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LIBRARY
UNIVERSITY OF
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UNIVERSITY LIBRARY
UNIVERSITY OF CALIFORNIA, SAN DIEGO
from the collection of
Professor Koppel S. Pinson
DAS GEBET
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Übersetzung, vorbehalten.
Copyright 1919 by Ernst Reinhardt, München.
Druck von C. Brügel Sf Sohn in Ansbach.
DAS GEBET
EINE RELIGIONSGESCHICHTLICHE
UND RELIGIONSPSYCHOLOGISCHE
UNTERSUCHUNG
VON
FRIEDRICH HEILER
DR. PHIL., PKIVATDOZENT DER ALLGEMEINEN RELIGIONSWISSENSCHAFT
AN DER UNIVERSITÄT MÜNCHEN
2. VERMEHRTE UND VERBESSERTE AUFLAGE
MÜNCHEN 1920
VERLAG VON ERNST REINHARDT
Meinem Onkel
Herrn
Friedrich Schilling
Direktor der Fürstlich-Oettingen-Wallerstein'schen Domänen
in Dankbarkeit
gewidmet.
., Oratio iusti clavis est coeli. Ascendit
preratio et descendit miseratio Dei."
Augustinus, (De temp. serm. 226. )
,,Dies Gebet hat große Kraft, das ein
Mensch leistet, mit aller seiner Macht.
Es machet ein sauer Herze süße, ein traurig
Herze froh, ein arm Herze reich, ein dumm
Herze weise, ein blöd Herze kühne, ein
krank Herze stark, ein blind Herze sehend,
eine kalte Seele brennend. Es ziehet her-
nieder den großen Gott in ein klein Herze:
es treibet die hungrige Seele hinauf zu dem
vollen Gotte."
Mechthild von Magdeburg (Offb. VI 3).
„Was das Gebet für Kraft, Eigenschaft
und Tugend an sich habe, werden wir, hab
ich Sorge, nicht genugsam können heraus-
streichen, denn so schlicht und einfältig es
klinget, so tief, reich und weit ist es, daß
niemand es ergründen kann."
Luther (Ausl. d.17. Kap. Job.., Erl. 50. 100).
Vorwort zur i. Auflage.
„Beten ist ein seltsam Werk," hat einer der großen religiösen Genien
gesagt, einer, der in der Welt des Gebets heimisch war. In der Tat gibt
es im weiten Reich der Religion und Frömmigkeit kein seltsameres
und wundervolleres Phänomen als das Gebet. Dem religiösen Menschen
ist das Gebet das Alpha und Omega aller Frömmigkeit, die selbstver-
ständlichste und notwendigste Lebensäußerung, die Quelle aller geistigen
Freudigkeit und sittlichen Kraft. ,, Eines Christen Handwerk ist Beten."
„Du bist kein Christ, wenn du kein Beter bist," so lehren uns die großen
Frommen. Dem von naturwissenschaftlicher Aufklärung und philo-
sophischer Kritik gesättigten modernen Bildungsmenschen hingegen
erscheint das Gebet als ein törichter, kindlicher Aberglaube, geboren
aus der Unkenntnis der strengen Naturgesetzlichkeit und aus einem
niederen selbstsüchtigen Verlangen, ein Aberglaube, den der geistig
und sittlich Starke überwunden hat. „Derjenige, welcher schon Fort-
schritte im Guten gemacht hat, hört auf zu beten," so hat der Philosoph
von Königsberg geurteilt, den man als den größten Denker der Neuzeit
zu preisen pflegt. So ist das Gebet jenes religiöse Phänomen, an dem
sich die Geister scheiden. Hier wird die abgründige Kluft erkennbar,
die zwischen der lebendigen christlichen Frömmigkeit und dem modernen
Danken gähnt. Daß wir uns dieses fundamentalen Gegensatzes nicht
klar bewußt sind, liegt vor allem daran, daß die Theologie beider Kon-
fessionen das ernstliche Studium des Gebets allzusehr vernachlässigt
hat. War es die bange Ahnung des unvermeidlichen Konfliktes mit
der modernen Philosophie, die sie davor zurückschreckte? Besaß sie
nicht den Mut, offen einzustehen für die irrationale Eigenart des Gebets,
wider das Denken zu fechten für das Recht des Lebens ? Oder trübte
die alte Binde des Intellektualismus und Rationalismus ihren Blick,
daß sie das im Gebet sich offenbarende Leben in seiner wunderbaren
Urgewalt und geheimnisvollen Tiefe nicht zu schauen vermochte ? Oder
war es eine zarte Scheu, die sie davor zurückhielt, das Heimlichste und
Heiligste, das Innigste und Persönlichste, das es in der Religion gibt,
zum Gegenstand nüchterner wissenschaf tlicher Untersuchung zu machen ?
Oder schreckten sie die Schwierigkeiten, die sich dem in den Weg stellen,
der, von wissenschaftlichem Interesse getrieben, einzudringen sucht in
die geheimnisvolle Welt des Gebets ?
Diese Schwierigkeiten hat vielleicht niemand mehr gefühlt wie der
Verfasser dieser Studie, als er, einer Anregung seines hochverehrten
Lehrers Dr. Aloys Fischer , Professors der Philosophie und Pädagogik
VIII Vorwort
an der Universität München folgend, sich an dieses kühne Unternehmen
heranwagte. Das quellenmäßige Material ist unendlich reich und mannig-
faltig und doch an den wichtigsten Punkten überaus spärlich und dürftig.
Es war für den Verfasser eine lockende Versuchung, das wirre Vielerlei
des Stoffes historisch zu begrenzen, indem er die Untersuchung auf
ein ihm philologisch vertrautes Gebiet des Orients (das indische oder
babylonische) oder eine Epoche der christlichen Religion einengte.
Allein wie große Vorteile eine solche Spezialisierung der religions-
geschichtlichen Arbeit mit sich gebracht hätte, so wäre der r e 1 i g i o n s-
wissenschaf tliche Ertrag einer solchen Untersuchung ein relativ geringer
gewesen; die Studie wäre über eine Zusammenstellung sporadischer
und fragmentarischer Gebetsdokumente und eine Aufzeigung bestimmter
geschichtlicher Zusammenhänge nicht weit hinausgekommen. „Wer
eine Religion kennt, kennt keine". Dieses Wort des bahnbrechenden
Indologen und Religionshistorikers Max Müller hat hier volle Geltung.
Die bunte Mannigfaltigkeit der Gebetstypen wie das Wesen des Gebets
wird niemals an der Religion eines Volkes, einer Zeitepoche,
einer religiösen Gemeinschaft ersichtlich. So blieb dem Verfasser
nur der eine mühevolle Weg, auf dem unabsehbar weiten Felde der
außerchristlichen und christlichen Religionsgeschichte die charak-
teristischen Typen des Gebets aufzusuchen, die mannigfachen Erschei-
nungsformen des Gebets überall dort zu studieren , wo sie uns in typischer
Schärfe entgegentreten. Schwieriger noch als die Gewinnung und
Sichtung der zerstreuten Dokumente war die psychologische Bewälti-
gung und Durchdringung des vielgestaltigen Stoffes. Wenn es gilt, das
tiefe und geheimnisvolle religiöse Erleben zu verstehen und verdol-
metschen, dann versagen all die kunstvollen Methoden der empirischen
Gesetzespsychologie. Die moderne Religionspsychologie hat, soweit sie
nach „exakter" Methode die religiösen „Bewußtseinsvorgänge" er-
forschen wollte, uns keinen Schritt näher zum Verständnis der lebendigen
Religion geführt. Die echte Religionspsychologie besteht nicht in einer
gefühllosen Anatomie der religiösen Psyche, sondern in einem intuitiven
Nachfühlen fremden religiösen Erlebens. Ohne persönliches religiöses
Erleben und ohne feinste Empfänglichkeit für religiöse Werte ist eine
fruchtbare religio ns psychologische Untersuchung unmöglich. Einem
Religionsforscher, der seinem Forschungsgegenstand nicht wie einem
Heiligtum mit den religiösen Urgefühlen der ehrfürchtigen Scheu und
Bewunderung gegenübertritt, dem wird das Wunderland der Religion
immer verschlossen bleiben. Die Eigenart der Religion ist es, die eine
solche Einstellung zum wissenschaftlichen Erfordernis macht. Aber so
notwendig es ist, daß der Religionspsychologe nicht als kühler Beobachter
außerhalb der Religion steht, sondern in ihr lebt und mit ihr fühlt,
ebenso notwendig ist es, daß er seinen Standpunkt in souveräner Freiheit
über den einzelnen Religionen und Konfessionen nimmt. Das echte und
tiefe Frömmigkeitsleben beschränkt sich nicht auf eine bestimmte
christliche Konfession, ja nicht einmal auf die christliche Religion,
sondern strömt kraftvoll und warm durch die ganze Christenheit, ja
durch die ganze Menschheit. Nur der, welcher den mannigfachen Reli-
Vorwort IX
gionen und religiösen Gemeinschaften in voller Unbefangenheit gegen-
übersteht, ist imstande, den individuellen Sondergeist, den das religiöse
Leben in allen Religionen und Konfessionen offenbart, zu erfassen und
zu würdigen. Es ging auch nicht an, die großen Beter nach konfessionellen
Kategorien zu ordnen und die kanonisierten katholischen Heiligen von
anderen Frommen, die christlichen Mystiker von den außerchristlichen ,
die alt- und neutestamentlichen Persönlichkeiten von den Reformatoren
scharf zu trennen; der Wunsch einer solchen künstlichen Einteilung,
der dem Verfasser wiederholt von katholischen Theologen geäußert
wurde, durfte keine Beachtung finden. Die Klassifikation der Haupt-
typen der Frömmigkeit darf nicht auf Grund solcher äußerer Kriterien
erfolgen, sondern muß sich ausschließlich auf innere psychologische
Merkmale stützen. Weil es dem Verfasser einzig und allein darauf
ankam, das Gebet in der Mannigfaltigkeit seiner Erscheinungsformen
und in seinem tiefsten religiösen Wesensgrunde darzustellen, darum
mußte er alle kirchlich-theologischen Gesichtspunkte — mögen sie bei
anders gestellter Aufgabe noch so berechtigt sein — fallen lassen. Weil
sein Ziel kein anderes war als die lebenswahre und anschauliche Deskrip-
tion des zentralen religiösen Phänomens, darum mußte er sich auf die
geschichtliche und psychologische Untersuchung beschränken und
ebenso auf eine apologetische Rechtfertigung wie auf eine philosophische
Kritik des Gebets verzichten. Es gilt das religiöse Leben in seiner
ursprünglichen Eigenart, seiner irrationalen Wertfülle und geheimnis-
vollen Wundermacht zu begreifen und selbst innerlich von ihm er-
griffen zu werden. Indem der Verfasser diesem Ziele nachstrebte, glaubte
er in gleicher Weise einer lebendigen Religion wie einer die objektive
Erkenntnis der Wirklichkeit suchenden Wissenschaft zu dienen. —
Die gegenwärtig herrschende empfindliche Papierknappheit machte
es nötig, alle mehr an der Peripherie des Themas liegenden Abschnitte
auszuscheiden und einer späteren gesonderten Veröffentlichung vor-
zubehalten. Das umfangreiche Kapitel über den Zauberspruch, seine
Formen, seine Entstehung und seine Beziehungen zum Gebet, schien
im Zusammenhang der Typen des Gebets entbehrlich, da der Verfasser
durch seine Untersuchung zu einer Ablehnung der modernen Theorien
von der Priorität des Zauberspruches und der Genesis des Gebets aus
dem Zauberspruch geführt wurde. Das Kapitel über die buddhistische
Versenkimg, eine Erweiterung eines in der Kuhn-Festschrift veröffent-
lichten Aufsatzes, dürfte sich besser für eine selbständige philologische
Monographie eignen. Der Abschnitt über die Möglichkeit einer kausal-
psychologischen Erklärung der seelischen Wirkungen des Gebets durfte
von dieser Untersuchung losgetrennt werden, die ja den Hauptzweck
hat, dem Leser einen lebendigen Eindruck von dem bunten Formen-
reichtum und der irrationalen Urgewalt des Gebets zu vermitteln.
Durch die Ausscheidung dieser zur Randzone des Themas gehörenden
Probleme und durch die straffe Konzentration auf die Darstellung der
Haupttypen und des Wesens des Gebets dürfte das vorliegende Werk
nicht nur nichts verloren, sondern sogar an innerer Geschlossenheit
gewonnen haben. Die Fülle von Problemen, welche das Gebet, der
X Vorwort
Mittelpunkt aller Frömmigkeit, der religionsgeschichtlichen und religions-
psychologischen Forschung stellt, kann unmöglich in einem Werk
erschöpfend behandelt werden ; die vorliegende Untersuchung sollte vor
allem die allgemeine Grundlage, die ,Prolegomena' zu einer ins Detail
eindringenden Geschichte des Gebets bilden, von der der Verfasser
selbst bestimmte Teilgebiete (zunächst die christliche Gebetsfrömmig-
keit des Mittelalters und die mystische Versenkung im Buddhismus)
bearbeiten will. Nichts würde er mehr begrüßen, als wenn er anderen
Forschern zur näheren Untersuchung des Gebets innerhalb ihres philo-
logischen oder historischen Fachgebiets die Anregung und Handhabe
geboten hätte.
