Während
man früher Eiskühlhäuser erbaute, um das Fleisch im Sommer vor dem
Verderben zu schützen, dies aber nur in sehr unvollkommener Weise
erzielte, da das Fleisch sich schon nach einigen Tagen darin mit einem
feuchten Schimmel überzog und an Güte abnahm, erbaut man jetzt
Kühlhäuser, in welchen die Luft mittels Maschinen künstlich abgekühlt
und getrocknet wird.
Das Fleisch erhält sich am längsten , wenn es in einer abge-
trockneten Luft und bei einer Temperatur von -h 2 bis + 5 Grad C.
aufbewahrt wird. Alle guten Kühleinrichtungen verfolgen nun den
doppelten Zweck, einmal die Kühlhausluft auf diese Temperatur ab-
zukühlen und diese Luft zugleich von ihren Wasserdämpfen soweit zu
befreien, daß sie imstande ist, die Feuchtigkeit, welche das zu kühlende
Fleisch bei der Abkühlung von sich giebt, in sich aufzunehmen.
Um die in einem Räume eingeschlossene Luft von einer hohen
Temperatur auf eine niedrigere zu bringen, ist es bekanntlich nur nötig,
einen abgekühlten Gegenstand in diesen Raum zu schaffen. Alsdann
wird sofort ein Temperaturausgleich zwischen der warmen Luft des
Kühlraumes und dem kalten Körper vor sich gehen, bis beide dieselbe
Temperatur besitzen. Wird nun dieser eingebrachte kalte Körper auf
einer bestimmten niederen Temperatur erhalten, so muß die Luft in
dem Kühlraume sich nahezu auf diese Temperatur abkühlen, wenn da-
für gesorgt wird, daß nur in einem bestimmten Verhältnisse ein
Temperaturausgleich zwischen der Kühlhausluft und der äußeren
Luft stattfinden kann.
Hieraus ergiebt sich, daß eine Kühlanlage mit künstlicher Luft-
kühlung aus drei Teilen besteht und zwar: 1) aus dem Kälte-Erzeuger,
(der Kühlmaschine) ; 2) aus dem Kälte-Uebertrager (der Kühleinrichtung) ;
3) aus dem Kühlraume. Dies drei Teile können nach verschiedenen
Grundsätzen ausgeführt werden und hängen nur sehr lose miteinander
zusammen.
A. Die Kältemaschinen.
a) Allgemeines.
Die in Deutschlandjetzt noch angewendeten Kältemaschinen arbeiten
mit flüchtigen Flüssigkeiten, und zwar mit Ammoniak, schwefliger Säure
und Kohlensäure. Sie bestehen im wesentlichen aus drei Apparaten
und zwar:
1) Aus dem Verdampfer, welcher auch Generator oder Re-
frigerator genannt wird.
Derselbe besteht aus Rohrschlangen, welche in einem Kasten ange-
ordnet sind. In letzterem umspült die abzukühlende Luft oder Salz-
flüssigkeit die Rohrschlangen. Dem einen Ende dieser Schlangen fließt
42
Markthallen und Viehhöfe. 43
fortwährend eine tropfbar flüssige Flüssigkeit zu, verdampft in denselben
und entweicht als Dampf am anderen Ende, nachdem diese Flüssigkeit
sämtliche Schlangenreihen durchstrichen hat. Zur Verdampfung der
Flüssigkeit in den Röhren ist Wärme nötig, welche — sofern die Um-
gebung der Röhren wärmer ist, als die verdampfende Flüssigkeit —
dieser Umgebung, also der die Röhren umspülenden Luft oder Salz-
flüssigkeit entzogen wird. Demnach wird diese Luft oder die Salzflüssig-
keit abgekühlt. Die durch die Rohrschlangen fließende tropfbar flüssige
Flüssigkeit muß eine solche Flüssigkeit sein, welche unter gewöhnlichem
Atmosphärendrucke und bei jeder Atmosphärentemperatur sich verflüchtigt,
also z. B. Ammoniak, schweflige Säure, Kohlensäure etc.
2) Aus einem Apparat, welcher die doppelte Aufgabe zu erfüllen
hat, die im Verdampfer entwickelten Dämpfe der flüchtigen Flüssigkeit
aufzunehmen und sie in dampfförmigem Zustande zu verdichten.
3) Aus dem Kondensator, welcher die im zweiten Apparate
verdichtete dampfförmige flüchtige Flüssigkeit wieder in den tropf-
bar flüssigen Zustand zurückzuführen hat, damit dieselbe von neuem
kältebildend in dem Verdampfer wirksam sein kann.
Auch dieser Apparat besteht aus Rohrschlangen, welche in einem
eisernen Kasten sich befinden. In den oberen Teil der Rohrschlangen
treten die verdichteten Dämpfe ein, und aus dem unteren heraus, von wo
sie wieder zum Verdampfer gelangen. Die Röhren werden fortwährend
von möglichst kaltem Wasser, dem sog. Kühlwasser umspült, welches
den Röhren und ihrem Inhalte, der dampfförmigen flüchtigen Flüssigkeit,
Wärme entzieht und diese dampfförmige Flüssigkeit unter Druck wieder
in eine tropfbare Flüssigkeit verwandelt.
Der erste Apparat, der Verdampfer, bringt die tropfbare Flüssig-
keit in Dampfform, indem dieselbe der Umgebung die dazu nötige Wärme
entzieht. Diese Dämpfe werden im zweiten Apparate verdichtet, wo-
durch eine Erwärmung derselben erfolgt. Der dritte Apparat, der
Kondensator, bezweckt, die warmen verdichteten Dämpfe dadurch
wieder tropfbar zu machen, daß denselben die überschüssige Wärme
wieder entzogen wird.
Je nach der Konstruktion des zweiten Apparates zerfallen die mit
flüchtigen Flüssigkeiten arbeitenden '„ Kältemaschinen in Absorptions-
oder in Kompressions-Kältemaschinen.
I. Bei den Absorptionskältemaschinen besteht dieser
zweite Apparat im wesentlichen aus drei Teilen, und zwar:
a) Dem Absorber, einem Gefäße, in welchem fortdauernd eine
Flüssigkeit (in der Regel Wasser) enthalten ist, welche Dämpfe begierig
aufsaugen, absorbieren und sich mit denselben sättigen kann ; ß) der
Pumpe, welche die stark gesättigte Absorptionsflüssigkeit aus dem Ab-
sorber aufsaugt und weiterschafFt nach y) dem Destillations-
kessel, der mit Dampf oder direkter Feuerung geheizt wird und in
dessen Inneres die starke Absorptionsflüssigkeit mittels der Pumpe ge-
drückt wird. Die Erwärmung auf entsprechende Temperatur bewirkt,
daß die flüchtige Flüssigkeit dampfförmig ausgetrieben und dem Kon-
densator zugeführt wird.
43
44 GEORG OSTHOFF,
IL Bei den Kompressionskältemaschinen besteht der
zweite Apparat aus einer zumeist doppeltwirkenden Saug- und Druck-
pumpe, dem Kompressor. Dieser saugt die Dämpfe aus dem Ver-
dampfer, verdichtet sie und schiebt sie in den Kondensator.
ß) Die Absorptionskältemaschinen.
Bei diesen von Carre' erfundenen Maschinen wird ausschließlich
Ammoniak als flüchtige Flüssigkeit und ferner Wasser oder eine schwache
Ammoniaklösung als Absorptionsflüssigkeit benutzt. Ihres teuren Be-
triebes wegen werden die Absorptionskältemaschinen mehr und mehr
verlassen und bald von den Kompressionskältemaschinen ganz ver-
drängt sein.
Die einzelnen Konstruktionen, welche von verschiedenen Fabriken
ausgeführt werden, weichen wenig voneinander ab.
y) Die Kompressionskältemaschinen.
Bei diesen unterscheidet man solche, welche mit permanenten
Gasen, und solche, welche mit flüchtigen Flüssigkeiten ar-
beiten.
1. Kompressionskältemaschinen, welche mit permanenten Gasen arbeiten.
Diese werden repräsentiert durch die Kaltluftmaschinen, wie solche
früher nach dem Systeme von Franz Windhausen, jetzt nachdem
Systeme von Bell-Colemann und dem von Lythfoot ausgeführt
werden.
Die Luft wird zunächst aus dem Räume, in welchem Kälte erzeugt
werden soll, angesaugt, dann komprimiert und in einen Kühlapparat
gedrückt, in welchem sie unter konstant bleibendem Drucke durch Kühl-
wasser gekühlt wird. Dann wird diese komprimierte und abgekühlte
Luft stark ausgedehnt und in den zu kühlenden Raum ausgestoßen,
wobei sie Wärme aufnimmt und so auf den Raum abkühlend wirkt.
Diese Maschinen müssen im Vergleiche zu ihrer Kälteleistung sehr
groß gebaut werden, weil die Luft eine geringe spezifische Wärme besitzt.
Die in der Luft enthaltene Feuchtigkeit, welche noch vermehrt wird da-
durch, daß zur Vermeidung von schädlicher Ueberhitzung eine Wasser-
einspritzung nötig wird, setzt sich, wenn nicht vorzügliche Entwässerungs-
apparate in der Druckleitung angeordnet werden, in Schneeform an den
Ventilen und in den Kanälen fest, bewirkt Verstopfungen, Undichtig-
keiten, kurz Beeinträchtigungen der Kälteleistung. Die großen Maschinen,
welche dazu noch rasch laufen müssen, um nicht in kolossale Dimen-
sionen auszuarten, sind starken Erschütterungen und häufigen Repara-
turen ausgesetzt, besonders dann, wenn Kompression und Expansion der
Luft in ein und demselben Pumpencylinder vorgenommen wird.
Windhausen's Maschine arbeitete nur mit einem Cylinder, Bell-
Colemann und Lythfoot haben deren zwei angeordnet, einen Kom-
pressions- und einen Expansionscylinder, deren Volumen sich etwa wie
2 : 1 verhalten.
Diese Maschinen erfordern viel Kraft zum Betriebe der Pumpen-
44
Markthallen und Viehhöfe. 45
cylinder, viel Einspritzwasser, viel Kühlwasser für den Luftkühlapparat,
und sie gehen direkt kalte Luft.
Von BedeutuDg waren die Kaltluftmaschinen nur da, wo es sich
um die Kühlung kleiner Räume handelte, z. B. der Provianträume auf
Schiffen, der Kühlräume auf Fleischtransportschiffen und in Export-
schlachtereien etc., aber auch hier macht sich schon das Bedürfnis
nach Kompressionskältemaschinen, welche mit flüchtigen Flüssigkeiten
arbeiten, geltend.
2. Kompressionskältemaschinen, welche mit flüchtigen Flüssigkeiten
arbeiten.
Je nach der Art der verwendeten Arbeitsflüssigkeit lassen die
Kompressionskältemaschinen, welche mit flüchtigen Flüssigkeiten ar-
beiten, sich einteilen in : 1) Schwefligesäure-Maschinen ; 2) Ammoniak-
maschinen ; 3) Kohlensäuremaschinen.
a) Die Schwefligesäure -Kompressionskältemaschi-
n e n , zu denen die alten und neuen Pictet-Maschinen gehören, werden,
seitdem sie in dem Wettstreit zwischen dieser und der Linde' sehen
Ammoniakmaschine unterlegen sind, wenig mehr angewendet. Die alte
Pictet-Maschine, welche nur mit schwefliger Säure arbeitet, besteht aus den
3 Apparaten, dem Verdampfer, dem Kompressor und dem Kondensator.
Sie arbeitet unter geringem Kondensatordrucke von 2 bis 4 Atmosphären,
mit überhitzten Dämpfen und ohne Schmierung. Sie ist veraltet und
wird kaum noch in Deutschland gebaut. — Die neuen Pictet-Maschinen
bestehen ebenfalls nur aus den 3 Hauptapparaten, dem Verdampfer, Kom-
pressor und Kondensator, und arbeiten ebenfalls mit einem Kondensator-
drucke von nur 2 bis 4 Atmosphären (je nach der Temperatur des vor-
handenen Kühlwassers). Als flüchtige Flüssigkeit wird eine Mischung
von schwefliger Säure und Kohlensäure verwendet. Die beigefügte
Kohlensäure bezweckt eine geringe Erhöhung des Kompressor-Saugdruckes,
sodaß derselbe für gewöhnlich höher als der atmosphärische ist und das
Eindringen der so schädlich wirkenden Außenluft verhindert.
b) Am gebräuchlichsten sind die Ammoniak-Kompressions-
kältemaschinen. Sie arbeiten unter einem Kondensatordruck von
7 — 12 Atmosphären, weshalb die Stopfbüchsen, sofern sie dicht halten
und bedeutende Verluste an Ammoniak vermieden werden sollen, nicht
einfach und trocken verpackt werden können, sondern aus drei ver-
schiedenen Teilen bestehen müssen, welche besonderen Zwecken dienen.
Je vollkommener die Vorkehrungen zur Verhinderung der Ammoniak-
verluste und des Uebertrittes des Schmieröles in die Schlangen des
Verdampfers und Kondensators sind, um so besser ist die Maschine.
c) Die Kohlensäure - Kompressionskältemaschinen
stimmen im wesentlichen mit den Ammoniakkältemaschinen überein,
arbeiten mit Kohlensäure bei einem Kompressordrucke von 40—60 Atmo-
sphären und sind deshalb sehr kompendiös. Diese Maschinen sind
neuerdings in Gebrauch gekommen.
45
46 GEORG OSTHOFF,
B. Die Kühlvorrichtungen.
«) A 11 gern eines.
Zur Kühlung von Fleischkühlräumen ist in erster Linie Kälte nötig.
In der Kältemaschine wird die Kälte erzeugt; in der Kühleinrichtung
wird sie zur Kühlung der Luft in den Kühlräumen verwertet, und es
ist für die Kühleinrichtung an sich vollständig gleichgiltig, durch welche
Kältemaschine diese Kälte hervorgebracht wird.
Zur Erhaltung des Fleisches ist eine Kühlhallenluft erforderlich,
welche gleichmäßig kühl (+ 2 bis +5 Grad C.) gehalten wird,
von Staub und Bakterien frei und relativ trocken ist (mit 75—80 Proz.
Feuchtigkeitsgehalt). Zu trocken darf die Luft nicht sein, weil sonst
dem Fleische zu viel Feuchtigkeit entzogen und sein Gewicht zu sehr
vermindert wird.
Die Kühlung der Kühlraumluft kann mittelst der verschiedensten
Einrichtungen geschehen, wenn die notwendige Kälte vorhanden ist.
Die Trocknung der Luft kann sowohl durch entsprechende Ab-
kühlung, als auch, und zwar noch intensiver durch Absaugung mittels
konzentrierter Salzlösungen erfolgen. Da kalte Luft weniger Feuchtig-
keit in sich aufnehmen kann, als wärmere Luft, so ist die kältere Luft
bei ihrer Erwärmung an dem Fleische in dem Kühlraume imstande,
einen Teil der Feuchtigkeit des Fleisches in sich aufzunehmen. Die
Eigenschaft, welche Chlornatrium und Chlorcalcium, sowie z. T. ihre
konzentrierten Lösungen besitzen, der Luft Feuchtigkeit zu entziehen,
wird benutzt, um die kalte Luft für den Kühlraum abzutrocknen, in-
dem diese kalte Luft durch einen Hegen dieser kalten Lösungen durch-
getrieben wird.
Die Kühleinrichtungen lassen sich einteilen:
1) In solche, bei denen eine schwer gefrierende Salzlösung als
Kälteträger benutzt wird, wobei also die Kältemaschine zur Herstellung
dieser kalten Salzlösung dient. Bei dieser Einrichtung besteht der Ver-
dampfer (Refrigerator) der Kältemaschine aus einem eisernen, vor Wärme
gut geschützten Kasten, in welchem eiserne Röhrenschlangen sich befinden.
In letzteren verdampft die Arbeitsflüssigkeit (Ammoniak, Kohlensäure etc.).
Der Kasten wird mit einer Salzflüssigkeit gefüllt, welche ihre Wärme
an die in den Röhren verdampfende Arbeitsflüssigkeit abgiebt und so-
mit selbst erkaltet. Es kann nun a) die Kühlhausluft mittelbar mit
dieser abgekühlten Salzlösung, oder b) unmittelbar mit derselben in Be-
rührung gebracht werden.
2) In solche, bei denen keine Salzlösung verwendet, sondern die
Luft an den Röhrenschlangen des Verdampfers (Refrigerators) der
Kältemaschine gekühlt wird.
In beiden Fällen muß entweder die abgekühlte Salzflüssigkeit oder
die abgekühlte Luft zum Kühlhause getrieben werden.
ß) Kühleinrichtungen mittels Röhren, durch welche
kaltes Salzwasser strömt.
Bei dieser Einrichtung wird eine schwer gefrierende Salzlösung als Kälte-
träger benutzt, wobei also die Kältemaschine zur Abkühlung dieser Salzlösung
dient. Dabei besteht der Verdampfer der Kältemaschine aus einem eisernen,
46
Markthallen und Viehhöfe. 47
vor Wärme gut geschützten Kasten mit eisernen Röhrenschlangen, in
welchen die Arbeitsflüssigkeit (Ammoniak, schweflige Säure, Kohlen-
säure etc.) verdampft. Der Kasten wird mit einer Salzflüssigkeit gefüllt,
welche ihre Wärme an die in den Röhren verdampfende Arbeitsflüssig-
keit abgiebt und somit selbst erkaltet. Das im Verdampferkasten abge-
kühlte Salzwasser wird mittels einer Pumpe durch Röhren getrieben,
welche entweder in dem Fleischkühlraume selbst oder in einem be-
sonderen Luftkühlraume sich befinden, und gelangt nach Durchstreifung
aller Röhren etwas erwärmt in den Verdampferkasten zurück, wo es
abermals abgekühlt wird, um seinen Kreislauf wiederum zu beginnen.
Liegen die Röhren in einem besonderen Luftkühlraume, so muß die ab-
gekühlte Luft aus dem Luftkühlraume durch mechanische Mittel in den
Fleischkühlraum übergeführt werden; während dann, wenn die Röhren
im Fleischkühlraume selbst liegen, die natürliche Bewegung der Luft
zur gleichmäßigen Erkaltung des Fleischkühlhauses genügt.
Die Kühlung mittels Röhren hat den Nachteil, daß eine vollständig
ausreichende Trocknung der Luft, welche bei den Fleischkühlräumen ver-
langt werden muß, nicht erzielt werden kann, da nur ein Teil der Luft
mit den Röhren in unmittelbare Berührung kommt und ihre Feuchtig-
keit als Reif und Schnee, welcher sich an den Röhren ansetzt, abgiebt.
Da dieser Reif eine Kruste um die Röhren bildet, so verhindert derselbe
zum Teil die Uebertragung der Kälte an die Luft, sodaß die Röhren
von Zeit zu Zeit abgetaut werden müssen. Dadurch aber wird der
Luft von neuem Feuchtigkeit zugeführt. Um dies zu vermeiden, dürfen
die Röhren nicht im Kühlraume selbst, sondern in einem oder zwei be-
sonderen Luftkühlräumen liegen, welche im Ganzen die doppelte Anzahl
Röhren besitzen, die abwechselnd im Kältebetriebe befindlich und im Ab-
tauen begriffen sind. Eine gründliche Reinigung der Luft ist bei der
Röhrenkühlung schwer zu erreichen, da nicht sämtliche Luftteile mit
den Röhren in Verbindung treten und eine Waschung der Luft nur in
sehr geringem Grade stattfindet. Die Gesellschaft für Linde' s
Eismaschinen in Wiesbaden führte früher fast ausschließlich
Röhrenkühlung mit Salzwasser aus und legte zumeist die Röhren in die
Fleischkühlräume selbst. Dabei werden die Röhren an die Decke der
Kühlräume gehängt, sodaß die abgekühlte Luft stets nach unten fällt,
während die erwärmte Luft nach den Röhren in die Höhe gedrängt
wird.
y) Kühleinrichtungen mit unmittelbarer Berührung von
Luft und Salzwasser.
Bei der unmittelbaren und innigen Berührung von Luft mit kaltem
Salzwasser ist eine Trocknung und gründliche Reinigung der Luft von
Staub und Bakterien, sowie eine der Salzwassertemperatur entsprechende
Abkühlung der Luft gesichert. — Professor C. Linde (Gesell-
schaft für Linde's Eismaschinen in Wiesbaden) schlug
zuerst solche Einrichtungen vor und läßt jetzt zwei Arten derselben
ausführen, welche sich durch vorzügliche Wirkung und durch geringen
Aufwand auszeichnen.
47
48 GEORG OSTHOFF,
3) Kühle inrichtungen mit Röhren, welche mit der ver-
dampfenden flüchtigen Flüssigkeit (Ammoniak) in Be-
rührun g stehen.
Diese Kühleinrichtung wurde zuerst von der Gesellschaft für
Li nde's Eismaschinen in Wiesbaden ausgeführt, welche die
Schlangen des Verdampfers der Kältemaschine in besonderen Räumen
anordnete und die durchstreichende abzukühlende Luft künstlich bewegte.
Neuerdings hat die Maschinenbau -Aktiengesellschaft
Humboldt in Kalk bei Köln die Verdampferröhrenkühlung wieder
aufgenommen und die Abführung des abtauenden Wassers an den
Röhren dadurch bewirkt, daß 4 getrennte Röhrenkasten angeordnet sind,
deren Röhren einerseits von der zu kühlenden Luft, andererseits von der
verdampfenden flüchtigen Flüssigkeit berührt werden. Hat sich eine be-
stimmte Menge Feuchtigkeit in Eis- und Schneeform niedergeschlagen,
so wird der betreffende Kasten' ausgeschaltet. Dabei taut das Eis ab,
und es wird das entstehende Schmelzwasser abgeleitet 13a.
C. Die Kühlräume.
Der Raum, in welchem das Fleisch zum Auskühlen aufgehängt wird,
und in welchem durch die Kühleinrichtungen entweder die Luft abgekühlt,
oder in welchem abgekühlte Luft eingetrieben wird, hat drei Bedingungen
zu erfüllen: 1) Muß der innere Raum so eingerichtet sein, daß das
Fleisch darin und zwar in der Regel in verschlossenen Zellen bequem
aufgehangen werden kann; 2) müssen diese Zellen und der innere
Kühlhausraum so beschaffen sein, daß die kalte Luft den ganzen Raum
durchstreichen und das Fleisch von allen Seiten umspülen kann; und
3) müssen die Außenwände, die Fenster und die Thüren so beschaffen
sein, daß ein Temperaturausgleich zwischen der äußeren und der inneren
Luft in so geringem Maße wie nur möglich stattfinden kann.
Es ist deshalb der innere Kühlraum als möglichst freier Raum zu
konstruieren und nur durch eiserne Säulen, nicht aber durch Wände
zu unterbrechen.
Dagegen ist es für die Abkühlung des Fleisches, sowie für die Luft-
bewegung nicht schädlich , wenn man etwa 0,5 m vom Boden entfernt
die Zellenwände, bis zu 2,5 m Höhe vom Boden, aus Beton, Glas oder
Wellblech herstellt, dagegen die Vorderwand mit der Thüre (am besten
Schiebethüre) aus vertikalen eisernen Stäben fertigt. In der Regel
werden jedoch diese Zellen ganz aus eisernen Stäben ausgeführt, welche
man des besseren Reinigens wegen dem Drahtgitterwerke vorzieht. Ein-
fache Fleischhaken bilden die einzigste Ausstattung der Zellen, welche
nicht unter 1,3 m Breite angelegt werden sollten. Die Tiefe der Zellen
ist bei dieser Breite von 1,3 m nicht über 2,0 m zu machen. Für die
Gänge genügt eine Breite von 1,5 m, besser von 1,8 m. Die Zellenthüren
müssen eine Lichtweite von 0,7 m erhalten. Die Zellen selbst sind mindestens
2,5 m hoch zu machen. Die Lichthöhe des Kühlhauses muß dementsprechend
3,5 m betragen, um die Luftröhren noch über den Zellen anbringen zu
können.
Da der Wärmeverlust durch die Mauern, Thüren und Fenster des
Kühlhauses bedeutend sein kann, so ist für starke und mehrfach isolierte
Markthallen und Viehhöfe. 49
Mauern, 2- und 3-fache Fenster, 2- und 3-fache Thüren, Windfänge etc.
Sorge zu tragen. Ferner ist in Betracht zu ziehen, daß der Fußboden
und die Decke des Kühlraumes stark isoliert sind.
Die Größe des Kühlhauses ist folgendermaßen zu berechnen :
An Fleisch wird höchstens im Jahre von jedem Einwohner 70 kg ver-
braucht. Bei 52 Wochen im Jahre und bei 2 Schlachttagen in der
70
Woche ergiebt sich für jeden Einwohner und Schlachttag = rund
0,7 kg Fleisch. Das Kühlhaus ist so groß zu machen, daß in demselben das
1,5-fache eines Schlachttages darin hängen kann, also 1,5 . 0,7 = rund
1,0 kg Fleisch für jeden Einwohner. Da nun auf jedem Quadratmeter der
ganzen inneren Kühlhausfläche 120 kg Fleisch hängen kann, so kommt
auf jeden Einwohner der Stadt — ~ = 0,0083 qm Kühlhaus-Grundfläche
oder es reicht 1 qm Kühlhausfläche für 120 Einwohner aus.
7. Die Stallungen.
Die Stallungen, welche für Großvieh, Kleinvieh, Schweine, Metzger-
pferde, zu schlachtende Pferde, krankes Vieh nötig sind, werden wie die
besseren landwirtschaftlichen Ställe erbaut, und die des Großviehes
manchmal mit Futtergängen versehen. Für ungarische Schweine ist
ein für sich abgeschlossener Stall zu erbauen.
Man rechnet als Standraum ohne Gang, aber einschließlich Krippe:
Pferde für 1 Stück 3,0 m Länge und 1,0 bis 1,5 m Breite;
Grofsvieh ,, ,, ,, 2,8 „ „ „ 1,0 m Breite;
Breite des Ganges zwischen 2 Pferden = 2,5 bis 3,0 m Breite ;
„ „ „ „ ,, Rindern = 2,0 „ 2,5 „ „
,, der Futterganges an der Wand = 1,2 m, zwischen 2 Häupten = 0,8 m ;
Kälber für 1 Stück = 0,8 qm ;
Schafe ,, „ „ = 0,6 „
Schweine ,, ,, ,, =1,0 ,, bei Sandbuchten = 2,0 qm ;
Breite des Ganges beim Kleinvieh = 1,5 bis 2,0 m ;
,, ,, „ bei Schweinen = 1,2 m.
Bei Schweineställen ist es zweckmäßig, die Thüren derartig einzu-
richten, daß sie nach beiden Richtungen hin auch den Gang absperren
können. Die Thüren der Schweinebuchten macht man am besten aus
Eisenstäben, die Wände aus Beton oder Mauerwerk, und den Fußboden
aus Beton.
8. Die Düngerstätten * 4.
Die Bedingungen , welchen eine Düngerstätte zu entsprechen hat,
sind folgende: a) Der Dünger muß in den Raum, in welchem derselbe
abgelagert wird, bequem hineingebracht und ebenso bequem aus dem-
selben herausgeschafft werden können, b) Während dieser Arbeiten
sowohl, als auch während der Ablagerung darf der Dünger wenig Geruch
in der Umgebung verbreiten, c) Das Düngerbeseitigungsverfahren muß
sehr geringe Aufsicht erfordern und stets ohne besondere Maßregeln
durchführbar sein.
Handbuch der Hygiene. Bd. VI. 4
49
50 GEORG OSTHOFF,
Die bis jetzt gebräuchlichen Düngerstätten kann man einteilen:
a) in solche, welche einen feststehenden Behälter besitzen, in
welchen der Dünger zunächst geschüttet wird, um ihn dann gelegentlich
auf- Wagen zu laden und abzufahren, und b) in solche, welche einen
beweglichen Behälter besitzen, in den der Dünger geworfen wird, und
der zugleich den Abfuhrwagen für denselben bildet.
Es liegt nun auf der Hand, daß dieser bewegliche Behälter, wenn
er so eingerichtet ist, daß er die flüssige Jauche nicht durchläßt und
nur wenig Geruch herausdringen läßt, an und für sich der vollkom-
menste Düngerbehälter wäre, der nur erfunden werden könnte, wenn
die Düngerstätte, zu welcher dieser bewegliche Behälter gehört, in eben
solchem Maße die übrigen Bedingungen zu erfüllen imstande wäre, und
wenn keine sonstigen Uebelstände mit diesem Düngerbeseitigungsver-
fahren verbunden wären.
Die Düngerstätten mit feststehendem Behälter lassen sich einteilen
in offene Düngergruben und in Düngerhäuser, und die beweglichen Be-
hälter sind entweder Straßen- oder Eisenbahn- Abfuhrwagen.
a) Eine offene Düngergrube besteht aus einem oben offenen,
wasserdichten Behälter, in welchen der Dünger aus den Kaidaunen
und den Stallungen geschüttet wird. Mehrmals in der Woche oder
täglich wird der Dünger dann auf Wagen geladen und abgefahren.
Es entwickeln sich nicht allein beim Einschütten in die Grube die un-
angenehmsten Dünste und verbreiten sich nach allen Seiten, sondern es
wird der Dünger auch, da derselbe dort allen Winden, der Sonne und
dem Regen ausgesetzt ist, solange er dort liegt, sich zersetzen und
fortwährend üble Gerüche von sich geben, bis er beim Aufladen in die
Abfuhrwagen aufgerüttelt wird und in vermehrtem Maße riecht. Eine
offene Düngergrube ist zwar die einfachste , aber auch unzulänglichste
und unzweckmäßigste Düngerstätte ; sie ist daher zu verwerfen.
b) Die Düngerhäuser werden vom Verfasser dieses am zweck-
mäßigsten folgendermaßen ausgeführt:
Eine vertiefte Düngergrube von 1,2 m Tiefe und 3 m Breite liegt
mitten in einem reichlich mit Lüftungsschloten versehenen Hause. Die
eine Schmalseite dieser Düngergrube ist mit Aborten versehen; die eine
Langseite dient zum Einwerfen des Düngers, die andere zur Entnahme
desselben aus der Grube und zum Aufladen auf Fuhrwerke. Zu diesem
Zwecke können letztere mittels 2 großer, einander gegenüberliegender
Thore in den Wänden des Düngerhauses durch dasselbe fahren. Bei
dieser Anlage stehen sowohl die Dünger- und Kaidaunenkarren, als auch
die Abfuhrwagen unter Dach.
Eine andere Art der Anlage, welche auch schon mehrfach vom
Verfasser ausgeführt ist, dürfte aus folgender Beschreibung hervorgehen :
Die Düngergrube füllt die ganze Grundfläche des schmalen, 2,5 bis
3,0 m breiten Hauses aus, und es ist das Dach ebenfalls mit vielen
Dunstabzügen versehen. Zum Einschütten des Düngers sind an der einen
Langseite des Hauses mehrere abgeschrägte und mit eisernen Klappen
versehene Einwurfsöffnungen von 1,0 m Weite vorhanden, während an
der anderen Langseite mehrere große, durch Schiebethore verschließbare
Austragöffnungen angebracht sind. Vor letztere fahren die Wagen in
Markthallen und Viehhöfe. 51
einer vertieften Rampe vor, um beladen zu werden. Bei dieser Anordnung
stehen sowohl die Kaidaunenkarren, als auch die Abfuhrwagen im Freien,
sodaß hier mehr Geruch sich in die Umgebung verbreiten kann, als bei
der vorigen Anordnung.
c) Die Entfernung des Düngers mittels Straßenabfuhr wagen,
wozu in der Regel besondere für diesen Zweck hergestellte, eiserne,
vollständig verschlossene, hinten zu öffnende, oben mit einer verschließ-
baren Einwurföffnung versehene Wagen benutzt werden , geschieht
folgendermaßen :
Neben der Kaidaunenwäsche befindet sich eine zum Teile seitlich
offene, überdachte Plattform, in deren Fußboden eine oder mehrere trichter-
förmige Oeffhungen sich befinden. Unter jeder derselben wird ein Ab-
fuhrwagen derart gestellt, daß die obere Oeffhung des Wagens unter dem
Trichter steht. In diese Fußbodenöffnungen der Plattform wird der
Dünger geschüttet und fällt so in den Wagen hinunter. Der Wagen
wird mittels einer Rampe unter diese Plattform gebracht. Sobald der-
selbe gefüllt ist, wird er abgefahren und durch einen anderen ersetzt.
Diese Art der Düngerabfuhr empfiehlt sich nur dann, wenn in der
Nähe der Stadt große Grundstückbesitzer vorhanden sind, welche zu
jeder Zeit den Dünger bezw. diese Abfuhrwagen abholen. Ist dies nicht
der Fall, so muß der Schlachthof diese Wagen selbst abfahren und auf
einem außerhalb des Schlachthofs belegenen Düngerplatz entleeren.
d) Die Entfernung des Düngers mittels Eisenbahnwagen kann
auf dieselbe WTeise, wie eben beschrieben, geschehen, wie solche vom
Verfasser dieses in Breslau und Düsseldorf vorgesehen ist, oder es kann
auch eine seitliche Einladung erfolgen, wie solches auf dem vom Verfasser
entworfenen Schlachthofe in Halle a. S. ausgeführt ist. Diese Abfuhrmethode
setzt die Anschaffung besonderer Eisenbahn-Düngerwagen und das Vor-
handensein von Düngerabnehmern auf den Bahnhöfen voraus.
9. Talgschmelze und Albuminfalbrik.
Diese beiden Anlagen sind zuweilen auf einem Schlachthofe zu
finden, dann aber ausnahmslos an Unternehmer verpachtet. Meines
Erachtens gehören dieselben nicht auf dem Schlachthof, da sie, besonders
die Talgschmelze, den Schlachthof verpesten und mit der sanitären An-
stalt des Schlachthofes nichts zu thun haben.
10. Das Verwaltungsgebäude.
Dasselbe enthält in der Regel unten die Räume für die Verwaltung,
und zwar auf kleinen Schlachthöfen ein Zimmer für den Verwalter,
einen Raum für Trichinenschau, und wohl auch je ein Zimmer für die
Metzgermeister und für die Gesellen; auf größeren Schlachthöfen je ein
Zimmer für den Verwalter, den Assistenten, die Kasse und die
Trichinenschau; oben die Wohnräume für den Verwalter und für den
einen oder anderen Beamten. Für jeden Beamten sind abgeschlossene
Vorplätze anzuordnen.
4*
52 GEORG OSTHOFF,
Eine Gastwirtschaft kann auf jedem Schlachthofe, mit dem ein
Viehmarkt nicht verbunden ist, entbehrt werden.
11. Die Wasserversorgung, Beleuchtung, Kanalisation und
Abwässerkläranstalt.
a) Die Wasserversorgung. Für Wasser ist auf dem Schlacht-
hofe reichlich zu sorgen. Es genügen im ganzen 0,3 cbm für jede
Schlachtung des stärksten Schlachttages, einschließlich Straßenspülung.
Am besten und billigsten ist es, auf dem Schlachthofe Brunnen anzu-
legen , das Wasser mittels Dampfpumpen zu heben und in ein oder
mehrere Hochbehälter zu drücken, und wo es geht, als Reserve, den
Schlachthof an die städtische Wasserleitung anzuschließen. Diese Hoch-
behälter müssen etwa für 2 bis 4 Stunden Wasser fassen können, je
nach der Stärke des Wasserzuflusses im Brunnen. Die Größe dieser
Wasserbehälter hat im umgekehrten Verhältnisse zum Wasserzuflusse im
Brunnen zu stehen. Ist der Wasserzufluß so gering, daß zwar selbst zu
wasserarmen Zeiten wöchentlich so viel Wasser zufließt, als im Durch-
schnitt an den Schlachttagen einer Woche Wasser gebraucht wird, nicht
aber so viel, als die stärksten Schlachttage benötigen , so ist es er-
forderlich, einen unterirdischen Behälter herzustellen, welcher mindestens
so viel Wasser faßt, als an einem stärksten Schlachttage gebraucht wird.
b) Die Beleuchtung des Schlachthofes geschieht in der Regel
durch Gas, selten durch Petroleum, häufig durch Elektrizität. Da das
Kühlhaus, der geringeren Wärmeabgabe wegen nur mittels elektrischer
Glühlampen erhellt werden kann , wendet man jetzt vielfach die elek-
trische Beleuchtung für den ganzen Schlachthof an, was deswegen mit
nicht höheren Kosten, als die Gasbeleuchtung, geschehen kann, weil im
Sommer, wenn die Dampfmaschine für die Kälteerzeugung des Kühl-
hauses stark beansprucht ist, wenig Kraft für die Beleuchtung erfor-
derlich ist, während umgekehrt im Winter viel Licht und wenig Kälte
produziert werden braucht. Es wird daher eine nur sehr gering aus-
fallende Verstärkung der Dampfmaschine bei Anwendung von elektrischem
Lichte benötigt.
c) Die Kanalisation. Die sämtlichen Gebäude und Straßen
haben in ein Kanalnetz aus glasierten Thonröhren zu entwässern, welches
in den kleinen Zweigleitungen nicht unter 15 cm weit sein darf. Das
Gefälle letzterer hat 1 : 50 bis 1 : 80, das der weiteren Leitungen 1 : 100
bis 1 : 300 zu betragen. Wasserverschlüsse sind rätlich , müssen aber
stets nachsehbar und zu reinigen sein. Schlammfänge sind in den
Schlachthallen notwendig und mit herausnehmbaren Eimern zu versehen.
d) Die Abwässerkläranstalt15. Die von den staatlichen
Behörden geforderte Reinhaltung der Flüsse macht auf den Schlacht-
höfen überall eine Klärung und Reinigung der Abwässer erforderlich.
Das Kanalnetz mündet dann in eine Abwässerkläranstalt, läßt aber bei
starkem Regen die sehr verdünnten Abwässer in einen Notauslaß mit
Umgehung der Kläranstalt gelangen. Die Reinigung der Abwässer kann
nun auf mechanischem oder auf mechanischem und chemischem Wege
geschehen , je nach der Bedeutung des Wasserlaufes , in den die ge-
reinigten Abwässer gelangen und je nach der Menge der abzuführenden
Abwässer.
52
Markthallen und Viehhöfe. 53
Mit der Reinigung der Schlachthofabwässer haben sich viele Che-
miker beschäftigt16. Am meisten zur Anwendung gekommen sind,
neben den einfachen Mitteln der mechanischen Klärung, diejenigen
Mittel, welche eine chemische Reinigung ermöglichen und welche von
Röckner-Rothe (W. Rothe und Co. in Güsten i. Anhalt), von
Mülle r-Nahnsen (F. A. Robert Müller und Co. in Schönebeck
a. d. Elbe), von Hulwa (Fr. Hulwa in Breslau) und von Friedrich
und G 1 a ß in Leipzig geliefert werden. Der Verfasser wendet bei fast
allen seinen Schlachthöfen das Verfahren von Friedrich und Glaß
an, welches einfach und billig in Anlage und Betrieb ist und sich überall
gut bewährt hat 16.
Sind Rieselfelder vorhanden, so kann natürlich jede Reinigung
oder Klärung der Abwässer des Schlacht- und Viehhofes unterbleiben.
12. Die inneren Einrichtungen.
Die Einrichtungen der Schlachthallen, Kaidaunenwäschen und Kühl-
häuser, und zwar die festen und beweglichen Winden, Transportvor-
richtungen, Hakenrahmen, Laufkatzen, Drehkrahne, Brühkessel, Kal-
daunenwaschgefäße, Spültröge, Zellen etc., sowie die Tische, Schrägen,
Karren, Düngerabfuhrwagen etc. werden in vorzüglichster Weise von
der Maschinenbau-Aktiengesellschaft, vormals Beck und
Henkel in Kassel geliefert, denen diese Einrichtungen z.T. patentiert
sind. Alle gut eingerichteten Schlachthöfe Deutschlands sind von obiger
Firma ausgestattet, und es haben erst vorzüglich funktionierende Schlacht-
höfe hergestellt werden können, seitdem diese Firma dem Bedürfnisse
entsprechende Konstruktionen der inneren Einrichtungen erfunden hat.
Es würde hier zu weit führen, diese inneren Einrichtungen näher zu be-
schreiben, doch sei auf einige wichtigere Teile derselben noch hingewiesen :
Die beweglichen Großvieh winden unterscheiden sich von
den festen dadurch, daß die Breitscheite der letzteren an den Tauen der
Windeböcke befestigt sind, an einer festen Stelle hängen, und daß während
der Zeit des Schlachtens und Auskühlens immer nur ein Tier die Winde
benutzen kann, während die bewegliche Winde aus dem Windebock, der
Laufkatze und dem Seil besteht, dessen Haken ein abnehmbares Breit-
scheit an einer beliebigen Stelle der von der Winde beherrschten Fläche
und zwar auf die dazu bestimmten Träger ablegen kann. Diese Winde
ist nur während der Zeit des Schlachtens eines Tieres besetzt, nicht aber
während der Zeit des Auskühlens dieses Tieres. In großen Schlacht-
hallen sind bewegliche Winden zweckmäßiger, in kleinen Schlacht-
häusern dagegen feste Winden.
In mehreren neuereren größeren Schlachthofanlagen, so u. a. in Halle a S.,
Magdeburg, Stettin, sind mit den dort angewandten beweglichen Winden
Transporteinrichtungen verbunden, um das Großvieh unzerlegt in den
Vorkühlraum zu befördern, wie solches der Verfasser schon 1881 in
seinem Werke „Ost ho ff, Die Schlachthöfe und Viehmärkte der Neu-
zeit" und zwar auf Seite 17 vorgeschlagen hatte. Die Einrichtung ist
derart, daß im Mittelgange oder an der einen Seite der Schlachthalle
ein hängendes Laufschienensystem angeordnet ist, auf welchem Transport-
wagen den Verkehr mit dem Vorkühlraume auf sichere Art vermitteln.
Die Ueberführung der auf Rollen laufenden Breitscheite auf die Trans-
53
54 GEORG OSTHOFF,
portwagen erfolgt durch einen einfachen, zuverlässig wirkenden Maschanis-
mus. Für kleine und mittelgroße Schlachthöfe ist diese Transportvor-
richtung jedoch nicht zweckmäßig, da dieselbe ein Vorkühlhaus mit einem
verkleinerten Großvieh-Schlachthaus, sowie eine ganz bestimmte Stellung
des Vorkühlhauses zum Großvieh-Schlachthause voraussetzt. Die Anlage
eines Vorkühlhauses ist aber nur bei Vorhandensein einer großen Kühl-
halle zweckmäßig, und die Verkleinerung des Großvieh-Schlachthauses durch
Anlage eines Vorkühlraumes ist nur geboten, wenn dieses Schlachthaus
eine große Ausdehnung erhalten muß, nicht aber bei kleinen Schlacht-
hallen, wie solche in Städten bis zu etwa 70000 Einwohnern vorkommen.
Erst große Städte erhalten zweckmäßig eine solche Stellung der Gebäude,
daß die Anwendung einer Transportvorrichtung für das Großvieh von
der Schlachthalle zum Vorkühlraume erwünscht ist. Endlich sind die
Anlagekosten des Vorkühlraumes, sowie der Transportvorrichtung be-
deutend.
Brühkessel mit Lüftung. Ein sehr wesentlicher Uebelstand in
den Schweineschlachthallen ist der, namentlich im Winter an einzelnen Tagen
auftretende Brühdampf, der sich durch die ganze Brühhalle und Schweine-
schlachthalle verbreitet, und der nicht allein durch seinen üblen Geruch
einen schädlichen Einfluß auf das Fleisch ausübt, sondern auch wegen seiner
undurchsichtigen Dichte das Arbeiten in diesen Räumen sehr erschwert
und ungesund macht. Die mannigfachsten Bemühungen zur Beseitigung
dieses Brühdampfes haben erst in neuester Zeit Erfolg gehabt. Auf An-
regung und unter Mitwirkung des Verfassers dieses ist von A. Huber
in Köln eine sehr gut wirkende Ventilationseinrichtung konstruiert worden,
welche in dem vom Verfasser dieses erbauten neuen Schlachthofe zu Dessau
zum ersten Male ausgeführt und erprobt wurde (s. S. 36). Die Konstruktion
ist folgende : Zwischen dem Brühbottiche und der Ummantelung des-
selben ist ein Luftraum von etwa 6 cm Weite. Durch denselben streicht
erwärmte und relativ trockene Luft, welche den sich über dem Bottiche
bildenden, mit Wasser geschwängerten warmen Luftkegel umschließt und
dadurch die Verbreitung der Dämpfe in dem Brüh- und Schiachtraume
verhindert. Die feuchten Luftmengen werden durch einen Hub er' sehen
Luftsauger schnell nach außen entfernt. Die Zuführung der frischen
Außenluft erfolgt durch einen Luftturm, die Erwärmung derselben mittels
Dampfheizbatterien, welche unter dem Brühkessel angeordnet sind.
13. Das Gewicht des Viehes und der Fleischverbrauch.
Das Gewicht des Schlachtviehes ist im großen Durchschnitte
(s. S. 26) folgendes:
des Ochsen 500 kg Lebendgewicht bei 300 kg Fleischgewicht
der Kuh 250 „ ,, „ 140 „ „
des Kalbes 40 „ „ „ 25 ,, ,,
„ Schafes 30 „ „ ».15 » »
„ Schweines 150 ,, ,, ,, HO „ ,,
Der Verbrauch an Fleisch ist in Süddeutschland größer als
in Norddeutschland und beträgt im Süden etwa 75 kg und im Norden
Deutschlands etwa 50 kg für jeden Einwohner und ein Jahr.
In Berlin betrug derselbe im Jahre 1886 bei 1 250000 Einwohnern
78 861 650 kg, also 63 kg p. Einwohner und Jahr.
54
Markthallen und Viehhöfe. 55
In Nürnberg war der Fleischverbrauch folgender:
1888 = 79,7 kg pro Einwohner und Jahr
1890 = 66,1 „ „ „ „ „
1891=63,6 „ „ „ „ „
1892 = 60,2 ,, „
14. Die Gelbüliren.
Die Gebühren, welche von den Metzgern auf dem Schlachthofe er-
hoben werden, sind Schlacht-, Wiege-, Untersuchungs- und Stallgebühren.
a) Die Schlachtgebühren. Wird, wie schon S. 26 ange-
nommen ist, festgesetzt, daß auf 1 kg Lebendgewicht des Viehes an
Schlachtgebühren 1 Pfennig entfällt, so betragen die Gebühren:
beim Ochsen 5,00 M.
,, Pferde 5,00 ,,
bei der Kuh 2,5 0 ,,
beim Kalb 0,40 ,,
„ Schaf 0,30 ,,
,, Schwein 1,50 ,,
Diese Gebühren stimmen im großen und ganzen mit den üblichen
Gebühren überein.
b) Wiegegebühren. Als normale Wiegegebühren sind x / 1 0 Pfennig
p. kg. des Lebendgewichtes des Tieres anzusehen und zwar :
für einen Ochsen 0,50 M.
,, eine Kuh 0,25 „
,, ein Kalb 0,04 „1 , „ ,,
a u e Ä i 0(Jer 0,05 M.
,, „ Schaf 0,03 „j '
„ „ Schweino,l5 ,,
c) Untersuchungsgebühren. Für die geschlachteten Schweine
und für alles von auswärts eingeführte Fleisch ist eine Untersuchungs-
gebühr zu entrichten, welche beträgt:
für einen Ochsen, eine Kuh oder ein Pferd 1,00 M.
„ ein Schwein (Trichinenschau) 1,00 ,,
,, ,, ,, von auswärts eingeführt, Untersuchung mit Trichinenschau 1,50 ,,
„ ,, Stück Kleinvieh 0,50 „
„ die Hälfte oder ein Viertel eines Stückes Vieh die Hälfte obiger Gebühren
d) St all gebühren. In der Regel ist das Einstallen der Tiere
den ersten Tag frei, dann wird für jede Nacht mit Tag eine Gebühr er-
hoben. Länger als 5 Tage darf kein Tier eingestallt bleiben. Diese
Gebühr ist :
beim Ochsen, Kuh oder Pferde etwa 0,25 M. für jeden Tag und Nacht .
,, Schaf und Kalbe 0,05 „ „ „ „ „ „
„ Schwein 0,10 ,, „ „ „ ,, „
15. Die Anlagekosten.
Die Anlagekosten der Schlachthöfe sind sehr verschieden, je nach
der Kostspieligkeit der Materialien, welche verwandt wurden, oder nach
der Tiefe der benötigten Fundamente oder der Größe der Anlage.
Wenn nach den früher angeführten normalen Schlachtungen (Groß-
55
56 GEORG OSTHOFF,
vieh 0,12, Kleinvieh 0,35 , Schweine 0,18 für jeden Einwohner und ein
Jahr) der Schlachthof bei 1,5 m tiefen Fundamenten einfach, aber solide
ausgeführt wird und die Preise der Baumaterialien mittlere sind , so
kostet der Schlachthof ohne Kühlanlage etwa 6 bis 8 M. und 9 bis
12 M. mit Kühlanlage für jeden Einwohner der Stadt, je nach der
Größe der Stadt. Es kostet der Schlachthof:
Kosten des Schlachthofes
Einwohner der Stadt :
ohne mit
Kühlanlege
für jeden Einwohner
5 ooo bis 6 ooo
8,00 M.
12,00 M.
6 ooo ,, 8 ooo
7,00 „
10,00 „
8 ooo ,. 15000
6,00 „
9,oo „
15000 „ 20000
7,00 „
10,00 „
über 20 OOO
8,00 „
11,00 „
Ueber die Rentabilität ist schon auf Seite 27 das Benötigte er-
wähnt. Hinzuzufügen ist hier noch, daß bei kleinen Anlagen für
Städte bis 10000 Einwohner die Kühlanlagen so viel kosten, daß die
Zellen pro Quadratmeter und Jahr zu 80 Mark vermietet werden
müssen , während diese Miete bei Schlachthöfen größerer Städte über
10 000 Einwohner auf 65 M. festgestellt werden kann, wenn die Un-
kosten der Kühlanlage samt Amortisation, Unterhaltung, Verzinsung
etc. vollständig durch die aufgebrachte Miete gedeckt werden sollen.
B. Die Schlachtviehmärkte17.
1. Allgemeines.
Die Märkte für Schlachtvieh sind Anlagen, in welchen diejenigen
Tiergattungen, deren Fleisch dem Menschen zum Genüsse dient, zum
Verkaufe untergebracht und ausgestellt werden. Sie sind also Hilfs-
anlagen für die öffentlichen Schlachthöfe und ermöglichen den Metzgern
an einzelnen Tagen der Woche das von ihnen benötigte Schlachtvieh
aufzukaufen. Ein solcher Schlachtviehmarkt besteht in der Eegel aus
Verkaufshallen, Stallungen, einem Gasthofe, Börse etc., also aus Ge-
bäuden und Anlagen zum Verkaufe und zum Einstallen des Viehes,
zur Abwickelung der Geschäfte, zum Uebernachten und zum Erfrischen
der Händler und Käufer, für die Verwaltung etc.
Je nach der Größe der Stadt und der Größe des Betriebes auf
dem Viemarkte müssen entweder sämtliche Gebäude ausgeführt werden,
oder man kann sich mit wenigen Anlagen begnügen.
Immer aber wird der Schlachtviehmarkt in unmittelbare Verbindung
mit dem Schlachthofe gebracht werden müssen, und es ist als ein
Fehler zu betrachten, wenn Viehmarkt und Schlachthof getrennt sind.
Die Ansicht, daß der Viehmarkt deshalb vom Schlachthof getrennt
werden müsse , um ersteren beim Ausbrechen einer Seuche absperren
zu können , ist eine irrige. Auf den Schlachthof gelangt nur Vieh,
welches sofort oder in der allernächsten Zeit getötet werden soll,
auf den Viehmarkt solches, welches entweder auf den anliegenden
56
Markthallen und Viehhöfe. 57
Schlachthof gebracht wird, oder welches auf einem anderen Viehmarkt
abermals zum Verkaufe ausgestellt werden soll. Ist alles Vieh gesund,
so bleibt der Viehmarkt für das weiter zu versendende Vieh offen.
Ist ein Teil des Viehes mit einer Seuche behaftet, so kann zwar jedes
Stück Vieh auf diesen Viehmarkt gelangen, aber nichts wieder versandt
werden , einerlei ob gesund oder krank. Alles Vieh gelangt dann in
den Schlachthof, das gesunde in die Schlachthallen, dasjenige kranke,
dessen Fleisch dem Menschen nicht mehr zum Genüsse dienen kann,
in das Schlachthaus für krankes Vieh und wird nach dem Schlachten
vernichtet. Wo ist nun ein Grund aufzufinden, den Viehmarkt vom
Schlachthofe zu trennen? Der Schlachthof, auf dem alles in ihn ge-
langende Vieh geschlachtet wird, kann doch eine Seuche nicht weiter
verbreiten. Orth sagt18: „Als im Kriege 1870/71 große Transporte
von Rindvieh im Felde wegen Rinderpest getötet und vergraben
werden mußten, blieb nichts anderes übrig, als den Berliner Markt für
den Ausgang von Großvieh zu schließen. Kein Stück Rindvieh verließ
lebend die Schlachtvieh-Marktanlage (die alte Schlachthof- und Viehmarkt-
anlage auf dem Galgenberge) ; es trat eine ausreichende Desinfektion
der Wagen ein, und die Seuche hörte auf. Hat man nicht die Märkte
mit in der Hand , so werden derartige Krankheiten viel gefährlicher,
und bei Städten von einiger Bedeutung ist die Verbindung des Vieh-
marktes mit dem Schlachthause daher ein wesentliches Erfordernis."
Ein Viehmarkt wird sich in der Regel in allen den Städten als
zweckmäßig erweisen, welche ihr Schlachtvieh entweder mit der Eisen-
bahn zugeführt oder von weit her zugetrieben erhalten, wird aber in
solchen Orten weniger am Platze sein, in denen die ansässigen Schlächter
gewohnt sind, das Schlachtvieh in den ländlichen Bezirken aufzusuchen
und aufzukaufen, und in welche Städte das Viehzucht treibende Hinter-
land kein Schlachtvieh entsendet. Es wird also die Benutzung eines
Viehmarktes nicht unmittelbar vom Bedarfe der Stadt an Schlachtvieh
abhängen, sondern wesentlich von anderen Faktoren, und dies ist der
Grund, weshalb nur unsere großen Städte, bei denen alle Bedingungen
zur starken Benutzung eines Viehmarktes erfüllt sind, solche Anlagen
aufweisen, wie Berlin, München, Dresden, Leipzig, Hannover, Elberfeld,
Barmen, Frankfurt a. M., Halle a. S., Magdeburg, Breslau, Düsseldorf,
Essen a. d. Ruhr, Dortmund, Köln a.Rh., Bremen, Stuttgart, Karlsruhe in
Baden, Freiburg im Breisgau, Straßburg, Metz etc. Es gilt beim Ent-
werfen eines Viehmarktes als erste Regel, sich von der Art und Größe
des Zutriebes, von der Entfernung des das Schlachtvieh aufziehenden
Gebietes etc. Rechenschaft zu geben, und man wird in allen den Städten,
in denen sich noch kein Schlachtviehmarkt eingebürgert hat, und in
allen den Fällen, in denen es zweifelhaft ist, ob sich ein genügender
Markt entwickeln wird, lieber durch geringfügige Bauten auf dem
Schlachthofe oder durch Freilassen eines großen Platzes neben dem-
selben und durch Mitbenutzen der Stallungen auf demselben den Vieh-
markt aus kleinen Anfängen sich emporarbeiten lassen und allmählich,
je nach Bedarf, die erforderlichen Gebäude für denselben aufführen.
Die Viehmarktanlage, wenn sie vollkommen ausgebildet werden
soll, beansprucht eine erhebliche Menge von Gebäuden und ein großes
Grundstück. Es gehört schon ein mindestens zweimal wöchentlich ab-
zuhaltender Viehmarkt dazu, um bei normalen Gebühren alle Anlagen
rentabel zu machen, sodaß wohl kaum in Städten unter 80000 Ein-
wohnern ein vollkommen ausgebildeter Viehmarkt anzutreffen ist. Die
57
58 GEORG OSTHOFF,
kleineren Städte kommen dem Wunsche nach Unterbringung des Viehes
durch Vermehrung der Stallungen auf dem Schlachthofe entgegen, falls
nicht ein großer gepflasterter Hof zur Aufstellung des Viehes und das
Unterbringen in Privatstallungen dem Bedürfnisse Genüge leisten
sollten.
Je größer die Stadt ist, desto eher wird die Trennung der Ver-
waltung sich als praktisch und die gegenseitige gemeinschaftliche Be-
nutzung der Räume für den Betrieb des Schlachthofes und des Vieh-
marktes sich als unpraktisch herausstellen. Je geringer aber der Zu-
trieb des Schlachtviehs in kleineren Städten ist, desto größer ist das
Bedürfnis nach Uebersichtlichkeit und nach dem Ineinandergreifen beider
Anlagen, vom Standpunkte der Bequemlichkeit und der Oekonomie aus
betrachtet.
Nichtsdestoweniger liegt es im öffentlichen Interesse, im Inter-
esse der Stadt und jedes einzelnen Einwohners, daß die Zuführung der
erforderlichen Anzahl, ja einer größeren Anzahl von Schlachtvieh und
die bequeme Unterbringung desselben ermöglicht wird, weil dadurch
die Preise gedrückt werden oder wenigstens eine gleichmäßige und na-
türliche Regelung erfahren.
Man wird daher beim Entwerfen eines Viehmarktes ganz besonders
den Bedarf an Schlachtvieh, die Zutriebsverhältnisse und die Räume auf
dem bestehenden Schlachthofe berücksichtigen, bezw. beim Entwerfen
beider Anlagen untersuchen, ob und in welcher Ausdehnung gemein-
schaftliche Räume zu schaffen sind, dann aber in weit größerem Maße
für das Unterbringen und das Aufstellen des Schlachtviehes an Markt-
tagen Sorge tragen, als sich aus dem Bedarf an Schlachtvieh für die
Stadt ergiebt.
Die enge Verbindung des Viehmarktes mit dem Schlachthofe läßt
die Notwendigkeit ersehen , die Verwaltung beider Anlagen in eine
Hand zu geben oder doch in eine Spitze zusammenlaufen zu lassen, da
sonst Störungen mancher Art unvermeidlich sein werden. Wer den
Schlachthof erbaut hat und betreibt, wird denn auch in der Regel den
Viehmarkt schaffen und betreiben.
Die Wahl des Platzes für eine Viehmarktanlage ist im großen und
ganzen von denselben Gesichtspunkten aus zu treffen, wie die für eine
Schlachthofanlage, und es können folgende Bedingungen als maßgebend
aufgestellt werden * 9 :
a) Das Grundstück muß eine trockene und luftige Lage haben.
b) Dasselbe muß außerhalb der Stadt liegen.
c) Dasselbe muß die Möglichkeit zur Anlage einer genügenden
Wasserversorgung und Entwässerung bieten.
d) Dasselbe muß in unmittelbare Schienenverbindung mit einem
Bahnhofe gebracht werden können.
e) Das Grundstück muß unmittelbar mit dem Schlachthofe in Ver-
bindung stehen.
f) Dasselbe muß bequeme Zuwegungen besitzen.
g) Das Grundstück muß so viel Raum bieten, daß eine Vergrößerung
und Vermehrung der Gebäude und Höfe in genügender Weise möglich
sind, damit den Bedürfnissen der Stadt für die nächsten 50 Jahre und
mehr genügt werden kann.
Es liegt nicht nur im Interesse der schnellen und billigen Zufuhr
des Viehes, daß ein guter Eisen bahnanschluß an den Viehmarkt
geschaffen wird, sondern er ist bei Viehseuchen ein dringendes Be-
58
Markthalleu und Viehhöfe. 59
dürfnis, da der Zutrieb des Viehes auf Landstraßen verboten werden
kann, wie auch häufig ganze Vieh aufziehende Distrikte für die Vieh-
ausfuhr gesperrt sind. Da ist denn der Eisenbahnanschluß des Vieh-
marktes eine Notwendigkeit, um aus den seuchenfreien Bezirken das
Vieh in geschlossenen Wagen zum Viehmarkte schaffen zu können.
Denn sonst könnte eine bedeutende Fleischverteuerung oder gar ein
Fleischmangel leicht die Folge sein.
Zu einem vollkommen ausgebildeten Viehmarkte ge-
hören folgende Gebäude und Anlagen:
1) Räume zur Aufstellung von Vieh, und zwar von Großvieh, von
Kälbern, von Schafen und von Schweinen ; letztere getrennt nach un-
garischen und deutschen Schweinen;
2) Stallungen für Großvieh;
3) Stallungen für krankes und verdächtiges Vieh ;
4) eine Börse zur Abwickelung der Geschäfte mit Gastwirtschaft;
5) ein Gasthof;
6) Verwaltungsgebäude ;
7) ein Wasserturm mit Wasserbehältern , Maschinen und Kessel-
haus;
8) Düngergruben ;
9) Verladerampen mit Buchten ;
10) Geleisanlagen zum Aufstellen und Desinfizireen von Wagen.
In kleineren Städten wird man die Viehmarktanlage stets in so
unmittelbare Verbindung mit der Schlachthofanlage bringen, daß beide
sich ergänzen können , somit die Stallungen des Schlachthofes so ge-
räumig anlegen, als des Viehmarktes wegen erforderlich ist, und die
Gebäude auf dem Schlachthofe derart anordnen, daß ein großer Hof in
der Mitte zum Aufstellen des Schlachtviehes an den Markttagen frei
bleibt, oder eine einzige Verkaufshalle errichten, in welcher alle Tier-
gattungen zum Verkaufe aufgestellt werden können (wie in Bremen),
oder nur Markthallen erbauen (wie in Halle a. S.). Schlachthof und
Viehmarkt haben dann gemeinschaftliche Beamte und Verwaltungsge-
bäude. Der Gesundheitshof des Schlachthofes mit seinen Stallungen
für krankes und verdächtiges Vieh dient auch den Zwecken des Vieh-
marktes. Eine Börse ist dann überflüssig, und es werden die Geschäfte
in der Gastwirtschaft besorgt. Ein Gasthof, bezw. Schlaf haus kann
dadurch vermieden werden, daß Schlafstellen in den einzelnen Stallungen
für die Knechte der Viehhändler angelegt werden , was noch den be-
sonderen Vorteil hat, daß das Vieh unter guter Aufsicht steht, wie
denn diese Anordnung meist nach Wunsch der Viehhändler ist.
2. Die Gestaltung der Anlage17.
Bei dem Viehmarkte kommt es viel weniger darauf an , wie die
Gebäude zu einander liegen, als das auf dem Schlachthofe der Fall ist.
Nur müssen die Stallungen stets in nächster Nähe bei den betreffenden
Markthallen liegen.
Dagegen ist die Lage der Markthallen zu den Schlachthallen des
Schlachthofes von hoher Bedeutung. Ist der Viehmarkt thatsächlich
eine Ergänzung des Schlachthofes, ist derselbe dazu da, daß die Schlächter
an bestimmten Wochentagen ihr 4 Vieh auf dem Viehmarkte ankaufen,
um dasselbe auf dem Schlachthofe^ zu schlachten — wie sich auch
59
60 GEORG OSTHOFF,
überall herausstellt , daß der Viehmarkttag ebenfalls der stärkste
Schlackttag ist — so liegt die Notwendigkeit vor, die Markthallen so
zu den Schlachthallen zu stellen, daß das Vieh auf dem kürzesten Wege
aus den Markthallen in die betreffenden Schlachthallen gelangen kann.
Besonders ist dies bei den schwer zu bewegenden Tieren, den Kälbern
und Schweinen, notwendig. Als die bequemste Stellung hat sich die-
jenige ergeben, welche vom Baurat Hechler in Chemnitz und vom
Verfasser dieses in Halle a. S., Düsseldorf und Breslau vorgesehen ist,
wo jede Markthalle mit ihrem Stirnende vor dem Stirnende der zuge-
hörigen Schlachthalle steht und die Tiere nur eine Straße quer zu über-
schreiten brauchen. Wo dagegen, wie in Leipzig und Barmen, der Vieh-
markt entfernt vom Schlachthofe liegt, ist der Transport des Viehes von dem
ersteren zum letzteren so unbequem, daß besondere Geleise und Trans-
portwagen nachträglich angeschafft werden mußten, um die Ueberführung
des Schlachtviehes vom Viehmarkte zum Schlachthofe zu ermöglichen.
Ebenso unbequem zum Schlachthofe sind die Viehmärkte zu München,
Hannover, Frankfurt a. M., Köln a. Rh., Dortmund, Magdeburg, Karls-
ruhe in Baden etc. angelegt.
Im großen und ganzen ist auf die Gruppierung der Gebäude, ab-
gesehen von dem Haupteinflusse, den der Schlachthof ausübt, die Form
des Grundstückes, welches nach Möglichkeit auszunutzen ist, von
Einfluß.
3. Das Grundstück17.
Die Größe des Grundstückes richtet sich in erster Linie nach der
Größe des Zutriebes an Vieh. Bei der Anlage eines Viehmarktes muß
in besonders hohem Grade Rücksicht auf Vergrößerung genommen
werden, da der Zutrieb des Viehes nicht allein von der Größe der
Stadt, sondern auch von anderen Faktoren abhängen kann, welche vor-
her schwer zu bestimmen sind. So kann sehr leicht der Viehmarkt
nicht nur von den Fleischern der betreffenden Stadt, sondern von denen
der Umgegend in weitem Umkreise zum Ankaufen ihres Schlachtviehes
benutzt werden.
Es ist daher immer anzuraten, für den Viehmarkt ein großes Grund-
stück zu erwerben, und zwar etwa 0,3 qm für jeden Einwohner der
Stadt.
4. Markthallen für Schlachtvieh17.
Die Markthallen eines Viehmarktes haben den Zweck, das Vieh
in solcher Weise zum Verkaufe zu stellen, daß dasselbe von allen Seiten
in übersichtlicher und bequemer Weise von den Kaufliebhabern besehen
und befühlt werden kann. Um dieser Vorschrift zu genügen, hat man
früher wohl seitlich offene, auf Säulen stehende, große Ueb erdachungen
gewählt. In denselben sind aber die Tiere so sehr der Zugluft aus-
gesetzt, daß man die meisten dieser Hallen später mit Glas verkleidet
hat (wie in Berlin). Jetzt werden nur noch gemauerte Hallen mit
großen seitlichen Fenstern und Oberlicht hergestellt.
Die Markthallen sind nun entweder reine Verkaufshallen, in welche
die Tiere aus ihren Stallungen hineingetrieben werden, und in welchen
6o
Markthallen und Viehhöfe. 61
sie nur während der Verkaufsstunden stehen, oder zugleich Stallungen.
Die Markthallen für Großvieh und für Schafe kommen in beiden
Arten zur Durchführung, die für Kälber und Schweine werden stets
mit Stalleinricktnng versehen, da diese Tiergattungen schwerer zu
transportieren sind.
Sämtliche Markthallen müssen geräumig, gut gelüftet, sehr hell
und mit reichlicher Wasserleitung und guter Entwässerung ausgestattet
sein. Wasserleitungs-Zapfhähne und Hähne mit Schlauchverschraubungen
sind in reichlicher Anzahl anzubringen. Der Fußboden muß eben, aber
nicht zu glatt sein und wenig Fugen besitzen, damit den Tieren die
Füße nicht schmerzen und das Schmutzwasser nicht stehen bleiben
kann. Es ist daher ein Cementfußboden am vorteilhaftesten. In jeder
Markthalle sind mehrere Wagen zum Abwägen der Tiere unterzubringen.
a) Markthallen für Großvieh.
Die Markthallen für Großvieh müssen geräumig, gut gelüftet, sehr
hell und mit genügend vielen Gängen ausgestattet sein. Behufs guter
Entwässerung der Halle ist der Fußboden der Stände nach den Gängen
zu geneigt, wodurch auch die Uebersicht des Viehes beim Verkauf
erleichtert wird, und zwischen Ständen und Gängen sind flache Rinnen
anzulegen, in welchen das Schmutzwasser den mit eisernen Rosten
versehenen Senkschächten zuströmt und von hier aus in unterirdische
Kanäle gelangt.
a) Die Markthallen für Großvieh ohne Stalleinrich-
tungen bestehen entweder aus seitlich offenen, auf Holz- oder Eisen-
säulen stehenden Hallendach-Konstruktionen aus Holz oder Eisen, oder
aus Hallen, welche seitlich aus Glas und Eisen oder aus Mauerwerk
mit Fenstern hergestellt sind. Die letzteren sind dann entschieden
vorzuziehen, wenn die Beleuchtung durch Fenster und Dachoberlicht
eine genügende ist.
Da solche Hallen in der Regel sehr lang und breit sind, so wird
das Dach am besten durch Stützen oder Säulen, welche in das Innere
der Hallen gestellt werden, und an welche sich die Schranken für das
Großvieh anschließen, getragen. In der Längsrichtung ziehen sich an
beiden Seiten und in der Mitte Längsgänge von 2,0 m und mehr Breite
für den allgemeinen Verkehr. Zwischen diesen Gängen in der Quer-
richtung stehen die Schranken zum Anbinden der Tiere. Diese Schranken
sind nun aus Holz oder besser aus Eisen konstruiert. Zur Verbindung
der Längsgänge sind einige Quergänge angebracht. Die Tiere sind mit
den Köpfen an die Schranken gebunden und haben eine Standlänge von
2,6 bis 3,0 m, und eine Standbreite von 0,9 m bis 1,2 m. Zwischen den
Köpfen der Tiere zweier Standreihen, also zwischen den Schranken, ist
zweckmäßig ein Besichtigungsgang von 1,5 m Breite zu belassen, obgleich
dieser Gang häufig fehlt und die Tiere zweier Standreihen dann mit ihren
Köpfen an ein und dieselbe Schranke gebunden werden. Die Schwanz-
enden der Tiere zweier Standreihen sind ebenfalls durch einen Gang von
1,5 m Breite getrennt. In einer solchen Halle entfällt auf jedes Stück
Vieh 3,2 qm bei engster und 5,5 qm bei größter Raumbemessung an
Inn engrundfl äche.
ß) Die Markthallen für Großvieh mit Stalleinrich-
6i
62 GEORG OSTHOFF,
tun gen besitzen keine Schranken, sondern Krippen mit Anbinderingen.
Derartige Markthallen sind vollständig mit Mauer umgebene Gebäude,
welche entweder eine große Halle bilden, oder aus einzelnen Abteilungen
bestehen. Um die Tiere in solchen Hallen möglichst vor Kälte zu
schützen, giebt man letzteren am besten eine geringe Breite von 15
bis 20 m, teilt sie durch Zwischenwände in größere und kleinere Ab-
teilungen und legt vor jedem Außeneingang einen Windfang an.
Die Tiere werden mit den Köpfen vor einander gestellt und zwischen
den Krippen ein Futtergang von 1,0 bis 1,5 m Breite gelassen, während
der Gang an den Schwanzenden der Tiere 1,0 bis 2,0 m breit ist.
Die Krippen sind etwa 60 cm breit und stehen am besten 70 cm
über dem Fußboden.
Diese Markthallen benötigen für jedes Stück Vieh 6,0 bis 7,5 qm
Grundfläche.
y) Vergleich beider Einrichtungen. So sehr auch das
Sparsamkeitsprinzip zu den Markthallen m i t Stalleinrichtungen drängen
mag, da man bei ihnen die Ställe erspart, so wenig ist es möglich,
dieselben derart zu erbauen, daß sie allen Anforderungen Genüge leisten.
Eine Markthalle soll in erster Linie die Bedingungen erfüllen, welche an
eine Verkaufshalle zu stellen sind: sie soll durchaus geräumig, über-
sichtlich, hell und luftig sein, Bedingungen, welche dem Käufer ermög-
lichen, die für ihn passenden Tiere in bequemer Weise ohne Zeitverlust aus-
zusuchen und von allen Seiten zu besehen, Bedingungen, welche von einer
überdachten Halle ohne Seitenwände vollkommen erfüllt werden. — Die
Anforderungen, welche im allgemeinen an Stallungen zu stellen sind:
Wärme im Winter, Kühle im Sommer, aus welchen Anforderungen sich
demgemäß einzelne Abteilungen mit Balken- oder Gewölbedecke ergeben,
lassen sich zwar mit den Bedingungen, welche an eine Verkaufshalle
gestellt werden, vereinigen, jedoch nur auf Kosten der Uebersichtlich-
keit, welche dabei verloren geht. Um diesen Uebelstand möglichst zu
beheben, hat der Verfasser dieses in den Markthallen zu Halle a. S.
ein Drittel jeder Halle durch eine Querwand von der übrigen Halle
abgeteilt und diese kleinere Abteilung mit einer gewölbten Decke ver-
sehen, sodaß diese wärmere Abteilung im Winter für das länger stehen-
bleibende Vieh bestimmt werden kann.
b) Die Markthallen für Kälber und Schafe.
Diese Markthallen bestehen aus gemauerten Hallen und sind im
Innern mit Buchten ausgestattet, welche aus Holzwänden oder Holzgitter
zwischen Holz- oder Eisenpfosten bestehen und so groß sind, daß
mindestens 10 Stück des betreffenden Viehes darin untergebracht werden
können. Für die Kälber und Schafe werden hölzerne Tröge und für
die Schafe außerdem noch Holzraufen für das Heu in die Buchten
gestellt.
Jede Bucht hat eine 1,2 m breite Thür nach einem Gange zu er-
halten. Auch hier sind die Längsgänge und Hauptquergänge 2,0 m und
mehr breit, während die Zwischengänge 1,2 bis 1,5 m breit sind. Die
Buchten sind 1,1 bis 1,3 m hoch. Man rechnet auf ein Kalb 0,4 qm und
auf ein Schaf 0,2 bis 0,25 qm Standfläche, sodaß einschließlich aller
62
Markthallen und Viehhöfe. 63
Gänge an Innenraum für eine Kälberhalle 0,7 bis 0,8 qm, für eine Schaf-
halle 0,35 bis 0,5 qm Grundfläche für jedes Tier benötigt wird.
c) Markthallen für Schweine.
Die Markthallen für Schweine bestehen ebenfalls aus steinernen
Hallen mit Buchten aus Holz, Eisen oder Stein. Holzbuchten sind
schwer zu reinigen und zu desinfizieren. In eisernen Buchten stehen
die Tiere sehr unruhig, denn glatte Wände oder Wellblech giebt ein
starkes Getöse, in Gitterbuchten sehen die Tiere zu sehr ihre Nachbarn
und werden wild. Daher sind Cement- oder Ziegelsteinbuchten mit
Cementverputz am besten. Die Thüren sind wie die Eintriebsgänge
1,2 m breit und so eingerichtet, daß sie sowohl die Bucht, als auch den
Gang nach beiden Richtungen hin absperren können. Am besten be-
stehen die Thüren aus Eisen. Außer diesen Eintriebsgängen sind noch
Hauptgänge von 2,0 bis 3,0 m Breite vorhanden.
Für jedes Tier ist ein Buchtenraum von 0,5 bis 0,6 qm und samt
Gängen ein Halleninnenraum von 0,8 bis 1,0 qm anzunehmen.
Für die ungarischen Schweine sind offene Sandbuchten einzurichten
und darin jedem Schweine etwa 2 qm Buchtenraum zu gewähren.
5. Die Stallungen.
Die Stallungen, welche in der Regel nur für das Großvieh herge-
stellt werden, kommen in derselben Weise zur Durchführung, wie beim
Schlachthofe , nur ist es zweckmäßig , mehrere Schlafstellen für die
Knechte der Händler anzulegen.
6. Börse und Gasthof.
Die Börse besteht in der Regel aus einem Saale , der zugleich
als Restaurant dient. An diesem Saale sind häufig einzelne Zimmer
als Büreauräume für Makler und Kommissionäre angebaut. Auch ist
zweckmäßig ein Post- und Telegraphenamt mit der Börse zu verbinden.
Die Börse ohne Restaurant zur Durchführung zu bringen, hat sich als
unzweckmäßig herausgestellt (Hannover).
Die große Zahl der einem Händler gehörigen, mit der Bahn an-
kommenden oder zugetriebenen Tiere erfordert viele Viehwärter, welche
in nächster Nähe der Stallungen Unterkunft und Nachtlager suchen,
und lassen daher die Beschaffung vieler Nachtlager als notwendig er-
scheinen. Auf mehreren Viehmärkten ist diesem Bedürfnis durch Er-
bauung eines Gasthofes oder eines Schlafhauses Rechnung getragen,
auf anderen dagegen sind für die Viehwärter und Treiber in den
Ställen selbst Schlafräume in genügender Anzahl vorgesehen.
7. Schlachthaus für krankes Vieh und Ställe für verdächtiges
und krankes Vieh17.
Diese Anlagen sind schon bei den Schlachthöfen besprochen, doch
muß hier hinzugefügt werden, daß in dem Falle, wenn der Schlachthof
63
64 GEORG OSTHOFF,
mit einem Viehmarkte in Verbindung steht, die Anlagen für krankes
und verdächtiges Vieh am besten auf dem Viehmarkte, in nächster
Verbindung mit den Eisenbahngeleisen, angeordnet werden, oder, wie
der Verfasser dieses vorzieht, daß solche einen besonderen Hof zwischen
Viehmarkt und Schlachthof einnehmen, welcher von beiden letzteren
Anlagen zugänglich, aber räumlich getrennt ist.
8. Sonstige Anlagen.
Außer den bisher beschriebenen Gebäuden sind auf einem Vieh-
markte noch die Anlage eines Pferdestalles und eines Wagenschuppens
für die Händler, sowie einer oder mehrerer Düngergruben erwünscht.
Diese Anlagen sind so einfach, daß ein Eingehen auf dieselben über-
flüssig erscheint.
Von größerer Wichtigkeit dagegen ist die Geleisanlage und die
damit zusammenhängenden Anlagen. Der Geleisstrang, welcher vom
Bahnhofe zum Viehmarkt fürt, muß so von den Geleisen, auf welchen
die Viehzüge ankommen, abgezweigt werden, daß die Viehwagen oder
Viehzüge, ohne mehrmals hin und her durch Weichen gefahren zu
werden, direkt den Viehmarkt- Verbindungsstrang erreichen können.
Um die Viehwagen desinfizieren zu können, was mit warmem Wasser und
auch wohl unter Zuschuß von Soda, Kalk oder Karbol geschieht, ist es nötig,
ein oder zwei Geleise vollständig abzupflastern und dasselbe mit Wasser-
leitungssträngen für heißes und kaltes Wasser zu versehen. Der Wasser-
turm mit einem Behälter für heißes Wasser steht in der Regel in der
Nähe der Desinfektionsgeleise. Das Wasser wird am besten mittels
einer P er king' sehen Heißwasserheizung erwärmt, falls nicht, wie bei
großen Anlagen, ein Dampfkessel dazu bessere Dienste leistet.
Die Verladerampen mit den Zählbuchten, welche in Höhe der
Bodenhöhe der Wagen, also in 1,12 m Höhe, liegen müssen, bestehen
ans einer oberen horizontalen oder schwach geneigten Ebene und aus der
Rampe, welche eine Neigung von etwa 1 : 10 besitzt. Die Zählbuchten
besitzen Thüren, welche nach außen aufschlagen und oben den Gang vor
den Eisenbahnwagen absperren. Die Zählbuchten für Rinder bestehen
in der Regel aus Holz mit oberem Holm und mittlerem Riegel, für die
übrigen Tiergattungen aus hölzernem oder eisernem Gitterwerk. Bei der
starken Inanspruchnahme aller Teile ist es erwünscht, diese Buchten
sehr stark zu konstruieren. Das Pflaster muß undurchlässig sein, um
es desinfizieren zu können. Man verwendet daher am besten Kopfstein-
pflaster, dessen Fugen mit Goudrun wasserdicht gemacht worden sind.
C. Ausgeführte Schlachthöfe und Viehmärkte.
1. Der Schlachthof zu Schwiebus (Fig. 14 S. 65),
(8500 Einwohner) , ist vom Verfasser dieses für eine Stadt von
10 000 Einwohnern entworfen. Es ist eine rein deutsche Anlage. Das
Verwaltungsgebäude liegt an der Chaussee, rechts vom Haupteingange,
und soll bestehen aus einem hellen Kellergeschosse; aus dem Erdge-
schosse, in welchem die Verwaltungs- und Trichinenschauräume unter-
64
Markthallen und Viehhöfe.
65
Handbuch der Hygiene. Bd. VI.
Fig 14. Aicli. Osthoff.
65
66 GEORG OSTHOFF,
gebracht sind, und aus dem Obergeschosse, in welchem die Wohnung
des Verwalters sich befindet. Das Hauptgebäude ist bezüglich seiner
einzelnen Räume so angeordnet, daß das Groß- und Kleinvieh aus dem
Stalle auf dem kürzesten Wege in den für alle Tiergattungen gemein-
samen Schlachtraum gelangt; daß die Schweine aus dem Schweinestalle
auf dem kürzesten Wege in den Brühraum, wo dieselben abgestochen
und enthaart werden, gebracht; daß diese enthaarten Schweine dann
auf dem kürzesten Wege in den gemeinschaftlichen Schlachtraum , wo
dieselben ausgeweidet werden, gefahren ; daß die Eingeweide sämtlicher
Tiere aus dem Schiachtraume in die Kaidaunenwäschen , welche sich
im Brühraume befinden, bezw. die Wampen durch den Brühraum auf
dem geradesten Wege zur Düngerstätte gebracht werden, und daß das
auf Lufttemperatur abgekühlte Fleisch aus dem Schiachtraume auf dem
kürzesten Wege in den Kühlraum übergeführt wird.
Die Kosten der Anlage sind zu 116000 M., also bei 10 000 Ein-
wohnern zu 11,60 M. für jeden Einwohner veranschlagt.
2. Das Schlachthaus zu Os nahrück (Fig. 15 S. 67),
für 40 000 Einwohner , von Hackländer entworfen und ausgeführt,
ist am 21. April 1887 eröffnet worden20.
Das Grundstück besitzt eine Größe von 88,34 Ar. Der Schlacht-
hof ist eine französische Anlage, wenn schon die Kaidaunenwäsche für
Großvieh an die Schlachthalle angebaut und der Schweinestall mit dem
Brühraume verbunden ist. Das Kleinvieh wird in der Schweineschlacht-
halle mit geschlachtet, im Falle der in der Großvieh-Schlachthalle dafür
vorgesehene geringe Raum nicht ausreicht.
Die Anlagekosten beliefen sich auf 286100 M ., also auf 7,15
M. für jeden Einwohner.
3. Der Schlachthof zu Tilsit (Fig. 16 S. 68),
einer Stadt von 25000 Einwohnern, ist vom Verfasser dieses für 40000
Einwohner entworfen und in den Jahren 1891 bis 1892 erbaut worden21.
Die ganze Anlage ist eine vollkommen deutsche. Groß- und Kleinvieh-
Schlachthalle sind zu einer einzigen vereinigt. Zwischen den beiden
Schlachthallen für Groß- und Kleinvieh und für Schweine steht, in un-
mittelbarer Verbindung mit letzteren Hallen, das Kühlhaus. Die
Stallungen sind an die betreffenden Schlachthallen angebaut. Ein Gang
verbindet die Schlachthallen mit den Kaidaunenwäschen etc., sodaß
sämtliche Räume unter Dach erreichbar sind. Die Kosten haben
500070 M. betragen, also 12,50 M. für jeden Einwohner.
4. Der Schlachthof zu Lüheck (Fig. 17 S. 69),
einer Stadt von etwa 56000 Einwohnern, ist 1883 bis 1884 von
Schwiening erbaut worden22.
Das Grundstück umfaßt etwa 100 Ar. Im Norden schließt sich ein
Grundstück von 56 Ar an, welches als Viehmarkt benutzt wird.
Die Anlage ist eine französische. Zwischen den beiden Eingängen
liegen das Thorwärterhaus, links das Gasthaus, rechts das Verwaltungs-
66
Markthallen und Viehhöfe.
67
Stlilachthof zu Osnabrück.
Arch. Hackländer.
Schlachthof - S l ra fs e
Fig. 15.
67
5*
6S
GEORG OSTHOFF,
Schlachthof zu Tilsit.
Arch. Osthoff.
Fig. 16.
68
Markthallen und Viehhöfe.
(39
Schlachthof zu Lübeck.
Arch. Schwiening.
//
Fig. 17.
69
70 GEORG OSTHOFF,
gebäude. In der Mitte der Anlage befinden sich das Schlachthaus für
Großvieh und das für Schweine und Kleinvieh. Die westliche Seite des
Schlachthofes wird von dem Wagenschuppen, dem Pferdestalle, der
Stallung für Großvieh und den Aborten eingenommen. Die östliche
Längsseite ist von der Stallung für Schweine und Kleinvieh besetzt. Die
hintere Seite des Schlachthofes nehmen ein: das Düngerhaus, die Kal-
daunenwäsche, das Kessel- und Maschinenhaus mit Maschinistenzimmer,
die Werkstätte und der Kohlenraum, ferüer das Schlachthaus mit Stall
für krankes Vieh und das Schiachthaus mit Stall für zu schlachtende
Pferde. Ein Kühlhaus fehlt.
Die Anlage war zu 317000 M., also für jeden Einwohner zu
5,66 M. veranschlagt.
5. Der Schlachthof und Viehmarkt zu Essen a. d. Ruhr
(Fig. 18 S. 71),
einer Stadt'mit 75000 Einwohnern, ist 1882 bis 1885 von WTiebe und
Nordmann erbaut23. Das Grundstück ist 460 Ar groß.
Die Schlachthofanlage ist teilweise eine deutsche. Der Viehmarkt
liegt seitlich vom Schlachthof.
Die beiden Schlachthallen für Großvieh und für Schweine liegen
an der einen Seite einer breiten Verbindungshalle, während an der
anderen Seite die Schlachthalle für Kleinvieh und die Kaidaunenwäsche
sich befindet.
Nachträglich ist noch ein Kühlhaus erbaut worden.
Die Kosten beliefen sich auf etwa 1222000 M, also auf 16,40
M. für jeden Einwohner.
6. Der Schlachthof und Viehmarkt zu Halle a. S.
(Fig. 19 S. 72),
einer Stadt von etwa 100000 Einwohnern, ist vom Verfasser dieses für
120000 Einwohner entworfen und in den Jahren 1891 und 1892 ausge-
führt worden 2 4 .
Der Viehmarkt liegt in der günstigsten Weise zum Schlachthofe.
Das Gesamtareal hat eine Größe von 495 Ar. Der Schlachthof ist
durch eine Verbindungshalle zu einer deutschen Anlage gemacht.
Die Gesamtkosten beliefen sich auf 2100000 M., also auf 17,50
M. für jeden Einwohner , davon entfallen auf den Schlachthof
1460600 M., oder 12,17 M. auf jeden Einwohner, und auf den
Viehmarkt 639 400 M., oder 5,33 M. auf jeden Einwohner.
7. Der Schlachthof und Viehmarkt zu Hannover
(Fig. 20 S. 73),
einer Stadt von 140000 Einwohnern, ist von Hecht erbaut und am
1. November 1881 eröffnet worden25.
Die Gesamtfläche der Anlage beträgt 685,3 Ar. Schlachthof und
Viehmarkt sind durch eine Straße von einander getrennt, wodurch der
Transport des Viehes vom Viehmarkte zum Schlachthofe ein sehr un-
bequemer wird. Der Schlachthof ist eine rein französische Anlage.
70
72
GEORG OSTHOFF,
£*>*■< X f. -iCn
Fig. 19
Arch. Osthoff.
72
i>n.-l>ltii
74
GEORG OSTHOFF,
Die Kosten der Gesamtanlage haben sich auf 2 386460 M., also
auf 16,90 M. für jeden Einwohner belaufen.
8. Der Schlachthof und Viehmarkt zu Leipzig
(Fig. 21 S. 75),
einer Stadt von 270000 Einwohnern, ist von Licht und Moritz
entworfen und im Juli 1888 eröffnet worden26.
Das Grundstück ist 1137,7 Ar groß.
Der Viehmarkt liegt seitlich und sehr unbequem zum Schlachthofe,
ist auch nur durch 1 Thor mit jenem verbunden. Der Schlachthof ist
eine französische Anlage.
Die Gesamtkosten beliefen sich auf 3800000 M., also auf 16,52 M.
für jeden Einwohner.
9. Der Schlachthof und Viehmarkt zu Berlin
(Fig. 22 S. 76),
einer Stadt von 1600000 Einwohnern, ist von Blankenstein und
Lindemann erbaut und 1881 eröffnet worden27.
Das Terrain ist 3850 Ar groß. Die ganze Anlage ist eine rein
französische. Auch bestehen die Schlachthäuser, wie in Frankreich, aus
einzelnen Kammern.
Die ganze Anlage hat 9222110 Mark gekostet.
74
76
GEORG OSTHOFF.
> SL
2. <J
C- E
76
Markthallen und Viehhöfe. 77
1) Osthoff in: Handbuch der Architektur, IV. Teil, 3. Halbbd. 2. Heft, 2 und 3,
2. Auflage. Darmstadt 1891.
2) Allgemein. Bauzeitung 1859, 233. — Handbuch der Architektur, IV. Teil, 3. Halbbd.,
2. Heft: Märkte für Lebensmittel v. G. Osthoff, 194.
3) Bisch, Bericht über Markthallen, Berlin 1867, 4 u. f.
4) Bisch, ebendas. 267 u. f.
5) Bisch, ebendas. 265 u. f.
6) Osthoff in; Handbuch der Architektur, IV. Teil, 3. Halbbd, 2. Heft, 204. 2. Auftage,
Darmstadt 1891.
7) Behnke in: Deutsches Bauhandbuch II, 2. Heft, 976. — Bisch, Bericht über Markt-
hallen, 1867, 386 u. f.
8) Hennicke, Mitteilungen über Markthallen in Deutschland , England, Frankreich, Belgien
und Italien, Berlin 1881, S. VII. — Osthoff in: Handbuch der Architektur, IV. Teil,
3. Halbbd., 2. Heft, 206. 2. Auflage, Darmstadt 1891.
9) Bisch, Bericht über Markthallen, Berlin 1867, 275.
10) Osthoff in: Handbuch der Architektur, IV. Teil, 3. Halbbd. 2. Heft, 210 m./.
2. Auflage, Darmstadt 1891.
11) Osthoff, ebendas 269.
12) Osthoff, Schlachthöfe und Viehmärkte der Neuzeit, Leipzig, Karl Scholtze, 1881. —
Osthoff in: Handbuch der Architektur, IV. Teil, 3. Halbbd., 2. Heft, 2. Auflage:
Schlachthöfe und Viehmärkte. Darmstadt, Arnold Bergsträsser , 1891. — Osthoff,
Schlachthöfe für kleine Städte von 5 000 bis 15 000 Einwohner, 3. Auflage, Berlin,
Selbstverlag, 1890. — Osthoff in: Encyklopädie der gesamten Tierheilkunde, 9. Band,
216 u. f.: Schlachthöfe und Viehmärkte. Wien, Moritz Perles, 1892.
13) Osthoff in: Handbuch der Architektur, IV. Teil, 3. Halbbd., 2. He/t, 2. Auflage:
Schlachthöfe und Viehmärkte, 74 u. f., ferner III. Teil, 6. Bd., 2. Auflage: Sonstige
Kühlanlagen, 224 u. f. Darmstadt, Arnold Bergsträsser, 1891.
13a) Osthoff in: Deutsche Bauzeitung 1893, No. 46, S. 282: Ueber Kühlanlagen für Fleisch
und andere Lebensmittel.
14) Osthoff, Ueber Düngerstätten auf Schlachthöfen. Centralbl. der Bauvenv. 1888, 54. —
Osthoff in : Handbuch der Architektur, IV. Teil, 3. Halbbd., 2. Heft, 2. Auflage:
Schlachthöfe und Viehmärkte, 78.
15) Osthoff in: Handbuch der Architektur, IV. Teil, 3. Halbbd., 2. Heft, 83. 2. Auflage,
Darmstadt, 1891.
16) Siehe: J. König, Die Verunreinigung der Gewässer etc., Berlin 1887.
17) Osthoff, Schlachthöfe und Viehmärkte der Neuzeit , Leipzig, Karl Scholtze 1881. —
Osthoff in: Handbuch der Architektur, IV. Teil, 3. Halbbd., 2. Heft , 2. Auflage:
Schlachthöfe und Viehmärkte. Darmstadt, Arnold Bergsträsser , 1891. — Osthoff in:
Encyklopädie der gesamten Tierheilkunde, 9. Bd. : Schlachthöfe und Viehmärkte. Wien,
Moritz Perles, 1892.
18) Orth in: Deutsches Bauhandbuch, 2. Halbbd., 2. Teil, Berlin 1884, 990 u. f.
19) Siehe: J. Hennicke, Bericht über Schlachthäuser und Viehmärkte etc., Berlin 1866, 3.
20) Zeitschr. d. Ar eh.- u. Ing.-Ver. zu Hannover 1889, 25 und Bl. 12. — Osthoff in:
Handbuch der Architektur, IV. Teil, 3. Halbbd., 2. Heft, 122. 2. Auflage. Darmstadt,
1891.
21) Osthoff in: Handbuch der Architektur, IV. Teil, 3. Halbbd., 2. Heft, 34. 2. Auflage,
1891.
22) Deutsche Bauzeitung 1883, 523. — Osthoff in: Handbuch der Architektur, IV. Teil,
3 Halbbd, 2. Heft, 41. 2. Auflage, 1891
23) Osthoff, ebendas. 152.
24) Desgl., 154.
25) Zeitschr. d Arch.- und Ing.-Ver. zu Hannover 1883, 325. — Osthoff in: Handbuch der
Architektur, IV. Teil, 3. Halbbd., 2. Heft, 160. 2. Auflage, 1891.
26) Desgl. 177.
27) Wochenblatt für Arch. u. Ing. 1880, 386 und 396. — Deutsche Bauzeitung 1881, 115. —
Osthoff in: Centralblatt der Bauverwaltung 1885, 311, 328 und 338. — Blankenstein und
Lindemann , Der Central • Vieh- und Schlachthof zu Berlin , Julius Springer , Berlin
1885. — Osthoff, Die Schlachthöfe und Viehmärkte der Neuzeit, Leipzig, Karl Scholtze.
1881, 322.
(Manuskript abgeschlossen am 15. Oktober 1893).
77
Register.
Absorber 43.
Agora 3.
Albuminfabrik 51.
Ammoniak, Eismaschine 45.
Assyrer, Märkte der 3.
Beck und Henkel 33.
Behnke s. Litteratur.
Bell-Colemann, Eismaschine 44.
Blankenstein, Architekt 18. 19. 20. 33. 74.
Brühkessel 54.
Carre, Eismaschinen 44.
Chemnitz, Markthallen in 60.
Düngerstätten f. Schlachthäuser 49 ff.
Düngerwagen 51.
Dunggruben für Schlachthäuser 49 ff.
Eisenbahnanschlufs f. Düngerstätten 51.
— f. Viehmärkte 58.
Eismaschinen s. auch d. einzelnen Kon-
strukteure 44.
Erfurt, Schlachthof in 40.
Fleischverbrauch 54 ff.
Fleischverteurung durch Schlachthöfe 26.
Forum als Markt 3.
Gebühren in Markthallen 12. 14.
Geleisanlagen für Viehmärkte 64.
Geschäftsvermittler 11.
Gewicht des Schlachtviehes 26. 54.
Graz, Schlachthof in 38.
Grofshandel 4 ff.
Hackländer, Architekt 66.
Halle, Schlachthof in 39.
Hechler, Architekt 60.
Hecht, Architekt 70.
Hennicke s. Litteratur.
Huber 54.
Huber, Ventilation nach 36.
Humboldt, Akt. -Ges. für Eismaschinen 48.
Kältemaschinen 42 ff.
Kaidaunenwäsche 41.
Keller unter Markthallen 17.
Kleinhandel 4 ff.
Kompressor 44.
Kühlanlagen 42 ff
Kühlhaus 48 ff.
Kühlräume 8.
Licht, Architekt 74.
Linde's Eismaschinen 47.
Lindemann, Architekt 33. 74.
Linner, Architekt 38.
Lueff, Architekt 38.
Lythfoot, Eismaschine von 44.
Märkte 1 ff.
Market 3.
Markthallen 4 ff. 60 ff.
— Beleuchtung der 17.
— für Grofshandel 9.
— für Kleinhandel 9.
— innere Einrichtung ders 15.
— in Belgien 4.
— in Berlin 4. 5.
— in Chemnitz 4.
— in Deutschland 4.
— in Dresden 4.
— in England 4.
— in Frankfurt a./M. 4.
— in Halberstadt 4.
— in Hannover 4.
— in Italien 4.
— in Köln 4.
— in Leipzig 4.
— in München 4.
— in Oldenburg 4.
78
GEORG OSTHOFF, Markthallen und Viehhöfe.
79
Markthallen in Paris 4.
— in Stuttgart 4.
— Kosten derselb. 12 ff.
— Mieten in denselb. 14.
— Raumbedarf ders. 13.
— Rentabilität ders. 12.
— Verwaltung ders. 10.
Marktpreise 6.
Mercato 3.
Mercatus 3.
Monopolpreise 6.
Moritz, Architekt 74.
Mülheim a. d. R., Schlachthof in 40.
München, Schlachthof in 37.
Napoleon I. erbaut Schlachthäuser
Nordmann, Architekt 70.
Nnndinae 3.
24.
Orth über Tierseuchen 57.
Osthoff (s. a. Litteratur) 39.
— erbaut Schlachthof in Halle 70.
— in Schwiebus 64.
— in Tilsit 66.
Paul, Baurat 21.
Paris, Markthallen von 4.
Perking's Heifswasserheizung 64.
Pferdemärkte 17 ff.
— in Wien 21.
Pictet's Eismaschine 45.
Polizei auf Märkten 6.
Risch s. Litteratur.
Schlachtvieh, Gewicht des 26.
Schlachtviehmärkte 23.
Schweineschlachthäuser 35 ff.
Spielhagen, Architekt 40.
Stände für Fische 17.
— für Fleisch 17.
— für Gemüse 17.
— für Miete ders. 14.
Stallungen 49.
Schwiening, Architekt 66.
Schlachthöfe 30 ff.
— Berechnung der Gröfse ders. 40.
— Beleuchtung ders. 32.
— deutsche 29.
— Entwässerung ders. 32.
Schlachthöfe, französische 29.
— für krankes Vieh 41.
— für Pferde 41.
— Gebühren auf dens. 55.
— in Berlin 29. 31. 33. 74.
— in Belgien 29.
— in Bielefeld 29.
— in Bonn 40.
— in Braunschweig 40.
— in Bremen 29.
— in Cassel 29.
— in Chemnitz 29.
— in Dortmund 29.
— in Erfurt 40.
— in Essen 70.
— in Frankreich 29.
— in Freiburg i./Br. 29.
— in Genf 30.
— in Graz 38
— in Halle 39. 70.
— in Hannover 29. 70.
— in Italien 29.
— in Leipzig 29. 40. 74.
— in Lübeck 29. 66.
— in Metz 29.
— in Mülheim a. d. R. 30. 40.
— in München 29. 37. 40.
— in Osnabrück 66.
— in Schwiebus 64.
— in Strafsburg 29.
— in Stuttgart 30.
— in Ulm 30.
— in Wien 29.
— in Wiesbaden 40.
— Kosten ders. 55 ff.
— Verwaltung ders. 23. 24.
— Verwaltungsgebäude für dies 51
— Wasserversorgung ders. 52 ff.
Talgschmelze 51.
Viehmärkte 17 ff. 56 ff.
Weifs, Architekt 34.
Wiehe, Architekt 70.
Windhausen, Eismaschine 44.
Wochenmärkte 1 ff.
Zenetti, Architekt 37.
VOLKS- UND HAUSBÄDER.
BEARBEITET
VON
ß. SCHULTZE,
STADT-BAUINSPEKTOR IN KÖLN.
MIT 22 ABBILDUNGEN.
HANDBUCH DER HYGIENE
HERAUSGEGEBEN VON
DR. THEODOR WBYL.
SECHSTER BAND. ZWEITES HEFT.
JENA,
VERLAG VON GUSTAV FISCHER.
1894.
Inhaltsübersicht.
Seite
1. Notwendigkeit der Volksbäder 85
2. Formender Volksbäder 86
3. Rücksichten bei der Anlage von Volksbädern 87
4. Die Bestandteile eines Volksbades 88
a) Räume zur Benutzung der Besucher 88
Vorräume 88
Warteräume 88
Baderäume für Brausebäder 89
„ „ Wannenbäder 91
„ „ Schwimmbäder 92
Aborte 96
b) Räume für den Betrieb der Anstalt 96
Kasse 96
Räume für die Erwärmung des Badewassers und die
Heizung der Anstalt 98
Räume für Besorgung und Trocknung der Badewäsche . 98
Brennmaterialienraum 98
5. Die technischen Einrichtungen 98
Wasserbeschaffung 99
Wasserbedarf 99
Erwärmung des Badewassers 100
Rohrleitungen 101
Apparate für Wannen- und Brausebäder 102
Heizung der Baderäume 103
Lüftung derselben 103
6. Baukosten der Volksbäder 103
7. Betrieb der Bäder 104
84 Inhalt.
Seite
8. Volksbäder außerhalb Deutschlands 105
9. Billige Hausbäder 107
Wannenbäder 107
Brausebäder 108
Dampfbäder 108
Litteratur 110
Register 111
Verzeichnis der Abbildungen.
Figur 1. Brausezelle, Längsschnitt 90
2. „ Grundriß 90
„ 3. Brausebad zu München 92
„ 4. „ Mannheim 92
„ 5. Grove's Volksbad 93
„ 6. Volksbad zu Hannover .... 93
„ 7. „ ,, Braunschweig 94
„ 8, „ „ Mainz 94
9. „ „ Berlin 94
„ 10. „ „ Köln 94
„ 11. Stadtbad zu Offenbach, Grundriß 95
„ 12. „ „ „ Längsschnitt durch das Schwimm-
bassin 96
„ 13. „ „ „ Detail der Reinigungsbäder . . 96
„ 14. Volksschwimmbad im Hohenstaufenbade zu Köln, Grundriß 97
„ 15. ,. ,, „ „ Durchschnitt 97
„ 16. Badewanne mit Uebersteiger-Badeofen 107
„ 17. „ „ CirkuHerbadeofen 108
„ 18. Heizbare Badewanne 108
.. 19 u. 20. Brausebad 109
.. 21 u. 22. Dampfbad 109
Fig. 1 — 13 stammen aus R. Schultze, Volksbäder, Bonn 1893;
Fig. 16 u. 17 aus Handbuch der Architektur, 3./5. Darmstadt 1892:
Fig. 18 — 20 sind von der Akt.-Ges. vorm. Schäffer & Walcker in Berlin
freundlichst zur Verfügung gestellt; Fig. 21 u. 22 stammen aus Vel-
hagen & Klasing's Monatshefte des Daheim.
1. Notwendigkeit der Volksbäder.
Von allen Forderungen, welche die öffentliche Fürsorge für das
Wohl eines Volkes zum Zwecke der Erhöhung der körperlichen und
moralischen Gesundheit desselben zu stellen hat, giebt es keine, welche
die persönliche Mitwirkung aller Glieder der Volksgemeinschaft in so
hohem Grade in Anspruch nimmt, wie das Gebot periodischer, voll-
ständiger Körperreinigung. Demnach erscheint die weitestgehende
Durchführung gerade dieser Forderung gegenüber den übrigen Zweigen
des ausgedehnten Gebiets der öffentlichen Gesundheitspflege von der
größten Wichtigkeit. Die Bemühungen für die Reinhaltung des Erdbodens,
der Luft und der Wasserläufe , für Beschaffung reinen Trinkwassers
und gesunder Nahrungsmittel können ihren auf die Förderung der Volks-
gesundheit gerichteten Zweck nur unvollkommen erfüllen, solange das-
jenige Wesen, zu dessen Schutze dies alles geschieht, an seinem eigenen
Körper den günstigsten Nährboden zur Erzeugung, Vermehrung und
Uebertragung von Krankheitsstoffen bietet. Erfahrungsgemäß hat die
Fürsorge für die Reinhaltung des Körpers zugleich die segensreiche
Wirkung der Reinlichkeit in Kleidung und Wohnräumen, überhaupt er-
höhter Selbstachtung im Gefolge. So ist in notwendiger Konsequenz
der bisherigen Erfolge der öffentlichen Gesundheitspflege als thatsäch-
lichst bester Schutz gegen die Gefahren der Verbreitung von Volks-
krankheiten die systematische, zum unabweisbaren Bedürfnisse zu er-
hebende Gewöhnung jedes Gliedes einer Volksgemeinschaft an persön-
liche Reinlichkeit anzuerkennen und ihre allgemeine Durchführung als
zu erstrebendes Ziel hinzustellen.
Von der Erreichung des hiermit gesteckten Zieles sind wir leider
noch recht weit entfernt. WTährend die Kulturvölker des Alter-
tums, ebenso wie unsere eigenen Vorfahren, die Wichtigkeit der all-
gemeinen Befriedigung des Badebedürfnisses wohl erkannt hatten, diesem
Gegenstande die gebührende Aufmerksamkeit zuwandten und dessen
Ausübung teilweise zu den von der Religion vorgeschriebenen Hand-
lungen erhoben, können wir uns heute mit der Forderung wirklicher
Allgemeinheit der regelmäßigen Körperreinigung als erst im Anfange
der Verwirklichung und Durchführung stehend betrachten. Die Richtig-
keit dieser Wahrnehmung wird derjenige leicht anerkennen, welcher
die Zahl der auf Benutzung billiger Bäder angewiesenen Bevölkerung
in Städten selbst, die mit öffentlichen Bädern verhältnismäßig gut aus-
Handbuch der Hygiene. Bd.. VI. Q
86 R. SCHULTZE,
gerüstet sind, vergleicht mit der Anzahl der in diesen Anstalten zu
den für die ärmere Volksklasse in Betracht kommenden Preisen wirk-
lich verabreichten Bäder; noch mehr derjenige, welcher sich vergegen-
wärtigt, daß in einer großen Zahl von Städten unseres Vaterlandes
öffentliche Badeanstalten überhaupt noch nicht bestehen.
So werden sich denn die Bemühungen darauf
richten müssen, unser Volk zunächst wieder zur
Bade ge wo hnheit zu erziehen, und ein guter Erfolg dieser Be-
strebungen wird in erster Linie durch die Gewöhnung der Jugend zu
erwarten sein. Die Schulbäder*) und die von der Heeresverwaltung
eingerichteten Manns chaftsbäder**) sind daher als wichtige Mittel
zur Förderung der Volksgesundheit anzusehen , denn es steht außer
Zweifel, daß die der Jugend zum Bedürfnis gemachte Gewohnheit der
Körperreinigung in weitaus den meisten Fällen ihre Nachwirkung auf
das ganze weitere Leben behalten wird.
2. Formen der Volksbäder.
Die Formen, welche geeignet sind , dem Badebedürfnis eines
Volkes Genüge zu leisten, können nach Maßgabe der Volksgewohnheiten,
sowie der zur Verfügung stehenden Mittel verschiedene sein. Es ist
bekannt, daß die Römer ihre mit erheblichem Aufwand an Mitteln
erbauten, für den Gebrauch des Wassers in allen Wärmegraden vor-
trefflich eingerichteten Thermen als echte Volksbäder nicht nur in
allen Städten ihrer Heimat besaßen, sondern daß sie dieselben auch
in den entferntesten Provinzen und sogar in den zum Grenzschutz
dienenden Kastellen nicht entbehren mochten. Bei den nordischen
Völkern ist die Form des Dampfbades als wirkliches, seinem Zwecke
voll entsprechendes Volksbad im Gebrauche.
Bei uns sind die für die öffentliche Benutzung in Betracht kommenden
Badegelegenheiten bisher zumeist in der Form von Warmwasser- Wannen-
bädern und erwärmten Schwimmbädern hergerichtet worden. Diese
beiden Arten besitzen jedoch die Nachteile verhältnismäßiger Kost-
spieligkeit in Anlage und Betrieb, welche der Entwickelung dieser Bade-
formen zu den Zwecken allgemeiner Volksbäder entgegensteht und der An-
lage derselben in kleineren, nicht vermögenden Gemeinden hinderlich ist.
Als ein wesentlicher Fortschritt der jüngsten Zeit ist es daher
anzusehen, daß sie durch Erfindung und Verbreitung des tempe-
rierten Brausebades das der Neuzeit gemäße Mittel zur raschen
und billigen Befriedigung des Badebedürfnisses großer Mengen von Per-
sonen gefunden hat und somit das Volksbaden im umfassendsten Sinne
wieder möglich gemacht hat. Als diejenigen Anforderungen, denen
ein Volksbad unserer Zeit zu entsprechen hat, zählt Randel15 in
richtiger Weise die folgenden auf: 1) daß das Einzelbad möglichst
billig abgegeben werden kann, 2) daß ein solches Bad unbedingt ein
Reinigungsbad sein soll, und 3) daß seine Benutzung in kürzester
Zeit erfolgen kann, denn die freie Zeit des modernen Menschen jeder
Berufsart ist kurz bemessen und kostbar. Das Verdienst, eine allen
diesen Bedingungen entsprechende Badeform ersonnen und deren prak-
tische Ausführbarkeit dargethan zu haben, gebührt in erster Linie dem
*) Siehe Bd. VII dieses Handbuchs.
**) Siehe Bd. V dieses Handbuchs.
Volks- und Hausbäder. 87
Ober-Stabsarzt Dr. Murin ich und dem Dr. Lassar8 16, wie den
Installationsfirmen David Grove11 und Börner & Co.16.
Es erscheint somit natürlich, daß der größere Teil des Interesses
an den Bauanlagen und technischen Einrichtungen der eigentlichen
Volksbäder sich auf das Brausebad und insbesondere auf jene kleineren,
geringe Bau- und Betriebskosten fordernden Anlagen erstrecken wird,
welche in der Zukunft bestimmt erscheinen, gerade in den zahlreichen,
weniger begüterten städtischen und ländlichen Gemeinwesen die Bade-
gewohnheit wieder zur allgemeinen Volkssitte zu machen. Dagegen werden
bei den Badeanstalten der größeren Städte, welche zugleich den mannig-
fachen Ansprüchen eines namhaften Teils bezüglich der Höhe der aufzu-
wendenden Mittel nicht beschränkter Besucher zu genügen haben , die
Räume der Schwimm- und Wannenbäder den Hauptcharakter der An-
stalt bestimmen sowohl hinsichtlich der Raumverteilung, wie des Be-
triebes, während die Hinzufügung von Brausebädern wesentlich neue
Elemente des baulichen Organismus nicht mit sich bringen wird.
3. Rücksichten bei Anlage von Volksbädern.
Von Wichtigkeit für das Gedeihen eines Volksbades wird zunächst
die Wahl eines angemessenen Bauplatzes sein, der in zweckentsprechender
Weise dem Verkehr desjenigen Teiles der Bevölkerung nahe liegt, für
dessen Gebrauch dasselbe errichtet ist. Als dringend erwünscht muß
es ferner hingestellt werden, daß der Eindruck der Bauanlage im Innern
und Aeußern und derjenige ihrer Umgebung zu einem ansprechenden
und wohlgefälligen gestaltet werde, so daß der Genuß des Bades dem
Besucher nicht als eine notdürftige Befriedigung des Reinigungsbedürf-
nisses, sondern als eine Annehmlichkeit und ein Vergnügen erscheint.
Man hat bei den bisherigen Ausführungen mehrfach die Volksbade-
anstalten mit anderen, dem öffentlichen Wohl dienenden Bauanlagen
verbunden, mit Feuerwehrhäusern, Turnhallen, Desinfektionsanstalten ;
zum Teil konnte man vorhandene Bauplätze durch Zusammenlegung
verschiedener kleiner Bauten in ausgiebigerer Weise ausnützen, zum
Teil suchte man durch solche Vereinigung Ersparnisse der für die An-
lage der Bäder erforderlichen Baukosten herbeizuführen. Solange
unter der Verbindung verschiedener Zwecke nicht der eine oder der
andere derselben Not leidet, erscheinen diese Bestrebungen ohne Zweifel
sehr anerkennenswert. Von mindestens gleicher Bedeutung erscheint
es jedoch, einen auf die Dauer möglichst billigen Betrieb der Volks-
bäder durch die Mitbenutzung einer vorhandenen Dampfquelle zu er-
streben. Die W7ohlfahrts- und Nützlichkeitseinrichtungen der Städte:
Krankenhäuser, Elektricitäts- und Wasserwerke, Desinfektionsanstalten
u. a., besonders aber die meisten großen industriellen Unternehmungen
besitzen in ihren Kesselanlagen zumeist ausreichende Dampfquellen,
durch welche unmittelbar oder mittelbar unter Benutzung des über-
schüssigen Abdampfs der Maschinen die Erwärmung der für ein Brause-
bad erforderlichen Wassermenge ohne Schwierigkeit und fast kostenlos
mitgeleistet werden könnte. Es erscheint vielleicht gerade bei kleineren,
mittellosen Gemeinwesen der Industriebezirke angezeigt, die Frage der
Anlage von Volksbädern zunächst unter dem Gesichtspunkte der mög-
lichen Benutzung einer solchen vorhandenen Dampfquelle zu prüfen.
Selbst wenn in einzelnen Fällen auf diesem Wege nur Badegelegenheiten
6*
3
88 R. SCHULTZE,
von vorübergehendem Bestände geschaffen werden könnten, wäre dies
für das gesundheitliche Interesse als wesentlicher Fortschritt zu er-
achten.
4, Bestandteile eines Volksbades.
Die Bestandteile des Bauwerks einer für die öffentliche Be-
nutzung bestimmten Volksbadeanstalt werden auch bei Bauten kleinsten
Maßstabes die folgenden sein müssen:
a) Räume zur Benutzung der Besucher: Vorräume und
Warteräume ; Korridore, welche zu den Baderäumen führen ; die Bade-
räume selbst, die Brause-, Wannen- und Schwimmbäder enthaltend ; zweck-
entsprechende Abortanlagen ;
b) Räume für den Betrieb der Anstalt: die Kasse; der
Raum für die Heizung der Anstalt und für die Erwärmung des Bade-
wassers; die Räume für die Besorgung, Trocknung und Aufbewahrung
der Badewäsche ; endlich Raum zur Aufbewahrung von Brennmaterialien.
a) Räume für die Besucher des Bades.
Bei näherem Eingehen auf die Einzelheiten ist zunächst hervor-
zuheben, daß es als wünschenswert bezeichnet werden muß, die Trennung
der Geschlechter schon von den Eingängen aus durchzuführen. Die
Anlage von Vorräumen oder Windfängen am Eingange bezweckt
die Abhaltung der Zugluft von den Innenräumen und erweist sich
gerade in kleinen Badeanstalten in besonderem Maße als notwendig,
da die Zugluft beim Fehlen derartiger Vorrichtungen um so leichter
den ganzen Raum durchstreichen und zu Belästigungen und Erkältungen
der Badenden Veranlassung geben kann. Für ebenso dringend er-
forderlich sollte auch überall die Anordnung von zugfreien, für beide
Geschlechter getrennten Warteräumen erachtet werden. Wo die-
selben fehlen , müssen bei augenblicklicher Besetzung aller Badezellen
die Wartenden entweder auf der Straße, dem Wind und Wetter ausge-
setzt, ihren Aufenthalt nehmen, oder sie werden die Korridore vor den
Badezellen füllen, und dies dürfte erst recht unzuträglich erscheinen,
da hierdurch der Verkehr behindert und die erforderliche Kontrolle un-
möglich gemacht wird.
In den Warteräumen ist für das Vorhandensein von Sitzgelegen-
heiten zu sorgen , und sind diese letzteren , ebenso wie die Wände
der Warteräume bis zur Kopfhöhe abwaschbar herzustellen ; passend
wird auch eine Trinkgelegenheit in diesen Räumen ihren Platz finden.
Die Ueberwachung der Warteräume wird in den meisten Fällen von
dem zwischen ihnen angeordneten Kassenraum stattfinden können, der,
wenn möglich, so anzulegen ist, daß er auch zugleich eine Aussicht auf
die Korridore und die Thüren der Badezellen bietet. Die bequeme
Uebersichtlichkeit aller Innenräume ist gerade für Volksbadeanstalten
bei dem nicht eben seltenen Vorkommen von Personen , welche die
Neigung besitzen , sich über die bestehende Ordnung hinwegzusetzen
oder an den vorhandenen Einrichtungen Unfug zu verüben, als ein un-
bedingtes Erfordernis zu bezeichnen. Diejenigen, mehrfach ausgeführten
Grundrißformen , bei welchen die Badezellen um den Mittelpunkt eines
Achtecks oder Vierecks angeordnet und die Korridore längs der Außen-
Volks- und Hausbäder. 89
wände herumgeführt sind, können daher nicht als der vorstehend er-
wähnten Bedingung entsprechend bezeichnet werden.
Die eigentlichen, selbstredend für Männer und Frauen vollständig
zu trennenden Bade räume werden bei Volksbädern im allgemeinen
als größere, zusammenhängende Räume angeordnet, in welche die Zellen
mit niedrigen , 2,0 — 2,20 m hohen Teilungswänden eingebaut werden.
Diese Baderäume dürfen, namentlich bei Brausebädern, nicht zu niedrig
sein, da sich anderenfalls in Folge der durch die Handhabung der Brausen
erfolgenden größeren Sättigung der Luft mit Wasserdampf leicht Nieder-
schläge von Wasser an Decken und Wänden, sowie an den Einrichtungs-
gegenständen bilden.
Für Fußböden, Decken und Wände der Baderäume sind derartige
Materialien zu wählen, welche dem Einflüsse des Wassers und feuchter
Luft möglichst widerstehen ; als Bodenbeläge sind Cement- und Asphalt-
estriche, Terrazzo und Thon- oder Steinzeugfliesen wohl zu empfehlen.
Die Außenwände der Baderäume werden zum Schutz gegen zu starke
Abkühlung und Bildung von Wasserniederschlägen mit Luftisolier-
schichten zu versehen sein, während bei den Deckenkonstruktionen un-
verkleidete Eisenteile zu vermeiden sind, da das Schwitzwasser an den-
selben Rostbildung erzeugt und herabtropfend zu unangenehmen Flecken
Veranlassung giebt. Geputzte und gewölbte Decken verdienen für die
in Rede stehenden Zwecke entschieden den Vorzug.
Für eine gute Tages- und Abendbeleuchtung ist bei der Anlage
der Baderäume, besonders solcher, welche die engen Zellen teilungen
der Brausebäder enthalten, Vorsorge zu treffen, doch ist andererseits
die Schaffung sehr großer, zusammenhängender Fensterflächen zu ver-
meiden, weil sich während der Heizperiode die Luft an denselben stark
abkühlt und die hierdurch hervorgerufene Luftbewegung bei den Be-
suchern das Gefühl von Zugluft hervorruft. Sowohl um einen, für den
Heizerfolg nötigen Umlauf der Luft in den Baderäumen zu erzielen,
wie um der Ablagerung von Schmutz an den Kanten und Winkeln der
Zellenscheidewände vorzubeugen , sind die Unterkanten dieser Wände
auf kleinen Eisen stützen derart über dem Fußboden erhaben aufzu-
stellen, daß ein freier Raum von 3 — 5 cm Höhe verbleibt.