Herrn Professor Dr. Aloys Fischer sage ich vielen Dank für die
Veranlassung dieses Werkes sowie für die zahlreichen Anregungen, die
ich in seinen Vorlesungen über allgemeine und spezielle Psychologie
empfing. Wertvolle religionsgeschichtliche Fingerzeige für meine Unter-
suchung fand ich in den Schriften des großen schwedischen Religions-
historikers Nathan Söderblom. Viele sachliche Anregungen ver-
danke ich meinem Bruder Joseph Heiler.
München, 27. Januar 1918.
Vorwort zur II. Auflage.
Früher, als es dem Verfasser wünschenswert war, wurde die Heraus-
gabe einer Neuauflage des vorliegenden Werkes notwendig. Die Pläne
einer umfassenden Erweiterung und durchgreifenden Umarbeitung,
mit denen ich mich trug, konnte ich in der kurzen Zwischenzeit der ersten
und zweiten Auflage nicht verwirklichen. Doch habe ich (besonders in
der Darstellung des mystischen und prophetischen Gebets) zahlreiches
neues Material eingefügt und viele sachliche und formale Verbesserungen
angebracht, so daß trotz häufiger Anwendung von Kleindruck diese Auf-
lage einen Zuwachs von nahezu 90 Seiten erfuhr. Neu geschrieben
wurden zahlreiche Absätze der Kapitel F I (Das Gebet der religiösen
Genien) und F II (Allgemeine Charakteristik der beiden Haupttypen der
persönlichen Frömmigkeit)*. Nicht entschließen konnte ich mich den
geschichtlich-psychologischen Rahmen des Werkes zu überschreiten und
meine persönliche religiöse Stellung zum Gebet in diesem Buche ausdrück-
lich auszusprechen bezw. religionsphilosophisch zu begründen, wie das
manche meiner Leser offen oder heimlich wünschten. Doch habe ich
— nicht ohne Bedenken — eine in einer schwedischen Landgemeinde ge-
haltene Sonntagspredigt über „Das Geheimnis des Gebets" veröffent-
* Die meisten Quellenbelege aus antiken Autoren hat der Verfasser in der
neuen Auflage deutsch wiedergegeben, die lateinischen, französischen und englischen
Zitate hat er auf vielfachen Wunsch ebenfalls übersetzt, mit einigen Nachträgen
und Berichten versehen und als Anhang gesondert herausgegeben. (Siehe An-
merkung des Verlages am Schlüsse des Sachregisters Seite 558.;
Vorwort XI
licht („Kanzelreden in schwedischen Kirchen", München 1919, Verlag
von Chr. Kaiser), die demnächst in dei veränderten Fassung, in der ich
sie bei einem akademischen Gottesdienst hier in Uppsala hielt, auch
schwedisch erscheinen wird; aus ihr mögen jene Leser dieses Buches, die
von mir mehr wünschten als eine rein wissenschaftliche Behandlung des
Gegenstandes, meine persönliche Anschauung erfahren; diese dürfte je-
doch für alle, welche zwischen den Zeilen dieses Buches zu lesen verstehen,
nicht neu und überraschend sein.
Eine ganz besondere Freude ist es mir, das Vorwort dieser Ausgabe
an dem Wirkungsorte des Mannes schreiben zu können, der für meine
innere Entwicklung und für die Abfassung dieses Buches am meisten
bedeutet hat und dessen freundliche Besprechung am literarischen Erfolg
dieser Erstlingsarbeit besonderen Anteil hat, Nathan Söderblom;
ihm sei auch an dieser Stelle der innigste Dank ausgesprochen. Des-
gleichen sage ich herzlichen Dank all den vielen, welche dieses Buch wohl-
wollend beurteilten und durch ihre kritischen Ausstellungen wertvolle
Winke zur Verbesserung gegeben haben. Für freundliche private Hin-
weise schulde ich besonderen Dank den Herren Universitätsprofessoren
D. Dr. Rudolf Otto (Marburg), D. Dr. Heinrich Scholz (Kiel),
Lic. Fernand Menegoz (Straßburg), den Herren Pfarrern Dr. Karl
Anton (Wallstadt, Baden), Wolt Meyer (Fessenheim, Schwaben),
vor allem aber dem ausgezeichneten Lutherkenner Pfarrer D. Hermann
Steinlein (Ansbach), der, keine Mühe scheuend, mir auf seinem Spe-
zialgebiete in jeder Weise behilflich war. Bei der Korrektur unter-
stützten mich in aufopfernder Arbeit mein Onkel, Herr Anton Schil-
ling, mein Bruder Josef H e i 1 e r und mein Schüler H?rrstud.theol. Adolf
Köberle (der Neffe des früh verstorbenen altestamentlichen Forschers
Justus Köberle, dem wir die bedeutsamste Abhandlung über das israeli-
tische Gebet verdanken). Letzterer hat zusammen mit seiner Schwester
Sophie das Register dieser Auflage bearbeitet. Ihnen allen sei für ihre
Bereitwilligkeit und Mühe herzlich gedankt.
Uppsala, im Hause des Universitätsprofessors D. Einar Billing,
am Gedächtnistage der heiligen Birgitta von Schweden, 7. Oktober 1919.
Der Verfasser.
Inhaltsverzeichnis.
Einleitung.
I. Das Gebet als das zentrale Phänomen der Religion . i — 4
II. Die bisherige religionswissenschaftliche Untersuchung
des Gebets 4—16
1 ) Religionsgeschichte 4. 2 ) Vergleichende Religionswissenschaft 7.
3) Religiouspsychologie 13. 4) Religionsphilosophie 15.
III. Aufgabe und Methode der Religionswissenschaft . . 16 — 26
1) Der Gegenstand der Religionswissenschaft 16. 2) Die Gliede-
rung der religionswissenschaft Hohen Untersuchung 22.
IV. Die Quellen für eine Untersuchung des Gebets . . 26 — 37
1 ) Gebete 27 (von anderen gehörte und aufgezeichnete Gebete 28;
selbst aufgezeichnete Gebete 28; mitgeteilte Gebete 30; Gebetsbei-
spiele 31; Gebetsformulare 31; Gebetsdichtungen 33; nachgeahmte
Gebete von Dichtern 33. 2) Salbstzeugnisse über das Gebet 34
(Gebetsanweisungen großer Beter 34; Salbstzeugnisse von Mystikern
35; Gsbetstheologien 36); 3) Reine Fremdzeugnisse (über den Körper-
ausdruck des Gebets) 36.
Die Typen (Hauptformen) des Gebets.
A. Das naive Beten des primitiven Menschen 38 — 132
I. Vorbemerkungen ■ 38—47
IT. Anlaß und Motiv zum Gebet 38 — 47
1) Die Not 43. 2) Der Wunsch 43. 3) Das regelmäßige Gebet 43.
4) Das altruistische Mitgefühl 44. 5) Die Dankbarkeit 45. 6) Die
Ehrfurcht vor dem Heiligen 46. 7) Der Enthusiasmus 47.
III. Form des Gebets 47 -53
1) Naturlaute 47. 2) Freiesund gebundenes Gebet 48. 3) Ge-
U'tsruf und Gebetsgespräch 51.
IV. Die Person des Beters. Individuum und Gesellschaft im primitiven
Gebet 53-5»
1) Kollektivgebet 53. (Stellvertretende Vorbeter 54; Respon-
sorium 55; Chorgebet 55.) 2) Individuelles Gebet 56 (in eigener
Angelegenheit 56 stellvertretendes Priestergebet 56). 3)Zwischen-
forra 57. 4) Prioritätsproblem 57.
V. Inhalt des Gebets 58 — 08
1) Anrufung 58. 2) Klage 59. 3) Bitte 60 (Leben und Ge-
sundheit 6] ; Schutz 61 ; Nahrung 62; Wachstum der Felder 63;
Gedeihen der Herden 63; Kinderreichtum 63; Reichtum 64;
Schutz des Eigentums 64; Sieg und Beute 64; Gelingen des Zau-
bers 05; viele Wünsche 65; egoistische und antisoziale Wünsche
66; höhere Werte 66; generelle Bitte 67; Fortleben des primi-
tiven Bittgebets in den antiken Religionen 67). 4) Fürbitte 69
(für Weib und Kind; für Sippschaft, Häuptling, Freunde; für
XIV Inhaltsverzeichnis
Fremde 69; für Tote 70). 5) Opfer, Opferspruch und Gelübde
71. (Verbindung von Gebet und Opfer 71 ; Speiseopfer und sein
Sinn 72; Geschenkopfer 74; Ersatzopfer 74; survivals 75; Opfer-
mahl 75; Opfergebete 75; Sinn des Gelübdes 79; primitive und
antike Gelübde 79.) 6) Mittel der Überredung 80. (Gruß 80;
Lobpreis 81 ; Appell an das Interesse des Gottes 82 ; Beschimpfung
und Drohung 83; Selbstlob 85; Appell an das Mitleid des Gottes
86; Entschuldigung und Beschwichtigung 87; Sündenbekenntnis
87; das stürmische und anhaltende Gebet 89.) 7) Aussprache des
Abhängigkeitsgefühls, der Zuversicht und Ergebung 89. (Hinweis
auf die eigene Ohnmacht und Gottes Macht 90; Berufung auf
Gottes frühere Hilfe 91; auf das Kindschaftsverhältnis 91; reine
Äußerungen religiöser Gewißheit und Zuversicht 91; Aussprache
der Ergebung 93; Ansätze zu mystischer Kontemplation 94.)
8) Dankgebet 95. (Form der Danksagung 96; Gegenstand des
Dankes 96; Dankopfer 97; Opferspruch 97; Verbindung der
Bitte mit dem Dank 97.)
VT. Gebetshaltung und Gebetsgestus 98— 10c»
1) Mimik des Beters 98. 2) Psychologischer Ursprung der
Körper- und Händehaltung beim Gebet 98. 3) Die Körperhal-
tungen 1 00. (Stehen ;Knien, Hocken, Sichniederwerfen, Verbeugung,
Drehung, Hüpfen.) 4) Die Händehaltungen 101. (Erheben und
Ausbreiten der Arme, Anlegen der Hände an den Kopf, Hände-
klatschen, Beklopfen der Brust, des Erdbodens, Händefalten, In-
einanderlegen der Hände; Kreuzen der Hände, Berührung des
Götterbilds oder Altars, Küssen des Kultobjekts, Kußhand.)
5) Entblößungen 104 (der Füße, des Hauptes, des Oberkörpers,
des ganzen Körpers). 6) Verhüllung (von Haupt und Händen) 105.
6) Die psychologische Deutung der einzelnen Gebetshaltungen und
-gesten 105. 7) Zusammenhang mit den profanen Gruß- und Hul-
digungsformen 107.
VIT. Oie im Gebet angerufenen höheren Wesen 109 120
1) Natur- und Tätigkeitsgeister 109. (Naturgeister, Tiergötter,
Werkzeuge 110; Fetische, Idole, Schutzgeister m; Krankheits-
geister, Sondergötter 112; Lokalgottheiten 113; Wirkungskreis
dieser Wesen 113; synkretistische Gottheiten von umfassendem
Machtbereich 115.) 2) Ahnengeister (Väter und Häuptlinge) 116.
3) Die „hohen Götter", „Urväter" 113 (Wissenschaftliche Problem-
stellung 119; ihre Funktion als Schöpfer, Stifter, Gesetzgeber,
Schicksalslenker und Sittlichkeitswächter 119; geistiger Charakter
120; Namen 121 ; Fehlen eines organisierten Kults 121; Gebet an sie
122; deistische Verkümmerung des Urväterglaubens 124. 4) In-
terzession 126. 5) Intervention 128. 6) Gebet an mehrere Gott-
heiten 128. 7) Das Prioritätsproblem 129.
VII f.. Die dem Gebet zugrundeliegende Gottesvorstellung 131 — 139
1) Übersinnlichkeit 131. 2) Übersinnliche Macht 131. 3) An-
thropomorphismus 133. 4) Der Glaube an die Präsenz Gottes:
Gebetsort und Gebetsrichtung 135. (Gebet vor Naturobjekten 137;
im Tempel 137; Wallfahrt 137; Richtung zum Himmel, nach
Osten, zum Tempel 138.)
IX. Das im Gebet sich äußernde Verhältnis des Menschen zu Gott . 139—147
i) Der Glaube an die reale Einwirkung des Gebets auf Gott
139. 2) Der Reflex eines irdischen Sozialverhältnisses 140. (Ver-
wandtschaftsverhältnis 141; Untertanenverhältnis 144.) 3) Die
Äußerung des Sozialverhältnisses in der Gebetsstimmung 145.
(Furcht 145; Feierlichkeit 146; Herzlichkeit und Zuversicht 146.)
X. Zusammenfassende Charakteristik. Die Bedeutung des primitiven
Gebots 147—149
Inhaltsverzeichnis XV
ß. Die rituelle Gebetsformel 147 — 149
Die Bindung des kultischen Gebets bei kulturarmen Völkern
und antiken Kulturvölkern 150; die Entstehung der rituellen Ge-
betsformel aus dem freien Gebet 151; die Verbindlichkeit des
Wortlauts 151; die Stabilität der Ritualformel 151; priesterliehe
Neusehöpfungen 152; Regelung des Vortrags 152; Inhalt 153;
die Person des rituellen Beters (Priester und Beamte) 154; Me-
chanisierung des Gebets 154; juridisches Verhältnis des Menschen
zu Gott 155; Verkümmerung des religiösen Lebens 156.
C. Der Hymnus 157 — 181
I. Das primitive Gebetslied 157 — 161
1) Formale Elemente 157 (Rhythmus 157; Gleichklang 158;
Strophenbau und Parallolismus der Glieder 15S; Musik und Tanz
159). 2) Inhalt (Hervortreten des Lobpreises) 160. 3) Verhältnis
zum primitiven Gebet 160.
II. Der priesterliche Kult- und Beschwörungshymnus . . 161 — 182
1) Vorbemerkungen 161. (Charakteristik der antiken Ritual-
religionen 161; geschichtlicher Überblick 162.) 2) Zweck (kul-
tisch-rituell) 164. 3) Verfasser (Priester und Priesterschulen)
165. 4) Form 166 (unpersönlich-stereotyper Charakter 166; poe-
tische Struktur 167.) 5) Inhalt 168, a) Lobpreisung 170. (Auf-
zählung der Ehrennamen 172; Verherrlichung der Macht und
Güte des Gottes 173; Huldigungsphrasen 173; henotheistische Er-
hebung 173; Schmeichelei 173; Bitte um irdische Glücksgüter
173.) b) Klage und Bitte um Sündenvergebung 175. 6) Die im
Hymnus angerufenen Götter (synkretistischer Charakter) 177.
7) Die dem Ku thymnus zugrundeliegende Göttervorstellung (pri-
mitiver Anthropomorphismus) 179. 8) Das im Hymnus sich
äußernde Verhältnis des Menschen zu Gott (höfisch-zeremoniöser
Verkehr mit dem Gott) 180. 9) Schlußcharakteristik 181.
II J. Der literarische Hymnus 182—190
1) Entstehung aus der Ritualpoesie 182. 2) Individueller Cha-
rakter 183. 3) Verfasser (Laien) 184. 4) Inhalt 185 (Natur-
betrachtung 185; ethische Züge 187; mystische Gottsehnsucht
187). 5) Die zugrundeliegende Gottesvorstellung (keimhafter
Pantheismus) 189. 6) Vergleich mit den israelitischen Psalmen
189. 7) Würdigung 190.
I>. Das Gebet in der Religion der hellenischen Vollkultur . 191 — 200
1) Charakteristik der homerischen Religion 191, der klassisch-helleni-
schen Religion 191. 2) Durchdringung des ganzen Lebens durch den
Opfer- und Gebetskult 193. 3) Keine rituelle Formgebundenheit des
Betens 194. 4) Inhalt des Gebets 194 (ethische Bitten 196; soziale
Bitton 196; eudämonistische Bitten 196; Fluchgebete 197; generelle
Bitten 198.) 5) Die im Gebet angerufenen höheren Wesen (Polytheis-
mus. Stellung des Zeus, Anthropomorphismus der Götter) 198. 6) Das
Verhältnis zu der Gottheit ein Freundschaftsverhältnis 200. 7) Wür-
digung 200.
E . ( rebetskritik und Gobetsideale des philosophischen Denkens 200 — 219
I. Inhalt des philosophischen Gebets. Das ethische Gebetsideal . 200—208
Kritik des naiven Eudämonismus 203; Beschränkung des Bitt-
gebets auf die ethischen Werte 204; generelle Fassung des Bitt-
gebots 205; das Ergebungsgebet 206; die kontemplative Anbetung
207; die ethische Gesinnung und Tat als das wahre Gebet 208.
II. Die met aphysischcGebetskritik und das metaphysische Gebetsideal 209—210
1) Kritik (der anthropomorphen Gottesvorstellung 210; des
Glaubens an dio Präsenz Gottes 210; des Glaubens nn eine Ein-
XVI [Inhaltsverzeichnis
Wirkung auf Gott 210; des sozialen Verkehrs mit Gott 211).
2) Philosophische Urndeutungen und Surrogate des Gebets 213.
(Pietät gegen die religiöse Tradition 213; inkonsequente Haltung
213; symbolische Fassung des Gebets 214; Auflösung des Gebets
in die Betrachtung 215; pädagogische Wertung des Gebets 216;
theistische Rechtfertigung des Glaubens an die Gebetserhörung
216; Charakteristik des philosophischen Gebetsideals 217.)
. Das Gebet in der individuellen Frömmigkeit der großen
religiösen Persönlichkeiten 220 — 409
I. Eigenart des Gebets der religiösen Genien . . . 220 — 247
Gemeinsame Züge mit dem primitiven Gebet 220. — Unter-
schiede von den übrigen Gebetstypen: 1) Loslösung des Gebets
vom Opferkult 221. 2) Der ständige Gebetsverkehr mit Gott 222.
3) Das Gebet als göttliche Gnadeneingebung 224. 4) Die Übung
des Gebets 227. 5) Das Gebet als Selbstzweck 228. 6) Das Gebet
als Aussprache 229. 7) Geistiger Charakter des Glaubens an
Gottes Präsenz; die Einsamkeit des Gebets 229. 8) Der Glaube
an ein Gebetsideal 232. 9) Geschichtlicher Zusammenhang des
Gebetslebens der großen Frommen 232; die Hauptlinien dieses
Zusammenhangs 234. — Das Christentum als die Religion des
Gebets schlechthin 235. — Überblick über die Geschichte des in-
dividuellen Gebetslebens im Judentum und Christentum 236
(Moses 237; Jeremias 237; die Psalmdichter 238; Jesus 239; Paulus
240; Augustinus, Bernhard v. Clairvaux, Franz v. Assisi 241;
Theresa 244; Luther 244.)
II. Allgemeine Charakteristik der beiden Haupttypen der
persönlichen Frömmigkeit: Mystik und prophetische
Frömmigkeit 248 — 283
1) Die historische Genesis 250. 2) Das psychische Grunderleb-
nis 250. 3) Weitere psychologische Charakteristika 257. 4) Die
Gottesvorstellung 259. 5) Die Wertung der Geschichte 262.
6) Die Stellung zur Autorität 265. 7) Sünde und Heil 267.
8) Die Stellung zur Ethik 269. 9) Die Stellung zur sozialen Ge-
meinschaft 272. 10) Die Stellung zu Kultur und Welt 276.
11) Die Jenseitshoffnung 279. 12) Monismus der Mystik — Dua-
lismus der prophetischen Religion 281. 13) Schlußcharakteristik
282.
III. Das Gebet in der Mystik 284 — 34b
1) Vorbemerkungen 284. 2) Motiv und Zweck des Gebets 285
(Das Gebet als Stufe zur Vereinigung mit Gott 286; naives Beten
als Affektentladung 287; die Meditation 288).
3) Form des Gebets (Gebetsformeln 288; das wortlose Gebet
des Herzens 288).
4) Wesen und Inhalt des mystischen Gebets: der Aufstieg der
Seele zum höchsten Gut 290. a) Konzentration 291 (Bitte um
Loslösung von der Welt 292, um Beruhigung der Affekte 292;
um Ruhe in Gott 293, um Gleichförmigkeit mit Gottes Willen
294, um Gottesliebe 295, um Gottschauen 295, um Gotteinigung
296). b) Kontemplation 297 (reine ästhetische Betrachtung 299;
Lobpreis und Dank 301 ; Hingabe und Ergebung 302; Betrachtung
des eigenen Unwertes und des göttlichen Gnadenwunders 304).
c) Verwerfung des Bittens um irdische Güter 307.
5) Die Stufen des Gebets bzw. der Versenkung 309 (Bedeutung
der Konstruktion einer Gebetsskala 310; die Meditation als erste
Gebetsstufe 310; das Gebet der Ruhe 311; das Gebet der Wonne
bzw. des Gleichmuts 314; die Ekstase als Gipfel der Gebetsleiter
Inhaltsverzeichnis XVII
6) Die dem Gebet zugrundeliegende Gottesvorstellung 317.
7) Die Erfahrung der Präsenz Gottes im Gebet 318.
8) Das im Gebet sich äußernde Verhältnis von Mensch und
Gott 319.
9) Die Gebetsanweisung 320.
Die Varianten des mystischen Gebets 322 — 346
a) Die kultisch-sakramentale Mystik 322 (Sinnliche Stütze der
mystischen Kontemplation 322; die hinduistische Kultmystik 324;
die synkretistischen Mysterienkulte 324; die christliche Sakra-
mentsmystik 325; die mystischen Kommuniongebete ;26.)
b) Die Brautmystik 331 (Idee der geschlechtlichen Vereinigung
mit der Gottheit in der primitiven Religion 331; das religiöse
Brautsymbol in der alten Kirche 332; die mittelalterliche Braut-
mystik 332; psychologische Erklärung der mystischen Brautsym-
bolik 333; das Gebet in der Brautmystik 334; die Gebetsanrede
337, die Liebessehnsucht 337, Liebesseligkeit 339, das Verhältnis
der betenden Brautmystiker zu Gott 340; Charakteristik 341.)
c) Die quietistische Mystik 341 (Geschichtliche Vorbemerkung
341; psychologische Eigenart der quietistischen Mystik 342; das
wortlose Herzensgebet 343 ; die Indifferenz des Inhalts des Gebets
344; Verwerfung des Bittens und Dankens 344, Charakteristik
345-)
d) Die Versenkung im Buddhismus 345.
Schlußcharakteristik des mystischen Gebets 346.
IV. Das Gebet in der prophetischen Frömmigkeit . . 347 — 409
1) Anlaß und Motiv zum Gebet 348 (Beispiele spontanen Betens
348; psychologische Analyse des Motivationserlebnisses 350; die
Spontaneität des Gebets 352; das regelmäßige Gebet 354.)
2) Form des Gebets 354 (Freies Beten 354; der Gebrauch von
Gebetsformeln 355; Kürze des spontanen Gebets 356; lautes Beten
357; das „unaussprechliche Seufzen" 357.)
3) Inhalt des Gebets 358. a) Die Klage und Frage 359. b) Die
Bitte 360 (um individuelle religiöse Werte 361, individuelle
ethische Werte 365; soziale religiös-ethische Werte: die Fürbitte
366; überindividuelle religiös-ethische Werte: die Reichgottesbitte
368; eudämonistische Werte 369.) c) Mittel der Überredung
372 (Huldigung 372; Appell an Gottes Interesse 373; Erinnerung
an Gottes frühere Wohltaten 374; Berufung auf Gottes Ver-
heißung 374; Berufung auf die göttlichen Heilstatsachen 375;
Berufung auf die eigene Frömmigkeit 376; Bestürmen Gottes 376.)
d) Aussprache der Ohnmacht und Abhängigkeit, Bekenntnis der
Sündhaftigkeit 378. e) Aussprache der Zuversicht 379. f) Aus-
sprache der Ergebung 384. g) Dank 389. h) Lobpreis 391.
i) Sehnen und Schauen 392.
4) Die dem Gebet zugrundeliegende Gottesvorstellung 393.
5) Der Glaube an Gottes Präsenz im Gebet 394.
6) Das im Gebet sich äußernde Verhältnis von Mensch und
Gott 397 (Die Idee einer Einwirkung auf Gott, der Glaube an die
„Gebetserhörung" 397; der Reflex eines irdischen Sozialverhält-
nisses 400; Freundesverhältnis 400; Dienerverhältnis 400; Kindes-
verhältnis 401 ; die Äußerung des Gebetsverhältnisses in der Ge-
betsstimmung 403.)
7) Die Gebetsnormen der prophetischen Frömmigkeit 404 (Der
Protest gegen das mechanische Beten 404; der Kampf für das
freie Gebet 405 ; die Polemik gegen das gesetzliche und verdienst-
liche Gebet 406; die positive Gebetsanleitung 407.)
8) Vergleich des mystischen und prophetischen Gebets 407.
XVIII Inhaltsverzeichnis
G. Das individuelle Gebet großer Männer (Dichter und
Künstler) 410 — 420
I. Der kontemplativ-ästhetische Typ (die ästhetisch-
romantische Mystik) 410 — 414
Verwandtschaft und Unterschied dieser Frömmigkeit von der
echten Mystik 411 ; Gebet und Anbetung als Naturbetrachtung 4 12.