Die zum Zwecke der Brausebäder dienenden Bade-
zellen, für welche im allgemeinen eine Breite von 1,20 m und eine
Länge von 2,50 m als zweckentsprechend zu bezeichnen ist, sind fast
stets und in richtiger Weise geteilt in den Aus- und Ankleideraum und
den eigentlichen Brauseraum. Die Umfassungswände des ersteren können
recht wohl aus Holz, sonst auch aus Cement- oder Gipsputz mit Draht-
geflechteinlage bestehen ; notwendiges Inventar dieses Raumes ist eine
abwaschbare Sitzbank , ein kleiner Spiegel mit Konsolbrett, ein Hut-
und mehrere Kleiderhaken, Stiefelknecht und Spucknapf, sowie ein kleiner
Lattenrost. Die sämtlichen Gegenstände sind so weit als möglich an
den Wänden fest anzubringen. Die nach den Korridoren führenden
Thüren der Badezellen sind entweder als Schiebethüren oder nach dem
Innern der Zellen aufschlagend zu gestalten und ihre Verschlüsse so
herzustellen, daß die Thüren von innen jederzeit, von außen nur durch
das Aufsichtspersonal zu öffnen sind. Es empfiehlt sich, auf der Außen-
fläche der Thüren eine kleine Schiefertafel einzulassen, auf welcher der
Badewärter zur Kontrolle der Benutzungsdauer die Zeit des jedesmaligen
Benutzungsanfangs notieren kann.
90
R. SCHULTZE,
— te
Als Material für die Umfassungswände der Brauseräume sollte nur
ein solches, das gegen die fortwährende Einwirkung von warmem Wasser
und Seife sich als durchaus beständig erweist, in Frage kommen;
diesem Zwecke entsprechend erscheinen Wände aus Schiefer-, Rohglas-
oder Marmorplatten. Die
letzteren werden in einer
Badeanstalt noch viel weniger
als ein Luxus anzusehen sein,
als in den Aborten unserer
Bahnhöfe und besseren Gast-
wirtschaften , wo sie längst
vielfach Verwendung gefunden
haben. Holz und Wellblech
haben sich als Material für
die Wände der Brauseräume
durchweg nicht bewährt; oft
angewendet trifft man Cement-
putz - (Monier - ) Wände , mit
Drahtgeflechteinlage , deren
Sauberkeit jedoch lediglich
von der durch die Bearbei-
tung erreichten Glätte ihrer
Oberfläche und der Häufig-
keit der Erneuerung ihres
Anstriches abhängig erscheint.
In den meisten der bisher
ausgeführten Volksbadean-
stalten sind die Brauseräume
von den zum Aus- und An-
kleiden dienenden Zellenteilen
durch Vorhänge von Gummi-
stoff oder imprägniertem, so-
gen, wasserdichten Leinen
zur Verhütung des Durch-
spritzens von Wasser getrennt.
Diese Vorhänge haben aller-
orts der dauernden Einwirkung
des Wassers nicht wider-
standen und geben durch die in kurzer Zeit erfolgende Zerfetzung ihrer
Unterkanten, wie auch infolge von Beschmutzung bei hellen Stoffen und teil-
weiser Ablösung der Gummischicht den Bädern ein unsauberes Aussehen.
Man sollte diese Vorhänge daher überhaupt fortlassen, was wohl angängig
erscheint, wenn man die Oeffnung der Wand zwischen dem Auskleide-
raum und Brauseraum, für welche eine Breite von 50 cm schon ge-
nügt, entsprechend gering macht und wenn man dem Kopf der Brause
eine von dieser Oeffnung abweisende Richtung giebt. Der Fußboden
der Brauseräume wird in zweckmäßiger Weise durch ein aus hell-
farbigem Terrazzo hergestelltes, mit Ab- und Ueberlauf versehenes
Becken gebildet, welches zur Fußreiniguug zu benutzen ist. Wo Latten-
roste zur Belegung der Fußböden in den Brauseräumen verwendet sind,
haben dieselben sich stets nur von geringer Dauer erwiesen, ebenso-
wenig ist das Einstellen von Zinkwannen zur Fußreiuigung wegen
raschen Verbrauchs und anderer Uebelstände zu empfehlen. Für jede
Fig. 1 und 2. Brausezelle.
Volks- und Hausbäder. 91
einzelne Brausezelle sollte ein besonderer Wasserablauf vorgesehen
werden, da der Durchfluß des schmutzigen Wassers durch mehrere
Zellen zu Unzuträglichkeiten führt. Als Inventar der Brauseräume sind
eine Sitzrolle aus Zinkblech und ein Seifennäpfchen, beide an den Wänden
befestigt, zu erwähnen.
Viele Volksbäder enthalten neben den Brausebädern auch Warm-
w asser- W7annenbäder, weil diese Badeform infolge langer Ge-
wohnheit sehr beliebt ist. Durch die Bemessung der für die Abgabe
von Wannenbädern zu erhebenden Preise ist man imstande, das finan-
zielle Gedeihen einer Volksbadeanstalt in erhöhter Weise zu sichern,
zu diesem Zwecke auch eine Teilung dieser Bäder in eine I. und IL
Klasse einzuführen, was häufig dem Wunsche einer größeren Anzahl in
den Mitteln nicht aufs knappste beschränkter Besucher entsprechen
wird und mit einem geringen Mehr an Komfort für die Bäder der I.
Klasse ausführbar ist. Der bequemen Ueberwachung und Uebersicht
wegen wird mau auch die W7annenbäder in der Regel in einem ein-
heitlichen Baderaum derart anordnen , daß die Teilungswände, wie bei
den Brausebädern beschrieben, in den Raum eingebaut werden. Die
Trennungswände werden aus Holz , als Rabitz- oder Monierwände her-
gestellt; als kleinste Abmessungen der Zellen ist ein Maß von 1,80 m
Länge zu 1,80 m Breite anzusehen ; zweckmäßig sind etwas größere
Zellenmaße, doch wird man in Volksbädern selten über Größen von
2,0:3,0 m hinausgehen. An notwendigem Inventar der W'annenzellen
genügt das gleiche, welches bei den Aus- und Ankleidezellen der Brause-
bäder aufgeführt ist; vervollständigen kann man dasselbe, etwa für
Bäder I. Klasse, durch Hinzufügung eines Ruhelagers und eines Nacht-
tischchens mit entsprechenden Inhalt.
Als Badewannen werden in den Volksbädern der Dauerhaftigkeit
und Sauberkeit sowie der verhältnismäßigen Billigkeit wegen zumeist solche
aus emailliertem Gußeisen verwendet, die — frei auf den Fußboden gestellt
— weder mit der Zufluß- noch mit der Abflußleitung fest verbunden
sind, so daß sie gelegentlich, um den Raum hinter und unter ihnen zu
reinigen , von ihrem Standort abgerückt werden können. Bei dieser
Einrichtung erscheint auch die Anbringung von Ueberläufen an den
Wannen, die lediglich zur Wasserverschwendung Veranlassung' geben
können, entbehrlich. Häufig vertieft man den Fußboden der Wannen-
zellen um die Stärke eines Lattenbodens gegen die Gänge und stellt
dann die WTanne ebenfalls vertieft auf diesen Fußboden, dem man Ge-
fälle nach dem Abflußrohr der WTannen giebt; als Vorteil ist größere
Bequemlichkeit des Einsteigens in die WTannen anzuerkennen, als Nach-
teil die Notwendigkeit großer Lattenrostflächen und die Schwierigkeit,
diese wie den Boden unter ihnen stets ganz sauber zu halten. Von
Wichtigkeit erscheint die Form der Badewannen für die Zwecke der
Volksbäder insoweit, als dieselbe einen unnötigen Verbrauch von warmem
Wasser nicht begünstigen soll — es genügt für ein Wannenbad eine
Wassermenge von 200 1; daß zu große Höhe der Umwandungen und
scharfkantige Ränder an der Wanne unbedingt zu vermeiden sind,
sei nebenbei erwähnt. Als recht brauchbar hat sich in verschiedenen
Volksbädern eine vom Eisenwerk Lauchhammer verfertigte W7anne von
folgenden Abmessungen bewährt:
obere Länge 1,62 m
Bodenlänge 1,44 „
92
R. SCHULTZE,
obere gröfste Breite am Kopf- und Fufsende o,62 m
untere „ „ „ „ „ „ o,47 „
Höhe vom Wannenboden (innen) 0,56 ,,
Höhe vom Fafsboden bis Wannenrand 0,68 „
Kopf- und Fußende der Wanne sind halbkreisförmig abgerundet. Die
zu einem Bade genügende Wasseitiefe beträgt 0,25 m.
Die folgende Auswahl von Grundrissen ausgeführter Volksbade-
anstalten, sowohl solcher, die nur für Brausebäder, wie solcher, die für
Brause- und Wannenbäder eingerichtet sind, möge darlegen, in wie
mannigfaltiger Weise die bei der Herstellung dieser Bauanlagen ge-
stellten Aufgaben zur Lösung gebracht worden sind.
£n/Qrse^car.
Fig. 3. Brausebad zu München.
Fig. 4. Volksbad zu Mannheim.
Die Benutzung von Schwimmbädern zum Zwecke der Volks-
gesundheitspflege besitzt den Vorteil, daß mit der Befriedigung des
Badebedüifnisses zugleich eine die Gesundheit fördernde, anregende
körperliche Bewegung verbunden ist. Da jedoch in einer für den all-
gemeinen Gebrauch des Volkes bestimmten Badeanstalt der Zweck der
Körperreinigung als der weitaus wichtigste zu erachten, und da der
Gebrauch von Seife im Schwimmbassin als völlig unstatthaft zu be-
zeichnen ist, wird mit einem Volksschwimmbade stets eine möglichst
ausgiebig bemessene Zahl von Reinigungsbädern zu verbinden sein.
Im Vergleich mit den Brause- und Wannenbädern hat das Schwimmbad
den Nachteil größerer Kostspieligkeit in der Anlage und im Betriebe
und größeren Raumbedarfes für den einzelnen Besucher. Denn während
für eine Brausezelle mit Aus- und Ankleideraum 3 qm, für eine Wannen-
badzelle 4 qm genügen, bedarf ein Schwimmer im Bassin etwa 8 qm,
ein Nichtschwimmer etwa 1,5 qm, jede badende Person also durch-
schnittlich ^ — = 4,8 qm Bassinfläche, wozu an Zellen- oder Bank-
räum noch 1 — 1,5 qm zu rechnen sind , so daß sich insgesamt etwa
6 qm für die Person ergeben, abgesehen von der gegenüber den Wannen-
und Brausebädern erforderlichen erheblichen Mehrfläche für den Bassin-
umgang, Reinigungsbäder, Brausen u. a. Die Ertragsfähigkeit der
Schwimmbäder wird daher in den meisten Fällen auf der Benutzung
Volks- und Hausbäder.
93
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Pfba^UMai
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Fig. 5. Grove's Volksbad.
Eingang
fürManner.
Eingang
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Fig. 6. Volksbad zu Hannover.
94
R. SCHULTZE.
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Fig. 7. Volksbad zu Braunschweig.
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l..vJ I I — I — I ' I i i m.
Fig. 8. Volksbad zu Mainz.
Fig. 9. Volksbad zu Berlin.
Fig 10. Volksbad zu Köln.
TO
Volks- und Hausbäder.
95
derselben durch eine nicht mehr zu den Unbemittelten rechnende Klasse
der Bevölkerung beruhen.
Ueber die bauliche Gestaltung der Schwimmbäder, das Erfordernis
ihrer Anlage in hohen , durch Seitenlicht beleuchteten Hallen , wenn
möglich mit besonderen äußeren Zugängen zu den Zellen und inneren
Bassinumgängen, über die Einrichtung der Bassins bezüglich ihrer tech-
nischen Herstellung, der Tiefe, des Wasserzu- und ablaufs u. a. fehlt
es nicht an ausführlichen Angaben in einer reichhaltigen Litteratur. Als
ausgeführte Beispiele von Volkschwimmbädern seien hier das Volksbad
im Hohenstaufenbade zu Köln und das Offen burger Stadtbad angeführt,
beide für ihren Zweck in besonderem Maße ausgerüstet durch eine
reichliche Verbindung mit Reinigungsbädern, Brauseduschen und Becken
für Gesichtswaschung, Körper- und Fußreinigung.
//ieftiberdu tityniwg für dm /hyx-p
HtuH&o-dKHÜmgfiirilmflafckiiusic*
Fig. 11. Stadtbad zu Offenbach.
Der Gebrauch von Dampf- (russischen) und Heißluft- (römisch-
irischen) Bädern wird sich nach dem derzeitigen Stande der Sachlage
für die große Menge des Volkes im wesentlichen auf einzelne Fälle,
zu denen ärztlicher Rat die Veranlassung giebt, beschränken; die ein-
gehendere Erwähnung dieser Badeformen, bezüglich deren es auch an-
derwärts nicht an Angaben fehlt, kann daher an dieser Stelle füglich
unterbleiben.
96
R. SCHULTZE,
Die Anordnung von Aborten ist auch bei den kleinsten Bade-
anstalten als notwendig zu bezeichnen. Wie überhaupt bei den für
den öffentlichen Gebrauch bestimmten Bedürfnisanstalten sollten dieselben
derart eingerichtet sein, daß Beschmutzungen der Sitze verhindert
werden und die etwa zur Spülung zu handhabenden Apparate einfach,
etwaigen Beschädigungen möglichst wenig ausgesetzt sind. Bei den
Klosetts hat sich die Anwendung von Sitzen aus abgerundeten schmalen
Holzkränzen mit darunter befindlicher Blecheinfassung des Beckens,
sowie eine Spülung mittels einfacher Knebelhähne bewährt, bei den
Pissoirs die Anordnung einer erhöhten Bordschwelle vor den Becken
Fig. 12. Stadtbad zu Offenbach.
Detail der Reiuigungsbäde r.
oder Ständen, um ein Zurücktreten der Benutzenden in den Raum und
umfangreiche Beschmutzungen des Fußbodens unmöglich zu machen.
Der Fußboden der Pissoirräume ist ausreichend in Gefälle zu legen und
mit genügend großer Bodenentwässserung zu versehen.
b) Räume zum Betriebe der Anstalt.
Von den notwendigen Betriebsräumen der Volksbadeanstalten
ist zunächst der Kasse Erwähnung zu thun. Dieselbe ist stets so
unterzubringen, daß sie für die Männer- und Frauen ab teilung zugleich
dient und daß von derselben aus, wenn möglich, eine unmittelbare
Volks- und Hausbäder.
97
i i i i
Fig 14. Volksschwimmbad im Hohenstaufenbade zu Köln.
Fig. 15. Volksschwimmbad im Hohenstaufenbade zu Köln.
'3
98 R. SCHULTZE,
Ueberwachuug aller für die gemeinsame Benutzung der Besucher be-
stimmten Räume erfolgen kann. Wo der für ein Bad gezahlte Preis
zugleich die Verabreichung von Handtüchern in sich schließt, wird eine
handgerechte Aufbewahrung der zur Ausgabe fertigen , sowie die Ge-
legenheit, sich der gebrauchten Badewäsche zu entledigen vorzusehen
sein. Der Raumbedarf für die Aufbewahrung von Handtüchern ist ein
derartiger, daß für 1000 Stück etwa 1,5 qm Regalansichtsfläche ge-
nügt. Die Zahl der zu beschallenden Handtücher muß mindestens
das Dreifache der an einem Tage zu verabreichenden Höchstzahl der
Bäder betragen.
Die Räume für die Heizung des Badewassers und der An-
staltsräume nebst den Waschräumen sind bei Volksbädern, in welchen
der Badewärter zugleich die Obliegenheiten des Kassierers und Heizers
mit zu versehen hat, in direkte, bequeme Verbindung mit dem Kassen-
raum zu bringen und derart übersichtlich und gut beleuchtet zu gestalten,
daß die Bedienung der Feuerungen und die Aufsicht über die Wäsche-
reinigung mit einem Mindestteil von Arbeit zu leisten ist. Bei größeren
Anlagen, welche die Anstellung besonderer Heizer, bezw. Maschinisten
erforderlich machen, wird es praktischer sein, den Heizungsbetrieb
völlig außerhalb der dem Badebetriebe dienenden Räume zu verlegen,
doch wird auf die Möglichkeit einer leichten Verständigung zwischen
dem Heizer- und dem Badewärterpersonal stets Wert zu legen sein.
Derselbe Unterschied, wie bei der Anordnung der Heizräume in größeren
und kleineren Anlagen, wird bezüglich der Räume für Reinigung
und Trocknung der Badewäsche zu gelten haben, auch diese
sind dem Bedürfnis voll entsprechend, übersichtlich und geräumig vor-
zusehen und für die Aufstellung und Bedienung aller Apparate bequem
herzurichten. Diese Aufstellung hat natürlich, um unnötigen Wäsche-
transport zu vermeiden, derart zu erfolgen, wie es der Fortgang der Wäsche-
besorgung mit sich bringt. An Einrichtungsgegenständen der Wäscherei
sind für eine mittelgroße Badeanstalt ein paar Einweichbottiche, zwei
Laugenfässer, ein Kochfaß, eine Waschmaschine, ein Handwaschtrog,
ein Spülbottich, eine Centrifuge, ein Trockenapparat mit der entspre-
chenden Anzahl von Coulissen, sowie eine Wäschemangel erforderlich.
Bei kleineren Anlagen werden die ersteren Gegenstände nur in ein-
facher Zahl benötigt sein, man wird die Waschmaschine entbehren,
auch den Dampftrockenschrank öfter mit Vorteil durch einen Trocken-
raum , in welchem die überschüssigen Heizgase der WTarmwasserbe-
reitungsapparate , bezw. besondere Feuerungen zur Wäschetrocknung
verwendet werden, ersetzen können; bei großen Anlagen wird man da-
gegen zum Betrieb der WTaschapparate und Centrifugen Dampfkraft zur
Anwendung bringen.
Der Kohlenraum endlich werde so eingerichtet , daß er zweck-
mäßig zu den Feuerstellen belegen, nicht einen erheblicheren Transport
der Brennmaterialien erforderlich macht und derart geräumig ist, daß
er eine größere Menge von Feuerungsmaterial auf einmal aufnehmen
kann, letzteres zu dem Zwecke, um das mit häufiger Kohlenanfuhr
verbundene Verstauben und Verschmutzen des Gebäudes im Innern und
Aeußern zu verhüten.
5. Die technischen Einrichtungen.
Nächst einer zweckentsprechenden baulichen Gestaltung der Volks-
badeanstalten ist die sachgemäße Herstellung der besonderen tech-
14
Volks- und Hausbäder. 99
nischen Einrichtungen zur Beschaffung , Erwärmung , Leitung des zu
benutzenden Wassers, sowie zur Heizung und Lüftung der Anstalt von
größter Wichtigkeit für einen dauernd ungestörten Betrieb. Hierbei
ist als Grundsatz hinzustellen, daß an alle Apparate sowohl hinsichtlich
der Bemessung ihrer Leistungsfähigkeit, wie hinsichtlich der Gediegen-
heit ihrer Ausführung die höchsten Ansprüche zu stellen sind, um in
einem fortdauernden, häufig bis zu den Grenzen des Zureichenden ge-
steigerten Betriebe und unter der Behandlung einer Bevölkerungsklasse,
von der eine Schonung der ihrem Gebrauch unterworfenen Einrichtungs-
gegenstände nicht zu erwarten ist, für eine lange Zeit die volle Be-
triebsfähigkeit bewahren zu können.
Für dieWTasserbeschaffung wird bei kleineren Badeanstalten
zunächst die Versorgung durch den Anschluß an eine städtische Wasser-
leitung in Orten, wo eine solche vorhanden ist, in Frage kommen. Aller-
dings kann der Preis dieses Leitungswassers , wenn er nach den für
die Abgabe an Private bestehenden Tarifen bemessen wird, unter Um-
ständen für das wirtschaftliche Gedeihen des Volksbades von ungünstigem
Einflüsse sein. Die Gemeinden und Wasserwerksgesellschaften sollten
jedoch, wo dies zu erwarten steht, in der Einsicht, daß die Volksbäder
Anstalten von hoher Bedeutung für die körperliche Gesundheit und
sittliche Erhebung gerade der ärmsten Volksklassen werden sollen, die
Lieferung des Wassers für diese Zwecke wenigstens zum Selbstkosten-
preise, wenn eine unentgeltliche Abgabe nicht thunlich ist, gewähren.
In Orten eines Industriebezirks, welche keine öffentliche Wasserver-
sorgung besitzen, wird sich vielleicht öfters die Wasserbeschaffung für
eine kleinere Brausebadanlage durch Anschluß an eine bestehende pri-
vate Wasserhebungsanlage ermöglichen lassen. Treffen alle diese Vor-
aussetzungen nicht zu, so wird man auf den^Bezug des Wassers durch
Leitung aus Quellen oder durch Hebung aus Brunnen oder Flüssen an-
gewiesen sein , wobei die Förderung durch Handpumpen oder durch
Pulsometer zu bewirken ist ; dieses Wasser wird, wenn es zum Gebrauch
nicht die genügende Reinheit besitzt, durch Filtrierung zu reinigen
sein. Für Schwimmbäder und größere, mit Maschinenkraft versehene
Badeanstalten wird ohnehin wegen der bei Entnahme des Wassers aus
der städtischen Wasserleitung meist erheblichen Kosten die unmittel-
bare Wasserversorgung aus Brunnen oder Flüssen in Erwägung zu
ziehen sein.
Der Wasserbedarf an warmem und kaltem Wasser für eine
Badeanstalt berechnet sich in einfacher Weise aus der Anzahl und der
Häufigkeit der Benutzung der vorgesehenen Brausen und Wannen, dem
Inhalt des Schwimmbassins, der Zahl der Reinigungsbäder, dem Um-
fange der Wäscherei u. a. Eine ausführliche Anleitung zur genauen
Berechnung enthält Klinger's Schrift „Die Badeanstalt"9.
Für ein Brausebad genügt die Annahme eines Verbrauchs von 40 1
warmen und 20 1 kalten Wassers bei einer Benutzungsdauer von
20 Minuten für jedes Bad. Das warme Wasser soll eine Temperatur
von 35° C. besitzen. Für ein Wannenbad geniigen 200 1 warmen Was-
sers und etwa 30 1 Ausspülwasser; die Dauer der Besetzung eines
Bades ist auf 30 Minuten anzunehmen. Die genannten, für das Reini-
gungsbedürfnis völlig genügenden Zahlen erscheinen geringer, als die
für größere Badeanstalten gewöhnlich angenommenen Einheitszahlen
des Wasserverbrauchs ; es ist jedoch zu erwägen , daß die thunlichste
Einschränkung im Verbrauch von warmem Wasser zugleich eine wesent-
100 R. SCHULTZE,
liehe Ersparnis an Heizungs- und Betriebskosten bedeutet und daß die
Verabreichung billiger Bäder hierdurch erst ermöglicht wird.
Ueber den Wasserverbrauch von Schwimmbädern sei erwähnt, daß
derselbe je nach der Größe des Bassininhalts */25 bis 1/40 des letzteren
beträgt, und daß für jedes Reinigungsbad und jede Brause im Schwimm-
bade rund je 600 1 warmen Wassers als stündlicher Verbrauch zu
rechnen sein werden.
Endlich kommt für den Wasserbedarf noch der Betrieb der Wäscherei
in Betracht. Für die Reinigung eines Handtuchs einschl. Einsetzen,
Kochen und Waschen wird man im allgemeinen einen Verbrauch von
3 1 warmen Wassers und zum Spülen einen solchen von 2,5 1 kalten
Wassers als hinreichend annehmen können , während die Zahl der an
einem Tage zu reinigenden Handtücher mindestens gleich der Höchst-
zahl der Bäder zu rechnen ist, deren Verabreichung an einem Tage bei
ununterbrochenem Betrieb möglich ist.
Die Erwärmung des Badewassers wird nur bei größeren
Anlagen, bei welchen die Leitung von Wärme auf weitere Entfernung,
die Beschaffung großer Mengen warmen Wassers, sowie der Betrieb
maschineller Einrichtungen in Frage kommt, mittels Hochdruckdampf
zur Ausführung gelangen. Außerdem jedoch in denjenigen Fällen, wo
eine Volksbadeanstalt von der vorhandenen Dampfquelle 'einer gewerb-
lichen Anlage abhängig gemacht ist. Für die Hochdruck-Dampfkessel
werden Typen mit großem Dampf- und großem Wasserraum zu wählen
sein, um eine gleichmäßige Dampfentwickelung und Spannung auch bei
dem in der Intensität stark wechselnden Betriebe der Anstalt sicher-
zustellen. Für mittelgroße Badeanstalten sind mehrfach Niederdruck-
Dampfkessel angewendet worden, deren Vorteile bekanntlich darin be-
stehen , daß sie mit geringem Ueberdruck arbeiten und mit offenem
Standrohr versehen sind , sodaß sie an beliebiger Stelle unter den
Baderäumen zur Aufstellung gelangen können. Die Wartung ist in-
folge der Feuerungseinrichtung als Füllfeuerung und der Verbindung
derselben mit selbstthätigen Zugregulatoren bequem und einfach, auch
kann , wie beim Hochdruck-Dampfkessel , zugleich die Beheizung der
Baderäume durch dieselben Apparate besorgt werden. Nur läßt sich
eine augenblickliche rasche Verstärkung des Betriebes, die bei dem
stark wechselnden Besuche der Badeanstalten häufig erforderlich ist,
mit diesen Apparaten nicht wohl ausführen.
Die Erwärmung des Badewassers mittels Niederdruckdampf erfolgt
indirekt dadurch, daß der Dampf in Kupferspiralen durch das zu er-
wärmende Wasser geleitet wird und seine Wärme an dasselbe abgiebt.
In gleicher Weise kann die Wassererwärmung auch durch Hochdruck-
dampf erfolgen, jedoch ist hierbei außerdem ein direktes Einströmen-
lassen des Dampfes in das zu erwärmende Wasser mittels Dampf-
strahlapparaten und somit eine unmittelbare Erwärmung desselben
möglich.
Für Badeanstalten kleineren Umfanges werden neben einer Reihe
anderer Vorrichtungen in der Regel geschlossene, mit Siederohren
durchzogene Warmwasser-Heizkessel benutzt, die durch Umlaufleitungen
mit den über den Baderäumen stehenden offenen Warmwasserbehältern
verbunden sind. Bei Vorhandensein von Wasserleitung erfolgt die
Speisung dieser letzteren Behälter in der Regel direkt aus der Leitung
durch Schwimmkugelhähne, die in besonderen kleinen Reservoirs unter-
gebracht sein müssen, da sie im heißen Wasser leicht schadhaft werden.
16
Volks- und Hausbäder. 101
Falls das zum Betriebe der Bäder erforderliche Wasser nicht aus der
Wasserleitung entnommen, sondern aufgepumpt wird, ist die Aufstellung
von Kaltwasserbehältern erforderlich zur Speisung der Warmwasser-
behälter. Die Grüße der Warmwasserbehälter wird in der Regel auf
einen halbstündlichen Wasserbedarf bei stärkstem Betriebe, diejenige der
Kaltwasserbehälter auf einen stündlichen Wasserbedarf bemessen. Alle
Behälter sind mit Zulauf und Ablauf, Ueberlauf und Entleerung zu ver-
sehen. In Volksbädern mit Wannen- und Brausebädern wird es vor-
teilhaft sein, für jede der beiden Badeformen besondere W'armwasser-
behälter zu benutzen, da das für die Wannen zu gebrauchende Wasser
hinsichtlich des Wärmegrades nicht so genau reguliert zu werden
braucht, bezw. mit Vorteil höher erwärmt werden kann, als das Brausen-
wasser. Wasserstand und Wärmegrad des in den Behältern befindlichen
warmen Wassers müssen für die Bedienungsmannschaften leicht erkennt-
lich sein.
Da der Betrieb einer Badeanstalt ungemein stark wechselt, derart
daß zeitweise eine drei- bis viermalige Benutzung jeder W7annenbadzelle
und eine sechs- bis siebenmalige jeder Brausebadzelle in der Stunde
vorkommt, so ist bei der Bemessung aller Einrichtungen für die Er-
wärmung des Badewassers unbedingt die größte Ausgiebigkeit der
Leistung und die Schaffung einer Reserve vorzusehen, denn auf diesen
Apparaten beruht naturgemäß in erster Linie die Betriebsfähigkeit und
Leistungsfähigkeit der ganzen Badeanstalt.
Die Rohre der Wasserleitungen sind in den Baderäumen
zweckmäßig so zu verlegen, daß dieselben möglichst dicht über dem
Fußboden und frei auf den W7änden liegen und besonders an den Ver-
bindungsstellen und Dichtungen einer Prüfung stets zugänglich sind.
Für Kaltwasserleitungen wählt man zumeist Rohre aus Schmiedeeisen,
die zum Schutz gegen Rostbildung verzinkt werden, seltener Kupfer-
oder Bleirohre ; für Rohrweiten über 60 mm , sowie für im Erdboden
liegende Rohrstränge werden gußeiserne asphaltierte Rohre verwendet.
Für Warmwasserleitungen sind in erster Linie Kupferrohre, sodann ver-
zinkte Schmiederohre zu empfehlen, während sich Bleirohre der schnellen
Zerstörung wegen nicht eignen. Bei der Verlegung des Rohrnetzes ist
die Möglichkeit einer vollständigen Entleerung desselben, also bei hori-
zontalen Leitungen eine Verlegung mit Gefälle nach den Zapfstellen
vorzusehen. Kaltwasserleitungen sollten nicht frei über den Badezellen
hin weggeführt werden, da das Abtropfen des an den kalten Rohren
sich niederschlagenden Wassers den Besuchern des Bades lästig fällt.
Die Rohrweiten der Wasserzuleitungen werden in der Regel derart ge-
wählt, daß die Rohre für getrennte Zuleitung von warmem und kaltem
Wasser zu einer Badewanne je 26 mm lichte Weite erhalten, diejenigen
für den gemeinsamen Zufluß warmen und kalten Wassers 33 mm Weite.
Das Zuflußrohr des warmen Wassers für je eine Brause wird 20 mm,
dasjenige des kalten Wassers 13 mm inneren Durchmesser erhalten;
für jedes Wasserklosett werden 20 mm, für jede Zapfstelle 13 — 20 mm
Rohrweiten anzunehmen seiu. Die Stränge der Warm- und Kaltwasser-
leitungen sind durch Einschaltung von Absperrschiebern derart in ein-
zelne , von einander unabhängige Systeme zu teilen , daß beim Vor-
kommen irgend einer Unregelmäßigkeit die Ausschaltung des betreffenden
Rohrstranges erfolgen kann, ohne daß der Betrieb der ganzen Anstalt
eine Unterbrechung erleidet.
Für die Abflußleitungen werden die Rohrstränge innerhalb der Ge-
Handbuch der Hygiene. Bd. VI. (
17
102 R. SCHULTZE,
bäude und an solchen Stellen im Erdboden, wo sie nur geringe Deckung
haben, aus asphaltierten Gußeisenrohren hergestellt, während für Lei-
tungen , die mit genügender Deckung im Erdboden liegen , gewöhnlich
Thonrohre zur Verwendung kommen. Für eine zweckentsprechende
Einschaltung von Wasserverschlüssen in die Abflußleitungen zur Ver-
hinderung des Eindringens der Kanaldünste in die Baderäume wird
ebenso, wie für die Anordnung von Reinigungsflanschen zur be-
quemen Beseitigung etwa vorkommender Verstopfungen Sorge zu
tragen sein.
Die Hähne zur Füllung der Badewannen wird man in Volks-
badeanstalten im allgemeinen zur Verhütung von Wasservergeudung
derart gestalten, daß deren Oeffnung und Schließung mittelst losen Auf-
steckschlüssels erfolgt, sodaß die Bedienung nur durch den Wärter
möglich ist. Man läßt das warme und kalte Wasser am einfachsten
von oben frei in die Wanne einströmen ; durch gleichzeitiges Oeifnen
der Hähne für kaltes und warmes Wasser kann die Entwickelung von
Dämpfen hierbei vermieden werden.
Dieselbe Rücksicht auf einen sparsamen Verbrauch von warmem
Wasser hat auch zu eigenartigen Konstruktionen der Warmwasser-
brausen geführt, indem dieselben aus mit ihnen verbundenen kleinen
Wasserbehältern, welche die für jedes Brausebad bemessene Wasser-
menge von 30—40 1 Inhalt enthalten , gespeist werden , während der
Verbrauch einer weiteren Menge warmen Wassers erst wieder nach
einer geraumen Zeit möglich ist. Eine derartige Brausevorrichtung,
von der Firma Börner&Co. in Berlin * 5 erfunden , ist in vielen
Volksbädern im Gebrauch. Gegenüber dem Vorzuge der Gewährleistung-
größtmöglicher Ersparnis an warmem Wasser und somit an Heizung
und Betriebskraft ist als Nachteil etwa zu erwähnen , daß die Vor-
richtung nicht ganz einfach ist und daß die Wärme des Wassers in den
kleinen Behältern bei nicht ununterbrochener Benutzung der Bäder
ziemlich erheblichen Schwankungen unterworfen sein kann. Der Be-
trieb von Badeanstalten, in denen der Verbrauch von warmem Wasser für
die Brausen nicht beschränkt ist, hat andererseits gelehrt, daß bei richtig
bemessener Benutzungszeit, guter Aufsicht und flottem Betriebe die
Gefahr der Wasservergeudung nicht von wesentlicher Bedeutung ist.
Bei letzterer Annahme ist eine von David Grove in Berlin aus-
geführte Einrichtung der Warmwasser-Brausehähne erwähnenswert, die
derart funktioniert, daß die Brause — durch einen Kettenzug des Be-
suchers in Thätigkeit gesetzt — das Wasser bei gut geregelter Höchst-
temperatur und dauernd gut geregeltem Wasserquantum in Mengen von
6—8 1 während der Zeit von etwa einer Minute ausströmen läßt. Vier
bis fünf solcher Duschen genügen vollkommen für ein Brausebad. Der
Vorteil dieser Einrichtung gegenüber den Brausen, die durch einfache,
mit Kettenzug zu öffnende und durch Gegengewicht zu schließende
Durchlaufhähne gespeist werden, besteht darin, daß der Badende den
Kettenzug während der Dauer der Dusche nicht zu halten braucht
und daher zur Einseifung und Waschung die Hände frei hat. Im Zu-
lauf des kalten Wassers zur Brause findet eine Beschränkung nicht
statt, derselbe wird in der Regel durch Drehung eines Niederschraub-
hahns reguliert. Gegen die Verwendung von Apparaten, bei denen die
Erwärmung des Wassers in der Brausezelle durch Mischhähne oder ähn-
liche Vorrichtungen erfolgt, welche die unmittelbare Mischung des kalten
Wassers mit Dampf oder heißem Wasser bezwecken und welche den
18
Volks- und Hausbäder. 103
Badenden in den Stand setzen sollen, jeden beilegen Grad der Wasser-
wärme selbst zu erzeugen, möge geltend gemacht werden, daß die Hand-
habung derartiger Apparate durch ungeschickte und rohe Hände zu
Beschädigungen und in der Folge zu Verbrühungen Veranlassung geben
kann. Es hat sich im Betriebe dauernd nur die einfachste Anord-
nung der unmittelbaren Zuführung des auf die richtige Temperatur
angewärmten Wassers aus den Warmwasserbehältern zu den Brausen
bewährt.
Das Wasser der Brause darf nicht senkrecht den Kopf des Badenden
treffen, sondern soll Nacken bezw. Brust des in der Mitte der Zelle
Stehenden bis zum Oberschenkel benetzen. Es ist daher notwendig,
daß die Scheibe der Brause eine schräg abwärts gerichtete Stellung er-
hält. Denn einmal wird die unmittelbar auf den Kopf treffende Brause
nicht von allen Badenden gut vertragen, andererseits muß die Möglich-
keit gegeben sein, beim Bade eine Durchnässung des Kopfhaares, die
in kalter Jahreszeit Erkältungen veranlassen kann, zu vermeiden.
Die Heizungsanlagen der Baderäume wird man in An-
stalten, die mit Hochdruckdampf betrieben werden , natürlich nur als
Dampf- oder Dampf luftheizungen ausführen ; dasselbe wird bei An-
wendung von Niederdruckdampf der Fall sein. Die Erwärmung der
Räume durch Wasserheizungen in den verschiedenen Formen als Hoch-
druck-, Mitteldruck- oder Niederdruck- Wasserheizungen kann für Volks-
badeanstalten besonders in den beiden letzteren Formen in Frage
kommen, weil bei der Wahl dieser Heizungen die Anlage einer be-
sonderen Feuerstelle für die Erwärmung der Räume erspart werden
kann. Vielfach, gerade bei kleineren Badeanstalten sind Feuerluft-
heizungen, die bei richtiger Herstellung ihrem Zwecke gut entsprechen,
im Gebrauch ; grundsätzlich sollte für Baderäume denjenigen Heizungs-
systemen der Vorzug gegeben werden, mit welchen zugleich eine Vor-
wärmung der einzuführenden Außenluft verbunden ist. Der Billigkeit
halber sind auch Einzelheizungen mittels eiserner Regulier-Füllöfen bei
einigen kleineren Volksbädern zur Ausführung gekommen. Um die Ent-
stehung von Zugluft zu vermeiden , müssen auch Warteräume, Flure
und Vorräume an die Heizung angeschlossen werden. Die Baderäume
und Badezellen werden auf 20—25° C. , der Raum des Schwimmbades
auf 20 °, die Flure und Vorräume auf 15 ° C. zu erwärmen sein.
Als notwendiges Erfordernis bei Anlage einer Badeanstalt ist end-
lich die Einrichtung einer gut wirkenden Lüftung hervorzuheben.
Nur bei kleineren Anstalten wird man eine Lufterneuerung, welche auf
dem natürlichen Auftrieb der Luft beruht, für ausreichend erachten,
während bei größeren Badeanlagen der Betrieb von Ventilatoren mittels
maschineller Kraft vorzusehen ist. Entsprechend der Zuführung frischer
Außenluft durch unter den Fußböden oder in den Mauern liegende
Luftkanäle wird auch für die Abführung der verbrauchten Luft durch
Kanäle oder Deflektoren mit gut schließenden Klappen zu sorgen sein.
Die Größe des Luftwechsels erscheint ausreichend, wenn man für die
Räume der Wannen- und Brausebäder eine dreimalige, für die Warte-
räume eine zweimalige' und für die Schwimmhallen, Vorräume, Flure
und Treppen eine einmalige Lufterneuerung in der Stunde annimmt.
6. Die Bankosten.
Die Baukosten der bisher ausgeführten Volksbadeanstalten stellten
sich sehr verschieden, je nach der gewählten Raumbemessung, Aus-
i9 7*
104
R. SCHULTZE,
stattung und Installation. Nachstehende Angaben mögen einiges Material
hinsichtlich dieses Punktes bieten.
Volksbad zu ;
Anzahl
der Einzelbäder
Bebaute
Grund-
fläche
qm
Kosten
im Ganzen
H.
für den qm
bebaute
Grundfläche
M.
Frankfurt a. M. . .
Mannheim ....
München (Frühling-Str.)
Magdeburg (Schul-Str.)
Hannover (Klagesmarkt)
Braunschweig
Mainz (Neustadt) . .
Köln
Berlin (Alt-Neu-Kölln)
14 Brausen
14
14
20
26 „
4 Wannen, 19 Br.
7 „ 17 „
24 „ 18 „
28 ., 18 „
82
ii7
140
164
290
148
235
375
445
20 000
25 000
24 264
. 20 000
32 000
27 000
42 850
66287
1 10 000
244
222
173
122 ')
110
148
182
177
247
Die Kosten der technischen Installationseinrichtungen für Wasser-
erwärmung, Wasserzu- und -ableitung, Heizung, Lüftung und Wäscherei-
einrichtung betrugen bei den vorbenannten Anstalten im allgemeinen
30 Proz. der Gesamtkostensumme.
Zum Vergleich seien die Kosten einiger einfach eingerichteter An-
stalten mit Schwimmbädern angegeben:
Kosten
Bebaute
für den qm
Badeanstalt zu :
Grundfläche
im Ganzen
bebauter
Grundfläche
qm
M.
M.
Oldenburg ....
632
60300
95
Dortmund ....
IIOO
132 OOO
120
Offenbach ....
788
134500
170
Essen
1070
172000
161
Barmen .....
14OO
250 OOO
178
7. Der Betrieb der Bäder.
Auf die Wichtigkeit, welche ein geordneter, aufmerksamer und
sparsamer Betrieb für die gute Entwickelung der Volksbadeanstalten
besitzt, sei endlich noch hingewiesen. Je kleiner die Anstalt ist, desto
mehr wird ihr Gedeihen von der passenden Auswahl der als Badebe-
dienstete angestellten Persönlichkeiten abhängen. Die Pflichttreue des
Bademeisters, seine Sauberkeit und Fähigkeit, die Besucher richtig zu
behandeln , können ebensowohl dazu beitragen , einer Badeanstalt Zu-
spruch zu schaffen, wie der Mangel dieser Eigenschaften des Bade-
personals dieselbe in Verruf zu bringen vermag. Seitens der Aufsichts-
behörde möge die Ueberwachung und Fürsorge der Anstalt einzelnen
geeigneten, an derselben ein lebhaftes Interesse nehmenden Persönlich-
1) Die Lieferung von Dampf zur Erwärmung des Badewassers erfolgt vom Kesselhause
des städtischen Krankenhauses.
Volks- und Hausbäder. 105
keiten übertragen werden , nicht verschiedenen Gliedern eines weit-
schichtigen büreaukratischen Apparates, die jedes für sich nicht in der
Lage sind, in das Ganze fördernd einzugreifen und daher ein Interesse
an der Sache nicht nehmen. Da der Bau und die technischen Ein-
richtungen der Volksbadeanstalten in besonders hervorragendem Maße
der Abnutzung unterworfen sind, erscheint es zur Vermeidung zu
raschen Verbrauchs der gesamten Anlage angezeigt, jährlich einmal in
der Zeit des geringsten Besuchs den Betrieb zu unterbrechen, um die
erforderlichen Revisionen, Reinigungen und Wiederherstellungen mit
einiger Muße vornehmen zu können.
Hinsichtlich des wirtschaftlichen Erfolges der Volksbäder möge es
genügen, darauf hinzuweisen, daß der auf Förderung des Gemeinwohls
gerichtete Zweck derselben die Absicht, einen Geldgewinn aus ihnen zu
ziehen, ausschließt. Anzustreben ist jedoch eine mäßige Verzinsung der
aufgewandten Kosten, und daß diese bei zweckmäßig angelegten und
betriebenen Anstalten und dem Preise von 10 Pfennig für ein Brause-
bad sehr wohl möglich ist, kann durch die Thatsachen als hinreichend
erwiesen gelten. Es erscheint daher unwirtschaftlich und nicht zweck-
mäßig, die ohnehin geringfügigen Preise von vornherein so weit herab-
zusetzen, daß ein dauernder Zuschuß der Gemeinden unumgänglich ist,
denn hierdurch wird den letzteren die Neigung, in der Versorgung ihrer
Bezirke mit Volksbädern fortzufahren, ohne Zweifel beschränkt. Der
Besuch und die Einnahmen der Volksbäder steigern sich nach bisheriger
Erfahrung mit der Dauer ihres Bestehens und der wachsenden Ge-
wöhnung der Bevölkerung von Jahr zu Jahr, ihr weiteres Gedeihen
wird wesentlich noch durch die Erziehung der Jugend zur Badegewohn-
heit gefördert werden können. Als ein Beweis für die große Bedeu-
tung, welche diese billig hergestellten Badeanstalten hinsichtlich der
Zahl ihrer Besucher, verglichen mit großen und luxuriös ausgestatteten
Stadtbädern, besitzen, mag die Angabe dienen , daß z. B. das Hohen-
staufenbad zu Köln, eine mit einem Kostenaufwande von 555000 M.
errichtete, in einer Großstadt fast ohne Konkurrenz bestehende, trefflich
eingerichtete Badeanlage, einen Jahresbesuch von rund 256000 Personen
besitzt, während die mit einer Bausumme von 24000 bezw. 20000 M.
hergestellten Volksbäder zu München und Magdeburg Jahresbesuche
von 74200, bezw. 69 946 Personen aufweisen, also fast ein Drittel der
Besucherzahlen des Hohenstaufenbades bei 1/2S — '/ss der Anlagekosten.
8. VolksMder aufserhalh Deutschlands.
Dasjenige Land, welches in der Neuzeit der Erkenntnis des ge-
sundheitlichen Nutzens der Bäder die weitestgehenden praktischen
Folgen gegeben hat, welches überhaupt erst den Gedanken von der
Notwendigkeit der Ausdehnung einer regelmäßigen Körperpflege auf
alle Volksgenossen erzeugt und die Durchführbarkeit desselben dar-
gethan hat, ist Deutschland. Ein reger Wetteifer, Fortschritte auf
diesem Gebiete zu machen, das ernste Bestreben, durch die Erfüllung
der seitens der öffentlichen Gesundheitspflege zu Gunsten der Unbe-
mittelten gestellten Forderungen in gewissem Sinne einen Teil zur
Lösung der sozialen Frage beizutragen, durchdringt unter thatkräftiger
Unterstützung der Regierungen, der Wohlfahrtsvereine und hochherziger
Privatleute unsere Gemeinden und hat bereits eine große Reihe höchst
anerkennenswerter Erfolge erzielt.
21
106 R. SCHULTZE,
Vergleicht man hiermit den Stand dieser Frage in anderen Ländern,
so ist anzuerkennen, daß die Wiedererweckung des Gedankens der
öffentlichen Badeanstalten zunächst von England ausgegangen ist.
Nachdem dort 1842 in Liverpool die erste öffentliche Wasch- und
Badeanstalt eröffnet war, erhielten im Jahre 1846 die Gemeinden die
gesetzliche Befugnis, zur Errichtung von Badeanstalten Steuergelder zu
verwenden, bezw. besondere Steuern auszuschreiben. Während die ersten
Anlagen lediglich zur Verabreichung von Wannenbädern eingerichtet
und mit Waschanstalten verbunden waren , fanden später infolge der
Vorliebe der Engländer für körperliche Uebungen die Schwimmbäder
eine hervorragende Entwicklung und Ausbildung, sodaß derartige
Badeanstalten in großer Zahl geschaffen wurden, darunter solche von
einem Umfange, daß sie für die getrennte Benutzung der einzelnen
Klassen und Geschlechter bis zu sieben überdeckte und erwärmte
Schwimmbassins besitzen. Neben den seitens der Gemeinden oder von
Aktienunternehmungen ausgeführten Badeanstalten wurden dieselben
auch vielfach zum Gegenstande von Klubunternehmungen gemacht.
Diese letzteren Anlagen enthalten außer allen Formen von Bädern
Turnsäle, Lese-, Billard-, Rauch- und Restaurationszimmer und sind
naturgemäß nur für einen kleineren Kreis wohlhabender Leute bestimmt.
Zur Erfüllung der Zwecke, denen wir durch die Errichtung unserer
Volksbäder gerecht zu werden suchen, haben sich jedoch die englischen
Badeanstalten zumeist nicht entwickelt und mit der Einführung von
Volksbrausebädern ist ein nennenswerter Anfang noch nicht gemacht
worden.
Geringeres hat Frankreich hinsichtlich der öffentlichen Badean-
stalten geleistet. Obgleich dort die Volksvertretung bereits im Jahre 1851
eine Summe von 600000 Frs. bewilligt hatte, um die Gemeinden in der An-
lage billiger Bäder, die nach dem Vorbilde Englands in der Form von
Schwimmbädern gedacht waren, zu unterstützen, sind bedeutendere Erfolge
nicht erzielt worden ; nur wenige Städte waren es, welche von den gebotenen
Vergünstigungen Gebrauch machten. Ein Dekret vom Jahre 1879 ver-
ordnete, daß der Schwimmunterricht für die Schüler und das Heer
obligatorisch werden solle; der Beschluß konnte jedoch wegen Mangels
an geeigneten Badeanstalten nicht zur Durchführung gelangen. Der
Grund dieser auffälligen Erscheinung wird darin gesucht, daß die Re-
gierenden zu sehr von den Sorgen der Politik in Anspruch genommen
seien, um für derartige Fragen mehr übrig zu haben, als den Wunsch
und den Zuspruch an die Privatunternehmung, daß diese die Verwirk-
lichung dieser Ideen in die Hand nehmen möge. Die von Privaten
eingerichteten öffentlichen Bäder lassen jedoch im allgemeinen manches
zu wünschen übrig , auch sind die Preise derselben so bemessen , daß
eine Benutzung durch die unbemittelten Volksklassen fast ausgeschlossen
ist. In allerneuester Zeit ist man, durch den Vorgang Deutschlands
angeregt, der Schaffung von Volksbädern näher getreten; so ist z. B.
im Januar 1 893 in Bordeaux ein Volksbrausebad nach deutschem Muster,
mit 12 Brausen ausgestattet, eröffnet worden, auch hat man mit Ein-
führung von Brausebädern für das Heer begonnen.
Von anderen Staaten sei Holland erwähnt, welches ebenfalls be-
reits einen Anfang mit der Errichtung von Volksbädern gemacht hat,
sodann 0 est er reich, welches schon im Jahre 1887 mit der Eröff-
nung des ersten Volksbrausebades in Wien vorangegangen ist und seit-
dem in der Hauptstadt und den Provinzen eine Reihe weiterer An-
Volks- und Hausbäder.
107
stalten folgen ließ. Auch in Amerika hat der gemeinnützige Gedanke
der Volksbäder Anhänger und Freunde gewonnen und zur Herstellung
billiger Badeanstalten in New York Veranlassung gegeben.
9. Billige Hausbäder.
Dem Zwecke einer thunlichsten Verallgemeinerung der Körperpflege
und Reinlichkeit wird außer durch öffentliche Badeanstalten in beson-
derem Maße durch Beschaffung und Verbreitung billiger Hausbäder,
deren Gebrauch weit bequemer als derjenige der öffentlichen Bäder ist,
gedient. Das Wannenbad ist wohl das verbreitetste Hausbad. Wo
der Anschluß an eine Wasserleitung zur Verfügung steht und der Raum
nicht zu knapp bemessen ist, erfolgt die Erwärmung des Badewassers
meistenteils in besonderen Badeöfen, die in mannigfacher Weise kon-
struiert sein können (E. Marx, Badeeinrichtungen, Handbuch der
Architektur III, 5,
113), von denen je-
doch die sogenann-
ten Uebersteigeröfen
am häufigsten ange-
wandt werden. Die-
selben bestehen aus
einem lotrechten cy-
lindrischen Kessel
von Zink - oder
Kupferblech , unter
welchem die Feuer-
ung sich befindet
und durch den die
Feuergase in Rohren
hindurchgeführt
werden. Der Kessel
ist an die Haus-
wasserleitung derart
angeschlossen , daß
er stets ganz gefüllt
ist, so daß die —
von oben erfolgende
— Entnahme von
warmem Wasser nur
dadurch stattfinden
kann, daß von unten
her unter Druck in
den Kessel kaltes Wasser eintritt, welches das erwärmte Wasser durch
die Rohrleitung in die Wannen drückt.
Man kann die Heizung des Badewassers auch mit einem Koch-
herd derart verbinden, daß neben die Feuerung desselben eine
aus gezogenen Schmiederohren gefertigte Heizschlange gelegt wird,
aus welcher das Wasser erwärmt in einen hochgestellten, offenen, aus
der Wasserleitung mittelst Schwimmkugelhahn gespeisten Behälter ein-
tritt, von welchem das kältere Wasser durch ein zweites Rohrende
wieder in die Heizschlange zurückkehrt.
Fig. 16. Badewanne mit Uebersteiger-Badeofen.
23
108
R. SCHULTZE,
17. Badewanne mit Cirkulier-Badeofen.
Eine Reihe verschiedenartiger Vorrichtungen zur Erwärmung des
Badewassers können da zur Anwendung kommen, wo Heizgas zur Ver-
fügung steht.
Apparate von geringerem Raumverbrauch als die vorerwähnten zur
Bereitung von Warmwasser- Wannenbädern bilden die Circulierbadeöfen
und die heizbaren Badewannen. Bei beiden wird zunächst die Wanne
bis zur gewünschten Höhe
mit kaltem Wasser gefüllt
und dasselbe dann durch
eine Heizvorrichtung er-
wärmt, die bei den Cir-
kulierbadeöfen durch
Rohrleitungen mit der
Wanne verbunden ist,
während sie bei den heiz-
baren Badewannen fest
in oder an der Wanne
angebracht ist. Für Bäder
dieser Art ist ein An-
schluß an die Wasser-
leitung nicht erforderlich
und sie besitzen die Vor-
teile geringen Raum- und
Biennstofiverbrauchs. Die
Wannen können fahrbar
und das Rauchrohr des
Heizkörpers abnehmbar
während der Heizung des
oder ein Ofenrohr geleitet
der Erwärmung einer
Fig. 18. Heizbare Badewanne.
eingerichtet werden , sodaß letzteres nur
Badewassers in die Feuerthür eines Ofens
wird. Nachteilig erscheint, daß die Dauer
Wannenfüllung 30 — 40 Minuten beträgt, und daß das gebrauchte Wasser
in das Innere des Wasserwärmungsraumes, das der Reinigung meist
nicht zugänglich ist, eindringt.
Die Badewannen werden hinsichtlich ihres Materials bei einfachen
Hausbadeeinrichtungen in der Regel aus Zinkblech mit durch Holzfutter
ausgesteiftem Boden, besser aus emailliertem Gußeisen oder Kupferblech
hergestellt.
Häufigere Anwendung zum Zwecke der Hausbäder finden ferner
die Brausebäder, da sie bei anregeuder und erfrischender Wirkung
geringen Raum und wenig Wasser beanspruchen und des Anschlusses
an eine Wasserleitung entbehren können. Ein Eimer kalten oder lau-
warmen Wassers, in den Fußbehälter der abgebildeten Brausevorrichtung
gegossen, genügt, um dieselbe durch eine kleine Handpumpe in Betrieb
zu setzen. Auch kann man ein Brausebad mit Hilfe eines über eine
Rolle zur Zimmerdecke aufgezogenen, mit warmem Wasser gefüllten
Eimers, an dessen Boden ein durch Kettenzug zu öffnendes Ventil mit
Brausekopf angebracht ist , bequem und billig herstellen. Wo nötig,
sind die Brausen mit Vorhängen von geöltem Leinen zu umgeben.
Endlich lassen sich auch Dampf- Schwitzbäder, deren Ge-
brauch als gutes Reinigungsmittel, wie als kräftigend und gesundheits-
fördernd anerkannt ist, in leichter W7eise mit wenig Kosten und geringem
Raumverbrauch als Hausbäder einrichten. Dieselben werden als Dampf-
kastenbäder hergestellt, bei welchen der Badende in einem Holzkasten
24
Volks- und Hausbäder.
109
Platz nimmt, welcher den Kopf freiläßt, wärend der Dampf in einem
außerhalb des Kastens stehenden Messingkessel mittels Spiritusflamme
entwickelt und in den Kasten geleitet wird. Einfacher ist für denselben
Fig. 19.
Brausebad.
Fig. 20. SQ
Zweck die Benutzung eines Mantels von dampfdichtem Ledertuch, der
mittelst eines Drahtgestells an einen gewöhnlichen Stuhl befestigt wird
und mit welchem der Badende sich derart umgiebt, daß der Kopf
herausragt. Ein um den Hals möglichst dicht anschließender Abschluß
3m ö»eßvtiiitö.
Fig. 21.
Dampfbad.
Fig. 22.
von geeignetem Stoff ist bei den Dampfbädern vorzusehen, um ein Aus-
strömen von Wasserdampf gegen den Kopf und dadurch hervorgerufen
die Entstehung von Kopfschmerzen und anderen Unbehaglichkeiten zu
verhüten.
25
110 R. SCHULTZE, Volks- und Hausbäder.
Litter atur.
1) A. Meyer und H. Robertson, Utber öffentliche Badeanstalten, Stuttgart (1879).
2) H. Marggraff, Moderne Stadtbäder, Berlin (1881).
3) Renk, in : Pettenkofer und v. Ziemsscn, Handbuch der Hygiene und der Gewerbekrank-
heiten 2. Bd. 2. T. Bäder. Leipzig (1882).
4) Börner P., Bericht über die allgemeine deutsche Ausstellung auf dem Gebiete der Hygiene
und des Rettungswesens in Berlin (1882 — 83) l. Bd. 329, Bade- u. Waschanstalten, Breslau
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5) J. Stubben, Oeffevtliche Badeanstalten. Deutsches Baidiandbuch 2. Bd. 2. T. 812, Berlin
(1884).
6) L Klasen, Grundrifsvorbildcr von Gebäuden aller Art, Badt- und Waschanstalten, 4. Bd.
273, Leipzig (1884).
7) G. Osthoff, Die Bäder und Badeanstalten der Neuzeit, Leipzig (1887).
8) 0. Lassar, Die Kulturauf yabe der Volk sbä der, Berlin (1889)
9) J. H. Klinger, Die Badeanstalt, ein Hilfsbuch zum Entwürfe der technischen Einrichtung
gröfserer Badeanstalten, Leipzig (1891).
10) R. Mildner, Badcanlagcn und deren innere Einrichtung, Zeitschrift des Vereins deutscher
Ingenieure 36. Bd. 297 (1892).
11) E. Marx, Badeeinrichtungen, Handbuch der Architektur 3. Bd. 5. T. 113, Darmstadt
(1892).
12) R Schultze, Bau und Betrieb von Volksbadeanstalten, Bonn (1893).
13) Deutsche B auzeitung , Berlin] (1888) 13 E. Wagner, Das neue Stadtbad in
Offenbach; 194 Ende & Böckmann, Die neuen Volksbadcanstalten in Berlin] 549 571
Das erste Volksbrausebad zu Frankfurt a.jM ; (1889) 77 Peters, Städtische Bade- und
Desinfektionsanstalt zu Magdeburg] (1889) 84 Volksbad in Stuttgart] 365 Von der
allgemeinen Ausstellung für Unfallverhütung, Berlin 1889; (1892) 573 Zekeli, Ueber
Volksbadeanstalten.
14) Centralblatt der Bauverwaltung, Berlin (1883) 309 Die Ausstellung auf dem
Gebiete der Hygiene und des Rettungsicesens; Grove's Volksbad] (1888) 40 Apparat zum
Mischen kalten und ivarmen Wassers für Volksbadeanstalten von Holzapfel, Göttingen
(1889) 268 Arbeiterbäder in der Unfallverhütungsausstellung] (1889) 214 Grove's Volks-
brausebad.
15) Gesundheits- Ingenieur , München (1886) 434 Volksbädcr in Paris; (1888) 229
Das erste städtische Volksdouchebad in Wien; (1889) 76 Börner & Co., Volksbrausebad
nach Dr. Lassar's System, errichtet in Frankfurt a./M ; (1889) 391 Wagner, Volks-
bäder in Mainz; (1889) 565 Dr. Albrecht, Badeeinrichtungen auf der Ausstellung für
Unfallverhütung, Berlin 1889; (1890) 26 Volksbrausebäder in Wien; (1890) 572
Pekuniärer Erfolg der Berliner Volksbäder] (1890) 716, 734 Beielstein, Eine Warm-
wasserbadanlage im kleinsten Umfange; (1890) 739 Städtische Badeanstalt in Altona ;
(1890) 780 0. Leonhardt, Neuere Badeeinrichtungen; (1892) 137 C. Randel , Das
Volksbrausebad am Wilhelmithor zu Braunschweig] (1892)161 Volksbäder in New York;
(1892) 439 Volksbrausebad in Trautenau.
16) Viert elj ahr s schrift f. äff. Gesundheitspflege 19. Bd. 33 Lassar, Ueber
Volksbäder.
Register.
Aborte 96
Badeofen 107.
Badewannen 90.
Badewanne, heizbare 108.
Bäder, russische 95.
— römische 95.
— irische 95.
Bäder s. a. die einzelnen Arten der Bäder,
Dampfbäder, Brausebäder u. s. w.
Baukosten 103 ff.
Beielstein über Bäder 110.
Berlin, Volksbad in 94.
Boerner & Co. 87. 102. 110.
Bordeaux, Volksbad in 106.
Braunschweig, Brausebad in 94.
Brausebad s. a. Volksbad.
Brausebäder 86.
— in Amerika 107.
— „ Berlin 94.
— „ Bordeaux 106.
— ., Braunschweig 94.
— „ England 106.
— „ Frankreich 106.
— ,, Hannover 93.
— „ Holland 106.
— „ Köln 94. 97.
— ,, Liverpool 106.
— „ Mainz 92.
— ,, Mannheim 92.
— „ München 92.
— „ Oesterreich 106.
— „ Offenbach 95 ff.
Brausezelle 90.
Dampfbäder 108. 109.
Duschebäder 109.
Ende & Böckmann über Bäder 110.
England, Volksbäder in 106.
Erwärmung d. Badewassers 100.
Frankreich, Volksbäder in 106.
Grove 87. 102.
Hähne 102.
Hannover, Volksbad in 93.
Heizung 98
Holland, Volksbäder in 109.
Holzapfel über Bäder 110.
Klasen über Badeanstalten HO.
Klinger über Bäder 99. 110.
Köln, Volksbad in 94. 97.
Kohlenraum 98.
Kosten d. Bäder 103 ff.
L.assar 87. HO.
Leonhardt über Bäder HO.
Liverpool, Volksbäder in 106.
Lüftung der Bäder 103.
Mainz, Volksbad in 94.
Mannheim, Brausebad in 92.
Marggraff über Bäder 110.
Marx 107. 110.
Mayer, A., über Badeanstalten 110.
Mildner über Bäder 110.
Monier- Wände 90.
München, Brausebad in 92.
Münnich 87.
New York, Volksbad in 107.
Oesterreich, Volksbäder in 106.
Offenbach, Stadtbad in 95 ff.
Osthoff über Bäder HO.
Peters über Bäder 110.
Pissoire 96.
Randel über Bäder 86. 110.
Rabitz- Wände 91.
Renk über Bäder 110.
Robertson, H, über Badeanstalten HO.
27
112
R. SCHULTZE, Volks- und Hausbäder.
Schnitze über Bäder 110.
Schwimmbad 92.
Schwitzbäder 108. 109.
Stsdtbad s. Volksbad.
Stubben. J., über Badeanstalten 110.
Trockenräume 98.
Volksbäder im Altertum 85.
— s. a. Brausebad.
Ventilation s. Lüftung.
Wagner, E., über Bäder 110.
Wannenbäder 91.
Wasserbedarf 99.
— beschaffung 99.
— leitung 101.
— liälme 102.
Zekeli über Bäder 110.
28
DIE SICHERHEIT IN THEATERN
UNJ) IN GRÖSSEREN
VERSAMMLÜNGS-RÄUMEN.
BEARBEITET
VON
PROFESSOß F. W. BÜSINO,
DOZENTEN DER TECHNISCHEN HOCHSCHULE IN BERLIN-CHARLOTTENBUKO.
MIT 11 ABBILDUNGEN.
HANDBUCH DER HYGIENE
HERAUSGEGEBEN VON
DR. THEODOR WBYL.
SECHSTER BAND. ZWEITES HEFT.
-: i <:-
JENA,
VERLAG VON GUSTAV FISCHER.
1894.
Inhaltsübersicht.
Si-ite
I. Theater 117
1. Art und Größe der Gefährdung im allgemeinen . . . . 117
2. Besondene Gefahrenursachen 118
a) Vorbeugungsmaßregeln gegen Entstehung eines Brandes . 119
1. Betriebs- und Hausordnung 119
2. Größe und allgemeine Anordnung des Gebäudes . . . 120
3. Konstruktionen 121
b) Einschränkende, gegen die Ausdehnung eines Brandes ge-
richtete Maßnahmen 123
1. Löscheinrichtungen 123
2. Schutzvorhang der Bühne. Bühnenregen u. s. w. . . . 125
c) Spezielle Sicherheitsrnaßregeln zu Gunsten der Besucher und
der sonst im Hause sich aufhaltenden Personen . . . . 127
1. Sitzplätze, Gänge. Thüren, Treppen, Ausgänge .... 127
2. Natürliche und künstliche Beleuchtung, Ventilation . . 129
3. Sicherheitsvorkehrungen besonderer Art 130
II. Cir k us anla ge n . 130
III. Versammlungsräume 131
IV. Andere Gebäude für größere Menschenansamm-
lungen 132
V. Einige Beispiele von T heater-Grtindrissen . . . 132
Litteratur 138
Register 139
Verzeichnis der Abbildungen.
1. Bühnenregen-System 124
2. Details zu Fig. 1 124
3. Eiserner Vorhang im Hoftheater zu Braunschweig 126
4. 5 u. 6. Details zu Fig. 3 127
7. Bühnenfestspielhaus zu Bayreuth, Grundrifs 133-
8. Stadttheater zu Halle, Untergeschofs 134
9. ., ,, ,, Parkettgeschofs 135
10. Mustertheater von Schmidt und Neckelmann 136
11. ,, „ Höpfner und Rösicke 137
I. Theater.
1. Art und Gröfse der Gefährdung im allgemeinen 1_7.
Gesundheitliche Gefahren, denen der Einzelne untersteht, werden
durch die Anhäufung größerer Menschenmengen auf engem Raum
nicht nur vergrößert, sondern es treten denselben besondere Gefahren,
die man passend vielleicht als Gesundheits- Bedrohung en bezeichnen
kann, hinzu. Unter diese sind nicht einzubegreifen die auf Ur-
sachen allgemeiner Natur, z. B. Luftverschlechterung durch Atmung
und Beleuchtung, beruhenden, sodaß es sich im Nachstehenden nur um
exceptionelle Bedrohungen von Gesundheit und Leben, bezw. Vor-
beugungsmittel dagegen handelt. Jene bestehen insonderheit mit Bezug
auf die Möglichkeit:
a) körperlicher Unfälle infolge Mangel an konstruktiver Sicherheit des
Lokals ;
b) desgl. infolge Ausbruchs von Panik unter den Versammelten;
c) von Betäubung, bezw. Erstickung durch Einatmen irrespirabler Gase
bei Feuerausbruch;
d) von direkter Körperbeschädigung, bezw. Tötung durch Feuer.
Die Bedeutung der Aufgabe : speziellen Schutz gegen diese speziellen
Bedrohungen von Leben und Gesundheit zu schaffen, ist erst in neuester
Zeit von den Behörden voll anerkannt worden, und zwar seitdem der
Untergang von mehreren hundert Menschenleben bei den Theaterbränden
in Nizza und Wien (1881) die bis dahin vielleicht ungeahnte Größe der
Gefahr in drastischer Weise erwiesen hatte. Diese beiden Theater-
brände sind Ausgangspunkte für mehr oder weniger weitgreifende
Sicherheitsmaßregeln der Behörden in allen Kulturstaaten gewesen, für
deren dringende Notwendigkeit spätere große Theaterbrände — wie
der Brand der Komischen Oper in Paris, 1887 und des Theaters in Oporto
1888, neue, schreckliche Beweise geliefert haben.
Mit Rücksicht auf diesen Ursprung der Sicherheitsmaßregeln er-
scheint es angezeigt, die vorliegende Aufgabe im wesentlichen als eine
solche der Theatersicherheit aufzufassen und in bloß beiläufiger
Weise auf die Sicherheit sonstiger großer Versammlungsräume ein-
zugehen.
In der Aufgabe der Theatersicherheit laufen die beiden Fragen:
a) Sicherheit des Theaters selbst,
Handbuch der Hygiene. Bd. VI. 8
118 BÜSING,
b) Sicherheit der in demselben befindlichen Personen,
so in einander, daß Trennung unmöglich ist. Anderweit kann man
aber — unter Abstandnahme von dem Punkte a oben, der „konstruk-
tiven Sicherheit des Lokals" — trennen in :
1) Vorbeugungsmaßregeln gegen Entstehung eines Brandes;
2) einschränkende, gegen die Ausbreitung desselben gerichtete
Maßregeln ;
3) spezielle Sicherheitsmaßregeln zu Gunsten der Besucher und der
im Hause sonst befindlichen Personen ;
Doch ist auch bei dieser Gliederung, die im Folgenden festge-
halten werden soll, eine einigermaßen scharfe Sonderung unthunlich.
Es pflegt angenommen zu werden, daß die Feuersgefahr eines
Theaters für die Zeit der Vorstellungen am größten sei. Dies ist je-
doch unzutreffend, da die Statistik lehrt, daß die große Mehrzahl der
Theaterbrände in der auf den Schluß der Vorstellung fallenden 2-stündigen
Zeitdauer stattfindet. Solche „nachträglichen" Fälle bieten jedoch,
nebst denjenigen, welche am Tage, und den anderen, welche in der Zeit
unmittelbar vor Beginn der Vorstellung sich ereignen, für den vor-
liegenden Zweck kein Interesse, weil es sich hier nur um die Theater-
sicherheit im speziellsten Sinne des Wortes handelt, die das Theater
während der Vorstellungen selbst, unter Einbeziehung un-
mittelbar vorausgehender und nachfolgender kurzer Zeiträume, ins Auge
faßt *).
2. Besondere Gefahren-Ursachen *• 2- 5> l2.
Besondere Bedeutung für die Theatersicherheit besitzen : der
Charakter der zur Aufführung kommenden Stücke, die
Bühneneinrichtung und Bühnengröße, die Beleuchtungs-
einrichtungen, eine gewisse Bedeutung auch das Alter des Hauses.
Was zunächst den letzten Punkt betrifft, so ist klar — und die
Statistik bestätigt dies — daß neue Theater in der ersten mehrjährigen
Zeitperiode ihres Bestehens stark gefährdet sind, wohl deshalb, weil
der ganze Apparat — einschließlich des Hauspersonals — noch nicht
„eingearbeitet", daher Zufälligkeiten in hohem Grade unterworfen ist:
Auf diese Frühperiode pflegt eine Periode relativ großer Sicherheit zu
folgen, nach deren Ablauf — in etwa 40 Jahren — die Sicherheit
wieder abnimmt15. In letzterer Erfahrung hat man es wahrscheinlich
zumeist mit den Wirkungen der Abnutzung des Apparates zu thun,
die ebenfalls Zufälligkeiten mannigfacher Art mit sich führen kann.
Es bedürfen danach sowohl ganz neue, als auch ältere Theater
einer ausnahmsweise scharfen Ueberwachung.
Die größere Häufigkeit der Theaterbrände in der neueren Zeit
kommt wohl nur zum Teil auf eine Vermehrung der Theater und der
Spielabende in denselben hinaus ; mehr als diese beiden Umstände dürfte
der Wandel, der sich in Bezug auf den Inhalt der Aufführungen vollzogen
hat, daran beteiligt sein: Mit der Entwickelung der Technik, die den
Bühnen immer weitere und wirksamere Mittel zur Erzielung von sceni-
schen Effekten geliefert hat, sind die Anforderungen an die Bühnen-
größe und an die Ausstattung der Stücke stark gewachsen und verhältnis-
*) In der Zeit 1800 — 1809 sind 96, in den 4 Jahren 1880—1883 98, in den 4 Jahren
1884 — 87 44 Theaterbrände gröfseren Umfanges bekannt geworden.
Die Sicherheit in Theatern und in größeren Versammlungs-Räumen. 119
müßig auch die Gefährdungen; in besonders hohem Maße dürfte dabei
die Einführung der Gasbeleuchtung beteiligt sein.
Ein von der preuß. Akademie des Bauwesens unterm 14. Juni 1882
abgegebenes Gutachten 12 äußert sich wörtlich, wie folgt:
1) Die Feuergefährlichkeit der Theater beruht vorzugsweise auf der
Verwendung leicht entzündlicher und nach der Entzündung rasch auf-
flammender und das Feuer schnell weiter verbreitender Stoffe zur Aus-
stattung des Bühnenraums, bei Anwendung:
2) einer Beleuchtung, welche starke Wärme verbreitet, brennbare
Gegenstände entzündet und heiße Verbrennungsgase entwickelt, die —
an den leicht entzündlichen Stoffen vorbei streichend — zum Schnür-
boden (über der Bühne) emporsteigen.
3) Vollständige Sicherheit kann deshalb nur durch die Beseitigung
der verbrennbaren Gegenstände oder durch Beseitigung der Erleuchtung
mit offenem Licht und deren Ersatz durch die Beleuchtung mit ver-
schlossenem und zwar möglichst „luftdicht verschlossenem" Licht erzielt
werden.
4) Die Größe der Feuersgefahr nimmt naturgemäß mit der Menge
der leicht entzündlichen Gegenstände und mit der Anzahl der offenen
Lichte zu und ab, wächst somit im allgemeinen mit der Bühne n große.
Ebenso wächst bei ausgebrochenem Feuer die Gefährdung der Zuschauer
mit der Anzahl der letzteren, im allgemeinen also mit der Größe des ge-
füllten Zuschauerraumes.
Unter den gefährdenden Stoffen auf den Bühnen sind es insbesondere
die in der Höhe aufgehängten Wolkenschleier (sogen. Prospekte),
die für Aufbauten auf der Bühne dienenden sogen. Praktikables, die
Kulissen und die zur Beleuchtung verwendeten Flammen, insbesondere
die im vorderen Teil der Bühne in der Höhe verdeckt angebrachte
Soffitenbeleuchtung, daneben die unendliche Anzahl von Hanf-
stricken und Zugseilen, welcher man sich zum Bewegen der Bühnen-
maschinerie bedient. Die Flammen bringen bei den in ihrer Nähe vor sich
gehenden Bewegungen brennbarer Gegenstände dann vermehrte Gefahr,
wenn Gas benutzt wird, weil dieses nicht nur direkt, sondern auch in-
direkt zünden kann, wenn durch Mischung unbemerkt ausgetretener
Mengen Knallgas entsteht. Im oberen Teil des Bühnenraumes treffen
dann aufsteigendes Knallgas und hoch erhitzte Verbrennungsgase an dem
meist aus leichtem Holzwerk bestehenden Schnürboden ein hoch ent-
zündliches und das Feuer rasch ausbreitendes Medium.
a) Vorbeugungsmaßregeln gegen Entstehung eines
Brandes2^ i0> l2.
1. Betriebs- und Hausordnung2 10.
In wirksamster Weise kann der Entstehung eines Brandes durch
eine gute, streng durchgeführte Betriebsordnung entgegengewirkt
werden. Die Thatsache ist zweifellos, daß der Ausbruch eines Brandes
in einem feuergefährlichen, aber streng überwachten Hause viel weniger
leicht zu fürchten ist, als in einem mehr feuersicheren, aber mangel-
haft überwachten Hause.
Die Betriebsordnung wird teils von der Polizeigewalt festgesetzt,
8*
120 BÜSING.
teils auch von dem Eigentümer, der dabei die Eigenart des Hauses
und des Betriebes bis in alle Einzelheiten zu berücksichtigen hat.
Die „Hausordnung" bildet daher eine notwendige Ergänzung zu den
polizeilichen Vorschriften, über deren Inhalt für die Theater in
Preußen in einer am 1. Dezember 1893 in Kraft getretenen Polizei-
verordnung (§§ 30—39) allgemeine Bestimmungen getroffen sind. Die-
selben beziehen sich :
Auf die Bedingungen, unter denen Werkstättenbetriebe im Hause
erlaubt sind ; auf Beschränkungen, welche bezüglich der Aufbewahrung
von Dekorationsstücken, Requisiten u. s. w. im Hause bestehen ; auf die
Verwendung von un verwahrtem Feuer und Licht, von Beleuchtungs-
körpern, von Feuereffekten und Feuerwerk; auf ein Rauchverbot; auf
Freihaltung aller Räume und der Dekorationen von Staubablagerungen:
auf Freihaltung gewisser Teile der Bühne für Zwecke des Feuerlösch-
wesens ; auf die Einrichtungen zum Schließen des Schutzvorhanges ; auf
die sogen. Notbeleuchtung (Reservebeleuchtung) ; auf die Zuziehung einer
Feuerwache ; auf Aushängung von Plänen zur Erleichterung der
Orientierung im Hause und noch Anderes. — Aehnliche Vorschriften be-
stehen in anderen Staaten; einzelne sind in Gilardone2 a. a. 0. zum
Abdruck gebracht.
2. Gröfse und allgemeine Anordnung des Gebäudes10.
In zweiter Linie sind als Vorbeugungsmaßregeln wichtig: Größe
und Disposition des Gebäudes, seine Lage und Kon-
struktion. Ein Theatergebäude kann sowohl in der F 1 ä c h e n a u s -
dehnung, als in der Höhe zu einer bestimmten Größe (Zuschauer-
zahl) entwickelt werden, oder, mit anderen Worten, nur ein paar Ränge,
oder auch eine größere Anzahl von Rängen erhalten. Die Wegeslänge der
Besucher bei Zu- und Abgang wird bei beiderlei Ausführungen nicht
wesentlich verschieden ausfallen, doch ein Unterschied sich insofern
herausstellen , als Zu- und Abgang von den hoch liegenden Rängen
etwas verwickelter, beschwerlicher und gefährlicher sein werden. Nimmt
man hinzu, daß mit der Höhe des Gebäudes die Wirksamkeit der
Löschwirkungen sich vermindert, bei dem Bestreben der heißen Gase,
die höchste Stelle einzunehmen, die Feuersgefahr sich vermehrt, so
wird man zugeben müssen , daß in bezug auf Feuerschutz das mehr
in die Breite entwickelte Haus vor dem in die Höhe entwickelten im
Vorzuge ist; dies gilt um so mehr, je größer der a b s o 1 u t e Fassungs-
raum des Gebäudes ist. — Die preußische Polizeiverordnung vom 1. De-
zember 1889 verbietet es, mehr als vier „Ränge" über dem Parket
anzulegen.
Werkstätten (für Maler, Tischler, Schneider u. s. w.) nebst
Magazinen für Dekorationen, Garderoben, Requisiten aller Art bilden
notwendige Zubehörungen eines Theaters. Da ihre Unterbringung im
Gebäude selbst nicht geschehen kann, ohne den gefährdenden Ursachen
neue hinzuzufügen, so ist es geboten, in der Größenbeschränkung
dieser Räume, ihrer Lage und Konstruktion alles zu thun, um die Ge-
fährdung thunlichst herabzumindern.
Oft werden mit Theatern Restaurationen auch für öffent-
liche Benutzung und Wohnungen für Theaterangestellte verbunden.
Solche Anlagen müssen wegen ihres gefährdenden Charakters eine
Die Sicherheit in Theatern und in größeren Versammlungs-Räumen. 121
abgesonderte, auch nicht hohe Lage, am besten neben dem Ge-
bäude erhalten und dürfen in keiner unmittelbaren Verbindung
mit den inneren Räumen des Theaters stehen.
Klarheit des Grundrisses, Uebersichtlichkeit der ganzen Anlage auf
einen Blick, Vermeidung von toten Ecken und versteckt liegenden Räumen
jeglicher Art, Erreichbarkeit möglichst aller Räume vom Tageslicht sind
für die Sicherheit des Hauses gegen Brandfälle sehr hoch anzuschlagende
Faktoren. Allseitig freie Lage des Gebäudes wird einzeln, jedoch nicht
durchgängig gefordert. In allen diesen Fragen Hießen künstlerische, wirt-
schaftliche und Sicherheits-Rücksichten eng ineinander, und wird den
letzteren bei der Entscheidung nicht leicht der Vorrang eingeräumt. Wenn
bei nicht allseitig freier Lage für freien Raum unmittelbar neben dem
Gebäude in derjenigen Größe und an Stellen gesorgt wird, daß für die
Entfaltung der Löschvorrichtungen keine Hindernisse bestehen und Zu-
und Abgang vom Hause sich geordnet vollziehen können, scheint das
Notwendige für die Feuersicherheit geschehen zu sein. Auf diesen
Standpunkt stellt sich beispielsweise die preußische Polizeiverordnung
vom 1. Dezember 1889, indem sie nur bestimmte Hofgrößen unmittel-
bar neben und hinter dem Gebäude, ausreichenden Raum vor dem-
selben, breite Verbindungen aus dem Innern zur Straße und übrigens
eine Anzahl von Sicherheitsvorkehrungen gegen leichte Uebertragbarkeit
von Feuer von Nachbargebäuden auf das Theater und umgekehrt
vorschreibt.
3. Konstruktionen 1 °.
Bei allen Konstruktionen, ob diese nun das Gebäude als
Ganzes, oder dessen innere Einrichtung einschl. der Bühneneinrichtnng
betreffen, muß der Gesichtspunkt der Feuersicherheit der durchschlagende
sein ; mit demselben treten aber bis in die neueste Zeit hinein andere wichtige
Interessen, wie diejenigen der Akustik, der künstlerischen
Durchbildung des Gebäude-Innern, der Rücksicht auf m ö g -
lichste Raumausnutzung desselben u. s. w. in Gegensatz. Man
sah aus akustischen Rücksichten das — leicht verbrennliche — Holz für
die meisten Teile des inneren Ausbaues als unentbehrlich an und war auch
gehindert, für mancherlei Zwecke — unverbreunliches — Mauerwerk
zu benutzen, weil dasselbe in seiner Massigkeit und Schwere mit zwei
Eigenschaften behaftet war, welche es für eine Reihe von Zwecken, bei
denen Gefälligkeit der Erscheinung und geringes Gewicht, auch Raum-
beschränkung von Bedeutung sind, ausschlössen.
Was den maschinellen Apparat der Bühne betrifft, so ging man von
dem Grundsatze aus, daß vermöge der vorherigen Unberechenbarkeit vieler
scenischen Verwandlungen die maschinellen Einrichtungen möglichst
zwanglos und einfach auszugestalten seien, man also für dieselben
von den Vervollkommnungen und namentlich den Verfeinerungen, welche
die neuere Zeit in der Maschinentechnik hervorgebracht hat, kaum Ge-
brauch machen könne. Entsprechend ist man fast durchgängig in der
Bühnenmaschinerie bei der Anwendung schwerfälliger hölzerner
Winden mit Handbetrieb (sogen. Haspel), Zügen aus Hanfseilen,
Rüstungen und Gestellen (Schnürboden und Unterbühne) aus Holz,
Kulissen und Versatzstücken u. s. w. aus hoch brennbaren Stoffen
stehen geblieben. So fest war die althergebrachte Anschauung einge-
wurzelt, daß man noch beim Bau des im Jahre 1880 eröffneten Opern-
122 BÜSING,
hauses zu Frankfurt a. M. alle Hauptkonstruktionen in Holz ausführte,
von der fatalistischen Anschauung ausgehend, daß der Glut eines Bühnen-
brandes doch nichts Wirksames entgegensetzbar sei!
Anders bei den Einrichtungen zur Heizung und Wasserver-
sorgung. Hier wurde die, besonders durch ihre große Anzahl der Heiz-
körper gefährliche Einzelheizung der Räume schon früh durch die viel
größere Sicherheit bietenden Centralheizkörper (besonders in der Form der
Luftheizung) ersetzt, auch in die Versorgung der Theater mit ständigen
Feuerlöscheinrichtungen bald alle Verbesserungen aufgenommen, welche
die fortschreitende Technik zur Verfügung stellte. In den Beleuch-
tungseinrichtungen blieb leider eine gewisse Sorglosigkeit bis in
neueste Zeit hinein an der Herrschaft. Weder dachte man daran, die
Gasleitungen durch Zerlegung in mehrere Einzelsysteme
mehr sicher in der Funktionierung und weniger gefährlich zu machen,
noch wurde der Benutzung geschützter Flammen an Stellen, wo die
ofiene Flamme Gefahr bringen konnte, noch auch der Verminderung
bewegbarer Flammen (auf drehbaren Armen angebrachten oder aus
Gummischläuchen gespeisten) diejenige Aufmerksamkeit geschenkt,
welcher diese Einrichtungen in so hohem Maße bedürfen. Es ist nicht
zu viel behauptet, daß die Mehrzahl der Theaterbrände in dem Gebrauch
ungeschützter, bezw. beweglicher Flammen, und in Undichtigkeiten
von Leitungen, — insbesondere von Gasschläuchen — ihre Ursache hat.
In jüngster Zeit sind den alten Konstruktionsmaterialien, Holz und
Stein, andere, neue zur Seite getreten , welche vollständigen Ersatz
für fast alle Inneneinrichtungen der Theater bieten. Zu Kulissen
und Schnürboden wird in ausgedehntem Maße von Eisen (in Form
von Wellblech und glattem Blech) Gebrauch gemacht und für eine ganze
Reihe von Versatzstücken aller Art, den Praktikables u. s. ,w., hat man
einen ungleich weniger gefährlichen Ersatz in dem sogen. Horizont ge-
funden. Derselbe ist ein langes Stück entsprechend breiter Leinwand, deren
Bemalung in regelmäßiger Reihenfolge und Abstufungen alle Himmel s-
prospekte zeigt, der also die Stelle einer ganzen Anzahl entsprechend
bemalter einzelner „Hinterhänge" vertritt. An beiden Enden auf stehende
Rollen aufgewickelt und den ganzen Bühnenhintergrund hufeisen-
förmig umschließend, kann jede Stelle des Horizonts durch Bewegung
der beiden Rollen — auch bei offener Scene — in die gewollte Posi-
tion gebracht werden, sodaß in der Verwendung des Horizonts nicht
nur eine große Vervollkommnung aller im Freien spielenden Scenen,
sondern auch eine bedeutende Verminderung der Feuersgefahr verwirklicht
worden ist. Diejenigen beweglichen brennbaren Teile, welche nach Ein-
führung zahlreicher Stücke aus Eisen und des Horizonts auf der Bühne
noch verbleiben, werden durch Auftragen der Farben in dicker Schicht,
sowie durch Imprägniermittel, wenn auch nicht vollkommen geschützt,
so doch weniger leicht entflammbar gemacht.
Eine förmliche Umwälzung hat die Bühnenmaschinerie er-
litten, insofern daraus der Handbetrieb öfter bis auf ein Minimum entfernt
und an seine Stelle der Betrieb mit Wasserdruck gesetzt worden
ist (naheliegende Beispiele Theater in Budapest und Halle). Alle Be-
wegungen vollziehen sich beim Druckwasserbetrieb durch Wirkung sogen,
hydraulischer Kolben, welche das Druckwasser von einer besonderen
Anlage empfangen, und jene arbeiten entweder direkt oder durch
Vermittelung von Drahtseilen, sodaß die Hunderte von leicht entflamm-
baren Hanfseilen, deren das alte Theater nicht entraten zu können
Die Sicherheit in Theatern und in größeren Versammlungs-Räumen. 123
glaubte, fast ganz verschwunden sind; mit ihnen gleichzeitig auch die
schwerfälligen hölzernen Haspel, Rüstungen, Wagen u. s. w. sowohl
aus der Unter- als Oberbühne. Indem durch den Druckwasserbetrieb
auch große Teile des Bühnenpodiums zur Hebung und Senkung sowohl
in lotrechtem, als schrägen Sinne eingerichtet werden können, kommen
bei demselben auch die beweglichen , feuerbedenklichen „Aufbauten"
auf den Bühnen größtenteils in Fortfall.
Für den inneren Ausbau sind in den Rabitz- und Monier-
Konstruktionen (Mörtel mit Eiseneinlagen), den Magnesit-
platten, Korksteinen, Gipsdielen, Hohlsteinen u. s. w.,
endlich im Cementbeton dem Architekten feuersichere, tragfähige,
wenig Raum einnehmende, die Akustik nicht beeinträchtigende Kon-
struktionsmittel in die Hand gegeben, mit deren Hilfe er des Gebrauchs
des leicht brennbaren Holzes bei Theaterbauten bis auf ein Minimum
entraten kann. In welchem Maße dies der Fall, zeigt die Angabe, daß
heute Holz in den Zwischendecken der Ränge, in der Decke des Zu-
schauerraumes, zu den inneren Wänden der Logengänge, zu den
Logen-Teil wänden, zu den Stufen im Parkett, Logen u. s. w., zu den
Brüstungen der Ränge nicht mehr gebraucht wird, daß auch die zahl-
reichen Ummantelungen der Leitungen für Elektricität, Wasser u. s. w.,
endlich die Heiz-, Rauch- und Ventilationskanäle, sowie das ganze
Dach des Gebäudes, aus dem einen oder anderen der oben genannten
Konstruktionsmaterialien ohne jegliche Mitverwendung von Holz her-
gestellt werden können. Nur für das Bühnenpodium bleibt man bislang
beim Holze stehen, aus dem besonderen Grunde, daß die scenischen
Darstellungen hier ein Material fordern, an welchem mit Leichtigkeit
bewegliche Teile durch Schrauben, Nägel u. s. w. befestigt werden
können.
Fast alle Anforderungen und Maßregeln, die im Vorstehenden als
notwendig oder zweckmäßig Erwähnung gefunden haben, sind in der
preußischen Polizeiverordnung vom 1. Dezbr. 1889 zu gesetzlichen
Vorschriften erhoben worden, freilich nicht ganz unterschiedlos, insofern
die Verordnung kleine Theater etwas weniger streng behandelt, als die
großen. Als große Theater gelten in der Verordnung Theater, welche
mehr als 800 Zuschauer fassen, als kleine die auf eine geringere Zuschauer-
zahl berechneten. Für große Theater wird elektrische Beleuchtung
vorgeschrieben, für kleine Gasbeleuchtung — in mehrere Systeme zerlegt
— zugelassen ; sonstige Unterschiede werden aber nicht gemacht. Der
Maßstab für die Höhe der Zuschauerzahl wird in der Verordnung durch
Feststellung der kleinsten zulässigen Abmessungen für die Sitz- und
Stehplätze, der kleinsten zulässigen Gangbreiten, bezw. der größten zu-
lässigen Längen der Sitzreihen zwischen zwei Gängen festgelegt.
Die in die Einzelheiten der Konstruktionen eingehenden Vor-
schriften müssen in der Verordunng selbst nachgelesen werden.
b) Einschränkende, gegen die Ausdehnung eines Bran-
des gerichtete Maßregeln.
1. Löscheinrichtungen
2, 5, 10, 14
Entweder muß das Theater an eine in ununterbrochenem Be-
triebe gehaltene öffentliche Wasserleitung mit ausreichend hohem
Drucke angeschlossen, oder für seinen Zweck eine eigene Wasser-
124
BÜSING,
leitung eingerichtet werden. Letzteres wird sich überall da als not-
wendig erweisen, wo das Theatergebäude groß ist und namentlich
sein Höhenmaß dasjenige der sonstigen Häuser der Stadt einiger-
maßen überschreitet. Zwar ist in der Anwendung von sogen. Reservatoren
(Druckwindkessel, die von einer Luftkompressionspumpe bedient werden)
ein Mittel gegeben, auch in einem städtischen Leitungsnetze den Druck
vorübergehend mehr oder weniger erheblich zu vergrößern. Dies
Mittel ist indes heute noch zu selten erprobt, um zu allgemeinerer
Anwendung empfohlen werden zu können, wogegen seiner Anwendung
für Einzelversorgungen nichts im Wege steht. Im Effekt ist
demselben die Benutzung geschlossener Reservoire gleich, in die
das Wasser von einer Druckpumpe hineingepreßt wird, so lange, bis
der Druck desselben die festgesetzte Grenze erreicht. (Hierzu mehrere
Beispiele, worunter insbesondere das Opernhaus in Frankfurt a. M. zu
erwähnen ist.) Für stete Löschbereitschaft im unteren Teil des Ge-
bäudes wird sich das beständige Gefüllthalten einiger Reservoire in den
Dachräumen des Gebäudes empfehlen ; wichtig ist der Schutz derselben
gegen Einfrieren.
Fig. 1. Horizontales Bühnenregen-System, worin
A und B Wasserreservoire sind.
Fig. 2. Detail der Ver-
bindung der Wasserreser-
T voire mit den Wasserrohren
u. bezw. Wanddurchlochung
der Rohre.
Die speziellen Löscheinrichtungen (Hydranten, Schläuche, Spritzen)
bieten nichts Besonderes; anders jedoch die Einrichtung eines sogen.
Bühnenregens, welche, früher nur in einzelnen Fällen vorkommend,
durch die mehrfach citierte Verordnung vom 1. Dezbr. 1889 für die Theater
in Preußen obligatorisch geworden ist. Der Bühnenregen wird aus einer
großen Anzahl von kupfernen Röhren, hergestellt, welche im oberen Teil des
Bühnenraumes wagrecht (auch stehend) in mehreren Höhen über- bezw.
auch hintereinander angeordnet werden können, und deren Wandung ent-
weder ganz oder nur zu einem Teile von kleinen Löchern regelmäßig
durchsetzt ist, durch welche aus einem Reservoir Wasser in Regenform
austritt (Fig. 1, 2). Die erste Ausführung dieser Art hat 1 875 im Hof-
Die Sicherheit in Theatern und in größeren Versaminlungs-Räumen. 125
theater zu München stattgefunden. Einen entsprechenden Nutzen der
Einrichtung des Bühnenregens hat man unter Verweisung darauf zu-
weilen in Zweifel gezogen, daß das Wasser nur per Zufall an diejenige
Stelle gelange, an der dasselbe Löschdienste leisten solle. Fernerweit
ist auf die Schwierigkeiten aufmerksam gemacht worden, mit welchen
die zur Erhaltung steter Funktionsfähigkeit des Bühnenregens unent-
behrlichen öfteren Probungen verbunden sind. Beides, unbeschadet der
Thatsache, daß der Bühnenregen in einigen Fällen erprobt befunden ist,
zugegeben, ist doch darauf hingewiesen worden, daß der Bühnenregen
darin einen besonderen Vorzug besitzt, daß derselbe noch über die
Zeit hinaus funktionieren kann, wo die Feuerwehr sich wegen Lebens-
gefahr bereits aus dem brennenden Hause hat zurückziehen müssen.
Auch hat sich die Schwierigkeit der Probungen thatsächlich weniger
groß erwiesen als erwartet worden war; vielfach wird statt mit Wasser
mit Dampf geprobt.
2. Brandmauern; Schutzvorhang der Bühne u. s. w.
Was sonst gegen Ausbreitung von Bränden in Theatern geschehen
kann, besteht in Herstellung dauernder, bezw. auch vorübergehender
Abschlüsse verschiedener Teile des Gebäudes gegen einander. Die
besonders gefährdenden Teile, wie Wohnungen, Restaurationslokalitäten,
Werkstätten, Dekorations- und Kohlenmagazine und die Räume der
Centralheizungen, müssen dauernd durch sogen. Brandmauern ohne
Oeffnungen, oder mit feuer- und rauchsicheren Abschlüssen der Oefl-
nungen, von den übrigen Teilen des Gebäudes gesondert werden. Dasselbe
gilt mit Bezug auf den Hauptherd der Gefahr, den Bühnenraum.
Einige Schwierigkeiten kann dabei der Verschluß der Bühnenöffhung
bieten, wenn dieselbe sehr groß ist, weil alsdann die Schwere des an-
zuwendenden eisernen Vorhanges gewisse Gefahren in sich birgt,
auch die Bewegungsvorrichtungen verwickelt ausfallen und oft der Raum
für die Bewegung des Vorhanges in geöffnetem Zustande knapp ist.
Die Einzelausgestaltung des Vorhanges wechselt mannigfach; am
meisten kommen Vorhänge aus Wellblech vor , welches Material sich
einmal wegen seiner größeren Widerstandsfähigkeit gegen den ein-
seitigen Druck hoch gespannter Gase und sodann auch dadurch empfiehlt,
daß es beim Vorbeistreichen der Flamme weniger leicht in glühenden
Zustand gerät als glattes Blech. Die Bewegung des Vorhanges wird
meist von Hand bewirkt, da man die Last durch Anbringung von
Gegengewichten einigermaßen ausgleicht. Bewegung durch Wasserdruck
kommt selten vor; wichtig für stete und rasche Funktionsfähigkeit des
eisernen Vorhanges sind häufig vorzunehmende Probungen.
Einen mehrfach ausgeführten Vorhang aus Wellblech zeigen die
Fig. 3—6 (S. 126 u. 127). Die Erklärungen der Einzelheiten sind in den
„Beischriften" der Figuren enthalten.
Zu mehrerem Schutz gegen Uebergreifen eines auf der
Bühne ausgebrochenen Brandes in den Zuschauerraum
dienen zwei andere Vorkehrungen, a) Der Schnürboden soll um ein gewisses
Stück höher liegen als die Decke des Zuschauerraumes; die preußische
Polizeiverordnung vom 1. Dez. 1889 setzt den Höhenunterschied auf min-
destens 3 m fest, b) Die Anbringung einer oder mehrerer Oeffnungen
im Dache über der Bühne, durch welche die Verbrennungsgase leichter
ihren Austritt ins Freie nehmen als durch den Zuschauerraum. Die
126
BUSING,
Fig. 3. Einteiliger eiserner Vorhang im Hoftheater zu Braunschweig.
Beischrift zu Fig. 3.
Von der sehr hohen Bühnenöffnung ist die obere Hälfte durch eine feste Wellblech-
wand geschlossen, in der eine breite, schließbare Oeffnung O liegt, die zum Malersaal führt.
Ebenfalls ist die Unterbühne durch eine feste eiserne Wand, in welcher 5 Thüren liegen,
gegen den Zuschauerraum abgeschlossen. W ist die Winde zum Bewegen des mit zwei-
seitigen Gegengewichten ausbalanzierten, 4-fach aufgehängten Vorhanges.
Die Sicherheit in Theatern und in größeren Versammlungs-Räumen. 127
Größe der Oeffnungen ist eine bestrittene Frage; die eben genannte
Verordnung setzt dieselbe auf mindestens 1/20 der Bühnengrundfläche
fest und läßt zu, daß die Oefroungen geschlossen gehalten werden; die
Verschlüsse müssen aber die Einrichtung haben, um mit einem einzigen
Handgriffe auslösbar zu sein. Anderweitig wird sowohl für ein Mehr als
für ein Weniger der Oeflnungen plädiert, ebenso dafür, daß die Abzüge
Fig. 4 und 5. Oberes und unteres Ende des Vor-
hanges Fig. 3.
B e i s ch r i f t zu Fig. 4 und 5.
Der Vorhang hängt im geschlossenen Zustande auf
einer sogen. Sandschiene D, wodurch an der Oberseite
der rauchsichere Abschluß hergestellt wird.
An der Unterseite dient für denselben Zweck eine
mit Filz besetzte Holzleiste F. B ist ein Bolzen, an wel-
chem der Vorhang aufgezogen wird.
Fig. 6. Schnitt durch die seitliche Führung des Vor-
hanges Fig. 3.
Beischrift zu Fig. 6.
Seitlich geschieht der rauchsichere Abschlufs durch
wassergefüllte Schläuche S, die in Führungsnuthen liegen.
B sind Führungsrollen.
dauernd offen gehalten werden. Dieselben können auch zum selbst-
tätigen Oeffhen durch das Feuer eingerichtet sein.
c) Specielle Sicherheitsmaßregeln zu Gunsten der Be-
sucher und der sonst im Theater sich aufhaltenden
Personen 5- 10- 15.
1. Sitzplätze ; Gänge ; Thüren ; Treppen ; Ausgänge.
Alle Maßregeln hierher gehöriger Art gipfeln darin, den im Theater-
gebäude sich aufhaltenden Personen die Möglichkeit zu verschaffen,
in einem Minimum von Zeit das Freie zu erreichen. Für die-
jenigen Personen, welchen bei unvermeidlicher Länge der Wege eine
etwas vermehrte Zeitdauer erforderlich ist, muß in der Weise gesorgt
werden , daß ihre Wege während der notwendigen längeren Dauer
passierbar bleiben.
Die größtmöglichste Eile beim Verlassen des Hauses wird weniger
durch das Sichtbarwerden einer Flamme als durch die mit rapider
Schnelligkeit vor sich gehende Verbreitung irrespirabler Gase bedingt.
Dieselben gelangen innerhalb weniger Minuten (beim Wiener Ring-
theaterbrande wurden als Maximum 2 Minuten ermittelt) durch offen-
stehende oder undichte Thüren u. s. w. in Gänge, Treppenhäuser
und alle, selbst die entferntest liegenden Teile des Gebäudes, insbe-
sondere aber in die hochliegenden ; das Sichtbarwerden der Flamme
wird gewöhnlich eine Panik hervorrufen. Vereinzelt ist die Forderung
erhoben worden, alle Einrichtungen so zu treffen, damit die vollständige
128 BÜSING,
Entleerung des Hauses in dem Zeitraum von nicht mehr als 1 — 2 Minuten
möglich sei. Aus der für die Entleerung festzusetzenden Zeitdauer
und der (bekannten) Geschwindigkeit der Menschen sind die Unter-
lagen für die rechnerische Bestimm ung der notwendigen Wege-
breiten, durch die der Menschenstrom sich ergießen kann, zu
gewinnen. Wird die kleinste Schrittweite des Menschen zu 0,5 m und
1 Schritt in 1 Sekunde (also 0,5 m in 1 Sek.) als im Gedränge einzu-
haltende Geschwindigkeit und die für 1 Person erforderliche Breite zu
0,5 m angenommen , so würden auf einer Gangbreite von 1 m in
1 Minute 100—120 Menschen passieren köunen, wenn die Bewegung-
aller sich regelmäßig und auf ebenem Boden vollzöge , wenn
auch keine Richtungswechsel und Verengungen des Weges hinderlich
wären. Wo solche, wie fast überall, unvermeidlich sind und wo der
Weg teilweise auf Treppen zurückzulegen ist, wird man auf Ver-
zögerungen in der Bewegung des Menschenstromes, d. h. auf eine ent-
sprechend geringere als die oben angegebene Menschenzahl pro 1 m
Gang-(bezw. Treppen- und Thür-)Breite rechnen müssen, während unter
besonders günstigen Umständen darüber etwas hinausgegangen werden
darf. Entsprechend werden die betr. Zahlen in den Grenzen von 60
und 150 Personen (in der Regel 70—90) angenommen, wobei aber
vorausgesetzt ist, daß nicht Menschenströme ungleicher Richtungen
zusammengeführt werden, sondern die Bewegungen der einzelnen Ströme
sich auf der ganzen Wegeslänge in streng gesonderten Bahnen voll-
ziehen. Für letzteren Zweck ist vorzuschreiben, daß jeder R a n g seine
eigenen Abgänge (Korridore, Treppen, Ausgangsthüren u. s. w.) und
zwar mindestens zwei erhalte und ebenso die Bühne. Kein
Rang darf, wenn auch auf denselben auch nur eine kleinere Personenzahl
als die rechnungsmäßig zulässige angewiesen ist, eine gewisse Min im al-
breite, 1,0 — 1,5 m, unterschreiten.
Ein sehr wirksames Mittel zur Abkürzung der für das Verlassen
des Hauses notwendigen Zeit besteht in der auskömmlichen Be-
messung der Sitzgrößen; dieselben sollen nicht kleiner als
50 cm breit und von Sitzreihe zu Sitzreihe 80 cm tief sein ; Stehplätze
dürfen auf 1 qm Fläche nicht mehr als 3 gerechnet werden. Die Sitz-
reihen sind fest anzuordnen. Als weiteres Mittel ist Vermeidung
langer Sitzreihen durch Freihalten von Gängen anzuführen ; Sitzreihen
von mehr als 12, ausnahmsweise 15 Plätzen sollten nicht vorkommen.
Ob Niederlegbarkeit der Stühle, wozu mehrere Konstruktionen in Vor-
schlag gebracht sind 14, sich empfiehlt, muß fraglich erscheinen. Jeden-
falls hat von praktischer Bewährung solcher Einrichtungen bisher nichts
verlautet.
Je größer die H öhe , je länger und beschwerlicher der Abgang. Darin
findet eine Beschränkung der Rängezahl ihre Rechtfertigung;
4, besser noch nur 3 oder 2 Ränge (außer Parkett) sollten die Höchst-
zahl sein. Daneben muß für die Höhenlage des Parketts über den Erd-
boden eine obere Grenze (2 — 3 m) festgesetzt werden. Auch für Wohn-
räume und Werkstätten im Theatergebäude ist ein Maximum der Höhen-
lage vorzuschreiben.
Treppen sollen bequem zu begehen sein, d. h. angemessene
Steigungsverhältnisse und Auftrittsbreiten erhalten. Wendel- und Keil-
stufen sind möglichst ganz zu verbieten. Unterbrechungen von Korri-
doren durch einzelne oder einige Stufen sind nicht zu dulden. Treppen
und Thüren sind derartig zu disponieren, daß die Besucher, um die
Die Sicherheit in Theatern und in größeren Versammlungs-Räumen. 129
Ausgänge zu erreichen, sich nicht der Bühne zuzuwenden, sondern von
derselben abzuwenden haben. Es dürfen auch niemals zwei neben-
einander liegende Treppen zu einer vereinigt, sondern es müssen beide
ihrer ganzen Erstreckung nach gesondert geführt werden ; dasselbe gilt
für Treppenhäuser.
Das Parkett sowohl als die Ränge und die Bühne müssen mit
breiten (2 — 3 m) Korridoren, die auf ihrer ganzen Länge nicht
unterbrochen sein sollen, umgeben sein, zum Zweck der raschen Auf-
nahme größerer Menschenmengen und deren Ordnung zum Verlassen
des Hauses in regelmäßiger Bewegung.
Bei nicht allseitig freier Lage des Hauses müssen, um die Wege
zum Austritt nicht unnötig zu verlängern, zur Seite und hinter dem
Gebäude freie Plätze (Höfe) belassen werden, groß genug, um die
auf dieselben event. angewiesenen Menschenmengen aufzunehmen (für
3 — 4 Menschen 1 qm Fläche). Solche Plätze müssen mit Straßen u. s. w.
in unmittelbarer Verbindung stehen.
Thüren, welche in die Wege der Abgehenden fallen, müssen nach
außen aufschlagen und möglichst Verschlüsse erhalten, welche auf einen
geringen Druck öffnen, auch leicht wieder zuschlagen und dabei einiger-
maßen dicht schließen. Verengung der Korridore durch geöffnete
Thüren ist unzulässig, desgleichen das Anbringen von Vorhängen an
Thüren; die Anwendung von Schiebethüren ist nicht zu erlauben. Alle
in die Wege der Abgehenden fallenden Thüren sind ständiger Be-
nutzung zu überlassen, weil nur genaue Bekanntschaft mit den Aus-
gängen, nicht aber der Gebrauch sogen. Notthüren einen Erfolg in
Aussicht stellt. — Ausnahmen machen Thüren zu Aborten und
Toiletten - Räumen , für die eine versteckte Lage angezeigt ist. Er-
fahrungsmäßig geraten aber bei einer Panik Flüchtende leicht in solche
Räume hinein und kommen darin um, wenn es ihnen nicht gelingt, den
Rückzug leicht wieder zu gewinnen. Thüren solcher Räume sollen des-
halb dem Eintretenden entgegenschlagen oder in anderer ge-
eigneter Weise den Eintritt erschweren, den Wiederaustritt erleichtern.
2. Natürliche und künstliehe Beleuchtung; Ventilation.
Daß auch zur Sicherheit der Ausgänge scharfe Sonderung
der wahrscheinlichen Herde eines Brandes von den Korridoren, Treppen-
häusern und Fluren notwendig ist, mag nur beiläufig an dieser Stelle
abermals berührt werden, wie desgleichen die Forderung, daß die Um-
schließungen der Flure, Korridore, Treppenhäuser und die Treppen
selbst unverbrennlich oder doch nur schwer verbrennlich hergestellt
werden.
Um Rettungen von außen nicht zu hindern, sollen Fenster zum
Oeffnen eingerichtete Flügel erhalten und müssen unvergittert bleiben.
Korridore und Treppenhäuser müssen direktes Licht von außen
empfangen. Zur Abendbeleuchtung von großen Theatern ist in Preußen nur
elektrisches Licht zulässig, Gaslicht bloß bei kleinen Theatern
erlaubt. Die Gaszuleitung muß von mehreren Punkten der Straßen-
leitung aus geschehen, sodaß mehrere von einander unabhängige „Systeme"
entstehen. Damit, wenn ein Brand das frühe Verlöschen der Haupt-
beleuchtung zur Folge hat, nicht völlige Dunkelheit der Ausgänge statt-
finde ist auf Fluren und Treppen eine sogen. Notbeleuchtung (mit
13
130 BÜSING,
Kerzen oder Oel) einzurichten, die so angeordnet werden muß, daß sie
durch erstickende Gase in ihrer Funktionierung nicht gehindert wird.
Ob es zweckmäßig sei, über dem Zuschauerraum eine größere
Ventilationsöffnung anzuordnen, ist bestrittene Frage, weil damit die
Gefahr verbunden ist, daß der Abzug der auf der Bühne entstandenen
giftigen Gase in den Zuschauerraum befördert werde. Indessen ist
doch zu bedenken, daß, wenn eine Abzugsöffnung über dem Zuschauer-
raum vorhanden ist, vielleicht ein Zutritt erstickender Gase zu den in
den oberen Rängen befindlichen, sonst stark gefährdeten Personen ver-
hindert wird. Für die Treppenhäuser und Korridore empfiehlt sich
zur Verringerung der Erstickungsgefahr die Anordnung einer kräftigen
Ventilation jedenfalls.
(Vergl. über Ventilation und Beleuchtung Bd. IV dieses Handbuches.)
3. Sicherheitsvorkehrungen besonderer Art10, 15.
Bezüglich a 1 1 e r im Vorstehenden berührten Sicherheitsvorkehrungen
sind in der preußischen Polizei-Verordnung vom 1. Dezember 1889 bin-
dende Vorschriften aufgestellt, auf welche hier verwiesen werden muß.
Es mag aber noch kurz einiger anderweiten; künstlichen Vor-
kehrungen zur Vermehrung der Theatersicherheit Erwähnung gethan
werden, welche wegen der Seltenheit ihres Vorkommens bisher außer
Betracht gelassen sind. Bei allen handelt es sich, besonders um
Raschheit und Unmittelbarkeit der Wirkung zu erzielen, um Be-
nutzung von Elektrizität. Es sind elektrische Einrichtungen zum Schluß
des Bühnenvorhanges, zum Oeflnen der Luftabzüge über der Bühne,
zum selbständigen Ingangsetzen des Bühnenregens, zum gleichzeitigen
Oeffnen aller Thüren u. s. w. erdacht, ohne aber, soviel bekannt, bisher
praktische Anwendung zu finden. Dagegen sind in Gebrauch genommen
worden : Wächterkon troll-Telegraphen, welche zweifelsfreie
Feststellungen über die Thätigkeit des Wächters liefern; Anruf -
Telegraphen, die dem Wächter oder anderen Beamten die Mög-
lichkeit geben , rasch Hilfe nach besonders gefährdeten Stellen zu
rufen; Thürschluß-Telegraphen, welche selbstthätige Meldung
von dem Offenstehen einer Thür u. s. w machen, deren beständiger
Schluß von Bedeutung ist; Wärmetelegraphen, welche eben-
falls nach bestimmten Stellen Mitteilung bei Erreichung einer be-
stimmten Temperatur geben und noch andere Vorrichtungen ähn-
licher Art. Bei allen derartigen Hilfsmitteln will die Gefahr nicht außer-
acht gelassen werden, daß sie im gegebenen Augenblick versagen. Die-
selbe ist um so größer, als ihre Thätigkeit eine nicht regelmäßige, auf
die Angabe des Gewöhnlichen beschränkte ist, sondern sie gerade
von dem Ungewöhnlichen Kenntnis geben, bezw. dasselbe verhindern
sollen, mithin einer Anforderung zu genügen haben, die dem Grund-
gedanken eines mechanischen Apparates zuwiderläuft.
Nicht unwichtig erscheinen schließlich einfache Sicherheitsvor-
richtungen gegen das Herabfallen von Operngläsern,
Fächern u. s. w. aus den Rängen.
II. Cirkusanlagen10.
Da bei Cirkusanlagen Bühne und Vorräume fehlen, die ganze Dis-
position zudem auf ein Auseinanderströmen der Besucher beim
Verlassen des Gebäudes getroffen wird , können die sicherheitlichen
14
Die Sicherheit in Theatern und in größeren Versammlungs-Räumen. 131
Anforderungen an dieselben geringer als bei Theatern gehalten werden.
Dies gilt sowohl mit Bezug auf die Konstruktion des Gebäudes als
mit Bezug auf die Breite der Gänge, Treppen und Thüren. Doch wird
wegen der größeren Besucherzahl in der Regel allseitig freie Lage
des Cirkus zu fordern sein. Weitere wesentliche Anforderungen bestehen
darin, daß die Räume zur Aufbewahrung von Requisiten und Futter-
vorräten von den Räumen, in denen Menschen verkehren, gut gesondert
werden und die Hohlräume unter den Sitzreihen für Gebrauchszwecke
der Darsteller nur dann dienen dürfen, wenn sie durch unverbrennliche
Decken und Mauern von jenen vollständig getrennt sind. Für Heizung,
Wasserversorgung und Beleuchtung werden im wesentlichen die gleich-
artigen Vorschriften wie für Theater gelten müssen. In die preußische
Polizeiverordnung vom 1. Dezember 1890 sind die Cirkus mit einbegriffen.
III. Versammlungsräume10.
Hierfür sieht die eben genannte Verordnung folgende wichtigern
Bestimmungen vor :
Die Einrichtung von Lagerräumen für feuergefährliche Stoffe über
oder unter Versammlungsräumen ist untersagt; auch dürfen derartige
Räume nicht mit den für die Versammlungsräume dienenden Korri-
doren, Treppen, Fluren oder Durchfahrten in Verbindung stehen.
Versammlungsräume für mehr als 2000 Besucher müssen Ausgänge
nach mehreren Straßen hin erhalten, wenn nicht zwischen diesen
und den Straßen freie Flächen von solcher Größe liegen, daß auf
denselben die ganze Besucherzahl gleichzeitig Platz findet. — Der Fuß-
boden darf höchstens 12 m über Erdboden liegen, und es darf außer
dem Parkett ein Versammlungsraum höchstens zwei Gallerien über-
einander erhalten.
Die freie Gangbreite soll mindestens 90 cm, übrigens 1 m für
je 120 Personen betragen. Die Länge der Sitzreihen darf im Saal
nicht 14, auf den Gallerien nicht 12 Sitze überschreiten. Wo die Sitz-
reihen nicht „fest" angelegt werden, sind auf 1 qm Parkettfläche höch-
stens 2, auf 1 qm Galleriefläche höchstens 3 Personen zu rechnen.
Korridore und Flure sollen mindestens 2 m Breite haben;
übrigens gilt für dieselben, wie für die Breite der Thüren, daß je 1 m
Breite gegeben werden soll:
für 120 Personen bei einer Besucherzahl bis zu 600
„ 135 „ „ ., „ von 600— 900
„ 150 „ „ „ „ über 900.
Bei Versammlungsräumen für mehr als 600 Personen müssen
Thüren auf zwei Wandseiten angelegt werden. Ermäßigungen der
obigen Zahlen in der WTeise, daß die Personen zahl für 1 m Breite bis auf
das Doppelte vermehrt werden darf, sind zulässig, wenn unmittelbar Aus-
tritt in große Höfe möglich ist. Versammlungsräume für weniger
als 300 Personen brauchen nur 1 Treppe zu erhalten ; größere müssen
mindestens 2 haben. Treppenbreite 1 m für je 150 Personen bei
weniger als 900 Personen und 1 m für je 200 Personen bei mehr als
900; Mindestbreite 1,5 m. Gallerietreppen dürfen nicht in den Saal
ausmünden, auch nicht in andere Räume in solcher WTeise, daß Gegen-
strömungen beim Verlassen des Raumes entstehen.
'5
132 BÜSING,
Für die Beleuchtung ist Mineralöl auszuschließen.
Die Vorschriften über Feuersicherheit der Konstruktionen sind
ähnlich wie bei Theatern getroffen. Wo ein Versammlungsraum zeit-
weilig auch für theatralische Aufführungen benutzt wird, treten ent-
sprechend abgeänderte Bestimmungen in Wirksamkeit, die bei der
Mannigfaltigkeit der Verhältnisse hier übergangen werden müssen.
IV. Andere Gebäude für grössere Menschen-
ansammlungen l i.
Neben der Polizeiverordnung vom 1. Dezember 1889 (die sich im
übrigen auch noch mit den Anforderungen befaßt, welche an zur Zeit
des Erlasses derselben bereits bestehende Versammlungsräume
gestellt werden sollen) sind für einzelne Gebäudegattungen,
welche regelmäßig größere Menschenmengen aufzunehmen haben , wie
insbesondere Kirchen und Schulen, in Preußen, am 1. November
1892 von dem Minister der öffentlichen Arbeiten Verwaltungsvor-
schriften erlassen worden , aus denen hier folgendes Wichtigere mit-
geteilt wird.
Bei der Personenzahl von mehr als 300 müssen in der Regel 2, bei
mehr als 800 in der Regel 3 gesonderte Ausgänge, bezw. Treppen
angelegt werden, wobei solche Nebenausgänge u. s. w., die nicht leicht
aufgefunden werden können , nicht mitzurechnen sind. Richtung der
Ausgänge u. s. w. thunlichst nach verschiedenen Seiten. Mindestbreite
derselben für je 100 Personen:
70 cm bei der Besucherzahl bis 500,
50 „ Zuschlag für je IOO Personen mehr, in den Grenzen von 500 — IOOO,
30 ,, „ „ ,, IOO „ ,, wenn die Besucherzahl IOOO überschreitet.
Wendeltreppen sind um 30 Proz. breiter anzulegen als gerade
Treppen. Mindestbreite der Treppen 1,30 m, der Flure 2,50 m. Die
Breite von Treppen zu Kirchenemporen kann bis auf 90 cm
beschränkt werden. — Auftritt der Treppenstufen nicht unter 27 cm;
Steigung nicht größer als 18 cm, ausgenommen Treppen in Schulgebäuden,
bei denen die Steigung nicht 17 cm überschreiten darf, und solchen
in Kirchen, bei denen bis 19 cm Steigung zulässig sein sollen.
Für die sonst vorgeschriebenen Sicherheitsmaßregeln sind teilweise
die Vorschriften in der Polizeiverordnung vom 1. Dezember 1889 maß-
gebend, teils haben dieselben als Anhalt zu dienen.
Auch in anderen Staaten ist in den 80 er Jahren die Theater- u. s. w.
Sicherheit durch Gesetz-, bezw. Polizeiverordnungen geregelt worden,
doch nirgends so umfassend wie in Preußen; es erscheint deshalb ge-
rechtfertigt, von dem Inhalte jener anderweiten Bestimmungen hier ab-
zusehen.
V. Einige Beispiele von Theater-Grundrissen14 15.
In erster Linie, und weil auch der Bau der erste seiner Art,
ist hier das Wagner' sehe Bühnen-Festspielhaus in
16
Die Sicherheit in Theatern und in größeren Versammlungs-Räumen. 133
Bayreuth (Fig. 7) zu nennen, welches (nach Ideen G. Semper's)
in der ersten Hälfte der 70 er Jahre vom Architekten Brück-
wald erbaut, 1876 eröffnet worden ist. Die Ausführung ist zum
großen Teil in Holzfachwerk geschehen und die ganze Disposition
ausschließlich von dem Gesichtspunkte beherrscht, die Scenerie zu
höchstmöglichster Wirkung zu bringen. Nur gewissermaßen zufällig
ereignet es sich, daß das Mittel, welches diesem Zwecke dient,
auch dem anderen der Sicherheit in besonderem Maße gerecht wird.