II. Der affektiv-ethische Typ 415 — 420
Motiv des Gebets 415; Inhalt 415 (Bitte um ideale Werte 415,
um religiöse Werte 416; um eudämonistische Güter 416; Aus-
sprache der Zuversicht und Ergebung 417; der Glaube an die
Gebetserhörung 418.) Würdigung 419.
H\ Das gottesdienstliche Gemeindegebet 421 — 477
1) Zusammenhang mit dem individuellen Gebetsleben der pro-
phetischen Persönlichkeiten 421.
2) Geschichtlicher Überblick 422. (Entstehung des Gemeinde-
gebets im jüdischen Exil 423; das Gemeindegebet im nachexili-
schen Judentum 424; im Urchristentum 424; in der alten Kirche
425; die liturgische Reform des 4. Jahrhunderts 426; Abschluß
der Entwicklung im 7. Jahrhundert 428; die Reform des Ge-
meindegottesdienstes im 16. Jahrhundert 428; Pietismus und
Rationalismus 429; die agendarische Reform im 19. Jahrhundert
429; das Agendenproblem der Gegenwart 429; Spuren eines gottes-
dienstlichen Gemeindegebets außerhalb des Judentums und Chri-
stentums 430.)
3) Motiv und Zweck des gottesdienstlichen Gemeindegebets 431
(Ausdruck des gemeinsamen Heilsbewußtseins und Hei sverlangens
431 ; die „Erbauung" 432; die pädagogische Anleitung zum wahren
Gebet 432; Schriftlesung und Predigt als Vorbereitung zum Ge-
meindegebet 433; die Erstarrung des Gemeindegebets zur sakralen
Institution 434.)
4) Die Form des gottesdienstlichen Gemeindegebets 434. a) Die
Person des Beters: allgemeines Laiengebet und priesterliches Amts-
gebet 434. b) FreiesBeten in der altenKircbe 435 ; Musterformulare
436; die bindende liturgische Formel 437; der Protest der christ-
lichen Sekten gegen die Bindung des gottesdienstlichen Gebets
438. c) Sprache und Stil des gottesdienstlichen Gemeindegebets
439. d) Die Teilnahme der Gemeinde am Gebet des Vorbeters
441; ( Gebetsauf f orderung 441; Antiphonie 441; Responsorium
441; Amen 442; Chorgebet 443; Chorgesang 443.)
5) Der Inhalt des gottesdienstlichen Gemeindegebets 444.
a) Lobpreis und Danksagung 444 (Betrachtung der Größe und
Macht Gottes 446; Danksagung für das Heil 447; das episch-
heilsgeschichtliche Dankgebet: im Judentum 448; im alten
Christentum 450; die Präfation der abendländischen Messe 451;
die Präfation in den evangelischen Kirchen 451). b) Das Sünden-
bekenntnis und die Vergebungsbitte 452. c) Die Bitte 454 (die
Reichgottesbitte: im Judentum 454; im Urchristentum 454; die
Bitte für die Kirche 456; die Bitte um individuelle religiös-
ethische Werte: im Judentum und in der alten Kirche 455; in
der römischen Liturgie 456; in den evangelischen Kirchen 457.)
d) Die Fürbitte 458 (für die notleidenden Brüder 459; für die
kirchlichen Amtsträger 459; für die weltliche Obrigkeit 460;
für Heiden, Juden und Ketzer 460; für die Toten 462. e) Die
Schlußdoxologie 463 (jüdische Doxologien 463; christologische
464; trinitarische 464).
6) Die Gebetsanrufung im christlichen Gemeindegebet 464
(Gebet zum „Vater Jesu Christ" 465; „in" und „durch" Christus
465 ; Jesu Mittlerstellung 465 ; Gebete an Christus 465.)
Inhaltsverzeichnis XIX
7) Die Idee des gottesdienstlichen Gemeindegebets 467 (Der
Glaube an die Präsenz Gottes 467; Lobpreis und Dank als „Opfer"
467; der Glaube an die Macht des gemeinsamen Bittgebets 468;
Vergleich mit dem mystischen und prophetischen Gebet 468.)
8) Besondere Ausprägungen des gottesdienstlichen Gemeinde-
gebets 469. a) Das gottesdienstliche Gebet im Urchristentum : das
Mysterium der Mittelpunkt des Gemeindegottesdienstes 470. b) Das
gottesdienstliche Gemeindegebet in der katholischen Kirche: der
Gottesdienst als Mysterienliturgie 471 ; als Opfer 472; Verdrängung
des Gemeindegebets in die peripheren Gottesdienstfoimen 472.
c) Das gottesdienstliche Gebet im synagogalen Judentum und in
den evangelischen Kirchen und Sekten: der reine Wortgottes-
dienst 474.
J. Das individuelle Gebet als religiöse Pflicht und gutes Werk
in den Gesetzesreligionen 478 — 485
1) Eigenart der Gesetzesreligionen 478. 2) Geschichtlicher Über-
blick 479. a) Judentum (Schma und Schmone 'Esre). b) Islam
(salät) 479. c) Mazdaismus 480. d) Christentum (Pflicht-, Büß-,
Ablaßgebet) 480. 3) Die Form des gesetzlichen Gebets (Verbind-
lichkeit des Wortlauts, Wiederholung) 480. 4) Inhalt des gesetz-
lichen Gebets 481 (Bekenntnis und Selbsteinschärfung der Pflicht
481; Lobpreis 482; Bitte 482.) 5) Die Idee des gesetzlichen und
verdienstlichen Gebets als einer in sich wertvollen Leistung an
Gott 482; der primitive Opfergedanke 482; der Zaubergedanke
483. 6) Schlußcharakteristik 483 (Gefahr des Formalismus 484;
religiöser Charakter des mechanischen Betens 484; pädagogische
Bedeutung 485.)
Das Wesen des Gebets.
1) Zusammenfassender Rückblick über die Typen des Gebets
486; Mannigfaltigkeit der Gebetsfoimen 486.
2) Das Wesen des Gebets 488 (Primäre und sekundäre Gebets-
typen 488; die motivationspsychologische Wurzel des Gebets 489;
die phänomenologischen Merkmale des Gebets: a) der Glaube an
Gottes Persönlichkeit 490. b) der Glaube an Gottes unmittelbare
Gegenwart 491, c) der lebendige Verkehr mit Gott 491, d) der
Reflex eines irdischen Sozialverhältnisses 491; Definition 491.)
3) Das Wesen der Anbetung 492 (die religiöse Anbetung 492;
die Anbetung außerhalb des religiösen Lebens 492; Definition
493.)
4) Das Wesen der Andacht 493 (Andacht innerhalb und außer-
halb des religiösen Lebens 493; Definition 493.)
5) Unterschied des Gebets von der Anbetung und Andacht 494.
6) Warum das Gebet der Mittelpunkt aller Religion ist 494.
Literaturverzeiclmis 497 — 503
Anmerkungen 504 — 541
Register 542—558
Einleitung.
I. Das Gebet als das zentrale Phänomen der Religion.
Religiöse Menschen und Religionsforscher, Theologen aller Kon-
fessionen und Richtungen stimmen in dem Gedanken überein, daß das
Gebet das zentrale Phänomen der Religion, der Feuerherd aller Fröm-
migkeit sei. Der Glaube ist nach Luthers Urteil nichts anderes
„denn eitel Gebet". „Wer nicht betet noch Gott anruft in seiner Not,
der hält ihn gewißlich nicht für einen Gott, gibt ihm auch nicht seine
göttliche Ehre."1 Der große evangelische Mystiker Johann Arndt
betont immer wieder: „Ohne Gebet findet man Gott nicht; das Gebet
ist ein solches Mittel, dadurch man Gott suchet und findet." 2 Der
Restaurator der evangelischen Theologie des 19. Jahrhunderts,
Schleiermacher, sagt in einer Predigt : „Fromm sein und Beten,
das ist eigentlich ein und dasselbe." 3 Der romantische Dichter
Novalis bemerkt: „Beten ist in der Religion, was Denken in der
Philosophie ist. Beten ist Religion-machen. Der religiöse Sinn betet,
wie das Denkorgan denkt." 4 Denselben Gedanken spricht der geniale
evangelische Dogmatiker Richard R o t h e in theologischer Formu-
lierung aus : „Der religiöse Trieb ist wesentlich Gebetstrieb. Es ist in der
Tat gerade das Beten, worauf wesentlich der religiöse Lebensprozeß
des Individuums beruht, der Prozeß der sich allmählich vollziehenden
reellen Einwohnung Gottes in dem menschlichen Individuum und das
religiöse Leben des letzteren. Deshalb wird mit Recht der Nichtbetende
als religiös tot betrachtet." 5 Einer der hervorragendsten evangelischen
Theologen der Gegenwart, Adolf D ei ß mann, urteilt: „Religion
ist überall da, wo sie im Menschen lebendig ist, Gebet."6 Der tief-
religiöse Philosoph Gustav Theodor Fechner sagt in eindrucks-
voller Weise: „Nimm das Gebet aus der Welt, und es ist, als
hättest du das Band der Menschheit mit Gott zerrissen, die Zunge des
Kindes gegenüber dem Vater stumm gemacht." 7 Cornelius Petrus
T i e 1 e , einer der Väter der vergleichenden Religionsgeschichte, äußert
sich ähnlich: „Wo das Gebet gänzlich verstummt ist, da ist es um die
Religion selbst geschehen." 8 Mit diesem Urteil deckt sich der Satz
des berühmten Religionsphilosophen Auguste S a b a t i e r : „Wo das
Herzensgebet nicht ist, da ist auch keine Religion." 9 Der bahnbrechende
Religionspsychologe William James pflichtet dieser Äußerung Saba-
tiers bei. 10 Ein gefeierter katholischer Apologet (Hettinger) be-
zeichnet das Gebet als „die erste, höchste und feierlichste Erscheinung
und Betätigung der Religion" n, ein volkstümlicher katholischer Er-
bauungsscbriftsteller (Alban Stolz) nennt es „das Blut imd den
Das Gebot 1
2 Einleitung
Blutumlauf im religiösen Leben" 12, ein Theologe deT Gesellschaft
Jesu (M. Meschler) heißt es „die Seele des öffentlichen Gottes-
dienstes und das Hauptgnadenmittel für das innere Leben" 13. Ein
scharfsinniger Bibelkritiker (Julius Wellhausen) sieht im Gebet
„die einzig adäquate Form des Glaubensbekenntnisses" 14; ein anderer
alttestamentlicher Forscher „die schlechthin notwendige Betätigung
des religiösen Lebens, das unbewußte, unentbehrliche Atmen der reli-
giösen Seele" (E. K a u t z e c h) 15, ein dritter „die natürliche und
notwendige Lebensäußerung jeder Religion" (R. Kittel)16. Ein
neu testamentlicher Theologe charakterisiert es als „den Höhepunkt des
religiösen Prozesses im Menschen", „den unmittelbarsten Ausdruck des
religiösen Verhältnisses zwischen Mensch und Gott" (Paul Christ)17.
Ein Kirchenhistoriker, der dem Gebet im Frühchristentum sorgfältige
Studien widmete, redet vom Gebet als dem „Atem aller Frömmigkeit"
(Eduard von der Goltz)18, ein anderer, der die Gebetsliteratur des
Reformations Jahrhunderts untersuchte, nennt es „die Seele und den
eigentlichen Pulsschlag der Religiosität" (Paul A 1 t h a u s) 19. Für
einen konservativen evangelischen Dogmatiker ist das Gebet „das
spezifische Mittel um religiöse Lebenskräfte zu schöpfen, die spezifische
Arzenei gegen die religiöse Ohnmacht" (Richard R o t h e) 20, eines der
„Grundstücke aller echten Frömmigkeit", der „Herzpunkt des per-
sönlichen Christentums" (Kahler)21; für einen modernen Dogmatiker
ist es „die wesentliche und charakteristische Äußerung des religiösen
Bewußtseins" (Samuel Eck) 22, „das Urphänomen der Religion", „die
Urtatsache des religiösen Lebens" (Fernand Menegoz)23. Ein
klassischer Philologe bezeichnet das Gebet als „die einfachste und un-
mittelbarste Weise, wie sich der Mensch in Beziehung zur Gottheit
setzt" (Karl Friedrich Hermann)24. Ein Religionshistoriker nennt
es „die natürlichste Äußerung des religiösen Menschen, der die Gemein-
schaft der Gottheit sucht" (T i e 1 e) 25; ein Religionsphilosoph erblickt
in ihm „die Seele der Religion"; durch das Gebet unterscheidet sich
nach seiner Anschauung das religiöse Phänomen von andern ihm ähnlichen
oder verwandten, wie dem moralischen oder ästhetischen Gefühl
(Auguste Sabatier)26. Und selbst der radikalste unter den Reli-
gionskritikern, Feuerbach, der alle Religion zur Illusion stempelte,
erklärt: „Das tiefste Wesen der Religion offenbart der einfachste Akt
der Religion — das Gebet" 27.
So besteht nicht der leiseste Zweifel darüber, daß das Gebet das Herz
und der Mittelpunkt aller Religion ist. Nicht in den Dogmen und
Institutionen, nicht in den Riten und ethischen Idealen, sondern im
Beten erfassen wir das eigentlich religiöse Leben. In den Gebetsworten
dürfen wir die tiefsten und intimsten Regungen der frommen Seele
belauschen. „Betrachtet die Gebete der Heiligen aller Zeiten, und ihr
habt ihren Glauben, ihr Leben, ihre Triebfeder, ihr Werk", sagte der
berühmte calvinische Prediger Adolphe Monod28. Die bunte Welt
der religiösen Vorstellungen und Handlungen ist stets nur der Reflex
des persönlichen religiösen Lebens. All die verschiedenen Ge-
danken von Gott, Schöpfung, Offenbarung, Erlösung, Gnade und
I. Das Gebet als das zentrale Phänomen der Religion 3
Jenseits sind Kristallisationsprodukte, in denen das reich flutende
religiöse Erleben, das Glauben, Hoffen und Lieben, feste Gestalt gewinnt.
All die mannigfachen Riten und Sakramente, die Weihen und Reinigun-
gen, die Opfer und heiligen Mahlzeiten, die heiligen Tänze und Prozes-
sionen, all die Werke der Askese und Sittlichkeit sind nur der mittelbare
Ausdruck des inneren frommen Erlebens: der Ehrfurcht und des Ver-
' trauens, der Hingabe, Sehnsucht und Begeisterung. Im Gebet hingegen
enthüllt sich dieses Erleben unmittelbar ; das Gebet ist, wie Thomas
von Aquin sagte, ,,im eigentlichen Sinn die Betätigung der Religion"
(oratio est proprie religionis actus) 29, oder wie Sabatier sich treffend
ausdrückte, „Religion in Aktivität, d. h. wirkliche Religion" 30 oder
wie Biedermann es formulierte „der religiöse Prozeß in seiner
unmittelbarsten Wirklichkeit" 31.
Das Verhältnis von Religion und Gebet wird treffend von dem katholischen
Theologen Joseph Zahn umsehrieben: „Religion und Gebet fallen nicht zu-
sammen, aber sind miteinander veibunden wie Leben und Atmen, wie Geist
und Sprache. So wenig es eine echte Religion gibt ohne die Gottesidee und ohne
den Ewigkeitsgedanken, so wenig gibt es ein echtes religiöses Leben ohne Gebets-
leben. Das Gebet ist das Offenbarwerden des Gottesbesitzes, der im Jenseits
sich vollendet, im Diesseits aber sich anbahnt in Glauben, Hoffen, Lieben. Gottes-
glauben, Gottvertrauen, Gottesliebe, in heiliger Gemeinsamkeit verbunden und
lebendig geworden in Geist und Gemüt, ausgesprochen laut vor der Gemeinde
oder still vor Gott allein, mit oder ohne Wortsprache — das ist das Gebet, wie
es als heilige Übung in ununterbrochener Kette von den Gottesfreunden aller
Zeitenfolge ist gepflegt worden. Und wenn es gilt, den Weg anzugeben, auf
welchem die Religion ihren Segen an die Menschheit vermittelt, so kann auch
die höchste theologische Spekulation und die glänzendste Form der religiösen
Beredsamkeit sich nicht vergleichen mit dem echten, schlichten, herzenswarmen
Gebete. Im Gebete kommt die Erkenntnis der religiösen Wahrheit zu unmittel-
barer Fruchtbarkeit, fließt der Strom der Tröstung über die Erde, quillt die
sittliche Kraft, die dem religiösen Gedanken innewohnt, in die Seelen, besiegelt
sich das Band, welches die Menschen mit ihrem Gott vereint, aber zugleich auch
miteinander zu einer großen Familie zusammenschließt. Wer darum in keiner
Weise betet, von dem ist zu sagen, daß er aus dem Vaterlande der Menschheit,
aus dem Quellenbereiche der religiösen und sittlichen Hoheit fortgegangen ist
in die Fremde. Wem aber der Begriff des Gebetes ungeläutert oder halbver-
standen ist, der ist notwendigerweise mit seinen religiösen Begriffen noch nicht
ins reine gekommen. Und wenn sich wirklich, wie oben gesagt wurde, Religion
und Gebet verhalten wie Leben und Atem, Geist und Sprache, und wenn zweifels-
ohne gesundes Leben und gesundes Atmen, hohes Geistesleben und edle, reiche
Sprache sich zusammenfinden, dann darf wohl die rechte Auffassung und Übung
des Gebets als ein Gradmesser des religiösen Lebens gelten und es kann von der
wahren Höhenstufe des Gebetslebens ein Schluß gezogen werden auf die Voll-
endung des ganzen religiösen Standes." " Dieselben Gedanken spricht der
evangelische Dogmatiker A. Schlatter in knappen und kraftvollen Worten
aus : „Da das Gebet derjenige Akt ist, durch den wir unser Wollen zu Gott wenden,
besteht die Religion vor allem im Gebet. Religiös sein heißt beten können;
irreligiös sein heißt unfähig zum Gebet sein. Der Kampf um die Religion ist
der Kampf um das Gebet; die Theorie der Religion ist die Philosophie des Gebets.
Normales Gebet ist normale Religion, verdorbenes Gebet verfälschte Religion." 33
Weil also das Gebet die elementare und notwendige Äußerung des reli-
giösen Lebens ist, darum ist es nach einem Worte des evangelischen
Theologen P a 1 m e r „für Personen und Systeme immer der vollkommen
richtige Maßstab, woran das Dasein oder Nichtdasein der Religion,
sowie der Grad, in welchem Religion ihnen innewohnt oder bei ihnen
Einleitung
möglich ist, gemessen werden muß" 34. Dasselbe betont Karl Girgen-
s o h n in seinen tiefsinnigen Reden über die christliche Religion: „Das
Gebet ist ein völlig zutreffender Gradmesser für das religiöse Leben
der Seele. Wenn man wüßte, was und wie ein Mensch betet, so würde
man seinen ganzen Besitz an Religion klar überschauen können. Wenn
der Mensch ohne Zeugen mit seinem Gott redet, dann steht die Seele
unverhüllt vor ihrem Schöpfer. Was sie dann zu sagen hat, zeigt ganz
deutlich, wie arm oder reich sie ist" 35. Im Gebet enthüllen sich aber
nicht nur die religiösen Unterschiede einzelner Menschen, sondern
ganzer Völker, Zeiten, Kulturen, Kirchen und Religionen. Auguste
Sabatier bemerkt : „Nichts offenbart uns besser den sittlichen Wert
und die geistige Würde eines Kultus als die Art des Gebets, welches er
auf die Lippen seiner Anhänger legt" 36. A 1 1 h a u s schreibt in der
Einleitung zu seiner Studie über die Gebetsliteratur im Reformations-
zeitalter: „Das Gebet ist wie kaum etwas anderes das zuverlässigste
Erkennungsmerkmal der spezifischen Frömmigkeit." „Nächst dem
geistlichen Liede spiegelt sich im Gebete die Eigenart des religiösen
Lebens einer bestimmten Entwicklungsstufe am deutlichsten wider." 37
Farneil, wohl der hervorragendste englische Religionshistoriker der
Gegenwart, schickt seiner Skizze über die Entwicklung des Gebets den
Satz voraus: „Keine religiöse Äußerung des Menschen offenbart so
klar die verschiedenen Auffassungen vom göttlichen Wesen, welche die
einzelnen Völker in den verschiedenen Stadien ihrer Entwicklung hatten,
keine spiegelt so lebendig die äußere und innere Geschichte des Menschen
wider als die Gebetsformeln." 38 Eben deshalb gibt es nach einem
treffenden Worte Deißmanns „für den Erforscher der Religion und
der Religionen keine lehrreicheren Quellen als die Gebete und die Zeug-
nisse über das Gebet. Sie charakterisieren eine Religion, eine religiöse
Schicht, einen Frommen besser als Mythologie, Legende, Dogma, Moral
oder Theologie." Man könnte geradezu „Religionsgeschichte schreiben
als Geschichte des Betens" 39. Derselbe Gedanke wurde schon früher
von Auguste Sabatier ausgesprochen : „Eine Geschichte des Gebets
wäre wohl die beste Geschichte der religiösen Entwicklung des Men-
schen." 40 Und Montalembert hat in der Einleitung zu seinem
berühmten Werk über die Mönche des Abendlandes den Satz geschrieben :
„Ich kann mir keine schönere Aufgabe denken als die Geschichte des
Gebets, d. h. die Geschichte dessen, was die Kreatur zu ihrem Schöpfer
gesprochen hat, eine Geschichte, die uns lehren würde, wann und warum
und wie der Mensch dazu gekommen ist, Gott all sein Elend und sein
Glück, all sein Bangen und Sehnen zu enthüllen." 41
II. Die bisherige religionswissenschaftliche
Untersuchung des Gebets.
Aus der zentralen Stellung, welche das Gebet im religiösen Leben der
Menschheit einnimmt, sollte man schließen, daß die Untersuchung des
Gebets einen der hauptsächlichen Gegenstände theologischer und reli-
gionswissenschaftlicher Forschung bildete. Wer das glaobt, wird, wenn
II. Die bisherige religionswissenschaftliche Untersuchung des Gebets 5
er die theologische Literatur durchmustert, sich bitter enttäuscht fühlen.
Deißmann erhebt mit beredten Worten darüber Klage, daß Jesu
Gebet so gut wie niemals zum Gegenstand der Untersuchung gemacht
worden sei. „Als sei es etwas Selbstverständliches, jedenfalls nichts
Charakteristisches, haben die Forscher das Gebetsleben Jesu zwar nicht
ignoriert, aber fast ganz in den Hintergrund gestellt. Es gibt über
dieses — wenn wir uns auf dem Boden der Religionsgeschichte befinden
— zentrale Thema nicht den hundertsten Teil der wissenschaftlichen
Literatur, die über bestimmte Einzelheiten aus dem Leben Jesu vor-
liegt .... Die Forschung über den Begriff ,Menschensohn' in allen
Ehren ! Wer aber das Beten Jesu ignoriert oder bloß in einer Anmerkung
abmacht, der bleibt vor dem Vorhange stehen, anstatt das Sanctissimum
zu betreten." 42 Was die großen kirchlichen Väter und die Reformatoren
über den einen und dreieinigen Gott, über Gnade, Erlösung, Recht-
fertigung, Kirche und Sakramente grübelten und stritten, ist in zahl-
losen Abhandlungen untersucht worden; aber nur selten kam jemand
auf den Gedanken, ihrem eigentlichen Frömmigkeitsleben, ihrem
Glauben und Beten, ihrem Meditieren und Kontemplieren nachzugehen.
Über die Konzilienbeschlüsse und die päpstlichen Bullen, über die end-
losen Kontroversen zwischen Staat und Kirche, über die Entstehung
und die Schicksale der Sekten, über die Entwicklung der Riten, Sakra-
mente und Liturgien, über die Echtheit von Legenden existiert eine
unübersehbare Literatur; aber das Gebetsleben der großen Heiligen
wie das Gebet der Volksfrömmigkeit haben die Kirchenhistoriker beider
Konfessionen nahezu ganz vergessen. Gewiß erklärt sich diese auf-
fällige Vernachlässigung der Untersuchung des Gebets zum Teil aus
der relativen Spärlichkeit primärer Zeugnisse und aus der außerordent-
lichen Schwierigkeit der Quellenverweitung; der Hauptgrund scheint
jedoch in einem unbemerkten Nachwirken des scholastischen Intellek-
tualismus wie des aufklärerischen Rationalismus zu liegen, die beide in
einseitiger Weise auf die religiöse Vorstellung und theologische Lehre,
nicht auf das religiöse Erleben in seiner Ursprünglichkeit und Unmittel-
barkeit, gerichtet sind; die religiöse Vorstellung ist ja nur die eine
Komponente des religiösen Erlebens, der theologische Begriff die
logische Klärung des religiösen Vorstellungsinhalts. In diesem Intellek-
tualismus ist ja auch ein Grund dafür zu suchen, daß wir bis heute nur
eine christliche Kirchen- und Dogmengeschichte, aber keine christliche
Religions- und Frömmigkeits geschichte besitzen.
Hans Preuß leitet seine feinsinnige Studie über Lutheis Frömmigkeit mit
den treffenden Worten ein: „Die Geschichte der christlicher] Frömmigkeit
ist noch nicht geschrieben wenden. Ja es fehlen, während es schon längst klas-
sische Darstellungen der Geschichte des Dogmas, der christlichen Kunst, des
Kirchenrechts gibt, für eine Geschichte der christlichen Frömmigkeit ?ogar noch
die wichtigsten Vorarbeiten. Dies ist um so veiwunderlic her, als die Ficmmigkeit
doch die Quelle aller dieser anderen Stücke christlicher Kultur gewesen ist.