Dieses Mittel besteht darin , daß auf die Anlage- von Rängen Verzicht
geleistet und die gesamte Zuschauerschaft (etwa 1500) im Parkett unter-
Fig. 7. Grundrifs des Bühnenfestspielhauses in Bayreuth.
gebracht wird; nur daß hinter demselben (mit Abtrennung durch eine
offene Säulenstellung) die sog. „Fürstengallerie" und über dieser eine
für Privatzwecke bestimmte Loge angelegt ist. Die vier Ecktürme des
Baues mit ihren Treppenanlagen haben für die Zuschauer (abgesehen von
den die Loge besuchenden) keine Bedeutung, da dieselben nur Dienst-
räume enthalten. Der Abgang der Parkettbesucher erfolgt durch seitlich
angelegte Treppen, Thüren und vorgelegte offene Hallen. Von den
ersteren wäre eine noch etwas größere Zahl erwünscht gewesen. Bei
der außerordentlichen Bühnengröße (27,7 m Breite, 35,6 m Tiefe und
29,2 m Höhe über Podium) sowie den großartigen Beleuchtungseinrich-
Handbuch der Hygiene. Bd. VI.
•7
134
BUSING,
tungen der Bühne müssen auch die Treppenanlagen für die (auf 4
Schnürböden verteilten) Bühnenarbeiter als ungenügend erscheinen.
Die sich vielleicht aufdrängende Ansicht, daß durch den Verzicht
auf die Anlage von Rängen die Baufläche des Theaters stark ver-
größert werde, erfährt durch das Bayreuther Festspielhaus keine Be-
stätigung. Das erklärt sich, wenn beachtet wird, daß mit den Rängen
auch die umgebenden breiten Korridore und die Treppenhäuser in Weg-
fall kommen, ferner auch dadurch, daß dem Festspielhause alle der
Erholung gewidmeten Räumlichkeiten (Foyers, Konditorei u. s. w.)
fehlen. —
Fig. 8. Untergesehofs des Stadttheaters in Halle.
B e m. Das Baugelände steigt von der linken Vorderecke zur rechten Hinterecke stark
an; es liegen deshalb die Zufahrt, das Vestibül und die Restauration über Terrain, während
alle übrigen Räume dieses Geschosses mehr oder weniger tief in den Grund eintauchen.
Beischr i ft zu Fig. 8.
1 Kasse — 2 Aufgang zum 1. Rang. — 3 Aufgang zum 2. Rang. — 4 Aufgang von
der Restauration. — 5 Dampfpumpe für den Druckwasserbetrieb. — a Kanal für Frisch-
luft. — b Heizkammern.
Als zweites Beispiel sei das in den Jahren 1884 — 1886 vom Archi-
tekten H. Seeling erbaute Stadttheater in Halle (Fig. 8 u. 9)
mitgeteilt, welches sich in der Idee von dem Bayreuther Fostspielhause
dadurch unterscheidet, daß bei ihm bewußterweise alle Einrich-
tungen mit peinlichster Rücksicht gerade auf die Sicherheit der Be-
sucher getroffen worden sind, ohne dabei der Bedeutung der Scenerie
18
Die Sicherheit in Theatern und in größeren Versammlungs-Räumen. 135
und der künstlerischen Erscheinung des Hauses Abbruch zu thun. Um-
gekehrt nimmt auch in den letzteren beiden Beziehungen das Hallesche
Stadttheater eine besonders hohe Stufe der Vollkommenheit ein. Mit
demselben sind (in einem Untergeschoß) eine große öffentliche Restau-
ration, eine beträchtliche Maschinenanlage für Lichterzeugung und für
den Bühnenbetrieb mittels Wasserdruck , endlich die Dekorations-
magaziue verbunden. Die Besucherzahl beträgt 1230; von denselben
sind 550 im Parterre und die übrigen in nur zwei Rängen unter-
gebracht. Parkett und Ränge sind von 4,6 in breiten Korridoren in
ganzer Länge umzogen, ausgenommen im obersten Rang, wo der Korri-
dor in der Scheitelpartie zur Gewinnung einer kleinen Anzahl von
Zuschauerplätzen ausgenützt ist. Die Bühne ist gleichfalls voll-
Fig. 9. Parkettgeschofs des Stadttheaters in Halle.
ständig mit einem Korridor umschlossen, welcher 1,5 m Breite erhalten
hat. An der Außenseite der Parkett- und Logen - Korridore, sind in
höchst bequemer Lage und fast mit einem Ueberfluß an Größe, die
Kleiderablagen untergebracht. Der Abgang vom Parkett geschieht
durch 4 seitlich angebrachte Thüren ; die beiden Ränge werden in ge-
sonderten Treppenhäusern, welche neben dem Vestibül liegen, erreicht
bezw. verlassen. Für die Besucher des 2. Ranges sind zwei Austritte
unmittelbar ins Freie angelegt, während die Besucher des 1. Ranges
ihren Abgang durch das Vestibül zu nehmen haben. Was in den Kon-
struktionen in Beleuchtung, Heizung, in Bühneneinrichtung und Betrieb
u. s. w. für die Sicherheit der Zuschauer überhaupt geschehen kann,
19
9*
136
BUSING,
ist beim Halleschen Stadttheater verwirklicht, sodaß dasselbe in seiner
Art als eine Musteranlage bezeichnet werden darf.
Ganz ahnliche Einrichtungen zeigt das von demselben Architekten
später erbauete „Neue Theater" in Berlin und desgleichen das
L e s s i n g - Theater daselbst, vom Architekten v. der Hude erbauet.
Schließlich werden hier noch einige Theaterentwürfe kurz zu
berühren sein, welche unter dem Eindrucke des ersten, durch die Theater-
brände in Nizza und Wien 1881 verbreiteten Schreckens ans Licht ge-
treten sind, zwei davon als Ergebnisse eines Wettbewerbes, den die
Leitung der im Jahre 1883 zu Berlin abgehaltenen „Allgemeinen Aus-
stellung für Hygiene und Rettungswesen" veranstaltet hatte. Nur die
zwei hier zu besprechenden, zu der Konkurrenz eingelaufenen Ent-
würfe ließen eigenartige Gedanken von größerer Bedeutung hervor-
treten, während die sonstigen
Entwürfe sich weniger weit
vom „Hergebrachten" ent-
fernten.
Fig. 10 zeigt den Grundriß
des 1. Ranges in dem prämi-
ierten Mustertheater-Entwurfe,
der von den Architekten
Schmidt und N e c k e 1 -
mann geliefert war. Die Eigen-
art der Disposition desselben
liegt darin, daß die die Ränge
umgebenden Korridore von einer
nach außen offenen Halle um-
zogen sind, welche zum vor-
läufigen Austritt sowohl , als
mittelbar zum Verlassen des
Theaters (durch Benutzung von
Treppen, welche in offene, gut
beleuchtete Höfe hinabführen)
dienen sollen ; auch in den
Ecken an der Hinterseite des
Bühnenhauses sind Höfe an-
geordnet. Da für den regel-
mäßigen Gebrauchszweck durch
große Treppenanlagen (in den
Vestibülen) schon reichlich ge-
sorgt ist, haben diese (Hof-)
Treppen, samt den offenen Hal-
len den Charakter von Notan-
lagen, gegen welche allgemein
Bedenken zu erheben sind.
Außerdem haben (besonders
durch die Planung von drei
gleichwertigen Vestibülen)
Anlage und Betrieb dieses
Mustertheaters, ohne entspre-
chenden Nutzen für die Sicherheit, einen so großartigen Zuschnitt er-
halten, daß an eine Verwirklichung in den meisten Fällen nicht zu
denken ist.
Fig. 10. Entwurf zu einem Muster-Theater
(Verf. Schmidt u. Neckelmann). Grund-
rifs vom 1. Rang
Beischrift zu Fig. 10.
1 Haupt- Vestibül und Treppe für das Par-
kett. 2 Bibliotheken und ähnlich zu benutzende
Räume ; zwischen denselben und dem Zuschauer-
raum beleuchtete Höfe, die durch Treppen, mit
den die,, Ränge" umziehenden offenen Loggien ver-
bunden sind. — Zum regelmäfsigen Zu- und Abgang
zu den Rängen dienen die beiden Seiten-Vestibüle.
Die Sicherheit in Theatern und in größeren Vorsammlungs-Räumen. 137
Demselben Grundgedanken wie Schmidt und Neckelmann
hat Dr. med. Hirsch (Frankfurt a. M.) in einem Theaterbauplan Aus-
druck gegeben, der aber in Einzelheiten Abweichungen zeigt 15.
Während bei den erwähnten beiden Entwürfen das Erfordernis an
Grundfläche über eine gewisse, noch erträgliche Grenze hinausgeht, tritt in
dem, in dem Wettbewerbe des Jahres 1883 gleichfalls prämiierten Theater-
entwurfe von Höpfner und Rösicke (Fig. 11) das Bestreben stark
hervor, den Theatergrundriß möglichst einzuengen, die Entwickelung
also vorwiegend in der Höhe zu suchen. Charakteristisch für den Ent-
wurf ist weiter der um Bühne und Zuschauerraum ringsherum laufende
Korridor, um welchen
sich ein zweiter, eben-
falls geschlossener Ring
legt, der von 6 Treppen-
häusern durchsetzt ist,
zwischen denen im
Parkett Austritt sötf-
nungen und Kleider-
ablagen, in den Rängen
Kleiderablageu ange-
ordnet sind. Für jeden
Rang sind zwei Trep-
penhäuser bestimmt,
die in dem über Fuß-
bodenhöhe des betr.
Ranges aufgeführten
Höhenteile die Aborte
aufnehmen. Einwände
gegen den Entwurf be-
ziehen sich darauf, daß
bei der Anordnung von
drei Vestibülen der Be-
trieb umständlich, daß
im Korridor des Par-
ketts die Besucher aller
Ränge bei Zu- und Ab-
gang zusammengeführt
werden, und daß die
Besucher der oberen
Ränge beim Verlassen
des Hauses ihren Weg
der Bühne zugewendet zu nehmen haben, wenn die — durchaus ge-
rechtfertigte — Voraussetzung gemacht wird, daß die dem Bühnenhause
zunächst liegenden beiden Treppenhäuser für die Besucher des obersten
Ranges bestimmt sind. Bei anderweiter Disposition über die Benutzung
der Treppenhäuser würde die angegebene Unzuträglichkeit die Besucher
eines der andern Ränge treffen.
Flüchtig gestreift sei hier endlich der im Jahre 1882 von der Ge-
sellschaft „Asphaleia" in Wien aufgestellte Theaterentwurf, dessen
hauptsächlichste Eigenart, was die Disposition anbetrifft, darin besteht,
daß der Zuschauerraum von einem breiten, nach außen geschlossenen
Ringe umgeben ist, der die sämtlichen, an die innere Wand gelegten,
Rangtreppen enthält, und außerdem Fassungsraum genug, um zu Foyers
Fig. 11. Entwurf zu einem Muster - Theater (Verf.
Höpfner u. Rösicke). Grundrifs vom Parkett.
Beischrii't zu Fig. 1 1 .
1 Vestibüle. — 2 Kleiderablagen. — 3 Dekorations-
Räume. — 4 Tischlerwerkstatt. — 5 Verwaltungsräume.
21
138 BÜSING, Die Sicherheit in Theatern und in groß. Versammlungs-Räumen.
dienen zu können ; Vestibüle, Treppenhäuser und abgeschlossene, besondere
Foyers kommen also in Wegfall. Soviel bekannt, haben diese Vorschläge
der Gesellschaft Asphaleia bisher keine Verwirklichung gefunden, wogegen
anderweite, von ihr im Theaterwesen zu Tage geförderte Verbesserungen,
wie Einführung des maschinellen Bühnenbetriebes und Ersatz vieler
gefährdenden Teile der Bühneneinrichtung durch den „Horizont" rasch
in ihrer Bedeutung erkannt worden, und , zu großer Vermehrung der
Theatersicherheit, mehrfach zur Ausführung gelangt sind.
1) Fölsch, Theaterbrände und die zur Verhütung derselben erforderlichen Schutzmafsregeln ;
nebst Ergänzungsheft, Hamburg.
2) Gilardone, Handbuch des Theater- Lösch- und Rettungswesejis, Strafsburg i. E.
3 i Sauvageot, Considerations sur la construction des theatres, Paris, Morel & Co.
4) Junk, Das Theater system der Gegenwart und Zukunft, vom technischen, sicherheits- ,
polizeilichen und assekurator. Standpunkt, Wien 1884.
5) Prokop. Die Sicherheit der Person im Theater, Brunn
6) Boog und Freiherr Jüptner v. Johnstorf, Zur Sicherheit des Lebens in den Theatern,
Wien.
7) Stade, Mahnwort an jedermann über Feuersicherheit und Feuerschutz in Theatern, Bremen.
8) Niederösterreich. Gewerbeverein, Vorschläge, betr. die Sicherheit von
Theatern gegen Feuersgefahr, Wien.
9) Focks, Brand des Ringtheaters in Wien, Wien.
10) Preufsische Polizeiverordnung, betr. die bauliche Anlage und die innere Einrichtung von
Theatern, Cirkusgebäuden und öffentl Versammlungsräumen, Berlin, 1889, Ernst & Korn,
Nachtrag dazu v. 18. März 1891.
11) Bestimmungen über die Bauart der von der (preufsischen) Staats- Bauverwaltung auszu-
führenden Gebäude unter besonderer Berücksichtigung der Verkehrssicherheit, Berlin, 1892,
daselbst.
12) Gutachten der Kgl. preufs. Akademie des Bauwesens über Feuersicherheit der Theater
v. 2. Novbr. 1881 uud 14. Juni 1882, abgedruckt in D eutsche Bauzeitung 1881
565 und 1882 491.
13) E. Turner, Diagrams, illustrative of the sanitation of theatres. Londoner internationaler
hygienischer Congrefs, Bd. IV, 64, 1892.
14) Baukunde des Architekten, Th. I, 1890; Th. II, 1884.
15) Z eit s ehr iftenlitt er atur : Wochenschrift des österr. Ingen.- und Ar chit.- Ver-
eins 1884, No. 33 Das Asphaleia- Theater der Wiener elektr. Ausstellung 1883. —
Deutsche Bauzeitung 1883 377 jf . .• Die Konkurrenz um ein Mustertheater 253,
605: Umbau des Hoftheaters in Stuttgart. Jahrg. 1884 373 u. 385: Einige Be-
merkungen zu Fölsch, Statistik der Theaterbrände. Jahrg. 1886 553 und 1887 301 :
Das Stadttheater in Halle. Jahrg. 1888 : Mehrere Artikel über den Wert allgemeiner
Sicherheitsmafsregeln. Jahrg. 1889 497 : Sicherheitstheater nach Dr. med. Hirsch. —
Building and Engine ering Times Jahrg. 1881: Längere Artikelreihe über
Theaterbau. — Mitteilungen des Archit.- und Ingen.- Vereins f. das Königreich
Böhmen, Jahrg. 1883 H 3 und 4: Umbau des Kgl.] Deut sehen Landestheaters in Prag.
— Elektrotechnische Zeitschrift Jahrg. 1882: Besondere elektrische Ein-
richtungen im Frankfurter Opernhause.
22
Register.
Akustik der Theater 121.
Asphaleia 137.
Bayreuth, Theater in 132 ff.
Beleuchtung in Theatern 119. 122.
Berlin, Theater in 136.
Betriebsordnung 119.
Boog über Theater 138.
Brandmauern für Theater 125.
Brände 118, s. a. Theaterbrände.
— Theaterbrand zu Nizza 117.
— „ „ Oporto 117.
— „ „ Paris 117.
— „ „ Wien 117. 127.
Braunschweig, Theater in 122.
Brückwald, Architekt 133.
Budapest, Theater in 122.
Bühnenmaschinerie 122.
Bühnenregen 124.
Cirkusanlagen 130 ff.
Eiserner Vorhang 125 ff.
Elektrisches Licht in Theatern 129.
Entleerung der Theater 127 ff.
Fenster in Theatern 129.
Feuergefährlichkeit der Theater 119. 138.
Flammen in Theatern
— bewegliche 122.
— geschützte 122.
Focks über den Brand des Ringtheaters 138.
Fölsch über Theater 138.
Frankfurt a./M., Theater in 122. 124.
Gangbreite in Versammlungsräumen 131.
Gase, irrespirable, bei Theaterbränden 127.
Gaslicht in Theatern 129.
Gewerbeverein , Niederösterr., über Feuer-
schutz in Theatern 138.
Gilardone über Theatersicherheit 120. 138.
Gipsdielen für Theater 123.
Halle, Theater in 122. 134.
Hanfseile feuergefährlich 119. 121.
Hausordnung 119.
Heizung der Theater 122.
Hirsch , Dr. med. , Mustertheater von 137.
138.
Hofgröfse der Theater 121. 129.
Höpfner, Architekt 137.
Hohlsteine für Theater 123.
Holzwerk in Theatern 121.
Horizont in Theatern 122.
v. der Hude, Architekt 136.
Hydranten für Theater 124.
Imprägnierung für Kulissen 122.
Irrespirable Gase bei Theaterbränden 127.
Jüptner, Freiherr von, über Theater 138.
Junk über Theater 138.
Kirchen, Sicherheit der 132.
Korksteine für Theater 123.
Korridore in Theatern 129.
Korridore in Versammlungsräumen 131.
Messing-Theater in Berlin 136.
Litteratur über Feuersicherheit der Theater
138.
Löscheinrichtungen für Theater 123.
Mauerwerk in Theatern 121.
Monier- Bauweise für Theater 123.
München, Hoftheater in 125.
Muster-Theater 136. 137.
Neckelmann, Architekt 136.
Neues Theater in Berlin 136.
Nizza, Theater in 117.
Notbeleuchtung d. Theater 119. 120. 129.
Paris, Theater in 117.
Polizeiverordnung über Theatersicherheit 138.
23
140 BÜSING, Die Sicherheit in Theatern u. in groß. Versammlungs-Ränmen.
Praktikables 119.
Prokop über Theater 138.
Prospekte in Theatern 119. 122.
Rabitz-Bauweise für Theater 123.
Ränge, erlaubte Zahl der 120. 128
Restaurationen in Theatern 120
Rösicke, Theater-Entwurf 137.
Sauvageot über Theater 138.
Schnürboden der Theater 125.
Schmidt. Architekt 136.
Seeling, Architekt 134.
Semper, G., Architekt 133.
SitzgröTse in Theatern 128.
Soffitten beleuchtung 119.
Stude über Feuersicherheit 138.
Telegraphen in Theatern 130.
Theater, grofse 123.
— kleine 123.
in Bayreuth 132 ff.
— „ Berlin 136.
„ Braunschweig 124. 126.
— „ Budapest 122.
— „ Frankfurt a./M. 122. 124.
— .. Halle 122. 134..
Theater in München 125.
— „ Nizza 117.
— „ Oporto 117.
— „ Paris 117.
— „ Wien 117.
Treppen in Theatern 128 ff.
— in Versammlungsräumen 131.
Turner über Feuersicherheit der Theater 138.
Thüren in Theatern 129.
— in Versammlungsräumen 131.
Ventilation der Theater 129.
Versammlungsräume 131.
Versatzstücke 121.
Vorhang, eiserner 125 ff.
Wagner-Theater 132 ff.
Wasserdruck für die Bühnen-Maschinerie 122.
Wasserversorgung der Theater 122.
Wegebreiten in Theatern 128.
Wendeltreppen in Kirchen 132.
Werkstätten in Theatern 120.
Wien, King-Theater in 117.
Wohnungen in Theatern 120.
Wolken Schleier 119.
Zuschauerraum der Theater 130.
24
ASYLE, NIEDERE HERBERGEN,
VOLKSKÜCHEN u. s. w.
BEARBEITET
VON
M. Ktf AUFF, Dr. med. TH. WEIL
BAUMEISTER UND PRIVATDOCENT AN DER IN BERLIN.
TECHNISCHEN HOCHSCHULE IN BERLIN.
MIT 18 ABBILDUNGEN IM TEXT.
HANDBUCH DER HYGIENE.
HERAUSGEGEBEN VON
DR. THEODOR WBYL.
SECHSTER BAND. DRITTES HEFT.
-~SS>-«-
JENA,
VERLAG VON GUSTAV FISCHER.
1895.
Inhaltsübersicht.
Seite
I. Die Gefährdung der öffentlichen Gesundheit
durch Massenquartiere und niedere Herbergen
(Verfasser: Th. Weyl) 145
II. Hygienische Ansprüche an Massenquartiere. Re-
gelung dieser Ansprüche durch die Gesetzgebung.
Erfolge der gesetzlichen Maßnahmen (Verfasser:
Th. Weyl) 150
III. Bauliche Einrichtung und Verwaltung von Asylen
und niederen Herbergen (Verfasser: M. Knauff und
Th. Weyl) 157
A. Asyle 157
1. Asyle für obdachlose Familien 157
2. Asyle für nächtliche Obdachlose 162
B. Schlaf häuser und niedere Herbergen 170
Anhang. 1. Volksküchen und Kaffeehallen 172
2. Wärmehallen 176
Register am Schlüsse der Lieferung.
10*
I. Die Gefährdung der öffentlichen Gesundheit durch
Massenquartiere und niedere Herbergen.
(Verfasser: TL Weyl.)
Die Hygiene nimmt deshalb ein so hervorragendes Interesse an
Massenquartieren und niederen Herbergen, weil sich mit Sicherheit nach-
weisen läßt, daß nächtliche Unterkunftsstätten, welche den hygienischen
Anforderungen nicht entsprechen oder welche einer sanitätspolizeilichen
Ueberwachung nicht unterliegen, die Allgemeinheit dadurch gefährden,
daß sie den Ausgangspunkt für Epidemien von Pocken, Flecktyphus,
Recurrens, Cholera u. s. w. werden können und die Ausbreitung der
Syphilis erleichtern.
Daß derartige Unterkunftsstätten auch der Verbreitung von Ver-
brechen dienen , die Verbrecher dem Richter zu entziehen vermögen
und die Immoralität befördern, soll hier nur nebenbei bemerkt werden.
Das eben Gesagte gilt sowohl für niedere Gasthöfe (Schläferherbergen,
Pennen) als für die Schlafstellen, weil beide Veranstaltungen un-
merklich ineinander übergehen.
Schließlich gehören in diesen Zusammenhang auch die von öffent-
lichen Gewalten oder von Wohlthätigkeitsvereinen errichteten Massen-
quartiere, welche als Asyle oder Obdächer bezeichnet werden.
Vom bau technischen Standpunkte aus verdienen Schlaf-
stellen und Pennen kein besonderes Interesse, da diese meist in gewöhn-
lichen Privathäusern untergebracht zu sein pflegen. Dagegen bietet die
Herstellung eines nach hygienischen Grundsätzen errichteten nächtlichen
Asyls dem Gesundheitstechniker eine Aufgabe dar, welche hohe Sach-
kenntnis voraussetzt.
Die Gefahren der niederen Herbergen und der Massenquartiere
fanden, wie es scheint, zuerst bei unseren großen Lehrmeistern auf dem
Gebiete der öffentlichen Gesundheitspflege, bei den Engländern, ent-
sprechende Würdigung.
Schon 1844 wies Hawksley vor der S. 146 genannten könig-
lichen Untersuchungskommission nach, daß in Nottingham in den
40er Jahren dieses Jahrhunderts die größte Sterblichkeit, namentlich
die größte Kindersterblichkeit in denjenigen Quartieren herrschte, wo
der auf den Kopf fallende Luftkubus am geringsten war 1 .
In den Jahren 1817—1819 forderte der Flecktyphus in Irland
65000 Opfer, das sind 10 Promille der Bevölkerung. Es erkrankte
146 M. KNAUFF und TH. WEYL,
fast ausschließlich die zumeist in halb unterirdischen Hütten wohnende
arme Bevölkerung, welche mit den Schweinen in demselben Raum
lebte 2.
Nach Murchison blieb der Flecktyphus in Glasgow auch
während der größten Epidemien stets auf die von der ärmsten Be-
völkerung bewohnten Quartiere der Altstadt beschränkt. Auf dem Lande
dagegen war der Flecktyphus stets eine seltene Krankheit3.
Nach Glover4 fielen im Jahre 1849 in den common lodging
houses, welche Tindall's buildings genannt werden und sich in London,
Gray's Inn Lane befanden, 20 Fälle von Flecktyphus auf ein einziges
Haus. Im Jahre 1847 wurden aus einem einzigen Zimmer einer Penne
in Edinburgh (Aird's Close , Grass Market) 40 Fälle von Flecktyphus
ins Krankenhaus geschafft.
Nach den Aussagen von D u n c a n 5 vor der königlichen Unter-
suchungskommission on the State of large towns and populous districts
kamen in Liverpool während der 40er Jahre dieses Jahrhunderts
die meisten Fälle von Flecktyphus in den armen Quartieren zur Beob-
achtung. In einem bestimmten Distrikt (Byrom Street) erkrankte im
Mittel aus einer 5 -jährigen Beobachtungsreihe von 10 Bewohnern
immer einer an Flecktyphus, und in Vauxhall Ward (Liverpool) wurden
während 5 Jahren 503 Fälle von Flecktyphus auf 10 853 Einwohner,
also immer einer auf 21,5 Bewohner gezählt.
Ferner sind hier die Massenepidemien von Flecktyphus zu er-
wähnen, welche in überfüllten Gefängnissen und auf engli-
schen Kriegsschiffen im zweiten Drittel des achtzehnten Jahr-
hunderts auftraten , wo die Mannschaften in dem unteren Schiffsraum
zusammengefercht lebten, fast schlimmer als die Schweine und Hammel.
Nicht vergessen dürfen endlich die Massenopfer werden, die der Fleck-
typhus in belagerten Festungen und in Kriegslagern, z.B.
während des Krim-Krieges forderte, wo Engländer und Franzosen ihre
Truppen aus militärischen Gründen dicht zusammendrängten 6.
Auch der Recurrens ist zumeist eine Krankheit der Massen-
quartiere und der übervölkerten Wohnungen.
Nach Murchison7 kamen von 441 Recurrens - Fällen in dem
London Fever Hospital über die Hälfte aus der dicht bevölkerten City
und über ein Drittel aller Fälle aus dem Proletarier-Quartier Holborn.
Die in London 1870 wütende Recurrens-Epidemie blieb nach Goltd-
a m m e r 8 nahezu auf das von den Aermsten der Armen bewohnte
Kirchspiel St. Giles beschränkt, während in dem benachbarten, aber
wohlhabenden Bezirk von St. George (Bloomsbury) nur äußerst wenige
Erkrankungen gemeldet wurden. Dies geht aus der folgeuden Tabelle
mit Sicherheit hervor.
0 .. < St. George (Bloomsbury) von' 17 392 Einwoh. 7 Erkrank., also 1 : 2484
arme Quartiere ( St Giles (South) von I7 94° » 7* .• » « > *49
arm^uartieie I St. Giles (North) von 16578 „ 44 „ „ I: 377
und common < . , v ,', . , •" " " " J"
, , . , | in den common lodging houses
lodging houses ^ gt ^ % i?J ^ ^ ^ Xi ^
Die Tabelle zeigt ferner, daß die common lodging houses,
welche sich im Bezirk von St. Giles befanden, ein besonders
großes Kontingent von Erkrankungen aufwiesen.
Weiter ergiebt sich aus einer großen Reihe von Reports, welche dem
Asyle, Herbergen u. s. w.
147
englischen Parlamente vorgelegt wurden, mit absoluter Sicherheit, daß
die Cholera in den common lodging houses vor Erlaß der common
lodging houses act (S. 152) die meisten Opfer forderte 4.
Hierfür der Raumersparnis wegen nur wenige Beispiele, welche leicht
vermehrt werden könnten. In den bereits (S. 146) erwähnten Tindall
buildings kamen im Jahre 1849 15—20 Todesfälle auf ein Haus. In
demselben Jahre wurden aus 30 Gebäuden der Church Lane, St. Grile's
(London) 28 Cholerafälle gemeldet. In einem Distrikte von Whitechapel
(Coopers Court, Blue Ancor Yard) starben von 750 Einwohnern im
Jahre 1849 an der Cholera: 20. In den Jenny's buildings (Kensington,
London) betrug in demselben Jahre die Sterblichkeit an Cholera 26 p. M.
In durchaus gleicher Weise wie Exanthematicus , Recurrens und
Cholera grassierten die Pocken vorzugsweise in den Wohnungen der
Armen. Auch dies ist leicht mit Beispielen aus den Reports zu er-
weisen, welche das Parlament vor Erlaß der common lodging houses
act beschäftigten.
Für Berlin verdanken wir namentlich Goltdammer9 genauere
Forschungen über die niederen Herbergen als Brutstätten von Infektions-
krankheiten.
So lieferten folgende Berliner Häuser, in denen sich derartige
Pennen befanden, in den Jahren 1872 — 1876 folgende Fälle von Ex-
anthematicus (Flecktyphus, mit F bezeichnet) und von Rückfalltyphus (Re-
currens, mit R bezeichnet).
Berlin
1872
1873
1874
1875
1876
Prenzlauer Str. 17
29 R
3 \ 50 F
I R
—
2 F
August-Str. 81
13 R
29 ! I4 R
29 \ 15 F
4 R
3 R
10 ( 5 R
l 5 F
Oranien-Str. 105.
14 R
,, ( 8R
26 { 18 F
5 R
I R
4 F
Namentlich berüchtigt war in Berlin das Haus Müllerstraße 31. In
demselben erfolgten während der 9 Jahre 1868 — 1876 174 Todesfälle,
darunter waren 57 Kinder. Diese 174 Todesfälle verteilen sich auf die
■einzelnen Jahre folgendermaßen :
1868
1869
1870
1871
1872
1873
1874 21
1875 24
1876 14
II Tote (5 Typhus)'
13
14
17
35
25
(2 Typhus)*)
(1 Typhus *J und 3 Pocken).
(2 Pocken + 4 Flecktyphus + 4 Recurrens).
(I Pocken + 10 Flecktyphus + I Recurrens).
(1 Typhus)*).
(1 Flecktyphus).
*) Recurrens und Exanthematicus zusammen, beziehentlich gestorben an dem einen
oder dem anderen.
148 M. KNAUFF und TH. WEYL,
Das frühere, seit 1877 geschlossene Asyl des Arbeitshauses zu Berlin mit
seinen menschenunwürdigen Einrichtungen lieferte in dem einen Jahre 1873
291 Fälle von Flecktyphus und Recurrens zusammengenommen. Nicht
weniger Erkrankungen dürften aus dem nun gleichfalls verlassenen Polizei-
gewahrsam am Molkenmarkt hervorgegangen sein, dessen Räume an
mittelalterliche Burgverließe erinnerten.
Aehnliche Erfahrungen liegen auch aus anderen Städten des Kon-
tinentes vor. So berichtet Girgensohn10 aus Riga, daß in zwei
Häusern der Moskauschen Straße in zwei Jahren (1874 — 75) 194 Fälle
(gleich 51 Proz. aller beobachteten) von Flecktyphus sich ereigneten.
In Breslau11 wurden nachWyß, Bock, Lebert undJacobi
in der großen und kleinen Rosengasse, wo früher die meisten Schlaf-
stellen sich befanden, in den Jahren 1868 und 1869 36 Proz. aller
Fälle von Flecktyphus 1 ° und 67 Proz. aller Fälle von Recurrens ' l
beobachtet.
Litten10 beobachtete, gleichfalls in Breslau, daß eine an Re-
currens erkrankte Frau in einer Penne die Krankheit auf ihre Bett-
nachbarin übertrug. Diese wurde ins Krankenhaus gebracht und in-
fizierte hier 6 andere Personen.
In Brüssel verbreitet sich der Flecktyphus nach Bei val l0) von
den schmutzigen übervölkerten logements de nuit aus über die Stadt.
In Paris12 blüht das Unwesen der Pennen trotz mancher gegen
dieselben ergriffenen Maßregeln noch heute im üppigsten Flor.
Am 1. Juli 1876 besaß Paris nach 0. du Mesnil18 9050 Hotels-
verschiedensten Ranges mit 142 671 Mietern, am 28. Juli 1882 lauten
die entsprechenden Zahlen: 11535 Hotels mit 243 564 Mietern. Es nahm
also innerhalb 6 Jahren die Zahl der Hotels nur um ein Viertel, die Zahl
der Mieter aber um das Doppelte zu. Im Verlaufe von 5 Jahren hatte
sich im XVIII. Arrondissement die Zahl der Pennenbesucher von 8933 auf
20816, die Zahl der „Garnis" aber nur von 601 auf 833 vermehrt. Nach
Jules Rochard12 waren nun diejenigen Arrondissements, in welchen
sich die Pennen befanden, vom Abdominaltyphus am meisten ergriffen.
Diese Thatsache führte endlich dazu, daß sich die städtischen Behörden
zu energischen Schritten gegen die Pennen aufrafften, von denen einige,
wie Hotel Lyonnais, Cite des Biffins, Hotel de Macon, namentlich aber
die Fosse aux Lions wegen des in ihnen herrschenden Schmutzes sich
den Ruf besonderer Sehenswürdigkeit erworben hatten. Diese „Hotels"
befanden sich zum großen Teil in der rue Sainte Marguerite. Hier er-
folgte der Ausbruch der Cholera 1884. Die Gebäude dieser Straße wurden
für 2 950000 Frcs. von der Stadt angekauft und abgerissen (1887—1889).
Seit einigen Jahren hat nach Eug. Deschamps 13 der Flecktyphus
auch in Paris seinen Einzug gehalten.
Vom 1. Januar 1894 bis zum 15. Juli desselben Jahres wurden in
Paris ungefähr 50 Fälle von Typhus exanthematicus beobachtet, von
welchen etwas weniger als die Hälfte (ca. 45 Proz.) tödlich verliefen.
Die Erkrankten waren meist Landstreicher und Besucher der nächt-
lichen Asyle. Sie bringen den Typhus aus der Provinz, wo er endemisch
ist, nach Paris mit und schleppen ihn in die Pennen und in die zum
Teil noch ungenügend eingerichteten Asyle für nächtliche Obdachlose
Asyle, Herbergen u. s. w. 141)
(s. S. 167) ein. Von hier verbreitet sich derselbe und bildet eine Gefahr
für ganz Paris.
Zwar thut das st ad tis che Asyl im vollen Maße seine Schuldigkeit.
Aber die durch private Wohlthätigkeit unterhaltenen Obdächer, nament-
lich diejenigen des Oeuvre de hospitalite de nuit stehen noch nicht auf
der Höhe der Zeit. Hier werden die Besucher noch nicht gebadet, sondern
man begnügt sich, Gesicht, Hände und Eüße zu waschen. Die Kleider
werden mit Schwefeldampf behandelt, also n i c h t desinfiziert. Aber selbst
dies Zerrbild der Desinfektion wird nur dann aufgeführt, wenn die Kleider
sehr viel Insekten enthalten. Die Betttücher werden nur alle 14 Tage
erneuert. Es läßt sich also leicht verstehen, wie viel Individuen durch
dasselbe Bettuch infiziert werden können. Auch einige der in den Asylen
Angestellten sind bereits an Typhus exanthematicus erkrankt und ge-
storben.
Noch schlimmer ist es mit gewissen Pennen bestellt, welche noch
immer in Paris existieren und zwar hauptsächlich in der Umgebung der
Markthallen. Diese wissen sich der Polizeiaufsicht zu entziehen, weil sie
keine Betten haben. „Ici on ne couche pas." Man läßt sich vielmehr
nur irgend eine Speise, welche einige Sous kostet, vorsetzen und hat dafür
das Recht, bis 2 Uhr nachts, in manchen Pennen auch länger, zu
schlafen, und zwar auf Tischen, Stühlen, Bänken, ja auf bloßer Erde.
In beweglichen Worten schildert der Verfasser den Anblick einer
jener Pennen. Hier liegen in einem Räume, der bezeichnend Salle des
morts genannt wird, die Unglücklichen auf dem Boden, um ihren Rausch
und ihr Elend zu verschlafen.
Durch diese Verhältnisse, namentlich aber durch die Angst vor dem
Flecktyphus, scheinen die Pariser Behörden zu einem energischen Vor-
gehen gegen Asyle und Pennen veranlaßt zu werden14.
Weiteres über die Asyle in Paris siehe S. 167.
1) First report (presented to both houses of parliament) on the statt of large towns and
populous districts, Appendix, 138 ß. (1844).
2) Sander, Handbuch der öffentl. Gesdpfl. 1. Aufl. (1887) 47.
3) Murchison, A treatise on the continued fevers of Great Britain, deutsche Ausgabe von
Zuelzer (1867) 57.
4) George Glover, Report on the common and model lodging houses of the Metropolis, Re-
port presented to both houses of parliament (1855).
5) First report {siehe oben No. 1), Appendix, 58 ; Second report on the State of large tovms,
presented to both houses of parliament (1845) 58. Bd. 18. der ganzen Reihe pro 1845.
Weiteres bei Sir John Simon, Public health reports, 1. Bd 58 (First annual City of
London report).
6) Sanders, a. a. 0. (siehe oben No. 2) 48; Hirsch, Historisch-geographische Pathologie,
2. Aufl. 1. Bd. 387 u. 411. , Murchison (a. a. O. *iehe oben No. 3) 79.
7) Murchison (a. a. O. siehe oben No. 3) 294.
8) Goltdammer, D. Viertel), f. öffentl. Gesdpfl. (1881) 13. Bd. 12.
9) Goltdammer, Viertelf. f. gtr. Med. (1878) N. F. 29. Bd. 296.
10) Goltdammer, Viertelj. f. ger. Med. (1878) N. F. 29. Bd. 311.
11) Pistor, D. Viertelj. f. öffentl. Gesdpfl. (1880) 12. Bd. 55. Vergl. auch H. Simon, D.
Viertelj. f. öfentl. Gesdpfl. (1888) 20. Bd. 472 ; Becker, ebendas. (1890) 22. Bd. 253.
12) Jul. Rochard, Encyclopidie d'Hygüne (1891) 3. Bd. 408. Vergl. dort weitere Lüteratur-
angaben.
13) Eug. Deschamps, Annales d'Hygiene (1894) 31. Bd. 193. Troisihne serie.
14) Revue d'Hygüne (1894) 16. Bd. 272.
150 M. KNAUFF nnd TH. WEYL,
IL Hygienische Ansprüche an Massenquartiere.
Regelung dieser Ansprüche durch die Gesetzgebung.
Erfolge der gesetzlichen Massnahmen.
(Verfasser: Th. Weyl.)
Auf Grund der im vorstehenden Abschnitte angeführten Thatsachen
sind die nächtlichen Unterkunftsstätten der Armen, mögen dieselben
Massenasyle sein oder nur von einzelnen Individuen benutzt werden,
unter sanitätspolizeiliche Ueberwachung zu stellen und als konzes-
sionsp flichtig zu erklären.
Die Ueberwachung hat sich zu erstrecken:
1) auf den Bauplan,
2) auf die Revision des bezogenen Baues,
3) auf die Bewohner.
Von besonderer Bedeutung erscheint die Festsetzung einer
bestimmten Größe für den Luftkubus und für die Grund-
fläche in den Schlafsälen für jeden Bewohner.
Nach Goltdammer1 werden gefordert für:
Logierhäuser in Paris 14 cbm
„ „ Brüssel 14 „
„ „ London 9 „ (falls nur nachts vermietet)
„ „ London3 11,5,, (falls tags und nachts vermietet)
Schlafräume der englischen Armenhäuser 9 cbm.
Baumeister2 hält einen Luftkubus von 10 cbm und eine Grund-
fläche von 4 bei 2x/2 m Höhe für ausreichend.
Weiterhin kommen in Betracht nach Geschlechtern getrennte
Eingänge un d Schlaf räume; Kindern wird man besondere Schlaf-
säle anweisen.
Gewicht ist auf ausreichende Badeeinrichtungen, deren Ge-
brauch obligatorisch sein muß, zu legen. Hier haben sich die lauen
Douchebäder am besten bewährt, während die Wannenbäder den Ge-
brechlichen sowie solchen Personen vorbehalten bleiben, welche mit ekel-
erregenden Krankheiten behaftet sind. Vergl. dieses Handbuch, Bd. VI,
S. 83.
Mit jedem öffentlichen Asyl sollte eine Desinfektionsanstalt
— natürlich mit strömendem Wasserdampf — verbunden sein. In der-
selben werden die Kleider der Asylisten desinfiziert, während die Be-
sitzer baden.
Die Heizeinrichtungen müssen die Temperatur der Schlaf-
räume nicht unter 10 Grad fallen, aber auch nicht über 12 Grad steigen
lassen.
Die Ventilation sei eine ausgiebige. Es scheint, als wenn man
bei geschickter Ausnutzung der Heizeinrichtungen eine kostspielige
Ventilation entbehren kann. Im Sommer ventiliert man mit Hilfe der
gleichzeitig geöffneten Thüren und Fenster. Die Dachreiterlüftung hat
sich an vielen Orten bewährt. Schlafsäle mit Sheddächern sind im
städtischen Asyl für Obdachlose in Berlin in Anwendung und gestatten
eine sehr wirksame Ventilation.
Für je 10 — 15 Besucher wird eine Waschvorrichtung vor-
handen sein müssen. Dieselbe ist ebenso wie die Klosetts, deren man
Asyle, Herbergen u. s. w. 151
«ine den Wascheinrichtungen ungefähr gleiche Zahl bedarf, an die
Kanalisation anzuschließen. Jennings oder Washouts lassen sich am
schwierigsten beschmutzen, am leichtesten reinigen und dürften daher
für Massenasyle ganz besonders empfehlenswert sein (vergl. dieses Hand-
buch, Bd. II, S. 268).
Alle in den Schlafräumen befindlichen Gegenstände müssen leicht
zu reinigen, ja zu desinfizieren sein. Dies gilt namentlich von den Bett-
gestellen, welche gewöhnlich die Form von Pritschen haben. Sie be-
stehen in den meisten Asylen aus geöltem Holz, das sich mit Seife und
mit desinfizierenden Mitteln (3-proz. Karbolsäure) bearbeiten läßt.
Eiserne Pritschen könnte man direkt in den Desinfektionsapparat
schieben.
Die Bettwäsche muß — als eine besonders gefährliche Quelle der
Uebertragung von Infektionskrankheiten — täglich mit strömendem
Wasserdampf desinfiziert werden.
Der Fußboden in den Schlafräumen und in den Korridoren besteht
am besten aus Terrazzo oder aus Asphalt. Ein solcher bedarf zur
schnellen Keinigung nur eines kräftigen Wasserstrahles, vorausgesetzt,
daß die Abflüsse an die Kanalisation angeschlossen sind.
In jedem Asyle muß eine Krankenstube vorhanden sein.
Daß die hygienischen Einrichtungen des A syls tadel-
los arbeiten, ist von Zeit zu Zeit durch amtliche Revi-
sionen festzustellen.
Die Ueberwachung der Besucher des Asyls sei eine sicher-
heitspolizeiliche und eine sanitätspolizeiliche.
Die Schilderung der ersteren gehört nicht an diese Stelle.
Durch die sanitätspolizeiliche Ueberwachung soll die Ausbreitung
von Infektionskrankheiten, namentlich von Pocken, Recurrens, Exan-
thematicus, Cholera u. s. w. (siehe S. 147) verhindert werden.
Zu diesem Zwecke dienen Bäder, Desinfektionseinrichtungen und
eine ärztliche Kontrolle derjenigen Besucher, bei welchen sich krank-
hafte Symptome zeigen. Namentlich zu Zeiten von Epidemien muß in
jedem größeren Asyl wenigstens nachts ein Arzt stationiert sein.
Es soll nun im folgenden gezeigt werden, inwieweit
die hygienischen Ansprüche an n ächtliche Mass enquar-
tiere und Schlafstellen durch die Gesetzgebun g Aner-
kennung gefunden haben.
1. England.
Einen Einfluß auf die Herbergen niederen Ranges hat der Staat
zuerst in England durch die common lodging houses act 1851 und
1853 zu gewinnen versucht. Unter common lodging houses versteht
man Häuser, welche zum Uebernachten benutzt werden. Es fallen also
unter diesen Begriff sowohl Hotels höheren wie niederen Ranges, und
von den letzteren zu den eigentlichen Pennen und Schlafstellen führt
ein unmerklicher Uebergang. Das Gesetz hat, wie die dem Parlament
vorgelegten Berichte der Aufsichtsbehörde beweisen, segensreich ge-
wirkt4. Dagegen scheint es sicher, daß die gesetzlichen Maßnahmen
die Auswüchse des Schlafstellenwesens noch nicht völlig haben
beseitigen können , weil hierzu, wie W e r n i c h 6 mit Recht bemerkt,
erforderlich ist, daß die Polizeiorgane das Recht besitzen müssen, in die
Schlafstellen auch nachts einzudringen, um sich zu überzeugen, daß
152 M. KNAUFF und TH. WEYL,
sich die Angaben der Vermieter über die Zahl der Schlafburschen u. s. w.
mit der Wirklichkeit decken*).
Die common lodging houses gewähren für eine geringe Summe
nächtliche Unterkunft und Kochgelegenheit. Die Schlafräume sind
nach Geschlechtern getrennt. Es giebt aber auch einige derartige
Unterkunftsstätten für „Ehepaare". Diese Hotels sind konzessions-
pflichtig, müssen pro Kopf mindestens 240 Kubikfuß englisch (7,3 m3)
Luftraum zur Verfügung stellen. Einige vestries verlangen pro Kopf
300 Kubikfuß englisch (9,1 m3), wenn die Räume des Hauses nur nachts
oder nur tags benutzt werden, dagegen 350 Kubikfuß englisch, wenn
die Zimmer tags und nachts vermietet werden. Jeder Vermieter muß
der Medizinalbehörde seines Distriktes jeden Fall von ansteckender
Krankheit anzeigen und auf Verlangen der Sicherheitsbehörde die
Namen derjenigen angeben , welche bei ihm Unterkunft gefunden
haben 3.
Nach Booth bestanden 1889 in ganz London genau 1000 von der
Polizei überwachte common lodging houses. Dieselben besaßen Schlafein-
richtungen für 31651 Personen7.
Unter die common lodging houses act fallen auch die nächt-
lichen Asyle.
Booth8 zählt zehn verschiedene nächtliche Asyle (charitable
refuges) in London auf. Die Asyle gehören meist Privatgesellschaften.
In denselben fanden Aufnahme:
Personen beiderlei Geschlechts Personen beiderlei Geschlechts
1882
1883
1884
294960
125905
116 132
1885
1886
109943
108 293
1887
141 733
1888
241 985
1889
182 299
1890
154 507
Folgende englische Gesetze enthalten Bestimmungen,
welche sich auf Schlafstellen, Pennen und Asyle be-
zi ehe n:
Common lodging houses act 1853,
Public health act 1875,
Public Health (London) Act 1891.
Aus dem letztgenannten Gesetz kommen in Betracht : § 99 (Aufsichtsbe-
hörden), § 93 (Erlaß von Hausordnungen durch die Aufsichtsbehörde) § 63,
64, 65 (Anzeigepflicht beim Auftreten ansteckender Krankheiten und Strafen
bei unterlassener Anzeige), § 141 (Definition von „master of a building").
Ueber die Art der sanitätspolizeilichen Ueberwachung vergl.
Taylor, The sanitary inspectors handbook, London 1893, über die eng-
lische Sanitätsgesetzgebung überhaupt : Sir John Simon, English sani-
tary institutions, London 1890.
2. Frankreich.
Die loi relative ä 1' assainissement des logements insalubres von
1850 und 1879 genügt den französischen Hygienikern in keiner Weise,
vergl. auch S. 148.
*) Der englischen Polizei steht nach Booth dieses Recht zu;' es scheint aber nur
selten in Anspruch genommen zu werden.
Asyle, Herbergen u. s. w. 153
3. Deutschland9.
Ein Reichsgesetz, welches die Materie der Massenquartiere regelt,
existiert nicht. Dagegen läßt sich auf Grund des Paragraphen 33 der
Keichsgewerbeordnung die Konzessionspflichtigkeit der Gasthöfe höheren
und niederen Ranges herleiten. Für Preußen gilt ferner das Gesetz
vom 11. März 1850 über die Polizeiverwaltung, dessen Paragraphen 5
und 6 die Ortspolizeibehörde berechtigen, Verordnungen über die hygieni-
sche Beaufsichtigung der Gasthöfe aller Grade und ihrer Besitzer zu
erlassen. Für Berlin gelten die Polizeiverordnungen vom 19. Januar
1893 über das Schlafstellen wesen und vom 31. Januar 1880 betreffend
die Nachtherbergen (Pennen). Beide Verordnungen sind unten abge-
druckt.
Polizeiverordnung vom 19. Januar 1893, betreffend das
Schlaf Stellenwesen .
Auf Grund der §§ 143 und 144 des Gesetzes über die allgemeine Landesverwal-
tung vom 30. Juli 1883 (G. S S. 195), sowie der §§ 5 und 6 des Gesetzes über die
Polizeiverwaltung vom 11. März 1850 (G. S. S. 265) wird für den Stadtkreis Berlin
mit Zustimmung des Gemeindevorstandes verordnet, was folgt.
§ 1. Niemand darf in den von ihm und seinen Familienangehörigen benutzten
Wohnräumen anderen gegen Entgelt Schlafstelle gewähren, wenn nicht die von ihm
selbst, seinen Familienangehörigen und den Schlaf leuten zu benutzenden Schlafräum-
lichkeiten folgenden Anforderungen entsprechen :
a) Jeder Schlafraum muß für diejenigen Personen, welche derselbe für die Schlaf-
zeit aufnehmen soll, mindestens je 3 qm Bodenfläche und je 10 cbm Luftraum auf
den Kopf enthalten.
Für Kinder unter 6 Jahren genügt ein Drittel, für Kinder von 6 bis zu 14 Jahren
genügen zwei Drittel jener Maße.
b) Kein Schlafraum darf mit Abtritten in offener Verbindung stehen.
§ 2. Niemand darf ohne besondere Erlaubnis der Polizeibehörde Schlaf leute ver-
schiedenen Geschlechts gleichzeitig bei sich aufnehmen oder behalten, außer wenn sie
zu einander im Verhältnis von Eheleuten, von Eltern und Kindern oder von Ge-
schwistern stehen.
Abgesehen hiervon dürfen Schlaf leute, soweit nicht das Verhältnis von Eheleuten,
von Eltern und Kindern oder von Geschwistern vorliegt, nur in solchen Räumen zum
Schlafen untergebracht werden, welche nicht zugleich für Personen des anderen Ge-
schlechts zum Schlafen dienen.
§ 3. Für jeden erwachsenen, über 14 Jahre alten Schlafgast und für je 2 Kinder
muß eine besondere Lagerstätte bereit sein. Dieselbe muß mindestens aus einem
Strohsacke, einem Strohkopfkissen und einer wollenen Decke bestehen.
§ 4. Wer Schlaf leute aufnimmt (§ 1) ist verpflichtet, innerhalb einer Woche nach
der Aufnahme des ersten Schlafgastes auf dem Bureau desjenigen Polizeireviers, in
welchem die Wohnung belegen ist, eine schriftliche, wahrheitsgetreue Anzeige nach
Maßgabe des beifolgenden Musters (in der Größe von einem Viertelbogen gewöhn-
lichen Schreibpapiers) niederzulegen. Die Polizeibehörde erteilt hierauf dem Wohnungs-
inhaber nach Prüfung der von demselben vorzuweisenden Schlafräume und, soweit die
Aufnahme der Schlaf leute nach dieser Polizeiverordnung zulässig ist, eine Bescheini-
gung, welche in der Wohnung aufzubewahren und auf polizeiliches Erfordern jedesmal
sofort vorzuzeigen ist. In gleicher Weise muß der Wohnungsinhaber die Namen seiner
Familienangehörigen, wie auch seiner Schlafleute auf polizeiliches Erfordern jederzeit
angeben.
Sind den Bestimmungen der §§ 1—3 zuwider Schlaf leute aufgenommen, so ordnet
— abgesehen von der Bestrafung des Zuwiderhandelnden — die Polizeibehörde deren
Entlassung an.
Tritt später eine Vermehrung in dem Familienstande des Wohnungsinhabers oder
in der durch die polizeiliche Bescheinigung für zulässig erklärten Zahl der Schlaf-
leute ein, oder werden die angezeigten Schlafränme, wenn auch nur teilweise, ver-
ringert, so ist eine neue Anzeige unter Beifügung der früheren polizeilichen Be-
scheinigung erforderlich, auf welche ebenso, wie auf das weitere Verfahren, die
Bestimmungen der vorigen beiden Absätze Anwendung finden.
154 M. KNAUFF und TH. WEYL,
Formulare für die Anzeigen werden zum Zwecke der sofortigen Benutzung auf
den Polizeirevierbureaus unentgeltlich verabfolgt.
§ 5. Mit Geldstrafen bis zu 30 Mark wird bestraft, wer den Bestimmungen dieser
Polizeiverordnung zuwiderhandelt oder den in Gemäßheit des § 4 ergehenden polizei-
lichen Anordnungen und Aufforderungen Folge zu leisten unterläßt.
Diese Straf Bestimmungen finden auch auf denjenigen Anwendung, welcher mit
oder ohne Auftrag des Wohnungsinhabers als dessen Vertreter handelt, oder welcher
in Abwesenheit des Wohnungsinhabers als dessen Vertreter zu betrachten ist.
§ 6. Das Polizeipräsidium ist befugt, Personen, welche in den letzten 5 Jahren
vor Erlaß einer solchen Verfügung wegen Verbrechens oder Vergehens gegen die Sitt-
lichkeit oder wegen Uebertretung der sittenpolizeilichen Vorschriften bestraft sind,
oder welche unter Polizeiaufsicht stehen, das Halten von Schlaf leuten zu untersagen
§ 7. Diese Polizeiverordnung tritt am 1. April 1893 in Kraft
Mit dem gleichen Zeitpunkte ist die denselben Gegenstand betreffende Polizei-
verordnung vom 17. Dezember 1880 aufgehoben.
Die alsdann vorhandenen Schlafleute gelten als an jenem Tage aufgenommen,
die Anzeige derselben braucht jedoch erst bis zum 1. Mai 1893 zu erfolgen und darf,
sofern die Schlaf leute vor diesem Tage entlassen werden, gänzlich unterbleiben.
Die Strafbestimmung des § 5 findet auf den vorigen Absatz entsprechende An-
wendung.
Anzeige üb er^Auf n ahme von S chl af 1 eu t en.
D . . Unterzeichnete nimmt in seiner — ihrer — Wohnung Straße
No Gebäude . . . Treppen Schlafleute bis zur Zahl von . . . Personen
männlichen, . . . weiblichen Geschlechts auf.
Der eigene Familienstand de . Unterzeichneten besteht aus . . . Personen, darunter
. . . Knaben und . . . Mädchen unter 6 Jahren und . . . Knaben und . . . Mädchen
von 6 bis 14 Jahren, von den übrigen Personen . . . männlichen und . . . weiblichen
Geschlechts.
Folgende Bäume sollen zum Schlafen dienen:
1) lang, breit, hoch,
2) lang, breit hoch,
3) lang, breit, hoch.
Berlin, den
Unterschrift (Vor- und Zuname).
Stand oder Gewerbe :
Polizeiverordnung vom 31. Januar 1880.
„Ueber den Betrieb derjenigen Gastwirtschaften, in welchen
obdachlosen Personen gegen Entgelt für einzelne Nächte derart
Unterkommen gewährt wird, daß in einem gemeinschaftlichen
Schlafraum mehrere nicht zu einander gehörige Personen unter-
gebracht werden".
§ 1. In einer Nachtherberge dürfen Personen verschiedenen Geschlechts nicht
aufgenommen werden. Sind die Herbergsräumlichkeiten, einschließlich der Hausflur,
Treppen und Abtritte, durch feste und nicht mit Thüren versehenen Wänden derartig
von einander getrennt, daß auch nicht der Zugang von der Straße aus ein gemein-
schaltlicher ist, so gelten die so getrennten Abteilungen im Sinne dieser Bestimmungen
als verschiedene Nachtherbergen.
§ 2. In jedem Schlafraume dürfen nur so viel Personen untergebracht werden,
daß auf den Kopf der Schlafgäste mindestestens 3 qm Bodenraum und 10 cbm Luft-
raum kommen.
§ 3- Für jeden Schlafgast muß eine besondere Lagerstätte bereit sein. Dieselbe
muß mindestens aus einem Strohsack, einem Kopfkissen und einer wollenen Decke
bestehen. Die wollene Decke kann fortfallen, wenn der Schlafraum mit geeigneten
Heizvorrichtungen versehen ist. Es muß aber in diesem Falle dafür gesorgt werden,
daß die Temperatur am Abend um 10 Uhr mindestens 10 ° R beträgt. Bettstellen
dürfen nicht übereinander stehen und mehrere Personen dürfen nicht in einer Bett-
stelle zusammenliegen. Alle 4 Wochen sind die Inlets der Säcke und Kissen, sowie
die Decken zu waschen. Sind die Kissen mit Ueberzügen versehen, so sind diese alle
4 Wochen, die Inlets aber halbjährlich einmal zu waschen. Das Stroh der Säcke und
Kissen ist alle 4 Wochen zu erneuern.
§ 4. Die Nachtherbergen müssen mit dem erforderlichen Trinkwasser und Wasch-
wasser, sowie jeder Schlafraum mit dem erforderlichen Waschgerät versehen sein.
Asyle, Herbergen u. s. w. 155
§ 5. Die Fenster der Schlafräumo müssen alle Tage von 9—11 Uhr vormittags
und von 2 — 4 Uhr nachmittags offen gehalten werden.
§ 6. In den Schlafräumen dürfen keine Urinkühel aufgestellt werden.
§ 7. Sämtliche Räume der Nachtherbergo müssen reinlich gehalten werden und
zu diesem Behufe müssen a) die Fußböden täglich am Morgen ausgekehrt und jeden
Sonnabend gescheuert werden ; b) die Wände und Decken zweimal jährlich und zwar
innerhalb der ersten Hälfte des April und des Oktober frisch getüncht oder, wenn
sie mit Oelfarbe gestrichen sind, gründlich abgewaschen werden; c) die Abtrittssitze
jeden Sonnabend gescheuert werden.
§ 8. Wenn anscheinend mit ansteckenden oder sonst bedenklichen Krankheiten
behaftete Personen in der Nachtherberge aufgenommen werden, oder wenn in die
Nachtherberge aufgenommene Personen an den vorbezeichneten Krankheiten erkranken,
so hat der Inhaber der, Nachtherberge in jedem vorkommenden Falle hiervon un-
verzüglich bei dem Polizeibureau des Reviers, ,in dem die Herberge gelegen ist, An-
zeige zu machen.
§ 9. Inhaber von Nachtherbergen, welche gegen' eine der vorstehenden Vorschriften
verstoßen, werden mit Geldstrafe bis zu 30 Mark bestraft, an deren Stelle im Un-
vermögensfalle verhältnismäßige Haft tritt.
§ 10 handelt vom Inkrafttreten der Verordnung.
Ueber ähnliche Verfügungen siehe Wernich und Wehmer9.
Die Erfolg e der sanitätspolizeilichen Ueberwachung
der niederen Herbergen haben sich überall gezeigt.
Für England beweisen dies jene Berichte, welche dem Parlament
von Zeit zu Zeit, und zwar seit 1855, über die Ausführung der common
lodging houses act vorgelegt werden.
Diese Reports setzen sich aus den Meldungen der Gesundheits-
beamten zusammen, welche mit der Ueberwachung und zeitweisen ärzt-
lichen Visitation der common lodging houses beauftragt werden.
Bereits drei Jahre nach dem Inkrafttreten des Gesetzes konnte
Captain H ay melden, daß in allen common lodging houses von London,
welche jede Nacht (im Jahre 1855) ungefähr 30000 Menschen beher-
bergen, nur 10 Fälle von Fleckfieber zur Beobachtung kamen. D i e
Pocken waren überhaupt verschwunden4.
Im Jahre 1857 meldet Dr. Liddle aus Whitechapel, daß sich in
den common lodging houses seines Bezirkes, bekanntlich eines der ärmsten
der Welt, die Zahl der Krankheitsfälle sehr stark vermindert habe.
Zu Fieberkranken, d. h. zu Flecktyphen wurde der medical officer nur
noch äußerst selten gerufen. In St. Olaf (London) beobachtete 1857
Dr. Vinen seit 12 Monaten keinen Fieberfall mehr in den common
lodging houses. Aehnlich lauten die Meldungen der anderen Sanitäts-
beamten aus dem vereinigten Königreiche.
Aehnliches läßt sich für Berlin mitteilen. Flecktyphus und Rück-
fallfieber haben seit dem Jahre 1880, also seitdem die Polizei auf Grund
der Verordnungen vom 31. Januar und vom 17. Dezember 1880 ein-
zuschreiten in der Lage war, zunächst rapide abgenommen, sind dann
aber, wie die folgenden Zahlen ergeben, vollständig verschwunden.
(Siehe Tabelle S. 156.)
Allerdings muß darauf aufmerksam gemacht werden, daß Recurrens
und Exanthematicus in Berlin auch in manchen Jahren vor 1880, also
zu einer Zeit wenige Opfer forderten, als die polizeiliche Ueberwachung
der Pennen und Schlafstellen eine mildere gewesen ist11.
Ferner hat — gleichfalls ein Erfolg der polizeilichen Maßnahmen
— die Zahl der Pennen sich vermindert, oder ist jedenfalls nicht ent-
sprechend der Bevölkerungszunahme gewachsen. Die ständigen Gäste
156
M. KNAUFF und TH. WEYL,
Zahl
Zahl dei
Todes-
fälle
an
Zahl der Todesfälle
Jahr
Einwohner
der
Pennen
Exanthe-
maticus
Recurrens
an Pocken
1869
762450
—
—
230
1870
760 OOO
7
—
170
1871
825 937
9
—
5216
1872
864 300
1
22
H96
1873
900 620
60
29
IOI
1874
932 760
9
—
21 (ErlaFs d. Impfgesetz.)
1875
966858
•3
—
51
1876
995 470
4i
—
18
1877
1 010946
—
—
4
1878
1 039 447
15
24
—
8
1879
1 069 782
?
114
—
8
1880
1 122330
17 Anfang \ -i
8 Ende j "o
21
17
9
1881
1 138784
14
12
32
54
1882
1 175278
8
1
I
5
1883
1 212 327
8
1
—
4
1884
1 250895
2
2
2
20
1885
1 291 359
8
—
—
5
1886
1337 17'
?
—
—
3
1887
1 386 562
?
—
—
3
1888
1 439618
10
—
—
1
1889
M95 151
6
—
—
2
1890
1 548 279
5
—
—
5
1891
5
derselben ziehen es eben vor, die bequemeren Asyle aufzusuchen, in
welchen sie kostenlos Unterkommen und eine, wenn auch schmale Ver-
pflegung finden. Sie kommen hierdurch den Interessen der Polizei
entgegen, da sich die centralisierten Asyle leichter überwachen lassen
als eine große Zahl über die ganze Stadt verbreiteter Pennen.
1) Goltdammer a. a. O. (siehe No. 9 S. 149); Pistor a a. O. {siehe No. 11 S. 149); Becker
a. a. O. (siehe No. 11 S. 149).
2) Baumeister, D. Viertel/, f. ößentl. Gesdpfl. (1880) 12. Bd. 93.
3) The metropolitan' s year-book for 1892, 112
4) z. B. George Glover a. a. O. (siehe No. 4 S. 149).
5) Booth, Labour and life of the people (1891) 2. Bd 335.
6) Wernich, 6. Gesamtbericht vier das Sanitäts- und Medizinalwesen in der Stadt Berlin
während der Jahre 1889, 1890, 1891, 114 (1893).
7) Booth a. a O. (siehe oben No. 5) 387.
8) Booth a. a. O. (siehe oben No. 5) 386 f. u. 360.
9) Wernich und Wehmer, Lehrbuch des öffentlichen Gesundheitswesens (1894) 424 u. 454.
]()) Report to the General Board of Health (1857) 4 f. (41. Bd. der ganzen Beihe der dem
Parlamente 1857 vorgelegten Reports).
11) Th. Weyl, Die Einwirkung hygienischer Werke auf die Gesundheit der Städte (1893) 49.
Asyle, Herbergen u. s. w. 157
III. Bauliche Einrichtung und Verwaltung von
Asylen und niederen Herbergen l.
(Verfasser: M. Knauffund Th. Weyl.)
A. Asyle.
Die Asyle zerfallen in solche , welche für obdachlose Familien be-
stimmt sind, und in solche, welche einzelstehenden Personen nur nachts
ein Obdach gewähren sollen.
1. Asyle für obdachlose Familien.
Die Asyle für obdachlose Familien sind einfache, aber
nach streng hygienischen Prinzipien erbaute Wohnhäuser mit getrennten
Schlafräumen für die Geschlechter, mit teils gemeinsamen, teils ge-
trennten Tagräumen. Hierzu kommen die üblichen Wirtschaftsräume.
Größere derartige Anlagen, z. B. das städtische Obdach in Berlin, ent-
halten auch Unterrichtsräume für die Kinder der obdachlosen Familien.
Im übrigen bieten diese Anstalten in baulicher Beziehung zu weiteren
Bemerkungen keine Veranlassung.
Dagegen dürfte es weiteren Kreisen erwünscht sein, die Haus-
ordnung und das Speise-Regulativ kennen zu lernen, welches
sich seit einer Reihe von Jahren im städtischen Asyl für ob-
dachlose Familien zu Berlin2 bewährt hat.
Hausordnung für das städtische Obdach für obdachlose Familien.
(Auszug.)
§ 1. Der Zweck des Familien-Obdachs ist: denjenigen Familien und Einzel-
personen, welche durch Exmission oder aus anderen Gründen wohnungslos geworden
und unvermögend sind, sich sofort anderweitig Wohnung und Mittel zum Unterhalt
zu verschaffen, auf einige Zeit Obdach und Verpflegung zu bieten und ihnen erforder-
lichenfalls durch Gewährung einer Beihilfe zur ersten Mietszahlung beim Verlassen
der Anstalt die Mittel an die Hand zu geben, wieder zu geordneten Verhältnissen
zurückzukehren.
§ 2. Die Aufnahme in das Familien-Obdach erfolgt auf Grund eines von der
Armen-Direktion, Plenum, beziehungsweise von der Armen - Kommission oder dem
Polizei-Büreau desjenigen Stadtbezirks , in welchem der Aufzunehmende zuletzt ge-
wohnt hat, oder endlich von dem Königlichen Polizei-Präsidium, Abteilung IV, ausge-
stellten Ueberweisungsscheines ....
§ 3. Wenn Personen, welche der Inspektion als notorische Arbeitsscheue,
Trunkenbolde etc. bekannt sind, Aufnahme im Familien-Obdach nachsuchen, sind die-
selben zwar aufzunehmen, doch ist der Abteilung für die Verwaltung des Arbeits-
hauses und des städtischen Obdachs hiervon sofort Bericht zu erstatten, damit die-
selbe über den ferneren Verbleib dieser Personen im Familien-Obdach Entscheiduug
treffen kann.
§ 4. Personen, welche das Familien - Obdach gewerbs- oder gewohnheitsmäßig
lediglich zu dem Zwecke der Erlangung einer Unterstützung aufsuchen , sind zwar
ebenfalls zunächst aufzunehmen, doch ist nach Feststellung ihres guten Gesundheits-
zustandes durch den Anstaltsarzt sofort an die Abteilung Anzeige zu machen, welche
über das nach Lage des Falles Erforderliche event. über die alsbaldige Ausweisung
ohne Unterstützung Entscheidung treffen wird.
§ 5. Die dem Familien-Obdach zur Aufnahme überwiesenen Personen sind zu-
nächst in das Rezeptionsbuch und in das zu demselben gehörige alphabetische Re-
gister einzutragen ; darauf ist mit ihnen unter gleichzeitiger Bekanntmachung der
Hausordnung eine Verhandlung über ihre persönlichen und sonstigen Verhältnisse auf-
zunehmen, und zwar:
a) mit den zum ersten Mal das Obdach Aufsuchenden nach Formular 470,
b) mit allen übrigen nach Formular 52.
Handbuch der Hygiene. Bd. VI. 11
13
158 M. KNAUFF und TH. WEYL,
Demnächst ist darauf zu halten, daß unter Aufsicht eines Aufsehers hezw. einer
Aufseherin das Baden der eingelieferten Personen zum Zwecke der körperlichen
Reinigung erfolgt und daß in der Zwischenzeit die Kleidungsstücke derselben einer
gründlichen Desinfektion unterworfen werden.
§ 6 betrifft Vollziehung der Protokolle und sonstiger Schriftstücke durch Ob-
dachlose.
§ 7. Sachen, welche im Familien- Obdach untergebrachten Personen gehören,
werden in dazu bestimmten Räumen der Anstalt aufbewahrt .... und sofort desinfiziert.
§ 9. Die Männer und die über 6 Jahre alten Knaben werden der Station für
männliche Insassen, alle anderen Kinder und die Frauen der Frauenstation über-
wiesen. Während der Tageszeit, und zwar im Sommer — d. h. in der Zeit vom
1. April bis 1. Oktober — von morgens 5 bis abends 8 Uhr und im Winter von
morgens 6 bis abends 7 Uhr, halten sich die Familien nach Erledigung der Hausarbeit
(§ 12) in den ihnen bezeichneten gemeinschaftlichen Versammlungssälen und die
ledigen Personen auf den ihnen angewiesenen Stationen auf.
Während der Nachtzeit haben sich sämtliche Insassen in dem ihnen zugewiesenen
Schlafsale aufzuhalten.
Der betreffende Revieraufseher bezw. die Aufseherin hat durch Namensaufruf das
Vorhandensein bezw. Fehlen der zu dem betreffenden Schlalsale Gehörenden fest-
zustellen.
Der Namensaufruf hat im Sommer abends um 9 Uhr, im Winter abends um
8 Uhr und zwar in rücksichtsvoller Weise zu erfolgen.
§ 10. Sämtliche im Laufe eines Tages Aufgenommenen sind am nächsten Morgen
dem Anstaltsarzt, welchem ein Heilgehilfe zur Seite steht, zur Feststellung ihres Ge-
sundheitszustandes vorzuführen, und hat ersterer auf dem ihm vorgelegten Ueberweisungs-
scheine sein ärztliches Gutachten schriftlich abzugeben ....
§ 11. Die Verpflegung der Insassen des Familien -Obdachs besteht in warmer
Morgen- und Abendsuppe, in Mittagessen aus Gemüse, Hülsenfrüchten etc , mit Fleisch
bezw. Talg bereitet, und aus einer Portion Brot für den ganzen Tag, alles dies nach
näherer Angabe des bestehenden Speise-Regulativs (s. u.).
Auf schriftliche ärztliche Verordnung ist kranken und schwächlichen Personen die
in diesem Regulativ vorgesehene Krankenkost zu verabreichen.
§ 12. Die erwachsenen männlichen und weiblichen Insassen des Familien-Ob-
dachs sind nach Maßgabe der Hausordnung zur Verrichtung der Hausarbeit, z. B. auch
zum Reinhalten der Schlaf- und Aufenthaltssäle, der Treppen und Flure, zum Waschen
und Ausbessern der Anstaltswäsche, zum Kartoffelputzen etc. unter Leitung des Auf-
sichtspersonals der Anstalt verpflichtet.
Die den Obdachlosen nach Erledigung der Hausarbeit, welche in der Regel nur
die Vormittagsstunden in Anspruch nehmen darf, reichlich verbleibende freie Zeit haben
sie in erster Linie zur Beschaffung von Wohnung und Mitteln zum Unterhalt zu ver-
wenden.
Die Errichtung von Arbeitsstätten in der Anstalt bleibt der Genehmigung des
Magistrats vorbehalten.
§ 13. Die im schulpflichtigen Alter, d. h. in dem Alter von 6—16 Jahren,
stehenden Kinder der obdachlosen Familien erhalten während der in den hiesigen
Gemeindeschulen üblichen Schulzeit in einem besonderen Saale Unterricht durch einen
städtischen Lehrer. Nach Schluß der Schulstunden und nach Einnahme der regel-
mäßigen Mahlzeiten vereinigen sich die Schulkinder in dem ihnen zugewiesenen Spiel-
saale, oder bei schönem Wetter auf dem neben dem Obdach gelegenen Spielplatz, um
sich in zwangloser Weise unter Aufsicht des Lehrers oder eines Aufsichtsbeamten mit
Jugendspielen zu vergnügen, bis das Zeichen mit der Anstaltsglocke sie in ihre Schlaf-
räume ruft.
§ 14. Der Aufenthalt im Familien-Obdach soll in der Regel fünf Tage nicht über-
schreiten Am Tage nach ihrer Aufnahme wird daher den Insassen durch einen der
im Obdach stationierten Polizeibeamten, welchem sie zuzuführen sind, schriftlich zu
Protokoll eröffnet, dafs sie sich binnen fünf Tagen ein anderweitiges Unterkommen,
d. h. Wohnung und Mittel zum Unterhalt zu beschaffen hätten, widrigenfalls und
wenn sie nicht nachweisen könnten . dafs sie solches aller angewandten Bemühungen
ungeachtet nicht vermocht hätten, sie wegen Arbeitsscheu würden bestraft werden
(§§ 361 No. 8 und 362 des Strafgesetzbuches).
Unter 14 Jahre alte Kinder der zur Bestrafung Vorgeführten sind durch die In-
spektion mittelst besonderen Schreibens dem städtischen Waisenhause zu überweisen.
§ 15. Denjenigen Insassen des Familien-Obdachs, welche sich eine Wohnung oder
Schlafstelle beschafft haben . kann bei ihrem Ausscheiden aus der Anstalt von dem
Inspektor eine Beihilfe zur Zahlung der ersten Mietsrate bewilligt werden, sobald
14
Asyle, Herbergen u. s. w.
159
die geschehene Mietung der Wohnung oder Schlafstelle in glaubwürdiger Weise nach-
gewiesen ist.
Nachdem die Richtigkeit der gemachten Angaben erforderlichen Falles durch
persönliche Recherche eines Obdachsbeamten festgestellt worden ist , werden die Be-
treffenden durch den Inspektor in eine besondere Liste (Zahlungsliste) eingetragen. Die
von dem Inspektor unter Würdigung der Verhältnisse zu gewährende Unterstützung
darf im Höchstbetrage nicht mehr als 15 M. betragen, darüber hinaus gehende Unter-
stützungen bedürfen der Genehmigung der Armen-Direktion, Abteilung etc.
§ 16. Sind solchen Personen, welche dem Familien-Obdach überwiesen werden,
bei der Exmission seitens des Hauswirts wegen Nichtzahlung von Miete oder von an-
derer Seite, z. B. durch Eisenbahnverwaltungen wegen rückständiger Fracht- und
Lagerkosten etc., Mobilien einbehalten worden, so können letztere durch die Abteilung
eingelöst werden, wenn sie, was als Regel gilt, einen höheren Wert darstellen, als die
zn ihrer Einlösung erforderliche Summe beträgt.
§ 17. Falls aus irgend welchen Gründen die Einlösung der einbehaltenen Sachen
sich nicht ermöglichen liefs, so können den betreffenden Bittstellern, sowie sonstigen
bedürftigen Insassen des städtischen Obdaches aus den Beständen des Friedrich-Wil-
helms-Hospitals Möbel, Betten und Kleidungsstücke leihweise verabfolgt werden, zu
welchem Behufe die erforderlichen Anträge an die Armen - Direktion (Plenum) .zu
richten sind.
Speiseregulativ für das städtische Obdach zu Berlin.
I. Für Gesunde.
An
Tagen
Art der Speisung
Sätze für den Kopf
Bemerkungen
,S6S
Schwarzbrot
365
do.
nach
Mittelbrot
Bedarf
365
do.
365
do.
36.S
Milch
360
Bier
36S
Butter
Fleisch
do.
365
365
49
52
52
26
26
A. Für den ganzen Tag,
600 g für Männer
500 g für Frauen
450 g für Frauen mit Säug-
lingen
400 g für Schulkinder
200 g oder 160 g Semmel
1 1
1 1 Braunhalbbier
15 g für Schulkinder
4X wchtl. zu 120 g Rindfl
4X » » 7og „
Heringe
Mehlsuppe
Kaffee
3X » einen halb. Hering
für säugende Kinder,
für säugende Mütter.
für Schulkinder,
für Gesunde im Familien-
Obdach u. Häuslinge.
für Schulkinder.
B. Zum Frühstück.
(Salz und Gewürz wird nach Bedarf verwendet.)
[SS g Roggenmehl 5 g Butter I
liog u. 1 Schrippe zu 70 g!
für nächtl. Obdachlose,
für das Familienobdach
u. die Häuslinge.
C. Zum Mittagessen.
(Salz und Gewürz wird nach Bedarf verwendet)
Erbsen (an den 3 ersten
Feiertagen)
Erbsen mit Kartoffeln
Linsen mit Kartoffeln
Bohnen, weifse mit
Kartoffeln
Reifs mit Kartoffeln
Rumford mit Kartoffeln
320 g Erbsen, 20 bezw. 5 g
Rindertalg, 6 g Mehl
160 g Erbsen
650 g Kartoffeln
160 g Linsen
650 g Kartoffeln
160 g Bohnen
650 g Kartoffeln
50 g Reis 650 g Kartoff.
80 g Erbsen 40 g Graup.
650 g Kartoffeln
(Essig nach Bedarf)
15
Hier wie bei den übrigen
Speisungen werden 20 g Rin-
dertalg an den Tagen ver-
wendet, an welchen es kein
Fleisch giebt; 5 g an den
Tagen mit Fleisch.
Die Verwendung von Mehl
als Zuthat ist, wenn nichts
anderes vorgeschrieben wird,
überall die hier bestimmte.
11'
160
M. KNAUFF und TH. WEYL,
An
Tagen
Art der Speisung
Sätze für den Kopf
Bemerkungen.
12
35
12
3
4
6
3
3
40
38
364
Kohlrüben mit Kartoffeln
Graupen mit Kartoffeln
Weifskohl mit Kartoffeln
Bohnen, gr. mit Kartoffeln
Kohlrabi mit Kartoffeln
Mohrrüben mit Kartoffeln
Wirsingkohl mit Kartoffeln
Sauerkohl mit Kartoffeln
Buchweizengrütze
Kartoffeln
1000 g
650 g
80 g
650 g
700 g
650 g
5°og
650 g
1000 g
650 g
5°°g
650 g
700 g
650 g
5o° g
650 g
175 g
1500 g
Kohlrüben
Kartoffeln
Graupen
Kartoffeln
Weifskohl
Kartoffeln
gr. Bohnen
Kartoffeln
Kohlrabi
Kartoffeln
Mohrrüben
Kartoffeln
Wirsingkohl
Kartoffeln
Sauerkohl
Kartoffeln
365
156
157
52
365
Fe s tspeisun;
Reissuppe
Erbsen
Mehlsuppe
Buchweizengrütze
Hafergrütze
Kartoffeln
Suppengrünes
am Geburtstage Sr. Majestät dos Kaisers
und Königs.
b. Zum Abendessen.
I 100 g Reis
I 150 g Rindfleisch
a. Zum Mittagessen.
450 g Erbsen
5 g Rindertalg
150 g Schweinefleisch
710 1 Bollen, 1 1 Weifsbier
C. Zum Abendessen.
60 g Roggenmehl
5 g Butter
75 g (Butter wie zuvor)
60 g (Butter wie zuvor)
600 g >/a Hering
auf 100 Köpfe für 15 Pf.
für nächtl. Obdachlose
für das Pamilienobdach
und die Häuslinge.
Extraordinär können noch erhalten:
1) die in der Waschküche mit dem Reinigen der Wäsche beschäftigten obdach-
losen Frauen für den Kopf und Tag 15 g Butter und 10 g Kaffee, sowie 200 g
Schwarzbrot ;
2) Arbeiter bei den Maschinen und bei au fserge wohnlich schweren Leistungen im
Interesse der Anstalt täglich für den Kopf 200 g Schwarzbrot ;
3) die 2. Diätform der Krankenkost ist für Kinder unter 6 Jahren, Säuglinge aus-
geschlossen, bestimmt.
Das Frühstück und Abendessen besteht für die Nächtlich-Obdachlosen aus
%0 1 Mehlsuppe und 200 g Schwarzbrot. Für das Familienobdach und die
Häuslinge besteht das Frühstück aus 1/2 1 Kaffee = 10 g und 1 Schrippe zu
70 g, das Mittagessen aus 1,2 1 und das Abendessen aus 9/10 1 für den Kopf.
16
Asyle, Herbergen u. s. w.
161
II. Für Kranke.
An
Tagen
in der
Woche
Art der Speisung
Sätze für den Kopf
Bemerkungen
Kaffee
Schrippe
Diätform oder ganze Form.
Zum Frühstück.
70 g
Fleisch wöchentlich
Reis
Feine Gerstengraupe
Weizengries
Kartoffeln
Buchweizengrütze
Roggenmehlsuppe
Hafergrütze
Kartoffeln
Zum Mittagessen-
(Salz und Gewürz nach Bedarf.)
4X zu I20g Rindfleisch
3 X zu 24° S Kalbfleisch
60 g
do.
do.
1000 g
Zum Abendessen.
75 g 5 g. Butter
60 g (Butter wie zuvor)
60 g (Butter wie zuvor)
600 g, V2 Hering
Für den ganzen Tag 450 g Mittelbrot oder 3 Semmeln zu je 120 g
II. Diätform oder halbe Portion.
Zum Frühstück (wie bei I. Form).
Zum Mittagessen.
Fleisch | wöchentlich 4 X Rind- j
I fleisch zu 120 g und an
I den anderen Tagen 5 g
Rindertalg
Das Uebrige wie bei 1. Form.
Zum Abendessen (wie bei I. Form).
Für den ganzen Tag 200 g Mittelbrot oder 2 Semmeln zu je 120 g.
III. Diätform oder Viertelportion.
Zum Frühstück (wie bei I. Form).
Zum Mittagessen.
Reis
feine Gerstengraupe
Weizengries
Kartoffeln
60 g, 5 g Rindertalg
do.
do.
1000 g, 5 g Rindertalg
Zum Mittagessen (wie bei I. Form).
Für den ganzen Tag 120 g Semmel.
Suppengrünes für alle Diätformen auf 100 Köpfe für 15 Pfennige.
Auf ärztliche Verordnung kann aufserdem verabfolgt werden:
Milch in Portionen zu 1/a 1,
Bier
II,
Wein
- Vs 1,
Backobst
(Pflaumen)
j 1 20 g,
Heringe
7>
)> 9
• Vi Stück,
Sodawasser
, 1l2 Flasche,
Semmel
, 120 g
Kaffee
- l°g
Bouillon
, 150 g Rindfleisch,
Eier
, 1 Stück,
Zucker
1) !
. 5og,
Butter
>)
„
. 5og.
Hafergrütze zu Umschlägen nach Bedarf.
i/
162 M. KNAUFF und TH. WEYL,
Mit Genehmigung des Arztes kann auch den Personen, die Krankenkost erhalten,
an Stelle dieser die am Geburtstage Sr. Majestät des Kaisers und Königs für die Ge-
sunden übliche Festspeisung verabreicht werden.
Die Extradiät wird daneben nur so weit gewährt, als der Arzt es für notwendig
erachtet.
Das nach Bereitung von Bouillon verbleibende Fleisch kommt den Kranken I.
und II. Diätform zu gute.
Die Morgensuppe besteht aus 9/io 1> das Mittagessen aus 1,2 1 und das Abendessen
aus 9/io 1 für die Portion.
Glaubt der Inspektor, mit Rücksicht auf die Jahreszeit, das finanzielle oder Ver-
waltungsinteresse oder wegen vorherrschender Krankheiten u. s. w. über die in den
vorstehenden beiden Regulativen in der Verabreichung der Speisearten gestattete Ab-
wechselung hieraus Aenderungen vornehmen zu müssen, so hat er nach Benehmen mit
dem Anstaltsarzt die Genehmigung des Vorsitzenden der Armen-Direktion , Abteilung
für die Verwaltung des städtischen Obdachs, auf kürzestem Wege einzuholen.
2. Asyle f,ür nächtlich Obdachlose.
Ganz andere Ansprüche werden, wie dies bereits S. 145 aus-
einandergesetzt ist, an nächtliche Asyle erhoben. Wie denselben Ge-
ntige geschehen ist, soll durch die folgenden Beschreibungen einiger
Asylbauten gezeigt werden.
1. Das städtische Asyl für nächtlich Obdachlose zu Berlin.
Das städtische Asyl für nächtlich Obdachlose besteht
nach seiner Erweiterung, also seit 1894, aus 49 Schlafsälen für je 50
Betten , sodaß dasselbe gleichzeitig für 2450 Personen Unterkunft ge-
währt. Die Schlafsäle sind in der aus Fig. 1 ersichtlichen Weise rechts
und links von einem 3 m weiten Mittelgange angeordnet. Je 2 Reihen
derselben enthalten zwischen sich den Hof und die an demselben befind-
lichen Aborte. Zu beiden Seiten des Hofes befindet sich ein Korridor,
auf welchen die Schlafsäle sich öffnen. Den Schlafsälen vorgelagert sind
die Aufnahmezimmer, Bureauräume, Polizeiwache und die Bäder. Von
letzteren besitzt die Anstalt 30 Brausebäder und 14 Wannenbäder. Wäh-
rend Fig. 1 den Grundplan der ganzen Anlage darstellt, giebt Fig. 2
die links vom Mittelgange befindlichen Räume in größerem Maßstabe
wieder. Hier befinden sich auch die Unterkunftsräume für 20 Häuslinge
(Insassen des Arbeitshauses), welche die Reinigung des Obdachs zu be-
sorgen haben. Die in Fig. 1 und 2 schraffierten Teile sind
die im Jahre 1894 in Benutzung genommenen Erweiterungsbauten.
Die langen, 2, 5 bis 3 m breiten Korridore, welche durch zahlreiche
Thüren nach außen führen , gewährleisten eine schnelle Entleerung des
Obdachs , wie dies bei Feuersbrünsten geboten erscheint. Auch können
ohne jede Betriebsstörung einzelne Säle sowie ganze Saalreihen der Be-
nutzung zeitweilig entzogen werden, wie dies mit Rücksicht auf die von
der Jahreszeit abhängige Frequenz nötig erscheint. Von großer Wichtig-
keit ist diese Anordnung ferner für den Fall , daß in einem Teile der
Säle eine Infektionskrankheit (Flecktyphus und Recurrens) ausbrechen
oder wenn einzelne Säle als Choleralazarett dienen sollten. Dann wird
durch Schließung einiger Thüren und Korridore die Möglichkeit geboten,
das Asyl gleichzeitig mehreren Zwecken nutzbar zu machen, ohne daß
eine Uebertragung der Krankheiten auf die anderen Teile des Obdachs
zu befürchten wäre. — Hinter dem Asyle befindet sich eine (nicht ge-
zeichnete) Desinfektionsanstalt, in welcher die Effekten der Ob-
dachlosen mit strömendem Wasserdampfe desinfiziert werden, während die
Besitzer derselben baden.
18
164
M. KNAUFF und TH. WEYL,
iä
Schlafsaal
Schlafsaal
Schlafsaal,
Schlafsaal
Schlafsaal
Schlafsaal
Schlafsaal
Schlafsaal
23,2+—
Schlafsaal
Schlafaal
Ga/ig
l I l I I I I I I I I I I ! 1 ]
Brausebäder
i i i i i i i i i i i i i i
i.iii ..iL, ...uiirt i_Li .. üj ..\\s4\-w-~
r%
X e,3
,1 r f 7 t f f f f r r
Fig. 2. Städtisches Obdach für nächtliche Obdachlose zu Berlin. Grundrifs. Ein Teil
von Fig. 1 stärker vergröfsert.
Fig. 3 zeigt einen senkrechten Schnitt durch zwei Schlafsäle und
die demselben vorgelagerten Brausebäder; Fig. 4 einen senkrechten
Schnitt durch das mit Oberlicht und Firstventilation versehene Brause-
bad. — Jedem Schläfer steht eine hölzerne Pritsche und eine wollene,
täglich durch strömenden Wasserdampf desinfizierte Decke zur Verfügung.
In jedem Schlafsaale befinden sich 6 Waschbecken. Auf jeden Schläfer
Asyle, Herbergen u. s. w.
165
fällt eine Grundfläche von fast 3 m2 und ein Luftraum von mehr als
13 m3.
Die Anstalt ist mit einer Dampfheizung versehen. Den Dampf
produzieren die Kessel der Desinfektionsanstalt. Auf Fig. 3 sind die
Heizkörper sichtbar. Neben denselben münden die Zuluftkanäle, deren
Querschnitte auf Fig. 3 und 4 gezeichnet sind. Die Abluft entweicht
Fig. 3. Städtisches Obdach für nächtliche Obdachlose zu Berlin. Längsschnitt durch
zwei Schlafsäle und durch das Brausebad.
Fig. 4. Städtisches Obdach für nächtliche Obdachlose zu Berlin. Längsschnitt durch
das Brausebad.
21
166
M. KNAUFF und TH. WEYL,
durch die stellbaren Fensterklappen der Sheddächer und durch die in
Fig. 3 angedeuteten Schornsteine. Die Anstalt ist an die städtische
"Wasserleitung und an die städtische Kanalisation angeschlossen. — Die
Pläne des erweiterten städtischen Obdachs verdanken wir der Gefällig-
keit der Herren Stadtrat Mamroth und Stadtbauinspektor Dylewsky.
Das Asyl für nächtliche Obdachlose ist von dem auf dem gleichen
Grundstück befindlichen Asyl für obdachlose Familien (S. 157) in ent-
sprechender Weise abgeschlossen.
Im städtischen Asyl (Obdach) für nächtliche Obdachlose 3 fanden
1892/93 Aufnahme 335 436 Personen, nämlich 320 764 Männer und 14 672
Frauen und Mädchen. Von diesen starben plötzlich 4, krank befunden
und behandelt wurden 2882 (== 0,86 Proz.). Die höchste Tagesfrequenz
war am 29. März 1893: 2524 Personen, die niedrigste am 28. Sept. 1892:
226 Personen. Alle Asylisten erhielten morgens und abends je 0,9 1
Suppe und 200 g Brot. Die Verpflegungskosten betrugen M. 31 038
oder M. 0,0925 pro Kopf und Tag bei 335 436 Verpflegungskosten. In
der mit dem Obdache verbundenen Desinfektionsanstalt wurden
520 668 Gegenstände (meist den Asylisten gehörig) desinfiziert. Ge-
badet und desinfiziert wurden 201 985 Personen im Etatsjahre 1893/94 4.
Neben dem Berliner städtischen Asyl wirkt seit 1869 eine Privat-
gesellschaft, der Berliner Asyl-Verein für Obdachlose5, mit
segensreichstem Erfolge.
Dieser besitzt ein Haus zur Aufnahme von 120 Frauen und ein
zweites für 324 Männer. Der Verein beherbergte in den 24 Jahren
186892 2 052 000 Männer (im ersten Jahre 12 000, im letzten Jahre
109 000) ; 213000 Frauen (4000—11 000) ; 161 000 Mädchen (7000—7000) ;
34 000 Kinder (2400—900) und 5000 Säuglinge (400—80), im ganzen
2 465 000 Menschen. Die Badeanlagen (Wannen) des Vereins wurden in
1871 — 92 von 432 000 Menschen benutzt. Im übrigen machte dieser
Verein seine Thätigkeit während jener 23 Jahre mit einer Einnahme von
Mk. 1 266 000 möglich, wovon trotz Kaufs zweier Grundstücke und Baues
der beiden Asyle noch M. 532 000 Vermögensstand bildeten. In den
beiden Asylen des Vereins ist — im Gegensatze zu dem städtischen Ob-
dach — eine polizeiliche Kontrolle der Auf-
nahme Nachsuchenden so gut wie ausgeschlossen.
Als Beispiel einer mehr geschlossenen
Bauweise diene der Grundriß des
1. Stockwerks des städtischen Asyls
zu^Elberfeld (Fig. 5).
Im Erdgeschoß des Asylgebäudes be-
findet sich eine Wachtstube, 1 Schlafsaal für
Männer, 2 Haftzellen, 2 Wasch- und Bade-
räume und die Wohnung des Aufsehers. In
den beiden Obergeschossen Schlafräume für
Männer, Frauen und Kinder sowie 2 Lager-
_. ..„„„.. , räume für Strohsäcke (!!). Abortanlagen sind
Fig 5 Städtisches Asyl
zu Elbe'rfeid. Grundrifs des f- uf den Treppenpodesten angebracht. Das Asyl
1. Stocks. ist zur Aufnahme von 200 Menschen eingerichtet.
Asyle, Herbergen u. s. w.
167
Von den in Paris" vorhandenen Asylen seien die folgenden er-
wähnt und abgebildet:
1) Das Asile (Refuge) rue deChateau des rentiers. Es
enthält 200 Betten. Die Anlage wird durch den Grundriß (Figur 6)
verständlich.
Seit seiner Eröffnung, im Mai 1889, nächtigten dort bis zum 31. Juli
1890: 95 573 Personen. Während dieser Zeit wurden nur 316 Desinfek-
tionen mit Hilfe eines Apparates, System Greneste-Herscher, an den Klei-
dern der Obdachlosen ausgeführt (!).
Fig. 6. Obdach in der rue du Chateau des rentiers in Paris. Grundrifs.
1 Hof, 2—6 Wohnung des Aufsehers, 2 Stube, 3 Treppe, 4 Klosett, 5 Küche,
6 Speisezimmer, 7 — 9 Aufseher, 10 Schlafsaal für je 80 Personen, 11 und 12 Abtritte,
13 Wartesal , 14 Vorratsraum für Badeutensilien, 15 und 16 Wasch- und Baderäume,
17 Eingang, 18 Wäschekammer, 19 Centralheizung, 20 und 21 Bureaus, 22 Pissoirs,
23 Nebenausgang.
2) Das Refuge-Ouvroir in der rue Fessart ist nur für
arbeitslose Frauen bestimmt. Fig. 7 stellt das Erdgeschoß, Fig. 8 das
1. Stockwerk des genannten Obdachs dar.
Es enthält 200 Betten und wurde erst im Juli 1890 eröffnet. Die
Anlage kostete 310 960 Frcs., davon der Bauplatz 48000, der Bau 270000,
die innere Einrichtung 36000 Frcs.
Der seit 1870 in Wien7 bestehende Asylverein für Obdachlose
enthält ein Männer- und ein Erauen-Asyl. In denselben wurden 1893
beherbigt: 89 416 Personen. Außerdem brachte der Verein in dem gleichen
Jahre noch 6625 in Pokorny's Arbeiterhotel unter, sodaß sich die Zahl
der auf Vereinskosten beherbergten Personen für das Jahr 1893 auf
96041 erhöht. Seit dem Bestehen des Vereins (1870) wurden beherbergt:
23
168
M. KNAUFF und TH. WEYL,
Erdgeschoss
Fig. 7. Refuge-Ouvroir in der Rue Fessart in Paris. Grundrifs des Erdgeschosses.
A Hof, B Garten, C Pförtner, E Korridore und Vorzimmer , F Bureau , G Aus-
kleideraum, B. Abtritt, E Treppe, / Ankleideraum, J Brausebäder, L Werkstätten, M Ver-
waltung und Kontrolle, N Waschhaus, P Desinfektionsanstalt, Q Aufbewahrung desinfizierter
Kleider, S Kohlenkeller, T Schuppen, U Speisezimmer, V Saal für Frauen mit Kindern,
W Direktor, X Reserve, 1 Bad, 2—4 Küche, 5 Küchenchef.
Erstes Stockwerk
Rue Fressart
Fig. 5. Refuge-Ouvroir in der Rue Fessart in Paris. Grundrifs des 1. Stocks.
A Wohnung, B Reserveraum, 0 Wäschekammer, D Inspektor, E Korridor, F In-
spektor, Q Vorräte, H Abtritte, / Schlafsaal für 200 Frauen, K Treppe, L Aufseherin,
M Waschbecken, N Schlafsaal für Frauen mit Kindern.
2 166 523 Personen und mit 4052496 Portionen Suppe und Brot beköstigt.
Ausgaben pro 1893: 13 278 PL Die in Suppe und Brot bestehende
Abend- und Morgenration kostet zusammen pro Kopf Kr. 4,16 gegen
Kr. 4,15 im Jahre 1872. Insgesamt wurden 1893 aufgewendet pro
Kopf Kr. 14,85 gegen Kr. 13,89 im Jahre 1892. Mit dem Obdach ist
eine Stellenvermittelung verbunden, welche 1893 zu gute kam: 3043 Per-
sonen. Der Verein besitzt rund 97 000 PL Vermögen.
Moskau8 hat zwei nächtliche Asyle.
24
Asyle, Herbergen u. s. w.
169
Das erste wurde 187G von den Gebrüdern Lapin gegründet.
Es ist ein Massivbau mit vier Stockwerken und besitzt 784 eiserne
Betten, von welchen 120 für Frauen reserviert sind. Bau und Einrich-
tung kosteten zusammen 250000 Frcs. Jährliche Ausgabe: 12 500 Frcs.
Das Asyl beherbergt jede Nacht im Durchschnitt 1000 Menschen, von
denen immer 200 auf dem Boden kampieren müssen. Die täglichen Aus-
gaben betragen 20 Frcs. für Brot und 10 Frcs. für Getränke (meist
Thee). — Das zweite Asyl wurde von Below 1884 gestiftet. Es ist
in einem massiven Hause , welches drei Etagen besitzt , untergebracht.
Es sind nur 345 Betten vorhanden. Der Eintritt kostet 12 Cen-
times. Doch steht der Verwaltung immer eine große Anzahl von Frei-
karten zur Verfügung.
Im Durchschnitt nächtigen in dem Asyl 420 Personen täglich; im
Jahre 1884 : 10332 Personen, 1885 : 97 069, 1886 : 110 729.
Während die Leistungen der meisten festländischen Asyle un-
entgeltliche sind, wird in einigen englischen Asylen vom Asylbesucher
eine Gegenleistung verlangt. Diese besteht z. B. im St. Gare's Union Asyl
zu London (Lower Deptford Road) im Zerkleinern einer bestimmten
Steinmenge. Zu dem Zwecke sind, wie dies aus Fig. 9 hervorgeht,
Fig. 9. St. Clare's Union Asyl In London. Grundrifs.
vor den Isolierzellen (1,3 X 2,4 m) , die seitlich eines langen Ganges
liegen nach der Fensterwand hin Arbeitsräume (1,3 X 1,6 m) an-
geordnet. Die zerklopften Steine müssen durch ein vergittertes
Fenster dieser Vorzelle auf den Hof geworfen werden: erst dann
wird des Besuchers Isolierzelle am Morgen geöffnet.
1) Behnke, Handbuch der Architektur, 4. Teil 5. Bd. 148, dort weitere Litter atur ; Ber-
lin u. seine B auten , Berlin (1877), 1. Teil 218; Hamburg u. s eine Bauten,
Hamburg (1890), 203 (kurze Notiz); Milano tecnica dal 1859 al 1884, Müano
(1885), 378 (betrifft das dortige Asyl).
2) Verwaltung sb erichte des Berliner Magistrats seit 1887; Entwurf zu einer Ge-
schäftsordnung für das städtische Obdach sowie für die z. Z. mit demselben verbundene
2. Desinfektionsanstalt, Berlin (1892) ; Sp e ise - Regulativ für das städtische Obdach,
auch für die aus dem Arbeitshause kommandierten Häuslinge, Berlin (1892); Die öffent-
liche G e sun dheit s- und Krankenpflege der Stadt Berlin, Festschrift für den 1 0. inter-
nationalen medizinischen Kongrefs, Berlin (1890).
3) Statistisches Jahrbuch der Stadt Berlin pro 1892, 18. Bd. 286«. 320.
4) Verwaltung s - B e rieht des Magistrats zu Berlin pro 1893/94 No. 12. Wir sind
Herrn Stadtrat Mamroth für die Freundlichkeit zu Dank verpflichtet, mit welcher er
uns die Benutzung der auf das städtische Asyl bezüglichen Pläne und Drucksachen er-
möglichte.
5) Für die Notizen über den Berliner Asyl- Verein sind wir Herrn T hol de, dem lang-
jährigen und hochverdienten Vorsitzenden des Asylvereins, zu Dank verpflichtet ; vergl. auch
die Jahre sberichte des B erliner Asylvereins seit 1871; B au gewe rk s Zeit-
ung (1870) 421.
25
170
M. KNAUFF und TH. WEYL.
6) Nouv. Annales de la con struction (1887) 60; du Mesnil. Annales d'Bygüne
(1890) 24. Bd. 214; vergl. auch die Seite 149 No. 12, 13, 14 angegebene Litteratur;
J)uj ardin Baumetz, Rapport sur les asiles des nuit, Paris (1893) (uns nicht zugänglich).
7) Jahr e sbericht des . . Asylvereins Jür Obdachlose in Wien pro 1883. Wir danken
Herrn Stadtphysikus Dr. Kamme r er in Wien für die freundliche Uebersendung des-
selben.
8) Ann ales d' Hygitne (1888) 1. Bd. 281.
9) Behnke, o. a. 0. (siehe S. 169, No. 1).
B. Schlaf häuser und niedere Herbergen1 2.
(Verfasser: M. K na uff.)
Ueber die niedrigsten Herbergen und ihre Gefahr für die öffent-
liche Gesundheit ist bereits S. 145 ff. gehandelt worden. Ueber die poli-
zeilichen Vorschriften zur Ueberwachung derselben vergleiche
S. 151 ff.
Von diesen nächtlichen Unterkünften sind jene sinngemäß zu unter-
scheiden, die in industriereichen Gegenden zur ausschließlichen Be-
nutzung von Arbeitern eingerichtet wurden, und zwar häufig von den
Arbeitgebern selber. Daß solche Schlafstätten für unverhei-
ratete Arbeiter überall den orts- und baupolizeilichen Anforder-
ungen in Bezug auf Licht , Luft , Feuersicherheit u. s. f. entsprechen
müssen, liegt auf der Hand.
Solche Häuser enthalten eine größere Anzahl von Schlafräumen
für je 4 — 20 Arbeiter, häufig auch Badeeinrichtungen, Versammlungs-
und Speisesaal, ferner Koch- und Waschküchen, sowie Wohnräume für
die Wirtschaftsbeamten.
Als Beispiel eines solchen Schlafhauses diene dasjenige der
Grube von der Heydt bei Saarbrücken 1, von dem Fig. 10 den
Grundriß des Erdgeschosses darstellt.
Fig. 10. Schlafhaus der Grube von der Heydt bei Saarbrücken. Grundrifs.
Das Gebäude besteht aus Erdgeschoß und Obergeschoß. Die Schlaf-
zimmer von je 36 qm Grundfläche sind 4 m hoch, sodaß auf jede
der 8 darin befindlichen Schlaf stä tten 18 cbm Luft-
raum kommen. Jeder Arbeiter hat einen eigenen Schrank, jedes
26
Asyle, Herbergen u. s. w.
171
Zimmer ist ausgerüstet mit 1 Tische, 8 Schemeln, 1 Spiegel, 2 Eckver-
schlägen und 1 Petroleumhängelampe. Ueber der Kochküche des Erd-
geschosses befinden sich im ersten Stock 11 Zellen für Douchebäder, über
der Waschküche Wannenbäder. Die Zimmer werden durch warme Luft
beheizt. Die im Schlafhause auf ihren Wunsch aufgenommenen Berg-
leute sind zur Teilnahme an der darin bereiteten Verpflegung verpflichtet,
die Speisebereitung gleicht der in Volksküchen.
Als Schlafhäuser für den vorübergehenden Bedarf kann man die
sogenannten Arbeiterbaracken bezeichnen, die für eine zahlreiche
Arbeiterschar bei großen Bauausführungen, wenn diese an abgelegenen
Baustellen und fern von Ortschaften vorgenommen werden müssen, er-
baut zu werden pflegen und die nach Beendigung der Bauausführung
beseitigt werden. Zur Schonung der Kräfte der Arbeiterschar sowie
um deren leiblichen Wohlbefindens willen sind diese Barackenbauten
überaus segensreich. Ihre Herstellung wird deswegen bei größeren Bau-
ausführungen den Unternehmern vom Staate zur Pflicht gemacht, oder
aber der Staat selber erbaut solche Arbeiter-Schlafhäuser.
Ein Beispiel dieser Art sind die Baracken3 für die am Nord-
Ostseekanalbau beschäftigten Arbeiter.
Fig. 11 zeigt den Grundriß einer solchen Baracke, die aus Fachwerk
besteht. Die Schlafräume enthalten 8 Lagerstätten mit 12 cbm
Luftraum auf den Kopf. Der am Ende des Grundrißbildes vor-
handene Versammlungssaal von 88 qm Grundfläche ist nur solchen
Baracken zugefügt , die besonders vereinzelt auf der Strecke angeordnet
werden mußten. Im übrigen wurden solche Barackenbauten in Lagern
für 100 — 500 Mann angeordnet, sodaß eine Art Arbeiterkolonie entstand,
Fig. 11. Schlafbaracke für die am Nord-Ostseekanal beschäftigten Arbeiter. Grundrifs.
die mehrere einzelne Schlafbaracken und dann auch ein Verwaltungs- und
Wirtschaftsgebäude umfaßte. Dieses enthielt außer den eigentlichen Ver-
waltungs- und Wohnräumen für den Wirtschaftspächter einen Laden für
Lebensmittel, Tabak, wollene Kleidungsstücke, Kochküche nebst Speise-
kammer , Speise- und Versammlungssaal von 180 qm Grundfläche , der
auch als Betsaal diente; Waschküche nebst Desinfektionsraum, Douche-
bäder, Arztzimmer nebst Warteraum und Zimmer für Revierkranke.
Den Uebergang zu höheren Schlafwirtschaften, den Gasthöfen, die
hier nicht in Frage kommen, bilden die Herbergen und Jünglings-
oder Mägdeheime für zureisende Handwerker oder junge Männer
und Mädchen.
Von derartigen Einrichtungen möge die in Stuttgart vorhandene
27
172
M. KNAUFF und TH. WEYL,
Schlaf Wirtschaft für Fabrikarbeiterinnen1 näher beschrieben und
vorgeführt werden.
Fig. 12 stellt den Grundriß des ersten Stockwerks dar. Jeder Schlaf-
raum, deren das Gebäude 14 enthält, ist für 12 Arbeiterinnen bestimmt,
doch sind 4 Betten durch 2 m hohe Zwischenwände von den anderen
abgeteilt. Auf den Gängen sind, für jeden Schlafgast je einer, verschließ-
bare Kasten aufgestellt. Jede Arbeiterin hat außerdem einen Stuhl und
ein Waschbecken, je vier Arbeiterinnen haben einen Tisch und einen
Spiegel. Im Erdgeschoß des Herbergshauses befindet sich an der Straße
Verwaltungsraum und Wohnraum für die Hausmutter, im Anbau ein ein-
ziger großer Raum, der
als Speise- und Feier-
abendsaal dient. Das
Kellergeschoß dieser
Herberge ist noch be-
sonders durch Fig. 13
auf S. 174 dargestellt.
Aehnlich wie diese
vom Verein zur Für-
sorge für Fabrikar-
beiterinnen errichtete
Stuttgarter Herberge
sind die in allen grö-
ßeren Städten(Deutsch-
lands) vorhandenen
„Heime" oder
„Heimstätten" für
zureisende Handwerker oder junge Leute (der dienenden Klasse)
beiderlei Geschlechts eingerichtet. Sie werden fast überall aus den
privaten Mitteln der Bürger oder einzelner Religionsgenossenschaf-
ten unterhalten. Sie leisten insgesamt Beträchtliches, insofern durch
sie die Ankommenden fürs erste, aber auch später bei Arbeitslosigkeit,
ein billiges Unterkommen, sodann Rat und Hilfe finden und vor den
Verirrungen und Verführungen der Großstadt erheblich bewahrt werden.
Der sittliche und physische Untergang vieler Tausender junger Leute
wird so verhindert.
1) Ed. Schmitt, Handbuch d. Architektur, 4. Teü 4. Bd. 266.
2) The Builder (1849) 7. Bd. 325; Goltdammer, D. Viertel;', f. öffentl. Gesdpfi. (1881)
8 {dort weitere Litteratur)\ Goltdammer, Viertel;', f. ger. Med. 29. Bd. 296; Pistor,
D. Viertel], f. 'öffentl. Oesdpfl. (1880) 12. Bd. 55 ; Simon, D. Viertelj. f. öfentl. Oesdpft.
(1888) 20. Bd. 472.
3) Centralbl. d. Bauverwaltung (1889) 94.
Anhang.
Volksküchen und Kaffeehallen. Wärmstuben.
1. Volksküchen und Kaffeehallen1 2.
Volksküchen sind Wohlthätigkeitsanstalten , in denen Unbe-
mittelte gegen geringes Entgelt ein warmes Mittagessen, oft auch ein Abend
essen erhalten können ; sie finden sich jetzt in fast allen großen Städten
Fig. 12. Heimstätte für Fabrikarbeiterinnen in Stutt-
gart. Grundrifs des Hauptgeschosses.
28
Asyle, Herborgen u. s. w. 173
teils unter der Form von Aktiengesellschaften, teils unter Leitung
von Frauen und Frauenvereinen. In letzterem Falle werden die
Preise der Speisen gerade so gestellt, daß die Selbstkosten ein-
schließlich der Raummiete, der Löhne und Gehälter der Angestellten
herauskommen.
Alle Stoffe , die zu einer Hauptmahlzeit dienen sollen , werden in
einem einzigen Gericht dargeboten. Aus dem Fleische werden die
nährenden Stoffe in die Brühe gekocht, aber nur solange, daß das Fleisch
noch genügend weich und verdaulich bleibt; die Fleischbrühe wird zur
Bereitung der Kartoffeln und des Gemüses verwendet, nachdem diese
halbgar in Wasser gekocht waren und das Wasser abgegossen wurde
(Berlin).
Weiteres über die Kost der Volksküchen siehe bei Munk
3. Bd., S. 122 dieses Handbuches.
Ueber die Preise der Portionen mögen folgende Angaben
dienen. In den 14 Volksküchen Berlins kostet die ganze Portion von 1 1
mit 3 Stücken Fleisch 25 Pfg. , die halbe zu 4/5 1 mit 1 Stück Fleisch
15 Pfg. In Wien mit 9 Volksküchen kostet die große Portion Fleisch
mit Gemüse 15 Kr., die kleine Portion 9 Kr.; außerdem kostet 1 Portion
Gemüse allein (3/8 1) 4 Kr., Mehlspeise 8 Kr. So billige Preise können
nur dadurch gestellt werden , daß in diesen beiden Fällen auf Gewinn
verzichtet wird und daß, wie auf der Hand liegt, durch Einkauf von
Nahrungsmitteln im Großen erhebliche Ersparnisse gemacht werden.
An Räumen erfordert eine Volksküche: Speisesaal für
Männer und Frauen getrennt , unmittelbar dabei die Küche , sodann
Arbeits-, Schäl-, Putzraum zum Herrichten der Gemüse und des Fleisches,
Vorratsräume, Spül- und Abwaschküche, Diensträume, Aborte, Brenn-
stoffraum. Alle Räume müssen hell und luftig sein , namentlich auch
der Speisesaal, der freundlich, wenn schon einfach, auszumalen und ein-
zurichten ist.
Folgende Beispiele, die freilich nur besonders zweckent-
sprechende Bauausführungen betreffen, verdeutlichen das zuletzt Er-
wähnte.
Fig. 13 zeigt den Grundriß der Volksküche, die sich im
Kellergeschoß der auf S. 172 erwähnten Heimstätte für Fabrik-
arbeiterinnen zu Stuttgart1 befindet.
Fig. 14 stellt den Grundriß der IL Halle dar, die in der Neuen
Schönhauserstraße zu Berlin mit einem Kostenaufwande von M. 456000
für Grunderwerbs- und Baukosten von der Volks-Kaffee- und
Speise-Hallen-Gesellschaft3 1889 erbaut wurde.
Die Küche mit ihren Nebenräumen ist zwischen Vorderhaus-, Seiten-
flügel und Quergebäude auf dem Hofe angeordnet, ihr Dach mit Ober-
lichtern befindet sich noch unterhalb des ersten Stockwerks. Die Trenn-
wand zwischen den Räumen für Männer und denen für Frauen ist nur
halb hoch. Der Männerraum im Seitenflügel erhält sein Licht durch
Oberfenster in der Hofwand, die noch über den Fenstern des Küchen-
dachs hatten angeordnet werden können. Die oberen Stockwerke dieses
Hallengebäudes sind zu Mietswohnungen eingerichtet.
Handbuch der Hygiene. Bd. VI. 1 O
29 y£i
174
M. KNAUFF und TH. WEYL,
Fig. 15 zeigt den Grundriß des Kosthauses des Bochumer
Vereins für Bergbau und Gußstahlfabrikation1) zu Stahl-
hausen. Seitlich des Einganges zum Speisesaal sind Waschräume für
die Arbeiter angelegt.
Auf gleicher wirtschaftlicher Grundlage, wie die Volksküchen, und
oft mit diesen unmittelbar verbunden finden sich in Großstätten auch
Kaffee hallen oder Kaffeeküchen vor, die Kaffee, Thee, Milch
und andere alkoholfreie Getränke liefern und in der Absicht errichtet
wurden, der Trunksucht entgegenzutreten.
Solche Volkskaffeehäuser wurden zuerst in England (1850 zu
Dundee) errichtet und sind jetzt in fast allen Großstädten zu finden.
So entstand z. B. schon 1877
in London die „Coffee public
house association" , und auch
sonst sind solche Kaffeehäuser
von Gesellschaften eingerichtet
und unterhalten, die oft im-
stande sind ihren Genossen eine
angemessene Verzinsung ohne
Schädigung des Hauptzwecks,
den sie haben, zu bieten : guten
Kaffee für möglichst wenig
Geld.
Die Einrichtung der
Volkskaffeehäuser ist
sehr verschieden, je nachdem
die Ersteller der Anlage noch
Fig. 13. Heimstätten und Volksküche
in Stuttgart. Kellergeschofs der Herberge Fig. 14. Halle II der Volks - Kaffee- und
für Fabrikarbeiterinnen. Siehe auch SpeisehaUen - Gesellschaft in Berlin, Neue Schön-
Fig. 12 S. 172. hauserstr. 13.
30
Asyle, Herbergen u. s. w.
175
andere Käume in Verbindung mit dem eigentlichen Kaffeeraum für
nützlich und angemessen hielten. Solche Nebenräume sind dann : Lese-
zimmer, Billardraum, Spielzimmer und Rauchzimmer.
Fig. 16 stellt den Grund-
riß des Erdgeschosses einer
Volkskaffeeschenke in
Bremen1 dar.
Im Obergeschoß befindet
sich über dem Kaffeesaal ein
Versammlungssaal , über
Küche und Lesezimmer die
Wohnung des Hauswartes.
Unter dem Kaffeesaal liegen
Vorrats- und Torfraum.
Fig. 17 zeigt den Grund-
riß einer Kaffeehalle,
verbunden mit einer Volks-
küche, die in Hamburg4
vorhanden ist. Man nimmt
an der Ausdehnung und dem
Umfange der Räumlichkeiten
wahr, welchen weitgehenden
Ansprüchen hier Genüge ge-
leistet worden ist.
Es sind besondere Räume
(Speisesäle) für die verschie-
denen Arbeitergruppen , für
Frauen und Meister (Auf-
seher) vorgesehen. Säle und
Küche haben Oberlicht.
Fig. 16. Volkskaffee-
Fig. 15. Kosthaus des Bochumer Vereins für Berg- schenke in Bremen. Grund-
bau und Gufsstahlfabrikation zu Stahlhausen. Grundrifs. rifs. Erdgeschofs.
Ueber dem Elügelbau der Kaffeehalle befindet sich ein Obergeschoß, das
außer Wohnräumen für die Angestellten einen Erfrischungssaal mit Neben-
raum und Büffet für Arbeitgeber enthält.
1) Ed. Schmitt, Handbuch der Architektur, 4. Teil 4. Bd. 116.
2) Morgenstern, Die Berliner Volksküchen, Berlin (1870) ; Morgenstern, Recepte der Ber-
liner Volksküchen, Berlin (1883); Meinert, Fliegende Volks- und Arbeiterküchen, Berlin
(1882); I. Munk, dieses Handbuch, 3. Bd. 122/.
3) Blätter für Architektur, V. Jahrg., No. 11, Berlin (1892)
4) Hamburg und seine Bauten 8. 211 (1890).
12*
31
176
M. KNAUFF und TH. WEYL,
Diirchf ah.r
3 a. a 1
Fig. 17. Kaffeehalle verbunden mit Volksküche in Hamburg. Grundrifs. Architekten
Hallier und Fitschen, welchen wir die Zeichnung zu Fig. 17 verdanken.
2. W ä r m e h a 1 1 e n.
Der außerordentlich kalte Winter 1891/92 lenkte die öffentliche
Aufmerksamkeit auf die Thatsache, daß die unbemittelten Arbeitslosen
großer Städte (Berlin, Leipzig, Wien) der grimmigen Kälte schutzlos
preisgegeben seien und daß man für sie, die günstigstenfalls nur eine
Schlafstelle zur Nachtzeit hatten, eine Gelegenheit, sich bei Tage zu
erwärmen, aus sanitären und socialen Gründen schaffen müsse. So ent-
standen die Wärmehallen.
Die Berliner Wärmehallen nehmen drei Stadtbahnbögen am
Alexanderplatz x ein und sind jetzt von 7 Uhr früh an geöffnet. Sie
werden bei strenger Kälte auch nachts nicht geschlossen. Alle 2 Stunden
wird eine neue Schar Unglücklicher eingelassen, nachdem die bisherigen
Insassen die Hallen verlassen haben. Soweit die Mittel reichen, erhalten
die Besucher kostenfrei Kaffee, Milch, Suppe und Brot. Mit den Wärme-
hallen ist ein Arbeitsnachweis verbunden. — Auch in Leipzig haben
sich die Wärmehallen bewährt.
Der in Wien2 bestehende Wärmstuben- und Wohlthätigkeitsverein
unterhielt 1894 5 Wärmstuben, in welchen im Jahre 1893/94 629 946
Personen Unterkunft fanden. Von diesen erhielt jede Person 1/4 1 Erbsen-
konserven-Suppe und 0,2 k Kornbrot. Die Ausgaben betrugen pro 1892/93
rund 38000 Fl.
Die auf Fig. 18 im Längsschnitt dargestellte, auf Kosten des
32
Asyle, Herbergen u. s. w.
177
Baron Königs warter errichtete Wärmestube befindet sich im 16. Be-
zirk. Die Zeichnung ist ohne weitere Erklärung verständlich.
1) Getchäfts- Bericht des Central- Vereins Jür Arbeitsnachweis zu Berlin für
1892 u. 1893.