Man vergaß angesichts des bi eil flutenden. Schiffe tragenden und Wcikc treibend« D
Stromes, nach seinem Ursprung hoch droben im Gebirge zu fragen, wo seine
Anfänge versteckt und übeiwucheit aus dem Sande sickerten oder aus ihm Felsen
sprangen." *3
6 Einleitung
Mehr Beachtung als in der Theologie hat das Gebet in den jüngeren
Disziplinen der allgemeinen Religionsgeschichte und der Religions-
psychologie gefunden. Gleichwohl nimmt die Untersuchung des Gebets
auch in diesen nicht jenen Raum ein, welcher seiner zentralen Stellung
in der Religion entspräche. Denn auch sie befassen sich viel mehr mit
den religiösen Vorstellungen und Bräuchen, den Mythen, Dogmen und
Riten, als mit dem eigentlichen religiösen Leben, das nicht in bloßen
Gedanken über Gott und Jenseits, nicht in bloßen Kulthandlungen und
sittlichen Taten besteht, sondern in einem Verkehr mit dem Heiligen,
einem Umgang und einer Gemeinschaft mit Gott.
Im Jahre 1902 schrieb der französische Psychologe Da Costa Guimaraens:
„Beten ist etwas so Menschliches und Alltägliches, daß man staunen muß, keine
Erwähnung in der psychologischen Literatur zu finden. Die Ethnographen und
Soziologen liefern uns umfangreiche Abhandlungen, leider befassen sie sich nicht
mit dem Gebet, das doch ein integrierender Bestandteil eines öffentlichen Kults
ist." 44 Die älteren Forscher betrachteten das Gebet als ein völlig durchsichtiges,
selbstverständliches Phänomen, so daß sie sich der Mühe einer eindringenden
Untersuchung enthoben glaubten. So schrieb der berühmte Anthropologe Tylor:
„Die Natur des Gebetes ist so einfach und allbekannt, daß sein Studium nicht
eine so große Zahl von Tatsachen und Argumenten erfordert, wie sie bei Riten
von verhältnismäßig weit geringerer Bedeutung aufgewendet werden müssen." 45
Selbst ein so glänzendes Werk wie Robertson Smiths Monographie über die Reli-
gion der Semiten, das bahnbrechend für die Erforschung des Opfers war, widmet
dem Gebet keinen Abschnitt; in dem reichen Inhaltsverzeichnis fehlt das Stich-
wort „Beten" oder „Gebet"!
Unter vierfachem Gesichtspunkt ist bisher dasGebet Objekt wissen-
schaftlicher Untersuchung geworden : unter dem Gesichtspunkt
der speziellen philologischen und der allgemeinen Religionsgeschichte,
der vergleichenden Religionswissenschaft, der Religionspsychologie und
R eligionsphilosophie .
1 a) Die klassischePhilologie kann sich rühmen, zahlreiche religions-
historische Monographien über dasGebet geliefert zu haben. Als ältere Arbeiten
seien erwähnt: Matthaei Brouerii de Niedeck, De populorum veterum ac
recentiorum adorationibus dissertatio, Amsterdam 1713 (das Büchlein behandelt
vornehmlich die Gebetshaltungen, -gesten und -sitten der Griechen und Römer);
Frid. Snedorf , De hymnis veterum Graecorum, Leipzig 1796; Siebeiis,
De hominum heroicae et homericae aetatis precibus ad deos missis, Budissae 1806 ;
Jos. Joh. Dickinson, Quid veteribus de precandi ad deiim officio placuerit.
Berlin 1841. Nägelsbach schenkt in seiner „Homerischen Theologie"
(Nürnberg 1840) und „Nachhomerischen Theologie" (Nürnberg 1857) auch dem
Gebet eingehendere Aufmerksamkeit; ebenso Schoemann im zweiten Band
seiner „Griechischen Altertümer" (neu bearbeitet von Lipsius 1902, 262 ff.).
E. v. Lasaulx (Über die Gebete der Griechen und Römer, Sommerkatalog
der Würzburger Universität 1842 = Studien des klassischen Altertums 137 ff. )
gibt einen kurzen, mit religionswissenschaftlichem Veiständnis geschriebenen
Überblick über den Inhalt und die äußeren Gebräuche beim Gebet der Griechen
und Römer. Leopold Schmidt entwirft in seiner Ethik der Griechen (Berlin
1882, I 84 ff., II 31 ff.) ein treffendes Bild von der Gebetsfrömmigkeit des Hellenen
in der klassischen Epoche des 5. Jahrhunderts. Fr. Adami, De poetis scaenicis
Graecis hymnorum sacrorum imitatoribus (Jahrb. f. klass. Philol. Suppl. Bd. 26,
1901, 215 ff.) vermittelt einen guten Einblick in das kultische Gebetslied der
Griechen. K. Ziegler (De precationum apud Graecos formis quaestiones
selectae, Diss., Breslau 1905) untersucht an einem reichen Material die gram-
matischen Formen der grie hischen Gebete. P. Chötelat, De precatione
apud poetas Graecos et Latinos 1877 war mir nicht zugänglich. Von höherer
religionswissenschaftlicher Bedeutung ist die reichhaltige und übersichtliche
II. Die bisherige religionswissenschaftliche Untersuchung des Gebets 7
Abhandlung von A u s f e 1 d , De Graecorum precationibus quaestiones, Jahrb.
f. klass. Philol. Suppl. Bd. 28, 1903, 505 ff., die ein anschauliches Bild von dem
Inhalt der griechischen Gebete (Anrufung, Bitte, Opferspruch, Überredung) gibt
und das Problem des Zusammenhanges des Gebets mit dem Zauberspruch ständig
berücksichtigt. G. A p p e 1 s Werk De Romanorum precationibus (RGW VII 2,
Gießen 1909) zeichnet sich ebenso durch Reichtum des Stoffes wie durch Fülle
der Gesichtspunkte aus. Gebetshaltung und Gebetsgestus der Griechen und
Römer sind untersucht von E. Voullieme, Quomodo veteres adoraverint,
Diss., Halle 1887, C. Sittl, Die Gebärden der Griechen und Römer, Leipzig
1890, 174 ff. sowie in Daremberg-Saglio, Dictionnaire des Antiquites
Grecques et Romaines, Paris 1872 ff., Adoratio. Die Sitte des lauten und leisen
Betens, die für das Problem des Verhältnisses von Gebet und Zauberspruch
Bedeutung besitzt, wird von S. Sudhaus in einem hübschen Aufsatz (Lautes
und leises Beten, ARW IX 185 ff.) beleuchtet. In die formelhafte Gebetssprache
der Griechen führt ein lesenswerter Aufsatz von R. Wünsch ein (Ein Dank-
opfer an Asklepios, ARW VII 95 ff. ). E, Norden, Agnostos Theos, Leipzig
1913, Kap. II (S. 143 ff.): Untersuchungen zur Stilgeschichte der Gebets- und
Prädikationsformeln, beleuchtet unter Verwertung eines reichen religions-
geschichtlichen Materials die feststehenden sprachlichen Formen des liturgi-
schen Gebets und kultischen Gebetsliedes. Einen Einblick in die Gebetskritik
und die Gebetsideale der antiken Philosophie gewährt die sorgfältige Studie
von Heinrich Schmidt, Veteres philosophi quomodo iudicaverint de precibus
RGW, Gießen 1907.
b) Das Gebet in den orientalischen Religionen ist bis jetzt wenig unter-
sucht worden. Über die ägyptischen Hymnen und Zaubersprüche geben einige
Aufschlüsse A. Wiedemann (Magie und Zauberei im alten Ägypten, AO VI,
4 Leipzig 1905) und A. Ermann (Die ägyptische Religion, Handbücher des
K. Museums zu Berlin 1909). H. Zimmern (Babylonische Hymnen und Gebete,
AO VII, 3, Leipzig 1905; vgl. Babylonische Hymnen und Gebete, 2. Auswahl
ebenda XIII 1, Leipzig 1911) gibt an der Hand ausgewählter Texte eine religions-
geschichtliche Charakteristik der babylonischen Kult- und Beschwörungshymnen.
M. Jastrow (Die Religion Babyloniens und Assyriens, Gießen 1905 — 1912)
bietet eine reiche Auswahl von Hymnen und Klageliedern mit Kommentar; er
sucht hierbei aufzuzeigen, wie das Gebet und die hymnische Lobpreisung aus
der Beschwörung herauswachsen. Die Eigenart der vedischen Hymnen und
Zauberlieder ist am trefflichsten von H. Oldenberg (Die Religion des Veda,
Berlin 1917 z) und von M. Winternitz (Geschichte der indischen Literatur I,
Leipz. 1909) gekennzeichnet worden. Oldenbergs klassisches Werk enthält auch
überaus feinsinnige Ausführungen über das Verhältnis von Gebet und Zauber-
spruch. Die Versenkung, die in der buddhistischen Heilslehre jene Rolle spielt,
die in anderen Religionen dem Gebet zukommt, ist erstmals von E. Burnouf
(Les quatre degr^s du dhyäna in Le Lotus de la bonne loi 1852, App. XIII p. 800 ff. )
untersucht worden. Er beschreibt auf Grund des spärlichen Quellenmaterials,
das damals vorlag, die einzelnen Versenkungsstufen und beurteilt sie mit gutem
psychologischem Verständnis. Verfasser selbst hat in einer religionsgeschicht-
lnhen Studie die buddhistischen Versenkungsstufen nach den Quellen dargestellt
und psychologisch gedeutet, ihren präbuddhistischen Ursprung aus dem Yoga
aufgezeigt und einen Vergleich mit den Gebetsstufen der christlichen Mystik
gezogen. (F. Heiler, Die buddhistischen Versenkungsstufen, Aufsätze zur
Kultur- und Sprachgeschichte, vornehmlich des Orients, Ernst Kuhn zum 70. Ge-
burtstag gewidmet, 1916, 357 — 387; bedeutend erweitert und schließend mit
einer Parallele zwischen Buddha dem Meister der Versenkung und Jesus dem
Meister des Gebets: Die buddhistische Versenkung. Eine religionsgeschichtliche
l Ht ersuchung, München 1918). A. Rouss el , De la priere chez les Hindous,
Le Museon VIII (1889) 563 ff.; IX (1890) 113 ff. 209 ff. 438 ff. 542 ff. bietet
eine Übersetzung einer Sammlung hinduist Lacher Hymnen (Brhadstotrarat-
nanäkara) nebst einer lesenswerten Einleitung über das gewöhnliche Volks- und
Priestergebet der Hindu. W. D i 1 g er , Das Gebet der Hindu, Evang. Missions-
magazin N. F. 37 (1893) 1 ff. 57 ff. behandelt das Gebet der alten vedischen Zeit
wie das tägliche Beten der heutigen Brahmanen.
8 Einleitung
c) Nächst der griechischen Religion ist am eingehendsten das Gebet in der
israelitischen Religion untersucht worden; ist doch das Alte Testament
geradezu „eine Urkunde des Gebetslebens zu nennen" (M. Kahler) 46. An ver-
alteten Monographien seien aufgeführt: Saubertus, De ritu precandi veterum
Ebraeorum, Helmstadt 1663 ; Joh. Joach. Schröder, De precibus Hebraeorum,
Marburg 1727; Fr. Rehm, Historia precum biblicarum, Göttingen 1814. Die
Arbeit von A. Schmöger, Das Gebet im Alten Testament, Innsbruck 1913,
bietet lediglich eine Zusammenstellung von Bibelstellen ohne tieferes geschicht-
liches Verständnis. Die fortschreitende Entwicklung und Vertiefung des Gebets
in der israelitischen Religion wird herausgehoben von F. Caldesaignes,
La priere dans la religion de Jehovah, ses antecedents, sonhistoire, Cahors 1889,
M. Kegel, Das Gebet im Alten Testament, Gütersloh 1908, am besten von
J. Köberle, Die Motive des Glaubens an die Gebetser hörung im Alten Testa-
ment, Festschrift der Erlanger Universität 1901, I 251 ff. Köberles lebendige
und tiefgründige Ausführungen sind das Beste, was bisher über das alttestament-
liche Gebet geschrieben wurde. J. Döllers Untersuchung (Das Gebet im
Alten Testament in religionsgeschichtlicher Beleuchtung, Wien 1914) zieht reiches
und wertvolles Material aus anderen Religionen heran; ein Mangel liegt jedoch
darin, daß sie sich vorzugsweise nur mit den äußeren Gebetssitten befaßt und
dem Motiv und Inhalt des Gebets, zumal des Gebets der prophetischen Persön-
lichkeiten und der Psalmen, zu wenig Aufmeiksamkeit schenkt. Die ein-
gehendste Darstellung des israelitischen Gebets verdanken wir A. Greif f
(Das Gebet im Alten Testament, Alttest. Abh. V 3, Münster 1915). Er unter-
sucht zunächst Etymologie und Gebrauch der hebräischen Ausdiücke für , .Beten",
überblickt die äußeren Gebetssitten in Israel und verfolgt sodann die formelle
und ideelle Entwicklung des alttestamentlichen Gebets. O. Liunggren,
Bönen i Gamla Testamentet, Lund 1914 war mir nicht zugänglich. Henry Roy
(Das Gebetsleben im Psalter, Monatsschrift für Pastoraltheologie 7 [1911] 143 ff.)
gibt eine feinfühlige psychologische Analyse des Betens der Psalmisten. Einen
Vergleich zwischen dem Gebet der Psalmen und dem neutestamentlichen Gebet
stellt T h e e 1 an (Das Gebet im Alten Testament im Lichte des Neuen betrachtet,
Königsberg 1889). An Aufsätzen über das alttestamentliche Gebet in Sammel-
werken seien genannt: F. B u h 1 in REPTh 6, 393 f. ; H. Schmidt in RGG II
1150 ff.;T. K. Cheyne in Cheynes Encydopedia Biblica III 3823 ff.; C. R.
Bernard in Hastings Dictionary of the Bible IV 39 ff., H. Lesetre in
Vigouroux' Dictionnaire de la Bible V 663 ff. ; M. M. Harris in Jewish Ency-
dopedia X 164 ff. Eine Skizze über das Gebet in der späteren jüdisch-rabbinischen
Literatur bietet J. D. Eisenstein in Jewish Encydopedia X 166 ff. Das
begeistert geschriebene Büchlein von Nahida R em y , Das Gebet in Bibel und
Talmud, Berlin 1892 trägt apologetischen Akzent. Das monumentale Werk von
Ismar E 1 b o g e n , Der jüdische Gottesdienst in seiner geschichtlichen Ent-
wicklung, Leipzig 1913, enthält eine gründliche und feinsinnige Darstellung der
Entwicklung des jüdischen Gemeindegebets.
d) Das islamische Pflichtgebet (saldt) wurde von M. Grünert zum
Gegenstand einer Rektoratsrede gewählt (Das Gebet im Islam, Prag 1911). Be-
achtenswerte Gesichtspunkte für das Verständnis des islamischen Gebets bringt
H. W i e s e 1 in der Einleitung zu seiner Ausgabe einer alten muhammedanischen
Gebetssammlung (Achmed ibn Tajmija, Das Buch des frommen Woites. Diss.
Berlin 1914). J. Goldziher (Zauberelemente im islamischen Gebet, Orien-
talische Studien Theodor Nöldeke zum 70. Geburtstag gewidmet, Gießen 1906,
I, 303 ff.) will in den formelhaften Worten und den rituellen Gesten des muham-
medanischen Gebets — des Pflichtgebets wie des Privatgebets — Reste von
Zauberworten, Beschwörungen und Zauberhandlungen aufdecken. A. J. Wen-
sinck (Animismus und Dämonenglauben im Untergrunde des jüdischen und
islamischen Gebets, Der Islam IV, 1913, 219 ff.) führt ebenfalls die islamischen
wie die spät jüdischen Gebetsriten auf magische Wurzeln zurück. E. Mittwoch,
Zur Entstehungsgeschichte des islamischen Gebets und Kultus (Abh. d. Berl.
Ak. d. Wiss. 1913 phil.-hist. Kl.) beleuchtet die jüdischen Einflüsse, welche bei
der Entstehung und Ausgestaltung des muhammedanischen Einzel- und Ge-
meindegebets wirksam waren.
II. Die bisherige religionswissenschaftliche Untersuchung des Gebets 9
e) Man hat das Christentum mit Recht als die „Religion des Gebets"
(Döllinger 47. Bousset 4B), als „die eigentliche Heimat des persönlichen Gebets'
(Söderblom 49) bezeichnet. Um so paradoxer ist die Tatsache, daß das Gebet
im Christentum seltener untersucht worden ist als das Gebet in der griechischen
und israelitischen Religion. Die Schrift von Paul Christ (Die Lehre des Gebets
nach dem Neuen Testament 1886) verbindet mit der historischen Darstellung
eine religionsphilosophische Würdigung des neutestamentlichen Gebetsideals.
Das umfassende Werk von Eduard von der Goltz (Das Gebet in der ältesten
Christenheit, Leipzig 1901) behandelt in gleicher Weise das individuelle Gebets-
leben der schöpferischen Persönlichkeiten des Urchristentums wie das feierliche
Gemeindegebet, das Gebet der Volksfrömmigkeit wie die theologischen Gebets-
normen eines Clemens von Alexandrien und Origenes. Es vereint eine ins Detail
dringende historische Sorgfalt mit einem tiefen psychologischen Verständnis.
Rene P f e n d e r (De la priere juive ä la priere chrelienne. Etüde psychologique
de la priere dans l'eglise apostolique. Genf 1905) beleuchtet den Übergang des
spätjüdischen Gebets in das christliche; als der eigentliche Schöpfer des christ-
lichen Gebets erscheint Paulus. Einen zusammenfassenden Überblick über das
Gebetsleben im neutestamentlichen Zeitalter bietet Jülich er (Gebet im
Neuen Testament, RGG II 1175 ff.). Eine knappe und lebendige Darstellung
des Gebetslebens Jesu gibt H. K o e n i g (La priere dans l'enseignement de
Jesus, Paris 1888, These). Eugene Gu i t on (Pourquoi prier, Genf 1908, These)
beleuchtet im Anschluß an Ren£ Pfender den Unterschied des Gebets Jesu vom
alttestamentlichen und iabbinischen Gebet. Die Studie von J. Margret h
(Das Gebetsleben Jesu Christi des Sohnes Gottes, Münster 1902) behandelt haupt-
sächlich die christologischen Probleme und Apoiien, welche der katholischen
Dogmatik aus der Tatsache ei wachsen, daß Jesus, die zweite Person der Gottheit,
schlicht wie ein Mensch betet. Als das Schönste und Tiefste, was je von einem
Historiker oder Psychologen über das Gebet geschrieben woiden ist, muß Adolf
Deißmanns , Skizze' über den Beter Jesus gelten. (Der Beter Jesus. Ein
vergessenes Kapitel der neutestamentlichen Theologie, Chi istliche Welt XIII,
1899, 701 ff. ; abgedruckt in Evangelium und Urchristentum, Beiträge zur Weiter-
entwicklung der christlichen Religion, München 1905, 95 ff.) Sie offenbart eine
wundervolle psychologische Feinfühligkeit und künstlerische Darstellungskraft.
Die sorgsame Studie von August Werner (Die Gebete Jesu und die Lehre
Jesu vom Gebet, Jahrbücher für protestantische Theologie 1881, 385 — 413)
bleibt weit hinter ihr zurück. Ein wirksames Gegenstüc k zu Deißmanns Zeichnung
des Beters Jesu bildet die eindi ucksvolle Predigt über das Gnadengebet bei Paulus
(Roe. 8, 26), die derselbe Verfasser bei einem akademischen Gottesdienst in Berlin
hielt (abgedruckt im „Evangelischen Wochenbrief", Neue Folge 71/72 [1918],
2 ff.); sie wirft helles Licht auf eine wenig beachtete Seite des religiösen Innen-
lebens. Eine fesselnde Darstellung vom Gebetsleben des Völkerapostels ist in
der prächtigen Paulusmonographie H. W e i n e 1 s enthalten (Paulus, der Mensch
und sein Werk, Tübingen 1904, 97 ff.). A. Junckers Schriftchen (Das Gebet
bei Paulus, Biblische Zeit- und Streitfragen. Berlin 1905) bringt brauchbare
Gesichtspunkte, ist jedoch durch eine unnötige Polemik belastet. K. Böhmes
origineller Aufsatz über das „paulinische Gebet" (Protestantische Monatshefte VI,
1902, 426 ff.) konstruiert einen künstlichen Gegensatz zwischen der Gebetsweise
des synoptischen Jesus und der des Apostels Paulus. Th. Schermann (Grie-
chische Zauberpapyri und das Gemeinde- und Dankgebet im 1. Klemensbrit f ,
TU III 4, Leipzig 1909) zieht einen lehrreichen Vergleich zwischen dem liturgisch« n
Gebet der altchristlichen Gemeinde und den Preisgebeten der hellemetischen
Mystik, die in den magischen Papyri überliefert worden sind. Otto Holtz-
m a n n (Die täglichen Gebetsstunden im Judentum und Urchristentum, Zeit-
schrift für neutestament. Wissenschaft 12. 1911, 90 ff.) erörtert die von Harnack
(Ausgabe der Didache 1884, 27 f.) gestellte verwickelte Frage nach der Zeit,
zu welcher im Judentum und Urchristentum das tägliche Pflichtgebet stattfand.
Von der Goltz (Tischgebete und Abendmahlsgebete in der altgriechischen
und altchristlichen Kirche, TU. N. F. XIV 2a, Leipzig 1905) geht den Spurer
des jüdischen Tischsegens in den altchristlichen Eucharistiegebeten nach und
zeigt, wie auch umgekehrt eucharistische Gebetsmotivc sich in griechischen
1 0 Einleitung
Tischgebeten finden. Der ursprüngliche Charakter der Eucharistie als einer
gemeinschaftlichen Mahlzeit wird hierdurch in helles Licht gerückt. Peters,
Gebet in F. X. Kraus, Realenzyklopädie der christlichen Altertümer I 1882,
550 ff. behandelt das altchristliche Gebet auf Grund der archäologischen Doku-
mente. J. P. Kirsch (Die Akklamationen und Gebete der altchristlichen
Grabinschriften, Köln 1897) beleuchtet die an Gott, Christus und die Märtyrer
gerichteten Katakombengebete für die Verstorbenen und stellt ihre Beeinflussung
durch das liturgische Gebet fest. K. M i c h e 1 (Gebet und Bild in frühchristlicher
Zeit, Studien über christliche Denkmäler, 1, Leipzig 1002) erbringt den Nach-
weis dafür, daß die populären altchristlichen Gebetsformeln auf die darstellende
Kunst der vornicänischen Zeit einen nicht unerheblichen Einfluß ausgeübt haben.
Äußerungen von alten Kirchenschriftstellern und Kirchenvätern über das Gebet
sind zusammengestellt von Gottfried Arnold („Von dem Gebet der ersten
Christen zu Gott" in seiner Schrift: Die erste Liebe d. i. wahre Abhandlung der
ersten Christen nach ihrem lebendigen Glauben und heiligen Leben, Altona 1722,
156 — 170), J. A. W. Neander (Denkwürdigkeiten aus der Geschichte des
Christentums und christlichen Lebens, Berlin 1823, I 2, 80 ff. II 157 ff.), C. J.
Hefele („Zur Archäologie des häuslichen und Familienlebens der Christen"
in den Beiträgen zur Kirchengeschichte, Archäologie und Liturgik, Tübingen
1864, II 332 — 349). Die Schrift von O. Dibelius (Das Vaterunser, Umrisse
zu einer Geschichte des Gebets in der alten und mittelalterlichen Kirche, Gießen
1903) enthält drei Einzelabhandlungen. Die erste, religionsgeschichtlich wert-
vollste, untersucht die theologischen Gebetstheorien eines Clemens von Alexan-
drien, Origenes und Gregor von Nyssa; die zweite betrachtet die Vaterunser-
exegese der griechischen Theologen; die dritte zieht einen literargeschichtlichen
Vergleich der Vaterunsererklärung Luthers mit patristisc hen Auslegungen. Spezielle
„Untersuchungen zur Geschichte der griechischen Vaterunserexegese" hat G.
Walther (TU 40, 3 Leipzig 1914) angestellt. Dem Gebetsleben der katholischen
Mystiker schenken J. Chapman in seiner lehrreichen Skizze über die Ge-
schichte der christlichen Mystik (Mysticism Christian, Koman-Catholic, ERE IX
90 ff.) und Joseph Zahn in seiner reichhaltigen „Einführung in die christliche
Mystik" (Paderborn 1908, 1 37 — 270) besondere Aufmerksamkeit. Die komplizierte
Gebetstechnik und Gebetstheorie der neueren katholischen Mystik hat durch den
Jesuiten Auguste Poulain (Des gräces d'oraison, Paris 1901 und öfter; deutsch:
Die Fülle der Gnaden. Ein Handbuch der Mystik, Freiburg 1909) eine psycho-
logische Darstellung gefunden. Die Gebets- und Versenkungsmethode der hesy-
chiastischen Mönche der Ostkirche hat B. Schmidt zum Gegenstand einer
Dissertation gemacht (Das geistige Gebet. Eine Untersuchung zur Geschichte
der griechischen Mystik, Halle 1916). „Die verschütteten Schatzkammern des
mittelalterlichen Gebetslebens sind fast noch gar nicht wieder aufgeschlossen
worden. Wir wissen recht wohl, wie man im Mittelalter lehrte und lebte, sang
und dichtete, malte und baute, aber wie dasselbe betete, davon wissen wir noch
sehr wenig" (M. Huttier) ß0. Eine besondere Heimstätte mystischer Gebets-
frömmigkeit waren im Mittelalter die Klöster der Dominikanerinnen. Es ist
ein Verdienst des Dominikaners H. W i 1 m s, das Gebetsleben dieser Nonnen
untersucht zu haben (Das Beten der Mystikerinnen, dargestellt nach den Chroniken
der Dominikanerinnenklöster, Quellen zur Geschichte des Dominikanerordens in
Deutschland, Leipzig 1916). Man vermißt jedoch die Heranziehung bedeutsamer
Selbstbekenntnisse mittelalterlicher Dominikanerinnen und ein tieferes psycho-
logisches Eindringen in das geschichtliche Material. „Der Versuch, die Ent-
wicklung der Gebetbücher darzulegen, gleicht dem Wagnis in einen Urwald ein-
zudringen, durch den kein Pfad gebahnt ist; denn die Zahl der Gebetbücher ist
unübersehbar, und eine Zusammenstellung derselben wurde noch nie versucht."