2) Jahresbericht des Wiener Wärmstuben- und WohUhätujkeits - V ereins pro 1892
bis 94.
_|Mlr.
1 1 1 1 i I 1 I i I | I I I I 1 r-
Fig. 18. Wärmestube in Wien (XVI. Bezirk). Längsschnitt.
Für die Uebersendung der Druckschriften des Vereins sind wir
Herrn Dr. Kammerer, Stadtphysikus von Wien, zu Danke verpflichtet.
Die Abbildung Fig. 18 ist einem uns vom Wiener Wärmstubenverein
freundlichst überlassenen Plane entnommen.
Die Abbildungen sind entnommen:
Fig. 1 — 4 den Bauzeichnungen des Berliner Magistrats.
Fig. 5, 9—13, 15 und 16 dem Handbuch der Architektur, 4. Teil 4. Bd. und
4. Teil 5. Bd.
Fig. 6 — 8 den Annales d' Hygiene 1888 1. Bd.
Fig 11 aus Centralblatt der Bauverwaltung 1889 S. 94.
Fig. 14 aus Blätter für Architektur V. Jahrgang No. 15, Berlin 1892.
Fig. 17 aus Hamburg und seine Bauten S. 211 (1890).
Fig. 18 aus einem vom Wiener Wärmstubenverein gesendeten Plane.
33
VERKEHRSHYGIENE.
BEARBEITET
VON
DR. D. KULENKAMPFF und DR. 0. BßAEHMER,
IN BREMEN. SANITÄTSEAT IN BERLIN.
SCHIFFSHYGIENE.
BEARBEITET
VON
DB I). KÜLENKAMPFF
IN BREMEN.
MIT 17 ABBILDUNGEN IM TEXT.
Inhaltsübersicht
Seite
Einleitung 185
Kap. I. Erkrankungshäufigkeit, Sterblichkeit und Unfälle bei der
Seebevölkerung 186
Kap. II. Einfluß der Schiffsräume auf die Beschaffenheit der Luft 190
Kap. III. Die Reinhaltung des Schiffes 1 94
Kap. IV. Die Lüftung des Schiffes 198
K a p. V. Die Wohnräume des Schiffes und die sanitäre Ueber-
wachung seiner Bewohner 206
Kap. VI. Die Ernährung an Bord von Schiffen 213
Kap. VII. Eismaschinen und Kühlapparate 219
Kap. VIII. Wasserversorgung und Destillierapparate 222
Kap. IX. Hygienisches Verhalten auf Seereisen 226
Kap. X. Gesetzliche Bestimmungen über das Auswandererwesen
und Fürsorge für die Seeleute 228
Register am Schlüsse der Lieferung.
JDie Fortschritte der Hygiene an Bord von Seeschiffen knüpfen sich
der Hauptsache nach an die Vervollkommnung der Verproviantierung
und Wasserversorgung und an die Umwandlungen in der Konstruktion
der Schiffe, insbesondere an die durch den Uebergang vom Holz- zum
Eisenbau bedingten. Durch die Einführung der Dampfkraft wurden die
Reisen erheblich abgekürzt und durch die größere Unabhängigkeit des
Schiffes von Wind und Wetter demselben in hygienisch bedrohlichen
Lagen unter Umständen Hilfsmittel verliehen, welche den Segelschiffen ab-
gingen.
An die Stelle eines einzigen oder mehrerer, nur mangelhaft abgeteilter
Binnenräume unter Deck für Mannschaft und Ladung zugleich, nur spär-
lich erhellt und gelüftet durch die Luken, von Wänden aus einem hoch-
gradig fäulnisfähigem Stoffe umgeben, traten höhere und luftigere Räume
(Deckhäuser und Halbdecks), mit oberen und seitlichen Lufteinlässen ;
an die Stelle der doppelten Schiffswand mit ihrem unzugänglichen
Innern, der den Raum beengenden Stütz- und Deckenbalken mit ein-
springenden Winkeln und Ecken trat die einfache, leicht zu reinigende
Eisenplatte mit schlanken Trägern und stählernen Längsbalken, die ohne
Kanten und Vorsprünge sich am Kiel zum Boden des Schiffes vereinigen.
Dieser, cementiert bis nahe an die Wasserlinie, oder ein Wasserballast
haltender Doppelboden, ward undurchlässig für das an organischen Be-
standteilen so reiche Meerwasser. Endlich gestatteten auch die wider-
standsfähigeren Bordwände eine reichlichere Durchbrechung durch Seiten-
lichter, und wenn auch die Eisenschiffe noch eine große Menge von
Holzteilen in sich bergen, so besteht doch ihr den Einflüssen von Luft
und Wasser am meisten ausgesetzter Körper aus einem anorganischen
Stoffe.
Solchen Verbesserungen gegenüber fällt der nur für extreme Tem-
peraturen giltige Vorzug der Holzschiffe, im Winter warm, im Sommer
kühler zu bleiben, gar nicht ins Gewicht1, während allerdings durch
die Herstellung der kolossalen Eisenschiffe, die ihrer mannigfaltigen
Zwecke halber und aus Rücksicht auf die eigene Sicherheit in zahl-
reichere Abteilungen und durch Schotten wasserdicht geschlossene
Compartments geteilt werden mußten, der Hygiene ganz neue Aufgaben
gestellt wurden.
Infolge der Inanspruchnahme eines beträchtlichen Raumes durch Ma-
schinen, Kessel und Kohlen mußte die Ausnutzung des übrig bleibenden bis
zum äußersten getrieben werden, so daß endlich ein ungemein kompli-
186 D. KULENKAMPFF,
zierter, zellenreicher Organismus entstand. Auf den großen Dampfern
findet man bis zu 20, auf Kriegsschiffen gar bis zu 100 derartige Einzel-
räume, deren Lüftung die größten Schwierigkeiten bereitet. — Da die
eiserne Schiffswand rasch die Temperatur des Wassers annimmt, so findet
(wenigstens in unseren Breiten) in den tieferen Bäumen eine beträcht-
liche Abkühlung (um 2 — 3° nach Boehr2) und Stagnation der Luft
statt, verbunden mit Niederschlägen aus der feuchtwarmen Seeluft im
Innern. Dazu kommen den Maschinen entstammende Erhöhungen der
Temperatur und Feuchtigkeit und die Abfälle derselben in der Form von
Fetten, Kohlenstaub und Kuß.
Für die Auswanderung kommen Holzschiffe gar nicht mehr in Be-
tracht, und auch ein großer Teil der Frachtschiffe besteht schon aus
Eisen. Trotzdem ist mit den im Holzbau gelegenen Gefahren noch zu
rechnen. Von jeher ist auf die Beschaffenheit des Holzes der größte
Wert gelegt worden. Je härter und trockener, je saft- und stickstoff-
ärmer es ist, desto weniger leicht verfällt es der Trockenfäule, die ganz
trockenes oder stets nasses Holz verschont, also an den bald feucht,
bald trocken werdenden Teilen auftritt und ansteckend ist. Schiffe aus
„grünem Holz" gelten für Brutstätten des Skorbuts. Man verwendet
daher mit Vorliebe das Kernholz der Eiche und der Tectona grandis
(Teakholz), wobei Standort, Alter und Jahreszeit des Fällens berück-
sichtigt werden müssen. Unter den zur völligen Austrocknung resp.
Konservierung angewandten Methoden dürfte die nach Lapparent:
Verkohlen einer 1/3 mm dicken Schicht mittels Gasstromes die em-
pfehlenswerteste sein (Möricourt 3). Der Bau soll recht langsam
gefördert werden, damit jedes Stück vor Anfügung der äußeren und
inneren Planken gehörig austrocknen kann, und der Helgen eine Ueber-
dachung gegen den Regen erhalten, wie es in der deutschen Marine
üblich ist. — Als Anstrich soll nur Oelfarbe oder Firniß verwandt
werden ; Tünchen mit Kalk muß oft wiederholt werden, verursacht viel
Feuchtigkeit und schafft staubende, rauhe Flächen (Kirchner fand in
dem abgekratzten Kalkstaube eines Krankenzimmers 54 Proz. organische
Stoffe [Boehr2]). Eine nicht unmögliche Schädigung durch Terpentin-
dünste läßt sich vermeiden, wenn nur bei gutem Wetter, wo gründliche
Nachlüftung möglich ist, gestrichen wird. Die von den Franzosen früher
auf den Gebrauch von Mennige und Bleiweiß zurückgeführten Ver-
giftungen sind aus dem Genüsse bleihaltigen Wassers zu erklären und
in Deutschland nur bei Leuten beobachtet, die mit dem Abschrapen
solcherart gestrichener Wände beschäftigt wurden (Reincke4).
Litteratur siehe S. 189 ff.
Kapitel I.
Erkrankungshäufigkeit, Sterblichkeit und Unfälle
bei der Seebevölkerung.
Die Eigenartigkeit der Lebensbedingungen des Seemannes, die sich
bezüglich Wohnorts, Kleidung und Nahrung, sowie klimatischer Einflüsse,
geistigen Lebens und Geselligkeit so sehr von denen aller anderen Men-
schen unterscheiden, hat das Vorherrschen gewisser Krankheitsformen
zur Folge, deren Ursachen nicht in dem Schiffe als solchem zu suchen,
sondern auf die kombinierte Wirkung jener Verhältnisse zurückzuführen
sind. Da aber diese Verhältnisse sehr gleichbleibende sind, so machen
Schiffshygiene. 187
sich irgend tief eingreifende Veränderungen des einen oder anderen
Faktors in ganz besonderer "Weise bemerkbar, was aus der Geschichte
der Schiffshygiene leicht nachzuweisen ist. Nicht nur einzelne Schiffe,
sondern auch die Thätigkeit ganzer Flotten wurde noch im vorigen
Jahrhundert oft genug durch typhöse Fieber, Skorbut und Ruhr völlig lahm
gelegt. So verlor Admiral Auson 1741 in wenigen Wochen von seiner
600 Mann starken Besatzung 200 an Skorbut und Anämie und landete
auf Juan Fernandez mit nur 8 dienstfähigen Leuten; Geary hatte
1779 auf seinem Geschwader 2400 Skorbutkranke, Rodney verlor
1780 von 2000 Mann wöchentlich 50—55. Von einem Geschwader mit
12109 Mann mußten in 4 Monaten 1325 das Hospital aufsuchen und
starben 62 an Fiebern, 60 an Ruhr und 89 an Skorbut.
Obwohl Cook auf seiner großen Reise 1772 — 75 durch verständ-
nisvolle Anwendung der einfachsten hygienischen Grundsätze es erreichte,
daß er in den 3 Jahren nur einen Mann verlor, so brach sich die Er-
kenntnis von dem Nutzen solcher doch nur langsam Bahn. Wie mit
einem Schlage änderten sich die Zustände aber durch das 1791 erlassene
und 1797 verbesserte englische Reglement über Schiffsverpflegung. Nach
B 1 a n e 5 betrug in der englischen Flotte die Sterblichkeit an Mann-
schaften :
1780 jährlich I2|5>%
18U „ 3-4 %
1830 in der südamerikanischen Station unter
17254 Mann in 6 Jahren jährlich . °»6 %
1830—64 in der gesamten Flotte 1,3 % 56
Die Häufigkeit des Skorbuts sank, außer auf der sehr schlechte
Bedingungen bietenden russischen Flotte, auf ein Minimum, der Typhus
wurde gutartiger, insbesondere verschwand der Flecktyphus fast ganz,
und Ruhr trat in größerer Verbreitung nur noch an den Orten mit
endemisch bösartigen Formen auf. Aehnlich, wenn auch nicht so ein-
schneidend wie die Verbesserung der Ernährung, wirkte die Einführung
eiserner Wasserkästen (Tanks) seit 1815, die 1835 erlassene Vorschrift
bezüglich geeigneter Sonderverpflegung der Kranken, die 1838 von der
englischen Admiralität verordnete Aufstellung von Büchereien auf allen
Schiffen (270 Bände für größere, 100 für kleinere Schifle), endlich nicht
zum wenigsten die vorschriftsmäßige (Reglement von 1825) Verab-
folgung von Citronensaft als Prophylacticum gegen den Skorbut sowie
die Herabsetzung der Spirituosenration. Bis zum Jahre 1825 erhielt
jede an Bord eingeschiffte Person täglich 1/2 Pinte (1 Pinte = 360 g)
Branntwein — die r sog. Kings allowance — welche dann auf */4 und
1850 auf Vs reduziert ward, während anstatt dessen Thee und Kakao
in größerer Menge gegeben wurden 6.
Sehr lehrreich sind einige der Zahlen, die Friedel7 aus dem
kolossalen in den Reports of the health of the royal navy aufge-
speicherten Material mit dankenswerter Mühe über 20 Jahre aus der
Zeit von 1830 — 64 zusammengestellt hat. Auf 14 verschiedenen Flotten-
abteilungen dienten im ganzen 705 388 , also jährlich im Durchschnitt
35269 Mann, bei denen 854992 Erkrankungen, d. h. auf das Jahr be-
rechnet 121,2 Proz. vorkamen. Von diesen führten zur Invalidität
2,69 Proz. und starben 1,33 Proz.
Nach den verschiedenen Stationen verteilt, berechnen sich folgende
Zahlen :
188
D. KULENKAMPFF,
erkrankten
Ostindien und China 178,8 Proz.
Westafrika 158,0 „
3) Westindien u. Nordamerika 142,2 „
4) Postscbiffsdienst 82.3 „
5) Heimatliche Station . 89,3 „
6) Australien — ,,
starben
tägl
che Krankenzahl
3,13 Proz.
8,88
Proz.
3-39 „
6,58
>,
2,0 „
5.83
i)
o,74 ,,
4-8
1,
o,45 „
4,38
»1
Von bemerkenswerten Krankheitsformen wurden der Häufigkeit nach
beobachtet in der Kriegsmarine:
Phlegmonöse Entzündungen bei 23,3 Proz. der Mannschaft
Katarrhe 19,3 ,, ,,
Fieber (Typhus und Malaria) . 10,9 „ „
Diarrhöen 10,3 „ „
Rheuma 7,8 ,, „
Ruhr 1,8 „ ,,
Cholera 0,12 ,, „
Variola 0,15 ,, „
Erysipel 0,47 „ ,,
Tuberkulose 0,6 „ „
Pneumonie und Pleuritis . . 1,7 ,, „
Delirium potatorum .... 0,28 ,, „
Skorbut 0,1 „ „
Ueber die Verluste an Schiffen , über Unfälle und Erkrankungen
geben die folgenden Zahlen aus neuester Zeit einigen Aufschluß. Total
verloren gingen im Durchschnitt des letzten Jahrzehnts von allen Han-
delsdampfern in der englischen Marine 2,43 Proz., in der französischen
2,36 Proz., in der deutschen 1,89 Proz. In der letzten betrug der
Verlust an Menschenleben hierdurch 0,44 bis höchstens 0,62 Proz. der
gesamten deutschen Schiffsbesatzung8. Ueber Unfälle bei dieser giebt
der Jahresbericht der Seeberufsgenossenschaft von 1893 folgende Aus-
kunft. Es entfallen von gemeldeten Unfällen auf:
lj Dampfer mit 24636 Mann 1423
2) Segelschiffe „ 15 595 ,. 63
3) verwandte Betriebe 1 277 „ 5
d. h. auf je 1000 Mann ad 1 : Unfälle 57,76 Todesfälle 6,09
„ ,, ., ., » „ „2: „ 40,79 ,, 21,74
)) !! >1 ), >> >l l> rf ' ), 3)92 II
Die Seeberufsgenossenschaft zählte (1892) 1668 versicherungspflich-
tige Betriebe mit durchschnittlich 43023 versicherten Personen8. Bei
1571 derselben handelte es sich um Gewerbsunfähigkeit von weniger
als 13 Wochen , bei den übrigen 103 war 8 mal dauernde Erwerbs-
unfähigkeit, 106 mal tödlicher Ausgang die Folge. Die Gesamtzahl der
deutschen Seeschiffe belief sich auf:
2742 Segelschiffe mit 17 522 Mann Besatzung
986 Dampfer „ 24 113 ,, ,,
Es verunglückten :
1889 116 Schiffe mit 1015 Mann Besatzung (davon tot 208) u. 331 Passagieren(davon tot 274)
1890 92 „ „ 937 „ „ ( „ „ 169),, 174 „ ( ,1 .1 7)
1891 116 „ „ 1205 „ „ ( „ „ 177),, 160 ,, ( „ „ 30)
Nach Ausweis des Seemanns- Amtes zu Bremen9 war der Bestand
der bremischen Seeschiffe:
Schiffshygiene.
189
1892:
Segelschiffe 234 mit einer Besatzung von 3 170 Personen
Dampfer 181 „ „ „ ,, 7659
Im ganzen 1415 ,, ,, „ ,, 10829
An- und ausgemustert wurden .... 19412
An Sterbefällen wurden angezeigt . 54
Darunter :
An Selbstmord und Ertrinken etc. . 15
Gelbfieber 5
Hitzschlag I
Schwindsucht und Auszehrung 7
Herzleiden 6
andern Leiden 20
Aufserdem als verschollen .... 26
1893 :
233 mit 3 099 Personen
185
418
7623
IO 722
19090
43
19
4
11
80
Beim Hamburger Seemanns - Amte * ° wurden an - und abge-
mustert :
1892 1891
Im ganzen 3 137 Schiffe mit 68850 Mann 3l4^ mit 71 632
Darunter deutsche 1613 n » 34^34 ,, 1606 „ 36989
a) Dampfschiffe 1349 „ „ 32472 „ 1428 ,, 35 124
b) Segelschiffe 263 ,, ,, 2362 „ 178 „ 1865
.Zur Kenntnis des Amtes gelangten 437 Sterbefälle (1,250/0) 271 (o 73 %)
nämlich : an Krankheiten 266 92
„ Unfällen 116 95
„ Selbstmord 7 10
Verschollen 48 74
Summa: 437 271
Unter den 266 Krankheitsfällen fand sich :
Gelbfieber 140 mal Blattern 1 mal Gelbfieber 15 mal
Sumpffieber 6 ,, Skorbut 3 „ Sumpffieber 6 „
Dysenterie 2 ,, Pneumonie 4 ,, Beriberi 4 „
Typhus 3 „ Andere 26 ,, Typhus 6 „
Cholera 26 „ Unbenannt 52 ,, Tuberkulose 2 ,,
Tuberkulose 3 ,, Andere 10 „
Unbenannt 49 ,,
In Gemäßheit des Gesetzes über Unfallversicherung vom Jahre 1887
kamen beim Hamburger Seeamte zur Anzeige:
1892 1891
Auf den 1613 deutschen Schiffen 853 Unfälle (146 auf Segel-, auf 1606 Schiffen 725 Un-
707 auf Dampfschiffen) fälle (107 auf Segelschiffen,
618 auf Dampfschiffen)
Von den 707 auf Dampfern betrafen: von 618 auf Dampfern:
372 das Deckpersonal 318 Deckpersonal
335 das Maschinenpersonal 300 Maschinenpersonal
Dieselben werden im einzelnen aufgeführt als :
Verletzungen des Kopfes 71 38
„ der Augen 18 15
„ an Gesicht, Hals und Rumpf I03 139
,, an den Extremitäten . . . 461 416
Hitzschlag , IO —
Andere, gestorben oder verschollen . . . 155 Ioo
Summa 853 708
1) Marine- Verordnungsblatt (1878) No. 23.
H) Boehr, üeber Schiffsluft, Berlin 1882
3) Le Eoy de Mericourt, Die Fortschritte der Schifshygiene (aus dem Französischen von
Krampholz), Pola 1876.
4) Eeincke , üeber Schiffshygiene , Deutsche Vierteljahr sschr. f. öffentl. Gesundheitspflege
(1881)
5) Wenzel, Vierteljahr sschr. f. ger. Med. N. F. 4. Bd. 1.
Handbuch der Hygiene. Bd. VI. 13
5
190
D. KULENKAMPFF,
6) Macdonald, Outlines of naval hygiene, London 1881.
7) Friede!, Die Krankheiten in der Manne, Berlin 1866.
8) Hansa, Deutsche nautische Zeitschrift (1888 — 1895).
9) Statistischer Bericht des Seemannsamtes zu Bremerhaven (1892 u. 9b).
10) Jahresbericht der Verwaltungsbehörden der Stadt Hamburg (1891 u. 92).
Kapitel II.
Einfluss der Schiffsräume auf die Beschaffenheit der Luft.
Der unterste Abschnitt jedes Schiffes, der Kiel- oder
Sodraum, bildet sozusagen den Wohnungsuntergrund, in dem sich Wasser
— die Büsche (Bilge-water, Eau de la sentine) — und allerlei or-
ganische Abfälle ansammeln. Die Spanten (Rippen), die sich ununter-
brochen von rechts nach links hinübererstrecken, sind am tiefsten Punkte
zwischen Kiel und Kielschwein (auch Kolschwein oder Saatholz) (Fig. 1)
Fig. 1. Schematische Ansicht des Schiffsbodens. Rechts sind die
Füllungsplanken nicht gezeichnet , links ist die innere Beplankung (Wegerung) ausge-
lassen, um die Spanten und Spanträume freizulegen. Die Raumstützen tragen die Zwischen-
decksbalken, a Kiel, b Kielschwein, c Spanten, d äufsere Beplankung, e innere Beplankung,
i Füllungsplanken, m Raumstütze, n Bilschraum, o Wassergänge. (Or igi n alzei chnung.)
eingeklemmt, in der Längsrichtung des Schiffes durch die schmalen r
etwa 15 — 50 cm breiten Zwischenspan träume voneinander geschieden.
An sie werden innen und außen die Planken angeschlagen, nur nicht
unmittelbar neben dem Kielschwein, wo sie als Füllungsplanken innen
lose aufgelegt werden. Zu Seiten des Kieles wird jederseits durch Aus-
bohrung des Spants ein Wassergang (Speigattöffnungen oder Nüster-
gatten) geschaffen. Der Bilschraum besteht also aus einer großen
Menge von einzelnen, zwischen Kiel und Kielschwein versteckt liegenden
Fächern, die frei von links nach rechts, und längs der Schiffsaxe durch
die engen, je nach der Dicke der Spanten 20—30 cm langen Wasser-
gänge miteinander kommunizieren und in nur beschränkter Weise durch
Abheben der Füllungsplanken zugänglich zu machen sind. Sein Inhalt
wird bei schwankendem Schiff bis zu beträchtlichen Höhen in den Spant-
Schiffshygiene.
191
räumen empor „pülschen", alles durchfeuchtend und beschmutzend. Das
von unten eingeleckte Meerwasser vermischt sich mit Abfällen aus
Ladung und Proviant, von oben kommendem Scheuerwasser, Asche und
Maschinenfetten, den Kadavern von Ratten und Kakerlaken und tausend
Unreinigkeiten aus dem Zwischendeck eines Auswandererschiffes.
Viel günstiger sind allerdings diese Verhältnisse in den Eisen-
schiften, da die Spanträume breiter sind, statt der Beplankung nur
einzelne Latten sie tiberbrücken, der Kielraum undurchlässig und mit
Cement ausgegossen ist (nur an der Schraubenbüchse dringt Meerwasser
ein). Hat das Schiff, wie es auf den großen Passagierdampfern und
Kriegsschiffen meist der Fall ist, einen Doppelboden, in dem sich Tanks
mit Ballast- und Kesselwasser befinden, so sind 2 Bilschräurae vor-
handen, links und rechts vom Doppelboden an den Außenwänden, die
gut abgedichtet und cementiert, bei täglichem Leerpumpen recht trocken
und geruchfrei bleiben. Aber auch hier bestehen noch Quellen der An-
sammlung von Wasser und Abfällen in genügender Anzahl (das Scheuer-
und Schweißwasser des Zwischendecks wird z. B. aus den Rinnen des
Fußbodens durch Röhren direkt hinuntergeleitet), so daß sich fast wie
auf Holzschiffen eine schwärzliche, stinkende Pfütze bei mangelnder
Fürsorge dort bilden kann. Aus ihr entwickelt sich regelmäßig Schwefel-
wasserstoff in großen Mengen, demnächst Ammoniak, Kohlensäure und
Kohlenwasserstoffe, die bei schlechter Dichtung der Füllungsplanken
direkt in den Schiffsraum dringen oder in den Spanträumen aufstrebend
durch eigene Lüftung entfernt werden müssen.
Die chemische Zusammensetzung der Büsche ist un-
gemein wechselnd in verschiedenen Schiffen nicht nur, sondern auch
in verschiedenen Abteilungen desselben Schiffes und haben genauere
Analysen, wie z. B. die im Marine- Verordnungsblatt 1877 mitgeteilten,
deshalb wenig Wert. Interessant sind die Ergebnisse von Nochts11
Untersuchungen zahlreicher Proben.
Schiff.
Eut-
stehungs-
stelle.
Allgemeine Eigen-
schaften.
Geruch.
Reaktion.
Chlorge-
halt
mg i. 1 1,
Keimzahl
in 1 ccm.
Segelschiff.
Holz
Laderaum
Dito
Dito
Segelschiff.
Eisen
Dito
Dampfer,
Eisen
Maschinen-
raum
Dito
Laderaum
Dito
Maschinen-
raum
rostbraun, leicht trübe,
stark absetzend
schwarz, trübe,
stark absetzend
gelblich, klar,
schwer fliefsend
klar, farblos
trübe, schwarz,
stark absetzend
opak, farblos,
ohne Absatz
süfslich
Fäulnis-
gestank
geruchlos
geruchlos
leicht
faulig
geruchlos
neutral
leicht
alkalisch
stark
alkalisch
neutral
leicht
alkalisch
neutral
9 585
12 78O
49 500
664
IO 615 3 Mill
5 573
325000
300
15 Mill.
4500
Weitere Schädigungen können dann der Schiffsluft aus
der Ladung erwachsen. Zwar dürfen Dungstoffe, Knochen, Häute,
Petroleum, Thran oder Fische, grünes Holz, Zucker, Reis u. a. m. nach
13*
7
192 D. KULENKAMPFF,
Hamburger und Bremer Gesetzen auf Passagierschiffen nicht oder nur
unter Einhaltung ganz bestimmter Vorschriften geführt werden, aber
sie sind doch auch für die Mannschaft unschädlich zu machen. Auch
wird das Auswanderer-Zwischendeck der großen Dampfer auf der Rück-
fahrt von Amerika als Lastraum für Ladung ausgenutzt. Genügender
Luftwechsel und Ausdünstung muß hier durch die Art der Stauung er-
zielt werden, durch Ablatten der eisernen Seitenwände, Lattenverschläge
um die Raum- und Zwischendecksstützen, Anlage von Luftkanälen
mittels Brettern, die durch Lattenstücke gestützt werden. Besonders
wichtig ist es, zwischen Ladung und Kielraum einen behufs Reinigung
bekriechbaren freien Raum herzustellen. Große Sorgfalt erfordern die
Kohlen, von denen bestimmte Sorten starke Neigung zur Selbstent-
zündung und Explosion haben und daher nur an der Oberfläche ven-
tiliert werden dürfen * 2 (es sollen jährlich nahe an 100 Schiffe durch
Kohlenladungen verloren gehen [Hansa8]). Wirksame Vorbeugungs-
maßregeln gegen die Selbstentzündung sind bis jetzt nicht gefunden.
In einem von Hamburg ausgegangenen Preisausschreiben kam kein Preis
zur Verteilung, da die eingesandten Vorschläge als entweder unwirk-
sam oder in der Praxis nicht durchführbar erschienen. In den Kohlen-
bunkern haben amerikanische Aerzte ein Ausströmen von Kohlensäure
beobachtet, Flock erlebte einen Fall von Kohlenoxydvergiftung
(Plumert 13). Direkte Vergiftungen durch aus faulen Beuteln ausge-
laufenes Quecksilber, sowie durch Terpentin werden berichtet, Holz, das
in Brackwasser gelegen hat, soll Malaria ins Schiff gebracht haben etc.
In ähnlicher Art kann der Ballast wirken, wenn er als Sand, Schutt oder
Steintrümmer organische Stoffe enthält. Dazu gesellen sich die Aus-
dünstungen faulenden Proviants, feucht verstauten Tauwerks und die
Kleidungsstücke der Matrosen, die in die beliebte Schiffskiste gestopft,
den engen Schlafraum durchfeuchten und verpesten.
Zu diesen Ursachen von Luftverderbnis kommt dann noch die der
Abluft aus den Lungen und den Beleuchtungsgegen-
ständen, welche außer der Kohlensäure auch Feuchtigkeit abgiebt
und die Temperatur steigert (Turner fand einen Feuchtigkeitsgehalt
der Zwischendecksluft bis zu 95 Proz., und ihn hier stets größer als
im Oberdeck 2). Als besonders unhygienisch muß auch das zur Kon-
servierung in Holzschiffen wohl noch angewandte Verfahren des Salzens
bezeichnet werden, welches darin besteht, daß Salzbeutel in die Spant-
räume gesteckt und gelegentlich angefeuchtet werden (Reincke4).
Alle diese Schädlichkeiten machen sich natürlich in besonderem
Maße geltend, wenn bei schlechtem Wetter Luken und Seitenlichter ge-
schlossen gehalten werden müssen oder bei Windstille und in den Tropen
die natürliche Ventilation versagt, wenn bei Regengüssen und Sturz-
seen oder bei zu häufigem Scheuern das Schiff tagelang nicht trocken
wird. Im weiteren hat man, besonders auf Kriegsschiffen, den verderb-
lichen Einfluß der (eisernen wie hölzernen) Wände dicht geschlossener
Räume auf ihren luftförmigen Inhalt kennen gelernt (Gärtner14).
Dieselben resp. deren Anstrich und darin lagernde Materialien erzeugen
durch Oxydation stinkende Gase und große Mengen von Kohlensäure.
Gärtner fand von letzterer bis zu 51°/00 in den leeren Pulver- und
Granatenkammern der „Sachsen", die Eintretenden wurden rasch von
Asphyxie befallen. In der Kriegsmarine sind besonders der Raum vor
dem Kollisionsschott und die Zellen des Doppelbodens als Kohlensäure-
verließe berüchtigt; sie dürfen nur nach Auslüftung mit dem Hand-
Schiffshygiene. 193
Ventilator und Probe durch Einhängen eines brennenden Lichtes betreten
werden. Auch in den Kesseln, Dampfcylindern und Kondensatoren bilden
sich gefährliche Gase, so daß bei innerer Untersuchung und Reinigung
dieser Teile Vorsicht geboten ist. Seydel15 verlor 2 Matrosen, welche
die mit feuchten Papierballen gefüllte Last (Laderaum) betraten ; er fand
Kohlensäure und Methan und warnt vor feuchter Verstauung stark cellu-
losehaltiger Stoffe. Zahlreiche ähnliche Beispiele finden sich auch bei
Rein cke 4.
Ueber den der Atmung entstammenden Kohlensäuregehalt in den
Wohnräumen, der erwiesenermaßen um so größer ist, je tiefer dieselben
liegen, finden sich spärliche Angaben, indes scheint er selbst bei
schlechtem Wetter und geschlossenen Luken infolge der dann bedeu-
tenderen W'indpressung selten sehr beträchtlich zu werden. In den
Zwischendecks amerikanischer Schiffe wurden Wrerte von 1,0 — 2,7 %0,
bei Windstille in den Arrestzellen und dem Spital der „Sachsen"
5,5 — 6,5 gefunden, Zahlen, die gegenüber den in Kasernen und Schulen
beobachteten (bis zu ll0/0o> Boehr 2) nicht ins Gewicht fallen. Vielleicht
sind verschiedene organische Substanzen der Abluft und Ausdünstung, für
die wir in unserem Geruchssinn und der Kohlensäurebestimmung einen
gewissen Maßstab besitzen , sanitär nicht ohne Bedeutung. Entgegen
den früheren Angaben von Brown-S6quard, Merkel u. A., die
ein alkaloidähnliches Gift in der Ausatmungsluft gefunden hatten, hat
freilich Rauer16 kürzlich gezeigt, daß es sich bei den experimentell
gefundenen Giftwirkungen der Atemluft nur um die der Kohlensäure
gehandelt hat. Wahrscheinlich sind also die in überfüllten oder dauernd
schlecht ventilierten und beleuchteten Räumen auftretenden Krankheits-
erscheinungen ausschließlich darauf, sowie auf Störungen in der Wärme-
regulation durch die physikalischen Verhältnisse der Umgebung zurück-
zuführen. Ganz allgemein ist jedenfalls beobachtet, daß die Personen
der Mannschaft , die überwiegend unter Deck sich aufhalten müssen,
auffallend bleich und kachektisch aussehen.
Daß die Bilschgase direkt gesundheitsschädlich wirken, ist zwar
nicht nachgewiesen und es gehen die Meinungen darüber auseinander.
Jedenfalls aber wirken sie sehr belästigend (als leichte Vergiftungs-
erscheinungen wurden Kopfschmerz, Uebelkeit und Erbrechen beob-
achtet17) und sind als Stoffwechselprodukte zahlloser Mikroorganismen
anzusehen. R i n g e 1 i n g 1 8 fand in dem aus verschiedenen Spanträumen
entnommenen Sodwasser, je nachdem diese mehr von der Ladung oder
durch menschliche Auswurfsstoffe verunreinigt waren, die verschiedensten
Keime und konnte in dem durch Hitze sterilisierten Bilschwasser solche
sowie ganz besonders pathogene mit Erfolg züchten. Er glaubt daher,
daß auch nicht sterilisiertes Sodwasser unter Umständen zu einem gün-
stigen Nährboden für diese oder jene Art sich gestalten kann. Die früher
an durchseuchten, besonders von Flecktyphus und Gelbfieber befallenen
Holzschiffen gemachten Erfahrungen sprechen entschieden dafür, und ist
es bekannt, mit welch energischen Mitteln man dagegen zu Felde zog.
Die teilweise entplankten Schiffe wurden versenkt oder am Strande
den spülenden Wellen ausgesetzt (Submersion und Saborde-
ment 2).
Aus den nicht dicht schließenden oder zum Zweck der Lüftung
ausgehobenen Füllungen verbreiten sich die Gase oft in die Wohnräume,
und ihre Beseitigung durch kleine, im Schandeckel (Fig. 2) angebrachte
Ventile ist eine recht unvollkommene.
194
D. KULENKAMPFF,
Aus dem Vorstehenden ergiebt sich, daß in der Schiffshygiene
Reinlichkeit, Trockenhaltung, Lüftung und die richtige Verteilung der
Räume die Punkte sind, auf welche alles ankommt.
Fig. 2. Schematische Ansicht der Schiffswand zwischen Ober-
und Zwischendeck. 1 Oberdeckbalken, 2 Oberdeckplanken, 3 Zwischendecksstiit2e,
4 Oberdeckwassergang, 5 Reling, 6 Schandeckel (a Ventile), 7 Zwischenspantraum, 8 Beplan-
kung, Aufsenbord), 9 innere Beplankung (Wegerung), 10 Füllungsplanke. (Original-
zeichnung.)
2) Boehr, üeber Schiffsluft, Berlin 1882.
4) Beincke, Deutsche Vierteljahr »sehr. f. off. Gesundheitspfl. 1881.
8) Hansa, Deutsche nautische Zeitschrift (1888 — 1895).
11) Nocht, Die Bekämpfung der Infektionskrankheiten, herausg. von Behring, Leipzig 1893.
12) Unfallverhütung svor 'Schriften der Seeberufsgenossenschaft, Hamburg 1891.
13) Plumert, Gesundheitspflege auf Seeschiffen, Pola 1891.
14) Gärtner, Yentilationsverhältnisse auf der Panzerkorvette Sachsen, Deutsche Vierteljahrs sehr,
f. öffentl. Gesundheitspflege (1888).
15) Seydel, Vierteljahr sehr. f. gerichtl. Medizin (1889).
16) Bauer, Zeitschr. f. Hygiene 15. Bd. Seite 57.
17) Marinesanitätsordnung, Berlin 1893.
18) Bingeling (holländisch), Beitrag zur Kenntnis des Bilschwassers, Amsterdam 1886.
19) Ueber Kohlenladungen und deren Gefahren, aus d. Reichsamt des Innern. Berlin 1889.
Kapitel III.
Die Reinhaltung des Schiffes.
Wichtig ist die gesetzliche Vorschrift einer gründlichen Reinigung
und Lüftung nach jeder Reise; Hamburg schreibt vor, daß Auswanderer
in einem Schiff, welches verdächtige Ladung geführt hatte, nur aufge-
nommen werden dürfen, wenn es mit Sapo viridis gescheuert und drei
Tage lang gelüftet worden ist. Es muß hierbei aber auf die Gefahren
im Gebrauche von Hafenwasser hingewiesen werden, besonders an
Plätzen, wo endemische Krankheiten herrschen. Während der Reise
Schiffshygiene. 195
ist das nasse Scheuem (besonders mit dem nie ganz trocknenden See-
wasser) nur auf dem Oberdeck zu gestatten, im Zwischendeck aber —
zumal bei feuchter Witterung — auf das Aeußerste zu beschränken. An
die Stelle tritt dafür das Auskratzen, Streuen von — heißem — Sand
und die Bearbeitung mit scharfem Besen. Gesetzlich muß der Kapitän
eine tägliche Reinigung mit trockenem Sande veranlassen und über-
wachen (Hamburger Gesetz von 1887). Das in England gebräuchliche
Abreiben mit Sandstein (Dryholystoning) verursacht übermäßige Staub-
bildung. Werden bei der Reinigung des Zwischendecks möglichst alle
Passagiere auf Deck beordert, so ist selbst in den ersten Tagen der
Reise, wo viele seekrank sind, Befriedigendes zu erreichen. Herwig20
fordert allerdings auf Grund eigener Erfahrung zweimalige Reinigung
täglich. Von den beim Seemaune beliebten (feuergefährlichen) Räucher-
ungen und Karbolpulvern ist nichts zu erwarten.
Der Bilschraum muß grundsätzlich möglichst trocken gehalten
werden, er muß gut zugänglich sein und die Büsche darf nicht in die
Ladung dringen können. Ist dies nicht zu erreichen, d. h. also in allen
älteren, stark leckenden (Wasser machenden) und kleineren Holzschiflen,
so muß täglich lenzgepumpt und frisches WTasser eingelassen werden,
während die Wassergänge in den Spanten durch Hin- und Her- ziehen
eines einliegenden Taues oder einer Kette durchgängig erhalten werden.
Sonst muß als Normalverfahren die gänzliche Entleerung durch Hand-
pumpen und Eimer mit nachfolgendem Auskratzen der fettigen Schmiere
mit Schrapern unter Aufgießen einer heißen Sodalösung bezeichnet werden.
Diese Prozeduren sind indes wohl nur im entlöschten Schiff möglich
und bei stark bilschemachenden Holzschiffen, bei solchen unter Dampf,
bei bewegter See und selbst auf Kriegsschiffen, wo die Räume unter
der Maschine und der Wellentunnel sehr schlecht zugänglich sind, nicht
ausführbar. Die Hauptsache bleibt also die Ueberwachung des Kiel-
raumes als eines Schmutzwinkels, Strafvorschriften für fahrlässiges oder
mutwilliges Verunreinigen desselben und gründliche Austrocknung nach
jeder Reise und beim Docken des Schiffes. Letzteres geschieht mit den
Lloyddampfern etwa alle 3 Monate. In der deutschen Kriegsmarine
muß alle 14 Tage desinfiziert werden, für andere Schiffe ist eine wirk-
same Desinfektion wohl nur zu fordern, wenn ansteckende Kranke an
Bord gewesen sind oder wenn dieselben aus einem verseuchten Hafen-
orte zurückkommen.
Von all den zur Desinfektion empfohlenen Mitteln kommen nur Chlor-
zink, Sublimat und Kalk in Frage. Das erstgenannte ist als vorzügliches
Desodorans (1,5 kg Z, chlorat. liquidum, auf 100 cbm Büsche für 14 Tage
zureichend), Sublimat, seit den Untersuchungen von Koch u. Gaffky21
als das einzig zuverlässige Desinfiziens erprobt und bei den meisten
deutschen Staaten vorschriftsmäßig geworden 22. Auf hoher See kann die
Büsche zuerst ausgepumpt und dann das eingelassene Meerwasser mit
Sublimat versetzt werden. Im Hafen wird nicht vorher ausgelenzt, sondern
nach Oeffnung aller Schleusen in den Schotten der einzelnen Abteilungen
die Büsche durch über Deck geführte Schläuche von hinten nach vorn in
den höchstgelegenen Teil des Sodraums gepumpt, und während sie cir-
kuliert, die Sublimatlösung (1:20) eingegossen. Man wendet ein Kilo
Sublimat auf 1000 1 Büsche an. Nach 3—4 Stunden wird mit blankem
Kupfer geprüft ; bildet sich daran nicht in längstens 2 Minuten ein grauer
Belag, so muß Sublimat nachgeschüttet und wiederum gepumpt werden.
Nach 24 Stunden wird gelenzt und frisch eingelassen, was in den nächsten
196 D. KULENKAMPFF,
Tagen noch 3 mal zu geschehen hat, um die Quecksilberreste zu ent-
fernen. Wird in dieser Weise verfahren, so sind nach vielfachen Er-
fahrungen keine Nachteile damit verbunden, auch nicht für das Metall der
Peilrohre und Pumpen , welch letztere nur gründlich gereinigt werden
müssen.
In Hamburg ist seit 1892 für alle aus choleraverdächtigen Häfen
einlaufenden Schüfe die Desinfektion mit Kalk vorgeschrieben 23, die
vom Schiffer auf See vorgenommen wird (es folgt dann Nachprüfung
auf alkalische Reaktion der Büsche), oder aber in Cuxhaven. Höchstens
3 Monate alter gebrannter oder gelöschter Kalk wird zu Milch (1 : 3
Wasser) verarbeitet, diese mit 9 Teilen WTasser verdünnt und einge-
gossen, 40 — 120 1 pro Meter Schiffslänge je nach der Bauart des
Schifies. Nach 12 Stunden darf gelenzt werden. Ebenso sind die
Wasserballast-Tanks zu behandeln; aus verdächtigen Häfen mitgeführtes
Trinkwasser darf nicht undesinfiziert entleert werden.
Die Innenwände eines verseuchten Schiffes werden gleichfalls am
besten durch Bestäuben mit Sublimat (1 %o) desinfiziert (auch von
V a 1 1 i n 2 4 empfohlen), doch ist hierbei Sachkenntnis erforderlich. Auf
einem Lloyddampfer sind hiernach Vergiftungen beobachtet, und Sjöq-
vist25 hat in den Tapeten derart behandelter Zimmer noch nach
1 Jahre bedeutende Mengen von Sublimat nachgewiesen. Beim Lloyd
ist es Gebrauch, jeden mit ansteckenden Kranken belegt gewesenen
Raum frisch mit Oelfarbe zu streichen. Von den früher so beliebten
(feuergefährlichen) Räucherungen mit Schwefel ist nur etwas zu er-
warten, wenn sie in so sachgemäßer energischer Art angestellt werden,
wie vonPottier26 undRaoul27 angegeben; Erhardt28 empfiehlt
sie gleichfalls, noch mehr aber das Ansengen nach Lapparent oder
heißen Dampf.
Sehr beachtenswerte Vorschriften über die Technik der Desinfektion
auf Schiffen giebt Nocht11 auf Grund eingehender Untersuch-
ungen. Nach Forst er und Ringeling29 ist das Bilschwasser
durchaus einem städtischen Kanalwasser ähnlich, welches es oft noch an
verbrennlichen Stoffen und Stickstoffverbindungen übertraf, sodaß es
in manchen Fällen den verunreinigten Füllungen der Fehlböden, wie sie
Emmerich beschrieben, zu vergleichen ist. Neutral, alkalisch oder
auch sauer , enthielt es von 300 bis zu 3 Millionen Keimen im cbc.
In der nicht sterilisierten , bei 23 ° Wärme gehaltenen Büsche fand
Nocht Cholerabacillen manchmal schon nach einer Stunde abgestorben,
andere Male aber erst nach 10 — 14 Tagen; Nicati und Rietsch
konnten solche noch 32 Tage nach der Einfahrt nachweisen. Dun bar30
untersuchte das Busch-, Ballast- und Trinkwasser von mehr als 20 Schiffen,
die aus choleraverdächtigen Häfen kamen oder Erkrankte an Bord
hatten, ohne Vibrionen zu finden. Dagegen fanden sich Bakterienarten,
deren Kolonien auf Gelatine in gewissen Entwickelungsstadien den
Cholerakolonien täuschend ähnlich sahen. Typhusbacillen hielten sich
bis zu 15, die des Milzbrandes bis zu 16 Tagen (Forster und
Ringeling).
Nocht11, der sich gegen den Sublimat seiner Giftigkeit halber
ausspricht, empfiehlt vor allem Kalk. Große Räume für Massentrans-
porte, Fußböden und Treppen sind mit Kalkmilch (1 :4) zu tünchen und
nach 24 Stunden abzuwaschen. Bei der auf großen amerikanischen
Dampfern angewandten Desinfektion aller Räume durch heißen Dampf
dürfte 'ein wirksames Treffen aller Ecken und Winkel kaum zu er-
Schiffshygiene. 197
warten sein. — Die Schwierigkeiten bei der Bilschdesinfektion bestehen
besonders darin, daß es schwer in Cirkulation zu bringen ist, die Pumpen
nur in die tiefsten Stellen führen und an höher gelegenen sich eine
zähe, schwer entfernbare Schlammschicht absetzt. Die durch die Quer-
schotten getrennten einzelnen Compartments stehen in gar keiner
Verbindung miteinander, da entweder gar keine Schleußen in den
Schotten angelegt werden oder diese — falls sie vorhanden — auf
Andrängen der Versicherungs- und Klassifikations- Gesellschaften dauernd
vernietet werden müssen. In denjenigen Schiffen, in welchen die Tanks und
der Schiffsboden eine einzige abgeschlossene Zellenkonstruktion bilden,
münden die beiden, früher beschriebenen seitlichen Bilschräume, welche
flache, muldenförmige Rinnsteine vorstellen, in jedem Compartment in
den sogenannten Brunnen. Es sind dies 1 — 2 m breite Gräben, die der
Höhe des Doppelbodens entsprechend etwa 1 m tief sind und sich quer
durch die ganze Breite des Schiffes erstrecken. Will man also alle
Punkte dieses verzweigten Rinnsales treffen, so muß soviel Flüssigkeit
eingepumpt werden, daß auch die höheren Abteile gefüllt werden. Die
Mengen, welche dazu erforderlich sind und ohne Schaden für die Ladung
eingebracht werden dürfen, sind sehr beträchtliche. Nocht berechnet
für Holzschiffe 40—601 pro Meter Schirislänge, 60—120 bei eisernen
mit einfachem Boden, 30 cbm bei solchen mit Doppelboden (Zellen- oder
Bracketsystem) und Brunnen. Da ein Kalkgehalt von 0,5 Proz. genügt,
um Cholerabacillen in wenigen Stunden zu vernichten , so ist es das
beste, eine etwa 1-proz. Brühe einzugießen nachdem lenzgepumpt ist.
In den keine Ladung führenden Räumen ist es, auch während der
Fahrt, oft möglich, an einzelnen Stellen der Bilschräume die Garnier-
ungen aufzunehmen, sie direkt mit Kalkmilch zu füllen und mit dem
Besen zu bearbeiten. Sehr beachtenswert ist Nocht's Vorschlag, an-
statt der nur an die tiefen Stellen führenden, wenige Centimeter im
Durchmesser haltenden Pumpen und Peilrohre, an den verschiedensten
geeigneten Punkten eigene Einlaufrohre ein für allemal anzulegen. —
Aehnliche Sorgfalt erfordern die Tanks mit Wasserballast, da diese oft
monatelang nicht entleert werden. Dun bar und Nocht fanden in
solchen von aus Calcutta kommenden Schiffen Vibrionen , die von
Cholerabacillen nicht zu unterscheiden waren. — Haben die Tanks eine
nur geringe Höhe, so kann man die Deckel nicht abnehmen, ohne daß
das Wasser ausläuft , auch — da sie ganz voll sind — keinen Kalk
einbringen. Müssen sie also von einem vielleicht durchseuchten Wasser
entleert werden, so bleibt nach N. nichts anderes übrig, als ihr Wasser
nach und nach in den Maschinenbilschraum zu pumpen, wo es gründ-
lich desinfiziert werden kann, ehe es außerbords gelenzt wird. —
Alle Gegenstände, die nicht in der bekannten Weise mit Aus-
kochen oder Desinficientien behandelt werden können , werden auf den
mit einem Dampfkessel versehenen Schiffen in leicht herzustellenden
kastenartigen Apparaten dem strömenden Dampfe ausgesetzt. Nach den
in der deutschen Kriegsmarine giltigen Verordnungen 1 7 wird an irgend
eine Rohrleitung, z. B. auf Deck an die zur Dampfpfeife gehende, ein
Zweigrohr angeschlossen, und als Dunstkasten ein Faß, Badewanne oder
größere Balge benutzt, durch deren nicht ganz dicht schließende,
mit Gewichten beschwerte Deckel das Rohr bis nahe an den Boden
geführt wird. Der Dampf muß im Kessel 1,5 Atmosphären Druck
haben.
>3
198 D. . KULENKAMPFF,
11) Nocht in Behring , Die Bekämpfung der Infektionskrankheiten, Leipzig 1893.
20 Herwig, Ueber Schiffshygiene, Berlin 1878.
21) Koch und Gaffky, Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamt (1886).
22) Anleitung zur Gesundheitspflege an Bord von Kauffahrteischiffen , bearbeitet im Kaiser-
lichen Gesundheitsamt (Gärtner), Berlin 1888.
23) Veröffentlichungen aus d. Kaiserlichen Gesundheitsamt (1888 — 1894).
24) Valiin, Annales d' Hygiene publique, 19. Bd. 19.
25) Sjögvist, Hygienische Rundschau (1893) No. 8.
26) Pottier, Archive de mtdecine navale (1886).
27) Eaoul, ibidem (1885).
28) Erhardt, Disinfection des navires, Montpellier (1888).
29) Forster und Eingeling, Untersuchungen des Bilschwassers, Archiv f. Hygiene (1891)
12. Bd.
30) Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamt 10. Bd. 1. Heft.
31) Karlinsky, Unter der gelben Flagge, Hygienische Rundschau (1894) No 1 u. 2.
Capitel IV.
Die Lüftung des Schiffes.
Die Lüftung des Schiffes ist eine offenbar noch nicht ganz
befriedigend gelöste Aufgabe. Die Schwierigkeiten bestehen besonders
darin, daß die Hauptlufteinlässe (Luken, Oberlichter, Niedergänge) nur
an der einen oberen Fläche sich finden , die Räume unter Deck auf
kleine, oft verschlossen zu haltende Seitenlichter angewiesen sind oder
gar jeder direkten Kommunikation mit der Atmosphäre entbehren.
Gerade in dieser Beziehung stellt die durchgeführte Teilung der
großen Dampfer, besonders aber der Kriegsschiffe in zahlreiche Einzel-
räume einen Rückschritt gegen früher dar. Obwohl der natürlichen
Ventilation im Winde und in der Eigenbewegung des Schiffes bedeu-
tende Hilfsmittel erwachsen, kann also doch auf küustliche und maschi-
nelle nicht verzichtet werden.
Grundsätzlich ist für alle Lüftungsanlagen Folgendes zu ver-
langen :
1) Die Luft darf nicht so kalt und mit solcher Geschwindigkeit
einströmen, daß sie Zuggefühl verursacht. — Als oberste Grenze scheint
für eine etwa 15 ° C warme Luft eine Geschwindigkeit von 1 m pro Se-
kunde gelten zu müssen (Parkes 32 -Bo ehr).
2) Die Absaugung der schlechten Luft muß da stattfinden , wo sie
sich bildet, es müssen andere der Ausströmungsöffnung näher gelegene
Luftzuflüsse ausgeschlossen , also alle Einzelräume für sich ventiliert
werden.
3) Findet Pulsion statt, so ist gleichzeitig für Luftauslässe zu
sorgen , die derart an entgegengesetzte Stellen verteilt sein müssen,
daß die eingetriebene Luft wirklich den Raum durchströmt.
In Deckhäuser, Halbdecks, Ober- und Zwischendeck dringen, selbst
wenn des Seeganges halber ihre Lufteinlässe geschlossen sind, doch
nach den Untersuchungen von Gärtner auf der Sachsen durch Pressung
des Windes immer noch beträchtliche Luftmassen ein. Immer aber ist
die Wirkung des Windes nur dann eine bedeutende, wenn er von vorn
oder seitlich einfällt, während bei achterlichem das Schiff denselben völlig
auslaufen kann, so daß Schwüle im Innern entsteht, besonders in den
Tropen. Der Luftwechsel durch Diffusion (Temperaturunterschiede) ist
nur in kälteren Gegenden von Bedeutung, und ist zu bedenken, daß
bei stärkerer Erwärmung der niedrigen Räume die Kohlensäure, mit
14
Schiffshygiene.
199
dem warmen Strom nach oben gerissen, sich unter der Decke anhäuft.
Mit Recht wird daher vor einem zu hohen Hang der Hängematten ge-
warnt.
Für alle Oeffnungen im Deck, sowie für alle schachtartig in die
Tiefe führenden kommt in Betracht, daß sie — je nach der Lage zum
Winde — zum Teil als Pulsatoren, zum anderen Teil als Aspiratoren
oder Auslässe wirksam sein müssen. Nur im Kessel- und Maschinen-
raum sind in dem großen Oberlicht, dem Schornsteinmantel und den
Feuerstellen sehr wirksame Aspiratoren für immer vorhanden.
Von den schachtartigen Ventilatoren sind zu nennen : Windsegel und
Windsäcke (Fig. 3 a), d. h. von der Takelage durch die Luken herabhängende
Schläuche, die aber nur bei ruhigem Wetter resp. im Hafen eingehängt
Fig. 3. a Windsack, b Propulsorköpfe (Prefsköpfe) mit Jalousieschiebern. (Nach
Reincke, Deutsch. Vierteljschr. f. öffentl. Gesundheitspflege 1881.)
werden können. Als ständig wirksam treten dafür an die Stelle die
dicht im Deck schließenden Ventilationsröhren aus Metall (Propulsor-
köpfe, Fig. 3 b), in großer Anzahl gesondert für die neben und unter-
einander belegenen Räume (auf der Normannia finden sich z. B. deren
78. Busley33). Ihre trompetenförmigen Köpfe werden gegen den
Wind gestellt resp. bei geschlossenen Luken zu einem Teile von ihm
abgedreht, wo dann durch den vorbeistreichenden WTind ihre Saugkraft
erheblich gesteigert wird. Noch mehr wird erreicht in dieser Be-
ziehung durch besondere Hauben (Fig. 4) nach Patent Viehoff -Voss.
Auf Dampfern , wo die Luftströmung als Regel der Fahrrichtung ent-
gegengesetzt ist, mögen die aufnehmenden Ventilatoren vorn, die ab-
saugenden hinten aufgestellt sein. Da die Köpfe aber zu schwer sind,
um sich gleich Windfahnen automatisch zu drehen (eine Einrichtung,
J5
200
D. KULENKAMPFF,
die ja überhaupt — weil leicht versagend — wenig empfehlenswert ist),
so müssen sie mit Ueberlegung eingestellt werden, um so mehr als jede
Aenderung in der Windrichtung das Verhältnis zwischen Ein- und Aus-
strömung verändern wird. Die kolossalen Köpfe der Kesselraumventi-
latoren werden durch Maschinenkraft gedreht. Um die Belästigung
durch Kälte und Zug zu vermeiden und eine wirkliche LuftverdräDgung
im Räume zu erzielen , hat man die Rohre bis nahe an den Fußboden
geführt, sie oben und unten mit seitlichen Oeffnungen und zwischen-
liegenden Klappen oder mit cylindrischen Jalousieschiebern versehen
Fig. 4. Saugköpfe nach Patent Viehoff-Voss,
f. öffentl. Gesundheitspfl. 1881.
Nach Reincke, Viertelj.
(Fig. 3 b) oder ihre Enden sich trichterförmig erweitern oder in viele
kleinere Röhren auflösen lassen. Schräg vor die Ausmündung gestellte
Bretter oder Drahtnetze brechen den Luftstrom in ähnlicher Weise und
wirken dem Aufwirbeln von Staub entgegen. Die Menge der ein-
strömenden Luft bestimmt sich durch den Querschnitt der Rohre und
die Schnelligkeit des Luftstroms, welch letzterer von der des Windes,
der Bewegung des Schiffes und dem Einfallswinkel abhängig ist.
Herwig berechnet, daß bei einem aus diesen 3 Faktoren resultieren-
den Luftstrome von 14 km pro Stunde ein Zuführungsventilator von
48 cm Durchmesser für 100 Personen genügen dürfte. Bei geringerer
Windstärke ist das Bedürfnis auch geringer, da dann ein Teil der
Passagiere auf Deck zu sein pflegt. Das Hamburger Gesetz bestimmt,
daß für jede Abteilung, die bis zu 100 Personen enthält, ein Ein- und
ein Auslaßrohr von je 30 cm vorgesehen sein muß. Sehr wichtig für
die Verbreitung der Luft durch die verschiedenen Räume sind die auf
Schiffen gebräuchlichen durchbrochenen Wände, die jalousieartig mit
Gittern oder ganz abstellbaren Schiebern versehen sind.
Im allgemeinen sind die dem Winde zunächstgelegenen Rohre als
Einlasse zu benutzen, schon weil hierdurch Dünste aus dem Schifie, Rauch,
Gerüche aus der Kombüse und aus Viehställen oder gar die Abluft eines
anderen Ventilators von ihnen abgehalten werden. Dem vielfach angenom-
menen Vorschlage von Pearse20, die luw-(Wind-)wärts gelegenen Rohre
vom Winde abzudrehen, liegt nur die richtige Beobachtung zu Grunde,
daß bei nicht vollständig geschlossenen Luken die schlechteste Luft sich
in dem Ende des Schiffes anhäuft, das dem Winde zunächst gelegen ist.
Während Pearse 20 daraus schließt, daß unter Deck sich der Luftstrom
der jedesmaligen Windrichtung entgegengesetzt bewege, wofür der Beweis
wohl nur durch Untersuchung bei geschlossenen Luken erbracht werden
könnte, dürfte die richtige Deutung vielmehr die sein, daß es sich um
eine Anhäufung der Luft in todten Ecken des dem Winde zunächst
liegenden Schiffsendes handelt, die vermieden wird, wenn man eben hier
16
Schiffshygiene.
201
einen Einlaß anbringt, so daß der Ventilationsstrom im Schiffe in der-
selben Richtung läuft wie der Wind oder Zug draußen. Bei trockenem,
nicht allzu windigem Wetter werden die mit Thüren nach 2 Seiten
oder Dachreitern versehenen Deckhäuser, je nachdem sie auf einer Seite
geöffnet oder geschlossen werden als Aspiratoren oder Pulsoren ver-
wendet. Um von der Seite, auch in tiefer gelegenen Räume und
bei schlechtem Wetter dauernd Luft einzuführen , hat sich die Ver-
wendung der Utleypatentfenster sehr bewährt (Fig. 5), bei denen ein
Korkschwimmer der einlaufenden Welle den
Weg verlegt und ihn nach Abfluß des Wassers
der Luft wieder zugängig macht, Aehnliche
Ventilatoren sind von Utley auch für die
Poller und Bettinge*) konstruiert worden. Die-
selben , 40—50 auf einem Schiffsdeck, haben
sich sehr bewährt. Es ist das um so wichtiger,
als alle freien Oeffnungen auf Deck, selbst
wenn sie, wie es beim Lloyd Vorschrift ist,
mindestens 1,8 m hoch liegen , gelegentlich
durch Wellen überflutet werden. Auf dem
Dampfer Spree geschah es sogar, daß eine be-
deutende Wassermenge durch den Schornstein-
mantel in den Kesselraum geschleudert wurde 34.
Sehr gerühmt werden auch die Ventilatoren
nach B o y 1 e , bei denen etwa eindringendes
Wasser durch besondere W'ege oberhalb des
Decks wieder abläuft, und welche in allen Stel-
lungen funktionieren, also nicht gedreht zu
werden brauchen.
Bei großer Windstille und in den Tropen
läßt sich durch Einsetzen von Blechrinnen in
die Seitenfenster ein vermehrtes Eindringen
der durch die Dampferbewegung verursachten
Zugluft erzielen.
Als Aspiratoren durch Temperaturdiffe-
renzen oder die saugende Kraft des Windes
werden ferner die hohlen eisernen Masten mit
aufgesetzter Kappe benutzt oder viereckige
Schachte, die durch die Ladung bis in den
Sodraum reichen , senkrechte Luftkanäle in
die Spantzwischenräume selbst.
Fig. 5. Utley 's Pa-
tent-Fenster, a äufsere
Schiffswand, b Glasfenster, c
Korkschwimmer. (Origi-
nalzeichnung.)
den Bordwänden und
Wichtig ist es aber, alle Absauger
bis etliche Meter über Deck hoch zu führen und mit Verschlußeinrich-
tungen zu versehen, da sie sonst — wie durch Beispiele erwiesen
(Boehr2) — bei ausbrechendem Feuer als lebhaft ziehen deSchorn
steine wirken können. In den Tropen, bei Windstille, besonders
aber auf großen Dampfern und Kriegsschiffen mit vielen abgeschlossenen
Compartments und Querschotten, deren Zweck nicht gestattet, sie durch
Kanäle zu durchbrechen, müssen kompliziertere Vorkehrungen getroffen
werden, um Temperatur und Kohlensäuregehalt der Luft zu mindern.
Bei Fahrten im Mittelmeer wurden in den Pulverkammern französischer
Schiffe z. B. Temperaturen bis zu 75° C beobachtet, so daß — da das
*) Es sind dies kurze, über Deck ragende Säulen , die zur Befestigung von Tauen
und Ketten dienen.
'7
202
D. KULENKAMPFF,
moderne französische Pulver sich schon bei 64° zu zersetzen beginnt
— besondere Kühlvorrichtungen nötig wurden. Endlich wird die Saug-
kraft der Kanäle durch Erwärmung von den Kesseln, der Kombüse oder
durch Kaloriferen gesteigert und recht wirksam sind auch im Schornstein-
mantel hochgezogene Röhren. Indem E d m o n d s schon 1865 die Spant-
zwischenräume durch unter den einzelnen Decks verlaufende Sammel-
rohre in derartige Schlote entlüftete, schuf er eine Anlage, die sich
auf den Dampfern der ostindischen Kompagnie sehr bewährte (Boehr a).
Kehrt sich in einem Teil der Schlote, etwa durch veränderte Wind-
richtung, der Luftstrom um, so wirken diese im Sinne von Pulsoren.
Dies System hat sich in seiner später von Bert in verbesserten Form
auf zahlreichen Schiffen bewährt, da es ständig, weil automatisch wirkt
und höchstens bei zu geringen Temperaturdifferenzen eine Heizung durch
eigene Kaloriferen erforderlich ist.
Ganz unabhängig von Wind und Wetter arbeiten endlich die Tur-
binen, Centrifugalräder und Propeller. Ein für Segelschiffe (bei Wind-
stille) sehr brauchbarer Apparat (nach Arnott) mit Handbetrieb, den
jeder Schiffszimmer-
mann leicht herstellen
kann, findet sich bei
Herwig abgebildet
(Fig. 6). Beträgt die
Weite des Rohres 1,22
m, seine Länge 1,83 m,
so werden bei jedem
Stoß 2,7 cbm Luft ge-
fördert. Burton-
Brown35 sah vor-
treffliche Wirkungen
von einer ähnlich ex-
temporierten Vorrich-
tung, einem Flügelrade,
das zwischen einem
Windsacke und dem
in den Schiffsraum
führenden Schlauch
eingeschaltet war und
von einem Manne ge-
trieben werden konnte.
Die eigentlichen
Ventilationsma-
schine n sind nur auf
Panzerschiffen, sowie auf großen Auswanderer- und Vieh-Transportdampfern
in Gebrauch und wirken meist durch Aspiration, da in der Regel durch
Luken oder besondere Rohre ein genügendes Einströmen frischer Luft
stattfindet. Pulsion ist nur da geboten, wo es an aspirierenden
Vorrichtungen fehlt oder wo die Räume so dicht von der Außenluft
abgeschlossen sind , daß ein Nachströmen auf dem Wege der natür-
lichen Ventilation nicht möglich ist. Als besonders wirksam wird das
Roots'sche Gebläse bezeichnet (Fig. 7), bei dem sich, durch Stirnräder
getrieben, 2 Kapselräder (biskuitförmige Backen) nach entgegengesetzten
Richtungen, gewissermaßen ineinander, in einer Trommel bewegen.
Der Zahn des einen Rades greift in die Lücke des anderen ein und
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Fig. 6. Einfacher Pulsionsventilator nach Herwig20.
Mit Wacbstaffet- Klappen verhangene Oeffnungen (a, a).
Der Kolben bewegt sich nach links, die Klappen bei a a
schliefsen sich.
.8
Schiffshygiene.
203
dadurch wird ein nahezu dichter Abschluß zwischen der unteren Saug-
öffnung (6) und der Drucköffnung (a) hergestellt. Da außerdem die
Ränder der Zähne auch gegen den Umfang der Trommel beinahe dicht
schließen, so nimmt (m) die Luft der Kammer I von unten mit und
entläßt sie durch die Oeffnung a. Rad n steht in Saugstellung, um
bald die Luft der Kammer II völlig abzuschließen und gegen a zu be-
wegen, während aus Kammer III die Luftmenge nach a abströmt,
welche das Rad n' eine halbe Umdrehung früher unten angesaugt hatte.
Da die Räder bis zu 1500 Umdrehungen per Minute machen können,
so ist die Wirkung eine sehr bedeutende. Bei Handbetrieb vermochten
in den Versuchen Gärtner' s14 auf der Sachsen 10 Mann nur 90
Drehungen unter großer Anstrengung zu erzielen.
Daran schließen sich die Centrifugalventilatoren der verschie-
densten Art. Sie werden mittels Riemenübertragung in Betrieb gesetzt oder
als transportable Handventilatoren gebraucht. Fig. 8 läßt die Konstruktion
Fig. 7. Roots Gebläse. Nach B u s 1 e y
treiben, sind in der Zeichnung nicht angegeben.
Fig. 8. Centrifugalventilator. Nach B u s 1 e y
Fig. 8.
Die Stirnräder, welche die Kapselräder
des wichtigen Teiles dieser Maschine, die Centrifuge, leicht erkennen.
Die Luft tritt an der Achse ein, wird nach dem Umfange hin geschleu-
dert und von hier durch den Druckschlauch fortgeleitet. Vielfach in
Gebrauch sind endlich Flügelschrauben
von der einfachen Konstruktion wie die
in Fig. 9 gezeichnete. Nach Boehr
sollen auf New -Yorker Dampfern der-
artige Propeller in Gebrauch sein, die
bis zu 5000 cbm Luft in der Minute aus-
pumpen können.
Es leuchtet ein, daß alle diese Ap-
parate als Aspiratoren oder Pulsoren be-
nutzt werden können je nachdem man das v *•;£"£;? '££ "L
Saugrohr mit der Außenluft oder aber mit Treibriemen an. (Original -
dem Innerndes Schiffes in Verbindung setzt. Zeichnung.)
'9
204
D. KULENKAMPFF,
Endlich ist noch der Turbinen-Ventilator (Aerophor, siehe die Ab-
bild. 70 beiBusley36) von Treutier und Schwarz zu erwähnen.
Derselbe besteht aus einem Ventilator, der durch Strahlrohre, die auf
gezahnte Räder einen Wasser- oder Dampfstrahl treiben, in äußerst
rasche Drehung versetzt wird, und ist die Arbeitsleistung hierbei größer
als bei direktem Maschinenbetrieb. Je nach der Größe des Apparates
— der in 4 Sorten angefertigt wird — fördert derselbe 1800—7200 cbm
in der Stunde. Seine Vorzüge bestehen in der geringen erforderlichen
Betriebskraft und den geringen Reibungswiderständen der geförderten
Luft; eine Pferdestärke vermag 3 Apparate, also in der Stunde
d - d
Komprimierte
Luft.
Frische Luft.
Fig. 10. Körtings Pulsionsventilator nach Busley"6. Besteht aus 4 in-
einandersteckenden Düsen, deren Zwischenräume mit dem oberen Ende des Ventilations-
rohrs kommunizieren. Fig. 10 o zeigt die Anordnung im Rohre; c ist das Zuleitungs-
rohr von der Luftpumpe, d das Verdeck.
21000 cbm Luft zu bewältigen. — Stellt man den Ventilator auf Pul-
sion ein und läßt Karbollösung auf einen am Rotationsrade befindlichen
Schwamm tröpfeln, so soll der Aerophor zur Desinfektion dienen ! Offen-
bar eine Spielerei.
Ein innerhalb eines Ventilatiousrohres durch eine feine Oeffnung
austretender Dampfstrahl wirkt durch Mitreißen der Luft stark aspi-
rierend auf die ruhende Luftschicht des Rohres, und lassen sich so
Apparate (Ejektoren) konstruieren, die im Sinne der Pulsion oder Aspi-
ration wirken (Körting1 s Pulsionsventilator, Fig. 10). Soll Pulsion
stattfinden, so ist statt des Dampfstrahles ein solcher von komprimierter
Luft anzuwenden, weil im ersten Falle ja der ganze Betriebsdampf mit
in den zu ventilierenden Raum dringen würde.
Das von Green erfundene System, bei dem durch Pumpen ge-
preßte Luft in dünnen Röhren durch das Schiff geleitet wird, um, aus
Schiffshygiene.
205
kegelförmigen Spitzen in weitere Röhren ausströmend, in diesen die Luft
in Bewegung zu setzen, hat sich auf englischen und deutschen Schiften
nicht bewährt. Teils war die entstehende Zugluft zu störend, teils
wurde der Zweck durch mitgerissene Kohlen- und Staubteilchen gänz-
lich vereitelt (Haak84). Eingehende Beschreibungen und Abbildungen
der verschiedensten Ventilationstinrichtungen, wie sie in der englischen
Marine gebräuchlich sind, finden sich bei Macdonald6.
Zieht man das Endergebnis aller bisher erreichten Erfolge, so
scheint es, als ob die großen Passagierdampfer — wie die des Lloyd
z. B. — durch Seitenlichter, Luken, Niedergänge und Metallrohre eine ge-
nügende Lüftung erfahren ; für einzelne Räume und unter besonders
ungünstigen Verhältnissen (Tropen , Windstille) werden für diese und
für Segelschiffe transportable und Handventilatoren hinzuzufügen sein.
Am schwierigsten liegen die Dinge für Kriegsschiffe, Panzerschiffe,
niedrigbordige Monitors und Torpedoboote, wo ein Zusammenwirken der
verschiedensten Systeme erforderlich sein kann, um in allen, auch in den
tief unter der Wasserlinie gelegenen und der Lüftung dringend bedürf-
tigen Räumen einen einigermaßen genügenden Luftwechsel zu erzeugen.
Weiteres über Ventilation und Ventilationsapparate siehe in Bd. IV
237 ff. und in Bd. VIII Seite 179.
Zu den Apparaten, die geeignet sind, einer Verunreinigung der Schiffs-
atmosphäre vorzubeugen, gehören endlich noch die Asche-Ej ektoren.
Früher wurde die Asche der Kesselräume innerhalb eines Schachtes in
Eimern auf Deck gehißt und dann über Bord beseitigt, wobei eine Ver-
stäubung des Decks natürlich in bedeutendem Maße stattfand. Die
Ejektoren beseitigen dieselbe direkt (Fig. 11). Die Duplexpumpe treibt
x*/*vp lecco*tvn«n!
Fig. 11. Originalzeichnung.
Handbuch der Hygiene. Bd. VT.
14
206
D. KULENKAMPFF,
durch das Rohr (6) einen Wasserstrahl unter 12 Atmosphären Druck,
der etwa bei (*) aus einer Düse in das etwas weitere Aschendruckrohr
austretend, eine stark saugende Wirkung auf den Inhalt des Einschütt-
trichters ausübt und alles mit fortreißt. Der Trichter ist durch ein
Drahtgeflecht überdeckt, welches alle Asche und bis faustdicke Schlacken
durchfallen läßt.
6) Macdonald, Outlines of naval hygiene, London 1881.
14) Gärtner, Deutsche Vierteljahr sschr. f öffentl. Gesundheitspß. (1888).
20) Herwig, Ueber Schiffshygiene. Berlin 1878.
32) Parkes, A manual of practical hygiene, London 1878.
33) Busley, Die neueren Schnelldampfer, Kiel 1885.
34) Haack, Hygienische Rundschau (1891) No. 8 u. 9.
35) Burton-Brown, Revue d' Hygüne (1891).
36) Busley, Die Schiffsmaschine, Kiel 1885.
37) Gärtner, Leitfaden der Hygiene, Berlin 1892.
Kapitel V.
Die Wohnräume des Schiffes und die sanitäre TJeherwachung
seiner Bewohner.
Die Größe und Anordnung der Wohnräume des Schiffes
ist entweder gesetzlich vorgeschrieben oder durch verbesserte Kon-
struktion so gestaltet, daß billigen hygienischen Anforderungen Genüge
geschieht. Die Verhältnisse der 1. und 2. Kajüte mit ihren Salons
und Gängen sind auf den überseeischen Dampfern vorzügliche; das
Logis — der Raum für die Mannschaft — befindet sich auf Segel-
schiffen ganz über Deck in einem eigenen Deckhause, auf Dampfern
unter der Back oder — nicht ganz so günstig — unter dem Oberdeck
(Fig. 12). Der in England und Deutschland vorgeschriebene Luftraum
Fig. 12. Schema eines Lloyddampfers mit Promenaden- und
Sonnendeck. (Originalzeichnung.)
1 Sonnendeck,
2 Promenadendeck,
3 Oberdeck,
4 Hauptdeck,
5 Zwischendeck,
*5 Doppelboden,
7 Wellentunnel,
8 Kohlenbunker,
a Erste Kajüte u. Offiziere,
b Zweite Kajüte (Poop),
c Logis (Back;,
d Hospital,
e Ladung (Last),
n Proviant.
Räume für Auswanderer sind
die über dem Hauptdeck
(4) und die über dem
Zwischendeck (5) gelege-
nen. Die dreistelligen Zah-
len geben den Kubikin-
halt an.
von 2,13 cbm bei mindestens 1,11 qm Bodenfläche kann insofern für
genügend angesehen werden, als das Logis fast nur zum Schlafen be-
nutzt wird und ja immer die Hälfte der Mannschaft zur Wache ist.
Die energischen Proteste englischer Aerzte auf dem internationalen
Schiffshygiene. 207
Kongresse für Hygiene in London 1891 gegen „derartige Wohnräume
von Sarggröße" sind wohl kaum berechtigt, zumal zugegeben wurde,
daß die meisten Rheder mehr als vorgeschrieben gewährten. Die Ge-
sundheitsverhältnisse der Matrosen scheinen immerhin keine schlechten
zu sein, wie aus den im 1. Kapitel (S. 187 ff.) angeführten Zahlen ersichtlich
ist. — Viel wichtiger dürfte es sein, auf die Art der inneren Einrichtung
einzuwirken, also anstatt der dichten, nur mit einem kleinen Einkriech-
loch (womöglich noch durch eine Gardine gedichtet) versehenen Holz-
koien solche in Eisenkonstruktion und in höchstens 2 Reihen übereinander
zu verlangen, für die Aufbewahrung des oft durchnäßten Zeuges schrank-
ähnliche Abkleidungen mit Drahtgittern und Tropfrinnen darunter, wie
schon von Mericourt gefordert. Finden sich zwischen Wohn- und
Ladungsräumen Luken, so ist auf gute Dichtung durch Gummieinlagen
oder andere dichte Packung zu sehen.
Nocht8, der bei etwa 100 Schiffen Messungen anstellen ließ, fand,
daß durchschnittlich das Logis für den Einzelnen — bei voller Be-
mannung — einen Luftraum von 3,5 cbm gewährte, also erheblich
mehr als das englische und deutsche Minimalmaß. Auch er findet die
Gefahren, welche aus dem Logis erwachsen können, weniger in dessen
Größe resp. Kleinheit belegen, als in der Einrichtung desselben und
mangelnder Reinlichkeit. Es ist dies offenbar ein Punkt, auf den
bezüglich der Tuberkulose noch mehr als bisher auf Schiffen Wert ge-
legt werden muß.
Bezüglich der sanitären Verhältnisse des Z wischend eck s ist in
erster Linie dessen Lage entscheidend. Da auf diesen Raum die oft
1000 und mehr Köpfe ausmachende Zahl der Auswanderer angewiesen
ist, so kommt hier alles auf eine möglichst direkte Kommunikation mit
der Atmosphäre an. England und Amerika fordern für das „obere
Passagierdeck" 2,5 bis 3, für das untere 3 bis 4 cbm Luftraum. Als
Zwischendeck wird nun zwar stets der Raum bezeichnet, der unmittelbar
unter dem Hauptdeck belegen ist (siehe Fig. 12), da aber in den Namen
der verschiedenen Räume nicht immer genau unterschieden wird, auch
kaum ein Ausdruck zu finden ist, der nicht durch neue Aenderungen in
der Konstruktion hinfällig werden könnte (für die Bezeichnung der ver-
schiedenen Decks ist technisch die Lage des „Konstruktionsdecks" maß-
gebend), so ist im Hamburger Gesetz von 1887 sowie in Bremen be-
stimmt, daß die Räume für Zwischendeckspassagiere mit ausreichendem
Tageslicht versehen sein müssen. Dieses muß „den Anordnungen der
Besichtiger entsprechend durch Deckgläser oder Seitenfenster eingeführt
werden" und „hat das Schiff mehrere Decke, so darf das unterste zur
Aufnahme von Passagieren nicht benutzt werden". Hiernach wäre das
in Amerika zulässige second deck below the main deck ausgeschlossen
(Fig. 12). Uebrigens sind in manchen der für Auswanderer speziell ge-
bauten Lloydschiffe auch die Hauptdecks vollständig für „Zwischen-
decker" eingerichtet. Nicht unwichtig ist ferner, daß in dem Räume
unmittelbar unter dem obersten Deck, falls es von Eisen ist, Passagiere
nur logiert werden dürfen, wenn es mit einem verbolzten hölzernen
Schutzdeck von 7 cm Dicke versehen ist. Vieh darf oberhalb der für
Passagiere bestimmten Räume nicht transportiert werden. — Während
aun die Schiffe der deutschen Kriegsmarine (für welche weder in
Deutschland noch in anderen Ländern gesetzliche Vorschriften bestehen)
je nach der Lage der verschiedenen Abteilungen pro Kopf einen Luft-
raum von 3,9 — 5,3 cbm gewähren, so ist dieser übereinstimmend mit
14*
23
208 D. KULENKAMPFF,
dem amerikanischen Gesetz von 1882 in Hamburg und Bremen für
Passagierdampfer auf 2,85 cbm normiert, ausschließlich Ladung, Gepäck
und Proviant berechnet. Die Angabe von Wem ich und Webmer88,
die Bremer Schiffe „wirtschafteten" noch mit 1,75 cbm, ist seit 1891 un-
richtig. (S. Bremer Gesetzblatt 1891 No. 3.) Bedeutsam ist hierbei, daß als
Mindestbetrag eine Höhe von 1,83 m festgesetzt ist, und eine mehr als
2,4 m betragende Raumhöhe nicht gerechnet wird. Leider zählen dabei
2 Kinder unter 10 Jahren für einen Erwachsenen (in Amerika 2 unter
8 Jahren) und solche unter 1 Jahre gar nicht. Auf Deck muß für
jeden Zwischendeckspassagier ein Raum von mindestens 0,25 qm zur
Benutzung frei bleiben, ein offenbar viel zu geringes Maß. In Eng-
land werden 0,45 gefordert. Alle diese Bestimmungen sind auf ihre
Ausführung von den Besichtigern zu überwachen und ist die Zahl der
zulässigen Passagiere in den Räumen anzuschlagen.
Gesetzlich 3 9 sind die Familien , die allein reisenden Männer und
Frauenzimmer im Alter über 10 Jahren in 3 völlig getrennten Abteil-
ungen unterzubringen. Diese sind an und für sich durch die eisernen
Querschotten vorgezeichnet, da aber die Verhältniszahlen auf jeder
Reise wechseln, so werden innerhalb der Compartments Unterabteilungen
durch hölzerne Scheidewände hergestellt. Die Schwierigkeiten , die
hieraus den auf die ursprüngliche Abtrennung berechneten Ventilations-
anlagen erwachsen , werden einigermaßen dadurch umgangen , daß die
Scheerwäude nur bis auf einen Abstand von etwa 30 cm unter der
Decke hochgeführt werden. Da offenbar eine besondere Abteilung für
alleinreisende Frauenzimmer mit gewissen moralischen Gefahren ver-
bunden ist, so wird für diese nach Hamburger Gesetz eine „Matrone"
(eventuell aus den Passagieren selbst gewählt) angestellt, welche dort
zu nächtigen hat, und die zur Aufrechterhaltung der Ordnung und jeder
Hilfeleistung verpflichtet ist. Eine treffliche Neuerung ist die Zulassung
von „Kammern" im Zwischendeck, die für höchstens 16 Personen längs
der Schiffsaußenwand gelegen und durch einen mit ausreichendem Tages-
licht versehenen Raum in der Mitte getrennt, für größere Familien und
Verwandtentrupps sehr geeignet sind. Die mittlere dient dann als
Tagesraum. —
Die Koien, ohne Ausnahme aus Eisen mit Rahmen aus flachen
Blechgurten, dürfen in höchstens 2 Reihen übereinander liegen, müssen
0,15 m vom Boden, 0,75 von der Decke entfernt sein und eine Länge
von 1,83, eine Breite von 0,6 m haben. Die Gänge zwischen ihnen
sind 0,6 m breit. Jede darf mit höchstens 1 Person oder 2 Kindern
belegt werden. Dadurch, daß für jede Reise ein Strohsack nebst Kopf-
stück vom Rheder neu zu liefern ist, wird der Einschleppung von
Schmutz und Infektionsstoffen durch die Auswanderer sehr wirksam
vorgebeugt. Die Anordnung der Koien innerhalb des Zwischendecks
ist auf den verschiedenen Schiffen nicht die gleiche; am günstigsten
erscheint es, wenn ein Gang an den beiden Außenwänden des Schiffes
ausgespart wird, da hierbei die Spantzwischenräume und die dort be-
legenen Wassergänge der Reinigung besser zugängig bleiben. Eine
Erwärmung des Z wischen decks findet an kälteren Tagen durch
einen Heizkörper mittelst Dampf statt. Für die Beleuchtung sind
elektrische Glühlampen vorhanden.
Ueber die Art und Einrichtung der Aborte bestehen für Handels-
schiffe nur sehr allgemein gehaltene Bestimmungen, und waren die Ein-
richtungen früher ungemein primitive, resp. fehlten gänzlich. Auf
24
Schiffshygiene. 20!)
Passagierschiffen müssen gesetzlich nach den Geschlechtern getrennte,
womöglich auf die beiden Schiffsseiten so verteilte Aborte vorhanden
sein (stets auf Deck), daß sie von den einzelnen Zwischendecksausgängen
auf möglichst kurzem resp. geschütztem Wege zu erreichen sind.
Während England 3 Klosetts für 200 Personen verlangt und in „ange-
messenem" Verhältnis gesonderte für Frauen und Kinder, so müssen
nach deutschem Gesetz mindestens 2, bei über 100 Personen, für je
50 ein Abort mehr vorhanden sein. Dieselben liegen, da im Zwischen-
deck keine gestattet sind , in den Halbdecks an den Gängen , haben
Cementfußboden (auf den großen Dampfern) , ein bis zur durchschnitt-
lichen Wasserlinie reichendes Fallrohr und werden durch Kühlwasser
aus dem Kondensator oder aus besonderen Seewasserreservoirs gespült.
Bezüglich der Konstruktion der Wasserklosetts, insbesondere der mit
vielen Sitzlöchern, wie sie auf Auswanderer- und Kriegsschulen erfor-
derlich sind, hat Nocht40 sehr detaillierte und zutreffende Vorschriften
aufgestellt. Die wichtigsten Punkte sind, das Fallrohr in möglichst ge-
rader Linie abwärts zu führen, es gegen den Trichter durch ein Ventil
abzuschließen und unterhalb des letzteren ein Entlüftungsrohr anzu-
bringen , da beim Aufdrängen der Wellen im Fallrohr die Luft stark
emporgetrieben und komprimiert wird. Bewährt haben sich Tröge aus
verzinntem Kupferblech, die innen alle 8 Tage mit Teerfirnis (der in
2 Stunden trocknet) gestrichen werden, darüber ein aufklappbares Sitz-
brett, in das eine Anzahl Brillenlöcher eingeschnitten sind. Jeder Trog
hat nur ein Fallrohr, von seinem tiefsten Punkte ausgehend. Im Troge
muß eine kleine Wassermenge stehen (etwa 20 cm hoch) und wird dann
1 — 1 1/2-stündlich das Ventil ausgehoben und durch eine eigene Pumpe
gründlich gespült. Auf Passagierdampfern bereitet die Anlage des
Klosetts am Oberdeck in den Gängen keine Schwierigkeiten, auf Kriegs-
schiffen werden dieselben jetzt vielfach in eigenen, außerbords gelegenen
Häuschen angebracht, die von einer frei über dem Wasser heraus-
ragenden Plattform aus zugänglich sind , sodaß sie also eigentlich mit
dem Schiffsraum selbst kaum in Verbindung stehen. Für die Aborte,
welche im Innern des Schiffes liegen (für Offiziere , Kajütspassagiere,
für das Hospital) sind nur die besten Wasserklosettkonstruktionen
brauchbar : Rundspülung, Entlüftungsrohr, Abschluß des Trichters durch
einen Hahn , da alle Klappen- nnd Feder Vorrichtungen unsicher sind,
gesonderte Abfallrohre, in die keine anderen (von Ausgüssen etc.) mün-
den, da diese ja als Entlüftungsrohre wirkend, die Luft verunreinigen
würden. Nach Nocht hat sich in der Marine das Boerner'sche
Patentklosett bewährt. Ein dem Hospital direkt anliegendes Klosett
bedarf besonderer Beaufsichtigung und darf nur von den Schwerkranken
benutzt werden. Selbstverständlich müssen alle Klosetts, wenn irgend
thunlich , nicht unter der Wasserlinie oder nahe derselben angebracht
sein, da sonst bei nicht ganz dichtem Verschluß Wrasser in den Raum
eindringen kann. Läßt es sich nicht vermeiden, sie so tief zu legen,
so muß das Fallrohr über die Wasserlinie hoch geführt und dann ab-
wärts gebogen erst durch die Schiffswand gelegt werden. Eine Saug-
und Druckpumpe treibt die Fäkalien hindurch und besorgt die Spülung,
bei einem von der Firma Börneru. Co. und Henneberg hergestellten
in sehr einfacher Weise durch einmalige Hin- und Herbewegung eines
langen Hebels (Haack 34). — Für Pissoirs gelten ähnliche Grundsätze,
die Wichtigkeit derselben ist eine bedeutende, da bei öfterer Benutzung
210 D. KÜLENKAMPFF,
der Nachttöpfe die Luft in den engen Kabinen, besonders bei warmer
Witterung, hochgradig verschlechtert wird.
Was die Hautpflege anlangt, so scheint hierfür auf der Han-
delsmarine noch zu wenig zu geschehen. Und doch ist dieselbe gerade
bei Seeleuten besonders wichtig, da Ausschläge — besonders in den
Tropen — Eiterbeulen und Hautentzündungen bei ihnen besonders
häufig sind. Es ist also vor allem auf reichlichere Beschaffung süßen
Wassers zu dringen , und es nicht bei ganz allgemeinen Vorschriften
für den Kapitän, hierauf achten zu müssen, zu belassen. Da Wannen-
bäder wegen der großen erforderlichen Wassermengen nicht in Frage
kommen, zumal wenn es nicht gestattet sein soll, daß mehrere Personen
nach einander dasselbe Wasser benutzen, so kann es sich nur um die
Errichtung von Regenbädern handeln. Das Wasser wird mittelst Pumpe
(aus Tanks oder auch direkt aus dem Meere bei mangelndem süßen)
beschafft und kann durch Vermischung mit Dampf erwärmt werden,
indem WTasser- und Dampfrohr sich an der Decke des Raumes ver-
einigen und die Zuflußmengen durch ein eingelassenes Thermometer
reguliert werden (Nocht). Kaltes Wasser ist in erster Linie nur zur
Abkühlung in den Tropen (gegen Hitzschlag und Sonnenstich) brauch-
bar, es kann dann ein Brausekopf an den Pumpenschlauch geschraubt
werden, oder man füllt hoch aufgehängte Fässer damit, deren unterer
Boden aus durchlöchertem Segeltuch gebildet ist. Auf den großen Aus-
wandererdampfern finden sich gut eingerichtete Bade- und Waschhäuser
mit cementiertem Fußboden und Kippbecken aus Blech, und erhalten
die Auswanderer (Kondensations-) Wasser nach Bedarf.
Auf der deutschen Marine finden sich Badeeinrichtungen im
Zwischendeck in der Nähe der Maschine, mit Einzel wannen aus Zink,
die mit Seewasser gefüllt und durch Dampf erwärmt werden ; auf
einigen Schiffen dagegen große Zinkkasten oder mit Blei ausgeschlagene
Baderäume, in denen 15 Mann gleichzeitig abgebraust werden können.
Nocht berechnet, daß sich auf diese Weise 300 Mann in 2 Stunden
mit einem Wasserverbrauch von 45001 reinigen lassen. Da außerdem
an Gebrauchs wasser in der Marine pro Kopf 6 1 auf den Tag vorge-
schrieben sind, so ist die Größe der Destillierapparate dementsprechend
zu berechnen.
Von großer Wichtigkeit sind ergiebige Warmwasserbrausen, und ist
zu diesem Zwecke in vorzüglicher Weise brauchbar der Patent-Dampf-
Wasser- Mischhahn von Schaffe r und WTalcker, bei welchem der
Dampf- und Wasser-Zufluß mittels eines Hahnes durch einen Hand-
griff nach Belieben reguliert werden, der Dampf nie allein ausströmen
und das Wasser bis auf höchstens 40° erwärmt werden kann. Der in
der Kriegsmarine eingeführte Schaffstädt' sehe Gegenstromapparat
beruht auf dem Prinzip, daß das in dem Rohr zum Brausekopf auf-
steigende Wasser durch den in einem Umhüllungsrohr abwärts strömenden,
sich unten kondensierenden Dampf erwärmt wird. Eine mit Zahlen
versehene Teilscheibe gestattet das Einstellen der Hähne auf eine be-
stimmte Wassertemperatur, sowie ein allmähliches Absinken der Tem-
peratur durch langsames Zurückdrehen des Dampfhahnes. Ein Aus-
strömen zu heißen Wassers oder Mitreißen von Dampfteilchen ist also
ausgeschlossen (Nocht8). Für Segelschiffe empfiehlt Nocht behufs
Herstellung warmen WTassers den transportablen Dampferzeuger von
Rothe und Grünewald (D. R. -P. 53220). Derselbe besteht aus
einem doppelwandigen (Kieselguhrfüllung) Eisencylinder. In diesen wird
26
Schiffshygiene. 211
ein durchlochter glühend gemachter Eisenbolzen eingesetzt und dann
der Deckel dampfdicht aufgeschraubt. Läßt man nun durch einen Hahn
Wasser auf den Bolzen einströmen, so bildet sich Dampf, der durch
eine besondere Oeftnung austritt und durch direkte Zumischung zum
Badewasser oder durch Anwärmung nach dem Prinzip des Gegenstromes
die Erwärmung besorgt. Der Apparat fällt nicht unter das Dampfkessel-
Gesetz; mit einem oder mehreren (15 kg schweren) Bolzen und etlichen
Litern Wassers lassen sich beträchtliche Dampfmengen erzeugen oder
auch bei gleichzeitiger Benutzung von 2 Apparaten kontinuierliche
Dampfströmungen herstellen, sei es zu Bade-(Brause-)Zwecken, sei es
zu dem der Desinfektion. (Hansa 1895 No. 6.)
Was die Schiffs küchen anlangt, so haben die Segelschiffe zum
Teil noch jetzt — wie früher ganz allgemein — die Kocheinrichtung
in den Mannschaftsräumen , nur daß an Stelle der stark rauchenden
Steinherde mit Rauchfang darüber oder der zerbrechlichen, undichten
Gußeisenherde solche aus Schmiedeeisen getreten sind. Auch wird die
Kombüse jetzt meist in einem eigenen Deckshause aufgestellt, außer auf
Kriegsschiffen, wo ebenfalls ein Teil des Mann Schaftsraumes dazu be-
nutzt wird. Alle größeren Schiffe sowie solche für langdauernde Reisen
sind mit eigenen Backapparaten und Dampfkochherden bester Kon-
struktion ausgerüstet.
Nach Hamburger und Bremer Gesetz müssen sich auf jedem (Aus-
wanderer-)Schiffe mindestens 2 abgesonderte, wenn thunlich oberhalb
des Zwischendecks gelegene Hospital räume befinden , in einer
Größe von mindestens 2,6 qm Bodenfläche bei 1,83 Deckhöhe für je
50 Passagiere, für welche 2 völlig bezogene Betten aufzustellen sind.
Die Zahl von 4 Betten für je 100 Personen dürfte für gewöhnliche Ver-
hältnisse durchaus genügen, seitdem 1887 bestimmt worden ist, daß
jener geforderte Raum nicht von dem gesetzmäßigen Gesamtraum ab-
gezogen werden darf. — Wünschenswert ist, daß das Hospital weder
ganz vorn, wo das Schiff sehr stampft, noch hinten über der Schraube
gelegen ist.
Von den Koien ist in der Regel eine für gelegentliche Entbind-
ungen so eingerichtet, daß sie durch Umlegen der Vorderwand besser
zugänglich ist. Sehr empfehlenswert wären auch — wenigstens einige
— Krankenhängematten nach W a 1 b r a c h (Herwig44), die durch Sperr-
hölzer ausgespannt und befestigt, einen Gurtenrahmen tragen. Aller-
dings beanspruchen sie wegen des Schwingens etwas mehr Raum. Aehn-
liche Vorrichtungen sind auf der österreichischen Marine als Trans-
portmittel innerhalb des Schiffes in Gebrauch (siehe Abbildung bei
Plumert S. 41). Für den Fußboden des Hospitals sollte eigentlich
Linoleumbelag vorgeschrieben werden. Als Desiderien bezeichnet
Herwig mit Recht einen Klapptisch für Operationen, einen Uten-
silienschrank und gesondertes Eßgeschirr für die Kranken.
In der deutschen Kriegsmarine x 7 ist für das bleibende Lazarett
— das auf 2 Proz. der Besatzung eingerichtet sein muß — vorge-
schrieben: Anstrich der Decken und Wände mit Zinkweiß, des Fuß-
bodens mit Leinöl (oder Belag desselben mit undurchlässigem Stoff),
ein Abort und Badekammer in der Nähe, und feststellbare Schwinge-
bettstellen. Vorübergehende Lazarette werden durch Segeltuchvorhänge
an geeigneter Stelle errichtet als Reserve und für ansteckende Kranke.
Auf den fLloydschiffen ist in der Regel ein besonderer Raum für
27
212 D. KULENKAMPFF,
Pockenkranke vorgesehen. Ueber die Einrichtung besonderer
Hospitalschiffe findet sich das Nähere bei Bugge41.
Bezüglich der Fürsorge für Kranke schreiben Hamburg und Bremen
für ;ein Schiff mit mehr als 50 Passagieren einen approbierten
Arzt vor, während bei geringerer Anzahl ein vom Hafenarzt geprüfter
Krankenwärter genügt. Auf jedem Auswandererschiffe muß ein zur
Krankenpflege geeigneter, seefester Mann an Bord sein, der unter
Aufsicht des Kapitäns, beziehungsweise des Arztes nur zur Kranken-
pflege und den mit der Reinhaltung, Desinfektion und Ventilation ver-
bundenen Dienstleistungen benutzt werden darf. Auf Verlangen der
Behörde ist auch eine weibliche Pflegerin anzustellen. Jedes Schiff
ohne Ausnahme muß mindestens ein Exemplar eines ärztlichen Rat-
gebers mitführen, in Hamburg den von M. Schmidt42, in Bremen
und den anderen Uferstaaten den im kaiserlichen Gesundheitsamte be-
arbeiteten, welcher in den preußischen Navigationsschulen obligatorisch
ist für den ärztlichen Unterricht, der den Schülern der Schifferklasse
erteilt wird. Ueber die vorschriftsmäßige Einrichtung resp. Revision
der im Anhange zu dem letztgenannten Buche zusammengestellten
Mittel für die Medizin kiste ist in Hamburg ein von jedem Apotheker
kostenfrei erhältliches Attest vorzulegen. Vor Beginn jeder Reise findet
übrigens Revision durch den Untersuchungsarzt statt.
Die Behörde für das Auswandererwesen besteht aus
2 Senatoren und 3 — 5 Mitgliedern der Handelskammer, für die Ueber-
wachung der Mannschaften sind die Besichtiger (meist frühere Kapitäne)
resp. der Hafenarzt angestellt. Neben, aber unabhängig von den Be-
sichtigern, denen die Kontrolle über Verproviantieruog, Größe der Räume,
Zahl der zulässigen Passagiere, Ventilation obliegt, wirkt der Reichs-
kommissar für das Auswanderungswesen.
Sehr bedeutsam ist die sanitäre Ueberwachung der Aus-
wanderer (Kajüttspassagiere und Mannschaft sind nicht namhaft
gemacht), vor Betreten des Schiffes; in Bremen von einem vom ameri-
kanischen Konsul für diesen Zweck angestellten Arzte in Gemeinschaft
mit dem betreffenden Schiffsarzt, in Hamburg von dem beamteten
Hafenarzt in einem besonders hierfür bestimmten Lokale. Dieser hat
Kranke oder Erschöpfte nach seinem Ermessen, unbedingt aber alle mit
akuten Exanthemen, Erysipelas, Phlegmone, Puerperalfieber, Diphtherie,
Ruhr, Typhus, Cholera Behafteten (zu Cholerazeiten auch jeden an Diar-
rhöe Leidenden), sowie solche, die als im Stadium incubationis ver-
dächtig sind, zurückzubehalten ; erstere sind einem Krankenhause, letz-
tere einer Quarantänestation zu überweisen. Außerdem hat in Hamburg
der Hafenarzt sehr weitgehende Befugnisse in Beziehung auf die Ueber-
wachung aller einlaufenden oder ankernden Schiffe, er kann Desinfek-
tions- und Transportkolonnen direkt requirieren, und alle Angestellten
der Hafenpolizei haben seinen Weisungen Folge zu leisten (Verordnung
vom Juli 1893).
Der Hafenarzt, dem mehrere Assistenten zur Seite stehen, hat
im einzelnen : jedes von See kommende Schiff sowie dessen Mannschaft
zu besichtigen und besonders jedes in Cuxhaven einer gesundheitlichen
Kontrolle unterliegende Schiff in den ersten Tagen nach der Ankunft
in Hamburg auf das genaueste zu untersuchen , eine Kontrolle , die
während des Herrschens von Epidemien auf alle, auch die. aus dem
oberen Stromgebiete kommenden Fahrzeuge ausgedehnt werden kann.
Die Mannschaft der im Hafen liegenden Schiffe hat er in geeignet er-
28
Schiffshygiene. 213
scheinenden Zwischenräumen auf ansteckende Krankheiten zu unter-
suchen, zu Epidemiezeiten eventuell täglich, die Ueberführung ins
Krankenhaus, Desinfektionen und Impfungen anzuordnen, jeden Fall von
Skorbut nach allen Richtungen zu erforschen. Endlich ist von ihm das
von den Schiffen an Bord gebrachte Wasser zu prüfen, Verunreinigungen
des Hafens vom Ufer oder den Schiffen aus sind möglichst zu kontrol-
lieren, sowie auch die Wassertanks und Zuleitungsschläuche auf ihre
Beschaffenheit zu untersuchen. Auf sanitäre Mängel hat er die Kapi-
täne aufmerksam zu machen und behufs Abstellung derselben ihnen so
wie den Rhedern mit seinem Rate behilflich zu sein.
Die Impfungen betreffend, so ist zn bemerken, daß nach Anord-
nung der amerikanischen Regierung alle Zwischendeckspassagiere kurz
vor dem Betreten des Schiffes geimpft werden müssen. Der Kapitän
hat sich beim Quarantänearat in Amerika über die Ausführung dieser
Maßregel auszuweisen. Nach den in Bremen gemachten Beobachtungen
ist bei etwa der Hälfte der Personen die Impfung von Erfolg.
Einen außerordentlich günstigen Einfluß hat die seit 1893 einge-
führte Desinfektion und Reinigung aller Auswandererzüge in Ruhleben
bei Charlottenburg -Berlin ausgeübt. Dieselbe wurde eingerichtet, um
nicht die Auswanderung über Bremen wegen der Cholera ganz unter-
sagen zu müssen. In Antwerpen finden sich vorzügliche Desinfektions-
und Reinigungseinrichtungen für die Auswanderer.
8) Hansa, Deutsche nautische Zeitschrift (1895) No. 7.
17) Marinesanitätsordnung, Berlin 1893.
34) Haack, Hygienische Rundschau (1891) No. 8 u. 9.
38) Wernich und Wehmer, Lehrbuch der öffentlichen Gesundheitspflege (1894) 456.
39) Hamburger und Bremer Gesetzblatt (1866—1894) 1893, 620.
40) Nocht, Beiheft 2, Marine- Verordnungsblatt No. 68.
41) Bugge, Ueber Hospital schiffe, Marine- Verordnungsblatt, Beiheft 56.
42) Schmidt, Aerztlicher Batgeber für Schiffsführer, Leipzig 1885.
43) Reincke, Das Hamburger Gesetz von 1887, Deutsche Vierteljahrs sehr. f. bffentl. Gesund-
heitspflege (1888).
44) Walbrach, Viertelfahrsschr. f. gerichtl. Medizin, 19. Bd.
Kapitel VI.
Die Ernährung an Bord von Schiffen.
Die Schwierigkeiten einer geeigneten Ernährung
liegen auf Seeschiffen besonders darin, daß frische Kost stets nur auf
kurze Zeit zu beschaffen ist und die durch Konservierungs- und Trocken-
methoden haltbar gemachten Substanzen an Nährwert, besonders aber
Geschmackswert einbüßen. Dazu kommt, daß häufig durch Seekrank-
heit hochgradige Schwächezustände des Magens erzeugt werden, daß
andererseits bei dem auf See gesteigerten Hunger und der bekannten
Neigung zu Darmträgheit Ueberladung der Verdauungsorgane mit
ihren Folgen (insbesondere katarrhalische Ruhr) häufig sind, zumal es
sich um Menschen aller Altersstufen und von sehr verschiedenen Lebens-
gewohnheiten handelt.
Das Salzrindfleisch, noch immer nicht entbehrlich neben den
nach Apperts Methode45 konservierten Fleischarten, die außerdem
recht faserig sind und auf die Dauer von zu indifferentem Geschmack,
verliert an die Lake einen großen Teil der Salze und Extraktivstoffe, des
löslichen Eiweißes und Myosins, während beim Schweinefleisch die Aus-
laugung wegen des Fettgehaltes eine geringere ist. Es ist daher — da
29
214
D. KULENKAMPFF,
der Auslaugungsprozeß fortschreitet — beim Ankauf auf das Datum
der Einpökelung Gewicht zu legen, auf Fäulniserscheinungen, besonders
an den im Fasse zu unterst liegenden Stücken zu fahnden und auch
die Lake zu prüfen, da diese bei öfterem Gebrauche giftige Eigenschaften
annehmen kann*). Geräucherter Speck findet keine ausgedehnte Ver-
wendung mehr, und ist überhaupt der sogen. Dauerproviant — Salz-
fleisch, Speck, Hartbrot und Hülsenfrüchte — auf Auswandererschiffen
ziemlich verschwunden, während er auf Frachtschiffen, besonders wenn
sie lange Reisen in Gegenden unternehmen , wo frische Versorgung
schwierig ist, noch eine weit größere Rolle spielt. Auf den großen
Dampfern ist wohl den Anforderungen der Hygiene an Quantum und
Quäle der Nährmittel, ja auch an eine gewisse Schmackhaftigkeit und
Abwechselung überall Genüge geleistet. Hier wird täglich frisches
Brot gebacken, für lange Reisen Schlachtvieh mitgeführt, frisches Fleisch
und Fische in Eisräumen konserviert. — Der Schiffszwieback (Hartbrot)
bildet auf Segelschiffen noch die gebräuchliche Speise — obwohl man
auch hier angefangen hat zu backen — wird indes dauernd nicht gut
vertragen, da er nur eingeweicht — also ungekaut — genossen werden
kann; außerdem verliert er mit dem Alter au Nährwert.
Bezüglich der Fleisch- und Fischpräserven ist darauf zu
achten, daß die Büchsen nicht aufgetrieben sind, und daß beim Oeffnen
kein Gas ausströmt. In der Marine wird vorschriftsmäßig auch auf
Beimengung von Blei (von der Lötung) und auf Salicylsäure untersucht.
— Der chemisch bestimmbare Nährwert der verschiedenen Fleischsorten
ist in folgender Weise berechnet:
In 100 g sind enthalten
Eiweifs
Fett
Salze
21,9
0,9
1,3
20,9
47
—
14,0
17.0
—
25.5
0,2
21,0
97
75.7
5-3
29.5
8,o
2,2
33-8
6,4
2,9
2,6
77-8
6,6
18,7
14.7
l6,6
78,4
0,5
1,5
Wasser
Ochsenfleisch, frisch, ohne Knochen
Schweinefleisch, frisch, mageres . .
„ „ fettes .
Salzrindfleisch
Salzschweinefleisch
Präserviertes Rindfleisch
Corned beef
Geräucherter Speck, durchwachsen .
Hering, gesalzen
Stockfisch, getrocknet
75-9
72,0
64,0
49-0
9-1
58.8
56,9
10,7
47.8
17-3
Was die Gesamtmenge des mitzunehmenden Proviants anlangt, so
ist bei der Berechnung die gesetzlich bestimmte „wahrscheinlich längste
Reisedauer" (siehe die Details: Hamburger Gesetz 1884, Bremer von
1889) zu Grunde zu legen. Die Mengen dessen, was mindestens mit-
genommen werden muß, auf den Tag berechnet, sind hier, wie auch
in Mecklenburg, Oldenburg, Lübeck (Veröffentl. d. Kaiserl. Ges.-Amts,
1889 S. 346), die folgenden:
(Siehe Tabelle Seite 215 oben.)
Anstatt der Butter ist auch „Margarine bester Qualität" zulässig,
ferner — falls die Passagiere einwilligen — für iL der Butter: süße
*) Die Wiedergewinnung der extrahierten Substanzen aus der Lake durch Diffusion
nach Parkes dürfte kaum lohnend sein.
30
Schiffshygiene.
215
Es mufs mitgeführt werden
für Aus-
wanderer
für die Mannschaft pro Tag und Kopf
Salzrindfleich
Salzschweinefleisch
Heringe, 3 Stck., oder Stockfisch .
Butter
Weifsbrot
Kartoffeln, frische oder ....
,, getrocknete od. geprefste
Weizenmehl
Erbsen und Bohnen (% darf ge-
trocknet sein 10=100 frisch) .
Sauerkraut
Graupen und Reis
Backobst
Syrup und Zucker
Kaffee und Thee
Essig
Vom Heimathafen abgehend . .
Für Kinder von 1 — 6 Jahren wer-
den anstatt eines Quantums von
1050 g Hülsenfrüchte und Sauer-
kraut , 600 g Hafergrütze und
500 g Zucker eingestellt.
145
70
75o
30
360
400
80
72
80
27
54
18
10
10 u.
0,17
2 g
1
500 oder 250 g Speck
I 375 °der 375 g präserviertes Fleisch
oder Fisch (doch dies höchstens
2 Mal die Woche)
71,4 oder 71,4 g Schmalz oder Baumöl
Erbsen, Bohnen, Grütze, Graupen zur
Sättigung und aufserdem wöchentlich
250 g Gemüse (Kartoffeln, Sauer-
kraut oder sonstige).
15 g
36 g
20 u. 4 g
0,035 1
1 Bier.
50
Als Ersatz für Butter oder Schmalz isj
ein Mehr von 250 g Fleisch oder 125 g
Speck gestattet. Im Hafen mindestens
wöchentlich 2 Mal frisches Fleisch,
Fische, Brot und Gemüse. Wird kein
Bier mehr ausgegebeu , so wird die
Kaffeeration erhöht. — Nach 6 wöchent-
lichem ausschliefslichen Salzfleischge-
uufs mufs 2 Mal wöchentlich präser-
viertes Fleisch gereicht werden.
Marmelade (auf Reisen nach südlichen Häfen). Auf Reisen, deren längste
Dauer auf 80 Tage oder mehr angesetzt ist, muß von Beginn an min-
destens einmal wöchentlich präserviertes Rind- oder Hammelfleisch ge-
geben und ferner pro Kopf 600 g Citronensaft oder 30 Acid.
citricum crystallisatum und 600 Zucker mitgenommen worden.
Endlich sind zu rechnen auf je 10 Tage für je 100 Passagiere an
Mitteln für Kranke: Rotwein 3 1, Zucker 1700 g, Sago 900, Hafergrütze
1700, Graupen 1700, kondensierte Milch 1000 (für jedes Kind unter
1 Jahre außerdem 500), Salz 120.
Zum Vergleich dient die folgende annähernde Tabelle (nach
Plumert)13:
(Siehe Tabelle Seite 216.)
In der 1884 vom Chef der Admiralität ausgegebenen „Anleitung
für Marineärzte zur Beurteilung einer gesundheitsmäßigen Schiffsver-
pflegung" wird diejenige Kost als die beste (bei angestreDgter Thätig-
keit) bezeichnet, welche die Eiweißstoffe, Kohlehydrate, Fette und Salze
annähernd im Verhältnis von 150, 500, 100 und 35 enthält. In heißen
Gegenden und bei gleichzeitig mäßiger Arbeit genügen Mengen von
bezw. 120, 500, 50 und 25. In der folgenden Tabelle findet sich eine
Uebersicht der in Betracht kommenden Nahrungsmittel hinsichtlich ihres
Gehaltes an Nährstoffen, doch kommen selbstverständlich bei der Be-
urteilung auch die anderen Faktoren der Verdaulichkeit einerseits so-
wie des Verdauungsvermögens andererseits in Betracht. Auch ist auf
Herkommen, Gewohnheit und Witterung Bedacht zu nehmen.
(Siehe Tabelle Seite 217.)
31
216
D. KULENKAMPFF,
Pro Tag u. Kopf auf der
Kriegsmarine
Deutschland
Oesterreich
Frankreich
England
Brot, frisches .
hartes ....
Fleisch, frisches
präserviertes
Salzfleisch
Zukost, Reis . . .
Mehl od. Mehlspeisen
Erbsen und Bohnen
Kartoffeln .
Sauerkraut
Gedörrtes Obst .
Butter, Käse, Oel, Schmalz,
Speck
Kaffee
Zucker
Branntwein
Essig
21
71
85
30
71
30
65
15
40
0,25 1
520
52
40
140
36
20
25
0,5 1 (Wein)
0,4 1
750 (oder
300)
300
(oder 200)
80
320
20
355
20
25
0,04 1
0.08 1
680 (oder
566)
453 oder
145 +
453
56
255
226
56
28
21,25
28 Chokolade
57
0,1 1
0,3 1
Die deutsche Ration bietet im Mittel pro Tag (chemisch be-
rechnet) 130 g Eiweiß, 69,4 Fett, 606 Kohlehydrate, die öster r-ei ein-
sehe 155, 53 und 550. Die französische zeichnet sich durch den
Reichtum an Fett sowie Gewürzen und Genußmitteln aus, die eng-
lische durch die Mengen an Fleisch und Brot und den sehr geringen
Fettgehalt sowie den Mangel an Gemüsen. Als besonders wichtig
finden sich in der deutschen Speiseordnung das Sauerkraut und ge-
dörrtes Obst, und wird für Beschaffung von Gewürz und Grünzeug
0,01—0,02 M. pro Tag gewährt. In der Verteilung auf die Wochentage
bietet sie außerdem die reichste Abwechslung (über die schwedische
Speiserolle siehe Veröffentlichung d. Kaiserl. Ges.-Amtes 1889 S. 416).
Auf den großen Passagierdampfern werden alle diese Rationen, so-
wohl was die Reichhaltigkeit als auch Abwechslung in den Speisen an-
langt, bedeutend übertroffen, wie folgender Auszug aus der Speise-
rolle für die Zwischen de ck spassagiere des Nord-
deutschen Lloyd zeigt:
Wöchentlich 3 mal frisches und je 1 mal präserviertes, 1 mal Salzrind-,
1 mal Salzschweinefleisch und 1 mal geräuchertes Speck (nach den neuesten
Bestimmungen soll mittags nur ausnahmsweise anderes als frisches
Fleisch verabfolgt werden). Dazu Erbsen, Bohnen, Sauerkraut, Reis
und Obst, 2 mal wöchentlich Pudding und geschälte Kartoffeln. Stets
warmes Abendessen, Fleisch, Kartoffeln, Reis, Gemüse, Heringe oder
Obstsuppen. Frühstück: Kaffee mit frischem Brot und Butter, auf
Wunsch bei schlechtem Wetter Hafergrütze. Nachmittags: Kaffee mit
Milch und Zucker und Zwieback. Salz und Pfeffer zu freiem Gebrauch.
Die Zwischendeckswärterin hat alle kleinen Kinder täglich zu waschen
und täglich 3 mal mit konservierter Milch zu versorgen.
Israeliten erhalten gesondertes Essen oder dürfen unter gewissen
Bedingungen selbst kochen.
Vergleicht man die Bestimmungen von 1887 mit den früheren4,
die im ganzen schon billigen Anforderungen entsprechen, so sind auch
für die Frachtschiffe manche Verbesserungen eingetreten. Für Aus-
wanderer liegen die Verhältnisse an sich günstiger, da diese ja fast
32
Schiffshygiene.
217
Hiervon enthalten 100 g
2 *
g
03
g
Ochsenfleisch, mageres, ohne Knochen
Schweinefleisch, mageres
„ fettes
Hammelfleisch, mageres
„ (halb) fettes
Kalbfleisch
Salz-Rindfleisch
Salz-Schweinefleisch
Präserviertes Rindfleisch
Corned beef
Geräucherter Speck, durchwachsen
Fettreiche Fische, frische (Lachs, Meeraal.
frischer Hering)
Fettarme Fische, frische (Schellfisch, Dorsch,
Hecht, Scholle, Seezunge)
Häring, gesalzen
Lachs, geräuchert und gesalzen
Stockfisch, getrocknet
Erbsen, gelbe, trocken
Linsen, trocken
Bohnen, trocken
Reis
Graupen
Hafergrütze
Gries, Weizen-
Gries, Buchweizen-
Sago
\ \I hl / Weizen- .
/ \ Roggen-
Backpflaumen
Kartoffeln, frische
,, präservierte
Weifskohl
Rüben
Sauerkohl
Kommifsbrot aus Roggen
Frischbrot aus Weizen
Hartbrot aus Roggen
„ „ Weizen
Käse (magerer)
Eier
Milch
Zucker, Rüben-
„ Melassen ,
Butter
Schmalz
Honig
21.9
20,9
14,0
20,3
I45
19,0
25,5
9,7
29,5
33,8
2,6
17,3
'7,1
18,7
24,2
78,4
22,8
25,7
24,3
7,8
7,2
14,6
10,4
9,3
0,5
11,8
11,5
2,3
1,9
9,5
1,5
0,6
1,9
6,2
6,2
13,1
14,3
43,0
I4,i
4,1
0,7
0,2
1,2
52,4
53,5
49,o
76,7
76,2
64,7
75,9
72,5
86,2
72,2
67,7
44,*
20,7
74,5
7,i
8,4
4,8
46,8
5i,i
7i,6
76,7
4,2
95,5
62,0
73,6
0,9
4,7
17,0
2,8
9,0
5,i
0,2
75,7
8,0
0,4
77,8
7,9
0,6
H,7
11,9
0,5
1,8
1,9
1,6
0,9
1,1
5,9
0,38
1,9
1,4
2,1
0,5
0,2
0,3
0,25
0,2
1,4
0,4
1,1
1,1
7,o
10,9
3,9
86,6
1,3
0,9
21, o
5,3
2,2
2,9
6,6
1,6
1,2
16,6
12,0
1,5
2,6
3,0
3,3
1,0
1,2
2,2
0,50
1,2
0,4
0,9
1,4
1,3
0,9
2,9
0,8
1,2
1,2
1,2
1,9
un-
gefähr
5,4
0,6
1,5
2,8
0,9
Spuren
0,2
75,9
72,0
64,0
76,0
72,0
76,7
49,o
9,i
58,8
56,9
10 7
72,1
80,3
47,8
5i,5
17,3
14,9
12,3
*4,7
13,1
12,8
IO,07
12,5
14,3
12,9
12,6
13,7
29,3
75,5
9,9
90,0
85,0
89,9
45,o
40,5
12,3
6,0
[40,0
73,9
87,1
3,o
35,o
11,1
1,3
19,6
*) Durch Aschenbestimmung auf Kaligehalt zu untersuchen ; es soll nicht mehr als
Proz. Asche darin sein.
33
218 D. KULENKAMPFF,
ausschließlich die großen Hamburger und Bremer Dampfer zu verhältnis-
mäßig kurzen Reisen benutzen und hier die Konkurrenz schon für eine
möglichst gute Verpflegung sorgt.
Es wanderten aus in den 3 Jahren 1890, 91 und 92:
über Bremen 167 650 Personen
Hamburg 84 560 „
andere Häfen 5938 „
Antwerpen 50 388 ,,
Rotterdam 19989 „
Frankreich 14900 „
Für Deutschland kommen also nur Hamburg und Bremen in Frage,
da es sich bei Ausgangspunkt Stettin auch der Hauptsache nach um
Hamburger Dampfer handelt.
Die Art der Verpflegung der Mannschaften auf Frachtschiffen hängt
allerdings trotz der Kontrolle beim Abgange des Schiffes noch immer
sehr von dem guten Willen und der Einsicht des Kapitäns ab, der in
der Ausgabe der vorhandenen Vorräte, im Ankauf frischer beim An-
laufen eines Ortes unumschränkter Herr ist, gegen den nachträgliche
Klage zwar möglich ist, aber selten angestrengt wird. Das seltene
Vorkommen von Skorbut auf deutschen Schiffen spricht aber unter
anderem dafür, daß die Majorität der Kapitäne ihre Pflichten ernst
auffaßt. Dem Hamburger Medizinalbüreau kamen in den letzten 4 Jahren
seit 1890 etwa 50 Fälle von Skorbut auf im ganzen 9 deutschen
Schiffen zur Kenntnis. Nach Nocht handelte es sich dabei fast immer
um den Gebrauch verdorbenen Proviants oder Trinkwassers, nicht um
einen Mangel an antiskorbutischen Nahrungsmitteln, da die meisten
Rheder ein Mehr an frischem Proviant und Präserven zu gewähren
pflegen als in der Speiserolle vorgeschrieben ist. Das, wie es scheint,
auf der englischen Flotte weit häufigere Vorkommen des Skorbut
wird übereinstimmend von Aerzten und Seeleuten auf die fettarme
und einseitige Fleischkost geschoben (siehe auch Armstrong46).
Dafür spricht auch, daß die Engländer mehr als alle anderen Na-
tionen so großen Wert auf den Citronensaft (lime juice) legen , der
nach ihrem Gesetz vom 10. Tage der Reise an jedem gereicht wer-
den muß, während nach deutscher Verordnung die Citronenlimonade,
„sobald und solange das Schiff sich südlicher als der 40. ° nördlicher
Breite befindet, zweimal wöchentlich gegeben werden muß", eine Vor-
schrift, die nicht ganz verständlich ist. Das Kaiserl. Ges. -Amt schreibt
vor : tägliche Verausgabung 3 Wochen nach Verlassen des letzten Hafens.
(Siehe ebenda auch die Vorschriften über Beschaffenheit und Dosierung
des Saftes.) Daß gut erhaltener Citronensaft ein treffliches Antiscor-
buticum ist, unterliegt wohl keinem Zweifel, ebenso wenig aber, daß er
sich vielfach in einem ungenießbaren Zustande befindet und von den
Matrosen weggegossen wird, falls er nicht unter Aufsicht eines Offiziers
getrunken wird, wie es die Engländer verlangen. Wichtiger ist also
unbedingt, außer dem Gebrauch präservierten Fleisches neben dem ge-
pökelten, die Beschaffung von Gemüsen (frisch und getrocknet), insbe-
sondere Sauerkraut, Kartoffeln, Preßkohl, Sellerie, Zwiebeln und Obst.
Fonssagrives47 rühmt auch die Runkelrüben, R a e4 8 entdeckte zufällig
bei einer Nordpolreise die antiskorbutischen Eigenschaften der Heidel-
beeren und erzählt, daß die Eskimos in ähnlichem Sinne den Magen-
inhalt der Rentiere verzehren. — Die auch in kälteren Strichen vor-
34
Schiffshygiene. 219
findlichen Pflanzen (Löffelkraut, Löwenzahn, Sauerampfer, Mauerpfeffer)
genießen eines hohen Rufes als Antiscorbutica (Reine ke 4<J). — Der
Citronensaft, durch Auspressen der entschalten Früchte gewonnen, muß
unverdünnt und frei von fleischigen Bestandteilen sein , bei 15 ° C
ein spezifisches Gewicht von 1,030 haben und mindestens 6,25 Proz.
Citronensäure enthalten. Um ihn haltbar zu machen, werden zu
800 Raumteilen etwa 200 Raumteile Branntweins von 40° Tralles zu-
gesetzt. Mit dem Alter verliert er an Wirksamkeit, als gewöhnliche
Grenze werden 2 Jahre angenommen. In älterer Zeit benutzte man
auch abgekochten uud unter einer Schicht von Olivenöl aufbewahrten
Saft. Trübungen und schleimiger Absatz vollziehen sich in ihm auf
Kosten der Pflanzensäuren. Nach englischen Erfahrungen steht reine
Citronensäure dem Saft an Wirksamkeit nicht nach6. Die täg-
liche Ration beträgt pro Kopf mindestens 20 g, die mit der gleichen
Menge Zuckers, etwas Branntwein und Wasser gemischt verabreicht
werden soll.
■t)
Plumert, Gesundheitspflege auf Seeschiffen, Pola 1891.
45) Plagge und Fahr, Hygienische Rundschau (1893).
46) Armstrong, Revue d' Hygiene (1891).
47) Fonssagrive9, Tratte d' Hygiene navale, Paris 1877.
48) Rae, Revue a" Hygüne (1891).
49) Reincke, Gesundheitspflege auf Seeschiffen, Hamburg 1882.
Kapitel VII.
Eismaschinen und Kühlapparate.
Eine wichtige Rolle für die Ernährung mit Fleisch spielen natür-
lich die Eismaschinen und Kühlapparate. Bezüglich der
Prinzipien, nach denen diese Apparate konstruiert sind, verweisen wir
auf Osthoff (Bd. 6 S. 1 dieses Handbuches). Auf Schiffen kommen
die beiden Arten a) zur Herstellung von Eis und b) zur Kühlung von
Vorratsräumen zur Anwendung, die letztgenannte besonders auf den
von Australien und Südamerika kommenden Fleischtransport-Schifl'en,
doch auch auf Passagierdampfern zur Konservierung der Vorräte und
— in den Tropen — zur Kühlung der Schlafkabinen. Am meisten in
Gebrauch ist hier noch die ursprünglich von W in d hausen ange-
gebene , dann von Bell und C o 1 e m a n n vervollkommnete Kaltluft-
oder Luftexpansionsmaschine. Für Passagierschiffe wenig geeignet
wegen des starken Geräusches, das sie verursacht, hat sie gegenüber
den neuen vollkommenen Verdampfungsmaschinen den Vorzug, keine
ausgedehnten Röhrensysteme zu besitzen, ohne Chemikalien zu arbeiten
und, da sie die kalte Luft direkt ausströmen läßt und aus dem Kühl-
raum wieder zurücksaugt, den letzteren mit einem stets cirkulierenden
und sehr trockenen Luftstrom zu versorgen. Es ist das deshalb wichtig,
weil in feuchtkalten Räumen das Fleisch sein frisches Aussehen verliert,
fade und schleimig wird und sich nicht lange frei von Fäulnis hält.
Als günstigste Temperatur des Kühlraumes wird eine solche von + 1 bis 2°
betrachtet , auf 1 qm Grundfläche siud etwa 3,5 Centner Fleisch zu
rechnen. Der Fleischraum des Lloydschiffes Kaiser Wilhelm II, der mit
der Kaltluftmaschine in Verbindung steht, vermag 60 Viertel Ochsen
aufzunehmen.
Das Prinzip dieser Maschinen (die auch von Haslam und Light-
35
220
D. KULENKAMPFF,
f oo t mit ganz außerordentlicher Leistungsfähigkeit hergestellt werden) ist
folgendes. Durch Kolbendruck wird Luft in einem Cylinder komprimiert,
wobei in annäherndem Verhältnis zur Abnahme des Volumens die
Spannung und Temperatur wachsen. Die verdichtete, erwärmte Luft
wird durch Kühlwasser abgekühlt und dann unter Ausübung eines ab-
nehmenden Druckes der Expansion überlassen. Hierbei nimmt sie an
Temperatur etwa in dem Maße ab, in dem sie bei der Verdichtung zu-
genommen hatte, d. h. kühlt sich bis — 40 bis 50° ab, um dann in
die zu kühlenden Räume zu entweichen. Auf dem Wege dahin kann
sie noch durch eine Eiskammer geführt werden zur Nebenerzeugung
von Roheis.
Die automatische Regulierung der Temperatur des Kühlraumes wird
durch mehrfache Nebenapparate, welche auf die Stellung der Dampf-
drosselklappe einwirken (d. h. also auf die Kraftleistung des Dampf-
cylinders der Kompressionspumpe), ermöglicht.
Fig. 13 zeigt die einfache Form der Windhausen'schen Maschine,
von der sich die übrigen nur in der Konstruktion, nicht im Prinzip
Fig. 13. Kü h 1 m a schi ne. C Maschinen für die Bewegung der Kolben, A Kom-
pressionscylinder, von einem mit Kühlwasser gefüllten Mantel umgeben, B Expansions-
cylinder, E u. F Kühlapparate zur Kühlung der durch Kompression erhitzten Luft, D Ent-
wässerungscylinder, in dem die aus A kommende Luft ihre Feuchtigkeit an den Trichter-
wänden absetzt. Diese tropft in der Richtung der nach unten zeigenden Pfeile ab, a Saug-
ventile des Kompressionscylinders, b Druckventile des Kompressionscylinders , c Einlafs-
ventile für die abgekühlte komprimierte Luft, d Auslafsventile für die abgekühlte expan-
dierte Luft, f Zuflufsrohr für'^Kühlwasser, e Abflufsrohr für Kühlwasser. Nach S chw ar z 50.
unterscheiden. Fig. 14 zeigt die allgemeine Anordnung der Maschine
und der Vorratsräume in den Fleischtransportdampfern.
Eine sehr einfache Kühlvorrichtung nach amerikanischem System,
die sich auf etlichen Lloyddampfern sehr bewährt hat, zeigt in schema-
tischer Anlage Fig. 15. In der Mitte des Schiffes befindet sich der
Eisbehälter a, nach außen von ihm jederseits ein Kühlraum (b, 6), für
Fleisch und andere Vorräte je einer. An den äußeren Wänden dieser
Räume stehen Reihen von Blechcylindern (e), die aus den Kästen unter
der Decke (c) sich mit einer Mischung von 70 Eis und 30 Salz füllen
und ihr Schmelzwasser in den Bilschraum ablaufen lassen. Von den
Gängen (f, f) aus werden die Behälter (c, c) stets frisch nachgefüllt.
36
Schiffshygiene.
221
Das erforderliche Eis wird schon in zerkleinertem Zustande an Bord
gebracht.
Von den eigentlichen Eisgeneratoren haben sich die mit Kohlen-
säure arbeitenden, wegen der ihnen noch anhaftenden technischen Un-
vollkommenheiten auf Schiffen bisher nicht bewährt, obwohl ihnen nach
dem Urteil der Sachverständigen wohl die Zukunft gehören wird. Von
den anderen sind die besten zur Zeit der von Linde (Ammoniak) und
von Pictet (schweflige Säure); da Linde das Patent von Pictet
für Deutschland erworben hat, so sind auf deutschen Schiffen nur
Linde's Maschinen in Gebrauch und auch sehr bewährt gefunden.
Die Linde' sehe Maschine beruht auf dem Prinzip der Kaltdarapf-
I
l/orrottAsrotu
/ /
Maschine.. 1
Fig. 14.
Fig. 15.
Fig. 14. Auordnung der Eismaschine und der Vorratsräume nach A. Schwarz60.
Fig. 15. Einfacher Kühlapparat. Schematisch, a Eisbehälter, b Kühlräume, c Blecb-
cylinder, e Eiskästen, f Gang. Originalzeichnung.
oder Kompressionsmaschine. Ammoniakgas wird mittels einer Kom-
pressionspumpe verflüssigt und durch das Regulierventil c in den Ver-
dampfer gebracht (Fig. 16). Der Verdampfer ist ein Reservoir, in dem
Spiralen von einer Flüssigkeit umspült werden, die sich, sobald das
Ammoniak in den Spiralen verdampft, stark abkühlt und nun entweder
zur Erzeugung von Eis in einem sog. Eisgenerator oder aber zur Küh-
lung von Räumen benutzt wird. Als Flüssigkeit dient eine Salz- oder
Chlorcalciumlösung. Die Ammoniakdämpfe werden dann im weiteren
durch eine Saug- und Druckpumpe (P) angesogen und in den Konden-
sator gepreßt, ein in Kühlwasser liegendes Rohrsystem, in dem sich
das durch die Kompression verflüssigende Ammoniak sammelt, um dann
durch das Ventil (c) seinen Kreislauf aufs neue zu beginnen. — So
arbeitet diese Maschine dauernd mit demselben Ammoniak unter nur
ganz geringen Verlusten infolge leichter Undichtigkeiten. Der Destil-
lierapparat g dient zur Herstellung von Ammoniakgas aus Salmiakgeist
beim Inbetriebsetzen.
Will man Eis herstellen, so wird die Salzlösung in den Generator
geleitet, einen eisernen Kasten, in dem mit Wasser gefüllte Blechzellen
hängen und aus dem sie mittels eines Krahnes ausgehoben werden.
Um aus ihnen die Eisblöcke auslösen zu können, werden sie dann noch
kurz in das mit warmem Wasser gefüllte Auftaugefäß gebracht. Um
mit dieser Maschine größere Räume zu kühlen, hat Linde das Prinzip
Handbuch der Hygiene. Bd. VI. 15
37
222
D. KULENKAMPFF,
der Warmwasserheizung angewandt, einfach in der Weise, daß die kalte
Salzlösung durch Rohrsysteme geleitet wird, die an der Decke des zu
kühlenden Raumes aufgehängt sind.
Fig. 16. A Kondensator, B Verdampfer, D Dampfmaschine, O Regulierventil, bt Zu-
flufsrohr der Salzlösung, b2 Abflufsrohr für dieselbe nach dem Eisgnerator, at Zuflufsrohr
für Kühlwasser in den Kondensator, a, Abflufsrohr für Kühlwasser aus dem Kondensator,
P Pumpe, die das Gas durch bs ansaugt und durch a3 in den Kondensator prefVt,
g Destillationsapparat zur Erzeugung der Ammoniakdämpfe , J Glycerinsammler, h Hahn
zum Ablassen des Glycerins. Nach Schwarz50.
50) Schwarz, Die Eis- und Kühlmaschinen, Leipzig 1888.
Kapitel VIII.
Wasserversorgung und Destillierapparate.
Die Frage der Wasserversorgung hat für die Auswan-
derer- und Kriegsschiffe einen großen Teil ihrer Bedeutung verloren,
38
Schiffshygiene. 223
seit die Art der Aufbewahrung eine bessere geworden ist und durch
Destillation das Meerwasser zu einem gesunden und nicht unschmack-
haften Getränk umgestaltet werden kann. Daß beides der Fall, unter-
liegt keinem Zweifel, wie unter anderem die langjährigen Erfahrungen
von Nocht51 beweisen.
Auf Dampfern wird das Wasser in eisernen, inwendig cementierten
— wodurch die häßliche Beimischung von Rost vermieden wird —
Tanks mitgeführt und zwar in solchen Mengen, daß es nicht nur zum
Trink- und Nutzwasser ausreicht, sondern auch noch für die Kessel
benutzt werden kann. Der „Kaiser Wilhelm" vermag z. B. in seinen
Tanks und einem Teil des Doppelbodens 140 cbm Frischwasser aufzu-
nehmen. Die Einbringung geschieht direkt von der Bezugsquelle durch
Pumpen und Schläuche. Auch auf Segelschiffen sind schon vielfach
Tanks im Gebrauch, meist aber wohl Fässer, wozu vorschriftsmäßig
ausgebrannte Palmöl- oder Spritfässer dienen ; ein großer Uebelstand ist
deren Unterbringung auf Deck, wo sie den Einwirkungen der Sonne
ausgesetzt sind, der Hauptmißstand aber, daß in ihnen das Wasser
stets — je nach Güte desselben und der Fässer verschieden bald —
einen oft 8 Tage bis 3 WTochen sich wiederholenden Fäulnisprozeß durch-
macht, bis es „ausgefault" und wieder trinkbar ist. Der Vorgang
scheint darin zu bestehen, daß die organischen Bestandteile des Holzes
(und des WTassers! wohl unter der Einwirkung von Mikroorganismen)
die schwefelsauren Erden zu Schwefelmetallen reduzieren, welche durch
die Kohlensäure des WTassers in Schwefelwasserston" und kohlensaure
Salze sich umsetzen. Tritt dann beim Oeffnen des Fasses neuer Sauerstoff
hinzu, so beginnt durch Oxydation noch vorhandener Schwefelmetalle
zu Salzen der Prozeß aufs neue, so oft und so lange, bis alle Schwefel-
verbindungen aufgezehrt sind. Destilliertes Wasser fault auch in Holz-
fässern nicht. Gelegentlich der Benutzung von mit Seewasser gefüllten
Ballastfässern sind beim Oeffnen derselben Schwefelwasserstoff-Ver-
giftungen beobachtet (Reincke). — In gut gehaltenen Tanks fault das
Wasser nicht, nur müssen die Reinigungsinstrumente für dieselben einer
sorgfältigen Kontrolle unterzogen und dafür gesorgt werden (etwa durch
Drahtgitter), daß kein Ungeziefer (Ratten) hineinfällt. Die neuerdings
empfohlene Verwendung metallischen Eisens zur Reinigung von Trink-
wasser hat sich — wenigstens was einen günstigen Einfluß auf
Mikroorganismen betrifft — nicht erweisen lassen (Fromme52). Als
Geschmackskorrigentien für fades, luftarmes Wasser wird in erster Linie
Theezusatz empfohlen, Stehen an der Luft oder Schütteln und Peitschen
mit Reisig; alle Klärungsmittel (Alaun, Eisenchlorid, Kali hyperman-
ganicum, in der Marine ist gebräuchlich Eisenchlorid 30, Nat. bicarb. 45
auf 100 1) vermögen natürlich aus gesundheitsschädlichem kein gesundes
WTasser zu machen, ganz abgesehen davon, daß sie auf einem schwan-
kenden Schiffe kaum verwendbar sind. Im Zweifelsfalle ist also jedes
verdächtige W7asser vor dem Genüsse unbedingt abzukochen.
Der dem destillierten Wasser leicht anhaftende ölig-brenzlichte
Geschmack soll sich durch Einhängen von Eisenstäben abstumpfen
lassen.
Für die Bezugsquellen guten Wassers gelten natürlich die überhaupt
gebräuchlichen, insbesondere die von Koch näher bestimmten, Vor-
schriften (Art der Brunnenkonstruktion, kein Oberflächen-, sondern Tief-
wasser). Da der Seemann in fremden Häfen nicht selten auf das vom Wasser-
händler angebotene angewiesen ist, so wäre ein Auskunftsbureau an
15*
39
224 D. KULENKAMPFF,
dem betreffenden Konsulate resp. eine Kontrolle der Wasserverhältnisse
der großen Hafenstädte durch die Konsuln sehr zu wünschen. In
manchen wasserarmen Küstenstationen (z. B. Aden, Massaua, Suakim)
sind übrigens große Destillierapparate aufgestellt, aus denen auch die
ansässigen Europäer sich mit Wasser versorgen 8. In der österreichi-
schen und deutschen Kriegsmarine muß der Wasserentnahme eine
lokale Inspektion der Quelle sowie chemische Untersuchung voran-
gehen. Auf die letztere legt Nocht insofern großen Wert, als der
Nachweis pathogener Organismen auf bakteriologischem Wege wegen der
vielleicht nur geringen Anzahl solcher und aus anderen Gründen zu wenig
zuverlässig ist, die chemische aber rasch wichtige Fingerzeige liefert.
Als eine leicht auszuführende wird die mittels des von Boehr ange-
gebenen Apparates empfohlen (Plumert13). Im destillierten Wasser
ist ein mäßiger Kochsalzgehalt, selbst wenn der gebräuchliche obere
Grenzwert von 60 mg pro Liter überschritten ist, wohl bedeutungslos.
Alle Filtrierapparate haben einen nur sehr bedingten Wert, da
keiner auf die Dauer Bakterien zurückhält, vielmehr alle schließlich
zu Keimstätten für solche werden. Die wirklich guten müssen außer-
dem, um erkleckliche Wassermengen zu liefern, unter einem Druck von
3 Atmosphären gehalten werden, wozu maschinelle Anlagen erforder-
lich sind (Nocht). Leicht zu extemporierende Filter aus Tierkohle,
Sand und Geröll finden sich bei Herwig und Plumert beschrieben,
ebenso bei letzterem das Asbestfilter von B r e y e r und die in der fran-
zösischen Armee seit 1889 eingeführten Bougies filtrantes. Sollen der-
artige Filter als verläßliche benutzt werden, so ist aber nicht nur eine
sorgfältige vorschriftsmäßige Behandlung erforderlich, sondern auch
eine wiederholte bakteriologische Kontrolle, da man sonst nie mit
Sicherheit bestimmen kann , wann sie beginnen , Keime durchzu-
lassen13. (Vgl. Bd. II Abtlg. 2 dieses Handbuchs.)
Das gesetzlich erforderliche Quantum des mitzunehmenden Wassers
beträgt 4,5—6 1 pro Kopf und Tag für die Mannschaft (Trink- und
Nutzwasser in eins gerechnet), für Passagiere 2 1. falls ein genügender
Destillierapparat an Bord, 4, falls ein solcher nicht vorhanden ist. Da
auf den großen eisernen Segelschiffen (die ja immer mehr die hölzernen
verdrängen) sich in der Regel kleine Dampfmaschinen befinden, die
beim Löschen und anderen Arbeiten erforderlich sind, so könnten auch
diese leicht zur Mitführung von Destillierapparaten gezwungen und da-
mit der Wassersnot auf Schiffen endgiltig vorgebeugt werden. Auf den
Passagierdampfern sind übrigens eiserne Trinkwasserbehälter im
Zwischendeck an verschiedenen Stellen zu freier Benutzung angebracht,
und wird morgens heißes Nutzwasser ausgeteilt, für welches in manchen
Schiffen ein besonderer Tank im Zwischendeck aufgestellt ist.
Von den gebräuchlichsten Destillierapparaten sind:
1) Der N or man dy' sehe (Fig. 17), auf der deutschen, 2) der
Per roy' sehe, auf der französischen, und 3) der Hocking'sche auf
der englischen Marine und den meisten Passagierdampfern in Gebrauch.
Bei allen wird der — womöglich einem gesonderten Hülfskessel ent-
nommene — Dampf in einem als Oberflächenkondensator wirkenden
Rohr- oder Cylinder System, das von Meerwasser umspült ist, niederge-
schlagen. Die Rohre sind innen und außen verzinnt, um das Ansetzen
gesundheitsschädlicher Oxyde zu verhüten, Blei ist an den Apparaten
durchaus vermieden. Vor oder während seiner Kondensation wird dem
Dampfe Luft beigemischt, die dem Destillat wieder Kohlensäure zu-
40
Schiffshygiene.
225
führt, und endlich wird dasselbe um noch allerlei Unreinigkeiten, Me-
talloxyde und dergl. zu entfernen, auf ein der Hauptsache nach aus
Knochenkohle bestehendes Filter gebracht. Leider raubt dieses einen
Teil der dem Wasser künstlich zugeführten Kohlensäure wieder (Bus-
ley 36). Beim Gebrauch derartiger Apparate ist Folgendes zu beachten.
Ist kein eigener Hilfskessel dafür vorgesehen, so darf der Hauptkessel
nicht gleichzeitig zum Destillieren und für die Schiösmaschine benutzt
werden, und ist sein Inhalt von einer etwa vorhandenen Fettschicht
durch Abschäumen zu befreien. Damit keine Zumischung von Kühl-
Dtwipt
Seewasser
austritt
m-> Lauf des Kühlwassers von und zu See.
— - ► Lauf des Süfswassers und Dämpfe.
Fig. 17. Normandy 's Apparat nach B u s 1 e y 3S. Der dem Kessel entnommene
Dampf strömt durch a in den Evaporator A, wird in dessen Röhren durch das umgebende
Kühlwasser zu Kondenswasser, welches durch den Dampfsammler B nach dem Abkühler D
abfliefst, sobald sich in B so viel Wasser gesammelt hat, dafs das Ventil e aufschwimmt.
Hierdurch wird das Mitreifsen von nicht kondensiertem Dampf (der durch f ausgelassen
wird) Verhindert. Im Abkühler cirkuliert kaltes Wasser, bei h eintretend, bei i seinem
gröfseren Teile nach abfliefsend. Ein kleinerer Anteil geht schon angewärmt durch l nach
dem Evaporator A , um dort durch die latente Wärme des in seinen Röhren konden-
sierenden Dampfes zu verdunsten. Die Siebplatte o verhindert ein Aufspritzen des Wassers
in den Dampfraum. Die Luft, die aus dem nach i strömenden Wasser entweicht, geht durch
p in den Dampfraum von A und mischt sich den Dämpfen bei ; diese entweichen durch r
in die Rohre von C, um sich dort zu lufthaltigem Wasser zu verdichten. Ueberschüssige
Luft entweicht durch s, das lufthaltige Wasser aber fliefst in den Abkühler, wo es sich
mit dem direkt aus dem Evaporator gekommenen sammelt und durch A in das Filter E
abfliefst. Hier passiert es zuerst die Kammer x, dann y und wird durch z in die Tanks ge-
leitet, a sind Reinigungsschrauben, u ein Luftknopf, der ein Zurücktreten von Wasser aus
dem Filter verhütet.
41
226 D. KULENKAMPFF,
wasser zum Destillat erfolgen kann, ist nicht nur die Dichtheit der
Röhren zu kontrollieren, sondern auch ein Ueberkochen des ersteren
oder ein Ueberfließen bei hohem Kühlwasserstand und starken Schiffs-
bewegungen zu verhüten. Bei Destillation von Hafenwasser gehen leicht
übelschmeckende Substanzen mit über. Da das Filter durch Oel und
empyreumatische Substanzen verfettet, so muß dessen Kohle öfter durch
Waschen und Ausglühen gereinigt werden.
Da in vielen fremden Hafenplätzen das Wasser oft weit herbeige-
schaft werden muß und die Wasserhändler sehr hohe Preise fordern, so
ist unter Umständen die Herstellung destillierten Wassers auch wegen
der Kosten vorzuziehen. In Westindien mußte z. B. die Nymphe
1,14 Pfg. pro Liter bezahlen, während Destillation um mehr als die
Hälfte billiger war, in Malta beim Händler pro Kubikmeter 10 M., bei
Destillation 2 M.
Angesichts dieser Verhältnisse ist es auch nicht zu billigen, wenn
etwa auf Außenstationen zum Geschirrspülen oder zur Körperreinigung
minderwertiges Wasser benutzt wird, und dürften in nicht zu ferner
Zeit auch gesetzliche Bestimmungen, die einen höheren Wasservorrat
als 4 — 6 1 pro Kopf vorschreiben, gerechtfertigt sein. Normandy's
Apparat liefert je nach der Größe pro Tag 1250 bis 5000 1 Trink-
wasser.
8) Hanse, Deutsche nautische Zeitschrift (1888 — 95).
13) Plumert, Gesundheitspflege auf Seeschiffen, Pola 1891.
36) Busley, Die Schiffsmaschine, Kiel 1885.
51) Nocht, Hygienische Bundschau (1892) No. 7.
52) Fromme, ibidem (1892) No. 7.
Kapitel IX.
Hygienisches Verhalten auf Seereisen.
Be züglich des allgemeinen hygienischen Verhaltens
auf See ist in erster Linie die Art der Kleidung zu erörtern, die — den
vielfachen Witterungseinflüssen entsprechend — zu einem großen Teile
aus Schafwolle herzustellen ist. Es kommen dabei wesentlich die 3
Eigenschaften der Wolle in Betracht, daß dieselbe schwerer durch-
feuchtet, auch in feuchtem Zustande noch durchlässig bleibt für die Luft,
und das Wasser langsam wieder verdunsten läßt, im Gegensatz zu baum-
wollenen Stoffen (Hohenberg53). Unzweckmäßig sind freilich die
schwerwollenen (J ä g e r ' s) Unterhemden, welche die Schweißabsonderung
steigern und die Haut reizen. Also leichte Wollunterhemden, besonders
die gewirkten (Trikot) oder auch baumwollene, während für schwerere
Oberkleider die gewebten und geköperten Stoffe vorzuziehen sein dürften,
außer in den Tropen, wo leicht waschbare baumwollene von heller
Farbe an die Stelle treten. Sehr zu empfehlen sind die bei den Reisen-
den in heißen Gegenden gebräuchlichen Schlafanzüge aus Wolle oder
Baumwolle statt eines Hemdes. Gegenüber den luftundurchlässigen
Oelzeugen haben die porös-wasserdicht imprägnierten (mit essigsaurer
Thonerde) den Vorzug, daß sie ihre Luftdurchlässigkeit bewahren.
Wichtiger dürfte für den Matrosen sein, eine mehrfache Ausrüstung
an Wollstoffen zu besitzen, besonders auf Segelschiffen, wo keine warmen
Räume zum Trocknen vorhanden sind, die Leute oft mehrmals täglich
durchnäßt werden und ihre Sachen nur bei gutem Wetter an der Luft
austrocknen können. Für die Heizer sind feuersicher imprägnierte Hosen,
und Holzschuhe anzuraten. Zum Schutz gegen die Sonne dienen die
42
Schiffshygiene. 227
bekannten Helme aus Kork oder Filz mit Luftschicht ringsum und
übergehängten Nackentüchern.
Das Schlafen auf Deck in den Tropen ist vielfach als gefährlich
betrachtet worden, und sind schwere Erkältungen, Anginen und Con-
junctiviten darauf zurückgeführt. Thatsächlich handelt es sich dabei
um die Wirkungen des starken Taufalles , denen durch Sonnensegel,
Zelte und gutes Zudecken vorgebeugt werden kann.
Trotz der vervollkommneten Ventilation befinden sich die Heizer
auf Dampfschiffen noch immer unter schwierigen Verhältnissen, da die
Temperatur der Heizräume 30—45° C zu betragen pflegt, an manchen
Stellen, z. B. im Roten Meer, bis auf 70 ° ansteigen kann, wobei Blut-
temperaturen bis zu 39° beobachtet sein sollen49.
Nach den neueren Untersuchungen von Neuhaus54, der die ge-
legentlich sehr hohen Temperaturen der Heizräume bestätigt, stieg
allerdings die Bluttemperatur der Heizer nach 4-stündigem Verweilen
nur um 0,7 bis 0,8 ° C und niemals höher als 38 °. Die geringe relative
Luftfeuchtigkeit im Kesselraum (4 — 8 Proz.) bedingt aber im Verein
mit der geradezu kolossalen Schweißbildung eine außerordentliche Steige-
rung der Wärmeabgabe. Bei dem Schiffskoch fand Neuhaus, während
die Temperatur in der Küche 44 — 54 ° C betrug, nur WTerte von 37,0 bis
37,5° C, bei sich selbst, daß mit großer Regelmäßigkeit die Körper-
temperatur innerhalb der Tropenzone um ein Weniges (0,3 °) höher
war als außerhalb der Wendekreise. Interessant ist auch die Beob-
achtung, daß der innerhalb der Tropenzone konstant verminderte
und spezifisch schwere Urin zu gewissen Zeiten auffallende Abweich-
ungen in der Absonderungsmenge zeigte. Dieselbe sank beträchtlich
bei stark schwankendem Schiffe, auch wenn keine Seekrankheit vorlag.
Das Bedürfnis nach Abkühlung und der Durst veranlaßt die Heizer
leicht zu übermäßiger Anwendung kalten Wassers. Eigene Wasch-
häuser, die ohne daß das zugige Deck überschritten werden muß, zu
erreichen sind, das Einstellen von Eingeborenen (in der Marine für ge-
wisse Strecken vorschriftsmäßig) und Sorge für passende Getränke sind
die Hauptvorbeugungsmaßregeln gegen das Auftreten von Anämie,
Magen-, Herz- und Lungenleiden. Wenn chronische Lungenkrankheiten
bei Schiffsbesatzungen immerhin nicht selten vorkommen, so ist dafür,
wie Lederer56 mit Recht bemerkt, eine Konkurrenz mehrfacher Ur-
sachen anzuziehen. Als Getränke sind Kaffee und Thee, besonders die
auch gern genommene Hafergrütze am meisten im Gebrauch und zu
empfehlen. Mericourt und Fonssagrives sprechen sich sehr
für einen Branntweinzusatz (2 zu 50 Kaffeeinfus) aus; am Lloyd wer-
den Spirituosen als besonders verderblich betrachtet, und sollen gute
Heizer, wenn sie nüchtern leben, 20 — 25 Jahre gesund und dienstfähig
bleiben. —
Eine besondere Beachtung erfordert endlich die Thätigkeit des
Darmes, die eine Ueberwachung der Kost und öftere Abführmittel
nötig macht, da sonst leicht ruhrartige Erkrankungen sich ausbilden,
die Anämie in den Tropen — durch Stomachica und Tonica zu be-
kämpfen — und die in unreinlichen Zwischendecken wohl gehäuft
auftretenden Bindehautkatarrhe. Gegen die Seekrankheit giebt es be-
kanntlich keine Mittel als abwechselnd Horizontallage und Aufenthalt
auf Deck, sowie Zuführung von leichten Nahrungsmitteln trotz Wider-
willens dagegen , da der Magen dann sein Gleichgewicht rascher
wieder erlangt. Gelänge es, das Eintreten der Seekrankheit voll-
43
228 D. KULENKAMPFF,
ständig zu verhüten, so würde das insofern hygienisch bedeutsam sein,
als dieselbe zu einer hochgradigen Verpestung und VerunreiniguDg der
bei schlechtem Wetter an sich schon sehr schwer zu lüftenden , über-
füllten Schiifsräume führt, und sie außerdem als solche kranken oder
geschwächten Personen direkt verderblich werden kann. Allein die
zahlreichen kostspieligen Versuche, die Schlingerbewegungen der Schilfe
— d. h. die pendelartigen Bewegungen nach der Seitenrichtung — und
damit die Seekrankheit zu hintertreiben , sind ziemlich erfolglos ge-
blieben. In dieser Richtung sind anzuführen eine übermäßige Länge
des Schiffes (Great Eastern), oder überwiegende Breite (wie bei der
Livadia des Czaren) , schwingende , stets horizontal liegende Salons
(Bessemer's Stahldampfer), die Verkoppelung von 2 Schiffen nebenein-
ander, die auf Kriegsschiffen versuchten, das Gewicht der sich heben
wollenden Bordseite vermehrenden Wasserkammern. Am meisten haben
sich nach Haack bewährt die an der Kimm (höchster Wölbungspunkt
des Schiffsbauches) aufgesetzten Seitenkiele, sowie vor allem eine ge-
eignete Konstruktion und Belastung durch die Ladung. Ein Schiff
darf weder zu stabil noch zu rank sein, wenn es nicht stark
schlingern soll 34.
34) Haack, Hygien. Rundschau (1891) No. 8 und 9.
53) Hohenberg, Ueber Bekleidung von Schifsbesatzungen, Berlin 1891 (Dissertation).
54) Neuhaus, Virchow's Archiv (1894) Bd. 134.
55) Berliner klinische Wochenschrift (1885) No. 43.
56) Lederer, Mitteilungen aus dem Gebiete des Seewesens (1885) 1. u. 2. Bd.
57) Mähe. Manuel pratique d' Hygiine navale, Paris 1874.
58) Statistisches Jahrbuch für d. Deutsche Reich (1894).
Kapitel X.
Gesetzliche Bestimmungen über das Auswandererwesen und Für-
sorge für die Seeleute.
Gesetzlich sind das Auswandererwesen und die Ge-
samtheit der hygienisch wichtigen Verhältnisse auf Seeschiffen früher
durch Verordnungen und Gesetze der einzelnen Seeuferstaaten in
der verschiedensten W'eise geregelt worden39. Ein bedeutsamer Fort-
schritt war es, daß seit dem Beginn der 80er Jahre in Hamburg und
Bremen hierüber wie über das Quarantänewesen die bestehenden ein-
zelnen Vorschriften zu einheitlichen Gesetzen gesammelt und ergänzt
wurden, nachdem die thatsächlichen Verhältnisse durch den Umschwung
im Schiffsbau und die Konzentration des Auswandererstromes auf einige
wenige Häfen so tiefgreifende Veränderungen erfahren hatten. Ein
weiterer, besonders die Gesundheitspflege und Krankenbehandlung be-
rührender Fortschritt geschah durch die Einführung des im Kaiser-
lichen Gesundheitsamte von Gärtner ausgearbeiteten Buches: An-
leitung zur Gesundheitspflege an Bord von Kauffahrteischiffen, welches
all die früheren — nach Umfang und Wert sehr verschiedenartigen —
ähnlichen Bücher bald verdrängte und durch Aufstellung einer Liste
von Medikamenten die Herstellung einer einheitlichen „Medizinkiste'1
für Schiffe anbahnte. Das Buch muß von dem Kapitän jedes Kauf-
fahrteischiffes auf allen Reisen mitgeführt werden, und die Uferstaaten
haben [sich den darin niedergelegten Vorschriften über Verprovian-
44
Schiffshygiene. 229
tierung, Medikanientenliste, Desinfektion u. a. m. durch darauf bezüg-
liche Verordnungen angeschlossen.
Ueber die Ar beitsverhältnisse und Krankenkassen für
Schiffsbesatzungen giebt es so gut wie gar keine gesetzlichen Be-
stimmungen und Ueberwachung ; ebenso wenig über das einer Beachtung
dringend bedürftige Anwerbe wesen für den Dienst auf Seeschiffen. Das
Anwerben liegt im wesentlichen in der Hand der Schlaf- und Heuerbase,
sodaß Schiffsdienst in der Regel nur für diejenigen zu haben ist, die
sich bei diesen arm gewohnt, gegessen und getrunken haben. Dieses
in allen Ländern gleichmäßig empfundene Uebel hat kürzlich in Rotter-
dam zur Gründung eines „Bundes der Seeleute" geführt, der unter
anderem auch besonders durch Errichtung einer Seemannsbörse Ange-
bot und Nachfrage für den Schiffsdienst vermitteln will. Diese Börse,
die sich in kurzer Zeit, wie es scheint, das Vertrauen der Seeleute wie
der Rheder erworben hat, würde insbesondere den Vorteil bieten, daß
der Dienstsuchende von seinesgleichen auf seine Tüchtigkeit und. Ge-
schicklichkeit geprüft und so den ordentlichen Elementen der Vorzug
gegeben würde.
In Hamburg ist neuerdings vorgeschrieben worden, daß die Heuer-
base nicht zugleich Schlafbase oder Schenkwirte sein dürfen, sowie
daß sie einen Gebührentarif bei der Polizeibehörde einzureichen haben,
auf Grund dessen eine Beaufsichtigung ihres Gewerbes stattfindet. Man
verhehlte sich indessen nicht, daß die Kontrolle — falls irgend etwas
erreicht werden soll — eine ungemein scharfe sein müsse.
Als geradezu von größter hygienischer — nicht nur volkswirtschaft-
licher — Bedeutung müssen die Bestrebungen bezeichnet werden, den im
Hafen ankommenden Seemann vor der Verschleuderung seines Erwerbes in
Excessen allerlei Art zu bewahren. In England hat man Versuche mit
dem sogenannten „Transmission of wages" System gemacht, welches darin
besteht, daß ein Beamter des Handelsamtes für alle Seeleute, die in ihre
Heimat reisen wollen, die Gage erheben kann — sofern sie es wün-
schen — um sie ihnen dann nachzusenden. Zur Zeit werden jährlich
dort etwa 20000 Seeleuten Summen im Betrage von 5 Millionen Mark
nachgesandt8. In Hamburg, wo die örtlichen Verhältnisse für ein
derartiges System nicht geeignet erschienen, versuchte man durch Ein-
richtung von Sparkassen — Annahmestellen im Seemannshause — Aehn-
liches zu erreichen. Die Gründung von sogenannten Seemannsheimen —
Häuser, die dem Matrosen eine familiale Zufluchtsstätte bieten sollen
— als Gegenmittel gegen das Schlaf basenunwesen , hat bisher, wie es
scheint, noch nicht die richtigen Wege eingeschlagen, doch werden
neuerdings immer wieder Versuche gemacht, bessere, dem Seemanne
sympathischere Formen zu finden. —
Die Arbeitsverhältnisse der Seeleute betreffend, so ist von
der Sozialdemokratie der Achtstundentag für Schiffe, die in einem Hafen
liegen als Zusatz zur Seemannsordnung gefordert worden, und stehen
hier offenbar einer derartigen Einschränkung keine unüberwindlichen
Schwierigkeiten im Wege. Eine behufs Revision der Seemannsordnung
eingesetzte Kommission des Deutschen nautischen Vereins hat vor kur-
zem die Festlegung einer 10-stündigen Arbeitszeit vorgeschlagen. Auf
See ist eine Regelung der Arbeitszeit in anderer als der bisherigen
Weise nur denkbar durch gesetzliche Einführung des Dreiwachensystems
für die gesamte Mannschaft an Stelle des Zweiwachensystems, bei
welch letzterem die eine Wache, genügend stark, um die laufenden
45
230 D. KULENKAMPFF,
Arbeiten zu besorgen, nur in Notfällen die Freiwache zuziehen muß.
Ein Dreiwachensystem würde aber die Betriebskosten enorm steigern
und also höchstens bei allseitiger internationaler Einführung denkbar
sein. Eine Ausnahme bilden nur die Heizer auf den Dampfschiffen,
für die — wenigstens auf den meisten deutschen — das Dreiwachen-
system besteht, und zwar in der Weise, daß 3 Heizer und 2 Maschinisten
den Dienst versehen. Auf die ersteren entfällt somit eine 2 mal
4-stündige, auf die letzten eine 2 mal 6-stündige Arbeitszeit. Eher
der Berücksichtigung wert und vielleicht auch erreichbar ist das
in England in Schifferkreisen neuerdings viel erörterte Ziel einer Ent-
lastung der Kapitäne und Steuerleute. Diese haben bei schlechtem
oder nebligem Wetter, sowie ganz besonders auch beim Anlaufen mehrerer
Häfen kurz nacheinander — wo tagsüber die Ladung gelöscht, nachts
die Fahrt fortgesetzt wird — Dienstzeiten von 16 — 18 Stunden und
zwar oft genug solche von im höchsten Grade körperlich und geistig
anstrengender Art. Wenn ein Kapitän im Sturm 12—24 Stunden auf
der Kommandobrücke als verantwortlicher Lenker des Schiffes aushalten
muß, wenn ein Fehler in Folge von Uebermüdung und nervöser Er-
schöpfung die Entziehung des Patents zur Folge haben kann, so drängt
sich allerdings die Frage auf, ob nicht eine gesetzliche Fassung zu
finden wäre, die für solche Verhältnisse gewisse Grenzen scharf formulierte.
Gewiß giebt es keinen Beruf, der an die körperliche und geistige
Leistungsfähigkeit dauernd, ja oft stündlich, solche Anforderungen stellt,
wie der des Kapitäns eines großen Schiffes.
Auch bezüglich des Versich erungs- und Krankenkassen-
wesens für Seeleute scheinen noch manche Fragen einer geeigneten
Lösung bedürftig. In Hamburg und Bremen bestehen keine allgemeinen
Seemannskassen mehr, sondern nur solche einzelner Gesellschaften, wie
z. B. des Lloyd für die fahrenden oder am Lande angestellten Mit-
glieder. Der Lloyd hat eine sehr gut geregelte und liberale Kranken-
sowie auch Witwen- und Waisen-Pensionskasse. Uebrigens sind sämt-
liche angemustersten Seeleute — auch die Schiffsärzte und der Schiffsführer
ohne Rücksicht auf die Höhe seines Einkommens — versicherungs-
pflichtig für die Alters- und Invalidenversicherung. In Beziehung auf
diese ist in den beteiligten Kreisen in der letzten Zeit vielfach der
Wunsch geäußert worden, daß die beträchtlichen, von der Schiffahrt
dafür aufgebrachten Summen (im Jahre 1893 z. B. x/4 Million Mark)
in zweckmäßigerer Weise, z. B. für eine Reliktenversorgung, verwendet
werden möchten. Allerdings ist ja zu bedenken, daß die wenigsten
Seeleute ihrem Berufe bis ins hohe Alter treu bleiben, und daß, wenn
sie dann am Lande irgend ein anderes Gewerbe betreiben — also nicht
mehr beitragspflichtig sind — sie in der Regel die Versicherung nicht
freiwillig fortsetzen werden. Gleicherweise ist nicht wahrscheinlich, daß
einer größeren Anzahl Invalidenrenten zufallen werden, da es sich zu
oft um schwere, tödliche Leiden oder Unfälle handelt, während bei
leichteren durch die langdauernde Verpflichtung des Reehders (3 Monate
im In- und 6 im Auslande) zureichend vorgesorgt ist. Der im März 1894
gegründete Verband deutscher Seeschiffervereine hat seine Thätigkeit
mit einer Eingabe an den Reichskanzler eröffnet, dahin gehend, es möge
der Seemannsstand aus der allgemeinen Versicherung gegen Alter und
Invalidität ausgeschieden und eine besondere, etwa unter die Leitung
der Seeberufsgenossenschaft zu stellende Kasse für die Alters-, Invali-
ditäts- und Reliktenversorgung gestiftet werden.
46
Schiffshygiene. 231
Ein weiterer berechtigter Wunsch bezüglich des Unfallversicher-
ungsgesetzes ist von der Regierung entgegenkommend aufgenommen
worden. Es handelt sich darum, daß gewisse ansteckende Krankheiten
— wie z. B. das Gelbfieber — den Betriebsunfällen gleichgestellt wer-
den sollen, da ja der Seemann solchen beim Anlaufen verseuchter Häfen
z. B. berufsmäßig ausgesetzt wird.
Den Verdienst des Seemannes anlangend, so betrug die Heuer für
Vollmatrosen (neben freier Beköstigung) in den Jahren von 1889 bis
1893 monatlich 53,48—53,87 M., für Schiffsjungen 14,50—16,91 M. 58.
Nach § 4 der Verfassung steht der Reichsregierung die Befugnis
zu, das Auswandererwesen gesetzlich zu regeln. Die Aussicht auf ein
einheitliches Gesetz hierüber wie auch — auf Grundlage der Beschlüsse
der Dresdener Konferenz von 1893 — über das Quarantänewesen ist
jetzt in nächste Nähe gerückt, da die Vorverhandlungen unter Zuziehung
der verschiedensten Sachverständigen eröffnet sind.
Die wesentlichsten B e s t i m m u n g e n bezüglich der Quaran-
täne sind für Preußen, Bremen und Oldenburg, die 1883 ein gemein-
sames Quarantäneamt in Bremerhaven errichtet haben, sowie für Ham-
burg etwa die folgenden.
Einer gesundheitspolizeilichen Kontrolle unterliegen diejenigen
Schiffe, welche herkommen aus:
1) dem Schwarzen Meere, einem Hafenplatze der Türkei oder der
türkischen Inseln (ausschließlich der Gebiete am Adriatischen Meere),
dem Persischen Busen, dem Roten Meere oder von der Westküste
Afrikas nördlich von der Kapstadt;
2) aus einem Hafenplatze, der laut Bekanntmachung von Seiten
des Reichskanzlers oder nach sonstigen glaubwürdigen Nachrichten als der
Pest, Cholera oder epidemisch herrschenden Gelbfiebers verdächtig ist;
3) welche mit einem der unter 1 und 2 genannten Häfen oder
einem aus solchen Häfen kommenden Schiffe Verkehr gehabt haben oder
4) auf deuen während der Reise sich ein auf jene 3 Krankheiten
verdächtiger Fall ereignet hat.
Die genannten Schiffe müssen die gelbe Flagge führen , dürfen
weder mit dem Lande noch mit anderen Schiffen in Verkehr treten
(nur das Annehmen eines Lotsen oder Schleppdampfers ist gestattet)
und müssen einen alle gesundheitlichen Verhältnisse klar legenden Be-
richt (Fragebogen) an die Behörde einliefern. Zulassung zu freiem
Verkehr wird gestattet, wenn Pest oder Cholera während der ganzen
Reise, Gelbfieber in den letzten 14 Tagen nicht vorgekommen ist, Ver-
kehr mit verdächtigen Schiffen nicht stattgefunden hat und entweder
sanitäre Kontrolle in einem Nord- oder Ostseehafen vorhergegangen ist
oder das Schiff am Abgangsorte längstens 48 Stunden vor dem Aus-
laufen von einem deutschen Konsularbeamten einen Paß erhalten hat.
Anderenfalls muß das Schiff wieder in See gehen oder an einem
angewiesenen Platze ankern und sich der Besichtigung durch den be-
amteten Arzt unterziehen. Erkrankte, Genesende und Verdächtige sind
getrennt an geeigneten Orten zu isolieren, die von Kranken benutzten
Effekten zu vernichten, die der übrigen sowie die Schiffsräume zu des-
infizieren.
Mannschaft und Passagiere jedes kontrollierten Schiffes werden in
einem isolierten Räume der ärztlichen Beobachtung unterstellt, bei Ver-
dacht auf Pest für 7 Tage, bei Cholera und Gelbfieber je 6 Tage, ihre
47
232 D. KULENKAMPFF, Schiffshygiene.
Effekten und Kleider werden desinfiziert oder vernichtet. Hat das
Schiff giftfangende Waren (diese werden in § 9 des Uebereinkommens
von 1883 näher bezeichnet) aus pestverdächtigen Gegenden an Bord, so
dürfen diese erst nach vorgängiger Unschädlichmachung in den Ver-
kehr gebracht werden. Das Schiff, insbesondere der Bilschraum ist in
diesen Fällen zu desinfizieren.
Die neuesten auf diesen Gegenstand bezüglichen Vorschriften38
bringen endlich die im Juli 1893 dem Reichstage zur Genehmigung
vorgelegten Uebereinkünfte der europäischen Staaten auf Grund der
Beschlüsse der internationalen Sanitätskonferenz zu Dresden, für deren
Ausführung die einzelnen Staaten im Verordnungswege zu sorgen haben.
(Siehe bei Finkeinburg Bd. I Seite 25 dieses Handbuches.)
38) Wernich und Wehmer, Lehrbuch des öffentlichen Gesundheitswesens (1894) 726 tf.
39) Hamburger und Bremer Gesetzblatt (1893.$.).
58) Statistische s Jahrbuch/, d. Deutsche Beich (1894).
Gemeinsames
Register
zu Knauf f— Weyl, Asyle, niedere Herbergen, Volksküchen u, s. w.
und D. Kulenkampff, Schiffshygiene.
Abdominal typhus in Berlin 147.
Aborte auf Schiffen 208.
Arbeiterbaracken 171.
Arbeitshaus in Berlin 148.
Armstrong 218.
Asyle 145 ff.
— in Berlin 162 ff.
— „ Elberfeld 166.
— ,, England 169.
— ,, Moskau 168.
— „ Paris 148. 167 ff.
— „ Wien 1C7.
Aschebeförderung 205.
Auson, Admiral 187.
Auswandererwe sen 212. 228.
Bäder auf Schiffen 210.
— in Asylen 150.
Baumeister 149.
Becker 149.
Berlin, Exanthematicus in 147.
— Flecktyphus in 147.
— Pennen in 147. 155.
— Pocken in 147.
— Polizeiverordnung über Pennen etc.
in Berlin 153.
— Recurrens in 147.
— Volkskaffeehaus in 173.
— Wärmehalle in 176.
Behnke 169.
Bilgewater 190.
Büsche 190.
Bilschgase 193.
— räum 190.
— wasser 195 ff.
Blane 187.
Bochum, Kosthaus in 174.
Bock 148.
Bohr 186.
Börner's Patentklosett 209.
Booth über Asyle in London 152.
Bremen, Volkskaffeehaus in 175.
— Zahl der Schiffe und Matrosen 1$
Breslau, Recurrens in 148.
Brüssel, Flecktyphus in 148.
Bugge 213.
Burton-Brown 206.
Busley 206.
Cholerabacillen im Bilschwasser 196.
Cholera in London 147.
— in Pennen 147.
Citronensaft gegen Skorbut 187.
Common lodging houses 146 ff. 152.
Common lodging houses act 147.
Cook 187.
Deschamps 148.
Desinfektion der Schiffe 194 ff.
Destillierapparate auf Schiffen 223.
Dresdener Konferenz 231.
Dryholystoning 195.
Dujardin-Baumetz 170.
Dumesnil 148.
Dnnbar 197.
Duncan 146.
Eau de la sentine 190.
Eismaschinen auf Schiffen 219.
Elberfeld, Asyl in 166.
England, Asyle in 169.
Erhardt 198.
Ernährung in Asylen 158.
— auf Schiffen 213.
Exanthematicus in Berlin 147.
— in Paris 148.
Explosion auf Schiffen 192.
Filter für Schiffe 224.
Flock 192.
49
234
Register.
Flecktyphus in England 146.
— in Festungen 146.
— „ Gefängnissen 146.
— „ Irland 146.
— „ Breslau 148.
— „ Brüssel 148.
— „ Riga 148.
Fonssagrives 218.
Friedel 187.
Gärtner 192. 206.
Geary 187.
Gebläse 203.
Gefängnis, Krankheiten im 146.
Gesetze über niedere Herbergen 151 ff.
Girgensohn 148.
Goltdammer, Litteratur 156. 172.
— über Pennen 147.
— ,, Recurrens 146.
Glasgow, Flecktyphus in 146.
Glover 146.
Green 204.
Grube von der Hey dt, Schlafhaus der 170.
Haack 205.
Hafenarzt 212.
Hamburg, Kaffeehalle in 175.
— Musterung in 189.
Hawsksley 146.
Hay, Captain 155.
Herbergen 171 ff.
Herwig 195.
Hirsch, A. 149.
Holzschiffe 183.
Hospitäler auf Schiffen 211.
Impfungen auf Schiffen 213.
Irland, Flecktyphus in 145.
Jacobi 148.
Jünglingsheime 171.
Kaffeehallen 172.
Kalk zur Desinfektion der Schiffe 196.
Karlin sky 198.
Kiel 190.
Kielschwein 190.
Kindersterblichkeit in Liverpool 146.
— in Nottingham 145.
Kirchner 186.
Koch und Gaffky über Desinfektion der
Schiffe 195.
Kohlenladungen 194.
Kohlensäure in den Schiffsräumen 193.
— Vergiftung auf Schiffen 192.
Kohlenoxydvergiftung auf Schiffen 192.
Kolschwein 190.
Kosthaus in Bochum 174.
Krankenkassen für Seeleute 229.
Küchen auf Schiffen 210.
Kühlapparate 219.
Iiapparent 186.
Lazarette auf Schiffen 211.
Lederer 227.
Lebert 148.
London, Asyle in 152.
— Pennen in 146.
— Recurrens in 146.
Liddle 155.
Litten 148.
Liverpool, Kindersterblichkeit in 146.
Lüftung des Schiffes 198 ff.
Luftraum in common lodging houses 150.
Macdonald 190.
Mägdeheime 171.
Medizinkiste auf Schiffen 212.
Meinert 175.
Mericourt 186.
du Mesnil 149. 179.
Morgenstern, L. 175.
Moskau, Asyle in 168.
Munk über Volksküchen 173.
Murchison über Flecktyphus 140.
Nocht 194. 197.
Nottingham, Sterblichkeit in 145.
Paris, Asyle in 148. 167.
— Flecktyphus in 148.
— Pennen in 148.
Parkes 206.
Patentklosett von Börner 209.
Pennen in Berlin 147. 156.
— in London 146.
— „ Paris 148.
Pistor über Pennen etc. 149.
Plumert 192.
Pocken in London 147.
— in Pennen 147.
Pressköpfe 198.
Proviant 214.
Quarantänen 230
Rae 219.
Raoul 198.
Rauer 192.
Recurrens in Berlin 147.
— in London 146.
— Vorkommen des 146.
Reincke 186.
Riga, Flecktyphus in 148.
Ringeling 193.
Rippen 190.
Rochard, Jul. 148.
Rodney 187.
Root 203.
Saatholz 190.
Sabordement 193.
Sander 149.
Sandstein 149.
Saugköpfe 200.
Schiffshygiene 180 ff.
Schiffsluft 191.
Schlaf häuser 170 ff.
Schlafstellen s. a. Pennen.
Schmitt, Ed. 172. 175.
Seekrankheit 228.
5o
Register.
235
Selbstentzündung auf Schiffen 192.
Seydel 193.
Sjögvist 198.
Simon, H. 149.
— Sir John 152.
Skorbut auf Schiffen 187. 218.
Spanten 190.
Spirituosen auf Schiffen 187.
Sterblichkeit auf Schiffen 188.
Stuttgart, Herberge in 173.
— Mägdeheim in 172.
Sublimat zur Desinfektion der Schiffe 195.
Submersion 193.
Tanks auf Schiffen 200.
Treutier & Schwarz 204.
Turner 192.
Typhus abdominalis s. Abdominaltyphus.
— exanthematicus s. Exanthetnaticus.
— bacillen im Bilschwasser 196.
Typhus s. auch Flecktyphus.
Utley's Fenster 201.
Valiin 198.
Ventilatoren 202 ff.
Vergiftung auf Schiffen 192.
Verkehrshygiene 178 ff.
Versicherung der Seeleute 230.
Viehoff- Voss 199.
Vinen 155.
Volkskaffeehaus in Berlin 173.
Volksküchen 172.
Walbrach 211.
Wärmehallen in Berlin 176.
Wärmstuben 172.
Wasserversorgung auf Schiffen 222.
Wenzel 189.
Wernich über Schlafstellen 151.
Weyl, Th., Gesundheit der Städte 156
Wien, Asyle in 167.
— Wärmehalle in 176.
Windsack 199.
Wyss 148.
Zwischendeck 207.
Zwischendecker, Ernährung der 216.
5'
EISENBAHNHYGIENE.
BEAEBEITET VON
DR. OTTO BRAEHMEß,
SANITÄTSRAT IN BERLIN.
MIT 13 ABBILDUNGEN IM TEXT.
HANDBUCH DER HYGIENE
HERAUSGEGEBEN VON
DR. THEODOR WEYL.
SECHSTER BAND. VIERTE LIEFERUNG.
--$3i©f-
JENÄ,
VERLAG VON GUSTAV FISCHER.
1896.
Inhaltsübersicht.
Seite
I. Einleitung 237
II. Die Entwickelung und Bedeutung der Eisen-
bahnen 237
Litteratur 239
III. Die für Gesundheit und Leben durch den Eisen-
bahnbetrieb entstehenden Gefahren 239
a) Unfälle 239
1. Statistik 239
2. Natur der Unfälle (Traumatische Neurose) 245
Litteratur 247
b) Krankheiten 247
1. der Reisenden 247
2. des Eisenbahnpersonals 248
Litteratur 253
IV. Die Abwehr der durch den Eisenbahnbetrieb ent-
stehenden Gefahren 253
Litteratur 254
a) Sanitäre Bedingungen der Betriebsmittel und des Betriebes 253
1. Bahnhöfe 254
2. Oberbau (Schienen, Bahnbewachung, Bahnübergänge) . . 255
3. Signal und Telegraphenwesen 257
4. Weichen 261
5. Lokomotiven . . . '. 261
6. Wagen 263
7. Lüftung der Wagen 268
Litteratur 271
8. Heizung der Wagen 271
Litteratur 273
II Inhalt.
Seite
9. Beleuchtung der Wagen . 273
Litteratur 274
10. Kuppelung und Buffer 274
11. Bremsen 275
12. Maßnahmen gegen ansteckende Krankheiten 276
13. Leichentransport 283
. Litteratur 284
14. Das Rettungswesen hei den Eisenbahnen 284
Litteratur 291
15. Wohlfahrtseinrichtungen hei den Eisenbahnen . . . . 291
a) Haftpflicht 291
b) Einrichtungen für Beamte 292
c) Einrichtungen für Arbeiter 293
16. Betrieb und Leitung der Eisenbahnen 294
b) Sanitäre Bedingungen seitens des Eisenbahnpersonals . . . 296
1. Anstellung des Eisenbahnpersonals 297
2. Erhaltung und Pflege des Eisenbahnpersonals 300
a) Einkommen 300
b) Wohnung 301
c) Kleidung 301
d) Dienstzeit 302
e) Urlaub 303
f) Ernährung des Eahrpersonals 304
g) Uebernachtungs- und Unterkunftsräume 305
3. Pensionierung 306
c) Organisation des ärztlichen Bahndienstes 307
Litteratur 310
Verzeichnis der Abbildungen 311
Register 312
I. Einleitung.
Die Eisenbahnhygiene ist derjenige Zweig der öfientlichen Gesund-
heitspflege, welcher die Gefahren, die Leben und Gesundheit der Menschen
durch den Eisenbahnbetrieb bedrohen, erforschen und bekämpfen will.
Ihre Sorge gilt dem Wohl der Reisenden und des Eisenbahnpersonals,
dem letzteren nicht nur um des eigenen Schutzes willen, sondern weil
von seiner Gesundheit und Frische Leben und Gesundheit der Reisenden
beeinflußt wird; ihre Sorge gilt endlich den Anwohnern von Stationen
und Schienenwegen, sowie Allen, welche mit letzteren in Berührung
kommen.
Während nun für den medizinischen und sozialpolitischen Teil eine
langjährige Erfahrung und das Studium der Litteratur eine genügende
Sicherheit des Urteils darboten, war der Verfasser — der Natur der
Sache nach — bei der Schilderung der technischen Einrichtungen, die
ja die Sicherheit im Eisenbahnbetrieb so wesentlich beeinflussen, auf
die Unterstützung sachverständiger Berater hingewiesen. Zu besonderem
Danke haben uns durch ihren fachmännischen Rat verbunden die Herren
Geh. Oberbaurat S t a m b k e , Regierungsrat R e h b e i n , Baurat V o c k e
und Geh. Kommissions-Rat Glaser, sämtlich in Berlin.
Bei dem für die Bearbeitung der Eisenbahnhygiene zur Ver-
fügung stehenden, nicht allzu großen Raum konnte eine Anzahl wich-
tiger technischer Fragen nicht ausführlich im Text behandelt, sondern
mußte vorzugsweise durch Anführung der Litteratur berücksichtigt
werden.
IL Die Entwickelung und Bedeutung der Eisen-
bahnen.
Die uralte Erfahrung, daß ein Fuhrwerk auf glatter Oberfläche,
welche die geringste Reibung bedingt, am schnellsten fortbewegt werden
kann, schuf von jeher Bestrebungen die W7ege möglichst glatt und fest
herzustellen. Da jedoch selbst auf den besten Wegen die Räder tiefe
Geleise einschnitten, so kam man auf den Gedanken die Einschnitte,
in denen die Räder rollten, durch eine feste Unterlage zu unterstützen,
d. h. die Räder auf Bohlen oder Balken zunächst von Holz rollen zu
lassen. Diese Holzschienen wurden zuerst in Deutschland beim
Bergwerksbetriebe (vgl. dies. Handb., 8. Bd. 228) eingerichtet. Das Be-
Handbuch der Hygiene. Bd VI. 16
238 BRAEHMER,
fahren derselben mit schweren Lasten nützte sie selbstverständlich bald
ab; daher beschlug man diejenigen Stellen der Holzspuren, welche am
meisten der Abnutzung ausgesetzt waren, mit Schmiedeeisen. Erst im
Jahre 1776 wurde die erste Bahn aus ganz eisernen Schienen ausge-
führt; die weitere Verbesserung derselben in Bezug auf die FormeD,
das Material u. s. w. geht bis in die neueste Zeit.
Auch das zweite Haupterfordernis des Eisenbahnbetriebes, die An-
wendung des Dampfes als bewegende Kraft, blieb der neueren
Zeit vorbehalten. Die ersten Fuhrwerke auf Schienen wurden durch Tiere
oder durch Menschen bewegt. Auch Seilbahnen wurden auf bergigem
Terrain in der Weise angewandt, daß ein herabgehender beladener einen
leeren Wagenzug emporzog. Auch bediente man sich stehender Dampf-
maschinen und sogar der Wasserräder, um Wagen auf Schienen mittels
Ketten steile Anhöhen emporzuschaflen. Nachdem bereits im Jahre
1784 der Engländer James Watt ein Patent auf eine Dampfvorrich-
tung zur Fortbewegung von Wagen genommen hatte, gelang es erst
nach langen Vorversuchen dem großen englischen Ingenieur George
Stephenson die Bewegung von Lokomotivmaschinen mit glatten
Kadern als ausführbar hinzustellen.
So konnte die erste Eisenbahn zwischen Stockton und Darling-
ton in England am 4. Oktober 1825 dem Verkehr übergeben werden.
Dieselbe diente jedoch in den ersten Jahren nur zum Transport von
Kohlen und Erzen. Die Personenbeförderung auf dieser Strecke begann
erst am 27. Oktober 1828, dem eigentlichen Geburtstag unseres jetzigen
Eisenbahnwesens. Die anderen Länder schlössen sich in folgender Reihen-
folge an1: Erankreich und Oesterreich-Ungarn 1828, Belgien
1835 mit der Strecke Brüssel -Merlines, in demselben Jahre Deutsch-
land mit Nürnberg -Eürth, der am 29. Oktober 1838 Berlin - Potsdam
folgte, Rußland 1838, Italien 1839, Schweiz 1844 mit Zürich-
Aarau, Spanien 1848, Schweden 1851, Türkei 1860, Rumänien
1870. In Amerika wurde die erste Bahn 1830 eröffnet, in Asien
1853, in Afrika 1856 (Aegypten), in Australien 1863 3.
Von allen Erdteilen und Ländern hat den großartigsten und durch
seine ungeheuren Dimensionen geradezu verblüffenden Aufschwung ge-
nommen der Eisenbahnbau der Vereinigten Staaten von Nordamerika.
Nach einer Zusammenstellung im Jahre 1890 x beträgt die Länge der
Schienenwege in Amerika 331417, in Europa 223 869, in Asien 33 724,
in Afrika 9386, in Australien 18889, in der ganzen Welt 617 285 km. Noch
mehr muß man staunen gegenüber der Thatsache, daß von der Eisenbahn-
länge Amerikas etwa 7/8 auf die Vereinigten Staaten fallen. Dieselben
besitzen 268 409 km Eisenbahnwege, d. i. ungefähr so viel wie Europa,
Asien, Afrika und Australien zusammen.
Wie auf allen Gebieten der modernen Lebensführung, so hat auch
auf den Eisenbahnbetrieb den nachhaltigsten Einfluß ausgeübt die
Elektricität. Die Erhöhung der Sicherheit durch die Telegraphie wird
später (S. 260) beleuchtet werden, die Vorzüge der elektrischen Beleuch-
tung von Wagen, Bahnhöfen und Strecken gelangen täglich zu größerer
Anerkennung, seit Jahren fängt man an die Elektricität als treibende
Kraft zu verwenden.
Wenn diese Versuche auch bisher hauptsächlich auf kürzeren Strecken
bez. Kleinbahnen stattgefunden haben, so verschließt man sich doch nicht
Eisenbahnhygiene. 239
mehr der Möglichkeit, daß dereinst die Elektricität als Betriebskraft die
Eisenbahnen beherrschen, ja nach dem Urteil hervorragender Ingenieure
in 25 Jahren das Zeitalter des Dampfes im Bahnbetrieb verdrängen wird.
So ist u. a. in Amerika schon vor 6 Jahren eine Sachverständigenkom-
mission zusammengetreten, um die Einführung des elektrischen Betriebes
auf einer der großen Ueberlandlinien zu erwägen. Das Projekt ist da-
mals nicht zur Verwirklichung gelangt, hauptsächlich weil die für den
elektrischen Betrieb notwendige erste Voraussetzung des Bedürfnisses,
häufiger und starker Verkehr, nicht vorlag, und unter diesen Umständen
die Einrichtung nicht in einem angemessenen Verhältnis zu den aufzu-
wendenden Kosten stand. Nach einer neueren Nachricht aus New York
hat die große Interoceanische Eisenbahngesellschaft nunmehr ein Kapital
von 200 Millionen Dollars zur Verfügung gestellt, um eine elektrische
Hochbahn zunächst von New York bis nach Chicago zu bauen, die später
bis an den Stillen Ocean fortgeführt werden soll. Auch in dem Verein
für Eisenbahnkunde 4 in Berlin wurden bei den Verhandlungen über diese
Frage die Schwierigkeiten betont, so u. a. die Anordnung der Stromzu-
führung namentlich im internationalen Verkehr, eine Schwierigkeit, welche
mit den Ansprüchen an die Geschwindigkeit wächst. Faßt man jedoch
die hier geäußerten Ansichten zusammen, so läßt sich das Ergebnis dahin
feststellen, daß alle Schwierigkeiten zu überwinden seien, und daß die
Frage des elektrischen Betriebes nicht wieder von der Tagesordnung ver-
schwinden werde. In Frankreich stehen wir bereits vor einer Thatsache:
seit Oktober 1894 wird dort die erste Vollbahn elektrisch betrieben auf
der Strecke von Nantes nach Paris mittels der Heil mann 'sehen Loko-
motive. Die bisherigen Erfahrungen sollen günstig sein.
1) Archiv f. Eisenbahnwesen (1892) 490.
2) Freiherr v. Weber, Schule des Eisenbahnwesens, 1885.
3) Haber, Geschichte des Eisenbahnwesens, 1878.
4) Verhandlungen des Vereins für Eisenbahnkunde, Berlin 1893.
III. Die für Gesundheit und Leben durch den Eisen-
bahnbetrieb entstehenden Gefahren.
Die für Gesundheit und Leben durch den Eisenbahnbetrieb ent-
stehenden Gefahren sind zwiefach. Durch den Eisenbahnbetrieb werden
hervorgerufen: entweder plötzlich zugefügte Schäden infolge mecha-
nischer Einwirkung oder Krankheiten durch die mit dem Eisenbahn-
betrieb verbundenen schädlichen Einwirkungen. Der bekannte und ver-
diente Eisenbahn techniker Freiherr v. Web er x teilt die Gefahren in solche
mechanischen und in solche physiologischen Ursprunges ein. Diese Ein-
teilung werden wir, schon um uns der Ausdrucksweise der neueren Gesetz-
gebung anzupassen, ersetzen durch die Einteilung in Unfälle und Er-
krankungen.
a) Unfälle.
1. Statistik.
Die Unfallstatistik der Eisenbahnen ist leider noch eine unvoll-
ständige und wenig zuverlässige. Namentlich an den amerikanischen
16*
240 . BRAEHMER,
Bahnen war sie bis vor Kurzem kaum vorhanden , und die in den
früheren Jahresrapporten der Eisenbahngesellschaften aufgeführten Un-
fälle beschäftigten sich viel mehr mit Zerstörungen von Bahnmaterialien
als mit den Schäden an Leib und Seele. Von einer übersichtlichen
und richtigen Zusammenstellung durch die einzelnen Verwaltungen war
keine Rede.
In dem Jahresbericht vom Jahre 1876 der Philadelphia-B-eading-
Bahn heißt es 2 : „Von der Gesamtzahl der Passagiere (6 938 129), welche
während des Jahres befördert sind, wurde keiner beschädigt, es sei denn
infolge Vernachlässigung seinerseits der von der Kompagnie für die
Sicherheit vorgesehenen Instruktion." Diesem Bericht ist eine Tabelle
beigefügt, welche die Summe der beschädigten Wagen durch Zusammen-
stöße, durch gebrochene Achsen, durch falsche Weichenstellung u. s. w.
anführt, ohne daß man daraus ersehen kann, wie viel Achsen gebrochen
oder wie viel Zusammenstöße stattgefunden haben. Ganz im Unklaren
bleibt man darüber, bei welchen Gelegenheiten Personen geschädigt oder
getötet sind. Die Bahngeseseilschaften in Amerika waren bis 1887 durch
das Gesetz nicht verpflichtet die Unfälle zu veröffentlichen und aus er-
klärlichen Gründen wenig mitteilsam. Seitdem ist durch das Bundes-
verkehrsamt in Washington die Möglichkeit einer guten Statistik an-
gebahnt.
Besser steht es um die Unfallstatistik bei den euro-
päischen Bahnen, am besten bei den Staatsbahnen. Eine unbe-
dingt zuverlässige Zusammenstellung der Unfälle finden wir in den vom
Ministerium der öffentlichen Arbeiten veröffentlichten Nachrichten über
die Ergebnisse des Betriebes der preußischen Staatseisen-
bahnen, sowie in der Statistik der im Betriebe befindlichen Eisen-
bahnen Deutschlands, nach den Angaben der Eisenbahnverwaltungen
bearbeitet im Reichseisenbahnamt.
Die amtlich festgestellten Unfälle bei den preußischen Staatsbahnen
für 1892/93 ergeben folgende Tabellen 3 :
I. Unfälle nach dem B e t r i ebs b er i ch t für 1892/93.
getötet oder inner-
halb 24 Stunden verletzt
gestorben
1, Reis ende.
a) Unverschuldet durch Unfälle der Züge während der
Fahrt 2 127
b) infolge eigener Unvorsichtigkeit beim Besteigen, Be-
nutzen und Verlassen der Züge 22 32
zusammen 24 159
Es sind daher auf je
a) 1 Million beförderte Reisende 0,07 0.49
ß) 1 Million Personen-km 0,003 0,02
2. Bahnbeamte und Bahnarbeiter im
Dienste.
A. Beim eigentlichen Eisenbahnbetriebe.
a) durch Unfälle der Züge während der Fahrt ... 4 18 1
b) auf andere Weise 247 12 12
zusammen 251 1393
Es sind daher auf je
1 Million durchfahrene Zug-km 1,17 6,50
Eisenbahnhygiene. 241
B. Bei Nebenbeschäftigungen.
(Bahnunterhaltungs- und Bauarbeiten, Auf- und Abladen
von Gütern u. s. w.) 4 407
3. Post-, Steuer-, Telegraphen-, Polizei-
u. sonstige im Dienste b e find 1 ich e B eamte.
a) Unverschuldet durch Unfälle der Züge — 16
b) infolge eigener Unvorsichtigkeit beim Besteigen und
Verlassen der Züge oder beim Betreten der Bahn . 4 5
zusammen 4 21
4. Fremde Personen.
a) Unverschuldet durch Unfälle der Züge, durch falsche
Handhabung der Wegeübergangsschranken u. s. w. . 8 8
b) infolge eigener Unvorsichtigkeit beim Betreten der
Bahn 132 82
c) durch Selbstmord oder Selbstmordversuche .... 89 23
zusammen 229 113
II. Uebersicht über die in dem Betriebsjahr 1892/93 beim Betriebe der
pr e uf sis ch e n S t aa t s ei s enb ah ne n s ta ttgef un de nen Un f all e, sowie über
die Zahl der Verunglückten.
1. Betriebslänge im Jahresdurchschnitt 25 445,57
En tgl eisun gen
2. auf freier Bahn 100
3. in Stationen 190
4 zusammen 290
Zus ammen stöfse
5. auf freier Bahn 34
6. in Stationen 178
7. zusammen 212
Gesamtzahl der Entgleisungen u. Zusammenstöfse
8. auf freier Bahn 134
9. in Stationen 368
10. zusammen 502
Von der Gesamtzahl (No. 10) entfallen:
11. auf 1 km mittlerer Betriebslänge 0,0 20
12. auf 1 Million Lokomotiv-km 1,39
13. auf 1 Million Wagenachs-km aller Art .... 0,0 6
Sonstige Unfälle*)
14. auf freier Bahn 406
15. in Stationen 1355
16. zusammen 1761
Unfälle im ganzen
17. auf freier Bahn _ 540
18. in Stationen 1723
19. zusammen 2263
Von der Gesamtzahl (No. 19) entfallen:
20. auf 1 km mittlerer Betriebslänge o,089
21. auf 1 Million Lokomotiv-km 6,2 7
22. auf 1 Million Wagenachs-km aller Art .... 0,2 5
23. Zahl der Verunglückten (ausschliefslich der Selbst-
mörder) 2082
Von der Zahl der Verunglückten (No. 23) entfallen :
24. auf 1 km mittlerer Betriebslänge o,082
25. auf 1 Million Achs-km der Personenwagen . . 1,2 0
26. auf 1 Million Personen-km 0.26
27. auf 1 Million Zug-km 9,72
28. auf 1 Million Wagenachs-km aller Art .... 0,2 3
*) Hierher gehören Ueberfahren von Fuhrwerken u. s. w., Feuer im Zuge, Kessel-
explosionen und andere Ereignisse, sofern Personen getötet oder verletzt worden sind.
242
BRAEHMER,
Für Deutschland hat die Unfallstatistik aus dem Betriebsjahr
1892/93 folgendes Ergebnis:
Statistik der Eisenbahnen Deutschlands, bearbeitet im
B
Anzahl der
Anzahl der bei den Betriebs-
atriebsunfälle
Reisende
a ..
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CD
schulde
r Zügt
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get. verl.
get.
verl.
I. Staatsbah-
nen und auf
Rechnung des
Staates ver-
waltete Privat-
bahnen
410
271
2532
3213
2
151
40
52
42
203
0,09
0,45
0,00
0,02
O,02
0,08
II. Privat-
bahnen unter
Staatsver-
waltung
I
3
4
III. Privat-
bahnen unter
eigener Ver-
waltung
72
24
204
300
10
4
4
4
H
0,11
0,39
O,01
0,02
O,03
0,10
Summa von
I, II, III
483
295
2739
3517
2
161
44
56
46
217
0,09
0,44
O.00
0,02
0,02,
0,08
Betreffs der übrigen europäischen Staaten ist folgendes fest-
gestellt 4 :
Es fallen in
auf 1000 000
Zugkilometer
auf l 000 000
Reisende
Tote
Verletzte
Tote
Verletzte
0,57
0,10
0,24
0,41
0,17
0,87
0,31
0,45
0,47
1,89
0,48
0,4 9
1,80^
0,25°
0,57
0,76
0,7 2
0,49
0,02
0,01
0,01
0,01
0,01
0,17
0,05
0,01
0,08
0,14
0,04
0,05
0,07
0,33
0,15
Dänemark . . .
Frankreich . . .
Italien .....
Niederlande . . .
Oesterreich-Ungarn
Rumänien . . .
Schweiz ....
Von dieser europäischen Statistik hat sich leider England ausge-
schlossen. Das Material, das uns sonst über die Statistik der Unfälle
bei den englischer] Eisenbahnen zu Gebote steht, kann keinen
6
Eisenbahnhygiene.
243
Reicl
seisenbahn
amt,
Berlin
1894
, s. Seite 72, 73
Unfällen verunglückten Personen
Aufserdem sind
Bahnbeamte und
Arbeiter
Andere Personen
Im ganzen
verunglückt
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IO
236
I
367
I
1671
9
34
214
144
642
1
2288
I
2930
2
9,28
3,98
0?23
0,17
5
521
140
31
IO
22
330
1
10
12
25
197
222
10,47
0,38
1
73
9
2
IO
247
379
1831
9
35
224
156
668
2486
3154
9,34
0,24
6
594
149
33
Anspruch auf Zuverlässigkeit und Vollständigkeit machen. Die Schwie-
rigkeit von Privatbahnen , wie sie in England fast nur vorhanden sind,
sichere statistische Nachrichten zu erhalten, macht sich auch hier geltend.
Die meisten Gesellschaften berücksichtigen mehr das zerstörte Material
und die Entschädigungssummen als die Zahl der Todesfälle und Ver-
letzten. Wir verzichten deshalb auf eine Wiedergabe und verweisen auf
Weber's „Schule des Eisenbahnwesens" (S. 765).
Für Nordamerika geben B ü t e und B o r r i e s6 folgende Statistik :
In der Zeit vom 1. Juli 1888 bis zum 1. Juli 1889 wurden auf
allen nordamerikanischen Bahnen:
getötet
Eisenbahnpersonal 1 972
Reisende 310
andere Personen 3541
Summa 5823
verletzt
20028
2 146
4 135
20309
244 BRAEHMER,
Auf die verschiedenen Klassen der Bediensteten verteilen sich diese
Zahlen, wie folgt :
Stellung der Beamten Anzahl Getötet Verletzt
Zugpersonal 138323 1179 11 301
Weichensteller, Signalwärter
und Wächter 33 044 229 2 155
Andere Bedienstete . . . 517 136 536 6360
Nichtklassifizierte .... 16240 28 212
Insgesamt 704743 1972 20028
Demnach sind in Nordamerika von 704743 insgesamt im Eisenhahn-
dienst beschäftigten Personen in einem Jahre nicht weniger als 1972 ge-
tötet und 20 028 verletzt worden. Es entfällt durchschnittlich ein Toter
auf 357 Bedienstete und ein Verletzter auf je 35 Bedienstete. Amerika
dürfte demnach unter den Eisenhahnländern wohl am ungünstigsten in
Bezug auf Unglücksfälle der Eisenhahnbeamten dastehen.
Von den Reisenden wurde von je 1523133 einer getötet und von
je 220024 einer verletzt. Diese amerikanische Statistik kann nachBüte
und Borries6 nur als eine angenäherte gelten.
Vergleicht man die jetzige Statistik mit der früheren, so ist im
allgemeinen eine Verminderung der Unfälle zu konstatieren.
Mit Rücksicht auf den beschränkten Raum wollen wir nur das Bei-
spiel von Frankreich anführen5: in der Zeit von 1835 — 1859 kam in
Frankreich 1 getöteter Reisender auf 1 955 555 und 1 Verletzter auf
496 551, in der Zeit von 1872—1879 1 Toter auf 27 879000 Reisende.
Die hier für größere Zeiträume erwiesene Abnahme der Unglücks-
fälle bezieht sich zunächst nur auf die Reisenden. Verunglück-
ungen der Eisenbahnbediensteten dagegen haben sich
bisher weder in Frankreich noch anderswo wesentlich
vermindert.
Wiederholt ist die Thatsache beobachtet worden, daß sich zu be-
stimmten Zeiten Unfälle bei einzelnen Bahnen häufen,
so z. B. Anfang der 70er Jahre an der Anhalter Bahn. Wenn solche
Häufung von Unfällen auf die Abnutzung des Materials oder auf Mängel
in der Betriebsleitung zurückzuführen ist, muß mit der Erkennung der
Schäden auch Besserung eintreten. Schon aus diesem Grunde halten
wir eine zuverlässige und gleichmäßige Unfallstatistik der Eisenbahnen
für segensreich und würden es mit Freuden begrüßen, wenn der inter-
nationale Eisenbahnkongreß eine solche anbahnen würde.
Aus Vorstehendem geht hervor, daß die Gefahr, auf der Eisenbahn
zu verunglücken, verhältnismäßig gering ist. Weber5 hat berechnet,
daß sie bei den preußischen Eisenbahnen 3 mal geringer ist als die
gewiß nicht sehr naheliegende Wahrscheinlichkeit, das große Los in der
preußischen Lotterie zu gewinnen. Nach einer anderen Berechnung
W eb er 's wird ein Reisender, wenn er Tag und Nacht auf einer preußischen
Eisenbahn fährt und 21 km in der Stunde zurücklegt, nach 307 Jahren
verletzt und nach 1540 Jahren getötet werden. Endlich ist nach Weber
statistisch nachgewiesen, daß im Jahre 1872 in Preußen mehr Personen
(546) durch Lastfuhrwerk verunglückten als durch Eisenbahnfahrt (460).
Eisenbahnhygiene. 245
So erfreulich diese verhältnismäßig geringe Gefahr ist, der in ihr
liegende Trost muß verstummen angesichts der schweren und fürchter-
lichen Wirkungen eines jener Eisenbahnunfälle, wie wir sie alle im Ge-
dächtnis haben. Hoffen wir, daß es der Vervollkommnung der Eisen-
bahntechnik trotz der immer mehr zunehmenden Anforderungen an die
Fahrgeschwindigkeit und Transportmenge gelingen möge, die Zahl der
Unfälle zu vermindern !
Litteratur *. S. 247.
2. Natur der Unfälle.
Was nun die Natur der Unfälle betrifft, so können bei Eisen-
bahnunfällen Verletzungen derselben Art und derselben Schwere vor-
kommen wie bei allen anderen Gewaltwirkungen.
Eine besondere Erörterung erfordert nur eine Gruppe von Ver-
letzungen, das sind die Störungen im Nervensystem nach Unfällen, mag
man dieselben nun traumatische Neurose, railway-spine oder
railway-bire, traumatisches Irrsein, traumatische Hysterie nennen.
Diese nervösen Störungen sind nicht nur die Folge von Rücken-
markserschütterungen, sondern auch die Folge von peripherischen
Verletzungen , welche mit oder ohne Shock die Ursachen nervöser
Störungen werden können. Es giebt wohl kaum ein ärztliches Thema,
welches die Männer der Wissenschaft und der Praxis seit den Haftpflicht-
gesetzen der Eisenbahnen so lebhaft beschäftigt hat wie die vorstehende
Frage. Chirurgen, wie Paget, Neurologen, wie Charcot, Leyden,
Oppenheim, Seligmüller, Bahnärzte, wie Riegler, haben sich
eingehend mit dieser Frage beschäftigt. Der Widerstreit der Meinungen
fand ein lebhaftes Echo bei denjenigen Verwaltungen, für welche die
traumatische Neurose ein großes praktisches Interesse hat. Wie eng
verbunden der wissenschaftliche Austrag dieser Frage mit der Praxis
ist, beweist, daß derselbe Streit, der seit einem Decennium Deutschlands
Aerzte und Verwaltungen bewegt, etwa 20 Jahre früher in England, wo
die Entschädigungsfrage bei Eisenbahnunfällen zuerst eine Regelung
fand, mit derselben Lebhaftigkeit geführt wurde.
Die erste wissenschaftliche Bearbeitung wurde 1866 von Erichsen
veröffentlicht7, welcher aus einer großen Kasuistik einen Symptomen-
komplex aufstellt, den er railway-spine nennt. Er sieht die Grundlage
der Krankheit nicht in einer Verletzung, sondern in einer chronischen
Entzündung des Rückenmarks und der Rückenmarkshäute. Auf demselben
Standpunkt standen Leyden, Erb, Bernhard, Westphal, nur daß
sie dem Shock schon eine größere Bedeutung beilegten. Riegler 10 faßte
die Störungen in dem Begriff Siderodromophobie zusammen: eine
mehr oder weniger hochgradige, mit allgemeiner hysterischer Verstimmung
und krankhafter Abneigung gegen die gewohnte Thätigkeit verbundene
spinale Irritation , welche unter Einwirkung des Shock bei den im Ma-
schinen- und Fahrdienst Angestellten sich aus einer durch ihren Beruf
selber bedingten Krankheitsanlage -entwickelt habe.
Eine neue Aera begann im Jahre 1883, als Charcot7 die sich an
Verletzungen anschließenden nervösen Krankheitszustände Hysteria virilis
nannte und seine Ansicht damit begründete, daß die Hypnose der Hyste-
rischen und die der nach Verletzungen an nervösem Shock Leidenden die
größte Aehnlichkeit hätten. Diese Theorie Charcot's wurde besonders
lebhaft bekämpft von Thomson und Oppenheim8. Für 0 p p e n -
246 BRAEHMER,
heim bilden die Sjmiptome des sich an eine Verletzung anschließenden
Krankheitszustandes die Elemente der Psychose oder Psychoneurose,
also einer Krankheitsform, der eine erkennbare materielle Ver-
änderung nicht zu Grunde liegt. Dieselbe sei weder eine reine
Melancholie noch Hypochondrie noch Hysterie noch Epilepsie noch Neur-
asthenie , sondern eine Mischform , die sich mit keiner der genannten
Krankheitserscheinungen ganz deckt. Diese Theorie Oppenheim's und
die von ihm auf Grund dieser Theorie abgegebenen Gutachten fanden
vielfach lebhaften Widerspruch, sowohl bei den die Entschädigung fest-
setzenden Organen, als auch bei den Aerzten ; von den letzteren bekämpfte
besonders Seligmüller15 die Oppen heim' sehe Theorie und wandte
sich gegen den Mißbrauch, der mit dem Worte der traumatischen Neurose
getrieben werden kann, wenn Simulanten einzelne von Oppenheim als
für die traumatische Neurose charakteristische Symptome vortäuschen und
leichtgläubige Aerzte sich täuschen lassen.
Damit ist der Kampf gegen die traumatische Neurose entbrannt,
welcher infolge der neueren sozialen Gesetzgebung, der Haftpflicht und
Unfallgesetze in allen Ländern mit großer Lebhaftigkeit geführt wird.
Es verbietet uns leider der Raum, auf eine kritische Beleuchtung
der Frage einzugehen. Für die Eisenbahnhygiene liegt die Bedeutung
der Erage nicht nur in der Feststellung der Entschädigungen, sondern in
einer großen Gefahr, die dem Eisenbahnbetriebe entstehen kann. Die
Aerzte und Bahnverwaltungen sind jetzt einstimmig der Ansicht, daß
jede Form einer Psychose auch nach relativer Genesung dauernd vom Eisen-
bahndienst auszuschließen ist. Wie oft nimmt ein der Simulation Ver-
dächtiger, aber nicht Ueberführter teils aus eigenem Antrieb, teils auf An-
ordnung des Arztes, oder einem Druck der Vorgesetzten folgend, den Dienst
wieder auf! Ist der Betreffende wirklich kein Simulant, ist er mit einer
Krankheit behaftet, der Seelenstörungen zu Grunde liegen, wie es Oppen-
heim will , so läge darin eine große Gefahr für die Betriebssicherheit.
Die Entscheidung dieser schwerwiegenden Frage erfordert daher den
ganzen Ernst des mit großer Erfahrung ausgestatteten Arztes. Es giebt
gewiß nach Eisenbahnverletzungen unzweifelhafte Psychosen und Neurosen ;
wir können aber nicht zugeben, daß solche Psychoneurosen, auch wenn
sie dem Oppenheim' sehen Krankheitsbilde entsprechen, nur nach Ver-
letzungen vorkommen.
Ein weiteres Eingehen auf die Symptomatologie der traumatischen
Neurose*) verbietet sich in einem Handbuche der Hygiene von selbst.
Es sei deshalb auf die reichhaltige, S. 247 citierte Litteratur verwiesen.
Auf Grund unserer Kenntnisse dürften die folgenden Sätze gerecht-
fertigt erscheinen.
1) Die sog. traumatische Neurose nach Eisen bahnver-
letzungen ist bei dem heutigen Stande der Wissenschaft
noch nicht als eine durch eigenartige Symptome hin-
länglich charakterisierte Krankheitsform anzusehen.
2) Die Neurosen und Psychosen des Eisenbahnper-
sonals nach Verletzungen unter scheiden sich nicht von
solchen, welche durch andere Ursachen hervorgerufen
werden.
*) Wird in einem späteren, nur für Aerzte geschriebenen Buche geschehen,
io
Eisenbahnhygiene. 247
Die sonstigen Eisenbahnverletzungen unterscheiden sich
von den durch andere Gewaltwirkung hervorgerufenen nur dadurch, daß
sie, entsprechend der Gewalt der einwirkenden Kräfte, meistens schwerer
sind als in irgend einem anderen Betriebe. Die schwersten Verletzungen
und Verstümmelungen entstehen durch Entgleisungen oder Zusammen-
stöße, in den Stationen oder auf freier Bahn , jedoch in viel größerer
Zahl in den Stationen. Die Entgleisungen werden verursacht durch
unrichtige Handhabung des Zugdienstes, falsche Stellung der Weichen,
Mängel am Oberbau, Mängel an Fahrzeugen (Achsbrüche, Radreifen-
brüche). Die häufigsten Ursachen der Zusammenstöße sind: falsche
Aufstellung von Fahrzeugen , mangelhafte Signalisierung oder Nichtbe-
achtung der Signale, falsche Dispositionen des Stationspersonals, falsche
Weichenstellung, unzeitige Ingangsetzung der Fahrzeuge, zu schnelles
Fahren, Zugtrennung.
Während bei Zusammenstößen und Entgleisungen meistens Massen-
verletzungen auftreten , entstehen die Verletzungen einzelner
Reisender oder Bediensteter noch durch andere Ursachen: z. B. durch
Fallen beim Besteigen oder Verlassen der Züge, durch Quetschungen
zwischen den Buffern (eine Ursache, welche in Amerika, wo die Wagen
meistens einen Centralbuffer haben, selten vorkommt), durch Fall vom
Trittbrett während der Fahrt, durch Ueberfahren bei falscher Hand-
habung der Wegebarriere, durch Selbstmord u. s. w.
1) V. Weber, Gefährdungen des Maschinen- u. Fahrpersonals der Eisenbahnen (1862).
2) Brosius, Die Eisenbahnen der Vereinigten Staate?i von Nordamerika (1876).
3) Geschäftliche Nachi-ichten über die preufsischen Staatseisenbahnen, 1. Teil (1894 — 95),
60—63.
4) Statistique des chemins de fer de l'Europe (1890).
5) v. Weber, Schule des Eisenbahnwesens (1880) 360, 770.
6) Büte u. v. Borries, Bericht über eine im Auftrage des preufsischen Ministers der öffent-
lichen Arbeiten 1891 untei-nommene Studienreise (1892) 125.
7) Oppenheim, Berl. ärztl. Korrespbl. (1887) 143.
8) Oppenheim, Die traumatischen Neurosen (1889).
9) Statistik der im Betriebe befindlichen Eisenbahnen Deutschlands , bearbeitet im Beichs-
eisenbahnamt (1892).
10) Biegler, Die Folgen der Verletzungen auf Eisenbahnen (1879).
11) Paget, Eisenbahnverletzungen, aus dem Englischen übersetzt von Placzek (1892).
12) Thiem, Behandlung und Begutachtung der Unfallverletzten (1892).
13) Hoffmann , Die traumatische Neurose und das Unfallversicherungsgesetz in Volkmann's
Vorträgen (1892).
14) Becker, Bestimmung der Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit nach Verletzungen (1892).
15) Seligmüller, Die Errichtung von Unfallkrankenhäusern (1890).
lb) Krankheiten.
1. Krankheiten der Reisenden.
Die durch schädliche Einwirkungen des Eisenbahnbetriebes ent-
standenen Krankheiten der Reisenden lassen sich nach Zahl und
Art naturgemäß nicht statistisch feststellen. Viele Personen machen
sich die Abhängigkeit einer Erkrankung von einer Eisenbahnfahrt über-
haupt nicht klar; bei anderen ist schwer zu bestimmen, wie viel auf
andere Ursachen, z. B. Gemütsaufregung beim Abschied und beim
Wiedersehen , Luftveränderung , veränderte Lebensweise u. s. w., zu
schieben ist.
Schon Niemeyer1 berichtet über Fälle Halla's vonPara-
lysis des Nervus facialis bei Reisenden, welche, durch schnelles
248 BRAEHMER,
Laufen erhitzt, den Zug kurz vor seinem Abgang noch erreichten und
bei geöffnetem Fenster einen Vordersitz einnahmen. Sicher konstatiert
sind ferner Fälle von akuter Laryngitis, Bronchitis und
Pneumonie, welche auf dieselbe Weise entstanden. Augenka-
tarrhe und Rachenkatarrhe nach Eisenbahnfahrten hat wohl jeder
Arzt behandelt. Sehr häufig sind Verdauungsstörungen nament-
lich nach langen Fahrten, befördert durch das Sitzen in den hintersten,
besonders schwankenden Wagen der Schnellzüge. Diese Verdauungs-
störungen, verbunden mit nervösen Erscheinungen, folgen so unmittelbar
auf die Fahrt, daß ihre Ursache nicht zu verkennen ist. Viele Per-
sonen, die an Migräne leiden, bekommen nach jeder Fahrt einen Anfall,
nach unserer Erfahrung besonders nach einer Nachtfahrt. Doch ist das
Reisen bei Tage durchaus kein Schutz. Mehrfach sind Fälle von akuter
Harnverhaltung und tagelangen Urinbeschwerden ärztlich beobachtet
worden.
Die Erwerbung einer akuten Infektionskrankheit
durch eine Eisenbahnfahrt ist naturgemäß schwer nachzuweisen , ist
jedoch mehr als wahrscheinlich. Nach privater Mitteilung von H e r z o g
ist in Bayern eine Infektion durch einen Eisenbahnwagen, in dem ein
Pockenkranker gefahren, konstatiert worden.
Litteratur s. S. 253.
2. Krankheiten des Eisenbahnpersonals.
Unter den Erkrankungen der Eisenbahnbeamten erfordern die des
Maschienen- und Fahrpersonals allein besondere Berücksichtigung. Viel-
fach ist von französischen Aerzten, so von Cahen, die Behauptung
aufgestellt worden, daß bei den Fahrbeamten nicht nur ein guter
Gesundheitszustand herrsche, sondern daß der Fahrdienst sogar fördernd
auf die Gesundheit wirke 2. Diese Ansicht wird durch die unten folgende
Statistik widerlegt.
Leider ist die Statistik der Erkrankungen des Eisenbahnpersonals
nicht überall mit derselben Zuverlässigkeit und Uebereinstimmung
durchgeführt. Aus dem jedoch, was als verbürgt gelten kann, geht
sicher hervor, daß gewisse Krankheiten beim Fahrpersonal überwiegen,
vor allem aber, daß der physische Organismus der Fahrbeamten sich
durch gewisse Einflüsse schneller abnutzt als bei anderen Beamten.
Nach den Veröffentlichungen 3 des Kaiserl. Gesundheitsamtes stellte
sich die Erkrankungsziffer von 60741 Beamten von 21 deutschen Eisen-
bahnverwaltungen im Jahre 1880 auf 57,12 Proz. Dagegen beträgt die
Erkrankungsziffer von 146000 deutschen Bahnbeamtem im Jahre 1875
59,56 Proz.
Für die einzelnen Beamtenkategorien ergaben sich folgende Er-
krankungszifiern :
1875 1880
Zugbeförderungspersonal 120,22 90,58
Zugbegleitungspersonal 82,03 75*86
Bahnbewachungspersonal .... 48,50 48,25
Stations- und Expeditionspersonal . . 47,16 45,16
Sonstige pensionsberechtigte Personen 35,43 38,86
Unter den Krankheiten spielen Rheumatismus, die Krankheiten
des Verdauungsapparates und die der Atmungsorgane eine bedeutende
Rolle.
Eisenbahnhygiene.
249
Sehr wertvoll durch den Vergleich mit der übrigen Bevölkerung
ist folgende englische Statistik von Findlaison4, welche für
die Jahre bis 1882 gelten.
Alter
Von 100 starben jährlich
Jedes Mitglied war täglich
krank (Tage)
Eisenbahn-
arbeiter
im ganzen
Lande
Eisenbahn-
arbeiter
im ganzen
Lande
25
30
40
5°
60
o,55
1,10
1.72
2,24
5,49
0,71
0,77
1,03
1,50
2,61
9,10
9,77
10,99
15,00
14,84
6,83
6,91
8,21
11.49
18,73
Aus dieser Statistik geht deutlich hervor, daß der Prozentsatz
der Todesfälle und der Krankheitstage bei den Eisen-
bahnangestellten erheblich größer ist als bei der
übrigen Bevölkerung.
Eine einheitliche Krankheitsstatistik wurde vom Jahre 1883 ab
jährlich vom Verein der deutschen Eisenbahnverwaltungen herausgegeben.
Nach 5-jährigem Bestehen ist diese Statistik leider eingestellt worden,
weil man sich durch die thatsächlich in den einzelnen Jahrgängen wenig
verschiedene Statistik genügend informiert glaubte.
Die letzte aus dem Jahre 1887 stammende Statistik stellen wir
in folgender Tabelle zusammen :
(Tabelle siehe S. 250 u. 251 oben.)
L e n t 7 führt folgende Statistik an, welche für die Beamten einiger
rheinischen Bahnen gilt.
Auf 100 Beamte kommen
_ _ . Rhein. Eisen-
Beamten-Kategonen : , ,
1876 1877
Lokomotivführer 84,2 81,0
Heizer 112. 4 82,3
Zugführer und Packmeister 75,0 79 6
Schaffner 83,0 72,1
Bremser 86,9 62,1
Bahnwärter etc 36.0 31,4
Stationsbeamte 46,2 36.2
Expeditionsbeamte .... 36,0 25,5
Bureaubeamte 26,3 43,4
überhaupt 46,2 39.8
Ferner kommen auf 100 Krankheitsfälle:
Verletzungen 12,8 15,2
Infektionskrankheiten etc. . 3,9 2,8
Allgemeine Ernährungsstö-
rungen 11,6 13,8
Krankh. des Herzens und
Gefäfssystems 0,8 1,1
Krankh. d. Atmungsorgane 26,4 24,4
Krankh. der Verdauungs-
organe 27,5 26,5 29,2 27,1 26,8 25,2
Erkrankung
en :
Berg.
-Mark.
Saarbr. u
. Rhein
Eisenbahn
Nahe-Bahn
1876
1877
1876
1877
110,1
106.1
217,6
203,2
112. 3
92,7
181.1
169,4
154,0
110,8
202,6
108,6
139-8
r23,5
283,1
172,9
H7,8
IOI,4
243,7
165,9
66,0
54,9
79,2
58,7
56,<i
57,4
88,5
55,9
303
32,1
24,7
37,o
36.7
35.7
42,1
29,2
70,2
64,8
III. 3
83,7
8,1
8,6
8,9
10,3
4-1
3,5
1,5
1,7
18,6
20,0
23,3
24,6
1,0
1,0
0,8
0,7
24.9
24.1
25,2
24,3
13
250
BRAEHMER,
II. Krank-
I. Allgemeine Ergebnisse
Allgemeine
und Blut-
krankheiten
Benennung
des
a
u
e
öS
u
ä g
.2 s
•** B
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OD
3
00
Dienstzweiges
ir. CO
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0
CD
3
cS
3.S
G ®
J2
:S
0
ja
EH
5
65
Tage
I. Zugbeförderungs-
beamte . .
12 702
IO436
82
91
I94309
19
3441
2475
16
31
Prozent
(27,11)
(19,34)
(0,13)
(0,24)
II. Zugbegleitungs-
beamte .
13 671
8 750
64
198
211 844
24
2600
1639
14
18
Prozent
19,03
11,99
0,10
0,13
III. Bahnbewachungs-
beamte . . .
20 053
7 677
38
217
211 719
28
2235
I409
II
33
Prozent
11.15
7,03
0,05
0,16
IV. Stationsbeamte .
17 363
5 588
32
!.S5
142 539
26
1572
928
H
34
Prozent
9.05
5.34
O,08
0,20
(Fortsetzung von S. 249.)
Erankh. d. Gehirns, Rücken-
marks u. Nervensystems
Krankh. der Harn- und Ge-
schlechtsorgane ....
Krankh. der Bewegungs-
organe
Krankh. der Haut und des
Zellgewebes
Krankh. des Auges . .
„ ,, Gehörorgans .
Krankh. ohne bestimmte
Angabe
Rhein. Eisen-
bahn
0,6
0,8
Berg. -Mark.
Eisenbahn
M
Saarbr. u. Rhein.
Nahe-Bahn
2.8 2.3
1,2
0,3
0,9
8.1
7,7
6.2
8,0
6.1
6,3
2.7
2.5
2.0
2.S
2,7
2,9
0.5
0.4
0,4
0,4
0,5
0,3
0,6
0,1
0,1
Ungemein wertvoll sind die Angaben, die wir aus der im Auftrage
der deutschen Eisenbahnverwaltungen von Z i 1 1 m e r s verfaßten Dienst-
unfähigkeits- und Sterbensstatistik entnehmen. Dieselbe erstreckt sich
für das Jahr 1880 auf 50508 Zugbeamte; davon waren 23140 Zugbe-
förderungsbeamte und 27 368 Zugbegleitungsbeamte.
Es erkrankten
Zugbeförderungs-
beamte
Zugbegleitungs-
beamte
es wurden
dienst-
unfähig
es starben
es wurden
dienst-
unfähig
es starben
an Rheumatismus
,, Krankheiten des Nerven-
,, Geisteskrankheiten ....
,, Krankheiten der Augen . .
,, ,, „ Ohren . .
„ ., ,, Atmungs-
,, Krankheiten d. Verdauungs-
43
59
6
19
14
26
17
5
25
55
30
64
49
9
15
15
67
15
4
45
151
43
Eisenbahnhygiene.
251
heitsgruppen und Krankheitsformen
Krankh. des
Krankheiten
CO
,
Nervensystems
der
B
3
a
<
u co
B
M
u
CS
kl
Verletzungen
CO
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CO
5
3
B
3
CO
B
CS
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T3
M
M
603
9
234
55
1376
160
2660
607
838
Il6
2
(4.7 5)
O 07
1,84
0,43
(IO,83)
(1,26)
(20,94)
4,78
6,59
0,91
(0,02)
450
17
170
50
1558
176
2034
46c
915
93
3
3,29
0,12
1,24
0,37
11,40
1.29
14,88
3»3ö
6,69
0,68
0,02
462
7
2l6
5i
1433
190
1643
587
460
123
8
2.30
0,03
1,68
0,25
7,15
0,95
8,19
2,93
2,29
0,6 1
0,04
472
13
185
28
967
175
1343
3J2
186
122
4
2,79
O,07
1,07
o,it>
5,57
I.Ol
7,73
1,80
1,07
0,70
0,02
Noch interessanter ist die Feststellung des Lebensalters,
in dem die Dienstunfähigkeit meistens eintritt, wie sie
aus den Z i 1 1 m e r ' sehen Tabellen 8 hervorgeht. Der Wichtigkeit und
des Vergleiches wegen wollen wir hier auch die anderen Beamten-
kategorien berücksichtigen. Demnach werden die meisten Z u g b e -
förderungsbeamten pensioniert im Alter von 46— 50 Jahren und
zwar nach einem Dienstalter von 19,7 Jahren; die meisten Zugbe-
gleitungsbeamten im Alter von 51— 55 Jahren nach einem durch-
schnittlichen Dienstalter von 21 Jahren; die meisten Stationsbe-
amten im Alter von 56 — 60 Jahren und zwar nach einem durchschnitt-
lichen Dienstalter von 27,3 Jahren ; die meisten Bahnbewachungs-
beamten im Alter von 61 — 65 Jahren nach einem Dienstalter von
27,1 Jahren. Diese Zusammenstellung ist ungemein lehrreich und läßt
sich durch Verfolgung der früheren Jahrgänge bestätigen. Auch hier
lernen wir stufenweise die Abnutzung der verschiedenen Dienstzweige
der Eisenbahnbeamten kennen.
Wenn wir aus Vorstehendem entnommen haben, daß die Mehrzahl
der Krankheiten des Maschinen- und Fahrpersonals Krankheiten der
Atmungsorgane, der Verdauungsorgane, der Nerven und Rheumatismus
sind, so können wir diese Krankheiten ungezwungen auf die
im Eisenbahndienst liegenden Schädlichkeiten zurück-
führen: Erzeugung von Dampf und die damit verbundene Hitze, Ent-
Wickelung von Ruß und Staub, Schnelligkeit der Fortbewegung auf schwerem
starrem, Fuhrwerk und die dadurch hervorgerufene Erschütterung, Un-
regelmäßigkeit des Dienstes, der Ernährung und des Schlafes. Aehnliche
Schädlichkeiten werden stets ähnliche Krankheiten hervorrufen, und man
könnte daher nur, soweit diese Schädlichkeiten für das Eisenbahnfahren
spezifisch sind, von spezifischen Eisenbahnkrankheiten reden. Eine solche
spezifische Schädlichkeit ist vor allem die Erschütterung auf der Ma-
schine. Mit Rücksicht auf diese haben denn auch mehrere Autoren,
15
252 BRAEHMER,
besonders Riegler2, eine professionelle Krankheit des Ma-
schinenpersonals angenommen, die in einem eigentümlich ver-
änderten Zustand der Nervencentra, einer Irritation derselben, ihren
Grund haben soll.
Nach R i e g 1 e r - überwiegen die spinalen Symptome , seltener
sind die cerebralen Symptome in Form hysterischer Verstimmung. Er
identifiziert eigentlich beide Zustände. Als Hauptsymptome der pro-
fessionellen Maschinenkrankheit führt er an: Rückenschmerzen spontan
oder bei Druck auf die Dornenfortsätze, welche auf den Hinterkopf und
auf die Extremitäten ausstrahlen, Angst und Beklemmung, Herzklopfen,
Kurzatmigkeit, Schwerfälligkeit der Bewegungen, Schwäche, selbst Läh-
mung, Anästhesie oder Hyperästhesien u. s. w. Ein Vergleich dieser Sym-
ptome mit den im vorigen Kapitel (S. 245) angeführten der traumatischen
Neurosen beweist die Aehnlichkeit.
Riegler2 nimmt mit Recht nur bei einer Klasse der Eisenbahn-
beamten eine spezifische Krankheit an, bei den Loko-
iiio tivbeamten, die er auf die dauernde Erschütterung zurückführt.
Unsere Stellung zu der Frage ist folgende : Die statistisch festge-
stellten Thatsachen, daß das Maschinenpersonal früher invalide wird, daß
ferner die Fähigkeit den Einflüssen des Dienstes zu widerstehen, mit der
Zahl der Dienstjahre bei demselben sich vermindert, d. h. daß die
durchschnittlichen Krankheitstage sich von Jahr zu Jahr vermehren, die
Thatsache endlich, daß die Erschütterung auf der Lokomotive viel in-
tensiver als auf den anderen Wagen ist , können dazu verleiten, ge-
meinsame Kranheitserscheinungen zu suchen, welche eine bestimmte
Krankheitsform für das Maschinenpersonal ergeben.
Aus obiger Statistik (S. 251) haben wir ersehen, daß von den
Dienstunfähigkeitsursachen die Nervenkrankheiten
überwiegen. Dieselben entwickeln sich allmählich und treten zuerst
hauptsächlich dadurch in Erscheinung, daß sie auch die Widerstands-
fähigkeit gegen andere Krankheiten vermindern; je länger der Loko-
motivbeamte im Dienste ist, um so häufiger und leichter erkrankt er
an Rheumatismus, Bronchialkatarrh u. s. w. Erst die häufigere Wieder-
kehr dieser Erkrankungen und das allmähliche Hinzutreten von ner-
vösen Störungen leiten in vielen Fällen hinüber zu der Diagnose einer
Nervenkrankheit.
Das erste Symptom ist gewöhnlich eine Herzneurose und zwar schon
bei verhältnismäßig jungen Führern. Es folgen Störungen im vasomoto-
rischen Gebiete, Kongestivzustände nach dem Gehirn, Neuritiden, die
gewöhnlich als Rheumatismus bezeichnet werden. Die Klagen erstrecken
sich auf Herzklopfen , Kopfschmerzen (Kreuzschmerzen viel seltener als
bei der Nervenstörung nach Unfällen) , Schlaflosigkeit , Schmerzen und
Schwere in den Beinen. Dabei ist auch hier der Appetit und der Kräfte-
zustand unvermindert. Daß auch hier psychische Erscheinungen hinzu-
treten, ist erwiesen, sowohl durch die oben angegebene Statistik als
auch durch unsere persönlichen Erfahrungen. Von Zillmer8 sind leider
die Formen von Geisteskrankheit , welche Dienstunfähigkeit bedingen,
nicht angegeben. Die von uns beobachteten Fälle sind teils ausgespro-
chene Melancholie, teils Hysterie.
16
Eisenbahnhygiene. 253
So erwiesen wir es auch halten , daß der Maschinendienst nervöse
und psychische Störungen hervorzurufen geeignet ist, so können wir uns
doch mit dem Ausdruck „professionelle Krankheit des Maschinenpersonals"
ebensowenig befreunden, wie mit dem der „traumatischen Neurose", und
zwar aus demselben Grunde : man kann nicht zugeben , daß die beim
Maschinenpersonal beobachteten Nervenstörungen ein Krankheitsbild er-
geben, welches bei keiner anderen Berufsklasse vorkommen könnte. Die
Benennung ist bequem. Wir halten es aber nicht für zweckmäßig, Namen
zu schaffen , um bei denselben alle Krankheitserscheinungen oft recht
widerhaarig unterzubringen.
Sektionen von nervenkranken Lokomotivbeamten sind bisher nicht
bekannt geworden. Dieselben sterben selten im Dienst, wechseln nach
ihrer Pensionierung meistens den Wohnort, fühlen sich wohler , oft bis
zur vollständigen Gesundung, und sterben erst nach Jahren an einer
interkurrenten Krankheit.
1) Niemeyer, Pathol. und Ther. 2. Bd. 316 (1865).
2) Kiegler, Die Eisenbahn- Berufskrankheit (1880) 6.
3) Veröffentlichungen des Kaiserl. Oesundh.-A. 6. Jahrg. No. 39, 213.
4) Westergaard, Mortalität und Morbidität (1882) 344.
5) Behm , Statistik der 3Jortalitäts- , Invaliditäts- und 3forbilitätsverhältnisse der deutschen
Eisenbahnverioaltungen ( 1878).
6) .Richter, Die Pflege und Entivickelung der medizinischen Statistik bei der österreichischen
Südbahn (1885).
7) Lent, in Korrespbl. des Niederrh. Ver. f. öf. Qesundhpfl. 7. Bd. 132 (1876— 1877).
8) Zillmer, Dienstunfähigkeits- und Sterbensstatistik der deutschen Eisenbahnbeamten, im Auf-
trage der deutschen Eisenbahnverwaltungen bearbeitet (1890).
9) Statistische Nachrichten über die Erkrankungsverhältnisse der Beamten des Vereins deutscher
Eisenbahnverwaltungen (1887).
10) Petri, Transportmittel und Infektionsgefahr in „Sachverständigen Zeitung'1, Jahrg. 1896,
No. 5.
IY. Die Abwehr der durch den Eisenbahnbetrieb für
Gesundheit und Leben entstehenden Gefahren.
Zur Abwehr der durch den Eisenbahnbetrieb entstehenden Schädlich-
keiten und Gefahren sind 3 Bedingungen erforderlich:
a) die zweckmäßige Beschaffenheit und Einrichtung der Betriebs-
mittel und des Betriebes,
b) ein gesundes , der Veranwortlichkeit gewachsenes Eisenbahn-
personal,
c) eine zweckmäßige Organisation des ärztlichen Bahndienstes.
a) Sanitäre Bedingungen seitens der Betriebsmittel und des
Betriebes.
Die Sicherheit des Eisenbahnbetriebes wird hauptsächlich
durch zwei Ursachen in Frage gestellt: durch die Fahrge-
schwindigkeit und durch das Gewicht der Eisenbahnzüge.
Da nun beide Ursachen der Ausbreitung des Verkehrs entsprechend zu-
genommen haben, so wäre der Schluß auf eine Verminderung der Sicher-
heit gerechtfertigt; dies würde auch der Fall sein, wenn die Verwal-
tungen sich nicht bemüht hätten, den Gefahren des Eisenbahnbetriebes
durch Verbesserung der Betriebsmittel zu begegnen.
Handbuch der Hygiene. Bd. VI. 1 7
I7
254 BRAEHMER,
Es soll nun im folgenden gezeigt werden, welche Bedingungen
seitens der Betriebsmittel und des Betriebes zu erfüllen sind, um eine
möglichst große Sicherheit zu erreichen.
Die für die technischen Abschnitte benutzte Litteratur ist folgende:
Heusinger von Waldegg, Handb. f. spez. Eisenbahntechnick, 5 Bände, Leipzig 1875
bis 1882 (Engelmann).
G. Meier, Grundzüge des Eisenbahnmaschinenwesens, 4 Teile, Berlin 1883 — 1892.
von Weber, Schule des Eisenbahnwesens, Leipzig 1885 (J. E. Weber).
Brosius und Koch, Bas Eisenbahnwesen, Wiesbaden 1892 — 1894 (J. F. Bergmann).
Haarmann, Ueber den Wert der verschiedenen Eisenbahn-Oberbaukonstruktionen, Berlin 1881.
Schubert, Die Sicherungwerke im Eisenbahnbetriebe, Wiesbaden 1880 (J F. Bergmann).
Pollitzer, Die Anwendung der Elektrizität im Eisenbahnbetriebsdienst, Wiesbaden 1890
(J. F. Bergmanii).
Roll, Encyklopädie des gesamten Eisenbahnwesens in alphabetischer Anordnung, Wien
1890 — 1895 (Gerold Sohn). — Rehbein, Sto/sfangschiene, Berlin 1895.
Für die wichtigsten und neuesten, fortwährenden Aenderungen unterworfenen Teile der
Betriebsmittel haben wir folgende Zeitschriften benutzt :
Centralbl. f. Bauverwaltung, Berlin. — L' Economiste frangais, Paris. — Bulletin du
la Commission internationale du Congres des chemins de fer , Bruxelles. — Bulletin du
Ministere des travaux publics, Paris. — Engineering, London. — Engineering, New- York —
Glaser'* Annalen, Berlin. — Oesterreichische Eisenbahnzeitung, Wien. — Revue generale des
chemins de fer, Paris. — Schweizerische Bauzeitung. Zürich.
1. Bahnhöfe.
Der Zugang zu den Bahnhöfen soll leicht und selbst bei großem
Verkehr möglichst bequem sein. Es [ist daher zweckmäßig, dieselben
nicht allzu weit von den Städten, ferner möglichst frei und sichtbar
anzulegen und sie mit größerer Vorhalle oder mit Gartenanlagen zu ver-
sehen. Das zu einer Ansammlung der Reisenden dienende Vestibül
muß geräumig, Billetschalter etc. deutlich bezeichnet sein. Die Bahn-
steige sollten überdacht sein , um die Personen gegen Unbilden des
Wetters, auch gegen Sonnenbrand zu| schützen. Ankunfts- und Ab-
fahrtssteig sind am besten getrennt, bei starkem Verkehr sind für
Stationen mit verschiedenen Linien verschiedene Bahnsteige notwendig.
Die Warteräume sind an Stationen, auf denen ein genügend langer
Aufenthalt stattfindet, mit Restauration zu verbinden. Gutes Trink-
wasser muß leicht zu erreichen und deutlich bezeichnet sein, ebenso
die Stelle der Aborte, um so mehr, da Durchgangswagen mit mehreren
Aborten nur bei einer Anzahl von Schnellzügen vorhanden und die Aborte
bei dem in Deutschland üblichen Coupesystem oft schwer zu erreichen und
meistens nicht in genügender Zahl vorhanden sind. Dringend muß ver-
langt werden, daß überall die größte Reinlichkeit und Sauberkeit herrsche.
Tägliches Waschen und Scheuern mit Desinfektionsseifen, Fernhalten
aller Decken und Teppiche aus den Warteräumen, gründliche Reinigung
der Bedürfnisanstalten, vor allem fortwährende Lüftung derselben ist
dringendes Erfordernis. In dieser Beziehung ist es als ein Fortschritt
zu begrüßen, daß in den Schnellzügen mit Durchgangswagen neuerdings
Wartefrauen eingestellt sind, welche für die peinlichste Sauberkeit zu
sorgen haben.
Die freiliegenden Bedürfnisanstalten der kleinen
Stationen entsprechen den Anforderungen der Hygiene noch besser
als die im Inneren großer Bahnhöfe gelegenen, namentlich wenn letztere
keine direkte Verbindung mit der frischen Luft, sondern nur eine solche
mit der Bahnhofshalle oder mit dem Vestibül besitzen. Diesen For-
derungen sollten die Techniker bei Anlage der Empfangsgebäude durch-
18
Eisenbahnhygiene. 255
aus entsprechen. Die Aborte sollen durch Thür oder Fenster mit der
frischen Luft in direkter Verbindung stehen.
Die Beleuchtung der Bahnhöfe und der Schienen straßen muß eine
ausreichende, womöglich elektrische sein (S. 273).
Wünschenswert ist auch im Interesse, alter kranker oder ver-
wundeter Reisender die Anlage von Personenaufzügen.
2. Oberbau.
Unter Oberbau einer Eisenbahn versteht man den eigentlichen
Schienenweg. Zu demselben gehören die Bettung, die Schwellen und die
Schienen mit allen notwendigen Befestigungsstücken. Die Anordnung
des Oberbaues hat vielerlei Wandlungen durchgemacht. Die ver-
schiedenen Systeme können natürlich an diesem Orte nicht besprochen
werden. Ihre Verschiedenheiten waren anfänglich zum Teil durch
Eigentümlichkeiten der Länder bedingt: das holzarme und eisenreiche
England verwandte mehr Eisen zum Oberbau, Amerika dagegen, wo
früher das umgekehrte Verhältnis stattfand, mehr Holz. Heute ist es
entsprechend der Größe der Eisenproduktion auch dort anders. Deutsch-
land hat ein in der Mitte liegendes System eingeschlagen.
In Amerika werden die hölzernen Querschwellen so eng neben-
einander gelegt, daß der Druck auf die Bettung ein verhältnismäßig
geringer wird. Da dort auch fast nur Steinschlag, sowie eine sehr
schwere Schiene verwandt wird, so ist der Gang der Fahrzeuge nicht
selten ruhiger und geräuschloser als bei uns aut dem Kontinent.
Hinsichtlich des Systems der Schwellen-Anordnung unterscheidet
man Lang- oder Querschwellen-Oberbau. Jedes System hat selbst-
verständlich das Bestreben, einem Auseinanderweichen der Schienen
vorzubeugen und die Schienen, Schwellen, Bettung möglichst lange
zu erhalten. Für unseren Zweck genügt es, zu wissen, daß sich bis jetzt
breitbasige Schienen auf hölzernen Querschwellen am besten bewährt
haben und am meisten verbreitet sind. Die Langschwellen haben nur
scheinbar den Vorzug der stetigen Unterstützung der Schienen und
werden in Deutschland wegen ihrer großen Mängel nicht mehr ange-
wendet.
Das Material der Schienen ist jetzt zumeist ein nach dem
Bessemer- oder Thomas- Verfahren hergestellter Stahl (vgl. dies. Hdb.
8. Bd. 471). Die Länge der Schienen ist infolge der fortgeschrittenen Tech-
nik allmählich von 5, 6 bis auf 18 m gewachsen. Am gebräuchlichsten sind
9, 10 und 12 m lange Schienen. Eine Grenze der Länge ist gegeben durch
die Anforderungen an die Transportfähigkeit, leichte Hantierung auf der
Baustelle und Abwehr der durch die Dilatation drohenden Gefahren,
sowie die Forderung einer homogenen Darstellung des Materials bei
der Verhüllung des Metalls. Je länger die Schiene, desto größer muß
die Lücke zwischen 2 Schienen sein. Wenn die sich bei steigernder
Temperatur verlängernde Schiene zwischen festen Punkten eingespannt
gedacht wird, so erzwingt sie die Verlängerung durch seitliches Aus-
biegen, wodurch naturgemäß die Entgleisung eines Zuges herbeigeführt
wird. Auf Brücken sind sinureiche Einrichtungen getroffen, welche die
Fahrzeuge über die Lücken , in denen die Schienen sich ausdehnen
können, hinüberleiten. Die Verbindungen auf der Strecke gewähren den
Schienen einen Spielraum. Wenn trotzdem eine Ausbiegung der Schienen
17*
19 ■*■ •
256 BRAEHMER,
zuweilen eintritt, so beweist das die Schwierigkeit einer Regulierung der
Schienenlücken.
Wenn demnach die Schienenlücken nicht zu vermeiden sind, so
bilden sie andererseits in hygienischer Beziehung eine große Belästigung.
Das Geräusch und Stoßen der Wagen beim Passieren der Lücken ist
allen bekannt. Es ist daher von jeher das Streben der Techniker ge-
wesen, einen geräuschlosen ruhigen Gang der Fahrzeuge herbei-
zuführen. Leider haben die auf Milderung des Stoßes beim Passieren
der Schienenlücken gerichteten Bestrebungen ihren Zweck bisher nur
zum Teil erreicht.
Auf der hygienischen Ausstellung zu Budapest 1894 war eine Vor-
richtung von der Dresdener Bank ausgestellt, „Stoß fangschiene"
genannt, welche eine neue Schienenverbindung darstellt. Dieselbe führt
durch eine neben dem Stoß gelegte Hilf'sschiene die Räder ohne merklichen
Stoß über die Schieneniücken hinweg, wodurch das bekannte hämmernde
Geräusch aufhört. Die mit dieser neuen Erfindung auf der Berliner Stadt-
bahn und in den meisten Direktionsbezirken, in Rußland, Oesterreich,
der Schweiz angestellten Versuche sind günstig ausgefallen. Sollte sich
die Stoßfangschiene bewähren , so wäre das ein großer Segen für die
Reisenden und für die Fahrbeamten.
Die Bettung trägt den eigentlichen Schienenweg. An sie ist die
Anforderung zu stellen, daß sie den Druck der rollenden Last dauernd
aushält, ohne zu große Veränderungen zu erleiden. Sie muß das
Wasser der Niederschläge so schnell abführen, daß im Winter kein
Auffrieren stattfinden kann, und daß ihre Decke die Staub bildenden,
tiefer liegenden Teile des Bodens nicht nach oben durchläßt. Man
geht daher immer mehr dazu über, die Bettung aus Steinschlag oder
Kies herzustellen.
Die Bahnbewachung erfolgt durch Bahnwärter, Weichensteller,
Schrankenschließer unter Aufsicht eines Bahnmeisters. Eine Bahn-
meisterei umfaßt eine Strecke von 15 — 24 km. Bahnwärter be-
aufsichtigen Strecken bis zu 3 km.
Weichensteller haben auf Bahnhöfen die Weichengebiete zu
überwachen und die Weichen zu stellen. Außerdem liegen ihnen die
laufenden Bewachungsarbeiten und die kleineren Verrichtungen zur
Weichenunterhaltung ob, die sich mit einfachen Instrumenten ausführen
lassen, endlich der Signaldienst. Nur wenige Bahnwärter an den Enden
der Bahnhöfe oder an Blockstationen auf freier Strecke bedienen Signale
an Masten oder mechanische Blockeinrichtungen. Auf den Bahnhöfen
selbst werden die Signale meistens von den Weichenstellern gestellt.
Für die bauliche Instandhaltung dieser Objekte sind besondere Organe
erforderlich.
Große Sorgfalt erfordert die Erhaltung des Bahnkörpers
in dem normalen, den Anfordernngen des Betriebes entsprechenden
Zustande. Hierzu sind Vorarbeiter, an der Spitze von Arbeiterkolonnen
bestellt, welche in geeigneter Jahreszeit die laufenden Arbeiten ohne
Unterbrechung verrichten. Auch sie beaufsichtigt der Bahnmeister.
Die Einrichtungen für die Sicherung dieser auf den
Geleisen sich bewegenden Personen sind auf mäßig befahrenen
Strecken einfachster Art. Im allgemeinen begnügt man sich damit,
Eisenbnhnhygiene. 257
elektrische Läutesignale erschallen zulassen, die aber nicht an
jeder Arbeitsstelle wahrnehmbar sind.
Auf besonders gefahrvollen Strecken geht man dazu über Läute-
signale, welche der nahende Zug selbst in Aktion setzt, aufzustellen,
um die Arbeiter rechtzeitig zu warnen. Unter Umständen werden auch
Knallsignale angewandt. Außerdem bestehen allgemeine Vorschriften,
welche das Verhalten des zwischen Geleisen sich bewegenden Personals
zur Verhütung von Unfällen zu regeln bestrebt sind. Immer wird die
Hauptsache bleiben, daß die Streckenarbeiter durch Beobachtung der
gebotenen Vorsicht und Aufmerksamkeit, Kenntnis der Fahrpläne sich
selbst vor Unfällen schützen.
Die Bahnverwaltungen sollten aber überall auf Brücken, in Tunnels,
auf Viadukten dafür sorgen, daß das Personal jederzeit so viel freien
Raum zum Beiseitetreten findet, um leicht und schnell sich einer Ge-
fährdung zu entziehen. Die Viadukte der Berliner Stadtbahn sind in
dieser Beziehung leider mangelhaft.
Den Gefahren, welche für Dritte, namentlich für Fuhrwerke auf
Ueberwegen in gleicher Höhe der Schienen entstehen können, begegnet
man in Deutschland auf Hauptbahnen durch Schranken, zu deren
Bedienung neuerdings besondere Wärter gestellt werden ; bei Kleinbahnen
fallen die Schranken zumeist fort, dafür wird die Geschwindigkeit der
Züge ermäßigt. In Amerika fand eine Sicherung der Wege überhaupt
nicht statt, entsprechend den gestellten höheren Anforderungen an die
Selbständigkeit und das eigene Denken des Publikums. Der einzige
Schutz bestand hier in Mäßigung der Geschwindigkeit, großen Warnungs-
tafeln und starkem Läutesignal. Neuerdings beginnen jedoch auch die
amerikanischen Bahnen mit der Errichtung von Schranken.
3. Signal- und Telegraphenwesen,
Zur Sicherung der Züge auch im Rangierdienst, dienen im wesent-
lichen das Signal- und Telegraphenwesen, sowie die verschiedenen Block-,
Weichen- und Signal- Verriegelungssysteme. Durch Signale werden Bahn-
höfe sowie unfahrbare Strecken bei Reparaturen oder plötzlich ein-
tretenden Fahrthindernissen, Schienenbrüchen u. s. w. gedeckt. Mit der
Vervollkommnung des Signalwesens ging die Sicherheit und die Schnellig-
keit der Eisenbahn in gleichem Schritt.
Ein Eisenbahnsignal soll eine sichere und schnelle Verständigung
zwischen allen beim Eisenbahnbetrieb beteiligten Personen herbeiführen,
auf den Stationen sowohl, wie auf der Strecke.
Die meisten Staaten haben für ihr Gebiet Signalordnungen
eingeführt, denen sich alle Bahnen unterwerfen. Diese Signalordnungen
stimmen in vielen Ländern überein. Bei der großen Bedeutung des
Signalwesens für die Sicherheit wäre es eine dankenswerte Aufgabe der
internationalen Eisenbahnkonferenz, eine vollkommene Einheit zu
schaffen.
Es giebt zwei Arten der Signale bei den Eisenbahnen : sicht-
bare und hörbare. W'enn auch nicht an Bedeutung gleich, so können
wir doch keine der beiden Arten entbehren, da die sichtbaren durch Nebel,
Regen, Schneegestöber, die hörbaren durch Windrichtung, fremdes Ge-
räusch, auch durch Feuchtigkeit der Luft, Gewitter u. s. w. illusorisch ge-
macht werden können. Letzteres gilt namentlich bei Benutzung der Elektri-
21
258 BRAEHMER,
cität. Die Sicherheit des Eisenbahnbetriebes erfordert es daher, daß
alle Arten der Signale gepflegt werden und sich gegenseitig ergänzen.
Die sichtbaren (optischen) Signale werden gegeben
1) bei Tage durch verschieden gefärbte Scheiben und Fahnen, bei Dunkelheit
durch farbige Laternen und Lichter, 2) durch Armbewegung, eine Form,
die nur für kurze Entfernungen Wert hat, 3) durch verschiedene Gegen-
stände, wie Fahnen, Scheiben, Laternen, Flügel, die entweder mit der Hand
bewegt oder an hohen Stangen angebracht , aus der Ferne gestellt
werden. Nach ihrem Zweck wurden die Signale bisher in 3 Hauptarten
geteilt: Ordnungssignal (Bahn frei), Gefahrsignal (Zug muß
sofort halten), Vorsichtssignal (Zug muß langsam fahren). Dieser
dreifache Zweck wurde bisher meistens und wird zum Teil noch optisch
folgendermaßen ausgedrückt: Weiß bedeutet Ordnungssignal, Rot Gefahr-
signal, Grün Vorsichtssignal. Bei dem Handsignal bedeutete Frontstellung
des Bahnwärters gegen den Zug mit herunterhängenden Armen freie
Fahrt ; wagerechtes Ausstrecken des Armes gegen das Geleis in Deutsch-
land Vorsicht ; (in Oesterreich wurde der Arm schräg nach unten , in
England über den Kopf gehalten); das Schwenken irgend eines Gegen-
standes, einer Fahne, eines Lichtes : Gefahr. Die dritte Form der op-
tischen Signale wurde in Deutschland und England als Flügeltelegraph,
in Oesterreich und Frankreich als Wendescheibe angewendet. Hier be-
deutete im allgemeinen der Arm des Signalmastes, schräg nach aufwärts
gerichtet, Ordnung (in England wurde er ganz heruntergelassen), wag-
rechte Richtung des Armes Gefahr , Richtung nach abwärts Vorsicht.
Verstärkt wurde die Wirkung dieser Signale nachts durch das An-
bringen roter oder grüner Laternen am Arm des Mastes.
Neuerdings haben sich namentlich in Deutschland wesentliche
Aenderungen vollzogen (Fig. 1 — 7 S. 259). Außer Rot, welches überall
in der Welt „ H a 1 1 " bedeutet, gilt in Deutschland nur noch Grün als
Signalfarbe und bedeutet „freie Fahrt". Das weiße Licht ist im all-
gemeinen kein Signal mehr. Die Signale selbst sind an Masten oder
Stöcken befestigt, werden auch direkt mit der Hand gegeben. Bei Weichen
sind meist nur noch Formsignale (keine farbigen Signale) im Gebrauch,
was vielleicht für alle Signale anzustreben sein dürfte, um die Gefahr
der Farbenblindheit zu beseitigen. Am besten würden in Zukunft alle
Farbensignale durch geometrische Figuren ersetzt werden.
Die hörbaren (akustischen) Signale werden gegeben durch
Handpfeifen, Glocken, Hörner, elektrische Läutwerke, durch die Dampf-
pfeife der Lokomotive und durch Knallpatronen.
Die letzteren bestehen aus mit Zündmasse gefüllten Blechkapseln,
die auf die Schienen gelegt werden; sobald das Rad der Lokomotive die
Kapsel berührt , zerspringt sie mit lautem Knall, für den Lokomotiven-
führer ein gebieterisches „Halt". Die Knallsignale werden hauptsächlich
auf der Strecke angewandt und tragen namentlich in England, wo dichte
und reichliche Nebel an der Tagesordnung sind, zur Sicherheit bei.
Bei der verschiedenen Bedeutung, welche die einzelnen Formen
der akustischen Signale in den verschiedenen Ländern besitzen, können
wir nicht auf die Einzelheiten eingehen und erheben nur an dieser Stelle
von neuem die Forderung einer einheitlichen internationalen Regelung.
Fig. 1. Halt Fig. 2. Fieie Fahrt
bei Tage. bei Dunkelheit. bei Tage. hei Dunkelheit.
r°
■Q {
S>
Fig. 3. Halt für das durchgehende und abzweigende
Gleis Fig. 4. Freie Fahrt für das durchgehende Gleis
bei Tage. bei Dunkelheit. bei Tage. bei Dunkelheit.
0
-a -n
m
Fig. 5. Für Fahrt für ein abzweigendes Gleis
bei Tage. bei Dunkelheit.
P
HG:
Fig. 6. Fahrt frei für ein anderes ab-
zweigendes Gleis
bei Tage. bei Dunkelheit.
Vorsignal.
bei Tage.
Fig. 7. Halt
bei Dunkelheit.
Fig. 1 — 7. Die wichtigsten Signale der preufsischen Staats-Eisenbahnen nach der Signal-Ordnum
für die Eisenbahnen Deutschlands vom 5. Juli 1892.
260 BRAEHMER,
Das Bevorstehen der Abfahrt oder Ankunft eines Zuges , das An-
ziehen oder Loslassen der Bremsen, das Halten oder Langsamfahren der
Züge wird durch verschiedene Töne der Glocke, der Hand- oder
Dampf pfeife, der Hörn er oder der elektrischen Läutewerke markiert.
Not- und Alarmsignale können u. a. vom Zugpersonal und den Reisenden
mittels einer am Zuge entlang geführten Signalleine, durch welche beim
Anziehen die Lokomotivpfeife zum Ertönen gebracht wird, gegeben werden.
Neuerdings kommen fast allgemein die kontinuierlichen Bremseinrich-
tungen (S. 275) in Anwendung, durch welche auch seitens der Reisenden
ein schnelles Anhalten des Zuges bewirkt werden kann. Andere Me-
thoden, z. B. elektrische Einrichtungen, ähnlich den Haustelegraphen,
sowie pneumatische Klingelzüge haben sich ebenfalls bewährt. Die
Elektricität ist jetzt der unentbehrlichste Motor in dem Signaldienst.
Mit Hilfe der Elektricität erhält man 2 Klassen von Signalen
solche welche nur vorübergehende Zeichen geben (Läutewerke) und
solche , welche aus Punkten und Strichen die Zeichen für Buchstaben
zusammensetzen, mit anderen Worten, welche schreiben. Das Tele-
graphenwesen dient demnach zur Sicherung der Züge, insofern es die
Stationen unter einander vom Gange der Züge, von Unregelmäßigkeiten
und Störungen im Betriebe, von Abweichungen in der Fahrordnung
durch Ertönen verschiedener Glockensignale in Kenntnis setzt.
Das Block-, Weichen- und Signal -Verriegelungs-
system bezweckt Signale in solche Abhängigkeit von dem Willen des
leitenden Stationsbeamten zu bringen, daß sie ohne seine Einwilligung
nicht gegeben werden können , oder daß Signale nur gegeben werden
können, wenn gewisse, einer Fahrt hinderliche Weichen durch Schutz-
stellung unschädlich gemacht worden sind.
Die Weichen werden auch elektrisch blockirt, d. h. in ihrer Grund-
stellung festgehalten und so in Abhängigkeit von den Signalen ge-
bracht, so daß letztere erst gegeben werden können, wenn die Weichen
sämtlich für eine gewisse Gruppe und eine Zugrichtung richtig gestellt
worden sind. Das Fahrsignal selbst verriegelt dann mechanisch noch
einmal die Weichen in ihrer Stellung, so daß sie nicht umgestellt
werden können.
Es besteht auch bereits eine Central- Weichen - und Signal -
Stellung vom Stationszimmer aus. Die fraglichen Weichen und
Signale haben jede ihren kleinen elektrischen Motor, der von dem Stations-
beamten durch Beschicken mit Strom in Bewegung gesetzt die Weiche
oder das Signal stellt. Durchgeführt ist dieses System vielfach in
Amerika, in Europa hat die Station Prerau der K. Ferd. Nordbahn
dasselbe mit Erfolg angewendet.
Neuerdings ist versucht worden, die Stationen mit den sich
nähernden Zügen oder mit bereits abgefahrenen Zügen
in Rapport zu setzen, so daß also ein Zug an jeder Stelle auf
freier Strecke oder auf einem Bahnhof festgehalten werden kann, wenn
dazu eine dem Zugpersonal unbekannte Gefahr Veranlassung geben
sollte. Es wird dies erreicht, indem den Schienen und dem Zuge elek-
trische Energie zugeführt wird, welche von beliebiger Stelle aus zur
Aktion gebracht werden kann , um im Zuge oder auf der Lokomotive
Warnungszeichen — sichtbare oder hörbare — hervorzurufen. Man ver-
mag dann vom Zuge und nach vor- oder zurückliegenden Stationen zu
sprechen oder durch Zeichen sich zu verständigen. Dies von Perells
erfundene System ist scheinbar sehr vollkommen; in der That aber
24
Eisenbahnhygio.ne. 261
eignet es sich schon wegen der Kosten nicht zur allgemeinen Ein-
führung, zumal da wegen der Möglichkeit des Versagens der elek-
trischen Kraft auch noch die anderen Sicherheitsmaßregeln beibehalten
werden müßten.
4. Weichen.
Das Ausweichen der sich begegnenden Fahrzeuge ist auf einer
eingeleisigen starren Eisenstraße nicht möglich. Man hat daher eine
Betriebsvorrichtung — die Weiche — erdacht, um einen Zug in ein
anderes Geleise zu bringen, um Wagen zu verschieben und Züge aus-
weichen zu lassen, die sich überholen oder kreuzen müssen.
Die Einrichtung einer Weiche läßt sich in folgender Weise erklären :
an den beiden Schienen eines Geleises liegen 2 Zungen, d. h. Schienen-
stücke von etwa 6 m Länge, welche um einen am Ende liegenden Punkt
drehbar sind. Solange die Zungen an den Schienen fest anliegen, geht der
Zug gerade aus. Werden sie so weit gedreht, daß die beweglichen Enden
der Zungen bis zu einem schräg anliegenden Geleise geführt werden,
so ist der Zug gezwungen in die Ausweichekrümmung überzugehen. Die
Weichenböcke (Hebel) werden entweder einzeln von der Hand des
Weichenstellers bedient, oder es wird eine ganze Gruppe, bis zu 30
Weichen, vereinigt und durch ein System von Hebeln, welche an einem
Punkt (Weichenturm) vereinigt werden , gestellt (Centralweichen-
stellung). Von dem Turm aus kann der Weichensteller die einzelnen
Gruppen gut übersehen. Er stellt von dort nicht nur die Weichen,
sondern auch die mit den Weichen in abhängige Verbindung gebrachten
Signale (s. S. 257). — Um Lokomotiven und Fahrzeuge in andere Geleise
zu bringen, dienen auch Schiebebühnen und Drehscheiben.
5. Lokomotiven.
Die Lokomotive ist eine mittels Dampferzeugung sich selbst und
den Eisenbahnzug fortbewegende Maschine. Sie besteht aus einem
Wagen, auf welchem der Dampfkessel und die eigentliche Maschine sich
befinden. Meistens steht in Verbindung mit der Lokomotive ein zweiter
eiserner Wagen, Tender genannt, auf welchem die zur Hervorbringung
des Dampfes notwendigen Materialien, Kohle und Wasser, untergebracht
sind. Die kleineren Lokomotiven sind gewöhnlich mit dem Tender
vereinigt. Ist es nicht der Fall, so bilden Lokomotive und Tender
gleichsam ein Ganzes. Auf beiden bewegen sich Führer und Heizer,
um die Erzeugung der Dampf kraft zu unterhalten. Der Führer ist
derjenige, dem die größte Verantwortung für die Sicherheit des Zuges
zufällt. Er hat die Feuerung zu überwachen , den Dampf in die Cy-
linder zu lassen und zu regulieren, rechtzeitig Wasser zu nehmen, vor
allem aber ununterbrochen die vor ihm liegende Strecke im Auge zu
behalten. Der Heizer hat Kohlen in den Ofen zu schütten und Wasser
in genügender Menge mit dem Injektor in den Kessel zu schaffen.
Der ganze Wagen ruht auf starken Federn, und würde ohne
letztere das längere Fahren auf einer Lokomotive für Menschen kaum
möglich sein. Bei den preußischen Bahnen ist jetzt ein kleiner Sitz
für den Führer auf der Lokomotive errichtet, da die fortwährende An-
spannung aller physischen Kräfte durch das Stehen beeinträchtigt wird.
Außerdem pflegen die Führer auch, um die Erschütterung auszugleichen,
25
262 BRAEHMER,
zeitweise zu treten. Sie heben an derselben Stelle ohne Unterlaß
einen Fuß nach dem anderen in die Höhe und versichern, dadurch
besser imstande zu sein ihre verantwortungsvolle Thätigkeit zu beherr-
schen, als im Sitzen.
Wenn aber die meisten Lokomotivführer auch auf den Sitz ver-
zichten wollen, kein Führer dürfte die offene Lokomotive, wie
sie früher allgemein verbreitet war, zurückwünschen.
Es ist kaum zu fassen, wie lange sich die französischen Bahnärzte
und 1880 noch Riegler gegen die überdachten Führer s t än'd e
sträubten. Sie gingen davon aus, daß jede Beschäftigung in freier Luft ge-
sunder wäre , daß die frische Luft andere gesundheitswidrige Nachteile
ausgleiche, daß außer der starken Hitze sich im überdachten Baum Gase,
Kohlensäure und Stickstoff ansammeln, deren Entweichen schwierig wäre
und welche der Maschinist einatmen müßte , daß endlich der Kampf mit
den Elementen bei offnem Führerstande den Körper der Maschinisten
stählte. Demgegenüber hat sich der verdeckte Fahrerstand nun-
mehr in allen Ländern siegreich Bahn gebrochen.
Ein wichtiger Punkt in der Thätigkeit des Führers ist die Regu-
lierung der ihm vorgeschriebenen Fahrzeit. Die Fahrord-
nungen werden von den Centralbehörden zusammengestellt im inter-
nationalen Verkehr nach vorheriger Vereinbarung auf periodischen Kon-
ferenzen. Die Fahrgeschwindigkeit hat sich fast überall bedeutend ver-
mehrt. Vor 40 — 50 Jahren fuhren Personenzüge 4 Meilen, d. h. 30 km
in der Stunde. Jetzt fahren in Preußen die Güterzüge 40, Personenzüge
60, Schnellzüge 80 km ; die letzteren dürfen sogar unter besonderen
Umständeu ihre Geschwindigkeit auf 90 km ausdehnen. In England
fährt man vielfach noch schneller , in Amerika ist die Durchschnitts-
geschwindigkeit 65, also der europäischen durchaus nicht überlegen,
wie man häufig annimmt, wenngleich auf einzelnen Strecken mit mehr
als 100 km die Stunde gefahren wird.
Ob die Geschwindigkeit der jetzt am schnellsten fahrenden Züge
noch wesentlich überschritten werden kann, ist mehr als zweifelhaft.
Ein weiteres Ueberschreiten würde nicht nur große technische Schwierig-
keiten bieten, sondern auch die Sicherheit und das Wohlbefinden der
Reisenden in Frage stellen. Wohl werden die Lokomotiven größer und
stärker gebaut, namentlich in Amerika mit 6—8 Achsen und Dreh-
gestellen. Eine wesentliche Vergrößerung des Kessels namentlich nach
oben hin ist jedoch bei den häufigen Ueberbrückungen der Schienen-
straßen kaum möglich.
Daß schon jetzt unsere Blitzzüge auf ängstliche Personen einen
gesundheitsnachteiligen Einfluß ausüben, dafür giebt es ja Beweise
genug, und dürften wir wohl an einer Geschwindigkeitsgrenze ange-
langt sein, welche eine wesentliche Vermehrung der jetzigen Fahrge-
schwindigkeit verbietet,
Außer der bisher angeführten Thätigkeit hat die neuere Technik
den Lokomotivführern noch einen weiteren Wirkungskreis zugewiesen,
welcher ihre Verantwortlichkeit wesentlich erhöht : die Dampfbremse
und die Dampfheizung, Einrichtungen, welche von der Lokomotive
aus bedient und für welche der nötige Dampf bereit gehalten werden
muß. Wir werden diese Einrichtungen näher in den betreffenden Ab-
schnitten (S. 271 und 275) besprechen.
26
Eisenbahnhygiene. 263
Sehr wichtig ist endlich die Auswahl des Heizmaterials.
Gute Steinkohle wird bevorzugt. Auf der Berliner Stadtbahn wird
Koks angewandt, der den Vorteil hat, wenig Rauch zu entwickeln.
Auch darf bei der Steinkohlenheizung der Feuerraum nicht zu stark
gefüllt sein, um Rauch, Ruß und gefährliches Funkensprühen zu ver-
meiden. Um die durch Funkensprühen drohende Feuersgefahr zu ver-
meiden, müssen die Schornsteine der Lokomotiven mit Schutzvorrich-
tungen, Funkenfängern, versehen sein.
Wer einmal auf einer Lokomotive gefahren ist, wird mit uns in den
Wunsch einstimmen , daß alles gethan werde , um die Erschütterung
zu mäßigen. Vor allem müssen die ausgelaufenen Radbandagen recht-
zeitig abgedreht und so wieder auf die normale Form gebracht werden,
um so die Stöße thuulichst zu vermeiden ; unbrauchbar gewordene alte
Maschinen müssen rechtzeitig ausrangiert werden.
6. Die Wagen.
Der Teil der Eisenbahnen, dessen Mängel und Vorzüge dem
Reisenden naturgemäß am meisten in die Augen fallen, ist der
Raum, in welchem er sich während der Fahrt aufhält. Hierhin ist er,
ob mit Recht oder Unrecht, am ersten geneigt, die Gründe für eine
Erkrankung oder einen Unfall zu verlegen. Wenn man bedenkt, wie
primitiv die ersten Eisenbahnwagen waren, ursprünglich ganz offen, mit
einem sehr niedrigen Dach und ganz kleinen Fensteröffnungen versehen,
die nur durch Vorhänge geschützt waren, mit einem Talglicht erleuchtet
und ungeheizt, so muß der heutige Reisende über den erreichten Fort-
schritt staunen. Seitdem die Lokomotiven leistungsfähiger geworden
und größere Lasten befördern können ohne der Geschwindigkeit Ab-
bruch zu thun, hat man die Wagen etwas höher bauen und den auf
den einzelnen Reisenden fallenden Raum etwas größer bemessen können.
Allerdings darf diese Erhöhung mit Rücksicht auf die Schwerpunkts-
lage und auf die Tunnels, Brücken u. s. w. nicht zu groß sein, um ge-
fährliche Schwankungen zu verhüten. Die Wagen dürfen auch nicht
zu lang sein wegen der zu durchfahrenden Kurven. Auch muß sich
die Breite der Wagen nach der Spurweite richten. Was jedoch in
Bezug auf Raumvermehrung erreicht werden kann, ist wohl erreicht,
und es wird später gezeigt werden, daß bei strenger Befolgung der
übrigen hygienischen Vorschriften der jetzt auf den Einzelnen fallende
Raum genügt.
Man hat vor Jahren die gebräuchlichen Eisenbahnwagen
in mehrere Systeme eingeteilt, und zwar nach der Zahl der
Achsen, wie auch nach der Anordnung der Wagenabteile. Die englischen
Wagen wurden meistens durch 2, die amerikanischen durch 4, die deut-
schen durch 3 Achsen getragen. Betreffs der Anordnung der Sitzplätze be-
deutete das englische System: Coup6wagen, das amerika nische:
Interkommunikationswagen (auch wohl Pullm an n- System genannt).
Bevor wir auf die Vorzüge bez. Nachteile dieser Systeme eingehen,
wollen wir kurz die Zusammensetzung der Persone n'w a g e n
beschreiben.
Wir haben bei den Wagen hauptsächlich die Achsen,
das Untergestell und den Wagenkasten in Betracht zu
ziehen.
Eine Achse besteht aus der WTelle und den mit diese verbundenen
27
264 BRAEHMER,
beiden Rädern. Während man ursprünglich und heutigentags noch bei
kleinen Wagen 2 oder 3 Achsen anwandte, haben zuerst die Amerikaner,
eine geniale Erfindung benutzend, eine größere Zahl von Achsen ange-
wandt, wodurch erreicht wurde, daß die Wagen länger gebaut werden konnten
und ruhiger liefen. Es werden hier an beiden Enden des Wagens durch
einen Rahmen mehrere Achsen zu einem sog. Drehgestell derartig ver-
bunden, daß ein Drehgestell mit 2, 3 und noch mehr Achsen gleichsam
nur einen Stützpunkt an jedem Wagenende bildet. In der Mitte jedes
der beiden Rahmen befinden sich zwei metallene Pfannen und je ein
Bolzen als Drehpunkt. Infolge dieser Anordnung passen sich die
Wagen den Krümmungen der Schienenwege leichter an und laufen vor
allen Dingen ruhiger. In Amerika hat man Wagen von 70 engl. Fuß
— also 21 m — Länge. In Deutschland ist der größte im Betrieb be-
findliche Personenwagen der des deutschen Kaisers. Derselbe mißt
17,5 m Länge und ruht auf 6 Achsen. Auch die meisten Schlafwagen
auf dem Kontinent, sowie eine größere Zahl von Personenwagen ruhen
auf 4 Achsen, doch giebt es — namentlich in England — noch viel-
fach 2- und 3-achsige Wagen ohne Drehgestell.
Als feststehend ist zu betrachten, daß, je größer der Radstand,
d. h. die Entfernung der beiden äußersten Achsen, und je kleiner im
Verhältnis zu dieser Entfernung die Länge des Wagenkastens ist, um
so ruhiger der Wagen läuft.
Bei den Wagen ohne Drehgestell ruht auf den Achsen das Unter-
gestell, welches die Verbindung zwischen den Achsen und dem Wagen-
kasten vermittelt. Die Untergestelle der Wagen werden in neuerer
Zeit meistens aus Eisen hergestellt; nur in England und Amerika
werden dieselben vielfach aus Holz gebaut, und wird hierdurch das
Dröhnen während der Fahrt etwas verringert. Demselben Zwecke dient
die Federung, zu welcher lange, aus dünnen Stahlblättern zusammen-
gesetzte Federn von einer gewissen Elasticität und Tragkraft verwendet
werden. Um eine noch größere Wirksamkeit zu erzielen, kommt öfter
eine doppelte Federung zur Anwendung, doch macht sich hierbei häufig
ein Schwanken der Wagen bemerkbar.
Bei den Wagen mit Drehgestellen kommen die vorerwähnten Unter-
gestelle in Fortfall. Die Wagenkasten sind unten durch starke hölzerne
bez. eiserne Längs- und Querbalken verbunden ; letztere stützen sich
auf die Drehgestelle.
Die Anordnung der Wagenplätze erfolgt im wesentlichen
nach den schon S. 263 angeführten Systemen. Natürlich bietet jedes der-
selben Vorzüge und Nachteile. Jedoch gebührt vom hygienischen Stand-
punkte aus, namentlich für längere Fahrten, den Durchgangswagen
die weiteste Verbreitung; nur für kürzere Strecken mit lebhaftem Ver-
kehr mag das Coup6system , welches eine schnellere Entleerung ge-
stattet, vorzuziehen sein. Für längere Fahrten ist unbedingt
das Durchgangssystem, wie es Amerika bei seinen 7 — 8-tägigen
Fahrten mit bestem Erfolge eingeführt hat , im Interesse der
Gesundheit der Reisenden vorzuziehen. Das stunden-
lange Gebanntsein an einen engen Platz, die Schwierigkeit, einen
Abort zu erreichen, der nicht an jedes Coup6 stößt, die aufge-
zwungene, oft unsympathische Nachbarschaft von Mitreisenden, von
denen jeder seine eigenen Wünsche betrefis Oeffnung der Fenster, der
Verdunkelung der Sonne, jeder seinen eigenen Appetit hat, seinen
eigenen Tabak raucht, die Unmöglichkeit, bei längeren Fahrten jeden
28
Eisen baknhygiene.
265
Augenblick den Restaurationswagen aufsuchen zu können, die Unsicher-
heit, mit verdächtigen Leuten stundenlang allein eingeschlossen zu sein,
die ja oft zu traurigen Ueberfällen geführt hat — das alles ist wohl
geeignet, nicht nur die Behaglichkeit des Reisenden zu stören, sondern
auch auf seine Gesundheit nachteilig zu wirken. Die wenigen Vorteile
der Coupewagen, welche wesentlich in Herstellung bequemerer Liege-
plätze begründet sind, werden tausendfach aufgewogen durch die Vor-
teile der Durchgangswagen.
Daß das reine Coup^system Ueberfälle, Raub und Mord veranlaßt
hat, dafür haben wir bis in die neueste Zeit Beispiele namentlich in
Amerika und in Italien, wo die Regierung sogar angeordnet hat, daß
die Schaffner, auf dem Trittbrett gehend, ab und zu die Coup6s in-
spizieren, eine Anordnung, welche die große Zahl der durch das Wandern
der Schaffner auf dem Trittbrett während der Fahrt entstandenen Un-
fälle zu vermehren geeignet ist. Auf deutschen Bahnen ist seit Ein-
führung der Bahnsteigsperre das Betreten der Trittbretter
dem Zugpersonal während der Fahrt zwar verboten; das
Verbot wird aber vielfach nicht beachtet.
Von den verschiedenen Durchgangswagen sind die in Amerika
üblichen Salonwagen, bei denen der Durchgang in der Mitte sich be-
findet wegen der mit ihnen1verbundenen Belästigung der Mitreisenden
unbeliebt (Fig. 8).
ajcrt
J)irnst-rawm^
Fig. 8. 4-achsiger Drehgestellwageu mit mittlerem Durchgang.
Die ihnen anhaftenden Nachteile werden durch die in Europa und
namentlich in Deutschland sich einbürgernden Durchgangswagen ge-
mildert; es sind dies Coup6wagen mit Seitengang, welche sich
in unseren Durchgangszügen und Schlafwagen so trefflich bewähren.
Die geringe Belästigung durch die in den Seitengängen wandelnden
Mitreisenden kann durch Herunterlassen der vorhandenen Gardinen
aufgehoben werden (Fig. 9, S. 266).
29
266
BRAEHMER,
Die Anordnung der Aborte und die unbefangene Benutzung
derselben wird ebenfalls bei diesem System wesentlich erleichtert. Wir
wissen, daß Reisende, wenn sie einen Abort nur unter Erregung von
Aufmerksamkeit der Mitreisenden benutzen konnten, aus einem gewissen
Schamgefühl die Benutzung auf Kosten ihrer Gesundheit unterließen.
Eine Promenade in dem Seitengang läßt den an einem Ende des Wagens
liegenden Abort unbemerkt benutzen.
Mit dem Abort muß eine reinliche und ausreichende Wasch-
gelegenheit verbunden sein, und können in dieser Beziehung die
amerikanischen Einrichtungen als Vorbild dienen. Notwendig ist auch
die Anbringung von Urinirgefäßen zur Verhütung der Be-
Fig. 9. 4-achsiger Drehgestell-(Durchgangs-)Wagen mit seitlichem Gange.
schmutzung der Stühle; ebenso ist eine sorgfältige Reinigung, Spülung
und Lüftung der Aborte nach jeder Fahrt notwendig. Eine Des-
infektion mit^ Karbol belästigt durch den Geruch, dagegen ist das
Einlegen eines Stückes gewöhnlicher weißer Seife in das Urinirgefäß
zweckmäßig. Welche Anordnung aber auch die Wagen haben, gefordert
muß werden, daß die Reisenden aller Klassen jeden Augen-
blick leicht und unbemerkt den Abort erreichen können.
Die Verteilung der Plätze ist in Deutschland so eingerichtet, daß
in der I. Klasse 6, in IL 8, in der III. 10 Sitzplätze benutzt werden
können. Coupewagen mit Aborten haben gewöhnlich einen Platz
weniger. Die angegebenen Zahlen sind jedoch nur Maximalzahlen, und
haben die Schaffner die Pflicht durch eine gerechte Verteilung eine
geringere Besetzung der Coup6s herbeizuführen. In der 4. Klasse be-
finden sich vielfach noch Stehplätze. Das Stehen machen sich jedoch
durch Benutzung mitgeführter Gepäckstücke auch für längere Fahrten
die Reisenden selbst erträglich. Uebrigens ist ein gesundheitlicher Nach-
teil des Stehens während der Fahrt mit Ausnahme des Stehens auf
der Lokomotive bisher nicht beobachtet.
Das Raum Verhältnis der Wagen zu der Zahl der
Plätze wird am besten durch folgende Tabelle illustriert. Es entfällt
30
Eisenbahnhygiene. 2ö7
nach einer Berechnung Wiehert' s bei den jetzt gebräuchlichen Per-
sonenwagen der preußischen Staatseisenbahneu auf jeden Reisenden
bei voller Besetzung:
1. Klasse 2. Klasse 3. Klasse 4. Klasse
in Durchgangswagen:
Luftraum 2,24 cbm 1,50 cum 1,00 cbm 0,80 cbm
Bodentläehe 1,04 qm 0,70 qm 0,4ti qm o,38 qm
Sitzbreite 0,80 m 0,60 m o,47 m —
iu Coupewageu:
Luftraum 1,90 cbm 1,28 cbm 0,84 cbm
Bodenääche 0,86 qm 0,58 qm 0,38 qm
Sitzbreite 0,82 m o,62 m o,50 m
Diese Tabelle spricht durchweg zu Gunsten der
Durchgangs wagen.
Da jedoch selten alle Plätze besetzt sind und jalsdann nur auf
kurze Zeit, so ist das Verhältnis viel günstiger. Im Jahresdurchschnitt
und zwar für das Jahr 1887 — 1888 betrug die Besetzung der Plätze
bei den preußischen Staatseisenbahnen nur :
8,9 Proz. für die 1. Wagenklasse
20,5 ,, „ ,, 2. „
21,0 „ „ ,, 3. „
3M ,, „ „ 4. „
Durchschnittlich 24 Prozent für alle Wagenklassen, wonach also auf
jeden Reisenden das 4-fache Luftquan tum, als für jeden
Platz angewiesen, entfällt. Eine gewisse Berechtigung den
Beisenden höherer Klassen einen größeren Luftraum anzuweisen, er-
giebt sich aus der statistisch festgestellten Thatsache, daß die Reisenden
der höheren Wagenklassen im allgemeinen längere Strecken zurücklegen
als die der niederen Klassen.
Was nun die Sitze betrifft, so kann man die Beschaffenheit und
Bequemlichkeit derselben nur nach Durchschnittsmenschen einrichten.
Aut besonders starke Leute, Kinder u. s. w. Rücksicht zu nehmen, ist
nicht angängig. Bei den preußischen Staatsbahnen sind die Sitze aus-
reichend hoch und tief. Die Unterschiede in den Dimensionen der
verschieden Klassen sind gering. Die Sitze der 1. und 2. Wagenklasse
sind gepolstert und teils mit Leder, teils mit anderen Stoffen überzogen ;
mehrfach giebt es auch besondere Sitzkissen , welche auf der einen
Seite mit Leder überzogen sind. Die Sitze sind meistens so einge-
richtet, daß sie bei geringer Besetzung der Coupes zum Liegen benutzt
werden können. — Eine gesundheitlich sehr zu empfehlende Einrich-
tung: die Sitze im Sommer aus Stroh- und Holzgetiecht herzustellen,
ist bis jetzt leider noch nicht allgemein genug eingeführt.
Die sonstige Einrichtung der Coup6s ist in den letzten
Wagenklassen eine verhältnismäßig einiachere als in den ersten. Hier
wird namentlich der Schall durch die Polsterung der Wände und durch
Bedecken der Fußböden mit Teppichen oder Linoleum gedämpft, wodurch
gleichzeitig im Winter die Kälte etwas abgehalten wird. Das Klappern
der Thüren und Fenster, sowie das Eindringen von Staub soll durch
eingelegte Gummi oder Filzstreifen vermindert werden. Alles sonstige
Inventar, z. B. Gepäcknetze müssen so befestigt sein, daß kein Klappern
entsteht, die Wand- und Sitzbekleidungen dürfen keine zu grellen
Farben haben. Sämtliche Fenster müssen bei jedem Witterungswechsel
3»
268 BRAEHMEK,
leicht zu öffnen und zu schließen sein , zur Abhaltung der Sonnen-
strahlen sind leicht stellbare, am besten braune oder blaue Vorhange
notwendig. In den letzten Wagenklassen, die weder Teppiche noch
einen Linoleumbelag führen, sollte man die Fußböden wenigstens mit
Rohrdecken belegen, um die Füße trocken uud warm zu halten.
Lüftung, Heizung, Beleuchtung der Wagen siehe S. 268 — 274.
Die Erschütterung der Eisenbahnwagen wird durch
die verschiedensten Ursachen bedingt. Ein Wagen lauft um so ruhiger,
je größer der Abstand der äußersten Achsen , je besser er abge-
federt ist, je glatter und weniger abgenutzt die Räder, je besser der
Zustand des Bahnkörpers, der Schwellen, der Schienen und die Art
der Befestigung der letzteren sind, auch je mäßiger die Geschwindig-
keit ist. Ueber diese einzelnen Punkte findet man noch Näheres auf
S. 262. Ueberall ist man bemüht, die Ursachen der Erschütterung auf-
zuheben. Als Beweis dafür sei eine Anordnung des preußischen Eisen-
bahnministeriums aus dem Jahr 1889 angeführt:
„Es sind nur solche Wagen als letzte in die Züge einzustellen,
welche sich besonders bezüglich der Achsen, Räder, Lager und Federn
in vollständig gutem Zustande befinden ; ferner sind auch die letzten
Wagen fest zu kuppeln, auch ist beim Herabfahren auf starkem Gefälle
rechtzeitig zu bremsen. Die Stations- und die Revisionsbeamten der
Zugang-Stationen haben den Zustand sowie die gute Kuppelung der
letzten Wagen genau zu prüfen, die Zugführer sowie die übrigen Fahr-
beamten haben die Schluß wagen so viel wie möglich im Auge zu behalten
und der Station sofort Meldung zu machen, wenn der Gang des letzten
Wagens ein unruhiger ist , oder wenn Klagen der darin fahrenden
Reisenden laut werden. Die Station hat den betreffenden Wagen
nötigenfalls der Werkstatt zur Prüfung oder Reparatur zuzuführen. Viel-
fach ist das Schwanken der Wagen lediglich der mangelhaften Geleis-
lage zuzuschreiben ; die Bahnmeister werden daher angewiesen, auf gute
Geleislage ihr Augenmerk zu richten".
7. Lüftung der Eisenbahnwagen.
Das Bedürfnis nach ausreichender Lüftung ist bei den Eisenbahn-
wagen nicht minder groß als in Wohnräumen , begegnet aber nicht
minder großen Schwierigkeiten. Wenn einerseits bei den Eisenbahn-
wagen schon die natürliche Lüftung durch die vielen Fugen eine
größere ist als in fest gefügten uud gemauerten Wohnräumen , so ist
andererseits der Raum niedriger und kleiner und der bei vollbesetzten
Wagen auf den Einzelnen fallende Luftkubus geringer.
Die einfachste und natürlichste Art der Ventilation, nämlich das
Oeffnen der Fenster, verbietet sich bei starkem Wind, bei Staub
und Ruß, bei Regen und vor allen Dingen bei Kälte. Man hat daher eine
ganze Anzahl Systeme erdacht, welche entweder frische Luft zuführen
oder verbrauchte Luft abführen oder beides gleichzeitig bezwecken
sollen. Diese Systeme gründeten sich anfangs nur auf theoretische
Vermutungen und praktische Erfahrungen; erst im Jahre 1875 haben
Wolffhügel und Lang2 experimentell festgestellt, durch welche Ein-
richtungen die Luft im Eisenbahnwagen am besten gebessert wird,
während man es bis dahin dem subjektivem Gefühl überließ, die größere
oder geringere Güte der Luft in den Eisenbahnwagen zu ermitteln.
32
Eisenbahnhygiene. 269
Diese Untersuchungen wurden in den Jahren 1887—1888 auf Veran-
lassung des preußischen Kriegsniinisteriums wiederholt, weil man die
beste Art der Ventilation für Kranke nwagen und Lazaretzüge
festzustellen versuchte. Hierbei übertrug man die von Pettenkofer
für Wohnräume aufgestellte Theorie, daß mit der durch die Lungen
ausgeschiedenen Kohlensäure proportional die Verschlechterung der Luft
steigt, auch auf die Eisenbahnwagen.
Die Menge der von einem Menschen ausgeatmeten Kohlensäure ist
zwar nach Alter, Geschlecht, Bewegung bezw. Ruhe verschieden, doch
kann man für die Berechnung der Ventilationsgröße den von Petten-
kofer * ermittelten Durchschnittswert von 22,6 CO 2 pro Kopf und
Stunde zu Grunde legen.
Es ist nun ferner durch die Erfahrung festgestellt, daß eine durch
den menschlichen Atemprozeß auf höchstens 1 p. mille C02 gebrachte
Atemluft die menschliche Gesundheit schädigt. Berücksichtigt man
ferner, daß die atmosphärische Luft selbst schon im Mittel 0,4 p. mille
CO 2 enthält, so läßt sich unter Annahme eines nicht zu überschreitenden
Grenzwertes von höchstens 1 p. mille C02 berechnen, wie viel atmo-
sphärische Luft einem Räume von bekanntem Inhalte zugeführt werden
muß, damit dieser Grenzwert nicht überschritten wird.
Die angestellte Rechnung, über welche in Bd. IV S. 244 und 249
dies. Handb. das Nähere angeführt ist , ergiebt nun , daß der Mensch
im Mittel eine stündliche Zufuhr von 32 cbm atmosphärischer Luft
braucht, wenn der Grenzwert von 1 p. mille C02 innegehalten werden
soll. Da aber dem Reisenden in einem vollbesetzten Coup6, wie S. 267
ausgeführt wurde, im Mittel nur 1 cbm Luftraum zur Verfügung steht,
so folgt daraus, daß zur Erreichung eines dem obigen Grenzwerte ent-
sprechenden Luftwechsels derselbe in der Stunde ein 32-facher sein
müßte.
Diese Aufgabe einer 32 fachen Lüftung ist aber bei dem augenblick-
lichen Stande der Technik eine unlösbare; denn wir wissen, daß schon
eine 5 fache Lüftung — viele Hygieniker glauben, schon eine 3 fache —
das unangenehme Gefühl des Zuges hervorruft.
Nach Leißner1 enthält aber die Luft in der Nähe des sich be-
wegenden Eisenbahnzuges auch im freien Felde von 1,8 bis zu 2,28
p. mille C02, weil letztere durch die Verbrennungsprodukte der Maschine
wesentlich vermehrt wird.
Sollten sich diese Angaben bestätigen, so wäre es selbstverständlich
unmöglich, den Gehalt der Luft im Coup6 auf 1 p. mille C02 zu halten.
Deshalb legt Leißner auch einen Grenzwert von 2 p. mille C02 zu
Grunde. Dann wäre 'zwar nur eine 16 fache stündliche Lüftung er-
forderlich, aber das Problem bliebe darum zur Zeit nicht weniger
unlösbar.
Diesen Ueberlegungen entspricht das Resultat der über die künst-
liche Lüftung von Eisenbahnwagen vorliegenden Versuche.
Es ist bisher kein Lüftungssystem bekannt geworden, welches in
der Lage wäre, in den Coupes einen dauernden Gehalt der atmosphä-
rischen Luft an höchstens 1 p. mille Kohlensäure herzustellen1. Diesen
Anschauungen schließt sich auch der Bericht der amerikanischen Master
Car Builders Association an3.
Am besten scheinen sich noch Wolpert-Sauger von bestimmten
Dimensionen bewährt zu haben, deren Schächte man bis auf den Wagen-
Handbuch der Hygiene. Bd. VI. ., 0
33 lö
270 BRAEHMER,
boden hinabführt (vergl. dies. Handb. 4. Bd. 285 Fig. 50 und 51, S. 287
Fig. 55 und 56, S. 186 Fig. 106).
Die genannten Apparate saugen nur), wie ihr Name sagt, die ver-
dorbene Luft ab. Es entsteht deshalb die Frage, ob auch für eine
künstliche Zufuhr frischer Luft gesorgt werden muß.
Diese Frage läßt sich für den größten Teil der Fälle verneinen.
Solange die Fenster geöffnet werden können, ist eine maschinelle Ein-
richtung zur Luftzufuhr selbstverständlich unnötig. Ferner strömt dem
Coup6 durch das Oeff'nen der Thüren auf den Stationen eine häufig über-
große Luftmenge zu.
Sollte aber unter besonderen Verhältnissen, etwa auf sehr selten
haltenden Kurierzügen oder in Lazarethwagen eine künstliche Zufuhr von
Luft nötig werden, so wird man die Außenluft an den vorhandenen Heiz-
körpern vorwärmen, wenn die Temperaturdifferenz zwischen Außen- und
Innenluft eine zu große ist.
Von besonderer Wichtigkeit wäre es bei künstlicher Zufuhr von
Frischluft, dieselbe staubfrei zumachen. Es scheint, als wenn dieses
offenbar lösbare Problem noch nicht gelöst wurde. Anfänge sind da-
durch gemacht, daß man die Gleise mit Steinschlag abdeckt, wodurch
die Stauberzeugung wesentlich verringert wird. Der Staub, der von
den Maschinen ausgeht, bleibt aber das Hauptübel.
Nach diesen Vorbemerkungen sollen nun die hauptsächlichen zur Lüf-
tung von Eisenbahnwagen wirklich in größerem Umfange benutzten Ein-
richtungen kurz geschildert werden.
a) Fenster. Dieselben bilden, soweit es die Witterung gestattet,
die bequemste und wirksamste Art der Lufterneuerung.
b) Thüren. Dieselben kommen selbstverständlich nur auf den
Stationen in Betracht und wirken wie die Fenster.
c) Lüftungsvorrichtungen in Oberlichtaufbauten. Sie sind
namentlich auf den preußischen Staatsbahnen in Gebrauch und be-
währen sich hier im allgemeinen vorzüglich, namentlich wenn die
Außenluft nicht zu kalt ist. Einwendungen werden gegen diese Ein-
richtungen nur insofern erhoben, als dieselben neben der frischen
Luft auch dem Staub Einlaß gewähren und bisweilen einen unan-
genehmen Zug erzeugen. Eigentlich sind die Oberlichtaufbauteu nichts
anderes als Thüren und Fenster, die eine besonders zweckentsprechende
Lage erhalten haben.
d) W olpert- Sauger. Vergl. über dieselben oben und Bd. IV,
S. 285, 287 und 786 dies. Handb.
e) Apparate von Viehoff & Voss (Fig. 10, S. 271).
In jedem Wagenabteil befinden sich seitwärts oberhalb der Fenster
2 Vorrichtungen, ähnlich eingerichtet wie die Ejektoren an den Vakuum-
bremsen (S. 276). Diese beiden Apparate wirken nur während der Fahrt:
Wird in der Richtung des Pfeils gefahren, so strömt frische Luft durch
das Rohr A in das Coupe bei S, ein Teil der einströmenden Luft entweicht
unbenutzt durch das konische Rohr bei C. Im Gegensatze hierzu saugt
das konische Rohr F des Apparates der anderen Seite die Luft des
Coupes ab. Bei Umkehr der Fahrrichtung wirken auch beide Apparate
im entgegengesetzten Sinne.
Im Innern der Wagen bei B und D finden sich stellbare Schieber
in Rosettenform a, welche sich mit Hilfe der Handhabe übereinander-
schieben lassen und die Apparate außer Funktion setzen.
34
Eisenbahnhygione.
271
1) Leissner, Glaser's Annalen (1892) 121.
2) Löffler, D. Vierteljahr sschr. f. öftentl. Gesundheitspß. (1890) 22. Bd. 124.
3) Wiehert, D. Vierteljahr sschr. f. öfentl. Gesundheitspfl. (1890) 22. Dd. 105.
4) Clauss, Ventilation der Personenwagen, Monatsbl. f. öffentl. Gesundheitspß. Okt. 1893.
5) Leissner, Glaser's (Annalen 1894) 224.
G) Born's Ventilationsa2>parat Jür Eisenbahnen, Ges.-Ingen. (188ü).
7) Martin, De quelques appareils nouveaux pour le chaujjaye et la Ventilation des voitures,
Rev. d'hyy. (1883).
8. Heizung der Wagen 1, 3.
(Vergl dies. Handb. 4. Bd. 293 ff.)
Wie die Lüftung, so schafft auch die Heizung fast nur für den
Winter Sorgen. Die Vorrichtungen für Heizung und Lüftung haben
aufeinander Rücksicht zu nehmen , denn je starker der Luftwechsel
ist, um so stärker muß die Heizung sein. Die Lüftung wird daher
so anzulegen sein , daß sie die Heizung möglichst wenig beein-
trächtigt. Da sich die warme Luft an der Decke ansammelt, so
würde dieselbe durch eine oben angebrachte Lüftung abgesaugt werden.
A\ -^C
~7~. TT/TT;;
wyyyyyyyyyyyyyyyyy\^yyyyy?yyyyy^yyyyyyyyyx vyyyyyyyyyyysyyyyyyyyyyA v////ß/////////////////yA WA'-m
JHcßta*veL.
hrzx
Coupe
<^yyyyyyyyyyyyy^W/3y//////y/y///yyy/yyÄ w^/y//////////////A \y;sy////sy////////////A wzZ-A
Griff
Kosette (rnitDreHsc/iießer),
Fig. 10. Lüftungsapparat von Vieh off und Voss.
Dagegen wird durch die Absaugung vom Wagenfußboden aus, wie viel-
fache Versuche festgestellt haben, eine möglichst gleichmäßige Verteilung
der Wärme in den verschiedenen Höheschichten des Wagens erzielt.
Der Heizung in Eisenbahnwagen stehen außer den angeführten noch
andere Schwierigkeiten entgegen : die Größe der Abkühlungsflächen im
Verhältnis zu dem geringen Raum, die dünnen Wäude, viele Fenster
und Thüren, das häufige Oeffnen der letzteren und der scharfe Luftzug
während der Fahrt. Dazu kommt, daß der immerhin beengte Raum
keine großen Heizanlagen oder Oefen gestattet, daß strahlende Wärme
in dem engen Raum namentlich den in der Nähe des Heizkörpers
Sitzenden sehr lästig werden kann. Es ist daher kaum möglich, die
Heizung während einer langen Fahrt gleichmäßig zu erhalten. Berück-
sichtigen wir dazu noch die Verschiedenheit der Anforderungen der
Reisenden, von denen einige in Pelze gehüllt, andere mit einem leichten
Ueberrock bekleidet sind, so wird man es begreiflich finden, daß die
18*
35
272 BRAEHMER,
Eisenbahn Verwaltungen sich erst spät mit der Heizung der Wagen be-
schäftigten.
Die ersten Heiz ein rieh tun gen bestanden in eisernen Kästen,
die, mit heißem Wasser oder Sand gefüllt, auf die Wagenfußböden gelegt
wurden. Solange ihre Anwendung sich auf die 1. und 2. Klasse be-
schränkte, war sie zu ermöglichen und bot, wenn auch in ungleich-
mäßiger Weise, so doch immerhin einigermaßen Schutz gegen die Kälte.
An einzelnen Bahnen ist diese Heizmethode noch gebräuchlich. Als
man aber erkannte, daß die Reisenden der 3. und 4. Klasse dasselbe
Anrecht auf Schutz gegen die Kälte haben, mußte man dies primitive
Heizungssystem verlassen und ging zu der Ofenheizung über. Die-
selbe erfolgte durch eiserne Kanonen- oder Füllöfen, die teils von innen,
teils vom Dach aus zu füllen waren. Diese Oefen ergeben eine gute
und schnelle Heizung, machen aber den Aufenthalt in ihrer Nähe un-
gesund und bedingen Feuersgefahr. In Amerika, wo sie noch stark im
Gebrauch sind, ist mancher Unglücksfall dadurch noch vergrößert, daß bei
Entgleisungen und Zusammenstößen durch die umgeworfenen Oefen Feuer
ausbrach.
Eine andere, vielfach gebräuchliche Form der Ofenheizung besteht
darin, daß der Ofen unterhalb des Wagens angebracht ist und
die an seinen Wänden erwärmte Luft durch Kanäle in die Wagen ge-
leitet wird, eine Heizungsform, welche nicht genug Wärme, vielfach
jedoch Staub in die Wagen führt und auch nicht ohne Feuersgefahr ist.
Eine dritte Form, welche vielfältig angewendet wird, ist die
Heizung mit chemisch präparierter Holzkohle, welche bei ge-
ringer Luftzuführung langsam fortbrennt ; die Verbrennung geschieht in
eisernen Kästen, die wegen der Entwickelung von Kohlenoxydgas gegen
die Coupes abgeschlossen sein müssen und unterhalb der Sitze ange-
bracht sind, daher zunächst den Füßen zu gute kommen.
Die Beheizung mittels warmen Wassers findet vielfach in
Schlafwagen Anwendung und stellt eine gleichmäßige Temperatur her;
auch Gasheizungen sind im Gebrauch, jedoch sind diese nicht un-
gefährlich.
Den bis hierher angeführten Heizungsarten gegenüber, bei denen
jeder Wagen unabhängig von dem anderen ist, hat sich etwa seit einem
Decennium eine Heizungsform immer mehr eingebürgert, welche von
einer Stelle, in der Regel von der Lokomotive aus, den ganzen Zug
versorgt — das ist die Dampfheizung2. Der Dampf wird durch
Röhren von Wagen zu Wagen geführt, in die unterhalb der Sitze
liegenden oder an den Wagenwänden befindlichen Heizkörper oder Heiz-
rohre. Beispielsweise ist auf der Berliner Stadtbahn die Dampfheizung
auf die vollendetste Weise ausgeführt; sie giebt eine angenehme Wärme und
gestattet eine Regulierung derselben. Die einzige Klage, welche über
sie bekannt wurde, ging dahin, daß sie bei längerer Fahrt und langen
Zügen nicht ausreichte. Ein Erkalten kann nur seinen Grund haben
in einer zu langen Rohrleitung, in einer Unterbrechung derselben seitens
des Lokomotivführers, was mit allen Mitteln verhindert werden müßte.
In hygienischer Beziehung gehört der Dampfheizung der Eisenbahn-
wagen die Zukunft, wie solches prinzipiell schon im Jahre 1886 von
dem preußischen Eisenbahnminister anerkannt worden ist. Auch auf
süddeutschen Bahnen hat sie sich schon lange bewährt, ebenso geht
man in Amerika nach und nach zur Dampfheizung über. Trotz ihrer
hohen Anlagekosten muß sie mit allen Mitteln erstrebt werden. Nirgends
36
Eisenbahnhygiene. 273
ist Sparsamkeit unangebrachter als hier auf Kosten der Gesundheit und
Wohlfahrt der Reisenden.
Ausführlicheres über Heizung s. dies. Handb. 4. Bd. 263 ff.
1) Lü/tungs- und lltizungseinrichtungen der Eisenbahnen, Dingler's polyt. Journ. 265.
2) Tischer v. Rösslerstamm, Die Uampßieizung der Eisenbahn, Wien 1889.
o) Mallieux, Le chauffage des voitures, Oes.-Ingen. (1889).
9. Beleuchtung der Wagen ] .
Die Notwendigkeit einer guten Beleuchtung der Eisenbahnwagen
ist ebenso, wie seinerzeit die Notwendigkeit einer Schutzwand auf der
Lokomotive, bestritten worden, und zwar aus hygienischen Gründen.
So behauptete Wiehert1, das Lesen auf der Eisenbahn führe zu
Nerven- und Augenkrankheiten. Wir möchten dem nicht nur nicht zu-
stimmen, sondern das Gegenteil behaupten. Den Augen schadet vielleicht
das Lesen in einem Wagen auf holprigem Pflaster, beim Fahren auf glatten
Schienen jedoch sicherlich nicht, wenn die Beleuchtung ausreichend und die
Augen normal sind. Was die Nervenerkrankungen betrifft, so wirken
nach unserer Erfahrung auf solche Leute, die auf der Eisenbahn nicht
schlafen können — und deren giebt es eine große Anzahl — 10- bis
12-stündige Nachtfahrten viel schädlicher, wenn mangelhafte Beleuchtung
ihnen das Lesen unmöglich macht. Für solche, die schlafen können
und schlafen wollen, sind ja Vorrichtungen vorhanden, um das Licht
abzudämpfen. Die Bestrebungen auf Verbesserung der Beleuchtung sind
daher von der Hygiene warm zu begrüßen.
Ursprünglich wurden die Wagen beleuchtet durch Talglichter,
Stearinkerzen, Oellampen. Petroleum wurde wegen Explosions-
gefahr nicht angewendet. Der oben an der Decke angebrachte Beleuchtungs-
apparat ist durch eine Glasglocke abgeschlossen. Seit etwa 20 Jahren
ist die Gasbeleuchtung fast überall eingeführt worden und hat sich
wegen ihrer Helligkeit, Reinlichkeit und Einfachheit durchaus bewährt.
Unter den WTagen sind starke eiserne Behälter angebracht, in welchen
die für einen gewissen Zeitraum ausreichende Gasmenge mitgeführt wird.
Da das gewöhnliche Steinkohlengas zu wenig kohlenstotfreich und leucht-
fähig, demnach in zu großen Quantitäten mitgeführt werden müßte, so
hat man das kohlenstoffreichere Fettgas gewählt, welches in stark ge-
preßtem Zustande den Behältern zugeführt wird.
Das Fettgas wird aus Braunkohlenteeröl, einem bei der Paraffin-
erzeugung erhaltenen Nebenprodukt von unangenehmem Geruch, herge-
stellt. Dasselbe wird von den meistens in der Nähe der Bahnhöfe
liegenden Gasanstalten nach Füllständern geleitet und von hier mittels
Schläuchen in die Behälter der Wagen gepreßt. Besonders verdient
•um die Entwickelung der Beleuchtung der Wagen mit Fettgas hat sich
die Firma Julius Pintsch in Berlin gemacht.
Leider hat sich diese fast allen Ansprüchen genügende Beleuchtung
als nicht ungefährlich erwiesen. Bei Zusammenstößen und Entgleisungen
sind durch Explosion des unter den Wagen befindlichen Gases die trau-
rigsten Folgen entstanden. Wir erinnern an das namenlose Unglück in
Wannsee bei Berlin (1885), ferner in Limito bei Mailand (1891), end-
lich an die Explosion auf der Berliner Stadtbahn (1894). Auch aus
Amerika wird von schweren häufigen Folgen der Gasexplosionen be-
37
274 BRAEHMER,
richtet. Sorgfältige Untersuchungen unserer ersten Eisenbahntechniker,
an denen sich auch die Firma Julius Pintsch in Berlin beteiligte,
haben den eigentlichen Grund der Explosion nicht feststellen können.
Angesichts dieser Gefahr müssen wir trotz der unbestreitbaren
Vorzüge der Gasbeleuchtung eine Beleuchtungsart erstreben, welche
mindestens dieselben Vorzüge ohne die Gefahr besitzt: das ist die
elektrische Beleuchtung. Sie hat sich bereits in Amerika be-
währt, wo jedoch die meisten Wagen immer noch mit Gas, die Schlaf-
wagen sogar noch mit Oellampen beleuchtet werden. Auch in den
europäischen Staaten fängt sie an, sich langsam einzubürgern, so in
Schweden, Norwegen, England, Oesterreich, wo das Unglück bei Mai-
land die Frage der elektrischen Beleuchtung in Fluß gebracht hat. Auch
in Preußen macht man in jüngster Zeit Versuche, u. a. in den Schnell-
zügen zwischen Berlin und Frankfurt. Auch die in den Zügen laufenden
Postwagen werden neuerdings teilweise mit elektrischer Beleuchtung ver-
sehen. In neuester Zeit werden Versuche mit Acetylenbeleuchtung gemacht.
Die Vorzüge der elektrischen Beleuchtung sind folgende: größere
Helligkeit, geringere Wärmeerzeugung und geringere LuftverschlechteruDg,
leichtere Bedienung, größere Stetigkeit, geringere Gefahr.
Wenn trotzdem die Einführung der elektrischen Beleuchtung keine
schnelleren Fortschritte macht, so liegen die Gründe in technischen
Schwierigkeiten und in den Kosten. Wir unterschätzen diese Gründe
keineswegs, halten sie jedoch nicht für unüberwindlich und glauben, daß
auch auf den Eisenbahnen die elektrische Beleuchtung sich eine herr-
schende Stellung erobern wird.
Ausführlicheres über Beleuchtung s. dies. Handb. 4. Bd. 39 f. 105 f. 210 ff.
1) Wiehert, D. Viertelj. f. öfi. Gespfl. (1890) 22. Bd. 113 f.
2) Die Frage der elektrischen Zugbeleuchtung, Archiv J. Eisenbahnwesen (1888).
10. Kuppelung der Wagen und Buffer.
Wenn die einzelnen Wagen bei der Zusammenstellung eines Zuges
ohne weitere Vorrichtungen aneinander geschoben würden, so bildeten sie
eine starre Masse, welche namentlich den Krümmungen sich wenig an-
passen könnte. Verbände man die Wagen durch Ketten miteinander,
so würde bei schnellem Bremsen und beim Anhalten des Zuges jeder
Wagen auf den vorhergehenden einen starken Stoß ausüben und ihn
beim Fehlen elastischer Zwischenverbindungen beschädigen. Man hat
daher Zug- und Kuppelungsvorrichtungen angewandt, welche die beim
Zusammenstoßen, Anziehen und Anhalten des Zuges auftretenden
Zug- und Stoßwirkungen abschwächen. Diese Vorrichtungen bestehen
aus einer unterhalb jedes Eisenbahnwagens angebrachten elastischen
Stange, an deren beiden Enden die zur Verbindung der WTagen dienen-
den Zughaken und Kuppelungsvorrichtungen angebracht sind. Die letz- •
teren sind zwei durch eine Schraube verbundene Bügel, welche in die
Zughaken zweier zu verbindenden Wagen eingehakt werden. Durch
Drehen der Schraube werden die Wagen einander so weit genähert,
daß die Buffer sich berühren. Die letzteren sind, wie bekannt, cylin-
drische Eisenkörper, welche in einer runden Scheibe endigen und am
entgegengesetzten Ende gegen eine kräftige Feder stoßen. Außer dieser
sog. Hauptkuppelung ist noch eine zweite, eine Sicherheits-
kuppelung, vorhanden, welche erst in Thätigkeit tritt, wenn die
Hauptkuppelung zerreißen sollte.
3»
Eisenbahnhygiene. 275
Da die Bediensteten bei dieser Kuppelung zwischen die Wagen bez.
Buffer treten müssen , so liegt die Gefahr der Quetschung sehr
nahe, und sind thatsächlich schon vielfach derartige Unglücksfälle ein-
getreten. Zur Milderung dieser Gefahr haben die dem Verein deutscher
Eisenbahnverwaltungen angehörenden Bahnen die Bestimmung getroffen,
die Buffer so lang zu gestalten, daß nach erfolgtem Zusammenpressen
der Bufferfedern die Entfernung der beiden Wagenkasten immer noch
etwa s/4 m betragen soll. Auch hat man Seiten kuppe lun gen er-
sonnen, bei deren Anwendung das Dienstpersonal nicht zwischen die
Wagen zu treten braucht, sondern durch eine sinnreiche Vorrichtung
von der Seite Kuppelung und Entkuppelung vornehmen kann. Endlich
existieren noch selbstthätige Kuppelungseinrichtungen, bei denen
die Wagen durch einfaches Zusammenstoßen sich verbinden. Alle diese
meist sinnreichen Vorrichtungen haben sich bisher noch nicht hinreichend
bewährt, um im Großen angewandt zu werden. In Amerika jedoch
sind mehrfach solche Kuppelungen in Betrieb, die sich bewährt haben
sollen. Hier ist auch das Centralkuppelungssystem, bei welchem
statt der beiden seitlichen Buffer nur eine in der Mitte am Ende der
Zugstange befindliche Bufferscheibe an jedem Wagenende sich befindet
(namentlich in Nordamerika), sehr verbreitet. Aus der Mitte jeder
Bufierscheibe ragt ein Kettenglied zur Hälfte hervor. Beim Anstoßen
der Wagen erfolgt die Berührung derart, daß durch einen von oben
nach unten, von der Plattform der Wagen aus durch das Ende des
Kettengliedes zu schiebenden Bolzen eine feste Verbindung eintritt.
Da die Bufferscheiben sich am Ende der elastischen Zugstange be-
finden, so hvirkt diese Vorrichtung gleichzeitig als Zug- und als Stoß-
vorrichtung.
Auf diese Weise ist eine Quetschung der Bediensteten zwischen
den Buffern ausgeschlossen, und ihre allgemeine Einführung bei dem
jetzigen Stande der Technik eine Forderung der Hygiene.
11. Bremsen.
Die in der Fahrt begriffenen Züge in der Geschwindigkeit zu
mäßigen bez. zum Stillstand zu bringen, ist die Aufgabe der Bremsen.
Die hemmende Wirkung der Bremsen wird durch stählerne oder eiserne
(auch hölzerne) Klötze hervorgerufen, welche gegen die Räder gepreßt
werden. Dies geschah früher allgemein durch eine Schraubenspindel
mit Kurbel, welche ein Hebelwerk in Bewegung setzt. Diese Vorrich-
tung heißt Hand- oder Schraubenbremse und wird heutigentags
bei den Güterzügen noch allgemein angewendet.
Bei den Personen- und Schnellzügen dagegen wendet man um eine
schnellere und intensivere Bremsvorrichtung hervorzubringen jetzt
meistens kontinuierlich wirkende Bremsen an, bei denen als treibende
Kraft der Luftdruck benutzt wird. Diese Bremsen können nicht nur
durch das Personal, sondern auch durch die Reisenden vom Innern des
Wagens aus in Thätigkeit gesetzt werden. Elektrische Bremsen haben
bis jetzt keinen Eingang gefunden.
Außer den Luftdruckbremsen sind zu erwähnen die Heberlein-
schen Friktionsbremsen, bei denen die im fahrenden Eisenbahnzuge
vorhandene lebendige Kraft zur 'Hervorbringung einer Bremswirkung
nutzbar gemacht wird.
Eine in England, Frankreich, Oesterreich, der Schweiz verbreitete
39
276 BRAEHMER,
kontinuierlich wirkende Bremse ist die Hardy'sche Vakuum- oder
Luftleer bremse, die u. a. auf der Berliner Stadt- und Ringbahn
ausschließlich benutzt wird. Bei dieser Bremse wird in einer unter
dem Eisenbahnzuge entlang geführten Rohrleitung, welche zwischen den
einzelnen Wagen durch Gummischläuche verbunden ist, sowie in dem
mit dieser Rohrleitung in Verbindung stehenden Vakuumcylinder eine
Luftverdünnung erzeugt und hierdurch die Bremswirkung hervorge-
rufen. Die Luftverdünnung wird durch einen auf der Lokomotive an-
gebrachten Dampf Strahlapparat , welcher wie eine Saugpumpe wirkt,
hervorgerufen.
Auf ähnlichen Prinzipien beruhen die meisten Luftdruck- und Luft-
leerbremsen. Besonders in Aufnahme gekommen sind wegen ihrer schnellen
und energischen Wirkung die Bremsen von WTestinghouse (Fig. 11 s.
Beilage) Carpenter, Steel, Schleifer u. a. In Nordamerika, England
und auch in Deutschland ist die W es tinghouse- Bremse am meisten
verbreitet. Das Anziehen der Bremsgestänge und Bremsklötze wird bei
dieser Einrichtung durch komprimierte Luft bewirkt, welche in be-
sonderen, unter der Lokomotive sowie unter den Fahrzeugen ange-
brachten Luftbehältern vorrätig gehalten wird. Diese Bremsen sowie
die von Carpenter, Schleifer u. a. haben noch den Vorzug, auto-
matisch zu wirken, wobei erreicht wird, daß beim Zerreißen einer
Kuppelung eine sofortige Wirkung sämtlicher Bremsen eintritt, indem
an der Zerreißstelle die Preßluft aus der Hauptrohrleitung entweicht.
Diesen Vorzug hat die Luftleerbremse der Berliner Stadt- und Ring-
bahn nicht, und würde hier bei etwaigem Zerreißen eines Zuges die
Bremswirkung aufhören.
12. Massnahmen gegen ansteckende Krankheiten6.
{Vergl. dies. Handb. 9. Bd.)
a. Allgemeine Maßnahmen.
Schon früh haben die Eisenbahnverwaltungen darauf Bedacht ge-
nommen die Reisenden vor ansteckenden Krankheiten zu schützen und
der Einschleppung größerer Epidemien vorzubeugen.
In Betracht kommen fast alle akuten Infektionskrankheiten, vor
allem die Cholera; von den chronischen ist es die Tuberkulose,
gegen welche man neuerdings besondere Maßnahmen zu treffen im
Begriffe steht. Daß ein beginnender Typhus, daß ein Schar lach-
rekonvalescent neben gesunden Reisenden die Eisenbahn be-
nutzt, ist eine häufige Erfahrung. WTenn auch nicht ganz zu be-
seitigen , so sind doch diese Gefahren zu verringern durch einen
Appell an die Angehörigen oder an die zuständigen Aerzte, Kranken
bei denen auch nur die Möglichkeit einer Infektionsgefahr vorliegt,
das Reisen zu verbieten. Da wir jedoch mit Unverstand und Sorg-
losigkeit, oft auch mit Unmöglichkeiten zu rechnen haben, so sind die
Eisenbahnverwaltungen mehr oder weniger darauf bedacht gewesen
durch Maßnahmen der öffentlichen Gesundheitspflege den Gefahren
der Infektion entgegenzutreten. So hat die preußische Verwaltung
am 2. Juli 1884 folgende Verordnung erlassen, welche wir hier im Aus-
zug mitteilen:
I. Die Bedürfnisanstalten auf den Bahnhöfen und in den Zügen
sind sorgfältig rein zu halten und zu desinfizieren.
40
Fig. 11.
Die Westinghouse-Schnellbremse.
Allgemeine Beschreibung der Wirkungsweise.
Gepreßte Luft ist die für den Betrieb der Bremse angewendete Kraft. Sämtliche Bremsen eines Zuges können sowohl von der Lokomotive
als auch vom Zuge aus gleichzeitig in Thätigkeit gesetzt werden, und bei Zugtrennungen sowie bei Brüchen von wesentlichen Teilen der Luftleitung und
der Bremsapparate kommen alle Bremsen des Zuges selbstthätig zur Wirkung.
Die erforderliche Luft wird durch eine an der Lokomotive angebrachte Luftpumpe A, B in den Hauptluftbehälter C gepreßt. Von hier aus
felangt dieselbe durch das Führer- Brems ventil I) in die Hauptleitung E, welche sich über den ganzen Zug erstreckt, und füllt an jedem gebremsten
'ahrzeuge einen Hilfsluftbehälter G vermittelst eines damit verbundenen Funktionsventils F. Jedes Funktionsventil steht ferner mit einem Brems-
cylinder H in Verbindung, dessen Kolbenstange bei R an das Bremsgestänge angreift.
Die im Hilfsluftbehälter G aufgespeicherte Preßluft bildet den Kraftvorrat für die betreffende Bremse.
Das Funktionsventil F regelt beim Bremsen das Einströmen der Preßluft in den Bremscylinder und beim Lösen das Entweichen der Luft aus
dem Bremscylinder ins Freie.
Das Anziehen der Bremsen erfolgt, sobald durch das Führer-Bremsventil Luft aus der Hauptleitung ausgelassen, oder in der letzteren ander-
weitig eine Druckverminderung verursacht wird. Erfolgt die Verminderung des Leitungsdruckes langsam, wie dies bei gewöhnlichen Betriebsbremsungen
geschieht, so wirkt die Schnellbreruse genau so, wie die ältere automatische Westinghouse - Bremse. Die Funktionsventile lassen alsdann aus den zuge-
örigen Hilfsluftbehältern Preßluft in die Bremscylinder ein, wodurch die Bremskolben vorwärts getrieben und die Bremsklötze gegen die Kader gepreßt
werden. Die Stärke der Bremswirkung richtet sich nach der Größe der Druckverminderung in der Hauptleitung ; der Führer kann daher die Bremsen
mit größerer und geringerer Kraft anziehen , je nachdem er mehr oder weniger Luft aus der Leitung entweichen läßt. Wird der Druck in der Haupt-
leitung E schnell erheblich vermindert (bei Notbremsungen, Zugtrennungen etc.) , so öffnen die Funktionsventile F Kanäle , durch welche nicht nur aus
den HilfsluftbebälltTii Q, sondern auch aus der Hauptleitung E gepreßte Luft in die Bremscylinder H strömt. Es wird also bei Notbremsungen die in
der Hauptleitung vorhandene Preßluft mit zum Bremsen nutzbar gemacht, und die dadurch bewirkte plötzliche Abnahme des Leitungsdruckes beschleunigt
die Wirkung der sämtlichen Bremsern im Zuge derartig, daß auch an den längsten Zügen alle Bremsen nahezu in dem gleichen Augenblicke in Thätig-
keit treten.
Das Lösen der Bremsen erfolgt durch Steigerung des Luftdruckes in der Hauptleitung, indem Preßluft aus dem Hauptluftbehälter C der Loko-
motive durch das Bremsventil D in die Rohrleitung E eingelassen und dadurch in der letzteren der ursprüngliche Druck wieder hergestellt wird. Infolge-
dessen lassen die Funktionsventile die in den Bremscylindern wirksame Preßluft ins Freie entweichen , wodurch der Druck auf die Bremskolben aufge-
hoben wird, während gleichzeitig die Hilfsluftbehälter G wieder mit Luft aufgefüllt werden. (Entnommen aus: Vorläufige Vorschriften für die Be-
dienung der Luftdruckbremse von Westinghouse. Ohne Jahreszahl und Verleger.)
Beilage zum Handbuch der Hygiene VIII. Bd (S. 276).
Eisenbaknhygiene. 277
II. In den zum Aufenthalt des Publikums bestimmten Räumen,
Wartesälen, Vestibülen u. s. w. , ferner in den Uebernachtungszimmern
des Zugpersonals , in den Räumen (Baracken) , welche bei Bauten von
Arbeitern zum Wohnen benutzt werden, ist auf Reinlichkeit und ge-
hörige Lüftung mit Strenge zu halten.
III. Besondere Sorgfalt ist auf die Beschaffung ausreichenden und
gesunden Trinkwassers zu verwenden. Die Beschaffenheit des Brunnen-
wassers ist erneut zu untersuchen und die Benutzung von nicht zweifellos
gutem Wasser , sowie jede Verunreinigung der Stellen , von welchen
Wasser zum Trink- und Hausgebrauch entnommen wird und ihre nächste
Umgebung zu verhindern. Den Königlichen Eisenbahndirektionen wird
die häufige und nachdrückliche Ueberwachung der Ausführung dieser
Vorschriften zur besonderen Pflicht gemacht.
Diese Vorschriften, welche die wesentlichen Punkte, Desinfektion,
Lüftung, Reinlichkeit, gesundes Trinkwasser betonen, sind, wenn sie be-
folgt werden, geeignet manche Ansteckung zu verhindern.
Gegen Hautkrankheiten des Kopfes, die zuweilen durch An-
lehnen des Kopfes an die Polster übertragen werden, haben verschiedene
Bahnen Netze über die Polster in Kopfhöhe gespannt, die häufig gewechselt
werden. Sicherer noch wird sich der Reisende schützen , durch eine
hinlänglich große Kopfbedeckung beim Anlehnen.
b. Maßnahmen gegen die Cholera.
Wenn auch eine direkte Uebertragung der Cholera durch die
Eisenbahn nicht erwiesen und wie bei anderen Infektionskrankheiten
schwer zu erweisen ist, so lehren doch alle bisherigen Epidemien, daß
die Verbreitung der Cholera den Verkehrswegen folgt ; nicht disponierte
Personen verschont sie , ebenso Orte, die ihr keinen günstigen Boden
gewähren. Findet sie den letzteren , so entsteht ein Choleraherd.
Dieser Erfahrung gegenüber haben die Eisenbahnbehörden von jeher
der Verhinderung der Verschleppung der Cholera ihre Aufmerksamkeit
zugewandt. Dieselbe war gerichtet auf die Ueberwachung der aus
Choleraorten kommenden Züge: auf das Gepäck, auf das Eisenbahn-
personal und auf die Reisenden.
Eine große Schwierigkeit stand diesen Bestrebungen früher ent-
gegen in der Unmöglichkeit zu Zeiten einer Choleragefahr die Gesunden
von den Kranken streng zu unterscheiden. Erst die Kocn'sche Ent-
deckung des Cholerabacillus hat uns das Rüstzeug gegeben den wirklich
Cholerakranken und die in ihm liegende Gefahr zu treffen. Die erste
Aufgabe ist daher die Ermittelung des Bacillus. Der Choleraverdächtige,
der von Bacillen frei ist, wird wie jeder andere Kranke angesehen.
Wenn wir durch diese Entdeckung in den Stand gesetzt sind
planvoller zu handeln , so haben auch die Erfahrungen der Epidemie
von 1892, namentlich der Hamburger, manche frühere Maßnahmen als
überflüssig und verkehrt erwiesen. Auf Grund dieser Erfahrung fanden
im Jahre 1893 in Dresden internationale Besprechungen statt, aus
welchen die an dieser Besprechung beteiligten Länder Veranlassung ge-
nommen haben, neue Maßnahmen im Eisenbahnverkehr in Cholerazeiten
einzuführen. Die in Preußen von den Ministern des Innern, der öffent-
lichen Arbeiten, der Justiz- und der Medizinalangelegenheiten erlassenen
Anweisungen vom 8. August 1893 lauten:
4*
278 BRAEHMER,
Grundsätze für die Einrichtung des Eisenbahnverkehrs
in Cholerazeiten.
1. Von den Gesundheitsbehörden wird den Eisenbahndirektionen mitgeteilt,
welche Stationen mit den erforderlichen Krankentransportmitteln versehen sind und
eine geeignete Krankenunterkunft bieten. Auf allen diesen Stationen , welche im
folgenden als Kranken Übergabestationen bezeichnet sind, ist von der
Eisenbahnverwaltung vorsorglich auf die Bereitstellung der erforderlichen Bäunilich-
keiten zur vorläufigen Unterbringung von auf der Eisenbahn Erkrankten bis zu
ihrer Aufnahme in eine Krankenanstalt Bedacht zu nehmen. Wenn ein besonderes
Gelaß nicht verfügbar gemacht werden kann, so genügt es, einen Baum auszuwählen,
welcher im Bedürfnisfalle sofort behufs Aufnahme von Kranken geräumt werden
kann. Im Notfalle ist der Kranke bis zur Abholung in dem auszurangierenden,
auf ein Nebengeleise zu stellenden Wagen, in welchem er befördert worden ist, 'zu
belassen.
2. Bei Annäherung der Cholera an die Grenze werden auf den von den
Landes-Centralbehörden zu bezeichnenden Zollrevisionsstationen des
Grenzgebietes, wo ein erheblicher Zutritt von Beisenden aus dem von der
Cholera ergriffenen Lande stattfindet, Aerzte bei der Ankunft der Züge ständig an-
wesend sein , um an der Cholera Erkrankten oder der Erkrankung Verdächtigen
ihre Hdfe angedeihen zu lassen. Eine Untersuchung aller Beisenden ist nicht die
Aufgabe der Aerzte ; diese werden jedoch bei der Zollabfertigung anwesend sein und
eintretenden Falls über die Notwendigkeit der Desinfektion von schmutziger Wäsche,
getragenen Kleidungsstücken und sonstigen etwa mit Choleraentleerungen be-
schmutzten Gepäckgegenständen Entscheidung treffen (vergl. No. 13).
3. Im Innern des Landes findet beim Auftreten der Cholera eine regel-
mäßige Untersuchung der Beisenden nicht statt ; es werden jedoch dem Fersonal
che Stationen bekannt gegeben , auf welchen Aerzte sofort erreichbar und zur Ver-
fügung sind. Die Bezeichnung dieser Stationen erfolgt durch die Landes-Central-
behörde unter Berücksichtigung der Verbreitung der Epidemie und der Verkehrs-
verhältnisse.
4. Auf den zu 2 und 3 bezeichneten Stationen sind zur Vornahme der Unter-
suchung Erkrankter die erforderlichen Bäume, welche thunhchst mit einem Klosett
versehen sein oder unmittelbar zusammenhängen müssen , von der Eisenbahnver-
waltung, soweit sie ihr zur Verfügimg stehen, herzugeben.
5. Ein Verzeichnis sämtlicher unter 1 bis 3 bezeichneten Stationen , aus
welchem auch ersichtlich ist, wo Aerzte sofort erreichbar und zur Verfügung sind,
ist, nach der geographischen Beihenfolge der Stationen geordnet , jedem Führer
eines Zuges, welcher zur Fersonenbeförderung dient, zu übergeben.
6. Die Schaffner haben dem Zugführer von jeder während der Fahrt vor-
kommenden auffälligen Erkrankung , insbesondere von schwerem Brechdurchfall,
sofort Meldung zu machen.
Die Sorge um den Erkrankten hat sich zunächst auf eine möglichst bequeme
Lagerung desselben zu erstrecken und ist Sache desjenigen Schaffners , dessen Auf-
sicht der betreffende Wagen untersteht.
Der Erkrankte ist der nächsten im Verzeichnis aufgeführten Uebergabestation
zu übergeben, wenn er dies wünscht oder wenn sein Zustand eine Weiterbeförderung
unthunlich macht. Berührt der Zug vor der Ankunft auf der nächsten Uebergabe-
station eine Zwischenstation, so hat der Zugführer sofort beim Eintreffen dem dienst-
habenden Stationsbeamten Anzeige zu machen ; dieser hat alsdann der Kranken-
übergabestation ungesäumt telegraphisch Meldung zu erstatten, damit möglichst die
unmittelbare Abnahme des Erkrankten aus dem Zuge selbst durch die Kranken-
hausverwaltung , die Polizei- oder die Gesundheitsbehörde veranlaßt werden kann.
Verlangt der Erkrankte , seine Beise fortzusetzen , so ist die ärztliche Ent-
scheidung darüber, ob der Beisende weiter befördert werden darf, auf der nächsten
Station, auf welcher ein Arzt anwesend ist, einzuholen.
Will der Erkrankte den Zug auf einer Unterwegsstation vor der nächsten
Uebergabestation (No. 1) verlassen , so ist er hieran nicht zu hindern. Der Zug-
führer hat aber dem diensthabenden Beamten der Station, auf welcher der Erkrankte
den Zug verläßt, Meldung zu machen, damit der Beamte, falls der Erkrankte nicht
bis zum Eintreffen ärztlicher Hilfe auf dem Bahnhofe, wo er möglichst zu isolieren
sein würde, bleiben will, seinen Namen , Wohnort und sein Absteigequartier fest-
stellen und unverzüglich der nächsten Polizeibehörde unter Angabe der näheren
Umstände mitteilen kann.
7. Sobald eine Choleraerkankung eintritt , sind sämtliche Mitreisende , aus-
genommen Angehörige des Erkrankten , welche zu seiner Unterstützung bei ihm
42
Eisenbahnhygiene. 279
bleiben wollen, aus dem Wagenabteil, in welchem sich der Erkrankte befindet und,
wenn mehrere Wagenabteile einen gemeinschaftlichen Abort haben, aus diesen sämt-
lichen Abteilen zu (Mitfernen und in einem anderen Abteil, und zwar abgesondert von
den übrigen Reisenden, unterzubringen. Bei der Ankunft auf der Krankenübergabe-
station sind diejenigen Personen, welche sich mit dem Kranken in demselben Wagen-
abteil befunden haben , sofort dem etwa anwesenden Arzte zu bezeichnen , damit
dieser denselben die nötigen Weisungen erteilen kann.
Im übrigen muß das Eisenbahnpersonal beim Vorkommen verdächtiger Er-
krankungen mit der größten Vorsicht und Ruhe vorgehen , damit alles vermieden
wird , was zu unnötigen Besorgnissen unter den Reisenden oder beim sonstigen
Publikum Anlaß geben könnte.
8. Der Wagen, in welchem sich ein Cholerakranker befunden hat , ist sofort
außer Dienst zu stellen und der nächsten geeigneten Station zur Desinfektion zu
übergeben. Die näheren Vorschriften über diese Desinfektion , sowie über die
sonstige Behandlung der Eisenbahn-Personen- und Schlafwagen bei Choleragefahr
enthält die als Anlage I beigefügte Anweisung.
9. Mit dem Inhalte der in Anlage II beigefügten Anweisimg zur Ausführung
der Desinfektion bei Cholera sind sämtliche Eisenbahnbeamte genau bekannt zu
machen.
Die Zugbeamten haben, wenn sie mit Ausleerungen Erkrankter in Berührung
gekommen sind, sich sorgfältig zu reinigen und etwa beschmutzte Kleidungsstücke
desinfizieren zu lassen (vergl. Anlage II) ; die in gleiche Lage gekommenen Reisenden
sind auf die Notwendigkeit derselben Maßnahmen aufmerksam zu machen.
Alle Personen, welche mit Cholerakranken in Berührung kommen, müssen bis
nach stattgehabter gründlicher Reinigung ihrer Hände unbedingt vermeiden , die
letzteren mit ihrem Gesicht in Berührung zu bringen, da durch direkte Zuführung
des Krankheitsstoffes durch den Mund in den Körper eine Ansteckung erfolgen
kann. Es ist deshalb auch streng zu vermeiden, während oder nach dem Umgange
mit Kranken vor erfolgter sorgfältiger Reinigung der Hände zu rauchen oder
Speisen und Getränke zu sich zu nehmen.
10. Eine besondere Sorgfalt ist der Erhaltung peinlicher Sauberkeit in allen
Bedürfnisanstalten, Abtritten und Pissoirs auf den Stationen zuzuwenden ; die Sitz-
bretter der Aborte sind durch Abwaschung mit einer Lösung von Kaliseife (siehe
Anlage II unter 1 , 3) mindestens einmal täglich zu reinigen. Eine Desinfektion
der Aborte, welche alsdann mit Kalkmilch (siehe Anlage II unter II, 8) und unter
wiederholtem Uebergießen der Fußböden mit Kalkmilch, soweit sie diese Behandlung
vertragen, zu bewirken ist, erfolgt lediglich auf den Stationen der Orte, an welchen
die Cholera ausgebrochen ist, und auf solchen Stationen, wo dies ausdrücklich an-
geordnet werden sollte. Die zur Beseitigung üblen Geruchs für die warme Jahres-
zeit allgemein getroffenen Bestimmungen werden jedoch hierdurch nicht berührt.
11. Der Boden zwischen den Gleisen ist, sofern er auf den Stationen infolge
Benutzimg der in den Zügen befindlichen Bedürfnisanstalten verunreinigt ist, durch
wiederholtes Uebergießen mit Kalkmilch gehörig zu desinfizieren.
12. Eine Beschränkung des Eisenbahngepäck- und Güterver-
kehrs findet, abgesehen von dem bezüglich einzelner Gegenstände ergangenen
Ausfuhr- und Einfuhrverbot, nicht statt.
13. Eine Desinfektion von Reisegepäck und Gütern findet künftig
nur in folgenden Fällen statt :
a) Auf den zu 2 bezeichneten Zollrevisionsstationen erfolgt auf Anordnung der
ständig anwesenden Aerzte die Desinfektion von schmutziger Wäsche, alten
imd getragenen Kleidungsstücken und sonstigen Gegenständen, welche zum
Gepäck eines Reisenden gehören, sofern dieselben nach ärztlichem Er-
messen als mit Choleraentleerungen beschmutzt zu erachten sind.
b) Die Desinfektion von Expreß-, Eil- und Frachtgütern erfolgt nur
bei solchen Gegenständen, welche nach Ansicht der Ortsgesundheitsbehörde
als mit Choleraentleerungen beschmutzt zu erachten sind.
Briefe und Korrespondenzen , Drucksachen , Bücher , Zeitungen , Ge-
schaftspapiere u. s. w. unterliegen keiner Desinfektion.
Die Einrichtung und Ausführung der Desinfektion wird von den Gesundheits-
behörden veranlaßt , welchen von dem Eisenbahnpersonal thunlichst Hilfe zu
leisten ist.
14. Sämtliche Beamte der Eisenbahnverwaltung haben den Anforderungen der
Polizeibehörden und der beaufsichtigenden Aerzte, soweit es in ihren Kräften steht
und nach den dienstlichen Verhältnissen ausführbar ist, unbedingte Folge zu leisten
und auch ohne besondere Aufforderung denselben alle erforderlichen Mitteilungen zu
machen. Von allen Dienstanweisungen und Maßnahmen gegen die Choleragefahr
43
280 BRAEHMER,
lind von allen getroffenen Anordnungen und Einrichtungen ist stets sofort den dabei
in Frage kommenden Gesundheitsbehörden Mitteüung zu machen.
15. Ein Auszug dieser Anweisung, welcher die Verhaltungsmaßregeln für das
Eisenbahnpersonal bei choleraverdächtigen Erkrankungen auf der Eisen-
bahnfahrt enthält, ist in Anlage III beigefügt. Von diesen Verhaltungsmaß-
regeln ist jedem Fahrbeamten eines jeden zur Personenbeförderung dienenden Zuges
ein Abdruck zuzustellen.
16. Von jedem durch den Arzt als Cholera erkannten Erkrankungsfall ist
seitens des betreffenden Stationsvorstehers sofort dem betreffenden Betriebsamt und
der Ortspolizeibehörde schriftliche Anzeige zu erstatten, welche, soweit sie zu er-
langen sind, folgende Angaben enthalten soll:
a) Ort und Tag der Erkrankung,
b) Name, Geschlecht, Alter, Stand oder Gewerbe des Erkrankten,
c) woher der Kranke zugereist ist,
d) wo der Kranke untergebracht ist.
Atiweisung über die Behandlung der Eisenbahn-Personen- und
Schlafwagen bei Choleragefahr.
I. Behandlung der gewöhnlichen Personenwagen.
1. Während der Dauer einer Choleraepidemie im Inlande oder in einem be-
nachbarten Gebiete ist für eine besonders sorgfältige Peinigung und Lüftung der
Personenwagen Sorge zu tragen.
Die in den Zügen befindlichen Bedürfnisanstalten sind regelmäßig zu desin-
fizieren und zu dem Zweck die Trichter und Abfallrohre nach Reinigimg mit Kalk-
milch zu bestreichen, die Sitzbretter mit Kaliseifenlösung zu reinigen (vergl. No. 4
und Anlage II unter II, 8).
2. Ein Personenwagen, in welchem ein Cholerakranker sich befimden hat, ist
sofort außer Dienst zu stellen und der nächsten geeigneten Station zur Desinfektion
zu überweisen, welche in nachstehend angegebener Weise zu bewirken ist.
Bei Personenwagen 1. und 2. Klasse sind die etwa durch Entleerung des
Kranken beschmutzten Stellen — auch der Polsterungen — mit Lappen, die mit
Kaliseifenlösung (vergl. No. 41 befeuchtet sind, sorgfältig und wiederholt abzureiben ;
demnächst ist der infizierte Wagen durchweg einer gründlichen Peinigung zu unter-
werfen und sodann in einem warmen, luftigen imd trockenen Raum mindestens sechs
Tage lang aufzustellen.
Bei Personenwagen 3. und 4. Klasse sind die inneren und äußeren Seiten wände
des Wagens, Fußböden, Sitze, Trittbretter mit Kaliseifenlösung abzuwaschen, insbe-
sondere die etwa durch Ausleerung der Kranken beschmutzten Stellen sorgfältig und
wiederholt abzureiben; demnächst ist der infizierte Wagen mindestens 24 Stunden
lang unbenutzt an einem warmen, luftigen und trockenen Raum aufzustellen.
Die bei der Reinigung beschmutzter Stellen verwendeten Lappen sind zu ver-
brennen.
3. Bei Massentransporten von Personen der 3. und 4. Wagenklasse, welche
aus einer von der Cholera ergriffenen Gegend herkommen, muß, auch wenn wäh-
rend der Fahrt ein Erkrankungsfall sich nicht ereignet hat, besondere Sorgfalt auf
die Reinhaltung der Wagen verwendet werden. Wenn irgend thunlich, sind die-
selben nach jedesmaliger Beendigung eines solchen Transports ebenso zu behandeln,
wie bezüglich der Personenwagen 3. und 4. Klasse in No. 2 bestimmt ist. Doch
können die Wagen , nachdem sie trocken geworden sind , sofort wieder benutzt
werden.
4- Zur Herstellung von Kalkmilch wird 1 1 zerkleinerter, reiner gebrannter
Kalk, sog. Fettkalk, mit 4 1 Wasser gemischt, und zwar in folgender Weise:
Es wird von dem Wasser etwa 3/4 1 in das zum Mischen bestimmte Gefäß ge-
fossen und dann der Kalk hineingelegt. Nachdem der Kalk das Wasser aufgesogen
at imd dabei zu Pulver zerfallen ist, wird er mit dem übrigen Wasser zu Kalk-
milch verrührt.
Dieselbe ist, wenn sie nicht bald Verwendung findet, in einem gut geschlossenen
Gefäß aufzubewahren und vor dem Gebrauch umzuschüttein.
Zur Herstellung von Kaliseifenlösung werden 3 Teile Seife (sog. Schmierseife
oder grüne oder schwarze Seife) in 100 Teilen heißem Wasser gelöst (z. B. 1/i kg
Seife in 17 1 Wasser).
44
Eisenbahnhygiene. 281
IL Behandlung der Schlafwagen und der in denselben befind-
lichen A u s r ü st ungsgegen stände.
1. Werden von dem Laufe der Schlafwagen Gegenden berührt, in welchen
Cholerafälle vorgekommen sind, so muß nach Beendigung der Fahrt die gebrauchte
Wäsche desinfiziert werden. Zu diesem Zweck ist dieselbe mindestens 24 Stunden
lang in einer Lösung von Kaliseife (vergl. I No. 4) zu belassen, demnächst mit Wasser
zu spülen und zu reinigen. Zur Wäsche sind zu rechnen : die Laken, die Bezüge
der Bettkissen und der Decken, sowie die Handtücher.
2. Die Klosetts sind, wie unter I No. 1 bestimmt, zu behandeln.
3. Ist ein Schlafwagen von einem Cholerakranken oder der Cholera ver-
dächtigen Reisenden benutzt worden, so ist außerdem die Desinfektion des Wagens
selbst erforderlich. Letztere hat in der unter I No. 2 vorgeschriebenen Weise zu
erfolgen, jedoch sind die von dem Kranken benutzten Bettkissen, Decken und be-
weglichen Matratzen, nachdem sie zunächst mit Kaliseifenlösung stark angefeuchtet
sind , in Dampfapparaten zu desinfizieren. Am besten sind solche Apparate , in
welchen der Dampf unter Ueberdruck (nicht unter 7io Atmosphäre) zur Verwendung
kommt.
4. Für den Fall, daß es sich als notwendig erweisen sollte, einen Schlafwagen-
lauf gänzlich einzustellen, bleibt Bestimmung vorbehalten.
III. Allgemeine Bestimmungen.
1. Die vorstehenden Bestimmungen finden sinngemäße Anwendung bei Er-
krankungen von Zug- und Postbeamten in den von ihnen benutzten Gepäck- und
Postwagen.
2. Die mit der Desinfektion beauftragten Arbeiter haben jedesmal, wenn sie
mit infizierten Dingen in Berührung gekommen sind, sich gründlich zu reinigen und
etwa beschmutzte Kleidungsstücke desinfizieren zu lassen (vergl. Anlage II).
Verhaltungsmafsregeln für das Eisenbahnpersonal bei cholera-
verdächtigen Erkrankungen auf der Eisenbahnfahrt.
1. Von jeder auffälligen Erkrankung, welche während der Eisenbahnfahrt vor-
kommt, insbesondere von schwerem Brechdurchfall, hat der Schaffner dem Zugführer
sofort Meldung zu machen.
2. Die Sorge um den Erkrankten hat sich zunächst auf eine möglichst be-
queme Lagerung desselben zu erstrecken und ist Sache desjenigen Schaffners, dessen
Aufsicht der betreffende Wagen untersteht.
3. Ein Verzeichnis sämtlicher Stationen , welche mit den erforderlichen
Krankentransportmitteln ausgerüstet sind und eine geeignete Krankenunterkunft
bieten (Krankenübergabestationen), wird, nach der geographischen Reihenfolge der
Stationen geordnet, jedem Führer eines Zuges, welcher zur Personenbeförderung
dient, übergeben. Aus dem Verzeichnis ist auch ersichtlich, auf welchen Stationen
ständig Aerzte sofort erreichbar und zur Verfügung sind.
Der Erkrankte ist der nächsten im Verzeichnis aufgeführten Uebergabe-
station zu übergeben, wenn er dies wünscht oder wenn sein Zustand eine Weiter-
beförderung unthunlich macht. Berührt der Zug vor der Ankunft auf der nächsten
Uebergabestation eine Zwischenstation, so hat der Zugführer sofort beim Eintreffen
dem diensthabenden Stationsbeamten Anzeige zu machen; dieser hat alsdann der
Krankenübergabestation ungesäumt telegraphisch Meldimg zu erstatten, damit
möglichst die unmittelbare Abnahme des Erkrankten aus dem Zuge selbst durch
die Krankenhausverwaltung, die Polizei- oder' die Gesundheitsbehörde veranlaßt
werden kann.
Verlangt der Erkrankte, seine Eeise fortzusetzen, so ist die ärztliche Ent-
scheidung darüber, ob der Reisende weiter befördert werden darf, auf der nächsten
Station, auf welcher ein Arzt anwesend ist, einzuholen. Wdl der Erkrankte den
Zug auf einer Unterwegsstation vor der nächsten Uebergabestation verlassen, so ist
er hieran nicht zu hindern, der Zugführer hat aber dem diensthabenden Beamten
der Station, auf welcher der Erkrankte den Zug verläßt, Meldung zu machen, damit
der Beamte, falls der Erkrankte nicht bis zum Eintreffen ärztlicher Hilfe auf dem
Bahnhofe, wo er mögüchst zu isolieren sein würde, bleiben will, seinen Namen,
Wohnort und sein Absteigequartier feststellen und unverzüglich der nächsten Polizei-
behörde imter Angabe der näheren Umstände mitteilen kann.
4. Sobald eine Choleraerkrankung eintritt, sind sämtliche Mitreisende, ausge-
nommen Angehörige des Erkrankten, welche zu semer Unterstützung bei ihm bleiben
45
282 BRAEHMER,
wollen, aus dem Wagenabteil, in welchem sich der Erkrankte befindet und, wenn
mehrere Wagenabteile einen gemeinschaftlichen Abort haben, aus diesen sämtlichen
Abteilen zu entfernen und in einem anderen Abteil, und zwar abgesondert von den
übrigen Reisenden, unterzubringen.
5. Die Zugbeamten haben, wenn sie mit Ausleerungen Erkrankter in Be-
rührung gekommen sind, sich sorgfältig zu reinigen und etwa beschmutzte Kleidungs-
stücke desinfizieren zu lassen ; die in gleiche Lage gekommenen Reisenden sind auf
die Notwendigkeit derselben Maßnahmen aufmerksam zu machen.
c) Maßnahmen gegen Tuberkulose.
Die Untersuchung von Eisenbahnwagen, in denen eine größere An-
zahl Lungenkranker befördert wird, hat die hier gegebene Gefahr einer
Infektion erwiesen. Prausnitz2 benutzte Durchgangswagen von München
nach Meran, Petri3 einen Teil der zur Zeit der Koch'schenTuberkulin-
behandlung in Berlin angekommenen Schlafwagen. Beide Forscher fanden
Bacillen, hauptsächlich an den Fußböden, weniger an Wänden und Bänken,
die wenigsten an den Decken. Die größte Verbreitung der Keime findet
sich also an den Fußböden, wo die Kranken ihre Sekrete in unzweck-
mäßiger Weise entleeren und vertrocknen lassen. Im Auswurf, be-
sonders im getrockneten, haben wir nach Com et5 u. a. die hauptsäch-
liche Vermittelung der Ansteckung zu erblicken. Es liegt daher auf
der Hand, daß die Eisenbahnen durch geeignete Maßregeln die Ver-
breitung von Tuberkulose zu vermindern im Stande sind.
Aus den Petri 'sehen Versuchen 3 hat das Kaiserliche Reichsgesund-
heitsamt Veranlassung genommen entsprechende Vorschläge dem Mini-
sterium für öffentliche Arbeiten zu unterbreiten. Dieselben unterliegen
augenblicklich noch der Prüfung.
Notwendig und vielfach durchgeführt wird schon jetzt die Auf-
stellung von geeigneten Spucknäpfen in Bahnhöfen und Personen-
wagen, die Beschränkung der Anwendung von Teppichen und Fasern-
decken, häufiges Reinigen und Aufwaschen der Wagenböden, das Vor-
ziehen der glatten Stoffe zum Bezüge der Sitzbänke vor den Plüsch-
stoffen. An den Bahnen, welche den Verkehr von Lungenkranken nach
Kurorten übermitteln , muß durch Anschläge ermahnt werden Verun-
reinigungen und Auswurf zu vermeiden. Auch die Einrichtung von
Desinfektionsanstalten, in welchen die einzelnen Teile des Wagens, viel-
leicht sogar die ganzen Wagen dem strömenden Dampfe ausgesetzt
werden, ist zu erstreben,
d) Maßregeln gegen die Uebertraguug von Viehseuchen.
Diese Maßregeln richten sich gegen die Uebertragung von Rinder-
pest, Milzbrand, Maul- und Klauenseuche und die verschiedenen
Schweinekrankheiten durch die Eisenbahnwagen, Rampen und die Ein-
und Ausladeplätze für Vieh.
Für Deutschland ist diese Materie durch Reichsgesetz vom 25.
Februar 1876 geregelt, auf Grund dessen der Reichskanzler Ausführungs-
bestimmungen erlassen hat.
Im folgenden sind die wichtigsten Paragraphen des Gesetzes und
der Ausführungsbestimmungen abgedruckt.
1. Gesetz betreffend die Beseitigung von Ansteckungsstoffen bei Vieh-
beförderungen auf Eisenbahnen vom 25. Februar 1876.
§ 1. Die Eisenbahn Verwaltungen sind verpflichtet, Eisenbahnwagen, in welchen
Pferde, Maultiere, Esel, Rindvieh, Schafe, Ziegen oder Schweine befördert worden
46
Eisenbahnhygiene. 283
sind, nach jedesmaligem Gebrauche einem Reinigungsverfahren (Desinfektion) zu
unterwerfen, welches geeignet ist, die den Wagen etwa anhaftenden Ansteckungsstoffe
vollständig zu tilgen.
Gleicherweise sind die bei Beförderung der Tiere zum Füttern, Tränken, Be-
festigen oder zu sonstigen /wecken benutzten Gerätschaften zu desinfizieren.
Auch kann angeordnet werden, daß die Kämpen, welche die Tiere beim Ein-
und Ausladen betreten haben, sowie die Vieh-Ein- und Ausladeplätze und die Vieh-
höfe der Eisenbahnverwaltungen nach jeder Benutzung zu desinfizieren sind.
2. Ausführungsbestimmungen zum Reichsgesetz vom
25. Februar 1876.
4. Der eigentlichen Desinfektion der Wagen muß stets die Beseitigung der
Streumaterialien, des Düngers, der Beste von Anbindesträngen u. s. w., sowie eine
gründliche Reinigung des Wagens durch heißes Wasser vorangehen. Wo letzteres
nicht in genügender Menge zu beschaffen ist, darf auch unter Druck ausströmendes
kaltes Wasser verwendet werden; jedoch muß zuvor zum Zweck der Aufweichung
der anhaftenden Unreinigkeiten eine Abspülung mittels heißen Wassers erfolgen.
Die Reinigung ist nur dann als eine ausreichende anzusehen, wenn durch sie alle
von dem stattgehabten Viehtransport herrührenden Verunreinigungen vollständig
beseitigt sind.
Die Desinfektion selbst muß bewirkt werden:
a) unter gewöhnlichen Verhältnissen durch Waschen der Fußböden, Decken
und Wände mit einer auf mindestens 50" C. erhitzten Sodalauge, zu deren
Herstellung wenigstens 2 kg Soda auf 100 1 Wasser verwendet sind;
b) in Fällen einer wirklichen Infektion des Wagens durch Rinderpest,
Milzbrand oder Maul- und Klauenseuche, oder des dringenden Verdachtes
einer solchen Infektion durch sorgfältiges Bepinseln der Fußböden, Decken
und Wände mit 5-proz. Karbolsäurelösung. Die letztere ist durch Mischen
von 1 Teil der im Handel als 100-proz. Karbolsäure oder Acidum carboheum
depuratuin bezeichneten Karbolsäure mit 18 Teilen Wasser unter häufigem
Umrühren herzustellen.
Diese Art der Desinfektion (b) ist in der Regel nur auf Anordnung der zu-
ständigen Polizeibehörde, ohne solche Anordnung jedoch auch dann vorzunehmen,
wenn die Bahnbeamten von Umständen Kenntnis erlangen, welche es zweifellos
machen, daß eine wirkliche Infektion des Wagens durch Rinderpest, Milzbrand oder
Maul- und Klauenseuche vorhegt, oder welche den dringenden Verdacht einer solchen
Infektion begründen. Der Landespolizeibehörde bleibt vorbehalten, diese Art der
Desinfektion (b) auch in anderen Fällen anzuordnen, wenn sie solches zur Verhütung
der Verschleppung der oben bezeichneten Seuchen für unerläßlich erachtet.
Bei gepolsterten Wagen ist die Polsterung, welche entternbar sein muß, in aus-
reichender Weise zu reinigen. Hat eine wirkliche Infektion des Wagens durch eine
übertragbare Seuche stattgefunden, oder liegt der dringende Verdacht einer solchen
Infektion vor, so muß die Polsterung verbrannt werden. Der Wagen selbst ist in
der zu Absatz 1—3 angegebenen Weise zu behandeln. Ausländische Wagen, deren
Polsterung nicht entfernbar ist, dürfen im Inlande nicht wieder beladen werden.
Die im Absatz 1 angegebene Reinigung gilt, vorbehaltlich der Bestimmungen
im Absatz 2 b und Absatz 3, als ausreichende Desinfektion in denjenigen Fällen, in
welchen im Eisenbahnwagen nur einzelne Stücke Kleinvieh in Kisten oder Käfigen
befördert worden sind, sofern zur Zeit des Gebrauchs die betreffenden Kisten mit
wasserdichten Fußböden, festen Wänden und aus Latten mit den für die Atmung
der Tiere notwendigen Zwischenräumen hergestellten Deckeln, die Käfige mit wasser-
dichten Fußböden und von unten bis mindestens zur ganzen Höhe der Tiere mit
festen Wänden versehen waren, und eine Verunreinigung des Wagens durch Streu-
raaterialien, Futter, Dünger, Exkremente u. s. w. nicht wahrnehmbar ist.
Anhang: Leichentransport.
Bestimmungen über den Leichentransport wurden im hygienischen
Interesse erlassen. Dieselben sind im Betriebsreglement für die Eisen-
bahnen Deutschlands vom 17. Dezember 1887 enthalten.
Der § 34 desselben bestimmt u.a.: Die Leiche muß in einem hinlänglich
widerstandsfähigen Metallsarge eingeschlossen und letzterer von einer hölzernen Um-
hüllung derart umgeben sein, daß jede Verschiebung des Sarges innerhalb der Um-
47
284 BRAEHMER,
hüllung verhindert wird. Die Leiche muß von einer Person begleitet sein, welche
ein Fahrbillet zu lösen und denselben Zug zu benutzen hat, in dem sich die Leiche
befindet. Bei dem Transport von Leichen, welche von Polizeibehörden, Kranken-
häusern, Strafanstalten u. s. w. an öffentliche höhere Lehranstalten übersandt
werden, bedarf es einer Begleitung nicht. Auch genügt es, wenn solche Leichen in
dicht verschlossenen Kisten aufgegeben werden. Von der Zusammenladung mit der
Leiche sind ausgeschlossen : Nahrungs- und Genußmittel einschließlich der Kohstoffe,
aus welchen Nahrungs- und Genußmittel hergestellt werden.
Jede Leiche muß von einem Leichenpaß begleitet sein.
Der Transport von an ansteckenden Krankheiten
Verstorbenen sollte gesetzlich untersagt werden, soweit
derselbe nicht zu wissenschaftlichen Forschungen erforderlich ist.
1) Becher, Verschleppung der Choleraerreger, Dtsch. med. Wochenschr. (1892) 37.
2) Praussnitz, Tuberkidose. Verbreitung durch Eisenbahnwaggons, Münchener med. Wochen-
schrift (1892).
3) Petri, Arbeiten d. Kais. Gesundheitsamtes. (1894) 9. Bd. 111 (1894).
4) Schmöckel, Choleramafsnahmen, Dtsch. Eisenbahnztg. (1893).
5) Cornet, Die Verbreitung der Tuberkelbacillen (1889) Separatabdr. 108.
6) Löffler, Vierteljahr sschr. f. öffentl. Oesundheitspfl. (1890) 22. Bd. 132.
13. Das Rettungswesen bei den Eisenbahnen.
Das Rettungswesen bei Eisenbahnunfällen und bei plötzlichen Er-
krankungen hat sich zu erstrecken auf die BereithaltuDg der zur ersten
Hilfe notwendigen Verbandgegenstände und Arzneimittel, auf möglichst
schnelle Herbeischaffung ärztlicher Hilfe, auf zweckmäßige Maßnahmen
bis zur Ankunft des Arztes, endlich auf geeignete Transportmittel und
Unterkunftsräume für Verwundete und Kranke.
Bei den preußischen Staatsbahnen waren bereits 1856 durch
Ministerialerlaß zweckmäßige Einrichtungen getroffen worden , die sich
neuerdings wesentlich vervollkommnet haben. Andere Länder sind diesen
Bestrebungen mehr oder weniger gefolgt. Es würde zu weit führen,
die Einrichtungen der einzelneu Länder zu besprechen. Wir sehen es
vielmehr als unsere Hauptaufgabe an, die notwendig erscheinenden
Forderungen aufzustellen unter Hinweis auf das, was sich bereits be-
währt hat.
I. Auf allen Stationen müssen Rettungskästen vorhanden sein,
welche alles enthalten , was der Arzt nötig hat , um einen Verletzten
zu verbinden und transportfähig zu machen, und um plötzlich Erkrankten
die erste Hilfe zu gewähren. Dementsprechend bestehen bei den preußi-
schen Eisenbahnen große und kleine Rettungskästen.
Der große Rettungskasten hat zwei räumlich getrennte Ab-
teilungen : die erste Abteilung A ist zum gemeinschaftlichen Gebrauch
für den Arzt und die Beamten bestimmt, sie enthält:
1) 2 knieförmig gebogene große Scheren zum Aufschneiden der Kleidungsstücke.
2) 10 Hohlschienen von biegsamem Draht, und zwar 5 breitere für das Bein
und 5 schmälere für den Arm.
3) 60 m Sublimatmull, je 1 m in einem besonderen starken, blauen Papierum-
schlag verpackt, mit der Aufschrift: „1 m ganzer Sublimatmull".
4) 60 m Sublimatmull in Stücke von 20 cm Länge und Breite geschnitten und
je 1 m in einem besonderen, starken, gelben Papierumschlag verpackt mit der Auf-
schrift : „1 m Verbandmull in Läppchen".
5) 30 Päckchen reine, antiseptische Verbandbaumwolle, zu je 100 g in starkem
Papierumschlag verpackt und mit der Aufschrift: „Verbandbaumwolle".
6) 12 Tafeln gewöhnliche , geleimte Watte , in einem starken Papierumschlag
verpackt.
Eisenbahnhygiene. 285
7) 36 Baum\voll-(Calico-)Binden, 6 cm breit und 5 m lang.
8) 50 Binden von gestärktem Mull, 6 cm breit und 5 m lang.
9) 12 dreieckige Verbandtücher (Mitcllen), deren kürzere Seiten je 90 cm
lang sind.
10) 1 Gross starker Sicherheitsnadeln in einer Schachtel mit Aufschrift.
11) 1 Fläschchen mit 100 g Aethertropfen (Aether sulfuricus).
12) 10 Stückchen Würfelzucker in einer Flasche mit weiter Oelfnung.
13) 2 Nagelbürsten, einzeln in Pergamentpapier verpackt.
14) 2 Stück guter Seife, einzeln in Staniol verpackt.
15) 2 Handtücher, etwa l1/« m lang.
16) 3 Waschbecken aus Papiermasse.
17) 20 Sublimatplätzehen (nach Professor Angerer-München) von je 1 g, mit
der Aufschrift „Gift", in gut verkorktem Glas. Ein Plätzchen genügt für den In-
halt der Literflasche (s. 18).
18) Eine 1 Liter haltende Flasche, als Gießflasche (Irrigator), aus starkem Glas und
mit 2 Oeffnungen, einer gewöhnlichen oben und einer seitlichen, nahe dem Boden,
letztere so eng, daß ein gewöhnlicher Irrigatorschlauch darüber gezogen werden
kann, beide mit guten Korken verschlossen. Diese Flasche ist immer mit vorrätigem
Sublimatwasser gefüllt.
19) Ein Behälter mit 2 Berzeliusröhren und Korkstopfen in Vorrat, einen Stopfen
von jeder im großen Rettungskasten befindlichen Sorte.
20) Ein 1 m langer Gummischlauch zur Gießflasche, zu der unteren Gieß-
flasche passend und an einem Ende mit einem zur Spitze ausgezogenen Glasröhr-
chen versehen (sog. Berzeliusröhre).
21) 4 große und 2 kleine Gummibinden aus Naturgummi , nicht gewebt (beste
Qualität). Jede mit Langenbeck'scher Schlußklammer.
22) 1 starker Wachsstock.
23) 2 Stück Tragtücher.
24) 1 Exemplar der Anleitung.
25) 1 Exemplar der „Kurze Winke" (s. S. 290), auf der Innenseite des Kasten-
deckels befestigt.
26) Ein Verzeichnis des Inhalts des ganzen Rettungskastens, auf der Innenseite
des Deckels befestigt.
Die Abteilung B ist zur ausschließlichen Benutzung des Arztes
bestimmt und als solche mit einem Schilde bezeichnet, sie enthält:
1) Eine Verband tasche von Leder, darin : a) 1 einklingiges Bistouri, b) 1 Schere,
c) 1 gewöhnliche Sonde , d) 1 Hohlsonde , e) 1 Kornzange zum Feststellen der
Griffe, zugleich als Unterbindungspincette und Nadelhalter verwendbar, f) 1 ana-
tomische Pincette, g) 4 Unterbindungspincetten, h) 10 größere krumme Nähnadeln,
i) 1 Dechamps'sche Nadel, k) 1 Rasirmesser.
2i 2 Rollen Jodoformseide von mittlerer Stärke (nach Hagedorn-Magdeburg).
3) 30 Gipsbinden in einer gut schließenden Blechbüchse, die Fugen mit Papier
verklebt.
4) 200 g Chloralchloroform, ohne Alkohol.
5) 1 Chloroformmaske mit zugehörigem Glas nach Esmarch.
6) 10 Morphiurnpulver zu je 0,01 Morphium muriaticum.
7) 40 g pulverisiertes Jodoform in einer Hartgummibüchse mit doppeltem ab-
schraubbaren Deckel, einem durchlöcherten und darüber einem ganzen, und mit der
Aufschrift: „Jodoform, Gift".
8) 2 Gläschen mit je 30 g blau gefärbter, officineller, verflüssigter Karbolsäure.
9) Einige Drainröhren verschiedener Dicke, 10 cm lang, in einem weithalsigen,
verkorkten Fläschchen mit Alkohol.
Ueber die Notwendigkeit des Chloroforms, für welche die
wissenschaftliche Deputation in Preußen sich ausgesprochen hat, sind die
Meinungen geteilt. Das oft viele Jahre unbenutzt stehende Chloroform kann
sich verflüchtigen und auch chemisch verändern ; wir würden daher raten,
wenigstens auf den Bahnhöfen , in deren unmittelbarer Nähe Apotheken
liegen, auf das Chloroform zu verzichten , auf den anderen für möglichst
guten Verschluß sowie für sehr reines Chloroform zu sorgen und — bleibt
Handbuch der Hygiene. Bd. VI. 19
49
286 BRAEHMER,
es jahrelang unbenutzt — es durch neues unter anderweitiger Verwendung
des alten zu ersetzen.
Notwendig halten wir noch eine subkutane Spritze mit Morphium-
lösung und Aether in den Kasten hinainzufügen, ein Vorschlag, dem man
sich leider bisher in Preußen verschlossen hat.
Für Hilfeleistung auf der Strecke haben Zugführer einen kleinen
Rettungskasten mit Blutstillungsmitteln und den allernotwendigsten
Verbandmitteln bei sich zu führen. In Preußen hat dieser Kasten
folgenden Inhalt:
1) 1 knieförinig gebogene große Schere, zum Aufschneiden der Kleidungsstücke.
2) 5 m Subliniatmull, je 1 m in einem besonderen, starken, blauen Papierum-
schlag verpackt, mit der Aufschrift: „1 m ganzer Sublimatmull".
3; 5 m Sublimatmull, in Stücke von 20 cm Länge und Breite geschnitten und
je 1 m in einem besonderen, starken, gelben Papierunischlag verpackt, mit der Auf-
schrift : „1 m Verbandmull in Läppchen".
4) 20 ßaumwoll-(Calico-)Bincfen, 6 cm breit, 5 m lang, in Papier verpackt und
mit Aufschrift
5) 6 dreieckige Verbandtücher (Mitellen), deren kürzere Seiten je 90 cm
lang sind.
6) 1 Nagelbürste, in Pergamentpapier verpackt.
7) 1 Stück gute Seife, in Staniol verpackt.
8) 1 Handtuch, etwa l1/* m lang.
9) 1 Waschbecken aus Papiermasse.
10) 1 große und 1 kleine Gummibinde, je mit Langenbeck'scher Schluß klamm er.
11) 1 Exemplar der „Kurze Winke" (s. S. 290), an der Innenseite des Deckels
befestigt.
12) Ein Inhaltsverzeichnis des kleinen Rettungskastens, an der Innenseite des
Deckels befestigt.
Da die meisten Unglücksfälle auf oder in der Nähe von Stationen
vorkommen, so ist die Notwendigkeit der kleinen Kästen vielfach
bestritten worden. Nach unserer Erfahrung wird der Inhalt allerdings
oft unbrauchbar. In Preußen ist daher eine vierteljährliche Revision
bez. Erneuerung vorgeschrieben. Unter dieser Vorschrift halten wir
jedoch die allgemeine Einführung auch der kleinen Rettungskästen für
nützlich ; vielleicht würde sich noch besser eine nur vom Zugführer zu
tragende Verbandtasche empfehlen , welche das Allernötigste zum Ver-
bände enthält; ein ähnlicher Vorschlag ist von H erzog- München *)
gemacht worden. Auch die Blechbüchsen mit sterilisiertem Verband-
material, wie sie Dührsen*) eingeführt hat, würden empfehlenswert sein.
Die Rettungskästen müssen in trockenen Räumen aufbewahrt und
gut verschlossen gehalten werden ; unbrauchbar Gewordenes muß er-
neuert werden; Verbandgegenstände, die durch längeres Aufbewahren
an Güte verlieren, können dabei anderweitig verwendet werden. Alles
Verbandmaterial muß dem neuesten Stande der Wissenschaft ent-
sprechen.
II. Zum Transport der Verletzten ist die Aufstellung von Trag-
bahren auf den Stationen notwendig. Dieselben dürfen nicht zu breit
und müssen darauf berechnet sein, daß bei der Weiterbeförderung auf einem
Wagen der Verletzte auf derselben Bahre liegen bleiben kann. Auf
größeren Stationen sind Rettungswagen bereit zu halten ; einen solchen
hat bereits 1881 Czatary in Pest konstruiert und ist derselbe auf der
Berliner hygienischen Ausstellung mit einem Ehrendiplom ausgezeichnet
*) Mündliche Mitteilungen.
Eisenbahnhygiene.
287
worden. Die von Czatary gerühmten Vorzüge dieses Wagens, welcher
bereits bei den ungarischen Staatsbahnen im Gebrauch ist (Fig. 12), be-
stehen in der doppelten Verwendung der im Wagen befindlichen Betten als
Tragebetten und Krankenlager, ferner in der leicht durchzuführenden
Desinfektion der einzelnen Betten und des ganzen Wagens, in der Einrich-
tung von Doppelfenstern zur Erleichterung der Ventilation u. s. w.
Solche WTagen sind nicht nur für verletzte, sondern auch für erkrankte
Fig. 12. Rettungswagen der ungarischen Staatsbahn nach Dr. von Czatary.
Reisende wünschenswert. Sie müssen sich in jeden Zug leicht einfügen
lassen und auch die nötigsten Gegenstände zur Krankenpflege enthalten.
Die österreichische Regierung hat bereits 3 solcher Kran-
kenwagen aufgestellt. In Deutschland ist Bayern mit der Einrichtung
von Transportwagen für Kranke und Verwundete vorangegangen. Seit
einem Jahre hat dort jedes der 10 Oberbahnämter am Centralsitz einen
Wagen mit folgender Einrichtung :
Die Wagen sind für die Unterbringung von 10 Tragbahren , welche auf be-
sonderen Ständern mit Grund' scher Federanordnung aufgelegt werden können,
eingerichtet.
Die Tragbahren selbst nach Muster jener der freiwilligen Sanitätskolonne, je-
doch mit Holmen aus Stahlröhren ausgeführt, besitzen verstellbare Holmenenden,
wobei die Verlängerungen in die hohlen Holmenstangen hineingeschoben und im
herausgezogenen Zustande durch eine einfache Drehung in dieser Stellung festge-
halten werden können.
Bei dem Transport der Kranken zu den Eisenbahnwagen sind die Holme für
gewöhnlich zu verlängern, um den Trägern das Zwischentreten zwischen die Holme,
somit das Tragen der Bahre selbst, zu erleichtern.
Die Verkürzbarkeit der Bahrenholme hat noch weiter den schätzbaren Vor-
teil, daß die Bahren mit eingeschobenen Holmen in die den freiwilligen Sanitäts-
Hauptkolonnen gehörigen Krankenwagen zum Landtransport einstellbar sind.
Es kann somit die Umbettung auf eine andere Lagerstatt beim Uebergang
vom Eisenbahn- zum Landtransport vermieden werden.
Wie aus der Skizze (Fig. 13, S. 288) ersichtlich, ist auf einer Plattform des
Wagens ein Eiskasten mit aufgebautem Trinkwasserbehälter aufgestellt.
IQ*
5i iy
288
BRAEHMER,
Die Einbringung der Bahren in die Wagen soll daher , wenn immer möglich,
auf der freien Plattform erfolgen.
Um diese Einbringung für die Kranken so schonend als möglich ausführen zu
können, sind die Tragbahren mit Gleitrollen ausgerüstet.
Ferner befindet sich bei jedem Wagen ein Paar Einladeschienen , welches auf
die Plattform mit herabgeschlagener Uebergangsbrücke gelegt , das Einrollen der
Tragbahre in den Wagen ermöglicht. Bei dem Einheben der Bahren auf die Ständer
ist zu beachten, daß die Verlängerungen der Hohne auf der Kopfseite zu kürzen,
dagegen auf der Fußseite verlängert zu belassen sind.
Um das Einheben im Bedarfsfalle zu erleichtern , sind jedem Wagen 2 lose
Einladehaken beigegeben , welche in die oberen Querbinder der Ständer eingehängt
werden können.
Die Bahren sind auf die Ständer so aufzulegen , daß die Verstärkungen der
kopfseitigen Bahrgriffenden hinter die Tragschiene des Ständers zu hegen kommen
und sich an letztere anschließen.
Fig. 13. Kranken- und Verwundeten-Transport-Wagen der bairischen Staatsbahnen.
Hierdurch ist eine Verschiebung der Bahren in der Längsrichtung verhütet;
ebenso behindert die Form der Trägerenden eine seitliche Verschiebung der Bahre.
Den Wagen , welche für Gasbeleuchtung eingerichtet , sind auch Oellampen
(Notlichteinsätze) beigegeben.
Da nicht ausgeschlossen ist, daß bei längerem Stillstande der Wagen die Gas-
füllung sich mindert, muß für rechtzeitige Nachfüllung Sorge getragen werden.
Befindet sich auf der Hinterstellungsstation keine Oelgasfabrik oder ein
Recipientenwagen , so ist der Wagen im Bedarfsfalle der nächst gelegenen Gasab-
gabestelle zuzuleiten und beschleunigte Füllung und Rücksendung zu veranlassen.
Für den Fall, daß die Gasbeleuchtungseinrichtimg defekt werden sollte , sind
die Notlichteinsätze , welche zur sofortigen Verwendbarkeit geeignet unterhalten
werden müssen, zu benutzen.
Für eine ergiebige Ventilation des Wagens ist durch Anbringung von 8 W o 1-
p er t' sehen Luftsaugern und eines Windfängers, dessen Reguliervorrichtung an
der Wagenwandung zunächst dem Ofen angebracht, Sorge getragen.
Bezüglich der Heizung wird bemerkt, daß die erforderlichen Brennmaterialien,
vorzugsweise klein gemachtes Holz, in der hierzu bestimmten Kiste immer eingelegt
sein müssen, um den Wagen möglichst rasch erwärmen zu können.
52
Eisenbahnhygiene. 289
Im allgemeinen muß daran festgehalten werden , daß diese Wagen und deren
Einrichtungen so in Ordnung gehalten sein müssen, daß dieselben zu jeder Zeit ohne
Verzögerung verwendet werden können.
Die Herausnahme einzelner Einrichtungsgegenstände aus den Wagen , sowie
das Einbringen von nicht im Inventarverzeichnis aufgeführten Gegenständen ist
daher unter allen Verhältnissen unzulässig.
Zur Instandhaltung der gesamten Einrichtung während der Hinterstellung der
Wagen ist die periodische Revision und Reinigung der einzelnen Gegenstände unbe-
dingt notwendig.
Während die Revision der für die ärztlichen Bedürfnisse vorhandenen Aus-
rüstungen durch den hierfür verantwortlichen Bahnarzt zu den vorgeschriebenen
Zeitabschnitten erfolgt , ist die Instandhaltung und Reinigung der übrigen Ein-
richtungen der k. Betriebswerkstätte der Hinterstellungsstation in der Weise zu
übertragen , daß dieselbe die Reinigung des Wagens und dessen Einrichtungen auf
Anruf des k. Bahnamtes, bei welchem die Schlüssel zu dem Wagen an einem den
diensthabenden Betriebsbeamten zugänglichen Platze aufzubewahren sind und welches
für den ordnungsmäßigen Zustand des Wagens verantwortlich ist, vollzieht.
Hierbei ist vorzugsweise für Verhütung des Mottenfraßes in den Wolldecken
und Unterlagkissen in entsprechender Weise Sorge zu tragen.
Die Fenstervorhänge sind geschlossen zu halten , ebenso die Bettvorhänge
(Schubvorhänge) vor den Bahrenständern auszuziehen und zuzuknöpfen , um das
Einlegen von Staub in die Falten zu verhüten,
Die Revisionen sind für gewöhnlich in der wärmeren Jahreszeit monatlich aus-
zuführen, für die Wintermonate genügt einmalige Reinigung, insofern die praktischen
Erfahrungen nicht andere Termine als erforderlich erscheinen lassen.
Ist bei einem Eisenbahnunfalle die Absendung eines Kranken- und Verwundeten-
Transportwagens an die Unfallstelle erforderlich, so hat derjenige Betriebsbeamte,
welcher für Bereitstellung und Abfertigung des Hilfszuges zu sorgen hat, auch die
Sorge dafür zu übernehmen , daß der Kranken- und Verwundeten-Transportwagen
vor der Einstelluug in den Hilfszug entsprechend in Stand gesetzt wird.
Zu diesem Zwecke ist der Wagen zu lüften und bei kaltem Wetter zu heizen,
alsdann sind die Wasserbehälter mit reinem frischen Trinkwasser und der Eisbe-
hälter mit Eis zu füllen und eine Flasche Spiritus in den Wagen zu stellen.
Als Erfrischungsmittel sind aus der Bahnhofwirtschaft mitzunehmen:
V2 Flasche Cognak, 1 Flasche Rotwein, 2 Flaschen mittelstarker Weißwein,
1 Büchse Fleischextrakt und etwas Chokolade.
Von der Hinterstellung dieser Wagen ist der freiwilligen Sanitätskolonne Mit-
teilung zu machen und dieselben zur Besichtigung der Wagen einzuladen.
In Preußen fehlen bis jetzt eigene Krankenwagen bei den Eisen-
bahnen. Bei Massentransporten werden Personenwagen 4. Klasse mit
bereit gehaltener, zweckentsprechender Einrichtung versehen und haben
sich im Kriege 1870 im ganzen bewährt. Für die Friedenszeit, nament-
lich für den Transport Schwerkranker halten wir bereitstehende Kranken-
wagen für notwendig und wird sich auch Preußen der bayerischen Ein-
richtung anschließen müssen.
III. Die Fahrbeamten und das Stationspersonal müssen in der
ersten Hilfeleistung6 in besonderen Unterrichtskursen unterwiesen
werden. Diese Einrichtung ist in Preußen in durchaus zweckmäßiger Weise
durchgeführt. Die Bahnärzte unterweisen jährlich in einer Anzahl von
Unterrichtsstunden die Beamten im Gebrauch der kleinen und, so weit es
erlaubt ist, auch der größeren Rettungskästen, sowie in der Leistung der
ersten Hilfe bis zur Ankunft des Arztes. Es muß den Leuten immer
von neuem eingeprägt werden, daß sie nicht schaden dürfen, daß sie
sich selbst vor der Berührung eines Verwundeten gehörig reinigen, wie
sie sich bei Ohnmächten, starken Blutungen u. s. w. zu verhalten haben.
Durch Ministerialerlaß von 1877 und 1881 ist folgende Anleitung über
die nächsten Verhaltungsmaßregeln gegeben worden:
53
290 BRAEHMER,
Kurze Winke für die Beamten
zur vorläufigen Hilfeleistung bei Verletzungen vor Ankunft des Arztes.
1. Bewahre Kaltblütigkeit und sorge für Ordnung. Halte Unberufene
von der Unglücksstätte entfernt, denn Du bist bis zur Ankunft des Arztes für die
Versorgung des Verunglückten verantwortlich.
2. Befreie die Verletzten aus ihrer üblen Lage, ohne etwas an ihnen zu zer-
reißen oder abzutrennen, und lagere sie bequem abseits der Geleise.
3. Vor allem stelle fest, ob eine starke Blutung vorhanden ist, d. h. ob an
einer Stelle das Blut förmlich herausströmt oder gar herausspritzt. Die Wunde
lege frei, ohne den Verletzten zu entkleiden, nur durch Aufschneiden der Kleider
mit der Schere, wo es am stärksten blutet, zuerst.
4. Sende bei anscheinender Gefahr für den Verletzten sofort nach ärztlicher
Hilfe.
5. Ehe Du verbindest, wasche und bürste Deine Hände und tauche
sie dann in Sublimatwasser. Keine Wunde darfst Du mit etwas anderem über-
rieseln, als mit Sublimatwasser, noch mit etwas anderem berühren oder verbinden,
als mit Sublimatmull, den Du mit Binden oder Tüchern befestigst. (§ 7.)
6. Den stark blutenden Körperteil lagere womöglich hoch und drücke Ballen
von Sublimatmull fest auf, bis das Blut steht. Kannst Du letzteres nicht erreichen,
so benutze die Guminibinden.
7. Ohnmächtige lagere mit dem Kopfe tief, lockere die Kleider um Hals
und Rumpf, besprenge ihr Gesicht mit Wasser und lasse sie auf kurze Zeit an
Aethertropfen riechen.
8. Verrenkungen und Knochenbrüche versuche nicht durch Ziehen
einzurichten. Sorge nur dafür, daß bei Brüchen und Verrenkungen am Bein der
Verletzte keinen Versuch macht, sich zu stellen.
Nur wenn die Schmerzen sehr groß sind und der Verletzte weiter gebracht
werden soll, oder wenn an einer Bruchstelle eine Wunde ist : schneide die Kleider
auf, hänge den gebrochenen Arm in ein dreieckiges Tuch und schiebe dem ge-
brochenen Bein eine gepolsterte Schiene unter, welche Du mit Binden oder Tüchern
befestigst.
Bei Wunden über gebrochenen Knochen sollst Du ganz besonders vorsichtig sein.
9. Verbrannte Hautstellen beriesele nicht , sondern belege sie mit
einer einfachen Lage von Subhmatmull, bedecke sie mit Verbandwatte und befestige
diese. ,
Brandb äsen öffne nicht.
10. Bricht oder hustet ein Kranker Blut, so bringe ihn in eine
halbsitzende Lage, lasse ihn etwas kaltes Wasser oder Eis schlucken und beruhige
ihn durch Zureden.
11. Keinem Kranken oder Verletzten gestatte, geistige Getränke nach
Gutdünken zu genießen, nur sehr Schwachen darfst Du eüien Schluck Wein, Brannt-
wein oder 10 — 20 Aethertropfen auf Zucker geben.
Aehnliclie EinrichtuDgen wie in Preußen sind bereits in anderen
Ländern erfolgt, und können wir nur ihre allgemeine Einrichtung be-
fürworten.
IV. Zur schnellen Herbeischaffung ärztlicher Hilfe
ist es notwendig, daß die Stationen telephonisch mit den Bahnärzten
sowie auch mit anderen in der Nähe wohnenden Aerzten und mit
Krankenhäusern in Verbindung stehen. Bei größerem Massenunglück
kann niemals der ärztlichen Hilfe zu viel werden und darf keine Mühe
gescheut werden, möglichst viele Aerzte herbeizurufen.
V. Ein bahnärztliches Zimmer auf jeder größeren Station,
wie es auch vielfach besteht, halten wir für dringend wünschenswert.
Dort werden am besten die Rettungskästen aufbewahrt und die täglichen
Sprechstunden abgehalten, sowie Einrichtungen getroffen für die vor-
läufige Lagerung von Kranken und Verletzten. Die ständige Anwesen-
heit eines du-jour- Arztes, wie von mehreren Seiten vorgeschlagen, halten
wir nicht für gerechtfertigt. Höchstens bei Massentransporten und zur
54
Eisenbahn hjrgiene. 291
Zeit von Epidemien müßte vorübergehend ein permanent ärztlicher
Dienst eingerichtet werden.
1) Riegler, Ueber das Eisenbahnrettungswesen (1880).
'_') Herzog, Bettungswesen bei den Eisenbahnen, Verhandl. des internationalen med. Kongresses,
Berlin 1890.
3) Stich, Krankenbeförderung auf Eisenbahnen, Verhandl. des intern, hygienischen Kongresses,
Pest 1894.
4) Weber, Gefährdungen des Eisenbahnpersonals (1862).
5) Schmidt, Die Unfälle auf Eisenbahnen, ihre Ursachen und Verhütungen, Allgemeine Bau-
zeitung (1890).
ß) Vergl. Dienst- Vorschrift betr. das Rettungswesen auf den Eisenbahnen von 1896.
14. Wohlfahrtseinrichtungen bei den Eisenbahnen.
Die Eisenbahnhygiene hat nicht nur den Zweck, den Gefahren für
Leib und Leben vorzubeugen, sondern auch die einmal eingetretenen
Schäden zu lindern. Je mehr die Eisenbahnen und die mit ihnen ver-
bundenen Folgen sich ausbreiteten, um so weniger konnten die Eisen-
bahnverwaltungen sich den Forderungen entziehen, welche Entschädig-
ungen für Verletzung oder Krankheit, für Erwerbsunfähigkeit, für den
Tod des Ernährers einer Familie bezweckten. Dahingehende Einrich-
tungen bestehen bereits in den meisten Ländern und haben vielfach
gesetzliche Sanktion erhalten. Indem wir die Verhältnisse Deutschlands
zu Grunde legen, haben wir zu betrachten a) das Haftpflichtgesetz (für
auf den Eisenbahnen verunglückte Reisende), b) Wohlfahrtseinrichtungen
für Eisenbahnbeamte, c) Wohlfahrtseinrichtungen für Eisenbahnarbeiter.
a) Haftpflicht.
Gesetzliche Bestimmungen, welche die Entschädigung der durch den
Eisenbahnbetrieb verletzten Reisenden, sowie der Hinterbliebenen von
Getöteten regeln, bestehen in Deutschland erst seit 1871. Bis
dahin konnten die deutschen Bahnverwaltungen nur zu einer Ent-
schädigung gezwungen werden, wenn als Ursache für einen Unfall ein
Mangel im Betriebe oder in den Betriebsmitteln sich erweisen ließ, ein
Beweis, der meistens schwer zu führen war. Jetzt haftet die Bahnver-
waltung für jeden Schaden, der durch Tötung oder Verletzung von
Menschen beim Bahnbetriebe entsteht, sofern dieselbe nicht nachweisen
kann, daß der Unfall durch höhere Gewalt oder durch eigene Schuld
des Getöteten oder Verletzten verursacht worden ist. Im Falle einer
Tötung besteht die Entschädigung im Ersatz der Kosten einer ver-
suchten Heilung, der Beerdigung sowie des Vermögensnachteiles,
welchen der Getötete während der Krankheit durch Erwerbsunfähigkeit
erlitten hat. Wenn der Getötete zur Zeit seines Todes gesetzlich ver-
pflichtet war einem Anderen Unterhalt zu gewähren, kann dieser inso-
weit Ersatz fordern, als ihm infolge des Todesfalles der Unterhalt ent-
zogen worden ist. Wenn nur eine Körperverletzung herbeigeführt
worden ist, so hat die Bahnverwaltung neben den Heilungskosten den
Vermögensnachteil zu ersetzen, welchen der Verletzte durch eine infolge
der Verletzung eingetretene zeitweise oder dauernde Erwerbsunfähigkeit
oder Verminderung der Erwerbsfähigkeit erleidet.
Ein ähnliches, die Haftpflicht im Eisenbahnbetrieb regelndes Gesetz
war in Oesterreich-Ungarn schon im Jahre 1869 erlassen worden.
55
292 BRAEHMER,
In Frankreich, England und Amerika hat man keine eigenen Ge-
setze für den Schutz der Eisenbahnreisenden, schützt sie vielmehr durch
Handhabung der dort bereits lange bestehenden gesetzlichen Bestimmungen
für Schadenersatz wegen körperlicher Verletzung. Ein wesentlicher Unter-
schied ist der, daß in Deutschland und Oesterreich die Bahnverwaltung
zu beweisen hat, daß sie unschuldig ist, während in Frankreich, England
und Amerika der Beschädigte beweisen muß, daß die Eisenbahn ein Ver-
schulden trifft. In Deutschland, Oesterreich und Frankreich werden die
gesetzlichen Bestimmungen milder ausgeführt, die Entschädigungssumme
ist aber keine zu hohe; in England ist das Verhältnis ein umgekehrtes.
Die preußischen Staatseisenbahnen haben infolge des Haftpflicht-
gesetzes gezahlt an fremde Personen 1892/93 = 981 395 M., 1893/94 =
1204 266 M.
b) Einrichtungen für Beamte.
Aerztliche Fürsorge. Den Beamten des äußeren Dienstes
wird von den Staatsbahnen Preußens freie ärztliche Hilfe für sich und
ihre Angehörige durch einen Bahnarzt gewährt. Auch die übrigen Länder
Europas, neuerdings auch Rußland, haben ähnliche Einrichtungen. Nur
in Amerika, wo die Bahnbediensteten nicht Beamte sind, sondern gegen
Tageslohn angestellt werden, bleibt diesen die Sorge für ärztliche Hilfe
selbst überlassen. Als Ersatz dafür existiert in Amerika eine große
Anzahl von Logen, die ihre Mitglieder in Krankheitsfällen unterstützen
und denen fast alle Bahnbedienstete angehören. Die Einrichtung der
freien Behandlung durch einen Bahnarzt kommt nicht nur den Beamten,
sondern auch den Verwaltungen zu gute, da dieselbe eine ständige Ueber-
wachung des physischen Organismus des Personals ermöglicht.
Fürsorge für Beamte infolge von Betriebsunfällen.
In Preußen wurden die Eisenbahnbeamten bis zum Jahre 1887 nach
Unfällen ebenso entschädigt wie die Reisenden, d. h. sie waren ge-
zwungen, nach dem Haftpflichtgesetz vom Jahre 1871 ihre Ansprüche
geltend zu machen. Im Anschluß an das deutsche Unfallversicherungs-
gesetz vom Jahre 1885 trat das Gesetz betreffend die Fürsorge für
Beamte infolge von Betriebsunfällen am 18. Juni 1887 in Wirksamkeit,
dessen erste Bestimmungen lauten:
§ 1. Unmittelbare Staatsbeamte, welche in reichsgesetzlich der Unfallversiche-
rung unterliegenden Betrieberi beschäftigt sind, erhalten, wenn sie infolge eines im
Dienste erlittenen Betriebsunfalles dauernd dienstunfähig werden , als Pension
662/3 Proz. ihres jährlichen Diensteinkommens, soweit ihnen nicht nach anderweiter
gesetzlicher Vorschrift ein höherer Betrag zusteht.
Personen der vorbezeichneten Art erhalten, wenn sie infolge eines im Dienste
erlittenen Betriebsunfalls nicht dauernd dienstunfähig geworden, aber in ihrer Er-
werbsfähigkeit beeinträchtigt worden sind, bei ihrer Entlassung aus dem Dienste
als Pension :
1) im Falle völliger Erwerbsunfähigkeit für die Dauer derselben den im ersten
Absätze bezeichneten Betrag;
2) im Falle teilweiser Erwerbsunfähigkeit für die Dauer derselben einen Bruch-
teil der vorstehend bezeichneten Pension, welcher nach dem Maße der ver-
bliebenen Erwerbsfähigkeit zu bemessen ist.
Steht solchen Personen nach anderweiter gesetzlicher Vorschrift ein höherer
Betrag zu, so erhalten sie diesen.
Nach dem Wegfall des Diensteinkommens sind dem Verletzten außerdem die
noch erwachsenden Kosten des Heilverfahrens zu ersetzen.
56
Eisenbahnhygiene. 293
Nach diesem Gesetze sind gezahlt worden an Beamte
bez. Angehörige bei den preußischen Staatsbahnen im Jahre 1892/93 :
1489 946 M., im Jahre 1893/94: 1484179 M.
Beamtenpensionsgesetz vom 27. März 1872.
Nach demselben erhalten sämtliche Eisenbahnbeamte der preußischen
Staatsbahn nach 10-jähriger Dienstzeit eine Pension von 1/4 des Ge-
haltes, deren Höhe mit jedem weiteren Dienstjahr um 1/6o steigt, jedoch
die Höhe von 3/4 des letzten Gehaltes nicht überschreiten darf. Diese
Höhe trifft nach 45 Dienstjahren ein. Witwen erhalten den 3. Teil des
Quotums der Männer. Die Privatbahnen haben eigene Pensionskassen,
deren Mitgliedschaft obligatorisch ist.
c) Einrichtungen für Arbeiter.
Krankenversicherungsgesetz in Deutschland vom
15. Juni 1883. Nach diesem Gesetz sind in Deutschland die Ar-
beiter des Eisenbahnbetriebes gegen Krankheit versichert. Sie erhalten
im Krankheitsfalle freie ärztliche Behandlung für sich und ihre Ange-
hörige, Arznei, Brillen, Bruchbänder u. s. w., außerdem im Falle der
Erwerbsunfähigkeit ein Krankengeld in Höhe der Hälfte ihres Tage
lohnes. Diese Leistungen werden gewährt aus Beiträgen der Arbeiter
(gewöhnlich 2 Proz. des Tagelohns) und aus Beiträgen der Verwaltungen
(die Hälfte der Arbeiterbeträge). Auch dieses Gesetz hat sich bis jetzt
segensreich bewährt und viel dazu beigetragen den Eisenbahnver-
waltungen einen kräftigen und geordneten Arbeiterstand zu erhalten.
Andere Länder, wie Oester reich und die Schweiz, haben ähnliche
Gesetze erlassen.
Im Jahre 1893 betrug die Zahl sämtlicher Arbeiter an den preußischen
Staatsbahnen durchschnittlich 190016, die Einnahmen sämtlicher Eisen-
bahnkrankenkassen 4920 237 M., die Ausgaben 5 003 797 M.
Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884.
Nach diesem Gesetz sind alle im Eisenbahnbetrieb beschäftigten
Arbeiter, also auch die Streckenarbeiter, Bremsarbeiter, Hilfsheizer,
Hilfsweichensteller, Putzer sowie die Arbeiter in den Werkstätten gegen
die Folgen der im Betriebe sich ereignenden Unfälle versichert. Der
Schadenersatz besteht im Falle der Verletzung: 1) in den Kosten
des Heilverfahrens, welche vom Beginn der 14. Woche nach Eintritt
des Unfalls entstehen, 2) in einer dem Verletzten vom Beginn der
14. Woche nach Eintritt des Unfalls an für die Dauer der Erwerbs-
unfähigkeit zu gewährenden Rente.
Die Rente beträgt im Falle völliger Erwerbsunfähigkeit für die
Dauer derselben 66 2/3 Proz. des Arbeitsverdienstes; im Falle teil-
weiser Erwerbsunfähigkeit für die Dauer derselben einen Bruchteil der
Rente, welcher nach dem Maße der verbliebenen Erwerbsfähigkeit zu
bemessen ist.
Die Rente ist nach Maßgabe des Arbeitsverdienstes während des
letzten Jahres zu berechnen. Im Falle der Tötung ist als Schaden-
ersatz zu leisten das Zwanzigfache des täglichen Arbeitsverdienstes als
Beerdigungskosten, sowie eine den Hinterbliebenen des Getöteten vom
57
294 BRAEHMER,
Todestage an zu gewährende Rente. Dieselbe beträgt für die Witwe
20 Proz., für jedes 'Kind bis zum 15. Lebensjahr 15 Proz., für Ascen-
denten des Verstorbenen , wenn dieser ihr einziger Ernährer war,
20 Proz.
Nach diesem Gesetz zahlten die preußischen Staatsbahnen im Jahre
1891/92 bis 2921695 Mk., im Jahre 1892/93 bis 3 332011 Mk. für Be-
triebsunfälle.
Invaliditäts- und Altersversicherungsgesetz vom
22. Juni 1889.
Dasselbe unterwirft die im Eisenbahnbetriebe und in den Eisen-
bahnwerkstätten beschäftigten Arbeiter der Versicherung gegen In-
validität und Alter. Die Altersrente tritt mit dem 70. Jahre ein und
wird gezahlt, auch wenn der Empfänger seine Arbeit noch vollständig
auszuführen im Stande ist. Nimmt die Leistungsfähigkeit ab, so kann
der Lohn um die Höhe der Rente gekürzt werden.
Die Rente ist keine hohe und genügt nicht zum Leben, dafür hat
sie den Vorzug, keine Unterstützung zu sein, sondern eine rechtliche
Forderung.
15. Betrieb und Leitung der Eisenbahn.
Die einzelnen von uns besprochenen Betriebsmittel durch das
Personal in Thätigkeit zu setzen, zu lebendiger Wirkung zu entfalten,
ist die Aufgabe des Betriebes und der Betriebsleitung.
Eine Eisenbahn ist eine öffentliche Verkehrsa astalt in großem
Maßstabe. Ihre Verwaltung erfordert kaufmännische, technische und
juristische Kenntnisse, die sich niemals in einer Person in hinreichendem
Maße vereinigen lassen. Sie muß daher naturgemäß eine kollegiale sein
und sich zusammensetzen aus 3 verschiedenartig vorgebildeten Elementen :
einem technischen, welches für das Vorhandensein guter und zweck-
mäßiger Betriebsmittel sorgt, einem kaufmännischen, welches die
Benutzung der Betriebsmittel durch Personen und Güter regelt, und
einem juristischen, welches dafür sorgt, daß die beiden anderen
Elemente gesetzmäßig verfahren, und daß der Anstalt kein Unrecht
geschieht. Selbstverständlich muß das Kollegium getragen werden von
einem Vorsitzenden, der reife Erfahrung mit weitem Blick verbindet.
Die ersten Eisenbahnen wurden von Privatgesellschaften gebaut.
Erst als einzelne Staaten selbst Bahnen bauten und die Verwaltung von
Bahnen übernahmen, wurde in höchster Instanz die Verwaltung einem
Ministerium unterstellt. Ohne auf die Vorzüge und Nachteile der
Staats- und Privatbahnen einzugehen, kann es für ausgemacht
gelten, daß den hygienischen Maßnahmen bei den Staatsbahnen eine
größere Berücksichtigung und eine mehr einheitliche Sorgfalt zugewendet
wird als bei den Privatbahnen.
Unter der Centralbehörde, welche allgemein giltige Anord-
nungen giebt, fungieren als größere Verwaltungsbezirke Direktionen
oder Bahnämter, welche das ausführende Element bilden. Denselben
steht , um die Betriebsmittel ins Leben treten zu lassen, ein großer
Beamtenapparat zur Verfügung, den man im allgemeinen einteilt
in Bureaubeamte und Beamte des äußeren Betriebs. Für uns kommen
hauptsächlich nur die letzteren in Betracht.
Die Beamten des äußeren Dienstes haben eine vier-
fache Aufgabe:
58
Eisenbahnhygiene. 295
1) Beschaffung der Zugkraft, Zugbeförderungsdienst. Den-
selben führen aus: Lokomotivführer und Heizer.
2) Ueberwachung und Besorgung des Personentrans-
portes, Zugbegleitungsdienst. Hierzu gehören Zugführer, Pack-
meister, Schaffner, Bremser, Putzer, Revisoren.
3) Stationsdienst, Stationsvorstände, Rangiermeister, Weichen-
steller, Billeteure, Expedienten u. s. w.
4) Bahnbewachungs- und Bahnerhaltungsdienst. Den-
selben führen unter den Oberingenieuren aus: die Bahnmeister,
Bahnwärter, Nachtwächter u. s. w.
Außer diesen 4 Kategorien sind noch zu erwähnen der Güterab-
fertigungsdienst und der Werkstättendienst. Beide gehören
nicht eigentlich zum äußeren Betriebe. Ein weiteres Eingehen auf den
Mechanismus des Betriebes würde den Rahmen der vorliegenden Schrift
überschreiten. Wir haben es nur für nützlich gehalten , für unsere
spätere Ausführung zu zeigen, in welchen Beamtenklassen der Betrieb
und die Sicherheit des Betriebes hauptsächlich ruhen.
Welchen Umfang dieser Verwaltungsapparat hat, geht daraus hervor,
daß bei den preußischen Staatsbahnen im Jahre 1892 : 100 916 Beamte,
95,375 Betriebsarbeiter, 54 487 Streckenarbeiter, 41939 Werkstätten-
arbeiter angestellt waren. Die Summe der unter dem Minister in
Preußen stehenden Eisenbahnarmee beträgt also nahezu 300000 Mann.
Die Summe der Eisenbahnbediensteten der ganzen Welt beträgt schätzungs-
weise gegen 4 Millionen.
Die Organisation eines solchen Beamtenapparates
ist nicht nur durch ihre Größe, sondern auch durch die Ansprüche,
die man an Pflichttreue, Mut und Entschlossenheit der einzelnen stellt,
sowie durch die Gefahren annähernd einer Armeeverwaltung zu ver-
gleichen.
Während die Armeen jedoch überall Aerzte in ihren eigenen
Reihen bis zu den höchsten Stellen hinauf bestellen, welche nicht nur
kranke und verwundete Soldaten heilen, sondern durch Maßnahmen
der Gesundheitspflege ihre Schlagfertigkeit und Sicherheit erhöhen sollen,
haben die Eisenbahnverwaltungen hiervon bis jetzt nur in beschränktem
Maße Gebrauch gemacht. Welche Vorteile würden ihnen erwachsen,
welche Ersparnisse an Entschädigungen für Verunglückte, an Pensionen
für Abgenutzte, an Material, wie viel größer würde die Sicherheit für Leib
und Leben der Reisenden und Beamten sein , wenn Aerzte als be-
ratende Mitglieder in der Verwaltung säßen! In dieser Erkenntnis haben
ja bereits eine große Anzahl Staaten und Privatgesellschaften Aerzte
in den Direktionen angestellt. Wir müssen aber fordern, daß diese
Anstellung überall durchgeführt wird, und werden die Notwendigkeit
einer solchen in dem Kapitel über die Organisation des bahnärztlichen
Dienstes begründen (S. 307).
Wenn die am 1. April 1895 stattgehabte Umgestaltung der preußischen
Staatseisenbahnen zum Teil durch Ersparnisrücksichten hervorgerufen
worden ist, so waren doch, in erster Linie Rücksichten auf eine bessere
und einfachere Gestaltung des Betriebes bestimmend. Man wollte durch
die Abschaffung der Betriebsämter, welchen mit ihrem großen Beamten-
apparat bis dahin die Ausführung des ganzen Betriebes oblag, un-
nötiges Schreibwerk vermeiden und statt dessen den einzelnen prak-
59
296 BRAEHMER,
tischen Beamten zu einer größeren selbständigen Thätigkeit heranziehen
und ihm eine größere Verantwortlichkeit auferlegen. Wie weit diese
Absicht durch die Neuorganisation erreicht wird, läßt sich bei dem
kurzen Bestehen derselben noch nicht sagen, um so weniger, da
manche Einrichtungen sich noch in einem Uebergangsstadium be-
finden. Doch glauben wir aus den kurzen Erfahrungen schon die
Hoffnung entnehmen zu können, daß das Heranziehen des Einzelnen zu
einer selbständigeren Thätigkeit und das dadurch erweckte Gefühl
einer größeren Verantwortlichkeit auch die Sicherheit des Eisenbahnbe-
triebes günstig beeinflussen wird. Wie weit der ärztliche Bahndienst
durch die Umgestaltung beeinflußt wird , ersehe man aus dem be-
treffenden Kapitel (S. 307).
Schließlich weisen wir noch auf eine Institution im preußischen
Staate hin, welche für UDser ganzes Eisenbahnwesen von großem Werte
ist: die Militäreisenbahn, welche zunächst von Berlin nach Zossen
geht, demnächst aber bis Jüterbok verlängert werden soll. Dieselbe
untersteht nicht nur dem Kriegsminister, sondern auch dem Minister
der öffentlichen Arbeiten. Sie befördert täglich je 3 Züge nach beiden
Richtungen zur Benutzung für jedermann und unterliegt denselben Ge-
setzen wie die übrigen Eisenbahnen. Das ganze Stations- und Fahrpersonal
besteht aus Soldaten : die Bahnhofsvorsteher sind Offiziere, die Lokomotiv-
führer sind Unteroffiziere, die Bahnwärter Gefreite u. s. w. Der Wert
dieser Einrichtung ist abgesehen von seiner militärischen Bedeutung
ein doppelter: erstens gehen aus dem Eisenbahnregiment gute und zu-
verlässige Eisenbahnbeamte hervor, zweitens wird hier eine gute Ge-
legenheit gegeben und benutzt, um neue Erfindungen auf dem Gebiete
des Eisenbahnwesens zu prüfen.
b) Sanitäre Bedingungen seitens des Eisenbahnpersonals.
Keinen geringeren Einfluß als die Beschaffenheit der Betriebsmittel
und die Ausführung des Betriebes hat auf Leben und Gesundheit der
Eisenbahnreisenden die Gesundheit und Leistungsfähigkeit des Personals.
Es giebt kaum eine Berufsklasse, in deren Hand das Wohl und Wehe
so vieler Menschen liegen kann, wie das Betriebspersonal der Eisen-
bahn. Die wenigsten von den Hunderttausenden, welche täglich auf der
Bahn fahren, machen sich diese Abhängigkeit klar. Vielmehr denken
sich die Meisten den Mechanismus des Betriebes so fest ineinander ge-
fügt und die Betriebsmittel so vollkommen, daß sie kaum glauben, die
Sicherheit eines Eisenbahnzuges könne von dem Fehler eines Menschen
abhängig sein. Und doch ist dem so. Wie der kleinste Fehler an einer
wohleingerichteten Maschine die empfindlichste Störung verursachen
kann, so kann auch ein Fehler eines Eisenbahnbeamten die schwersten
Folgen herbeiführen, auch wenn alle übrigen ihre Pflicht thun.
Doch nicht nur die Sicherheit der Eisenbahnzüge kann der Be-
triebsbeamte gefährden, sondern er kann auch durch mangelhafte Beauf-
sichtigung und Ausführung hygienischer Maßnahmen, die in seine Hand
gelegt sind, Gefahren für die Gesundheit der Reisenden herbeiführen.
Was nützen die Vorschriften über Heizung, Ventilation, zweckmäßige
Verteilung der Plätze, wenn Zugführer und Schaffner dieselben nicht
überwachen, wenn ein Wagen bis auf den letzten Platz angefüllt wird,
während ein anderer leer bleibt u. s. w.
6o
Eisenbahnhygiene. 297
Es sind ja nicht alle Dienstzweige des äußeren Betriebes von gleicher
Bedeutung für die Sicherheit und Gesundheit der Reisenden ; die einen
können durch die ihnen zugewiesenen Funktionen größeren Schaden an-
richten als andere. Diejenigen Klassen der Beamten, welche
durch die Art ihres Berufes eine besonders große Verant-
wortung tragen und am meisten schaden können, sind die
Lokomotivführer, Weichensteller, Bahnwärter, Stations-
beamte, Zugführer, Schaffner, Bremser. Von allen diesen
Beamten wird eine solche Verantwortung, Spannkraft, Aufmerksamkeit
verlangt, daß nur eine vollkommene Gesundheit des Körpers und Geistes
eine volle Gewähr für die Erfüllung derselben bietet. Aber auch die
wenigen anderen Dienstzweige des äußeren Betriebes verlangen vollständige
körperliche und geistige Gesundheit. Geringere gesundheitliche Anfor-
derungen sind zu stellen im inneren Eisenbahndienst an Bureau-, Kassen-,
Kanzleibeamte, Telegraphisten, Materialienverwalter. Ihre Untersuchung
geschieht hauptsächlich aus dem Grunde, um nicht kränkliche, frühzeitig
in den Ruhestand tretende Beamte aufzunehmen.
Die Beamten des äußeren Betriebes müssen demnach
bei der Anstellung auf ihre Gesundheit hin untersucht
werden, es muß ihre Gesundheit während der Dienstzeit beaufsichtigt
und gepflegt werden, im Falle nicht mehr ausreichender Gesundheit
muß rechtzeitig die Pensionierung oder wenigstens Enthebung von einer
verantwortungsvollen Stelle eintreten.
1. Die Anstellung.
Die meisten Eisenbahnverwaltungen, wenigstens auf dem Kontinent,
haben frühzeitig die ärztliche Untersuchung vor der Anstellung einge-
führt und besitzen jetzt Formulare, welche die Punkte, auf die es an-
kommt, enthalten. Das durch Ministerialverordnung bei allen preußischen
Bahnen eingeführte Formular lautet:
Aerztliches Zeugnis
über den Gesundheitszustand des
aus behufs Entscheidung der Frage über dessen körper-
liche Brauchbarkeit zur Uebernahme einer Beamtenstelle im Bezirk der Königlichen
Eisenbahndirektion zu , ausgestellt vom Bahnarzte
Dr. med in
1. Für welchen Dienstzweig bewirbt sich die betreffende Person ? (Siehe No. 19, 20.)
2. a) Wie lange kennen Sie die Person ?
b) Haben Sie dieselbe bereits früher längere Zeit behandelt und an welcher
Krankheit ?
3. a) Hat der Untersuchte beim Militär gedient?
Wenn nicht:
b) Ist er der Ersatzreserve I. Klasse überwiesen und hierbei als übungspflichtig
ausgewählt? Oder ist er der Ersatzreserve IL Klasse überwiesen? Oder als
dauernd untauglich zum Dienst und weshalb befunden? Oder ist die end-
giltige Entscheidung über die Militärdienstpflicht noch ausgesetzt?
(Nach Angabe des Untersuchten.)
4. Ist die Entlassung vom Militär infolge einer Erkrankung oder einer Verletzung
erfolgt ?
Und welcher?
(Nach Angabe des Untersuchten. Militäranwärter haben dem Arzte diejenigen
in ihrem Besitze befindlichen Militärpapiere vorzulegen, aus denen hervorgeht
6i
298 BRAEHMER,
welche Gründe für die Entlassung aus dem Militärdienste bez. für die Invalidi-
tätserklärung maßgebend gewesen sind.)]
5. Hat der Untersuchte bereits früher an einer erheblichen Krankheit oder Ver-
letzung gelitten ?
An welcher? und in welcher Zeit?
(Nach Angabe des Untersuchten.)
6. a) Länge des Körpers (in Centimetern :)
b) Umfang des Brustkorbes.
c) Wie ist der Knochenbau?
d) Wie ist die Muskulatur?
7. a) Entspricht der Gesamteindruck dem angegebenen Alter von Jahren ?
b) Und sind diesem die Körperkräfte angemessen?
8. a) Wie ist der Bau der Brust?
b) Sind die Brustorgane gesund? anderenfalls welche Mängel hegen vor?
9. a) Wie ist die Beschaffenheit der Stimme?
b) Ist die Sprache leicht verständlich ?
10. a) Wie verhalten sich Leber und Milz?
b) Sind die Drüsen vergrößert und beim Drucke schmerzhaft?
11. a) Wie ist der Zustand des Gehörs ?
b) Kann einer Unterhaltung, welche ohne Anstrengung der Stimme geführt wird,
mit abgewendetem Gesicht gefolgt werden?
c) Kann die Flüstersprache auf 7 Meter Entfernung mit jedem Ohre verstanden
werden ?
12. a) Wie ist die Sehschärfe der Augen ?
b) Können insbesondere die auf der vierten Seite dieses Zeugnisses abgedruckten
Buchstaben ohne Brille auf 3 Meter (10 Fuß) Entfernung gelesen werden?
(Erfordernis für den äußeren Dienst No. 20.)
c) Kann gewöhnliche Druckschrift in der Größe der vorstehenden Fragen auf
47 Centimeter (18 Zoll) Entfernung gelesen werden? (Hierbei ist der Ge-
brauch der Brille, die gewohnheitsmäßig getragen wird, statthaft.) (Erfordernis
für den inneren Dienst No. 19.)
d) Können Farben, namentlich Kot und Grün, unterschieden werden ? *)
e) Zeigen sich Spuren überstandener Augenkrankheiten?
f ) Sind sonst Abweichungen von einem ungeschwächten Sehvermögen vorhanden ?
13. a) Finden sich an den Gliedmaßen Mängel oder Gebrechen?
b) Sind Knochen auftreibungen oder Verkrümmungen vorhanden?
c) Sind dies Folgen einer früheren Beschädigung?
d) Hemmen dieselben die Brauchbarkeit des betreffenden Gliedes?
14. Ist eine auffallende, entstellende oder ansteckende Krankheit vorhanden ?
15. a) Ist Epilepsie oder eine andere Nervenkrankheit zu vermuten?
b) Werden sie vom Untersuchten in Abrede gestellt?
16. Sind Unterleibsbrüche vorhanden? und von welcher Art? (Hindernis für den
Dienst als Bremser, Schaffner, Zugführer, Lokomotivbeamter, Weichensteller,
Bahnwärter.)
17. Sind bedeutende Krampfadern (Varices) oder Unterschenkelgeschwüre vorhanden ?
(Hindernis für den äußeren Dienst No. 20.)
18. Findet sich Veranlassung zu sonstigen Bemerkungen über den Körper- und
Geisteszustand ?
19. Eignet sich der Untersuchte demnach zum inneren Eisenbahndienst, als Bureau-,
Kassen-, Kanzleibeamter, Telegraphist, Materialienverwalter?
20. Eignet sich derselbe zum äußeren Dienst :
a) für die unteren Stellen als : Lokomotivheizer, Maschinenwärter, Bremser,
Schaffner, Bahnwärter, Weichensteller, Magazinaufseher, Lademeister, Bangier-
meister, Wagenmeister, Portier, Wächter ?
b) für die mittleren Stellen als : Stations- und Abfertigungsbeamter , Bahn-
meister ?
Der Untersuchte versichert hierdurch, die an ihn gestellten Fragen wahrheits-
getreu beantwortet und wissentlich nichts verschwiegen zu haben, was für die Be-
urteilung seines Gesundheitszustandes von Wichtigkeit ist.
, den *?E 18
*) Die Untersuchung auf diese Frage kann durch Vorlegung verschiedenfarbiger Woll-
fäden erfolgen. (Wird eine andere Art der Untersuchung angewandt, so ist die-
selbe anzugeben.)
62
Eisenbahnhygiene. 299
Daß ich vorstehendes Zeugnis meiner ärztlichen Ueberzeugung und Amtspflicht
gemäß ausgestellt habe, versichere ich hiermit.
, den t«; 18
Der Bahnarzt
suiaxeginptt
Das vorgedruckte Formular ist allmählich durch Zusätze und Ver-
besserungen entstanden. Eine weitere Aenderung steht in Aussicht,
nachdem der Minister eine Kommission zur Aufstellung neuer Anforderungen
an die Sehschärfe ernannt hat. Betreffs der letzteren sollen die Beamten
mit Rücksicht auf ihre Dienstverrichtung in 3 Gruppen geteilt werden,
von denen die erste mindestens 2/3 auf jedem Auge, die zweite 2/3 und
l/2, die dritte ]/2 und 1/6 Sehschärfe besitzen soll. Auch über das
Brillentragen und die Untersuchungsmethoden werden neue Bestimmungen
getroffen werden.
Vorstehendes Formular gilt für alle Beamte, sowohl die des äußeren
als die des inneren Betriebes, und macht nur in wenigen Punkten einen
Unterschied zwischen den beiden Beamtenkategorien. Die Annahme
oder Ablehnung eines Untersuchten liegt in der Hand des Arztes, ver-
langt aber eine auch der Verwaltung verständliche Begründung. Zur
Ausstellung giltiger Aufnahmeatteste sind in Preußen jetzt nur die Bahn-
ärzte berechtigt, womit anerkannt ist, daß ohne Vertrautsein mit den
einzelnen Dienstzweigen ein richtiges Urteil sich nicht abgeben läßt.
Das Bahnpolizeireglement für die Eisenbahnen im Norddeutschen
Bunde von 1870 schreibt vor, daß die zur Ausführung der Bahnpolizei
berufenen Beamten die zu ihrem Dienst erforderlichen Eigenschaften
besitzen sollen. Erst am 12. Juni 1876 erfolgten Bestimmungen des
Bundesrates über die körperliche Befähigung von Bahn-
polizeibeamten und Lokomotivführern, worin u. a. die Er-
füllung der nachstehend bezeichneten Vorbedingungen erforderlich
erachtet wurde:
Für Nachtwächter körperliche Rüstigkeit.
Für Portiers und Perrondiener relative körperliche Rüstigkeit.
Für Bremser und Schmierer, Rangiermeister, Schaffner, Packmeister,
Zugführer körperliche Gewandtheit und Rüstigkeit, namentlich normales
Hör- und Sehvermögen.
Für Bahnwärter, Weichensteller, Bahnmeister, Stationsaufseher, As-
sistenten und Lokomotivführer körperliche Rüstigkeit, namentlich normales
Hör- und Sehvermögen.
Diese Bestimmungen wurden von dem preußischen Eisenbahnminister
im Jahre 1878 nur als Mindestforderungen hingestellt, über welche hinaus
höhere Anforderungen zu stellen nicht ausgeschlossen sei.
Die hier gemachten Unterschiede können nur den Zweck haben, den
Aerzten einen gewissen Maßstab für die Beurteilung zu geben, im übrigen
werden dieselben selbständig und unabhängig wissen, was sie der Sicher-
63
300 BRAEHMER,
heit des Betriebes schuldig sind, und bei allen genannten Kategorien die
strengsten Anforderungen stellen. Sie werden sich in diesem Bestreben
aucb nicht irre machen lassen durch den Ministerialerlaß vom 8. Juli
1872, in welchem auf eine vom Kriegsminister ausgesprochene Befürch-
tung hin die Eisenbahndirektionen veranlaßt werden, die Invalidität der
Militäranwärter nicht etwa von vornherein als eine die körperliche Quali-
fikation des Anwärters und dessen Anstellungsfähigkeit überhaupt negie-
rende Eigenschaft anzusehen, sondern auf Grund ärztlicher Untersuchung
genau prüfen , ob der Betreffende für den Eisenbahndienst überhaupt
untauglich, oder ob nicht etwa seine Verwendung in einzelnen Dienst-
zweigen zulässig ist. Bei allem "Wohlwollen für das Institut der Civil-
versorgung unserer Krieger haben die Bahnärzte ihr Auge zunächst nur
auf die Sicherheit des Betriebes zu lenken. Militäranwärter mit irgend
welchen Gebrechen können nur im inneren Eisenbahndienst angestellt
werden.
Ein weiteres Eingehen*) auf die einzelnen Fragen des Formulars
gestattet der zur Verfügung stehende Raum nicht. Es sei deshalb nur
auf die unten (S. 307) angegebene Litteratur verwiesen.
2. Erhaltung und Pflege des Eisenbahnpersonals.
Auch in diesem Abschnitte werden wir nur die Zweige des äußeren
Betriebes, welche für die Sicherheit in Frage kommen, in unsere Be-
trachtung ziehen ; in erster Linie die Maschinen- und Fahrbeamten,
welche den Schädlichkeiten, die ihre Leistungsfähigkeit in Frage stellen
können, am meisten ausgesetzt sind. Wir haben zu erörtern ihr Ein-
kommen, Wohnung und Kleidung, Einteilung der Dienstzeit, Urlaub,
Verpflegung während der Fahrt, Unterkunfts- und Uebernachtungsräume.
a) Einkommen.
Nach dem preußischen Staatshaushaltsetat für das Jahr 1893—1894
stellte sich die Besoldung der Eisenbahnbeamten folgendermaßen :
Stations- und Streckenpersonal.
Stationsvorsteher 1. Klasse 2100 — 3200
„ 2. „ 1800—2600
Stationsaufseher, Stationsassistenten- und Schiffs-
kapitäne 2. Klasse 1500 — 2200
Telegraphisten 1 200 — 1 800
Eangier- und Wagenmeister 1200 — 1600
Weichensteller 1. Klasse 1000 — 1500
Portiers , Billetschaffner , Weichensteller , Krahn-
meister etc 800 — 1200
Bahnmeister 1. Klasse 1800 — 2600
Bahnmeister 1500 — 2100
Telegraphenaufseher 1500 — 2100
Bahn- und Krahnwärter, sowie Nachtwächter . . 700—900
18821 Beamte erhalten Dienstwohnung
Staatskassen-Bendan ten- und Güterexpeditons -Vor-
steher • . 2400 -3200
Stationseinnehmer und Güterexpedienten 1800—2600
Lademeister 1200 — 1800
Lokomotivführer, Schiffsmaschinisten, Maschinisten 1200—2000
Lokomotivheizer, Maschinenwärter, Trajektheizer etc. 1000— 1 500
*) Wird in einem zweiten nur für Aerzte geschriebenen Buche geschehen.
64
Eisenbahnliygiene. 301
Zugführer und Steuerleute 1 100—1500
Packmeister 1100 — 1500
Schaffner 800 — 1200
Bremser und Matrosen 800—1200
Werkstättenvorsteher 2100 — 3600
Werkmeister 1800 — 2600
Werkführer 1200 — 1600
Materialienvcrwalter 1. Klasse 2100 — 3000
„ 2. Klasse 1500 — 2200
Magazinaufseher 1000 — 1500
2077 Beamte erhalten Dienstwohnimg.
Außerdem erhalten sämtliche Dienstzweige Wohnungszuschuß und,
das Fahrpersonal Meilengelder, Prämien für Material-Ersparnisse u. s. w.
•die in einem bestimmten Betrage (250 — 350 M.) bei der Bemessung
der Pensionsquote zum Gehaltsatze hinzutreten.
Nach unserer Erfahrung genügen die obigen Gehaltssätze, die
allerdings den Gehältern anderer Berufsarten mit gleicher Vorbildung
entsprechen, nicht, um in schweren Zeiten eine absolute Sorglosigkeit
zu gewährleisten. Sorglos muß das Leben der Männer sein, von deren
Spannkraft die Sicherheit des Betriebes abhängt.
b) Wohnung.
(Vergl. dies. Handb. 4. Bd. 850/.)
Damit der Beamte seine Ruhepause möglichst unverkürzt genießen
kann, ist es nötig, daß derselbe nicht allzu weit vom Bahnhofe entfernt
wohne. Die Behörden sollten daher überall Bestimmungen treffen, daß
eine gewisse Entfernung , etwa 1 km , nicht überschritten werden
dürfte. Diesem Wunsche wird in großen Städten vielfach dadurch
Rechnung getragen, daß die Verwaltungen Häuser mit Dienstwohnungen
für das Fahrpersonal besitzen.
Die Wohnungen der Beamten müssen gesund und ruhig gelegen
sein. Das beste und größte Zimmer muß Schlafzimmer sein. Die Dienst-
wohnhäuser liegen leider häufig in unmittelbarer Nähe der Bahnhöfe,
Werkstätten und Gasanstalten. Namentlich die Anstalten, in denen
das Oelgas bereitet wird, liefern so übelriechende und gefährliche
Ausdünstungen, daß sie die Gesundheit der in der Nähe Wohnenden
wohl zu schädigen imstande sind. Unter Abstellung dieser Uebelstände
üben die Dienstwohnhäuser eine wohlthuende Wirkung auf den Betrieb
aus, fördern das Gefühl der Zusammengehörigkeit und das Pflicht-
bewußtsein der Beamten.
c) Kleidung.
(Vergl. dies. Handb. 1. Bd. 361 ß.)
Die Beamten des äußeren Dienstes tragen überall, soweit sie dienst-
lich mit dem Publikum in Berührung kommen, Uniform. Im Sommer
sind joppenartige Dienströcke von leichterem Stoff gestattet, eine
Einrichtung, von der mit Recht vielfach Gebrauch gemacht wird. Im
Winter wurden früher Pelze von den Uniformverwaltungen dienstlich
geliefert ; seit einigen Jahren ist man davon zurückgekommen und stellt
die Anschaffung eines Pelzes in das Belieben der Beamten. Zur Er-
Handbuch der Hygiene. Bd. VI. 20
°5
302 BRAEHMER,
leichterung der Anschaffung besteht bei jeder Verwaltung eine obliga-
torische Kleiderkasse, welche die Uniform liefert.
Vom hygienischen Standpunkte aus ist zu verlangen, daß die Uni-
formen den Witterungsverhältnissen Rechnung tragen und daß sie keinen
Augenblick die Gewandtheit beeinträchtigen. Am besten empfehlen sich
joppenartige Röcke, nicht mit stehenden, sondern mit umgelegten Kragen,
leichte Mützen. Lange Pelze sind für die meisten Dienstzweige ent-
behrlich. Sie haben manchen Unglücksfall beim Auf- und Absteigen
von der Maschine oder dem Trittbrett veranlaßt. Selbst bei der größten
Kälte werden warme oder mit Pelz gefütterte kurze Mäntel genügen.
Dringend wünschenswert wären leichte Regenmäntel, die schon auf dem
Gange von der Wohnung nach den Stationen zu benutzen sind. Das
Tragen von wollenen Hemden ist für die Fahrbeamten äußerst wohl-
thuend. Das Schuhzeug sei wasserdicht, warm and bequem.
d) Bestimmung der Dienstzeit.
Die Erhaltung der Leistungsfähigkeit der Eisenbahnbeamten und
die Rücksicht auf die von ihr abhängige Sicherheit des Eisenbahnbe-
triebes fordern, daß die Dienstzeit der Beamten eine gewisse Grenze
nicht überschreite. Diese Grenze muß verschieden sein je nach der
mit dem betreffenden Dienstzweige verbundenen Verantwortlichkeit und
Anstrengung.
Jeder Dienstzweig im äußeren Eisenbahnbetrieb ist mit Verant-
wortlichkeit verbunden. Die größte Verantwortung tragen die L o kö-
rn o t i v beamten, welche gleichzeitig den schädlichen Einwirkungen der
Eisenbahnfahrten am meisten unterliegen und bei Unfällen selbst in
die größte Gefahr kommen ; nächst ihnen das mit dem Stations-,
Signal- , Weichensteller- und Bahnbewachungsdienst betraute Personal
endlich die Zugbegleitungsbeamten. Nicht zu verkennen ist allerdings,
daß die Fortschritte der Technik (Centralweiche, Blocksystem, Luft-
druckbremse u. s. w.) die Verantwortlichkeit verschiedener Dienstzweige
und die Möglichkeit der Gefährdung durch Einzelne wesentlich ver-
mindert haben.
Auch innerhalb der einzelnen Dienstzweige ist die Verantwort-
lichkeit eine verschiedene, je nachdem der Dienst auf Stationen und
Strecken mit starkem oder schwachem Verkehr, auf Schnell- und
Personen - oder Güterzügen , mit guten , neuen oder minderwertigen
älteren Betriebsmitteln ausgeübt wird. Wenn nun auch außergewöhn-
liche Ereignisse, Epidemien, Kriege und andere Dinge, welche plötz-
lichen, starken Verkehr hervorrufen, die Dienstzeit nicht immer an eine
gewisse Grenze binden können, so muß man doch verlangen, daß diese
Grenze niemals aus einseitiger Rücksichtnahme auf Ersparnis an Be-
amten oder auf große Ueberschüsse überschritten werden darf.
Die aus den meisten Ländern vorliegenden Bestimmungen über die
Dienstzeit sind teils nicht ausreichend, teils dadurch in ihrem Werte
beschränkt, daß ihre Durchführung nicht durch genügende Aufsicht ge-
sichert wird, besonders den Privatbahnen gegenüber.
Die Dauer der Dienstzeit soll betragen :
66
Eisenbahnhygiene. 303
Maximum der ununterbro- Minimum der un- Minimum der dienst-
chenen Dienstzeit unterbrochenen freien Tage im
in täglichen Rast Monat
Deutschland (exkl. Bayern) 14 Std. 8 Std. 2 Tg.
Frankreich 12 „ 10 „ —
Oesterreich-Ungarn 12 — 18 ,, 6 — 12 „ 3 ,,
Rufsland 18 ,, 9 ,, 2 „
Schweiz 12 „ 10 ,, 4 „
In England und Amerika, wo nur Privatbahnen bestehen, ist die
Frage der Dienstzeit noch nicht über das Stadium der parlamentarischen
Erwägung hinausgekommen.
Der Verfasser hat auf dem internationalen hygienischen Kongreß
in Budapest die nachfolgenden Forderungen aufgestellt für den nor-
malen Verkehr, welche von der Sektion für die Verkehrshygiene ein-
stimmig angenommen worden sind.
„Das Maximum der ununterbrochenen täglichen Dienstzeit beträgt für
das Maschinenpersonal 10 — 12 Stunden, für das Stations-, Signal-, Bahn-
bewachungs-, Weichensteller- und Zugbegleitungspersonal 12 — 14 Stunden.
Erfordert der Betrieb eine Teilung der Maximaldienstzeit, so ist
täglich auf eine ununterbrochene Ruhepause von 8 Stunden Bedacht zu
nehmen.
Die Wege von und zur Wohnung bei weiterer Entfernung, sowie
die Dienstpausen, die weniger als 3 Stunden betragen, sind in die Dienst-
zeit einzuschließen.
Mindestens alle 10 Tage ist eine 24-stündige Ruhepause, jährlich
wenigstens ein 14-tägiger Urlaub, dessen Dauer mit dem Dienstalter
steigt, notwendig.
Die Dienstzeit würde demnach betragen:
täglich
monatlich
Stunden
jährlich
für das Maschinenpersonal
10—12
270-374
3108—3726
für das übrige Personal
12—14
324—378
3726-4347
Die Dienstzeit ist möglichst unabhängig vom Einkommen zu ge-
stalten.
Eine wirksame Durchführung von Bestimmungen über die Dienstzeit
von Eisenbahnangestellten ist nur möglich durch staatlich bestellte
Kommissäre mit Vollzugs- und Strafgewalt".
e) Urlaub.
Selten tritt die günstige Einwirkung eines Urlaubs auf die Frische und
Elasticität eines Körpers so augenscheinlich zu Tage wie bei den Ma-
schinen- und Fahrbeamten der Eisenbahn. Die blaßgraue Farbe, die
schlaffe Haltung, die Schwerfälligkeit des Ganges, der verbitterte Aus-
druck, oft noch verstärkt durch die Schwierigkeiten bei der Urlaubs-
bewerbung, bilden einen [enormen Kontrast zu dem blühenden Aus-
sehen des von einem 3- oder 4- wöchentlichen Urlaub Zurückkehrenden.
Wer diese augenscheinliche Wirkung des Urlaubs jahrelang be-
obachtet, muß sich wundern, daß die Verwaltungen Schwierigkeiten bei
der Urlaubserteilung machen, daß sie nicht vielmehr gradezu einen ob-
ligatorischen Urlaub einführen. Diese Fürsorge für die Gesundheit des
Personals und die dadurch bedingte Sicherheit des Betriebes wäre auch
eine weise Oekonomie.
67 20*
304 BRAEHMER,
Nach Bescheinigung einer Krankheit durch den Bahnarzt, besonders
wenn es sich um den Aufenthalt in einem Kurort handelt, erfolgt selbst-
verständlich der Urlaub. Ist eine Bescheinigung einer vorliegenden Krank-
heit gerade nicht möglich, so wird höchstens ein 8-tägiger Urlaub und
auch ein solcher nur unter Schwierigkeiten erteilt.
Entsprechend der Verschiedenheit der körperlichen Frische in den
einzelnen Lebensaltern, kann auch die Zeit des Urlaubs eine verschiedene
sein. Für die ersten 5 Dienstjahre genügen etwa 8 Tage , für die
darauf folgenden 5 Jahre 14 Tage, für die Zeit vom 10. bis 20. Dienstjahre
3 Wochen, von da ab 4 Wochen. Der Urlaub muß obligatorisch sein
und muß angenommen werden, gleichviel ob er am Orte der
Station oder außerhalb verbracht wird. Häusliche Verhältnisse machen
ja oft eine Reise unmöglich.
Ein großes Verdienst würde sich aber jede Verwaltung erwerben,
wenn sie nach Art der Militärlazarette in Teplitz, Carlsbad u. s. w.
Sommerfrischen oder Erholungsstationen für die Bahn-
beamten errichtete. Für ganz Preußen würden vielleicht 2 solcher
Stationen, am besten an Orten mit Solbädern, genügen. Die Verwaltung
könnte so billig eingerichtet werden , daß jeder Beamte ohne großen
Zuschuß seinen Urlaub dort verbringen könnte. Manche Länder, be-
sonders Bayern, besitzen bereits ähnliche Einrichtungen.
f) Die Ernährung des Fahrpersonals.
Die vom Verein deutscher Eisenbahnverwaltungen sorgsam durch-
geführte Statistik, welche leider aufgehoben worden ist, sagt uns, daß
von allen Eisenbahnbediensteten an Störungen der Ver-
dauungsorgane erkranken: Zugbeförderungsbeamte 20 Proz.,
Zugbegleitungsbeamte 14 Proz., Bahnbewachungsbeamte 8 Proz., Stations-
beamte 9 Proz. Da die letzteren beiden Beamtengruppen keinen anderen
Schädlichkeiten unterliegen als andere Berufsarten , so haben wir es
hier nur mit den Verdauungskrankheiten des Fahrpersonals bez. mit
der Ernährung des letzteren zu thun.
Weitaus überwiegend ist beim Fahrpersonal der akute Darm- und
Magenkatarrh. Selbstverständlich können die aus der Statistik her-
vorgegangenen Zahlen nur annähernde sein, da sie nur die dienstunfähig
gewordenen Beamten berücksichtigen, während viele, um die Fahrdiäten
nicht zu verlieren, oder aus anderen Gründen trotz ihrer Erkrankung
Dienst thun und sich nicht beim Arzte melden.
Zwei Einflüssen verdanken die häufigen Erkrankungen des Fahrper-
sonals an Verdauungsstörungen ihre Entstehung: der unregelmäßigen
Zeit der Nahrungsaufnahme und der Beschaffenheit der Kost außerhalb
des Stationsortes. Dem ersten Punkte legen wir die geringere Be-
deutung bei. Obwohl wir nicht verkennen, daß die richtige Einteilung
von Schlafen, Wachen, Arbeiten, Essen die Gesundheit günstig beein-
flußt, so ist doch auch nicht zu bestreiten, daß eine gewisse sich immer
wiederholende Regelmäßigkeit in der Unregelmäßigkeit des Fahrdienstes,
vorausgesetzt, daß die Pausen nicht zu lang sind und die Zeit der
Ruhe nicht zu schnell auf die Füllung des Magens erfolgt, den Körper
an diese Schädlichkeiten gewöhnen kann. Anders steht es mit dem
zweiten Punkte, mit der Kost außerhalb des Stationsortes. Wie voll-
zieht sich dieselbe?
68
Eisenbahnhygiene. 305
Nur eine geringe Zahl von Beamten beschafft sich außerhalb ihres
Wohnortes ein normales Mittag- oder Abendessen, selbst wenn die
günstige Zeit dazu gegeben ist. Die Mehrzahl derselben wandert viel-
mehr, mit Blechbüchsen und Flaschen bewaffnet, die Kaffee, Suppe und
ähnliche Dinge enthalten, zur Station; sie nehmen auch wohl kaltes
Fleisch, Brot, harte Eier, manche auch Bier, in sehr seltenen Fällen
Wein mit. Der Branntwein ist wenigstens bei den Angehörigen der
preußischen Bahnen glücklicherweise selten. Die häufige Einschärfung
eines dahin gehenden Verbotes und die strenge Bestrafung von Dienst-
vergehen, welche auf Trunkenheit zurückgeführt werden, hält die meistens
aus straffen militärischen Verhältnissen hervorgegangenen Fahrbeamten
von übermäßigem Alkoholgenuß zurück.
Es kommt nun vor, daß Beamte sich mit den von Hause mitge-
nommenen Speisen und Getränken während einer Abwesenheit von 24,
ja zuweilen 36 Stunden begnügen. Das Kochen resp. Erwärmen des mit-
genommenen Kaffees u. s. w. auf der Maschine ist ja, wo die Zeit es
gestattet, meistens erlaubt. Daß diese Ernährung für einen verant-
wortungsvollen, große Spannkraft des Geistes und Körpers erfordernden
Beruf nicht genügt, liegt auf der Hand.
Eine bessere Bezahlung, Verpflegungsdiäten während der
Fahrt verfehlen nach unserer Erfahrung den Zweck ; der Verheiratete denkt
immer wieder an seine Familie, welche ihn oft genug dazu herausfordert;
er spart jeden Pfennig, um nachher im Kreise der Familie besser leben
zu können. Der Unverheiratete spart für die Vergnügungen nach ge-
thaner Arbeit. Der hygienische Nutzen einer regelmäßigen Verpflegung
wird von dem Fahrpersonal nicht gewürdigt.
Unseres Erachtens giebt es nur ein Mittel gegen die Unzweck-
mäßigkeit der Ernährung, d. i. die obligatorische Naturalver-
pflegung. Die Bahnverwaltungen würden sich auch nicht schlecht
bei diesem Modus stehen. Verträge mit Bahnhofsrestaurateuren an
geeigneten Stationen könnten billige Preise festsetzen, die Fahrkompetenzen
könnten entsprechend gekürzt werden, und wie viel würden die Ver-
waltungen sparen durch die geringere Zahl von Dienstunfähigkeiten!
In diesem Sinne spricht sich auch Beetz2 aus. Hoffentlich ge-
lingt es recht bald, die Verwaltungen von der Wichtigkeit einer guten
Ernährung des Fahrpersonals und der geeigneten Abhilfe zu überzeugen.
g) Uebernachtungs- und Unterkunftsräume für das
Fahrper sonal.
Den dritten Teil des Tages verbringt durchschnittlich jeder Mensch
im Schlaf, um wieder erfrischt an die Arbeit zu gehen ; kein Schlaf
erfüllt diesen Zweck so sehr, wie der im eigenen Bette und in gewohnter
Umgebung. Der Eisenbahnbetrieb bringt es nun aber mit sich, daß seine
Beamten, länger als 2 Drittel des Tages, ja oft mehrere Tage von
Hause entfernt, des Schlafes im eigenen Bette entbehren. Selbst-
verständlich sind die Beamten nicht während der ganzen Abwesenheit
thätig und es bleibt ihnen immerhin Zeit zur Buhe. Wie steht es aber
mit der Gelegenheit zum Schlafen, d. h. mit den Unterkunftsräumen?
Nach unserer Information ist hierfür nur in wenigen Fällen ausreichend
gesorgt, und Stich3 kommt in seinem auf dem internationalen medi-
zinischen Kongreß 1890 zu Berlin gehaltenen Vortrag über denselben
Gegenstand zu ähnlichem Ergebnis.
69
306 BRAEHMER,
Die Uebernacktungsräume befinden sich meistens in den Bahn-
hofsgebäuden oder in unmittelbarer Nähe derselben. Man hat nicht
selten hierfür durchaus ungeeignete Räume zur Verfügung gestellt.
Bisweilen liegen dieselben auf dem Boden , dicht unter dem Dache,
andere in unmittelbarer Nähe der Maschinenhäuser; manche derselben
sind kalt, andere wieder mit eisernen Oefen überheizt. Oft findet sich
nur ein großer Raum mit vielen Schlafstellen, sodaß eine fortwährende
Störung durch ankommende und fortgehende Parteien entsteht. Am
schlimmsten ist aber der Umstand, daß sich oft ein neu Angekommener
in das noch warme Bett eines eben Abreisenden legen muß. Welche
Gefahren für die Gesundheit, welche Hindernisse für ruhigen Schlaf!
Wir halten es für vollkommen berechtigt, daß die Logierzimmer für
dienstlich reisende Direktionsmitglieder behaglich ausgestattet sind,
müssen aber auch fordern, daß man den Uebernachtungsräumen des
Fahrpersonals eine größere Sorgfalt zuwende !
WTenn nun auch die Untersuchungen von Stich3, welcher sich an
eine große Anzahl von Verwaltungen um Auskunft gewandt hatte, und
unsere persönlichen Erfahrungen fast überall gänzlich unzureichende
Vorkehrungen für die Unterkunft des Fahrpersonals ergeben haben, so
ist doch nicht zu verkennen, daß einzelne Verwaltungen mit Erfolg be-
müht gewesen sind, Besserung zu schaffen. So sind in Preußen die
Beamten meistens mit eigener Bettwäsche versehen , die sie in einer
Blechbüchse mit sich führen. Mehrfach hat man die Unterkunftsräume
für kurze Ruhepausen von den eigentlichen Schlafräumen getrennt.
In einzelnen größeren Stationen sind die Uebernachtungsräume mit
elektrischer Beleuchtung, Centralheizung, Badeeinrichtung versehen und
stehen unter Aufsicht und Bedienung eines Hausmeisters.
Da diese Einrichtungen jedoch nur vereinzelt vorhanden sind, so
halten wir es für die Pflicht der Verwaltungsbehörden, bestimmte Vor-
schriften über die Einrichtung und Erhaltung der Unterkunftsräume
zu erlassen, an welche nachfolgende Anforderungen zu stellen sind:
I. Unterkunftsräume und Schlafräume für das Fahrpersonal
müssen getrennt sein.
II. Sie müssen zwar in der Nähe der Bahnhöfe liegen, aber doch
dem lauten Geräusch nicht zu sehr ausgesetzt sein.
III. Sie müssen von genügender Größe, gut zu lüften, zu heizen
und zu beleuchten sein.
IV. Die einzelnen Schlafräume enthalten am besten 1 — 2 Betten,
jedenfalls darf die Zahl der Betten nicht so groß sein , daß
Abgehende und Ankommende sich im Schlafe stören.
V. Jeder Beamte hat seine eigene Bettwäsche.
VI. In jedem Uebernachtungsgebäude müssen Bäder zur unent-
geltlichen Benutzung vorhanden sein.
VII. Bedienung und Wecken erfolgt durch einen angestellten Haus-
meister. Gelegenheit zum Trocknen der Kleider und zum
Erwärmen von Nahrungsmitteln muß gegeben sein.
3. Pensionierung.
Die Privatbahnen haben Pensionskassen für ihre Mitglieder. Bei
den Staatsbahnen unterstehen, wenigstens in Preußen, die Beamten dem
allgemeinen Beamtenpensionsgesetz. Mit Unrecht ; denn wir haben schon
oben nachgewiesen, daß die Fahrbeamten, wenigstens die Lokomotiv-
Eisenbalmhygiene. 307
beamten, durchschnittlich nach 20 Dienstjahren, also wesentlich früher
als andere Berufsklassen, invalide werden. Während der Bureaubeamte,
der 5—6 Stunden täglich in Ruhe am Schreibtisch sitzt, bequem 50 Jahre
dienen und dann mit 3/4 seines Gehaltes sorglos seine letzten Tage
verbringen kann, erreicht der Lokomotivbearate bei seiner aufreibenden
Thätigkeit niemals die Höhe dieser Pension und muß sich kärglich
oft noch Jahrzehnte durchschleppen. Er muß fortwährend auf der Wacht
sein und täglich seine Station verlassen; es wäre daher eine That
der Gerechtigkeit, wenn man ihm schon früher bei seiner vorzeitigen
Abnutzung eine höhere Pension gewährte. Wir glauben nichts Unbe-
rechtigtes zu verlangen, wenn wir die schon von uns auf den Kongressen
in Berlin und Pest aufgestellte Forderung immer wiederholen, dem
Lokomotivbeamten bei seiner Pensionierung jedes
Dienstjahr doppelt anzurechnen wie dem Soldaten das
Kriegsjahr.
Nur die Erreichung dieses Zieles wird die Furcht vor der Pen-
sionierung bannen und verhindern, daß invalide Beamte länger an ver-
antwortungsvoller Stelle bleiben, als mit der Sicherheit des Betriebes
vereinbar ist. Jetzt wird der Kampf zwischen der Sorge für ein ge-
sundes, der Verantwortung gewachsenes Personal und der Humanität
die Entscheidung stets erschweren.
1) v. Czatary, Ueber Hygiene des Eisenbahnwesens und der Eisenbahn-Reisenden, Verhand-
lungen des internationalen medizinischen Kongresses, Berlin 1890 (Sektion für Eisenbahn-
hygiene)
2) Beetz, Die Ernährung des Fahrpersonals loährend der Fahrt , Verhandlungen des inter-
nationalen medizinischen Kongresses, Berlin 1890 (Sektion für Eisenbahnhygiene).
3) Stich, Uebernachtungs- und Unterkunftsräume für das Fahrpersonal , Verhandlungen des
internationalen medizinischen Kongresses, Berlin 1890 (Sektion für Eisenbahnhygiene).
4) Braehmer, Ueber den Einflufs der Aerzte auf den Eisenbahnbetrieb, Verhandlungen des
internationalen medizinischen Kongresses, Berlin 1890 (Sektion für Eisenbahnhygiene).
5) Braehmer , Bestimmung der Dienstzeit der Eisenbahn - Angestellten, Verhandlungen des
internationalen Kongresses, Pest 1894.
6) Schwechten , Körperliche Erfordernisse für den Eisenbahndienst , Verhandlungen des
internationalen medizinischen Kongresses, Berlin 1890 (Sektion für Eisenbahnhygiene.
7) TJffelmann, Ernährung der Beisenden auf Eisenbahnfahrten, Berlin 1886.
8) Wernicli und Wehmer, Lehrbuch des öffentlichen Gesundheitswesen (1894).
9) Silex, Sehvermögen der Eisenbahnbeamten (1894).
10) R. Eegnier (Paris), Fixation de la duree du Service des employes de chemin de fer au
point de vue des diverses branches du service. In Verhandlungen des internationalen Kon-
gresses, Pest 1894.
c) Organisation des ärztlichen Bahndienstes.
Der ärztliche Dienst bei den Eisenbahnen hat folgende Obliegen-
heiten:
I. Die Sorge, daß nur gesunde, dem schweren Betriebsdienst ge-
wachsene Beamte eingestellt werden.
IL Die fortlaufende Beobachtung des physischen Zustandes der
Beamten, namentlich die periodische Untersuchung des Seh- und Hör-
vermögens. Mitwirkung an einer statistischen Aufstellung der Krank-
heiten und Unfälle der Beamten.
III. Beobachtung aller Momente, welche den Gesundheitszustand
während der Dienstzeit stören können.
VI. Hygienische Ueberwachung der Bahnhöfe, Werkstätten, Wärter-
buden, Gasanstalten etc.
7i
308 BRAEHMER,
V. Initiativanträge, welche die aus der Beobachtung sich ergebenden,
den Gesundheitszustand störenden Einflüsse zu ändern geeignet sind.
VI. Außerdienststellung und rechtzeitige Pensionierung, wenn der
körperliche Zustand des Beamten der Verantwortung nicht gewachsen ist.
VII. Mitwirkung bei der Ausführung des Haftpflicht-, Pensions-
und Unfallfürsorge- Gesetzes, sowie der 3 großen sozialpolitischen Ge-
setze, welche sich auf die nichtbeamteten Eisenbahnarbeiter beziehen.
VIII. Unterweisung des Fahr- und Stationspersonales in der ersten
Hilfeleistung nach Unfällen. Beaufsichtigung und Sorge für die gute
Beschaffenheit der Rettungseinrichtungen.
IX. Mitwirkung bei den Maßnahmen gegen die Einschleppung von
Epidemien durch die Eisenbahnen.
X. Beratung der Verwaltung in allen weiteren hygienischen sowohl
das Personal als den Betrieb betreffenden Fragen.
XI. Endlich ärztliche Behandlung der zum äußeren Betriebe ge-
hörenden Beamten und Arbeiter.
Zur erfolgreichen Durchführung der vorstehenden Funktionen ge-
hört außer der rein ärztlichen Befähigung eine genaue Kenntnis des
Betriebes und der Betriebsmittel, der einzelnen Dienstzweige und der
damit verbundenen Verantwortung, der Arbeitsstunden und der Ruhe-
pausen, der Schlaf- und Unterkunftsräume außerhalb der Stationen, der
Rettungseinrichtungen, des Signalwesens, der gesetzlichen Bestimmungen
über Unfälle, Fürsorge, Haftpflicht, der den Fahrbeamten zu ihrer Ver-
pflegung gegebenen Gelegenheiten etc.
Leider müssen wir bekennen, daß die Würdigung dieser Bedeutung
des ärztlichen Bahndienstes noch viel zu wünschen übrig läßt, sowohl bei
den Verwaltungen als auch bei den Aerzten.
Die Privatbahnen überließen es anfänglich den Beamten, sich
die Anstellungsfähigkeit, Notwendigkeit eines Urlaubs, temporäre oder
dauernde Dienstunfähigkeit von dem Arzte ihrer Wahl bescheinigen zu
lassen. Nur in verwickelten Fällen wandten sie sich an einen Vertrauens-
arzt, meistens einen Medizinalbeamten.
Besser waren von vornherein die Verhältnisse bei den Staats-
und staatlich verwalteten Bahnen, welche in Würdigung der
hygienischen Bedeutung der Aerzte meistens früh Bahnärzte anstellten,
welchem Modus sich die Privatbahnen nach und nach anschlössen. In
vielen Ländern haben die Direktionen Chefärzte , so in Frankreich,
Oesterreich, in andern sitzt ein Arzt in der obersten Verwaltung, so in
Ungarn , Serbien. In Amerika hat man erst vor wenigen Jahren an-
gefangen Chefärzte in die Verwaltungen zu wählen. Von den deutschen
Bundesstaaten ist die ärztliche Organisation am vollständigsten in Bayern,
wo ein Chefarzt alle hygienischen Maßregeln leitet, und außerdem in jeder
Eisenbahnstation Bahnärzte angestellt sind. Die letzteren haben Amts-
charakter und erfreuen sich der damit verbundenen Autorität. Diese in
mancher Beziehung musterhafte Organisation fehlt in den übrigen Bundes-
staaten ; in den meisten derselben finden sich jedoch bereits Anfänge
eines ärztlichen Bahndienstes.
In Preußen hat die am 1. April 1895 ins Leben getretene Neu-
gestaltung der Staatsbahnen auch eine Neugestaltung des ärztlichen Bahn-
dienstes zur Folge gehabt. Die Grundzüge dieser Neugestaltung sind in
72
Eisenbabnhygiene. 309
Kurzem folgende : „Einheitlichkeit des ärztlichen Bahndienstes und der
Anstellungs - Bedingungen der Bahnärzte in ganz Preußen. Verwaltung
der Bahnarzt- und Bahnkassenarzt-Stellen eines Bezirkes durch denselben
Arzt. Anstellung nach geographischen Bezirken mit Wohnungszwang und
nicht nach Dienststellen. Behandlung der Beamten und Arbeiter nebst
Angehörigen. Ausstellung aller von der Verwaltung geforderten Gut-
achten und Berichte bei der Anstellung, bei Krankheiten und Beur-
laubungen, Pensionierungen, sowie aller Atteste, welche zur Ausführung
der sozialpolitischen Gesetze notwendig sind, Beaufsichtigung der Rettungs-
einrichtungen , Unterweisung der Beamten in der Leistung der ersten
Hilfe, Hilfeleistung bei Eisenbahnunfällen, periodische Untersuchung der
Beamten auf Hör- und Sehvermögen , Anstellung von besoldeten Augen-
ärzten. Honorar in Form von festen Gehältern berechnet nach der Zahl
der Köpfe, der Zahl der bei der Anstellung zu untersuchenden Arbeiter
sowie nach lokalen Verhältnissen. Die Zahl der Bahnärzte ist so groß
und derart verteilt, daß eine genügende ärztliche Beaufsichtigung ermög-
licht wird."
Bei der Besetzung der Bahnarztstellen sollen in Preußen die Physiker
nach einem Ministerial-Erlaß in erster Linie berücksichtigt werden, in den
Provinzen ist dies auch vielfach der Fall, in Berlin höchst selten. Es bleibt
auch fraglich, ob die Physiker an sich zu der eigenartigen bahnärztlichen
Thätigkeit mehr befähigt sind. Diese Befähigung wird jetzt nur erworben
durch die Praxis, in welche der Bahnarzt eintritt ohne alle Vorkenntnisse,
um von vornherein die volle Verantwortung zu tragen. Diese Lehrzeit
kann aber den Eisenbahnverwaltungen nicht zum Vorteil gereichen. Wir
halten es daher für notwendig Vorlesungen über Eisenbahnhygiene ins
Leben zu rufen , an denen sich Aerzte und Eisenbahnbeamte beteiligen
können.
Die so vorbereiteten Aerzte sind als Bahnärzte an allen Eisen-
bahnstationen anzustellen und mit der nötigen Autorität zu versehen,
freie Fahrkarten sind ihnen im ausgedehnten Maße zu gewähren. Jeder
Direktion bez. jeder größeren Verwaltung muß ein Oberarzt zuge-
teilt sein, welcher in allen hygienischen Maßnahmen mitzuwirken und
die Bahnärzte in ihren Wirkungskreis einzuführen hat. Regelmäßige
Konferenzen aller Bahnärzie, wie sie jetzt schon stellenweise stattfinden,
sind obligatorisch einzuführen. Die Gehälter der Bahnärzte müssen auf
eine ihrer Thätigkeit entsprechende Höhe gebracht werden. Die An-
stellung muß auf längere Zeit erfolgen, und, falls frühere Invalidität des
Arztes eintritt, Pensionsberechtigung eingeführt werden. Den Bahnärzten
ist amtlicher Charakter beizulegen, sowohl den Behörden als den Beamten
gegenüber. Sollte das Gutachten eines Bahnarztes beanstandet werden,
so ist ein Obergutachten eines aus 3 Bahnärzten bestehenden Konziliums
einzuholen, eine Maßregel, die sich bei den bayrischen Bahnen vorzüglich
bewährt.
Nicht zu trennen von dem ärztlichen Bahndienst in Preußen sind die
Krankenkassen, zu welchen die Eisenbahn- und Werkstätten- Arbeiter
seit dem Kassengesetz von 1884 in Deutschland vereinigt sind. Ein großer
Teil der Kassenmitglieder, wie die Bremsarbeiter, Streckenarbeiter, Hilfs-
heizer, können auf die Sicherheit des Betriebes denselben Einfluß haben
wie die Beamten, von denen sie sich nur durch die äußere Stellung
unterscheiden. In zweckmäßiger Weise befinden sich daher die Kassen-
arztstellen in den Händen der Bahnärzte, denen die Begutachtung
73
310 BRAEHMER,
der Kassenmitglieder in allen Fragen, die sich auf den Betrieb beziehen,
ohnehin zusteht.
Was die Frage der Spezialisten anbetrifft, so haben einige
Länder, z. B. Oesterreich-Ungarn , für verschiedene Fächer Spezialärzte
angestellt. In Preußen sind bis jetzt nur Spezial-Augenärzte angestellt.
Wünscht der Bahnarzt bei anderen Krankheiten eine spezialistische
Behandlung eines Patienten, so ist er meistens darauf angewiesen, den-
selben irgend einer Poliklinik zu überweisen. Wir halten dieses Ver-
fahren nicht für ausreichend, sondern wünschen den Bahnarzt in die
Lage versetzt, sobald er eine spezialistische Behandlung für erforderlich
hält, eine solche auf Kosten der Verwaltung herbeiführen zu können.
Die Thätigkeit des Spezialisten darf sich jedoch nur auf die Behandlung
erstrecken — die Begutachtung verbleibt allein den Bahnärzten, die auch
die periodischen Sehprüfungen der Beamten vorzunehmen haben. Jeder
Bahnarzt muß mit den neuesten Untersuchungsmethoden auf Sehschärfe
und Farbensinn hinlänglich vertraut sein, um die Grenze zu finden, über
welche hinaus Mängel der Sicherheit Gefahr bringen.
Vorstehende Forderungen enthalten nichts Unmögliches und nichts
Ueberfiüssiges. Sie sind notwendig im Interesse der Sicherheit des
Eisenbahnbetriebes. Zu dieser Sicherheit beizutragen, ist der Zweck
der Organisation des ärztlichen Bahndienstes, welcher sich aus den
oben genannten Obliegenheiten zusammensetzt.
Wenn nun auch die von uns aufgestellten Forderungen bei der
Neugestaltung des ärztlichen Bahndienstes in Preußen nur zum Teil
berücksichtigt worden sind, so bedeutet die letztere doch einen Fort-
schritt gegen früher; ein weiterer Fortschritt ist um so mehr zu hoffen,
als die Verwaltungen sich nicht mehr der Erkenntnis verschließen, daß
der ärztliche Bahn dienst einen jener Faktoren bildet, welche die Sicher-
heit des Eisenbahnbetriebes verbürgen. Diese Erkenntnis berechtigt auch
zu der Hoffnung, daß in Zukunft für den ärztlichen Bahndienst grösere
finanzielle Mittel bereit gestellt und unsere obigen Forderungen er-
möglicht werden. Damit aber der Sanitätsdienst bei den Eisenbahnen
in seiner vollen Bedeutung gewürdigt werde, müssen auch die Aerzte
selbst zu der ihnen noch vielfach mangelnden Erkenntnis kommen, daß
ihre Thätigkeit nicht nur darin besteht, Kranke und Verletzte zu heilen
und Krankheits-Bescheinigungen auszustellen, sondern mitzuwirken an
der Erforschung und Bekämpfung der Gefahren, welche Leib und Leben
durch den Eisenbahnbetrieb bedrohen — an der Eisenbahn-
hygiene.
1) v. Czatary, Sanitätsdienst bei den ungarischen Eisenbahnen, Zeitschr. f. soziale Medizin
1. Bd. 123.
2) Braehmer, Die Aufgaben und Thätigkeit des Eisenbahnarztes , Sachverständigen Zeitung
(1895) No. 5.
3) Braehmer, Denkschrift im Auftrage des Ausschusses der deutschen Bahnärzte (1895).
4) Braehmer, Zur Organisation des ärztlichen Bahndienstes iu Preufsen, Aerzüiches Vereins-
blatt (1896).
5) Verordnung des russischen Verkehrsministers vom 20. Juni 1893 No. 8536, Ueber die
Organisation des ärztlich sanitären Dienstes bei den russischen Eisenbahnen.
74
Eisenbahnhygiene.
311
Verzeichnis der Abbildungen.
Signalbuch vom 1. Januar 1893, nach der Signalordnung für die
Eisenbahnen Deutschlands vom 5. Juni 1892.
Figur-No.
Seite
1
•
2
3
4
> 259
5
6
7
.
8
265
9
\ 266
10
271
11
276
12
287
13
288
Entnommen aus :
Technisches Bureau
Staatsbahn.
der Hauptwerkstatt einer preufsischen
Vorschriften für die Bedienung der Luftdruckbremse von Westing-
house (im Gebrauch der preufsischen Staatsbahn).
Entwurf der Generaldirektion der ungarischen Staatsbahnen.
Entwurf der Generaldirektion der bayrischen Staatsbahnen.
Druckfehler-Berichtigung.
Auf Seite 245 Zeile 16 von oben mufs es heifsen „railway - b r <i i n" statt ,,railway-bire'
75
Register.
Aborte 254.
— in Wagen 266.
Achsen 263.
Altersversicherungsgesetz 294.
Amerikanische Bahnen 240. 243. 257. 292.
303. 308.
Anstellung von Bahnbeamten 297.
Bahnärzte 295. 307.
Bahnhöfe 254.
Beamtenpensionsgesetz 293.
Becher 284.
Becker, Litt. 247.
Bedürfnisanstalten 254.
Beetz, Litt. 307.
Behm, Litt. 253.
Beleuchtung der Wagen 273.
Bettung 256.
Blocksystem 260.
Born, Litt. 271.
Braehmer, Litt. 307. 310.
Brennen 262. 275.
Brosius, Litt. 247.
Büte und Borries 243.
Buffer 274.
Cahen 248.
Carpenterbremse 276.
Central-Weichenstellung 260.
Cholera 276 ff.
Clauss, Litt. 271.
Cornet 282.
Coupewagen 263. 265.
v. Czatary 286. Litt. 307. 310.
Dampfheizung 272.
Dienstzeit 302.
Drehgestell 264.
Drehscheiben 261.
Durchgangswagen 263. 265.
Hinkommen der Eisenbahnbeamten 300.
Elektrische Lokomotive 239.
Ernährung der Bahnbeamten 304.
Farbenblindheit 299.
Fenster 270.
Eührerstand, bedeckter 262.
— offener 262.
Gasbeleuchtung 273.
Gasheizung 272.
Geschichte der Eisenbahnen 238.
Haber, Litt. 239.
Haftpflicht 291.
Halle 247.
Hautkrankheiten 276.
Heberlein-Bremse 275.
Heilmann's Lokomotive 239.
Heizmaterial für Lokomotive 263.
Heizung der Wagen 271.
Herzog 286.
Hoffmann, Litt. 247.
Holzkohle 272.
Infektionskrankheiten 276.
— auf Eisenbahnen 248.
Invaliditätsgesetz 294.
Kleidung der Bahnbeamten 301.
Klosetts 254.
Knallpatronen 258.
Krankheiten der Reisenden 247.
— des Eisenbahnpersonals 248.
Krankenkassen 309.
Krankenwagen 269.
Kuppelung der Wagen 274.
Lang 268.
Lazarettzüge 269.
Leichentransport 283.
Leifsner 269.
Lent 249.
Lokomotiven 261.
Lüftung der Personenwagen 268.
Löffler 271 Litt. 284.
Mallieux, Litt. 273.
Martin, Litt. 271.
Militärärzte 296.
Niemeyer 247.
76
Register.
313
Oberbau 255.
Oelgasfabriken 301.
Ofenheizung 272.
Oppenheim 245.
Paget, Litt. 247.
Paralysis nervi facialis 247.
Perells 260.
Personenaufzüge 255.
Petri 253 Litt. 284.
Pinsch, Jul. 273.
Praussnitz 284.
Prerau 260.
Professionelle Krankheit des Maschinen-
personals 252.
Pullmann- System 263.
Railway-bire 245.
Railway-spine 245.
Raumverhältnisse der Wagen 266.
Rettungskasten 284.
Rettungswagen 286.
Rettungswesen 284.
Riegler 245. 250. 262.
Richter, Litt. 253.
Salonwagen 265.
Schiebebühnen 261.
Schienen 237. 255.
Schlafwagen, Ansteckung durch 280.
Schmökel 284.
Schranken 257.
Seligmüller 246.
Signale 257.
Sitze 267.
Sommerfrischen 304.
Spucknäpfe 232.
Spezialisten als Bahnärzte 309.
Stich 305.
Stofsfangschiene 256.
Telegraphie 257.
Tender 261.
Thiem, Litt. 247.
Tischer v. Rösslerstamm, Litt. 273.
Todesfälle, Statistik der, auf Eisenbahnen
249.
Traumatische Neurose 245.
Trinkwasser 277.
Tuberkulose 282.
Thüren 270.
Typhus 276.
Uebernachtungsräume 305.
Unfallstatistik 239.
Unfallversicherung 293.
Untergestell der Wagen 264.
Urinier gefäi'se 266.
Urlaub 303.
Ventilation der Wagen 268.
Verdauungskrankheiten 304.
Verpflegungsdiäten 305.
Verriegelung 260.
Verwaltung der Eisenbahn 294.
Viehoff und Voss 270.
Viehseuchen 282.
Wagen, Personen- 263.
Waschgelegenheit 266.
Wasser s. Trinkwasser.
Watt, Jam. 238.
v. Weber 239 Litt. 244.
Weichen 261.
Weichensteller 256.
Westergaard, Litt. 253.
Westinghouse-Bremse 276.
Wiehert 266. 273.
Wohlfahrtseinrichtungen für Eisenbahn-
beamte 291.
Wohnung für Eisenbahnbeamte 301.
Wolffhügel und Lang 268.
Wolpert-Sauger 269.
Zillmer 250. 252.
77
Gesundheitliche Ansprüche
an
militärische Bauten.
BEARBEITET
VON
DR. C. E. HELBIG,
OBERSTABSARZT A. D. IN DRESDEN.
MIT 9 ABBILDUNGEN IM TEXT.
JENA,
VERLAG VON GUSTAV FISCHER.
1897.
Alle Rechte vorbehalten.
Inhaltsübersicht.
Srite
Einleitung 315
1. Kaserne 316
a) Allgemeines und Geschichte 316
b) Lage und Baugrund 319
c) Grundriß und Hof 319
d) Wohngebäude für Mannschaften 323
e) Mannschaftsstube 324
f) Andere Räume für Mannschaften 326
«) Schlafsaal 326
ß) Wasch- und Putzstube 327
y) Speise-, Unterrichts- und Uebungssäle 328
(5) Krankenstube . 328
g) Sonstige Wohnungen 329
h) Wirtschafts- und Reinlichkeitsanlagen 330
o) Wasserversorgung 330
ß) Küche, Schlachthaus 331
y) Bad, Waschhaus 332
6) Desinfektion 333
f) Abfallbeseitigung 333
i) Stall 335
k) Feuerschutz, Umzäunung 337
2. Privatkaserne, Quartier 338
3. Festung, Kasematten 339
4. Gefängnis, Gerichtsstelle, Wache 341
5. Krankenhaus 341
6. Invalidenhaus 342
7. Lager 343
Litteratur 346
Verzeichnis der Abbildungen 348
Register 349
Einleitung.
Die militärischen Unterkünfte zerfallen in vorübergehende und
bleibende. Bei ersteren unterscheidet man solche, die nur zur ein-
maligen Benutzung bestimmt sind, wie Biwaks und Kriegslager. Beide
kommen an dieser Stelle ebensowenig in Frage wie die zu Reisezwecken
aufgesuchte Unterkunft des Soldaten im Eisenbahnwagen oder Schiffe.
Eine andere Art der vorübergehenden Unterkünfte bilden die zu wieder-
holter militärischer Benutzung bestimmten Kriegsschiffe und Friedens-
lager. Erstere sind ebenfalls kein Gegenstand der nachfolgenden Dar-
stellung.
Die bleibenden Unterkünfte umfassen die Gebäude für die be-
fehlenden und verwaltenden Stellen, die Kasernen, Ställe, Exerzier- und
Turnhallen, Reithäuser, Wachen, Gefängnisse, Festungen, Schulen, Er-
ziehungsanstalten, Kranken- und Invalidenhäuser, Vorratsgebäude und
Werkstätten. Von diesen mannigfachen Baulichkeiten und Einrichtungen
kommen hier diejenigen nicht zur Besprechung, welche in Bezug auf
gesundheitliche Verhältnisse sich in keiner Weise von den entsprechen-
den Civilbauten unterscheiden, wie die Gebäude für Kommandos, die
Schulen und die Vorratsräume. Auch die militärischen Werkstätten
zählen hierzu, von denen die größeren meist von Civilarbeitern betrieben
werden.
Im allgemeinen besitzen die militärischen Unterkünfte, welche große
Massen gesunder Männer zum Zwecke der Ausbildung und Landesver-
teidigung auf einem thunlichst engen Räume vereinen, eine hohe Wichtig-
keit in gesundheitlicher Hinsicht. Denn je zusammengedrängter Menschen
zu leben genötigt sind, um so deutlicher pflegt jede Vernachlässigung
eine größere Erkrankungshäufigkeit und auch vermehrte Sterblichkeit
zu bewirken. Kasernen und Lager sind daher um so bessere Prüf-
steine für die Zweckmäßigkeit gesundheitlicher Maßnahmen, als beim
Heere die für die Zivilbevölkerung undurchführbare allgemeine Krank-
heitsstatistik keinerlei Schwierigkeit bereitet. Allerdings wird man bei
der Verallgemeinerung von Erfahrungen, die bei militärischen Wohnungs-
anlagen gewonnen sind, den Umstand berücksichtigen müssen, daß nicht
die Wohnung in gesundheitlicher Hinsicht allein Ausschlag giebt, sondern
daß die Art der WTohnungsbenutzung von wesentlichem Einfluse ist und
auf letztere die militärischen Vorschriften einschneidenderen Einfluß aus-
üben, als es eine „Wohnungsordnung" in bürgerlichen Verhältnissen für
gewöhnlich vermag.
Handbuch der Hygiene. Bd. VI. 21
316 HELBIG,
Bei der Wichtigkeit der Sache entstand allmählich eine reiche
Litterat ur über die gesundheitlichen Beziehungen der Militär bauten.
Sämtliche militärärztliche Zeitschriften und Jahresberichte, sowie alle
Werke über Militärgesundheitspflege berücksichtigen die militärische
Unterkunft; Einzelschriften findet man vonFränkel1, Frölich2
und Billings3 aufgeführt. Von Sammelwerken mit Beschreibun-
gen militärischer Unterkünfte erschienen in deutscher Sprache seit 1887
zu Wien 14 Bände der vom k. k. Reichskriegsministerium herausge-
gebenen : „Hygienischen Verhältnisse der größeren Garnisonsorte der öster-
reichisch-ungarischen Monarchie" und seit 1893 zu Berlin 5 Bände der
„Garnisonbeschreibungen" der Medizinalabteilung des K. preußischen
Kriegsministeriums (Cassel, Stettin, Liegnitz, Hannover, Potsdam). —
Angaben über einzelne neue deutsche Militärbauten mit Grundrißskizzen
erschienen von Zeit zu Zeit in den „Statistischen Nachweisungen" der
Garnisonbauverwaltung, so beispielsweise über die Jahre 1884 — 1891 in
der „Zeitschrift für Bauwesen" 4 .
Vergl. Litteratur 8. 346.
1. Kaserne.
a) Allgemeines und Geschichte.
Gegenüber anderen Wohnhäusern bedingt die größere Bewohnerzahl
für die Kaserne erheblich größere Maße. Bis auf die neueste Zeit, wo
die Fabrik und das Gefängnis an Ausdehnung mit ihr wetteifert, pflegte
die Kaserne neben vereinzelten Schlössern mächtiger Dynasten oder
den Anlagen reicher Stifte überhaupt die größte bewohnte Baulichkeit
darzustellen.
Eine Geschichte des Kasernenwesens und eine vergleichende
Beschreibung der Heeresunterkunft in den verschiedenen Ländern würde
nicht nur für die Geschichte der menschlichen Bildung, sondern auch
für Fragen des Staatshaushaltes und für das Heer selbst wichtig sein.
Leider fehlt es an einem solchen Werke.
Wo irgend eine größere Anzahl Bewaffneter wiederholt oder dauernd
unterzubringen war, machten sich kasernenartige Unterkünfte nötig, die
bereits im Altertum nur ungenügenden Ersatz in den Bürgerquartieren
fanden. Man kann deshalb schon für die damalige Zeit Kasernen nach-
weisen, insbesondere bei den Körnern, deren castra in den Städten
kasernenartig eingerichtet waren. Es finden sich derartige Ruinen häufig;
die am besten erhaltenen sind die der Gladiatorenkaserne hinter dem
großen Theater zu Pompeji. Weniger erhalten sind Ruinen von Kasernen
für Soldaten in Otricoli, in der hadrianischen Villa bei Tivoli, zu Bajae
bei Neapel, ferner zu Rom die castra urbana für die vier 1500 Mann
starken Stadtkohorten, die castra Ravennatium des Augustus, die castra
praetoria u. s. w. Diese mehrstöckigen Anlagen zeichneten sich, trotz-
dem die einzelnen, nur für wenige Leute berechneten Zimmer oft der
Fenster entbehrten, durch Geräumigkeit und insbesondere durch breite,
luftige und helle Gallerien aus. Auch scheint bereits eine Trennung von
Wohn- lind Schlafraum stattgefunden zu haben 5.
Weniger dem Begriffe „Kaserne" als dem des „Lagers" entsprachen
die castra außerhalb der Städte, auch wenn sie bleibende waren.
Aehnelte doch die Legion, wenigstens bis auf Septimius Severus, mehr
einer mobilen Feldtruppe als der modernen Garnison.
Militär-Bauten. 317
Im Mittelalter schwand mit dem Aufhören der stehenden Heere
das Bedürfnis für eigentliche Kasernen. Allerdings erinnert der Grund-
riß mancher mehrstöckiger Donjons 6 des 12. Jahrhunderts an die Defeu-
sionskaserne, die sich später aus ihm herausbildete. Doch ist die Aehn-
lichkeit immerhin mehr äußerlich, da die Voraussetzung einer Kaserne,
nämlich die dauernde Anwesenheit einer Masse Bewaffneter, noch fehlte.
Für die Zeit, wo nach dem Ende des Mittelalters sich
die Anfänge der stehenden Heere bildeten, ließ sich aus der Litteratur
der Ursprung der Kasernen bisher nicht erweisen; denn die zahlreichen
Schriften über Befestigung und Bewaffnung aus jener Zeit erwähnen
zwar häufig die Unterkunft der Belagerer, kaum je aber die Mannschafts-
wohnungen in der befestigten Ortschaft. B-ichter7 giebt den Grund-
riß einiger Kasernen vom Ausgange des 16. bis zum 17. Jahrhundert,
führt aber als Quellen neuere Zeitschriften an. Eine Anzahl solcher
Bauten erhielt sich hauptsächlich in England und Frankreich bis auf
unsere Tage. Eigentümlich sind für diese Grundrisse zahlreiche, für je
1 oder 2 Zimmer bestimmte Treppen.
Am Ende des 17. Jahrhunderts (seit 1685) brachte Vauban,.
der Gründer des modernen Eestungswesens , ohne das Vorgefundene
wesentlich abzuändern, feste Grundsätze in den Kasernenbau. Er trennte
die einzelnen, 72 Mann starken Kompagnien, die je ein Haus mit zwei
besonderen, einläufigen Treppen erhielten. Es gab nur Stuben für je
12 Mann, keine Nebenräume und keine Gänge. Der Luftraum schwankte
je nach dem Stockwerke und der Benutzung von 8,7 bis 21 m3 auf
den Kopf.
Die Veränderungen, welche bis etwa 1820 an dem Vauban'schen
Vorbilde angebracht wurden, waren in baulicher Hinsicht geringe Ver-
besserungen, insofern man die zahlreichen, schmalen und steilen Treppen
durch wenige breitere ersetzte. Die dadurch nötig gewordenen Gänge,
sowie die Zusammenlegung von mehreren kleineren Zimmern zu einem
größeren stellen aber in gesundheitlicher Hinsicht erhebliche Verschlechte-
rungen dar.
Die durch den Einfluß der Encyklopädisten in der zweiten Hälfte
des vorigen Jahrhunderts hervorgerufene Aufmerksamkeit auf die Mängel
aller öffentlichen Einrichtungen veranlaßte zunächst in Frankreich
das Bestreben, verbesserte Truppenunterkünfte herzustellen. Im Jahre 1788
wurde gleichzeitig mit dem Entwürfe des ersten gemäß gesundheitlichen
Grundsätzen zu erbauenden, nach der Gräfin Lariboisiere benannten
Krankenhauses auch für den besten Plan einer gesunden Infanterie- und
Kavalleriekaserne je ein Preis von 50 Louisdor (etwa 1000 M.) aus-
gesetzt. Während aber das Krankenhaus : „Lariboisiere" nachträglich
— vom Jahre 1846 an — wirklich erbaut wurde, verschwanden die
Kasernenentwürfe während der ersten französischen Revolution völlig.
Gegen Mitte dieses Jahrhunderts veranlaßte in Frankreich die Zunahme
der Sterblichkeit der — Pferde Verbesserungen zunächst in der Unter-
kunft der berittenen Truppen.
Der Gedanke eines gesundheitlich entworfenen Kasernements wurde
erst nach dem Krimkriege, dessen Verlustziffer eine nicht zu überhörende
Mahnung ausdrückte, in England wieder aufgenommen und zwar 1862
durch ein Blaubuch 8 über die Untersuchung von 162 Kasernen und
114 Lazaretten, dessen treffliche Vorschläge für die militärischen
Wohnungsanlagen in Großbritannien seitdem maßgebend blieben.
21*
318 HELBIG,
Auf Frankreich wirkte das Vorbild Englands trotz der im Krim-
kriege gemeinsam gemachten Erfahrungen nicht ein. Selbst bei den
nach 1866 und 1871 eintretenden Heervermehrungen hielt man an Ent-
würfen von Beimas aus dem Jahre 1822 fest und verbaute nach diesen
schlechten Vorbildern 160 Millionen Frcs. Arnould's9 Warnung
blieb unbeachtet. Erst zufolge des Aufsehens, welches ein sensationeller
Roman l ° über das dortige Kasernenleben hervorrief, scheint seit 1890
auch in Frankreich allgemeine Besserung einzutreten. Insbesondere be-
achtet man mehr und mehr das System T o 1 1 e t ' s (siehe S. 344) , das
eine beachtenswerte Neuheit im Kasernenbaue darstellt, und die eigen-
artigen Vorschläge dieses bereits seit 1870 für die gesundheitliche Ver-
besserung der Militärbauten thätigen Ingenieurs 47. Das Rundschreiben21
des Kriegsministeriums an die Generalkommandos vom 5. Februar 1894
betont bezüglich der Kasernenfragen: „Ces questions, qui Interessent le
bien-etre et la sante des hommes, ainsi que le bon fonctionnement des
Services interieurs des corps de troupe."
Die kleineren europäischen Staaten schlössen sich, wie in anderen
Heeresangelegenheiten, meist den französischen und englischen Vorbildern
an, doch führten sie auch selbständig Verbesserungen aus, so beispiels-
weise die Trennung der Wohnzimmer vom Schlafsaal, die Belgien auf
Betrieb der Putzeys11, später auch Dänemark, nach hannoverschem
und sächsischem Vorgange annahmen.
Die Vereinigten Staaten von Nordamerika, über deren mili-
tärische Bauten in den letzten Jahren keine größere Veröffentlichung er-
folgte, sollen zur Zeit die besten Kasernen herstellen und insbesondere
eine Anpassung an die dort wesentlich verschiedenen Witterungsver-
hältnisse erreichen. Eine solche Anpassung erscheint in den west- und
mitteleuropäischen Staaten weit weniger nötig, darf aber nicht, wie es
bisweilen geschieht, völlig außer acht gelassen werden und einer ge-
dankenlosen Anwendung desselben Schemas für ein ganzes Reich Platz
machen.
Rußland erließ die erste Vorschrift über den Kasernenbau nach
Erismann12 erst 1875. Bis dahin war mit Ausnahme von Peters-
burg und dem Moskauer Bezirke das stehende Heer bei den Bürgern
untergebracht.
In Oester r ei ch- Ungarn erschien 1895 eine neue „Anleitung für
den Neubau von Kasernen" 56, die ohne bestimmte Vorschriften zu geben,
die Größe eines Wohngebäudes auf ein Bataillon oder ein Artillerie-
Regiment beschränkt (§ 39).
In Deutschland trat schon seit dem vorigen Jahrhunderte das
Bestreben, eine geeignete Unterkunft für das Friedensheer herzustellen,
hie und da hervor. In Preußen, dessen Einrichtungen seit 1866 den
anderen deutschen Staaten maßgebend wurden, stellte das Gesetz vom
13. Mai 1820 die Erbauung von Kasernen als Grundsatz auf; bis dahin
war den Städten die Unterbringung der Garnison übertragen und zwar
erst seit 1810 unter Ausgleichung der Einquartierungslast durch den
damals eingeführten Servis. Im Norddeutschen Bunde war bereits die
Hälfte der aktiven Armee im Frieden kaserniert. — Die Vorliebe für
gewaltige Gebäudemassen, die der Erzielung gesundheitlich tadelloser
Verhältnisse hinderlich war, begründete sich meist durch die Kostspielig-
keit des Baulandes. Doch auch die von 1870, bez. 1873, bis etwa 1878
auf fiskalischem Waldboden entstandene Albertstadt bei Dresden13, die
Militär-Bauten. 319
zur Zeit größte Kasernenanlage der Welt, zeigt in den älteren Teilen
fast ausschließlich sehr ausgedehnte Wohnungsanlagen. Die grundsätzliche
Verteilung eines ganzen Regiments auf demselben Baugrunde in kleine
Gebäudegruppen, z. B. für ein Bataillon und Einzelhäuser für Kompagnien,
begann mit den 1871 vollendeten Militärquartierhäusern zu Schwerin 14,
fand aber bisher wenig Nachahmung, so beispielsweise bei den Halb-
bataillonskasernen des 1. Pommerschen Grenadierregiments No. 2 zu
Stettin lft.
Im allgemeinen läßt sich nicht verkennen, daß seit der Mitte dieses
Jahrhunderts die Grundsätze der Gesundheitslehre auf den Kasernenbau
in den Kulturstaaten stetig wachsenden Einfluß gewannen, und daß ins-
besondere seit dem letzten Jahrzehnte die „Kaserne" mehr und mehr
aufhört mit der dreifaltigen Begriffsverbindung von Un wohnlichkeit,
Schmutz und Mephitismus zusammenzufallen. Wenn befriedigende Zu-
stände nicht allenthalben mit erwünschter Schnelligkeit zu erreichen
waren, so lag das zum Teil daran, daß durch die sich häufig über-
stürzenden Heervergrößerungen die Aufgabe mehr und mehr erschwert
wurde.
b)Lage und Baugrund.
An die Lage der Kaserne sind zunächst dieselben Anforderungen
zu stellen, wie an die eines gesunden Wohnhauses (vergl. 4. Bd. 2. Abt.
S. 537). Wird die Kaserne, wie es jetzt wohl meist geschieht, außerhalb
der Ortschaft auf freiem Gelände oder im Walde angelegt, so ist, worauf
M. Kirchner16 hinweist, die Entfernung vom Orte nicht unnötig groß
zu wählen. Gegen Ueberflutung mit dem anwachsenden Häusermeere
der benachbarten Stadt schützen rechtzeitige Bodenankäufe oder orts-
polizeiliche Bauverbote. Die unmittelbare Nachbarschaft eines großen
Uebungsplatzes erscheint dienstlich erwünscht und für Offiziere und
Mannschaften bequem, hat aber, was Forst17 betont, Bedenken hin-
sichtlich des Blendlichts einer großen unbebauten Bodenfläche und noch
mehr wegen des auf dieser sich bildenden Staubes. Man wird daher
von vornherein auf Zwischenlegung eines mit dichtem Gehölz und Bäumen
bepflanzten Landstreifens bedacht sein müssen.
Der Baugrund kommt hauptsächlich hinsichtlich der Malaria und
bei der Beseitigung der Abfallstoffe in Betracht. Es gelten hierbei die
allgemeinen Grundsätze (vergl. S. 537 ff. des 4. Bandes). Machen sich
bei Kasernenbauten Aufschüttungen nötig, so ist vom Unternehmer
die Ausführung mit einwandfreien Stoffen zu bedingen und von der
Aufsichtsbehörde zu überwachen.
c) Grundriß und Hof.
Allgemein verwirft man die Anordnung der Gebäude als geschlossenes
Viereck und den sog. Mittelkorridor. Trotzdem weisen zahlreiche
neue Kasernen und Lazarette den letzteren noch auf. Auch gestattet
ihn die Garnison-Gebäudeordnung (1. Teil § 5, 12) sogar in Wohn-
gebäuden. Man kann sich nicht so leicht von einem seit fast 2 Jahr-
hunderten üblichen Schema trennen, um so weniger, als es Ersparnis
an Baukosten verspricht.
Allerdings vermeidet man, zu beiden Seiten eines langen Ganges
Mannschaftsstuben (oder Krankenzimmer) anzuordnen, wohl aber führt
320
HELBIG,
man zwischen Geschäftszimmern, Wirtschaftsräumen, Wohnungen für
Verheiratete, Unterrichts- oder Putzzimmern und anderen Nebengelassen
einen Mittelgang hindurch. Es tritt dann häufig der Fall ein, daß bei
einer Heervermehrung diese Nebenräume doch zur Unterbringung von
Mannschaften benutzt werden müssen , zumal wenn für
die betreffenden Nebenzwecke besondere Häuser aufge-
führt werden. Auch das geschlossene Viereck fand beim
Kasernengrundrisse noch im ' vorigen Jahrzehnt, wie der
Lageplan (Fig. 1) der Infanteriekaserne zu Zwickau in
Sachsen zeigt, Anwendung. Allerdings lag das Gebäude
hoch und die Baulichkeiten an dessen vierter Seite waren
nur niedrig.
Fig. 1. Lageplan der Infanterie-Regiments-Kaserne zu Zwickau
im Mafsstabe von 1 : 3140.
£ x -b, r x, t e r
31,335^
13T52
Fig. 2. Grund
Kaserne im Mafsstabe
Grundsätzlich sollte das einzelne Mannschaftsgebäude unter Aus-
schluß der Küche nur eiDer Kompagnie Unterkunft gewähren. In diesem
Falle macht sich bei einem freistehenden Hause überhaupt kein längerer
Gang nötig, da in 3 Stockwerken (einschließlich des Erdgeschosses) bei
Zimmern für je 12 Mann alle Wohnräume von der Treppe aus zu er-
reichen sind. Wie auch kurze Gänge bei kleinen Gebäuden in falscher
Weise angebracht werden können, zeigt der beistehende Grundriß der
Infanteriekaserne No. III zu Hannover aus dem Jahre 1831.
Militär-Bauten.
321
Trennt man, wie es die Gesundheitspflege verlangt, Wohn-, Schlaf-
und Putzräume, oder steht die Kompagniekaserne nicht frei, sondern
zwischen anderen Häusern eingebaut, oder ist sie weniger als 3 Stock-
Mafsstab 1 : 600.
Fig. 3. 1. Obergestock der Kaserne No. III am Waterlooplatze zu Hannover.
werke hoch, so läßt sich ein Gang kaum umgehen, der auf die eine Seite
des Gebäudes, nie aber in dessen Mitte zu liegen kommt.
Längere Gänge werden nötig, wenn das mehrstöckige Gebäude bei
wenig Treppen mehr als eine Kompagnie aufnimmt. Man legt diese
Gänge auf die Hofseite, falls nicht bei freier und hoher Lage des Ge-
bäudes Rücksicht auf die herrschenden Winde, auf die Nordrichtung
oder sonst dem entgegensteht. Ein Beispiel eines solchen Ganges bietet
der Grundriß (Fig. 2) eines Flügels der oben erwähnten Zwickauer
Kaserne.
Wie verfehlt solche Anlagen auch vom Verwaltungsstandpunkte aus
sind, zeigte ein im Dachgestocke dieser Kaserne am 29. April 1897 aus-
gebrochenes Schadenfeuer, wobei trotz baldiger Entdeckung und emsiger
Abwehr durch geschulte Feuerwehren das Riesengebäude bis zum Keller
ausbrannte und Vorräte im Werte von mehr als einer Million Mark zu
Grunde gingen.
Die Stellung der einzelnen Bauten derselben Kasernenanlage zu
einander bei dem Blocksystem kann ebenso verschieden sein, wie dies
bei Krankenhäusern in derselben Bauweise der Fall ist.
Sind in derselben Anlage mehrere Kasernen unterzubringen, so er-
schwert das Anreihen der ausgedehnten Baulichkeiten an einer einzigen
Hauptstraße (in der Albertstadt bei Dresden beträgt die Länge der sog.
Heerstraße, an deren einer Seite 4 Regimentskasernen und einige andere
Militäretablissements liegen, über 3 km) den Verkehr, die Beschleußung,
322
HELBIG,
die Versorgung mit Gas und Wasser etc. Ebenso erscheint bei einer
einzelnen Kaserne die Anordnung aller Baulichkeiten in einer Reihe ebenso
unzweckmäßig wie häßlich; doch bilden andererseits weit hervorstehende
Flügel den Uebergang zur geschlossenen Bauweise. Stromeyer18 will
deshalb keine Flügel über 25 Fuß aus der Facade hervortreten lassen.
Ein Beispiel einer linearen Anordnung zeigt beistehender Grundriß (Fig. 4)
einer Grenadierkaserne in der Albertstadt bei Dresden. — Betreffs des
Abstandes der einzelnen Häuser sind die allgemein für Wohnungen
geltenden Grundsätze zu befolgen, insbesondere ist den Fenstern bewohnter
Räume ein Lichteinfallswinkel von 45 ° zu sichern (vergl. Bd. 4, S. 455).
An Hofraum bedarf die Kaserne erheblich mehr als das städtische
Wohnhaus (S. 457 des 4. Bandes), man rechnet mindestens doppelt
soviel als die bebaute Fläche. Doch ist diese Bemessung von der
Anzahl der Stockwerke, deren Belegzahl, der Waffengattung, der Nähe
des Uebungsplatzes etc. abhängig.
Die Kaserne pflegt man, wenn sie außerhalb des Ortes erbaut wird,
neuerdings mit Gärten auszustatten.
In der Albertstadt bei Dresden besitzt sogar jede Kaserne außer einem
Garten für Offiziere und Gartenland für Unteroffiziersfamilien, noch einen
Park für Mannschaften. Außer der Annehmlichkeit, die solche Anlagen ge-
währen, bieten sie den Vorteil, lästige Nachbarschaft fern zu halten und
Grundfläche für künftige Erweiterung der Wohnungsanlagen zu sichern.
Die Gewährung von etwas Gartenland für die in der Kaserne oder in
der Stadt wohnenden Unteroffiziersfamilien empfiehlt sich aus denselben
Gründen, aus denen man neuerdings in Städten derartige kleine Familien-
gärten seitens der Gemeinde oder milder Stiftungen beschafft.
Kasernengärten zu Nutzzwecken sind in Deutschland nicht üb-
lich; in Frankreich werden sie als: „potagers" empfohlen, jedoch wird
vor etwaigem Mißbrauche gewarnt 21. Auch die erwähnte österreichische
„Anleitung für den Neubau von Kasernen" 5 6 nimmt in § 415 „Mann-
schaftsgemüsegärten" in Aussicht.
Anpflanzungen verdecken oft zweckmäßig häßliche Winkel,
Schuppen, Latrinen u. dergl. Doch dürfen diese Pflanzungen nicht zu
Militär-Bauten. 323
dicht an das Mauerwerk heranreichen (Garnison-Gebäudeordnung, 1. Teil
§ 38, 8). Ueber Graswuchs auf flachen Dächern vergl. S. 746
des 4. Bandes, über Anpflanzungen gegen Malaria den 9. Band
dieses Werkes, sowie 1. Band, S. 223.
d) Wohngebäude für Mannschaften.
Hinsichtlich der Anforderungen an die freie Lage und den Bau-
stoff unterscheidet sich das Gebäude zur Unterbringung der Mannschaft
nicht von anderen Wohnhäusern. Die Zahl der Stockwerke darf
einschließlich des Erdgeschosses, auch wenn dieses unbewohnt bleibt,
zwei nicht übersteigen, während die deutsche Garnison-Gebäudeordnung
(§ 5 des 1. Teiles) drei bewohnte Geschosse zu nur 3,8 m Höhe
übereinander gestattet. Betreffs der Anforderungen an eine bequeme
und feuersichere Treppe ist dem in der 2. Abt. des 4. Bandes (S. 716)
Bemerkten betreffs der Kaserne kaum etwas hinzuzufügen.
Das Treppenhaus sollte, was man bisweilen unbeachtet läßt, der
weniger günstig gelegenen Seite der Anlage zugewiesen werden. Die
Garnison - Gebäudeordnung (a. a. 0). gewährt für jede Kompagnie eine
besondere Treppe von ausreichender Breite.
Auf den, wie erwähnt, thunlich zu mindernden langen Gängen
pflegt man Kleider zu reinigen, Stiefel zu wichsen, Aufstellungen, selbst
Exercier- und Zielübungen vorzunehmen; dies alles sollte aber im Hin-
blick auf die dadurch veranlaßte Stauberzeugung thunlich beschränkt
werden.
Die Benutzung des Dachraumes als W7ohnung tritt dort zurück,
wo man dem unschönen und unpraktischen Satteldache (oder gar Pult-
dache) das Altandach vorzieht.
Letzteres empfiehlt sich, aus wasserdichtem Stoffe (Cement) in
wagerechter, ebener Gestalt hergestellt, auch durch seine Billigkeit und
Feuersicherheit. Dagegen sind die aus Stilgründen bisweilen beliebten
ungewöhnlichen Dachformen zu verwerfen ; insbesondere bieten Ueber-
hängedächer im deutschen Klima keinen Vorteil.
Besonderer Beachtung verdienen bei der dichten Belegung der
Kaserne die Zwischenböden, die, wie S. 462 und 657 des 4. Bandes
für Wohnungen ausgeführt wurde, auch bei Kasernen lediglich aus
feuerbeständigem Stoffe unter Vermeidung von organischen Füllmateriale
bestehen sollten. Der Ersatz der hergebrachten hölzernen Balken durch
eiserne Träger erscheint für größere Kasernenneubauten schon zur
Minderung der erfahrungsmäßig hohen Feuergefährlichkeit solcher
Anlagen unerläßlich und bei richtiger Ausführung auf die Dauer kaum
teurer.
Die Unterkellerung wird häufig nur so weit vorgenommen, als
man Kellerräume zu Heizanlagen, Küchen, Vorratsgelassen, Kohlen-
behältern u. s. w. bedarf. Auf Gelände mit hohem Grundwasserstande
ist aber eine durchgehende Unterkellerung — abgesehen von den er-
forderlichen Isolierschichten — auch bei kleineren Wohngebäuden un-
erläßlich, während auf trockenem Grunde wenigstens größere Bauwerke
einer solchen Unterkellerung bedürfen.
9
324 HELBIG,
e) Mannschaftsstube.
Bezüglich der Mannschaftsstube bestimmt die deutsche und öster-
reichische Vorschrift, daß jedem Manne 4 1/2 m2 Grundfläche zu gewähren
sind. Es würde dies kaum zureichen, auch wenn darin nicht der Ofen
und die zur Unterbringung des Bettes, der Schränke und Tische
nötige Fläche enthalten wäre. In England gelten 9,9 m2 als Mindest-
fläche. Die Größe des Kasernenzimmers bemißt man in Deutschland
in der Regel auf 8 — 12 Mann.
Doch, gilt dies nur von neuen Anlagen, während solche Kasernen,
welche in alten Gebäuden nachträglich eingerichtet wurden, Stuben bis
32 Mann neben kleineren für 2 — 6 Bewohner enthalten. Im Interesse
der Wohnlichkeit kann man mit der früheren preußischen Vorschrift 19
eine Bewohnerzahl von 10 als oberste Grenze annehmen.
Ein eigentümliches Mittel, den Luftraum der Mannschaftsstuben durch
weite, nicht verschließbare, nach dem Seitengang gehende Oeffnungen zu
vergrößern, bewährte sich nach H. Hobrecht57 in Moskauer Kasernen
und wäre vielleicht in Anlagen mit Sammelheizungen auch bei uns ver-
wertbar. Bei ungeschickter Anwendung dürfte dadurch freilich die Wohn-
lichkeit beeinträchtigt werden.
Bei der geringen Raumbemessung bedarf das Kasernenzimmer einer
sorgsamen Lüftung, die einen in der Stunde mindestens einmaligen
Luftwechsel sichert. Am besten geschieht dies durch Sammelheizungen,
die neben wirtschaftlichen Vorzügen den Vorteil der Staubverminderung
gegenüber den gewöhnlichen Oefen gewähren und 17—19° C. Zimmer-
wärme erzeugen sollen.
Da derartige Heizanlagen, die bisher in Deutschland nur bei den
sächsischen Kasernen eingeführt wurden, eine hinreichende Lufter-
neuerung lediglich während der Zeit, wo geheizt wird, bewirken, so
müssen Hilfsmittel der natürlichen Ventilation, wie Kippfenster, Glas-
jalousien u. dergl. außerdem vorgesehen sein (vergl. S. [696 ff. des
4. Bandes).
Die Beleuchtung der Mannschaftsstuben durch Fenster bietet
gegenüber anderen Wohnungen kaum etwas Besonderes.
Die in den Kasernen weit verbreitete Gepflogenheit , einzelne
Fenster mit Schränken zu verstellen, um einen Raum für Unteroffizieren
abzusondern, macht selbstredend die besten baulichen Vorkehrungen un-
wirksam. Zur künstlichen Beleuchtung gewährt die deutsche Gar-
nison-Gebäudeordnung für je 10 Mann eine Hängelampe und für je 2
Unteroffiziere eine Stehlampe.
Die Wände der Zimmer in Kasernen bedürfen mehr als sonst der
Abrundung der Ecken zur Vermeidung von Staubansammlungen.
Tapeten sind unzulässig; dem in Deutschland vorgeschriebenen
Kalkanstriche ist ein Oelanstrich wenigstens bis zur Manneshöhe vor-
zuziehen.
Militär-Bauten. 325
Einer besonderen Beachtung bedarf der Fußboden. Dieser ist
durch die eisernen Stiefelbeschläge der Mannschaften mehr als in anderen
Wohnungen der Abnutzung und dort, wo besondere Putz- und Wasch-
räume fehlen, auch der Beschmutzung und Durchfeuchtung im hohen
Grade ausgesetzt.
Da Stein- oder Cementboden aus klimatischen Gründen in Deutsch-
land eines kostspieligen Linoleumbelags bedarf, so ist man auf hölzerne
Dielung angewiesen, deren Uebelstände S. 670 des 4. Bandes hervor-
gehoben werden. Die üblichen Fußbodenanstr i che sind für Kasernen
zu wenig haltbar, besser bewährt sich das Tränken mit siedendem
Leinöle. So behandelte Dielen kann man an Stelle des üblichen Scheuerns
nach oberflächlichem Abfegen mit nassen Tüchern abwaschen, und es
läßt sich dabei ein hoher Grad von Reinheit und und Staubfreiheit er-
zielen. Jedoch muß das Tränken jährlich mindestens einmal erneuert
werden. Auch der von Schaff er20 angegebene, in Oesterreich und
Prankreich mit gutem Erfolge erprobte Teer anstrich bedarf einer
jährlichen Wiederholung. Er hat den Nachteil eines dunklen Aussehens,
soll aber billig sein, eine leichte Reinigung durch Aufwischen gestatten,
das Ungeziefer beseitigen und den eigentümlichen Kasernengeruch ver-
decken. Unter dem Namen „Coaltarisation" (von coal, Kohle, und tar, Teer,
teeren) wurde das Verfahren durch das oben (S. 318) erwähnte Rund-
schreiben 2 * im französischen Heere eingehend bekannt gemacht und
neben der Anschaffung von Fußabstreichern zur Einführung empfohlen,
jedoch der hohen Kosten wegen nicht vorgeschrieben.
Von der Ausrüstung der Mannschaftsstube bietet die Unterbringung
der Lagerstätten überall da, wo keine besonderen Schlafräume zur
Verfügung stehen, erhebliche Schwierigkeit. Das vorschriftsmäßige Bett
nimmt etwa 1 1/2 m2 Bodenfläche in Anspruch; da es der Lüftung
wegen etwa i/3 m von der WTand abstehen soll, so beengt es den ohne-
hin beschränkten Raum tagsüber in störender WTeise. Man stellt des-
halb, wie auf Schiffen , mehrere Lagerstellen übereinander; zur Ver-
hütung von Unfällen ist ein dreifaches Aufeinanderschlafen ver-
boten 22.
In England richtete man die eisernen Bettstellen zum Zusammen-
schieben ein, wobei am Tage das Bettzeug zusammengerollt am Fußende
liegt. In Spanien und sonst stellt man die unbenutzten Betten senk-
recht an die Wand. Auch zog man sie, wie den lit hamac (siehe S. 343),
mit Schnüren an die Zimmerdecke u. s. w. Ueber das deutsche Kasernen-
bett siehe S. 327.
Bei der Wahl des Materials für die Betten und die sonstige
Zimmerausrüstung ist auf die Verhütung des Einnistens von Insekten,
insbesondere von W7anzen, Rücksicht zu nehmen.
Wesentlicher als die Art der Ausrüstung der Stuben mit Schränken,
Tischen, Stühlen, Gardinen, Spucknäpfen u. s. w. erscheint der Erlaß
von Verhaltungsvorschriften und die Aufsicht über deren Be-
folgung.
Die Einzelheiten der einschlagenden Bestimmungen sind je nach der
Oertlichkeit, der Waffengattung, der Zimmereinrichtung, den vorhandenen
326 HELBIG,
Nebenräumen u. s. w. verschieden; es muß in dieser Hinsicht auf die
militärischen Werke und die dienstlichen Vorschriften verwiesen werden.
f) Andere Räume für Mannschaften.
a) Schlafsaal.
Besondere Schlafräume , die eine Erhöhung des für jeden Mann
von der Garnisongebäudeordnung 2 3 in Deutschland gewährten Luft-
raumes von 15 bis 16 m3 auf mindestens 20 m3 und der Fußboden-
flache von 41j2 auf mindestens 7 m2 bedingen, sind eine Forderung der
Gesundheitspflege, die überall da, wo nicht kleine Abteilungen in Einzel-
gebäuden untergebracht sind, zur Geltung kommt. Denn in den großen
Kasernengebäuden kann die am Tage durch Staub verunreinigte, mit
Tabaksqualm erfüllte , dicht belegte Mannschaftsstube trotz aller Maß-
nahmen und Vorschriften auf die Dauer keinen zum Schlafen geeigneten
Raum bieten. Nur getrennte Schlafsäle lassen sich tagsüber gehörig
lüften und reinhalten. Ihre Anlage, die nach § 12 der deutschen
Garnison-Gebäudeordnung in jedem einzelnen Fall der Genehmigung des
Kriegsministeriums unterliegt, muß die allgemein an gesunde Wohn-
räume gestellten Anforderungen erfüllen, die hier nicht im Einzelnen
zu wiederholen sind. Schwierigkeit bietet die hinreichende Lüftung,
die um so nötiger erscheint, als der Aufenthalt im Schlafraum an-
haltender und regelmäßiger zu sein pflegt als beispielsweise der im
Theater, in der Schule und für gewöhnlich selbst der Verbleib im Wohn-
zimmer. Zur Förderung des natürlichen Luftwechsels erhalten die
Schlafsäle, soweit thunlich, an zwei gegenüberliegenden Seiten Fenster;
diese kann man, wenn man die Enden freistehender Gebäude oder
deren Flügel benutzt, auch an drei Seiten anbringen. In der Albert-
stadt bei Dresden haben einzelne Säle sogar an allen vier Seiten Fenster.
Letztere sollten bei freier Lage des Gebäudes in unserem Klima an
der Wetterseite mit Doppelfenstern versehen sein , auch, falls das Ge-
bäude eine Sammelheizung hat, bis auf mindestens + 12 ° C. erwärmt
werden.
Versäumt man dies, so zeigen sich leicht Uebelstände. Die am Tage
ausgekühlten Wände verdichten den von den Schläfern ausgeatmeten
Wasserdampf und werden feucht. Dies hindert u. a. den natürlichen
Luftwechsel durch die Poren des Mauerwerkes. Man findet dann gegen
Morgen die von Leo24 erwähnte erhebliche Vermehrung der Kohlen-
säure in der Saalluft. Ferner zeigen sich die Mannschaften zumeist gegen
Frost und Erkältung empfindlicher als gegen verdorbene Luft, deren
Schädlichkeit sie nicht sofort wahrnehmen und deren Geruch sie gewohnt
sind. Sie suchen sich deshalb vor der Kälte durch Verhängen der
Fenster mit Strohmatten, Verstopfen der Spalten mit Moos, auch dadurch,
daß sie sich angekleidet schlafen legen u. s. w., zu schützen. Nicht
selten zeigt die ärztliche Statistik, daß nach dem Ersätze eines alten
mangelhaften Kasernements durch ein neues, ungleich besseres die Er-
krankungshäufigkeit nicht, wie man erwartete, geringer wird, sondern
sogar durch Zunahme der durch Erkältung veranlaßten Krankheitsfälle *)
steigt.
*) Nach Petrin25 soll mit dem Pavillonsystem, bez. durch die Decentrslisation
bei Kasernen in Deutschland (ähnlich wie in Indien, England, Oesterreich- Ungarn und
Militär-Bauten. 327
Als Lage des Schlafsaals wählte man bei den Kasernen des
früheren hannoverschen Heeres die Nachbarschaft der Mannschaftstuben,
während man in Sachsen oft ein darüber befindliches Stockwerk vorzieht.
Die Größe darf der Wohnlichkeit wegen und im Hinblick auf die
Störung durch später Eintreffende oder früher Ausrückende nicht zu
hoch, keinesfalls auf über 100 Schlafstätten bemessen werden, während
neuere Kasernen bis über 200 in einem Saale vereinen.
Die Bettstellung und die Ausrüstung sind kaum von all-
gemeiner Bedeutung. Bezüglich der Art der Lagerstätten schreibt die
deutsche Garnison-Gebäudeordnung eine eiserne Bettstelle von 1,5 m2
Bodenfläche (bei 1,9 m Länge und 0,79 m Breite) vor. Als Bettunter-
lage dient ein Strohsack und ein mit 1 1/2 kg Roßhaaren gefülltes Kopf-
polster, zum Bedecken aber eine nahtlose 2,34 m lange, 1,33 m breite
und 2,1 kg schwere Wolldecke, die vom Oktober bis Mai verdoppelt,
bei Bedarf verdreifacht (bisweilen verfünffacht) werden muß.
Die Einwände, welche man militärischerseits gegen abgesonderte
Schlafräume machte, nämlich die Vermehrung der Reinigungsarbeit bei
zwei getrennten Räumen, die Abnahme des Interesses des Soldaten an
seiner Wohnung bei Tage und die Möglichkeit, bei plötzlichem Bedarfe
beide Räume mißbräuchlich als Truppenunterkunft zu benutzen, erwiesen
sich nach jahrzehntelanger Erfahrung als unzutreffend. Den einzigen
ernstlichen Einwurf, der gegen Schlafräume vorliegt, bilden die ver-
mehrten Geldkosten. Er kann aber, wie erwähnt, nur dann als stich-
haltig gelten, wenn, wie in England, die geringe Ausdehnung des Hauses
an sich die Durchführung gesundheitlicher Maßnahmen überhaupt er-
leichtert. Sonst sind solche Unkosten, die eine Verbesserung ungünstiger
Gesundheitsverhältnisse herbeiführen, eine, um einen Ausdruck Arnould's9
zu gebrauchen, „für das öffentliche Vermögen sehr günstige Kapital-
anlage".
ß) Wasch- und Putzstube.
Schon in den alten Kasernen pflegte bisweilen zum Putzen der
Waffen und des Lederzeuges, sowie zum Kleiderreinigen jeder Kom-
pagnie ein besonderer Raum im Keller oder im Erdgestock zuge-
wiesen zu werden. Die deutsche Garnison-Gebäudeordnung (I, § 35)
bewilligt hierzu jeder Kompagnie 45 m2 Fläche.
Bei neueren Kasernenanlagen findet man hie und da ohne ersicht-
lichen Grund die günstigst gelegenen Eckzimmer als Putzraum ver-
wendet. Zweckmäßig legt man letzteren nach dem Hofe zu oder sonst
an die abgelegenste Stelle, dabei jedoch thunlich nahe an die Wohnräume.
Eür die Reinlichkeit der Wohnstuben erscheint es nötig, auch das Stiefel-
wichsen und das Waschen der Hände und des Gesichts in die Putz-
Frankreich) die Sterblichkeit, die in alten Kasernen ll%o betrug, in neuen auf 9 %o
gesunken sein. Da in Deutschland, wie oben erwähnt, die neuen Kasernen im allgemeinen
ebensowenig, wie die alten, decentralisiert sind , so wären diese Zahlen wohl anders zu
deuten, soweit man überhaupt einer so allgemeinen Statistik ohne nähere Angabe der be-
treffenden Jahre und der Quelle Wert beilegen darf. Dafs Decentralisation nicht gleich-
bedeutend mit Salubrität ist, zeigen die Dem ml er 'sehen (S. 319 erwähnten) Militär-
Quartierhäuser zu Schwerin, die in getrennte Kompagnieblocks zerfielen, aber nach Rich-
ter7 nur 8,8 ms Luftraum jedem Bewohner gewährten.
13
328 HELBIG,
räume zu verweisen und diese entsprechend auszurüsten. Als Ersatz der
Putzräume legte man hie und da offene Galerien an, was im deutschen
Klima während des Winters zu Unzuträglichkeiten führt. Ebensowenig
ist das Putzen auf der Treppe oder in einem geschlossenen Korridor
wegeri des entstehenden Staubes, der von da aus in die Wohnräume
dringt, bei Kasernements rätlich.
y) Speise-, Unterrichts- und Uebungssäle.
Leichter als Schlaf- und Putzräurae lassen sich Speisezimmer
entbehren. Immerhin aber macht sich deren Einrichtung bei großen
Kasernements aus naheliegenden Gründen erwünscht. Da die Speise-
säle viel Raum beanspruchen und sich nicht leicht zu anderem Zwecke,
wie z. B. zum Unterrichte, benutzen lassen, so bestimmt die Garnison-
Gebäudeordnung (I, 18), daß der Mannschaftsspeisesaal so bemessen
werde, daß nur die Hälfte der darauf Angewiesenen gleichzeitig essen
kann, wobei auf den Kopf 0,75 m2 Grundfläche zu rechnen sind.
Räume für theoretischen Unterricht kommen vorwiegend bei
den Spezialwaffen in Betracht und unterliegen den Anforderungen, wie
Schulen überhaupt (vergleiche Bd. 7, S. 51—181).
Auch die Infanteriekaserne bedarf für die Kapitulantenschule eines
besonderen, auf den Bedarf eines Bataillons eingerichteten und meist von
den Musikern mit benutzten Unterrichtssaals. M. Kirchner16 ver-
wirft den Gebrauch, wonach die theoretische Unterweisung in überfüllten
Wohn- und Schlafstuben vor stehenden oder auf Schemeln ohne Lehne
sitzenden Leuten abgehalten wird. Solange nicht die Mittel des deut-
schen Staatshaushaltes eine allgemeine Einrichtung von Unterrichtssälen
gestatten , wie sie einzelne sächsische , französische , dänische , schwe-
dische u. s. w. Kasernen besitzen , empfiehlt sich die in Oesterreich-
Ungarn übliche Benutzung des Speisesaales zum Mannschaftsunterricht.
Für den Exerzierraum gelten dieselben Anforderungen wie an
die Turnhalle (vergl. 4. Bd., S. 939, und 7. Bd., S. 174—176), als
welche er meist gleichzeitig benutzt wird. Die Größe bemißt sich
hauptsächlich nach der Rekrutenzahl; letztere stieg durch die Ein-
führung der 2-jährigen Dienstzeit erheblich.
Da ein Bataillon gegen 1000 m8, ein Regiment mehr als das Doppelte
an bedecktem Exerzierraum bedarf, so legt man ihn fast ausnahmslos in
ein besonderes Exerzierhaus.
6) Krankenstube.
Die Frage, ob eine Kaserne Krankenstuben erhalten soll, erscheint
in allgemein hygienischer Hinsicht von Bedeutung.
Die größte Ausbildung erhielt diese Einrichtung in Frankreich, wo
die infirmerie bis auf Ludwig XIV. das Militärlazarett ersetzte und 1838
unter Soult eine moderne Gestalt bekam. Meist im eigenen Gebäude
untergebracht, faßt sie 21/2 — 3 Proz. der Mannschaftsstärke. Sie nimmt
auch Geschlechtskranke auf und ist mit Besuchszimmer, Bad u. s. w.
ausgestattet. Nach Morache26 . bewirkt die Unbestimmtheit des Be-
14
Militär-Bauten. 329
griffes : „leicht" bei Erkrankungen, daß manche Truppenärzte nur wenig
Kranke in die Infirmerie aufnehmen, während andere Aerzte die ihrige
zu einem vollständigen Krankenhause ausbilden.
Nicht zu verwechseln mit der Kasernenkrankenstube sind die eng-
lischen Regiments lazare tte , die österreichischen, gemäß der Vorschrift
vom 18. Dezember 1873 eingerichteten Maroden häuser, die deutschen
Hilfslazarette u. s. w. Auch ist davon zu unterscheiden der in
jeder Kaserne nötige Raum, worin der tägliche Revierkrankendienst statt-
findet, der nach der deutschen Friedens-Sanitätsordnung (§ 16, 4) nicht in
der Krankenstube abgehalten wird.
Nach mancherlei Schwankungen wurden in Deutschland reglemen-
tarisch die Versuche mit Revierkrankenstuben im Frühjahr 1873 auf-
gegeben. Als aber bei den späteren plötzlichen Heervermehrungen die
seit dem 26. Januar 1868 von 62/3 Proz. auf 5 Proz. der Garnisonstärke
herabgesetzte Normalkrankenzahl der Friedenslazarette nicht mehr inne-
gehalten werden konnte und schließlich noch weiter (bis auf 4 Proz.)
vermindert wurde, so machte sich die Wiedereinrichtung von Kranken-
stuben in den Kasernen nötig, deren Ausrüstung u. a. durch die Bei-
lage 3 zu § 16, 1 der erwähnten Friedens-Sanitätsordnung bestimmt wurde,
Diese Stuben sind auf l1/^ Proz. der Truppenstärke bemessen und gewähren
für das Bett nur 20 m3 Luftraum. Sie stellen Notbehelfe dar bis dahin,
wo der Staatshaushalt die Wiederstellung einer höheren Normalgröße
der Krankenhäuser gestattet. Ihre Nachteile liegen in der Unthunlich-
keit der Beschaffung einer angemessenen Krankenverpflegung , in der
Verschleppung mancher Erkrankungsfälle, die bei einer geordneten Laza-
rettbehandlung von vornherein günstiger verlaufen wären, in der Zer-
splitterung ärztlicher und pflegerischer Kraft, in der Raumentziehung zum
Nachteile der gesunden Mannschaften, in der Ansteckungsgefahr bei Irrung
in der Diagnose u. s. w. Beispielsweise berichtete über Scharlachan-
steckung durch Krankenzimmer in Kasernen Eklund54.
g) Sonstige Wohnungen.
Die Offiziere und Beamten sind in der Friedensgarnison zu-
meist auf Selbstmieten oder auf das Bewohnen eigener Häuser gegen
Empfang von Servis und Wohnungsgeld angewiesen. In Deutschland
wird in der Regel für jede kasernierte Kompagnie (Eskadron, Batterie)
nur eine Offizierswohnung und für jedes Infanteriebataillon eine Assi-
stenzarzt wohnung (laut § 1 des 1. Teils der mehrerwähnten Garnison-
Gebäudeordnung) vorgesehen. Beiderlei Wohnungen sind für Ledige be-
stimmt und haben eine besondere gesundheitliche Wichtigkeit ebensowenig
wie die Unteroffizierstuben. Letztere werden nach der Art der Mann-
schaftsstuben, aber geräumiger hergestellt und der Dienststellung ent-
sprechend vollständiger ausgestattet.
Bei der Unterbringung Verheirateter zeigen sich mehrfach
Schwierigkeiten. Zunächst schwankt die Kopfzahl einer Familie. Es
trägt dem zwar die Anmerkung zu § 44, 1 des 1. Teils der Garnison-
gebäude-Ordnung Rechnung; immerhin kann aber die Vergrößerung einer
Familienwohnung in einer fertigen Kaserne meist nur auf Kosten anderer
berechtigter Interessen geschehen. Sodann zeigen Kinder eine größere
Empfänglichkeit für akute Exantheme und für Diphtherie und erhöhen
deshalb in der Kaserne andauernd die Gefahr der Seucheneinschleppung.
330 HELBIG,
Allerdings darf der Arzt selbst Kinder, die von einer ansteckenden
Krankheit befallen sind, aus der Kaserne zwangsweise entfernen lassen,
jedoch nur dann, wenn in einem Civilkrankenhause entsprechende Unter-
bringung möglich ist27 ; er setzt sich dabei aber leicht dem Vorwurfe der
Unmenschlichkeit aus und bewirkt, daß künftig derartige Krankheitsfälle
nach Möglichkeit verheimlicht werden.
Es wurde deshalb in Deutschland die Zahl der Wohnungen für
Verheiratete auf 2 für jede Kompagnie beschränkt, die in einem be-
sonderen Gebäude (§ 4, 4 des 1. Teiles der Garnison-Gebäudeordnung)
vereinigt werden. Davon ausgenommen sind nur die möglichst in der
Kaserne selbst unterzubringenden, verheirateten Feldwebel und Wacht-
meister.
M. Kirchner16 stellt an die Wohnung für einen verheirateten
Unteroffizier dieselben Anforderungen wie an eine Arbeiterwohnung (s.
4. Band, S. 870) und verlangt je eine Stube, zwei Kammern, eine Küche
mit Speisekammer, Dachbodenraum, zwei kleine Keller, einen Abort, ein
Stück Gartenland, auch für je vier solche Wohnungen eine Waschküche
mit Rollkammer.
h) Wirtschafts- und Reinlichkeitsanlagen.
ß) Wasserversorgung.
Die Kaserne wird, falls der Garnisonort eine Leitung mit hin-
reichend reinem Wasser besitzt, zweckmäßig dieser angeschlossen, und
zwar versorgt man womöglich auch die oberen Stockwerke.
Abgesehen von dem Wegfalle des Wassertragens, das die bei der
kurzen Dienstzeit für den kriegerischen Beruf zu sparenden Kräfte der
Mannschaften unnötig in Anspruch nimmt, fördert man durch eine Ver-
sorgung aller Stockwerke mit Wasser die Reinlichkeit der Menschen und
Räume, auch wird eine Klosettspülung ermöglicht und die Feuersicherheit
erhöht. Zu letzterem Zwecke versieht man die Auslaufhähne mit Ge-
winden zum Anschrauben von Schläuchen.
Die deutsche Garnison-Gebäudeordnung (1. Teil, § 40, 3) gestattet
aber ohne besondere Genehmigung nur die Versorgung der Küche, der
Waschanstalt und des Bades mit Leitungswasser; für den sonstigen
Wasserbedarf dienen Wasserstöcke und Feuerhydranten auf dem Kaser-
nenhofe.
Die Brunnen auf den Höfen sind besonders bei berittenen Truppen
in Gefahr, durch Jauche verunreinigt zu werden. Sie bedürfen deshalb
einer fortwährenden technischen, chemischen und bakteriologischen Be-
aufsichtigung, die in Deutschland durch die Verfügungen des preuß.
Kriegsministeriums u. s. w. vom 11. März 1890 eingehend angeordnet
wurde. Cy Sternen kommen in Deutschland im Frieden bei mili-
tärischen Anlagen kaum zur Benutzung.
Der Wasserbedarf wird verschieden angegeben. Man kann ihn
auf mindestens 50 1 täglich für einen Mann und ebenso hoch für ein
Pferd beziffern. Dabei sind aber Bäder, Klosettspülung, sowie Sprengung
der Wege und Pflanzungen nicht gerechnet. Auch ist der Bedarf bei
Schadenfeuer zu berücksichtigen.
16
Militär-Bauten. 331
Als zutreffend führt man häufig die Angabe von Parkes28 an,
wonach auf jeden Soldaten in England täglich zu rechnen sind : für die
Küche 1, Waschzimmer und Bad 4, Kasernenreinigung 21/4, Wäsche
u. s. w. 21/2, zusammen 93/4 Gallonen = 44 Liter und außerdem bei
vorhandenen Wasserklosetts 5 Gallonen == 22 Liter. Vergl. auch S. 426
des 1. Bandes.
ß) Küche, Schlachthaus.
Die Kasernenküchen zerfallen in solche für die Mannschaften, die
Unteroffiziere und die Offizierspeiseanstalt. Aus Verwaltungsrück-
sichten und zur Verhütung von Mißbrauch, worauf Forst17 aufmerk-
sam macht, sind diese Küchen ebenso wie die dazu gehörigen Schlächte-
reien thunlich zu trennen. Diese notwendige Trennung und die Schwierig-
keit, warme Speisen auf weite Entfernungen fortzuschaffen, geben häufig
Anlaß, die Küchen in den Wohngebäuden unterzubringen. Die Garnison-
Gebäudeordnung (1. Teil, § 16, 1) gewährt für die Mannschaftsküche
eines Bataillons oder Kavallerieregiments 60 — 80 m2. Man legt sie ge-
wöhnlich in das Erdgeschoß.
Selbst die besten technischen Vorkehrungen, wie Dampfkochtöpfe,
Dunstabzüge, Exhaustoren und andere mechanische Lüftungsvorrichtungen,
hindern erfahrungsgemäß das Eindringen von Wasserdampf und Ge-
rüchen in die oberen Stockwerke auf die Dauer nicht. Es sollte des-
halb ein besonderes Gebäude, welches den Speisesaal, das Bad, Vorrats-
räume u. s. w. mit umfassen kann, für jede größere Küche vorgeschrieben
sein. Ist in diesem Gebäude der Speisesaal nicht mit unterzubringen, so
soll ein gedeckter Gang die nötige Verbindung herstellen.
Die Küchen- Ausstattung wurde in den letzten Jahrzehnten
durch maschinelle Erfindungen und durch Verbesserungen im Heizwesen
vielfach verändert, während die Fortschritte der Chemie auf den Küchen-
betrieb kaum Einfluß hatten.
Auf beides kann an dieser Stelle ebensowenig eingegangen werden,
wie auf die baulichen Einzelheiten betreffs der feuersicheren und wasser-
dichten Fußböden , Wände und Decken , der Wasserabläufe , der Vor-
kehrungen zur Entfernung des Wrasens u. s. w. Vergleiche darüber:
Band 4, S. 765 ff., ferner über den Betrieb der Militärdampfküche die
Einzelschrift von Neree 2 9 .
Die Kasernenküche dient häufig zur Ausbildung einer Anzahl Mann-
schaften im Kochen, damit im Kriegsfalle auf dem Freilager die Speisen
in zweckmäßigerer Weise als sonst bereitet werden können.
Zur Reinhaltung der Luft in der Kaserne bedarf der Küchen -
betrieb einer fachkundigen Aufsicht, insbesondere sind Gestank er-
zeugende Verrichtungen, die der Unternehmer zu eigenem Xutzen darin
vornimmt, wie das von Forst17 erwähnte Seifenkochen, zu verbieten.
In demselben Gebäude mit der Küche vereinigt man zweckmäßig
die Kantine oder Marketenderei. Jedes Bataillon und Kavallerie-
regiment erhält nach der Garnison-Gebäudeordnung (1. Teil, § 20) eine
solche mit 20 — 25 m2 Grundfläche für das Verkaufsgelaß, einer Vor-
ratskammer, Keller und Marketenderwohnung.
Handbuch der Hygiene. Bd. VI. 22
17
332 HELBIG.
Militärische Schlachthäuser giebt es in Deutschland nur für
sächsische und vormals französische Garnisonen (Metz, Straßburg).
Sie bewährten sich im Betriebe : in gesundheitlicher Beziehung bieten
sie gegenüber anderen Schlachtanstalten (S. 23 — 78 dieses Bandes)
nichts Eigentümliches. M. Kirchner16 spricht sich über Garnison-
schlachthäuser lobend, Petrin25 über die sächsischen, die er irrig für
Eleischer-Ausbildungs- oder Uebungsanstalten hält, mißfällig aus.
y) Bad, Waschhaus.
Bäder fanden vor Einführung der sogenannten Douchen nur
vereinzelt in Kasernen Eingang, da Schwimmbassins zu erhebliche
Kosten beim Bau und Betriebe verursachen, "Wannen aber neben den-
selben Nachteilen noch den der Langsamkeit bei der Benutzung zeigen.
Der Ab- und Zulauf des Wassers erfordert allein etwa x/4 Stunde
Zeit, so daß in einer Wanne stündlich höchstens 3 Mann baden können.
Schon 1861 beschrieb Dunal30 die Brause-Einrichtung einer
Kaserne in Marseille. Die ersten derartigen Anlagen in Deutschland scheinen
die Kaserne des 1. Garde-Ulanenregiments zu Potsdam und die Schützen-
kaserne in der Albertstadt bei Dresden um das Jahr 1871 erhalten zu
haben. Die Garnison-Gebäudeordnung (1. Teil, § 37) gewährt für jedes
Bataillon oder Kavallerieregiment 8 — 12 Brausen mit je 5 m2 Grund-
fläche, wovon 3m2 auf den Ankleideraum kommen. Alle Brausen in
derselben Kaserne sind thunlich in einer Badeanstalt zu vereinigen.
An letztere sind in gesundheitlicher Hinsicht dieselben Anforderungen
wie an Volksbäder (siehe S. 83 — 111 dieses Bandes) zu stellen.
Ebensowenig bieten die zum S chwinim -Unterrichte erforderlichen
militärischen Badeanlagen an Flüssen oder Seeen in baulicher Hinsicht
Besonderheiten ; obwohl deren Betrieb, zumal der des Sprungturmes,
zu Schädigungen und Todesfällen bisweilen Anlaß giebt. Dampfbäder,
die in Rußland als wöchentliches Bedürfnis auch in den Kasernen vor-
handen sind, hält man sonst für Militärwohnungen entbehrlich.
Größere Garnisonen pflegen die Mannschaftswäsche in besonderen
Garnison-Waschanstalten mit maschinellem Betriebe reinigen zu
lassen ; es erfolgt alsdann in der Kaserne nur die Besorgung der Wäsche
der Unteroffiziersfamilien. Sonst erhält nach der Garnison-Gebäude-
ordnung (1. Teil, § 33) der Truppenteil zum Selbstbetrieb eine Wasch-
küche im Kellerraum eines für Wirtschaftszwecke bestimmten Gebäudes,
außerdem jedes kasernierte Bataillon eine Rollkammer und jede Kom-
pagnie einen Dachbodenraum zum Trocknen.
Hygienische Besonderheiten bieten diese Räume, falls nur die Wasch-
küche außerhalb des Wohngebäudes liegt und die Entfernung des Schmutz-
wassers genügend vorgesehen ist, kaum. Da ein Bataillon täglich über
50 kg Schmutzwäsche liefert und bei 200 kg die Maschinenbehandlung
bereits 1 Pferdestärke erfordert, so erscheint schon bei einer Garnison-
stärke von einigen Regimentern der gesundheitlich wünschenswerte An-
staltsbetrieb auch hinsichtlich der Kosten vorteilhaft.
iS
Militär-Bauten. 333
d) Desinfektion.
Roth und Lex raten, das in jeder Garnison erforderliche Des-
infektion s z i nun e r in einer Kaserne anzulegen. Zweckmäßiger er-
scheint dessen Unterbringung im Garnisonlazarette.
Da es sich in Kasernen, neben der eigentlichen Desinfektion, häufig
um Vertilgung von Ungeziefer in Kleidern und Geräten handelt, so
ist bei der Desinfektionsanstalt ein kleiner Raum erwünscht, dessen Luft
andauernd auf 60 — 70° erwärmt werden kann. Auf diese Weise lassen
sich ohne jede Beschädigung Kleider von Läusen, Lederstücke und Möbel
von Würmern, Polster von Motten, Betten von Wanzen u. s. w. befreien,
vorausgesetzt, daß die Einwirkung der heißen, trocknen Luft bei größeren
Stücken mindestens 24 Stunden anhält.
Größere Desinfektionsvorkehrungen machen sich in Kasernen bei
Unterbringung von Mannschaften, die wegen des Ausbruchs einer Seuche
von auswärts verlegt werden, und bei anderen Anlässen nötig. Für
solche Fälle kann die von Th. Petruschky31 während des Krieges
1870/1 im Zeughause zu Stettin angegebene Desinfektions- und Iinpf-
Anstalt 3 2 hinsichtlich des Grundrisses auch heute noch als Vorbild
dienen.
e) Abfallbeseitigung.
In den meisten Ländern bildeten die Abtritte eine Schattenseite
selbst salubrer Kasernements. Allerdings sind hier infolge des engen
Zusammendrängens der Bewohner die Schwierigkeiten der Abfallbe-
seitigung größer als bei den meisten anderen Wohnungsanlagen.
Was zunächst den Harn betrifft, so behält auch die neue deutsche
Garnison-Gebäudeordnung (1. Teil, § 36, 2) den hergebrachten „Urinier-
eimer" von 20 1 Inhalt bei, den sie am Tage zusammen mit den Nacht-
stühlen für Offiziere in einem gut gelüfteten und unmittelbar von außen
beleuchteten Gelasse unterbringt.
Diese Geräte machen sich nötig, wo die Abtritte aus den Wohn-
gebäuden auf die Höfe verwiesen werden. Legt man dagegen, was
hygienisch unbedenklich erscheint, die Abtritte in weit vorspringende
Risalite oder in Flügel des Wohngebäudes, so lassen sich Nachtstühle für
Gesunde entbehren und die Uriniereimer bei Bedarf durch einige Nacht-
töpfe ersetzen. Diese werden von Männern beim Gebrauche in die Hand
genommen und beugen dem Danebenlaufen des Harns besser vor als
feststehende Eimer, auch wenn letztere nach der Garnison-Gebäudeordnung
(1. Teil, Beilage C zu § 43, S. 87) zu diesem Zwecke mit hölzernem
Untersatze versehen sind. Die Reinhaltung der Nachtgeschirre macht,
falls diese am Tage mit reinem Wasser gefüllt aufbewahrt werden
und aus Steingut gefertigt sind, kaum mehr Schwierigkeit als die der
Eimer und der dazu gehörigen Untersätze.
Die Pissoire wurden wiederholt (2. Bd. 1. Abtlg. S. 110—112,
269, und 2. Abtlg. S. 190—191; 7. Bd., S. 193—196) eingehend be-
sprochen und durch Abbildungen erläutert. Bei Anlagen in den oberen
Stockwerken bleibt dem Einfrieren im Wiuter durch Einlegen eines
Rohres der Sammelheizung oder sonst vorzubeugen.
09 *
19
334 HELBIG,
Die Abtritte wurden an den angeführten Stellen und in Band 4,
S. 780, 883, behandelt. In Kasernen darf ihre Zahl nicht zu gering sein,
da die Gleichartigkeit der Lebensweise auch eine ziemliche Gleich-
zeitigkeit der Darmentleerung bei der Mehrzahl der Bewohner bewirkt.
Die Garnison-Gebäudeordnung (Teil 1, § 42) bewilligt für je 20 Mann
einen Sitz, welcher Forderung in älteren Kasernen nicht immer
genügt ist.
Der Sitte den Kot nicht sitzend, sondern nach Art vieler Slaven
und Romanen, kauernd zu entleeren, tragen in Frankreich ein paar Fuß-
stapfen, die neben einem Loche in dem asphaltierten Fußboden angebracht
sind, als latrines ä la turc Rechnung, während man in Deutschland das
Aufsteigen auf die Brille durch Vorneigung der Rückwand des Abtritts
zu hindern suchte. Ueber den Nutzen niedriger Abtrittsitze bei Ver-
stopfung vergl. 2. Bd., 1. Abtlg. S. 90, 91 und 112.
Die Lage des Abtritts in der Kaserne soll nicht versteckt, sondern
thunlich zugänglich, hell und luftig sein. Dabei muß das Einfrieren
im Winter, das zu großen Mißhelligkeiten zu führen pflegt, rechtzeitig
vorgesehen werden.
Die Art der Fortschaffung des Kotes und Harns überläßt die
Garnison-Gebäudeordnung (1. Teil, § 42) dem örtlichen Ermessen.
In der That versuchte die deutsche Militärverwaltung in den letzten
Jahrzehnten zahlreiche Arten der Abfallbeseitigung von den bedenklichen
Sickerbrunnen an, in denen Hausabwässer, Harn und sogar Stalljauche
dem Grundwasser in allerdings kostenloser Weise zugeführt werden, bis
zu maschinellen Vorrichtungen, die schon bei der Prüfung versagten,
und zu der trefflichen, aber sachkundige Aufsicht und viel Betriebs-
kosten erfordernden Weyl' sehen Feuerlatrine33; vergl. 2. Bd., 1. Abt.,
S. 91, u. 7. Bd, S. 188*). Wo, wie in der Albertstadt bei Dresden,
verschiedene Systeme der Abfallbeseitigung nebeneinander bestehen und
sich deshalb ein Vergleich ermöglichen läßt, stellt sich die Abfuhr in
Tonnen billiger als Kanalisation mit dem Süvern' sehen Sedimentierver-
fahren (s. Bd. 2, 1. Abtlg., S. 48). Im allgemeinen aber wird sich die
Wahl zwischen Gruben, Tonnen, Schwemmkanalisation u. s. w. nach den
örtlichen Verhältnissen richten.
Die Beschleußung schließt sich ebenfalls thunlich derjenigen des
Ortes an. Dabei sind die Tagewässer in Rechnung zu ziehen, deren
Menge bei Kasernenneubauten leicht unterschätzt wird.
Die große Dachfläche der zahlreichen, ausgedehnten Gebäude und
noch mehr die nötige Befestigung der Höfe und Uebungsplätze hindert
das Versickern des Regens und bewirkt eine Vermehrung des ablaufenden
Tagewassers, wobei Sedimentieranlagen leicht in ihrer Wirkung beein-
trächtigt werden und andere Uebelstände entstehen können. Liegt das
Grundwasser des Gebäudes hoch, so sind bei Ausführung der Siele die
Höfe und Plätze der Kasernenanlage zu drainieren.
*) Dagegen scheint sich die neue, von Tb. Weyl, Hyg. Rdsch. 1897, beschriebene
Feuerlatrine zu bewähren. Dieselbe ist seit lx/2 Jahr im Kasernement des 2. Garde-
Feld-Artillerieregiments zu Nedlitz bei Potsdam in Betrieb, verursacht äufserst geringe
Kosten und bedarf keines geschulten Wärters.
Militär-Bauten. 335
i) Stall.
Die Pferdeställe haben für die Menschengesundheitspflege insoweit
Bedeutung , als sie zum vorübergehenden oder bleibenden Aufenthalt
von Menschen dienen und die Entstehung von solchen Tierkrankheiten
begünstigen, welche auf Menschen übertragbar sind. Während für die
gesunde Wohnung des Soldaten die allgemeinen Grundzüge seit einigen
Jahrzehnten schon feststehen und die Anwendung auf die militärischen
Unterkünfte vorwiegend eine Geldfrage bildet, steht hier die zweck-
mäßige Gestalt und Einrichtung weniger fest, und es stellen sich deshalb
häufig Umänderungen selbst bei solchen Ställen als nötig heraus, die
erst kürzlich und mit Aufwand beträchtlicher Mittel erbaut wurden.
Der III. Teil der deutschen Garnison-Gebäudeordnung mit den Vor-
schriften „über die zu erbauenden Stallungen, Reitbahnen und Beschlag-
schmieden" erschien bisher nicht. Die dazu ausgegebenen Deckblätter
beziehen sich auf die „Vorschrift über Einrichtung und Ausstattung der
Militär-Pferdeställe" vom 16. Dezember 1886.
Frühere preußische Vorschriften , wie die „über Militair - Pferde-
ställe mit Zubehör" vom Jahre 1837, verboten die Vereinigung von
Wohnungen mit daneben oder darunter liegenden Stallungen in demselben
Gebäude „ohne ausdrückliche Genehmigung des Ministerii".
Man kam aber bis auf die neueste Zeit hin und wieder auf eine
solche Vereinigung zurück, weil dabei den berittenen Mannschaften eine
größere Wohnfläche über den Stallungen ohne erhebliche Mehrkosten
geboten werden kann. Denn auf jeden Reiter kommt ein Pferd, das
selbstredend mehr Fläche beansprucht und nur im Erdgeschosse unter-
zubringen ist. Auch hoffte man, daß durch eine undurchlässige Zwischen-
decke die Stallluft von dem oberen Stockwerke abgehalten würde.
Erfahrungsgemäß bewährte sich aber die Unterbringung von Stall
und Wohnung unter demselben Dach ebensowenig, wie die häufig in den
Handbüchern der Militärhygiene abgebildeten für Roß und Reiter gemein-
samen Zelte. Ein Schläfer vermag die in jeder größeren Stallung not-
wendige Wache nicht zu ersetzen und ist überdies, falls seine Lagerstätte
nicht durch Erhöhung oder sonst geschützt wird, in steter Gefahr, von
etwa sich losmachenden Pferden beschädigt zu werden.
Auch in einem leeren Stalle erscheint die Unterbringung von Menschen
gesundheitlich unstatthaft, doch läßt sie sich bei ausbrechenden Seuchen
und im Kriege nicht vermeiden. Da dem ruhenden Pferde reichliches
Licht wenig zuträglich ist, so sind die Ställe für Menschen stets zu
dunkel, außerdem oft feucht und für unser Klima im Winter meist zu
kühl. Auch lassen sie sich trotz undurchlässiger Fußböden und Wände,
die übrigens nur ausnahmsweise vorhanden sind, nicht hinreichend des-
infizieren.
Insbesondere kommen diese Uebelstände bei der Einrichtung von
Reiterkasernen zu Kriegslazaretten in Frage. Man sollte deshalb lediglich
Gesunde oder innere Kranke in Ställen unterbringen, Verwundete nur im
äußersten Notfalle. Noch im Kriege 1870/1 machte man in dieser
Hinsicht üble Erfahrungen.
336
HELBIG,
Die gemeinsame Unterbringung von Mensch und Pferd in den
verschiedenen Gebäuden derselben Kasernenanlage, wie sie bei der
Kavallerie und Artillerie
stattfindet , kann so ge-
schehen, daß man alle Mann-
schaften wie Infanterie ka-
serniert und im Kasernen-
hofe die Stallgebäude auf-
stellt, wie dies der in Fig. 5
wiedergegebene Lageplan
des westlichen Teiles der
Albertstadt bei Dresden aus
dem Jahre 1878 verdeut-
licht. Die dem entgegenge-
setzte Mischung von Wohn-
gebäuden und Ställen zieht
Tollet vor (Fig. 6), wäh-
rend Grub er (Fig. 7)
einen vermittelnden Stand-
Fig. 5. Lageplan des westlichen Teils der .
Albertstadt bei Dresden; im Mafsstabe von pUIlkt einnimmt.
1 : 20 000.
Fig. 6. Lageplan einer Reiterkaserne nach Tollet für ein Regiment. Mafsstab von 1:2500»
22
Militär-Bauten.
337
Die Besprechung der Vorzüge und Nachteile dieser drei und zahl-
reicher anderer Anordnungsweisen bleibt den militärischen und militär-
hygienischen Fachschriften ebenso überlassen, wie die zweckmäßige
Bauweise des Stalles nur von der Tiergesundheitspflege beurteilt werden
kann.
Fig. 7. Lageplan einer Reiter-Kaserne für ein Regiment mit zweigeschossigen Mann-
schaftswohngebäuden im Mafsstabe von 1 : 4160 nach Grub er.
aa Offizierwohnung,
b Stabsgebäude,
c Unteroffizierwohnung,
dd Mannschaftswohnung,
e Marketenderei,
/ Turn- und Fechtsaal,
g Brausebad und Waschküche,
h Arrest,
ii Ställe der Eskadronen,
Tc Stall des Stabes,
11 Kammern,
mm Grofse Reitschulen, 5
n Kleine Reitschule,
oo Brunnen,
p Beschlagschmiede,'
q Krankenstall,
r Stall für verdächtige Pferde,-
ss Offene Reitschulen,
t Turnplatz,
u Arrestantenhof,'}
vv Streustrohbehälter,
w Aufstellungsplatz.
k) Feuerschutz; Umzäunung.
Erfahrungsgemäß werden Kasernen häutiger, als man meinen sollte,
durch Feuersbrünste beschädigt, die allerdings in den meisten Fällen
Vorrats räume betreffen.
Es ist deshalb bereits bei der Anlage auf Anbringung von Hydranten
und in deren Ermangelung oder für den Eall des Versagens auf Wasser-
^3
338 HELBIG,
behälter, ferner auf Brandmauern, feuersichere Treppen und Gänge, auf
ein Spritzenhaus und Räume für Eimer, Schläuche etc. zu achten. Ferner
ist der Feueralarm und die jährliche Spritzenprobe in den Beschäftigungs-
plan der kasernierten Truppen aufzunehmen. Die stehenden Wasserfässer
füllt man zweckmäßig mit einer starken, kaum einfrierenden etwa 10-proz.
Kochsalzlösung, die vor den sonst vorgeschlagenen Salzen, wie Chlor-
calcium, den Vorzug hat, die bespritzten Wände und Sachen weniger zu
schädigen. Auch ist eine solche Lösung, falls unversteuertes Chlornatrium
verwandt wird, billig und dabei unbegrenzt haltbar. Das verdunstete
Wasser muß entsprechend alljährlich durch Nachgießen ersetzt werden.
Bezüglich der nötigen Umzäunung des Grundstückes enthält die
Garnison-Gebäudeordnung (1. Teil, § 39) das auch für Civilbehörden
nachahmungswerte Verbot der „Vorrichtungen zum Zweck der Ver-
letzung beim unbefugten Uebersteigen".
Derartige Maßnahmen, wie spanische (friesische) Reiter, Selbstschüsse,
Stacheldrahtzäune, Fußangeln, Glasscherbenbesatz u. dergl. gewähren er-
fahrungsgemäß gegen den Gewohnheitsverbrecher keinerlei Schutz.
2. Priratkaserne, Quartier.
Außer den dem Militärfiskus oder den Gemeinden gehörigen Kasernen
giebt es solche, die Privatbesitzern abgemietet sind (Schemalien). Sofern
ein derartiges Gebäude zu diesem Zwecke erbaut wird, prüft die
Militärbehörde den Bauplan. Sonst entsprechen die Privatkasernen in
ihrer Anlage selten den gesundheitlichen Forderungen, während ihre
innere Einrichtung meist mehr befriedigt, da bei ihrer Beaufsichtigung
das Rücksichtnehmen auf den Fiskus nicht so wie bei ärarischen Ge-
bäuden ins Gewicht fällt. Auch haben Privatkasernen meist den Vorzug-
geringer Ausdehnung.
Schlechter als derartige Anlagen sind die ständigen Bürger-
quartiere für einzelne oder wenige Mannschaften.
Wenn auch ' die meisten Privatpersonen dem Krieger bereitwillig
vorübergehend Unterkunft gewähren, so pflegten sich gewerbsmäßig mit
der dauernden oder wiederholten Verquartierung in der Regel nur be-
denkliche Elemente zu beschäftigen, deren Angebot bei Ermangelung von
Mitbewerb die Behörde annehmen mußte. Ohne vermehrte Geldent-
schädigung vermochte selbst sorgsame Aufsicht nicht die Nachteile der
Bürgerquartiere zu beseitigen ; bei einer entsprechenden Erhöhung des
Quartiergeldes stellte sich aber die Erbauung von Kasernen meist als
vorteilhafter heraus.
Die Quartieraufsicht hat u. a. zu beachten, daß nur als Wohnungen
bereits benutzte Zimmer, nicht aber Keller, Dachräume, Ställe, Scheunen,
Werkstätten zum Quartiere eingeräumt werden. Vorübergehender Aufent-
halt oder entsprechender Ausbau gestatten Ausnahmen. Gefahr droht
nach Maßgabe der Erkrankungsstatistik den Verquartierten vornehmlich
durch die Art der Heizung, insbesondere durch Ofenklappen, ferner
in größeren Städten durch die Gasleitung und in kleineren durch Sturz
auf dunklen Treppen.
Trotz der erwähnten Uebelstände bewirkt der Wegfall der Anhäufung
großer Menschenmassen in demselben Gebäude, daß leidliche Quartiere
24
Militär-Bauten. 339
schlechten Kasernen vorzuziehen sind, insbesondere wenn von der durch
die Garnison-Gebäudeordnung (1. Teil, § 46) gewährten Befugnis Gebrauch
gemacht wird, für nicht kasernierte Truppen Badeeinrichtungen, Revier-
krankenstuben etc. aus Garnisonverwaltungsmitteln zu unterhalten.
3. Festung.
Meist findet man in den Werken über Militärgesundheitspflege die
Angabe, die älteste Kaserne — als solche pflegt man die Vauban'sche
anzusehen — habe gleichzeitig der Verteidigung gedient. Es trifft dies
im allgemeinen nicht zu, denn weder die hölzernen Dachbalken, noch die
Anordnung der Fenster, die Mauerstärke etc. solcher Kasernen erscheinen
geeignet, dem Belagerungsgeschütze mehr Widerstand zu leisten als irgend
ein anderes steinernes Wohnhaus. Mit den Fortschritten der Artillerie
verschwand die Widerstandskraft selbst eines Hauses mit gewölbter Ein-
deckung vollends, und man befestigte deshalb Kasernen höchstens noch
gegen Volksaufstände. Wie Wiel & Gnehm34 hervorheben, erscheint
auch letzteres unzweckmäßig, da bei der Wirksamkeit der Hinterlader
„Aufständische kaum daran denken werden, eine Kaserne anzugreifen, sie
müßten denn selbst im Besitze von Geschützen sein. Im letzteren Falle
entziehen sich aber die Verhältnisse aller Vorausberechnung, und wie das
Beispiel der Pariser Commune von 1871 lehrt, könnten dann die gegen
die Insurgenten angelegten Bollwerke letzteren zur Verteidigung gegenüber
den Truppen dienen".
Die Festung, wie sie in den letzten Jahrhunderten sich entwickelt
hat, enthält zur Aufbewahrung der Vorräte und als gesicherten Aufent-
halt für die Besatzung steinerne, bombenfeste Gewölbe, die entweder
als Hangars (Hangdächer, vom neulateinischen : angarium, Beschlagraum)
größere Säle bilden oder als Kasematten in kleine Abteilungen zer-
fallen. Nach der Außenseite sind alle Gewölbe fensterlos oder nur mit
Schießscharten versehen, während sie nach innen einige, bisweilen
mehrere und größere Fenster haben. Die gesundheitlichen Verhältnisse
dieser Unterkunft werden in den einschlägigen Handbüchern bis auf die
Einzelheiten erörtert.
Hierauf einzugehen, erscheint um so weniger nötig, als es sich that-
sächlich vielfach um veraltete Dinge handelt. Denn ebensowenig, wie die
steinernen Kasernen in Sebastopol (1855) und Paris (1871) den damaligen
Geschützen widerstanden, gewähren die damaligen Kasematten bei den
heutigen Geschossen Sicherheit. Schon die Wirkung der Schießwoll-
granaten, wie sie beispielsweise die Photographie der Walsroder Fabrik
von Wolff & Co.35 veranschaulicht, nötigte im vorigen Jahrzehnte zur
Abänderung der bisherigen Festungen ; inzwischen wurden aber noch
wirksamere Geschosse erfunden. Nähere Mitteilungen über diese Aenderung
müssen hier unterbleiben, denn es fehlen die nötigen Abbildungen der
fast durchweg geheim gehaltenen Bauten, auch werden letztere, da bei
der Neuheit der Sache Erfahrungen über die zweckmäßigste Gestaltung
und die besten Stoffe fehlen, verschieden ausgeführt.
Im allgemeinen entwickelt sich die Kasematte aus der Kellerwohnung,
welche sie bisher darstellt, zur ausgemauerten Erdhöhle, die auch an
der Innenseite der feindlichen Sprenggeschosse wegen keine freie Wand
25
340 HELBIG,
hat, und deren spärliche Fenster im Kriegsfalle durch centimeter-
starke Stahlplatten, Sandsäcke und Holzlatten abgedichtet werden. Der
schützende Erdwall auf der gewölbten oder aus Stahl hergestellten Ein-
deckung muß eine Stärke von mehr als einigen Metern erhalten; ihn
erst im Falle des feindlichen Angriffs aufzuschütten , wie es u. A. bei
älteren, mit starken Balken gedeckten Festungslazaretten geschehen
sollte, ist deshalb unthunlich. Nur einige geringe Vorzüge gewähren
die neuen Kasematten in hygienischer Hinsicht, nämlich erstens den
einer sorgsameren Lüftung, welche in den Traditorenkasematten zur
Entfernung des Pulverdampfes nötig wird. Zweitens fällt der nasse
Graben weg und damit der schädliche Einfluß der Feuchtigkeit, denn
Wasser teilt den zerstörenden Stoß eines krepierenden Brisanzgeschosses
auf viel weitere Entfernung dem Mauerwerke mit, als dies durch Erd-
reich geschieht. Drittens kommt auf den Mann meist ein größerer
Luftraum (20 m 3), und endlich zerfallen die weiten Hangars, da aus-
gedehnte Wölbungen keinen hinlänglichen Widerstand leisten, in kleinere
Grotten.
Um solche Räume im Frieden bewohnbar zu machen, würde es
außer der Abhaltung der Feuchtigkeit durch Isolierschichten einer be-
ständigen künstlichen Lufterneuerung und einer die Kellertemperatur
auf Zimmerwärme erhöhenden, selbst im Sommer anhaltenden Heizung
bedürfen. Da die Erfüllung dieser Forderungen in weiterem Umfange
meist unthunlich ist, so bleibt das Bewohnen der Kasematten im Frieden
unter andauernder sanitärer Aufsicht auf die nötigen Wachmannschaften
zu beschränken. Roth und Lex36 befürworten, hinter detachierten
Forts für deren Besatzung Baracken anzulegen. Die Erbauung leichter,
im Kriege abzubrennender oder dem Feinde preiszugebender Kasernen
dürfte in kleinen Festungen das einzige Mittel zur Erzielung gesunder
Unterkunft für den Frieden bilden.
Die Beseitigung der Abfälle ist in Festungen zur Erhaltung
der Besatzung von erheblicher Wichtigkeit.
Was Mängel in dieser Hinsicht verschulden können, zeigt das Bei-
spiel von Torgau, wo vom 1. September 1813 bis 10. Januar 1814 in
der sonst nur 5000 Einwohner zählenden Stadt nach Richter37 680
Civilisten und 19 757 Militärpersonen als verstorben verzeichnet wurden,
ungerechnet weiterer 10 000 nicht verzeichneter Verstorbenen. Von der
französischen Besatzung waren in 4 Monaten 6/7 und zwar meist dem
Typhus erlegen.
Um günstige Verhältnisse in dieser Hinsicht zu erlangen, beschafft
man zunächst für den Belagerungsfall besondere, im Frieden meist un-
benutzte, bombensichere Abtritte mit großen, dichten Gruben oder mit
einer Spülung, deren Ablaufwasser keinem anderen Zwecke in der
Festung dient.
Die Einzelheiten einer auf frühere Verhältnisse berechneten, jedoch
noch beachtenswerten Latrinenanlage beschrieb von Cohausen38. Die
Schußfestigkeit der Abtritte soll nicht nur die Benutzer, die sonst andere
Stellen verunreinigen, sichern, sondern auch hindern, daß der Inhalt der
Düngergrube durch explodierende feindliche Geschosse verstreut wird.
Beschleußung und Entwässerung müssen rechtzeitig vorgesehen
werden; beide machen bei niedriger Lage der Festung bisweilen er-
hebliche Schwierigkeit.
26
Militär-Bauten. 341
Zur Wasserbeschaffung nach Unterbrechung der Leitung
dienen gewöhnliche, artesische oder Norton 'sehe (abessinische) Brunnen,
deren Ergiebigkeit bereits im Frieden ermittelt wird. Nicht selten
bleibt man auf thunlich filtriertes Flußwasser oder auf Cysternen an-
gewiesen. Der tägliche Wasserbedarf berechnet sich selbst im Notfalle
auf mindestens 10 1 für jeden Mann und 30 1 für jedes Pferd, dessen
Unterhaltung für Festungen meist eine erhebliche Belastung in hygie-
nischer Hinsicht darstellt.
Zur Unterbringung der Verwundeten bedarf es im Hin-
blick auf den Genfer Vertrag für belagerte Festungen keiner weiteren
Vorkehrungen, als der sonst erforderlichen.
4. Gefängnis, Grerichtsstelle, Wache.
Nach dem „Militärstrafgesetzbuch für das Deutsche Reich" vom
20. Juni 1872 sind als Freiheitsstrafen Gefängnis, Festungshaft
und Arrest zulässig. In gesundheitlicher Hinsicht bieten diese Straf-
arten ebensowenig, wie die Militär-Gerichts lokale, Besonderheiten
(s. die 2. Abtlg. des 5. Bandes). Nicht einmal die Verwendung alter
Kasematten läßt sich als eine Besonderheit des Militärgefängnisses be-
zeichnen, denn solche dienen häufig auch als Civilgefängnisse.
Die militärische Wache ist für den Soldaten in größeren Garni-
sonen, wo ihn der Wachdieust häufiger trifft, von gesundheitlicher Be-
deutung. Sprichwörtlich wurde die Beschaffenheit der von Tabaksqualm
erfüllten Wachstubenluft, worin ein Wachhabender 16 von 24 Stunden
zubringt.
Infolge des erhöhten Wärmebedürfnisses der vom Postenstehen bei
kalter Witterung zurückkehrenden Leute wird das Wachzimmer häufig
überheizt und jede Lüftungsvorrichtung thunlichst unwirksam gemacht.
Hierzu kommt bei Regen das in Ermangelung eines besonderen Raumes
in demselben Zimmer stattfindende Trocknen der feuchten und schmutzigen
Mäntel u. s. w. Während sonst bei militärischen Bauten auf die Kosten
wesentlich Rücksicht genommen werden mußte, kamen diese bei den
meist monumental , bisweilen in klassischem Style angelegten größeren
Wachhäusern kaum in Frage. Hier hat vielmehr die Ueberlieferung aus
einer Zeit, welche gesundheitliche Anforderungen nicht machte , die er-
wähnten Mißstände bis auf unsere Tage verschleppt.
Manche Hauptwachen in großen Garnisonen werden von einem
Lazaretgehilfen mit bezogen und können deshalb für dringliche Fälle
zur ersten Hilfe in ähnlicher Weise dienen , wie dies eine preußische
Verfüguug 3 9 bezüglich männlicher Civilpersonen , die in der Nähe von
Garnisonlazaretten verunglückten, gestattet.
5. Krankenhaus.
Zur Unterbringung erkrankter Soldaten dient im Frieden außer
den S. 328 erwähnten Krankenstuben, Infirmerien, Marod enhäuseru,
Hilfslazaretten und dergl. das Garnisonlazarett, dessen Größe in
Deutschland auf 3 1/2 — 4 Proz. der Garnisonstärke, bez. auf 2 Proz.
der Stärke der zugehörigen Nachbargarnisonen, bemessen wird, und
über dessen Einrichtung und Betrieb der 3. Teil, sowie die 11. Beilage
27
342 HELBIG,
der Friedenssanitätsordnung das Nähere festsetzt. Hierzu kommt das
erst neuerdings eingerichtete Geneshaus (Filiallazarett außerhalb
der Garnison für Rekonvalescenten) und das Militär-Badeinstitut.
Je ein solches besitzt das deutsche Heer zu Wiesbaden und Landeck,
zwei zu Teplitz in Böhmen, während an Stelle des fehlenden Militär-
seebades (wie es beispielsweise Belgien im „institut balneaire de
Tarmee'1 zu Ostende, Ungarn zu Balaton - Füred und Cirkvenica einge-
richtet hat) Kurvergünstigungen zu Norderney (S. 426 der 4. Beilage
zu § 17,4 der Friedenssanitäsordnung) treten. Klimatische Militär-
kurorte besitzen mehrere Seemächte in ihren Kolonien; für Deutsch-
land könnte hierzu nur Südwestafrika in Frage kommen. Im Kriege
gilt bezüglich der Unterbringung der Kranken und Verwundeten für
Deutschland die Kriegssanitätsordnung vom 10. Januar 1878.
Die Anforderungen an militärische Lazarette fallen in gesundheit-
licher Beziehung mit denen an Krankenhäuser überhaupt zusammen
(vergl. 5. Bd., S. 1 — 284). Die wenigen Besonderheiten betreffen den
militärischen Dienstbetrieb und haben kaum allgemeine Wichtigkeit. Eine
ausführliche Darstellung der Militärlazarette im weiteren Sinne gab
Heibig40, auch sonst behandeln alle Werke über Militärhygiene diesen
Gegenstand mehr oder weniger eingehend.
6. Invalidenliaus.
Als Erfinder dieser eigenartigen militärischen Einrichtung gilt Franz I.
von Frankreich, der den felddienstunfähigen Söldnern als morte-paye Halb-
sold auf Lebenszeit gab und sie in festen Schlössern vereinigte. Lud-
wig XIV. erbaute das hötel des invalides zu Paris, worin zur .Zeit noch
Ganzinvaliden, wie im Invalidenhause zu Avignon, untergebracht sind.
Aehnliche Anstalten besitzen England, Holland, Rußland u. s. w. In
Deutschland sind nach dem Pensionsgesetz 4 x die Invalidenhäuser (zu
Berlin, Stolp , Carlshafen, Benediktbeuern und Comburg) vorzugsweise
für solche Unteroffiziere und Soldaten bestimmt, welche besonderer Pflege
und Wartung bedürfen; die Unterbringung hört grundsätzlich auf, wenn
die Verhältnisse des Invaliden „ihn dazu nicht mehr geeignet erscheinen
lassen". Die Einrichtung ist in den verschiedenen Ländern abweichend, je
nachdem nur Invaliden, wie in Frankreich und England, oder auch Fa-
milien, wie in Deutschland und Oesterreich, versorgt werden. Es be-
dingt ferner eine Verschiedenheit , je nachdem alle Versorgte im Hause
selbst anwesend sind, oder ein Teil der Invaliden dauernd in die Heimat
beurlaubt wird, wie dies in Preußen geschieht.
Die seit Einführung der Pensionen überflüssig gewordenen In-
stitute zeigten nirgends befriedigende Ergebnisse. Die zum Teil dem
Trünke verfallenen alten Krieger und deren oft verkommene Ange-
hörigen können in einer Anstalt, besonders wenn sie umfangreich ist,
von einer meist ebenfalls im Ruhestande befindlichen Oberleitung nur
unzulänglich beaufsichtigt werden. „Jede Anhäufung von müßigen
Menschen" , bemerkt ein nordamerikanischer Bericht 4 2 über diesen
Gegenstand, „muß notwendig ein Herd der Demoralisation werden."
Nur die hergebrachte Ueberlieferung bewahrte bisher die noch be-
stehenden Invalidenhäuser vor der Aufhebung. In gesundheitlicher Hin-
28
Militär-Bauten. 343
sieht besitzen sie im Vergleich mit anderen Altersversorghäusern keinerlei
Besonderheit.
7. Lager.
Der Begriff „Lager" läßt sich weder vom Biwak oder Freilager
noch von der Kaserne scharf abgrenzen. Die für nur eine Nacht be-
stimmte Raststelle eines römischen Kriegsheeres bezeichnet man als
Lager, da die Römer stets Wall und Graben um ein freigelegenes
Biwak zu ziehen pflegten. Im Gegensatz hierzu nennt man die stei-
nernen Kasernen und Baracken bei dem modernen Artillerieschießplatz
auch Lager, da sie nicht das ganze Jahr hindurch von derselben Truppe
benutzt werden und im Winter zumeist leerstehen. Im allgemeinen
kann man zwischen solchen für den vorübergehenden, einmaligen Ge-
brauch, z. B. bei Belagerungen, und solchen zu wiederholter Benutzung
bestimmten unterscheiden. Nur die letztere Art kommt, wie bereits in
der Einleitung zu diesem Abschnitte erwähnt wurde, hier in Frage.
Eine derartige Unterkunft unterscheidet sich von den gewöhnlichen
Kasernements meist durch leichte Bauart und weite Ausdehnung. Es
kommt deshalb hier häufiger als bei Kasernen die Baracke zur An-
wendung.
Der Zweck des Friedenslagers besteht in manchen Ländern , wie
Rußland und England , vorwiegend in der Vereinigung einer größeren
Truppenmasse zum gemeinsamen Exerzieren und zur Felddienstübung.
In Deutschland befinden sich Lager vorwiegend bei den Artillerie-
schießplätzen. Neuerdings machte jedoch die große Tragweite des klein-
kalibrigen Gewehres auch Lager für Infanterie zu Massenübungen im
Scharfschießen erforderlich. Bei dem hohen Bodenwerte der besseren
Ländereien können für derartige ausgedehnte Anlagen nur solche ebene
Gelände ausgesucht werden, welche wegen Trockenheit oder Eisengehalt
des Bodens oder aus sonstigem Grunde unfruchtbar oder nur mit minder-
wertigem Walde bewachsen sind.
Bisher erschien in Deutschland keine besondere Lagerordnung.
Die preußische „Instruction über die Lagerung der Truppen im Frieden"
vom 20. Dezember 1842 bezieht sich auf Zelte, Hütten und Freilager;
die Garnisongebäudeordnung (1. Teil § 47) bestimmt nur den Belegungs-
raum in Baracken auf 3 m5 für den Mann und zählt (in Beilage D)
die Geräteausstattung bei vorübergehender Unterkunft auf.
In gesundheitlicher Beziehung zeigen die Lager Eigentümlich-
keiten wegen der meist schwierigen Wasserbeschaffung und Ent-
wässerung, sowie der dichten Belegung. Insbesondere ist die letztere
wichtig, denn die erwähnten 3 m2 Bodenfläche erscheinen zwar gegen-
über der früher oder in anderen Ländern gewährten reichlich, lassen
jedoch bei Tage entfernbare Bettstellen , etwa wie den lit hamac von
Maurice 43, als Bedürfnis erscheinen. Auch wenn man die Wege zwischen
den Baracken mit einrechnet, ergiebt sich die Dichtigkeit der Bewohnung
im Lager erheblicher als die volkreicher Städte, was Roth und Lex44
durch Zahlen und Diagramme zu erweisen suchen. Wechselt die Be-
satzung in einem Sommer mehrmals, so sollte eine strenge Aufsicht
das infolge des kurzen Aufenthaltes fehlende Interesse der Leute an
der Reinlichkeit ihrer W'ohnung ersetzen.
29
344 HELBIG.
Außerhalb der vom Mai bis August andauernden Schießzeit stehen
in Deutschland die Lager bis auf die nötige Wachmannschaft meist leer,
wenn man sie nicht ausnahmsweise wegen des Ausbruches einer Seuche
oder eines Schadenfeuers oder dergleichen in einer nahen Garnison be-
legt. Bei solchem Anlasse und, wenn in ein Artillerielager zur Abhal-
tung von Uebungen im gefechtsmäßigen Schießen oder dergleichen Infan-
terie einrückt, kommt häufig die S. 335 erwähnte Belegung leerstehender
Pferdeställe mit Menschen in Frage.
Trotz dieser und anderer hygienischer Mängel bleibt die Erkran-
kungshäufigkeit der Friedenslager in Deutschland zufolge der nur kurzen
Belegungsdauer und des Leerstehens im Winter meist gering.
Auch im Auslande wurde vielfach ein günstiger Einfluß des Lager-
aufenthaltes beobachtet, insbesondere dort, wo mangelhafte Kasernen den
Gesundheitszustand beeinträchtigen, wie beispielsweise in Frankreich, wo
man 1833 die Krankenzahl in den Zeltlagern halb so hoch wie in der
Garnison fand 43. Viry 45 schließt dagegen für 1871/2 bereits auf einen
wohlthätigen Einfluß des Versailler Lagers aus einem Verhältnisse der
dortigen Krankenzahl zu der in der Kaserne zu Versailles von 242,4 pro
mille zu 243,2 pro mille.
Als Lagerkrankheiten gelten außer Erkältungen hauptsäch-
lich Wechselfieber, das bei Truppen aus Garnisonen mit Malaria
beim Beziehen des Lagers nach französischen und ungarischen Er-
fahrungen auszubrechen pflegt, und Vener ie, zu deren Abhaltung
außer regelmäßiger Besichtigung der Mannschaften und Ueberwachung
der Prostitution bisweilen besondere Lagerbordelle46 errichtet wurden.
Hinsichtlich der Lagerausstattung kann auf das über Kasernen
vorstehend Vermerkte verwiesen werden, so insbesondere hinsichtlich
der Badeeinrichtung, der Waschanstalt, eines Desinfektionsraumes, der
Anpflanzungen u. s. w. Nötiger als in der Garnison sind für das
Lagerleben der Leute Zerstreuungsmittel, wie Kegelbahnen, Spielplätze,
Büchereien und dergleichen.
Zum Schlüsse bleibt auch an dieser Stelle noch des Systems
Tolle t 's47 zu gedenken, das der Erfinder zunächst für Lager bestimmte.
Diese eigenartige Bauweise, bei der die wagrechte Decke des gewöhn-
lichen Wohnzimmers durch einen Spitzbogen ersetzt wird, findet sich in
ihrer Anwendung auf das Krankenhaus S. 90 — 96 und 118 des 5. Bandes
beschrieben, und daselbst durch die Figuren 76 — 81 sowie 106 veran-
schaulicht. Nachdem ein Versuch mit einer Geniekaserne im Fort Cor-
meilles bei Paris seit 1872 günstig ausgefallen war, ließ General Ducrot
im Bezirke des 8. Korps zu Bourges, Cosne und Autun Tollet' sehe
Kasernen erbauen. Ueber das Ergebnis berichtete u. a. eine Kommission
der Societe de medecine publique48 im Juli 1879 günstig; ebenso wurde
es bei den Senatsverhandlungen49 in demselben Jahr beurteilt. Die da-
bei zur Sprache gekommenen, auffallend niedrigen Erkrankungsziffern*)
der in den Baracken untergebrachten Leute erweckten Mißtrauen. Dies
scheint der allgemeinen Verbreitung des Systems, das sich der Erfinder
*) So betrug angeblich65 bei der Infanterie in Autun die Sterblichkeit 0,00 °/00 gegen-
über der mittleren von 10,8 °/00 und in Cosne die Erkrankungsziffer 22 gegenüber 528°/0o'
30
Militär-Bauten.
345
inzwischen hatte patentieren lassen, während der nächsten Jahre hinder-
lich gewesen zu sein. Gegen die den Bautechnikern ungeläufigen ogivalen
Gewölbe sprachen sich auch Hygieniker, so W. Roth 50, aus. Am meisten
schreckte aber die Größe der Bodenfläche, welche Tollet für seine
Kasernen verlangte, zurück. In Oesterreich wurde es trotzdem von
Franz Gruber51, in Deutschland von Adolf Schuster52 lebhaft
befürwortet. Während im letzteren Lande unseres Wissens ein Ver-
such mit Spitzbogengebäuden zur Militär- oder Krankenunterbringung
bisher unterblieb, wurde in der Artilleriekaserne am Rennwege zu Wien
1880 ein Pavillon für 38 Mann und ein Stall für 24 Pferde erbaut.
Tollet suchte einem kälteren Klima mit reichlichem Schneefalle durch
die auf S. 93 und in Figur 79 des 5. Bandes erwähnte Verdoppelung
des Spitzbogens bei einem Krankensaale Rechnung zu tragen, G r u b e r
und Völckner nahmen dagegen die aus den beistehenden Figuren 8
und 9 ersichtlichen Abänderungen bei den Wiener Bauten vor. Sie
Fig. 8. Querschnitt einer Baracke nach Tollet im Mafsstabe von 1:170.
Fig. 9. Querschnitt einer Baracke nach Grub er und Völckn er im Mafsstabe von 1 : 170.
3i
346 HELBIG,
ersetzten dabei den Ogivalbogen durch den Ovalbogen und mieden die
in Kontrekurven gekrümmten Dachflächen, legten vielmehr über die ovale
Bogendecke einen von Pfetten getragenen Sparrenrost u. s. w., so daß
der Pavillon von Außen das Ansehen eines Hauses mit senkrechten
Wänden und Satteldach erhielt. Durch diese und ähnliche Abän-
derungen werden drei Vorzüge des Spitzbogenbaues, nämlich Einfach-
heit, Billigkeit und Vermeidung stockender Luftschichten, wesentlich
beeinträchtigt.
Die Bestrebung Toll et 's, dem Kasernement eine ungewöhnliche
Gestalt zu geben, erweckte Nachahmung, so beispielsweise die eigen-
artigen Baracken mit ovalem Grundrisse, welche Stolpe &Kumlien53
für die schwedische Reiterei entwarfen, u. a.
1) Fr. Fränkel, Bibliotheca medicinae militaris etc. I. (Glogau 1876), 62.
2) H. Frölich, Militärmedicin, Wreden's Sammlung kurzer medicinischer Lehrbücher, 13. Bd.,
{Braunschweig 1887), 394.
3) Index- catalogue of the library ofthe Surgeon General' s Office, 1. Bd. (Washington 1880),
774—776.
4) Zeitschrift für Bauwesen, 43. Jahrg. (Berlin 1893) 119 ff.
5) J. Overbeck u. A. Mau, Pompeji, 4. Aufl. (Leipzig 1884) 193 ß.
6) J. Naeher, Milüärarchitektonische Anlage der Ritterburgen (Dachau- München 1893),
50, 59.
7) J. Durm, H. Ende, E. Schmitt u. H. Wagner, Handbuch der Architektur, 4. Teil,
7. Balbbd. (Darmstadt 1887), 464-588.
8) General report of the commission appointed for improving the sanitary condition of bar-
racks and hospitals, (London 1861), 338 Folioseiten.
9) Arnould, Nouveaux elements d'hygiene (Paris 1881), 400 u. 1199.
10) Lucien Descaves, Sous-qffs. (Paris 1889), deutsch von Ludwig Wechsler (Budapest 1890).
11) F. u. E. Putzeys, Hygiene des agglomcrations militaires. La construction des casernes
(Liege 1892), 66.
12) M. v. Pettenkofer u. H. v. Ziemssen, Handb. der Hygiene 2. Teil 2. Abteil. (Leipzig
1882), 267.
13) Bauten u. s. w. von Dresden (ebenda 1878), 249 — 273.],
14) Deutsche Bauzeitung 5. Jahrg. (1871), No. 43, 341. :'S
15) Garnisonbeschreibungen, herausgeg. von der Medizinalabteilung des K. preufs, Kriegs-
ministeriums, 2. Bd. (Berlin 1895), 73, Taf. 16.
16) M. Kirchner, Grundrifs der Militärgesundheitspflege (Braunschiceig 1896), 794 — 853.
17) H. v. Forst, Unsere Kasernen (Hannover 1884, später: Leipzig, Zuckschioerdt & Co.).
18) L. Stromeyer, Maximen der Kriegsheilkunst, 2. Aufl. (Hannover 1861), 2.
19) Ueber Einrichtung und Ausstattung der Kasernen für die K. preufs. Truppen, v. 6. Juli
1843, § 6.
20) Allgemeine Wiener med. Zeitung (1886), No. 15.
21) Bulletin officiel du ministere de la guerre, 1894 No. 7, 89 — 97.
22) Erlafs des Militär- Oekonomiedepartement v. 26. September 1860.
23) Garnison-Gebäudeordnung vom 19. Dezember 1889.
24) W Roth, Veröffentlichungen aus dem E. sächsischen Militärsanitätsdienst (Berlin 1879),
239.
25) Gerloczy Zsigmond, Verhandlungen des 8. internationalen hygienischen Kongresses, 5. Bd.
(Budapest 1896), 252—257.
26) Morache, Traue d'hygiaie militaire, 1. Aufl. (Paris 1874), 386.
27) Friedens- Sanitätsordnung v. 16. Mai 1891, § 31, 11, S. 47.
28) Parkes, Manual of practical hygiene, » . especially . ... of the army, 8. Aufl. (London
1891), 3.
29) A. v. Neree, Militär dampfküche und Badeanstalt (Berlin 1880).
30) Recueil de memoires etc., (1861), 380.
31) Roth u. Lex, Handb, der Militärgesundheitspflege 1. Bd. (Berlin 1872), 544 u. Taf. 1.
32) Sanitätsbericht über die deutschen Heere im Kriege gegen Frankreich 1870/1, 6. Bd.
(Berlin 1886), 58; Beil. 8 u. Taf. 2.
33) Hygienische Rundschau 6. Bd., No. 4 v. 15. Februar 1897, 208 — 216.
34) J. Wiel m. R. Gnehm, Handbuch der Hygiene (Karlsbad 1878), 717.
35) M. v. Förster, Schiefswolle in ihrer militärischen Verwendung. Berlin 1888, Taf, 1.
36) Roth u. Lex, Handbuch der Militärgesundheüspflege, 1. Bd. (Berlin 1872), 651.
37) G. A. Richter , Medizinische Geschichte der Belagerung und Einnahme der Festung
Torgau (Berlin 1814).
32
Militär-Bauten. 347
38) Arch für die Offiziere der K. preufs. Artillerie- und Ingenieur-Corps 68. Bd. (1870), 91.
39) Kriegsministerialerlafs No. 1628/1. M. A. vom 15. März 1896.
40) Roth m. Lex, Handbuch der Militärgesundheitspflege 2. Bd. (Berlin 1875), 235 — 467
u. 485—506.
41) Gesetz, betr. die Pensionirung etc. des Reichsheeres etc. v. 27. Juni 1871, § 78.
42) T. W. Evans, Comimssion sanitaire des £tats-Unis, 5. Aufl. (Paris 1867), 172.
43) Marvaud, Etüde sur les casernes ; Annales d'hygiine publique, (1873), 242 — 247.
44) Roth v. Lex, Handb. der Militärgesundheitspfiege 2. Bd. (Berlin 1875), 19 — 23.
45) Gazette hebd. de med. et de Chirurgie v. 20. August 1875.
46) Goffres, Considerations . . . sur le camp de Chälons (Paris 1865), 74.
47) C. Tollet, Reforme du casernement (Paris 1877). ■ — Memoire . . . sur les logements collectifs,
höpitaux, casernes etc. (ebenda 1878). — Logements collectifs : casernes (ebenda 1888),
Fol. mit 9 Taf.
48) Revue d'hygiine et de police sanitaire (Paris 1879), 1009 — 1027.
49) Journal officiel de la Ripublique francaise (Paris 1879), 9159 und 10709.
50) W. Roth, Jahresbericht über . . . Militairsanitätswesen 2. Jahrg. 1874 (Berlin 1875), 34.
51) Gruber, Casernenbau (Wien 1880)
52) M. v. Pettenkofer u. H. v. Ziemssen, Handb. der Hyg. 2. Teil, 2. Abteil. (Leipzig
1882), 370—389.
53) G. Stolpe u. A. Kumlien, Projet de casernes (Stockholm 1876).
54) A. F. Eklund, Contribution ä la geographie medicale (Stockholm 1881).
55) L. Degen, Das Krankenhaus und die Kaserne der Zukunft (München 1882), 398.
56) Normal- Verordnungsblatt für das k. u. k. Heer (Wien 1895), 33. Stück
57) Deutsche Bauzeitung No. 32 vom 12. April 1882 (Berlin) 188.
Handbuch der Hygiene. Bd. VI. oo
348 HELBIG, Militär-Bauten.
Verzeichnis der Abbildungen.
Fig. 1 Seite 320. Lageplan der Infanterie-Kaserne zu Zwickau in Sachsen im Mafs-
stabe von 1 : 3140. Aus dem ,, Handbuch der Architektur", IV., 7. Halbband (Darmstadt
1887), Seite 522, Fig. 493.
Fig. 2 Seite 320. Grundrifs des 1. Obergestocks eines Flügels derselben Kaserne im
Mafsstabe von 1 : 1200. Ebenda, Fig. 494.
Fig. 3 Seite 321. Grundrils des 1. Obergestocks der Kaserne No. III am Waterloo-
platze zu Hannover im Mafsstabe von 1 : 600. Aus den : ,, Garnisonbeschreibungen, heraus-
gegeben von der Medizinalabteiluug des k. preufs. Kriegsministeriums'' ; 4. Band, Berlin
1896, Tafel V.
Fig. 4 Seite 322. Grundrifs eines Flügels des 1. Obergestocks der östlichen Grena-
dierkaserne in der Albertstadt bei Dresden im Mafsstabe von 1 : 1050. Aus der „Viertel-
jahrsschr. für öffentliche Gesundheitspflege", 11. Band, Braunschweig 1879, 1. Heft.
Fig. 5 Seite 336. Lageplan des westlichen Teiles der Albertstadt bei Dresden im
Mafsstabe von 1 : 20 000. Ebendaher.
Fig. 6 Seite 336. Lageplan einer Reiterregimentskaserne nach Tollet im Mafsstabe
von 1 : 2500. Aus dem ,, Handbuch der Architektur", IV., 7. Halbband, Darmstadt 1887,
Seite 546, Figur 546.
Fig. 7 Seite 337. Desgleichen einer solchen Kaserne mit zweigeschossigen Mann-
schaftswohngebäuden im Mafsstabe von 1 : 4160. Aus Franz Gruber ,,Casernenbau in
seinem Bezüge zum Einquartierungsgesetz", Wien 1880, Tafel III, Figur 8.
Fig. 8 Seite 345. Querschnitt einer Tollet 'sehen Baracke im Mafsstabe von l : 170.
Ebendaher Tafel I, Figur 2.
Fig. 9 Seite 345. Desgleichen durch eine Baracke nach Gruber und Völckner.
Ebenda, Fig. 3.
34
General-Register
zum sechsten Bande.
A.
Abdominal typhus in Berlin 147.
Aborte 96. 254.
— auf Schiflfen 208.
— in Wagen 266.
Absorber 43.
Achsen 263.
Agora 3.
Akustik der Theater 121.
Albertstadt 322.
Albuminfabrik 51.
Altersversicherungsgesetz 294.
Amerikanische Bahnen 240. 243. 257. 292.
303. 308.
Ammoniak- Eismaschine 45.
Anstellung von Bahnbeamten 297.
Arbeiterbaracken 171.
Arbeitshaus in Berlin 148.
Armstrong 218.
Arnould 318. 327.
Aschebeförderung 205.
Asphaleia 137.
Assyrer, Märkte der 3.
Asyle 145 ff.
— in Berlin 162 ff.
— „ Elberfeld 166.
— „ England 169.
— „ Moskau 168.
— „ Paris 148. 167 ff.
— ,, Wien 167.
Auson, Admiral 187-
Auswandererwesen 212. 228.
Badeofen 107.
Badewannen 90.
— heizbare 108.
Bäder auf Schiffen 210.
— in Asylen 150.
— in Kasernen 332.
— irische 95.
— römische 95.
— russische 95-
— s. a. die einzelnen Arten der B.,
Dampfbäder, Brausebäder u. s. w.
Bahnärzte 295. 307.
Bahnhöfe 254.
Baukosten 103 ff.
Baumeister 149.
Bayreuth, Theater in 132 ff.
Beamtenpensionsgesetz 293.
Becher 284.
Beck und Henkel 33.
Becker 149.
— 247 (Litt.).
Bedürfnisanstalten 254.
Beetz 307 (Litt.).
Behm 253 (Litt.).
Behnke 169.
— s. a. Litteratur.
Beielstein über Bäder 110.
Bell-Colemann, Eismaschine 44.
Beleuchtung der Wagen 273.
— in Theatern 119. 122.
Beimas 318.
Berlin, Exanthematicus in 147.
— Flecktyphus in 147.
— Pennen in 147. 155.
— Pocken in 147.
— Polizeiverordnung über Pennen etc.
in 153.
— Recurrens in 147.
— Theater in 136.
— Volksbad in 94.
— Volkskaffeehaus in 173.
— Wärmehallen in 176.
Betriebsordnung 119.
Bettung 256.
Bilge-water 190
Billings 316.
Büsche 190.
Bilschgase 193.
Bilschraum 190.
Bilschwasser 195 ff.
Blane 187.
Blankenstein, Architekt 18. 19. 20. 33. 74.
Blocksystem 260.
Bochum, Kosthaus in 174.
Bock 148.
Bohr 186.
Boerner & Co. 87. 102. 110.
23*
350
Register.
Börner's Patentclosett 209.
Boog über Theater 138.
Booth über Asyle in London 152.
Bordeaux, Volksbad in 106.
Born 271 (Litt.)
Braehmer 307 (Litt.). 310 (Litt.).
Brände 118.
— s. a. Theaterbrände.
— Theaterbrand zu Nizza 117.
„ ,, Oporto 117.
,, „ Paris 117.
„ „ Wien 117. 127.
Brandmauern für Theater 125.
Braunschweig, Brausebad in 94.
— Theater in 124.
Brausebad s. a. Volksbad.
Brausebäder 86.
— in Amerika 107.
— „ Berlin 94.
— ,, Bordeaux 106.
— ,, Braunschweig 94.
— „ England 106.
— ,, Frankreich 106.
— ,, Hannover 93.
— „ Holland 106.
— „ Köln 94. 97.
— ,, Liverpool 106.
— ., Mainz 94.
— ,, Mannheim 92.
— „ München 92.
— ,, Oesterreich 106.
— „ Offenbach 95 ff.
Brausezelle 90.
Bremen, Volkskaffeehaus in 175.
— Zahl der Schiffe und Matrosen li
Bremsen 262. 275.
Breslau, Recurrens in 148.
Brosius 247 (Litt.).
Brückwald, Architekt 133.
Brühkessel 54.
Brüssel, Flecktyphus in 148.
Budapest, Theater in 122.
Bühnenmaschinerie 122.
— regen 124.
Büte und Borries 243.
Buffer 274.
Bugge 213.
Burton-Brown 206.
Busley 206.
Cahen 248.
Carpenterbremse 276.
Carre, Eismaschinen 44.
Central-Weichenstellung 260.
Chemnitz, Markthallen in 60.
Cholera 276 ff.
— in London 147.
— „ Pennen 147.
— bacillen im Bilschwasser 196
Cirkusanlagen 130 ff.
Citronensaft gegen Skorbut 187.
Clauss 271 (Litt.).
Common lodging houses 146 ff. 152.
act 147.
Coaltarisation 325.
v. Cohausen 340.
Cook 187.
Cornet 282.
Coupeewagen 263. 265.
v. Czatary 286. 307 (Litt.). 310 (Litt.
D.
Dampfbäder 108. 109.
— heizung 272.
Demmler 327.
Deschamps 148.
Desinfektion der Schiffe 194 ff.
Destillierapparate auf Schiffen 223.
Dienstzeit 302.
Douchebäder 109.
Drehgestell 264.
Drehscheiben 261.
Dresden, Kaserne in 322. 336.
Dresdener Konferenz 231.
Dryholystoning 195.
Dünal 30.
Düngerstätten für Schlachthäuser 49 fl
— wagen 51.
Dujardin-Beaumetz 170.
Dumesnil 148.
Dunbar 197.
Duncan 146.
Dunggruben für Schlachthäuser 49 ff.
Durchgangswagen 263. 265.
E.
Eau de la sentine 190.
Einkommen der Eisenbahnbeamten 300.
Eisenbahnanschlufs für Düngerstätten 51.
— für Viehmärkte 58.
Eiserner Vorhang 125 ff.
Eismaschinen 44. 219.
— s. a. die einzelnen Konstrukteure.
Eklund 329.
Elberfeld, Asyl in 166.
Elektrische Beleuchtung 274.
— Lokomotive 239.
Elektrisches Licht in Theatern 129.
Ende & Böckmann über Bäder 110.
England, Asyle in 169.
— Volksbäder in 106.
Entleerung der Theater 127 ff.
Erfurt, Schlachthof in 40.
Erhardt 198.
Erismann 318.
Ernährung auf Schiffen 213.
— der Bahnbeamten 304.
— in Asylen 158.
Erwärmung des Badewassers 100.
Exanthematicus in Berlin 147.
— in Paris 148.
Explosion auf Schiffen 192.
F.
Farbenblindheit 299.
Fenster in Eisenbahnwagen 270.
— in Theatern 179.
Register.
351
Feuergefährlichkeit der Theater 119. 138
Filter für Schiffe 224.
Flammen in Theatern 129.
— bewegliche 122.
— geschützte 122.
Flecktyphus in England 146
— in Festungen 146.
— ,, Gefängnissen 146.
— ,. Irland 146.
— ., Breslau 148.
— „ Brüssel 148.
— ,, Riga 148.
Fleischverbrauch 54 ff.
— Verteuerung durch Schlachthöfe 26.
Flock 192.
Focks über den Brand des Ringtheaters
138.
Fölsch über Theater 138.
Fonssagrives 218.
Forum als Markt 3.
Forst 319. 331.
Frankfurt a. M., Theater in 122. 124.
Frankreich. Volksbäder in 106.
Friedel 187.
Froelich 316.
Führerstand
— bedeckter 262.
— offener 262.
G.
Gärtner 192. 206.
Gangbreite in Versammlungsräumen 131.
Gasbeleuchtung 273.
Gase, inspirable bei Theaterbränden 127.
Gasheizung 272.
— licht in Theatern 129.
Geary 187.
Gebläse 203.
Gebühren in Markthallen 12. 14.
Gefängnis, Krankheiten im 146.
Geleisanlagen für Viehmärkte 64.
Geschäftsvermittler 11.
Geschichte der Eisenbahnen 238.
Gesetze über niedere Herbergen 151 ff.
Gewerbeverein, Niederösterr., über Feuer-
schutz in Theatern 138.
Gewicht des Schluchtviehes 26. 54.
Gilardone über Theatersicherheit 120. 138.
Gipsdielen für Theater 123.
Girgensohn 148.
Glasgow, Flecktyphus in 146.
Glover 146.
Goltdammer 156. 172 Litt.
— über Pennen 147
— ,, Recurrens 146.
Graz, Schlachthof in 38.
Green 204.
Grofshandel 4 ff.
Grove 87. 102.
Grube von der Heydt, Schlafhaus der 170.
Gruber, F., 336. 345.
II.
Haack 205.
Haber 239 (Litt.).
Hackländer, Architekt 66
Hähne 102.
Hafenarzt 212.
Haftpflicht 29 J.
Halla 247.
Halle, Schlachthuf in 39.
— Theater in 122. 134.
Hamburg, Kaffeehalle in 175.
— Musterung in 189.
Hanfseile, feuergefährlich 119. 121.
Hannover, Volksbad in 93.
— Kaserne in 321.
Hausordnung 119.
Hautkrankheiten 276.
Hawsksley 145.
Hay, Captain 155.
Heberlein-Bremse 275.
Hechler, Architekt 60
Hecht, Architekt 70.
Heilmann's Lokomotive 239.
Heizmaterial f. Lokomotive 263.
Heizung der Bäder 98.
— der Theater 122.
— der Wagen 271.
Heibig 342.
Hennicke s. Litteratur.
Herbergen 171 ff.
Herwig 195.
Herzog-München 286.
Hirsch, A. 149.
— Dr. med. Mustertheater von 137. 138.
Hobrecht, H , 324.
Höpfner, Architekt 137.
Hofgröfse der Theater 121. 129.
Hoffmann 247 (Litt.).
Hohlsteine für Theater 123.
Holland, Volksbäder in 106.
Holzapfel über Bäder 110.
— kohle 272.
— schiffe 183
— werk in Theater 121.
Horizont in Theatern 122.
Hospitäler auf Schiffen 211
Huber 54
— Ventilation nach 36.
v. d. Hude, Architekt 136.
Humboldt, Akt. -Ges., baut Eismaschinen 48.
Hydranten für Theater 124.
I.
Impfungen auf Schiffen 213.
Imprägnierungsmittel für Coulissen 122.
Infektionskrankheiten 276.
— auf Eisenbahnen 248.
Invaliditätsgesetz 294.
Irland, Flecktyphus in 145.
Irrespirable Gase bei Theaterbränden 127.
J.
Jacobi 148.
Jünglingsheime 171.
Jüptner, Frhr. v., über Theater 138.
Junck über Theater 138.
352
Register.
K.
Kältemaschinen 42 ff.
Kaffeehallen 172.
Kaidaunenwäsche 41.
Kalk zur Desinfektion der Schiffe 196.
Karlinsky 190.
Kasematten 339.
Kaserne 316 ff.
Keller unter Markthallen 17.
Kiel 190.
Kielschwein 190.
Kindersterblichkeit in Liverpool 146.
— in Nottingham 145.
Kirchen, Sicherheit der 132.
Kirchner 186. 319. 330.
Klasen über Badeanstalten 110.
Kleidung der Bahnbeamten 301.
Kleinhandel 4 ff.
Klinger über Bäder 99. 110.
Klosetts 254
Knallpatronen 258.
Koch u Gaffky über Desinfekt. der Schiffe
195.
Köln, Volksbad in 94. 97.
Kohlenladungen 194.
— oxydvergiftung auf Schiffen 192.
— räum 98.
— Säurevergiftung auf Schiffen 192.
Kolschwein 190.
Kompressor 44.
Korksteine für Theater 123.
Korridore in Theatern 129.
— in Versammlungsräumen 131.
Kosten der Bäder 103 ff.
Kosthaus in Bochum 174.
Krankenkassen für Eisenbahnarbeiter 309.
— für Seeleute 229.
Krankenwagen 269.
Krankheiten der Reisenden 247.
— des Eisenbahnpersonals 248.
Küchen auf Schiffen 210.
Kühlanlagen 42 ff.
— apparate 219.
— haus 48 ff.
— räume 8.
Kuppelung der Wagen 274.
L,.
Lang 268.
Lapparent 186.
Lassar 87. 110.
Lazarette auf Schiffen 211.
Lazarettzüge 269.
Lebert 148.
Lederer 227.
Leichentransport 283.
Leiszner 269.
Lent 249.
Leonhardt über Bäder 110.
Lessing-Theater in Berlin 136.
Lex s. Roth.
Licht, Architekt 74.
Liddle 155.
Linde's Eismaschinen 47.
Lindemann, Architekt 33. 74.
Linner, Architekt 38.
Litteratur über Feuersicherheit der Theater
138.
Litten 148.
Liverpool, Kindersterblichkeit in 146.
— Volksbäder in 106.
Löffler 271 (Litt), 284.
Löscheinrichtungen für Theater 123.
Lokomotiven 261.
London, Asyle in 152.
— Pennen in 146.
— Recurrens in 146.
Lüeff, Architekt 38.
Lüftung 103.
— der Personenwagen 268.
— des Schiffes 198 ff.
Luftraum in common lodging houses 150.
Lythfoot, Eismaschine von 44.
M.
Macdonald 190.
Mägdeheime 171.
Märkte 1 ff.
Mainz, Volksbad in 94.
Mallieux 273 (Litt.).
Mannheim, Brausebad in 92.
Marggraff über Bäder 110.
Market 3.
Markthallen 4 ff. 60 ff.
— Beleuchtung der 17.
— für Grofshandel 9.
— ,, Kleinhandel 9.
— in Belgien 4.
— ,, Berlin 4. 5.
— „ Chemnitz 4-
— ., Deutschland 4.
— ,, Dresden 4.
— ,, England 4.
— „ Frankfurt a. M. 4.
— ,, Halberstadt 4.
— ,, Hannover 4.
— ,, Italien 4.
— „ Köln 4.
— ,, Leipzig 4.
— „ München 4.
— ,, Oldenburg 4.
— ,, Paris 4.
— „ Stuttgart 4.
— innere Einrichtung derselben 15.
— Kosten derselben 12 ff.
— Mieten in denselben 14.
— Raumbedarf derselben 13.
— Rentabilität derselben 12.
— Verwaltung derselben 10.
Marktpreise 6.
Martin 271 (Litt.)
Marx 107. 110.
Mauerwerk in Theatern 121.
Medizinkiste auf Schiffen 212.
Meinert 175.
Mercato 3.
Mercatus 3.
Mericourt 186.
du Mesnil 149. 170.
Meyer, A. über Badeanstalten.
Register.
353
Mildner über Bäder 110.
Militärärzte 296.
Monier-Bauten für Theater 123.
— Wände 90.
Monopolpreise 6.
Morache 328.
Morgenstern L. 175.
Moritz, Architekt, 74.
Moskau, Asyle in 168.
Mülheim a. R., Schlachthof in 40.
München, Brausebad in 92.
— Uoftheater in 125.
— Schlachthof in 37.
Münnich 87.
Munk über Volksküchen 173.
Murchison über Flecktyphus 146.
Muster-Theater 136, 137.
N.
Napoleon I. erbaut Schlachthäuser 24.
Neckelmann, Architekt, 136.
Neree 331.
Neues Theater in Berlin 136.
New York, Volksbad in 107.
Niemeyer 247.
Nizza, Theater in 117.
Nocht 194, 197.
Nordmann, Architekt 70.
Notbeleuchtung der Theater 119. 120. 129.
Nottingham, Sterblichkeit in 145.
Nundinae 3.
Personenaufzüge 255.
Peters über Bäder 110.
Petri 253 (Litt.). 284.
Petrin 326.
Pferdemärkte 17 ff.
— in Wien 21.
Pictet's Eismaschine 44.
Pinsch, Jul., 273.
Pissoire 96.
Pistor über Pennen etc. 149.
Plumert 192.
Pocken in London 147.
— in Pennen 147.
Polizei auf Märkten 6.
— -Verordnung über Theatersicherheit
138.
Praktikables 119.
Praufsnitz 284.
Prerau 260.
Pressköpfe 198.
Professionelle Krankheit des Maschinen-
persouals 252.
Prokop über Theater 138.
Prospekte in Theatern 119. 122.
Proviant 214.
Pullmann-System 263.
Putzeys 318.
<*•
Quarantänen 230.
O.
Oberbau 255.
Oelgasfabriken 301.
Oesterreich, Volksbäder in 106.
Ofenheizung 272.
Offenbach, Stadtbad in 95 ff.
Oporto, Theater in 117.
Oppenheim 245.
Orth über Tierseuchen 57.
Osthoff (s. a. Litteratur) 39.
— erbaut Schlachthof in Halle 70.
— ,, ,, in Schwiebus 64.
— „ „ in Tilsit 66.
— über Bäder 110.
P.
Paget 247 (Litt).
Paralysis nervi facialis 247.
Paris, Asyle in 148, 167.
— Flecktyphus in 148.
— Markthallen in 4.
— Pennen in 148.
— Theater in 117.
Parkes 206.
Patentklosett von Börner 209.
Paul, Baurat 21.
Pennen in Berlin 147. 156.
— in London 146.
— „ Paris 148.
Perells 260.
Perking's Heifswasserheizung 64.
lt.
Rabitz-Bauten für Theater 123.
— Wände 91.
Rae 219.
Ränge, erlaubte Zahl der 120. 128.
Railway-bire 245.
— spine 245.
Randel über Bäder 86. 110.
Raoul 198.
Rauer 193.
Raumverhältnisse der Wagen 266.
Recurrens in Berlin 147.
— in London 146.
— Vorkommen des 146.
Reincke 186.
Renk über Bäder 110.
Restaurationen in Theatern 120.
Rettungskasten 284.
— wagen 286.
— wesen 284.
Richter 253 (Litt.).
Riegler 245. 250. 262.
Riga, Flecktyphus in 148.
Ringeling 193.
Rippen 190.
Risch s. Litt.
Robertson, H über Badeanstalten 110.
Rochard, Jul. 148.
Rodney 187.
Roesicke 137.
Root 203.
Roth und Lex 333. 343.
354
Register.
S.
Saatholz 190.
Sabordement 193.
Salonwagen 265.
Sander 149.
Sandstein 195.
Saugköpfe 200.
Sauvageot über Theater 138.
Schaffer 324.
Schiebebühnen 261.
Schienen 237. 255
Schiffsluft 191.
— hygiene 180 ff.
Schlachthöfe 30 ff.
— Berechnung der GröTse ders. 40.
— Beleuchtung ders. 32.
— Entwässerung ders. 32.
— deutsche, 29.
— französische 29.
— für krankes Vieh 41.
— für Pferde 41.
— Gebühren auf dens. 55.
— Kosten ders. 55 ff.
— in Berlin 29. 31. 33. 74.
— „ Bielefeld 29.
— ,, Bonn 40.
— ,, Braunschweig 40.
— „ Bremen 29.
— „ Cassel 29.
— „ Chemnitz 29.
— ,, Dortmund 29.
— „ Erfurt 70.
— ,, Essen 70.
— „ Frankreich 29.
— „ Freiburg i. Br. 29.
— „ Genf 30.
— „ Graz 38.
— „ Halle 39. 70.
— ,, Hannover 29. 70.
— „ Italien 29.
— ,, Leipzig 29. 40. 74.
— „ Lübeck 29. 66
— „ Metz 29.
— ,, Mülheim a. R. 30. 40.
— „ München 29. 37. 40.
— ,, Osnabrück 66.
— „ Schwiebus 64.
— „ Strafsburg 29.
— „ Stuttgart 30.
— „ Ulm 30.
— „ Wien 29.
— ,, Wiesbaden 40.
— Verwaltung ders. 23. 24.
— Verwaltungsgebäude für dies. 51.
— Wasserversorgung ders. 52 ff.
Schlachtvieh, Gewicht des 26.
— markte 23.
Schlafhänser 170 ff.
— stellen s. a. Pennen.
— wagen, Ansteckung durch 280
Schmidt, Architekt 136.
Schmitt, Ed., 172. 175
Schmörkel 284.
Schnürboden der Theater 1 25.
Schranken 257.
Schnitze über Bäder 110.
Schuster 345.
Schweineschlachthäuser 35 ff
Schwiening, Architekt 66.
Schwimmbad 92.
Schwitzbäder 108. 109.
Seekrankheit 228.
Seeling, Architekt 133.
Selbstentzündung auf Schiffen 192.
Seligmüller 246.
Semper, G., Architekt 133.
Seydel 193.
Signale 257.
Simon, H., 149.
— Sir John 152.
Sitze 267
Sitzgröfse in Theatern 128.
Sjögvist 198.
Skorbut auf Schiffen 187. 218.
Soffittenbeleuchtung 1 1 9.
Sommerfrischen 304.
Spanten 190.
Spezialisten als Bahnärzte 309.
Spielhagen, Architekt 40.
Spirituosen auf Schiffen 187.
Spncknäpfe 282.
Stadtbad s. a. Volksbad.
Stände für Fische 17
— ,, Fleisch 17
— ,, Gemüse 17.
— Miete ders. 13.
Stallungen 49.
Sterblichkeit auf Schiffen 188.
Stich 305
Stofsfangschiene 256.
Stude über Feuersicherheit 138.
Stubben, J., über Badeanstalten 110.
Stuttgart, Herberge in 173.
— Mägdeheim in 172.
Sublimat zur Desinfektion der Schiffe 195.
Submersion 193.
T.
Talgschmelze 51.
Tanks auf Schiffen 210.
Telegraphie auf der Eisenbahn 257
Telegraphen in Theatern 130.
Tender 261.
Theater, grofse 123.
— kleine 123
— in Bayreuth 132 ff.
— „ Berlin 136.
— ,, Braunschweig 124. 126.
— „ Budapest 122.
— „ Frankfurt a. M. 122. 124.
— „ Halle 122. 134.
— ,, München 125.
— ,, Nizza 117.
— „ Oporto 117.
— „ Paris 117.
— ,, Wien 117.
Thiem 247 (Litt.).
Thüren in Eisenbahnen 270.
— in Theatern 129.
— ., Versammlungsräumen 131.
Tischer von Rösslerstamm 273 (Litt.).
Register.
355
Todesfälle, Statistik der auf Eisenbahnen 249.
Tollet 318. 336. 344.
Traumatische Nekrose 245.
Treppen in Theatern 128 ff.
— in Versammlungsräumen 131.
Treutier & Schwarz 204.
Trinkwasser 277.
Trockenräume 98.
Tuberkulose 282.
Turner 192.
— über Feuersicherheit der Theater 138.
Typhus 276.
— abdominalis s. Abdominaltyphus.
— exanthematicus s. Exanthematicus.
— s. auch Flecktyphus.
— bacillen im Bilschwasser 196.
U.
Uebernachtungsräume 305.
Unfallstatistik 239.
— Versicherung 293.
Untergestell der Wagen 264.
Urlaub der Eisenbahnbeamten 303.
Uriniergefäfse 266.
Utley's Fenster 201.
V.
Vauban 317.
Valiin 198.
Ventilation der Theater 129.
— der Wagen 268.
— s. a. Lüftung.
Ventilatoren 202 ff.
Verdauungskrankheiten 304.
Vergiftung auf Schiffen 192.
Verkehrhygiene 178 ff.
Verpflegungsdiäten 305.
Verriegelung 260.
Versammlungsräume 131.
Versatzstücke 121.
Versicherung der Seeleute 230.
Verwaltung der Eisenbahn 294.
Viehoff u. Voss 199. 270.
Viehmärkte 17 ff. 56 ff.
— seuchen 282.
Vinen 155.
Viry 344.
Völckner 345.
Volksbäder im Altertum 85.
— s. a. Brausebad.
— kaffeehaus in Berlin 173.
— küchen 172.
Vorhang, eiserner 125 ff.
W.
Wärmehallen in Berlin 176.
Wärmstuben 172.
Wagen, Personen- 263.
Wagner, E. über Bäder 110.
Wagner-Theater 132 ff.
Walbrach 211.
Wannenbäder 91.
Waschgelegenheit 266.
Wasser s. Trinkwasser.
— bedarf 99.
— beschaffung 99.
— druck auf Bühnen 122.
— hähne 102.
— leitung 101.
— Versorgung auf Schiffen 222.
— — der Theater 124.
Watt, Jam., 238.
v. Weber 239 (Litt.). 244.
Wegebreiten in Theatern 128.
Weichen 261.
— steller 256.
Weifs, Architekt 34.
Wendeltreppen in Kirchen 132.
Wenzel 189.
Wernich über Schlafstellen 151.
Werkstätten in Theatern 120.
Westergaard 253 (Litt.).
Westinghouse-Bremse 276.
Weyl, Th., Gesundheit der Städte 156.
— Feuerlatrine 334.
Wiehert 266. 273.
Wiebe, Architekt 70.
Wien, Asyle in 167.
— Theater in 117.
— Wärmehalle in 176.
Windhausen, Eismaschine 44.
Windsack 199.
Wochenmärkte 1 ff.
Wohlfahrtseinrichtungen für Eisenbahnbe-
amte 291.
Wohnung für Eisenbahnbeamte 301.
Wohnungen in Theatern 120.
Wolffhügel u. Lang 268.
Wolkenschleier 119.
Wolpert-Sauger 269.
Wyfs 148.
Z.
Zekeli über Bäder 119.
Zenetti, Architekt 37.
Zillmer 250. 252.
Zuschauerraum der Theater 130.
Zwickau, Kaserne in 320.
Zwischendeck 207.
— decker, Ernährung der 216.
Frommannsche Buctidruckerei (H. Pohle) in Jena. — 1672
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