Der Jesuit Stephan B e i s s e 1 , der die angeführten Worte schrieb, versuchte
das in einer Reihe von Aufsätzen (Zur Geschichte der Gebetbücher, Stimmen
von Maria Laach 77 (1909) 28 ff. 169 ff. 274 ff. 397 ff.), beschränkt sich jedoch
auf die katholischen, und zwar die für Laien bestimmten Andachtsbücher des
Abendlandes, deren älteste Form die „Psalterien" des frühen Mittelalters dar-
stellen. Sein Ordensgenosse Franz H o t z y (Zur deutschen Gebetsliteratur des
ausgehenden Mittelalters, Sonderdruck aus dem Jahresbericht des Gymnasiums
II. Die bisherige religionswissenschaftliche Untersuchung des Gebets 11
zu Kalksburg 1913) gibt eine kurze Darstellung der geschichtlichen Entwicklung
der mittelalterlichen Gebetsliteratur und bespricht sodann zwei noch ungediuckte
deutsche Gebetbücher des späten Mittelalters. Einen Einblick in die spätmittel-
alterliche Laienfrömmigkeit gewährt Klapper (Das deutsche Privatgebet im
ausgehenden Mittelalter, Korrespondenzblatt des Gesamtvereins der deutschen
Geschichts- und Altertumsfreunde 62, 1914, 216 ff.) Über die spätmittelalter-
lichen Gebetbücher und das Verhältnis des Lutherschen .Betbüchleins' zu ihnen
orientieren auch P. Cohors und A. G ö t z e in ihrer Vorrede zu letzterem in
der Weimarer Ausgabe der Werke Luthers (10 II, 331 ff.). Luther gehört zu
den gewaltigsten Betern der Religionsgeschichte; um so vei wunderlicher ist es,
daß in der Riesenliteratur über seine Persönlichkeit und Lehre seine Gebets-
frömmigkeit nahezu unbeachtet blieb. Es ist das hohe Verdienst eines prak-
tischen Theologen, diese vergessene Seite im Bilde des deutschen Refoimators
hervorgekehrt zu haben. Superintendent Dietrich Vorwerk hat im ersten
Abschnitt seines umfangreichen Werkes über „Gebet und Gebetserziehung"
(Schwerin 1913, Band I: Gebetstatsachen und Gebetsforschung S. 1 — 335) ein-
gehend, wenn auch nicht erschöpfend, „Luther als Beter und Gebetserzieher"
dargestellt. (Das Werk wurde mir leider erst nach dem Erscheinen der ersten
Auflage meines Buches bekannt. Um so erfreulicher war mir die Feststellung,
daß meine Auffassung von Luthers Gebetsfrömmigkeit im wesentlichen mit der
Auffassung Vorwerks übereinstimmt.) Die kleine Schrift desselben Verfassers
(Luthers Gebetsleben als Wegweiser für das Gebetsleben unserer Zeit, Schwerin
1917) ist ein volkstümlicher Auszug aus dem großen Werk; sie ist die einzige
Schrift über Luthers Beten in der zahlreichen Lutherliteratur, die anläßlich des
Reformationsjubiläums erschien ! Nicht hoch genug kann die sorgfältige Quellen-
untersuchung von Paul Althaus (Zur Charakteristik der evangelischen Gebets-
literatur im Reformations Jahrhundert, Leipzig 1914) eingeschätzt werden. Ein-
mal eröffnet sie einen genauen Einblick in die Entstehung und Bedeutung des
literarischen Gebetes. Sodann hat sie eine bisher unbeachtete Tatsache, die
für die Geschichte der christlichen Frömmigkeit von großer Bedeutung ist, ins
Licht gerückt. Bei Beginn der Reformation verschwindet in den evangelischen
Kirchen mit einem Schlage die im Mittelalter herrschende mystisc h-augustinische
Gebetsweise und an ihre Stelle tritt eine exklusiv an der Bibel orientierte Gebets-
frömmigkeit. Nach der Gegenreformation aber sickert die mystisch-mittelalter-
liche Gebetsart allmählich aus der katholischen Erbauungsliteratur in die evan-
gelische ein und bereits am Ende des 16. Jahrhunderts dominiert sie in der ganzen
evangelischen Welt. Schleiermachers Gebetstheologie, welche den Übergang
von der rationalistisch-moralistischen Umdeutung des Gebets zu einer tieferen
psychologischen Auffassung bildet und eine Annäherung an das biblische Gebets-
ideal bringt, ist mit feinem geschichtlichen Verständnis und treffender sachlicher
Kritik von Fernand M e n e g o z behandelt worden (Das Gebetsproblem im
Anschluß an Schleiermachers Predigten und Glaubenslehre neu gestellt und
untersucht, Leipzig 1911).
Eine Gesamtgeschichte des christlichen Gebets ist ein ,pium desiderium',
dessen Verwirklichung noch in weiter Ferne liegt. Die Schrift von C. E. Tau-
berth, Die christliche Lehre vom Gebet historisch-exegetisch bearbeitet,
Würzen 1855) ist eine kommentierte Zitatensammlung aus dem Alten und Neuen
Testament wie aus den Schriften der alten Kirchenväter und der Reformatoren.
Die schwachen Umrisse einer Geschichte des christlichen Gebets sind erkennbar
bei Chr. E. Luthardt, Kompendium der theologischen Ethik, Leipzig 1896,
241 ff. E. von der Goltz versucht in großen Zügen die Entwicklung des Privat-
gebets wie des Liturgischen und klösterlichen Gebets vom Urchristentum bis in
das Aufklärungszeitalter zu zeichnen (Gebet, geschichtlich in RGG II 1141 ff.).
Daß diese Überblicke erhebliche Lücken und Ungenauigkeiten aufweisen, ist
bei dem Mangel eindringender Spezialuntersuchungen nicht anders möglich.
f ) Als erster Versuch einer allgemeinen religionsgeschicht-
lichen Darstellung des Gebets hat das Büchlein von C. F. Stau dl in,
Geschichte der Vorstellungen und Lehren von dem Gebete, Göttingen 1824, noch
heute eine gewisse Bedeutung. Stäudlin behandelt das Gebet in der griechischen,
römischen und besonders in der israelitischen Religion und verfolgt das Gebet
12 Einleitung
im Christentum von Jesus bis Kant. Er zeichnet freilich keine inneren geschicht-
lichen Entwicklungslinien, was er bietet ist vielmehr eine lose Aneinanderreihung
von Gebeten und normativen Äußerungen über das Gebet. Noch umfassenderes,
freilich vielfach geringwertiges Material bringt O. G r u b er bei (Gebet in Ersch-
Gruber, Allgemeine Enzyklopädie der Wissenschaften und Künste I 55, Leipzig,
1852, 203 — 246). Er untersucht zunächst das Gebet in den polytheistischen,
sodann in den monotheistischen Religionen (Islam, Judentum und Christentum).
Die imponierende Fülle an Stoff ist nur ungenügend gegliedert; es fehlen alle
tieferen religionswissenschaftlichen Gesichtspunkte.
2. Stäudlins und Grubers Versuch einer Universalgeschichte des Gebets ist
nicht wieder aufgenommen worden. Die neueren Religionshistoriker haben mehr
und mehr erkannt, daß „eine Geschichte des Gebets im strengen Sinn des Wortes
sich nicht schreiben läßt " (Dibelius) 61. Stäudlin war sich dessen irgendwie bewußt,
wenn er seinem Buche den Titel „Geschichte der Vorstellungen und Lehren von
dem Gebete" gab. Was dem Historiker faßbar ist, sind die Objektivierungen
des Gebets, die Gebetsfoimeln. Gebetskompositionen, die das Gebet begleitenden
Riten wie die theoretischen Äußerungen über das Gebet. Ihre geschichtliche
Entwicklung läßt sich ebenso leicht aufzeigen wie die Entwicklung einer Foim
der Wirtschaft oder des sozialen Lebens. Aber auch das Gebet selbst, als ursprüng-
liche seelische Äußerung, zeigt in der Geschichte der Religion einen ideellen Ent-
wicklungsgang, eine fortschreitende Bereicherung, Vertiefung und Verfeinerung
des religiösen Erlebens. Diese ideelle Entwicklung des Gebets ist in ihrer Totalität
niemals an einer Einzelreligion erkennbar, sie kann deshalb nicht restlos von dem
Historiker erfaßt werden. Sie herauszustellen, müht sich die vergleichende
Religionswissenschaft. Sie will vor allem die Urform des Gebets
und die Gesetzmäßigkeit seiner Entwicklung erfassen.
a) Die ersten Ansätze zu einer Darstellung des Gebets unter dem Gesichtspunkt
der vergleichenden Religionswissenschaft finden sich bei Tobias P f a n n e r
(Systema theologiae gentilis purioris, Bäte! 16J-9), der fieilich über einen Ver-
gleich des Gebets bei den antiken Völkern und im Christentum nie ht hinauskommt.
Nicht viel weiter führt Simons „Historisch-kritischer Versuch über des Gebet,
besonders über das Tischgebet alter und neuer kultivierter und unkrrltivierter
Völker" (Nürnberg 1799). Einen bedeutsamen Fortschritt zeigt die „Geschichte
der Gebete, Anbetungen und Eide", die C. Meiners dem 2. Bande seiner
„Allgemeinen kritischen Geschichte der Religionen" (Hannover 1806/07) ein-
gefügt hat, einem großzügigen und reichhaltigen Weike, das der Vergessenheit
entrissen zu werden verdient. Meiners hat als erster mit Geschick die Methode
des generellen Vergleichs gehandhabt. Die Religion der Natui Völker wild ebenso
herangezogen wie die Religion der antiken Kulturvölker und die europäische
Volksreligion. Leider wird die Frömmigkeit der religiösen Genien völlig außer
acht gelassen. Auch bietet Meiners nur einen Vergleich und eine Deutung der
verschiedenen Daten, ohne zur Aufzeigung einer inneren Entwicklung des Betens
wie der Religion überhaupt fortzuschreiten. Jak. Grimm, Über das Gebet, Kleine
Schriften II Berlin 1865, 439 ff. bietet hauptsächlich eine Zusammenstellung der
mit mimetischen Zauberriten veibundenen volkstümlichen Regengebete wie eine
sprachwissenschaftliche Untersuchung des Gebrauchs des Aoristes beim Gebet.
b) Wie Meiners, so beschränkt auch die neuere vergleichende Religions-
wissenschaft ihre Untersuc hung voi wiegend auf die Anfänge der Religion und ihre
älteren Entwicklungsphasen. Das Gebetsleben der großen schöpferischen Persön-
lichkeiten wird fast völlig außer acht gelassen. E. B. Tylor gibt im 2. Teil
seines berühmten Werkes über die primitive Kultur (Die Anfänge der Kultur,
übers, von Sprengel und Poske 1873 II, 365 ff.) eine durch Beispiele illustrierte
Darstellung des Betens der Naturvölker und zieht einen Vergleich mit der Gebets-
weise der antiken Nationen. Frisch und gedankentief sind die kurzen Ausführungen
über das Gebet bei C. P. T i e 1 e (Einleitung in die Religionswissenschaft, übers,
von G. Gehrich II, 1901, 110 ff.), die auch die individuelle Gebetsfrömmigkeit
berücksichtigen. Anregend sind die auf hübsche Beispiele gestützten Gedanken
bei D. B r i n t o n , Religion of Primitive Peoples 1897, 107 ff. Auch E. Wester-
ma r c k (Ursprung und Entwicklung der Moralbegriffe II, 1908, 517 ff.) widmet
dem primitiven Gebete seine Aufmerksamkeit.
II. Die bisherige religionswissenschaftliche Untersuchung des Gebets 13
c) Während die ältere Religionswissenschaft im naiven Bittgebet die Urform
des Gebets erblickt hatte, sucht eine große Zahl neuerer Religionshistoriker in
der Beschwörung und im Zauberspruch das Protoplasma des Gebets. L. Ma-
r i 1 1 i e r , Evolution du sacrifice et de la priere (Art. Religion, in La grande
Encyclop^die 28, 351 ff. ), V i e r k a n d t , Die Anfänge der Religion und Zauberei
(G 92, 61 ff.), M. P. Nilsson, Primitive Religion (RgVb 1911, 80 ff.) und
E. Lehmann, Inledning tili Religionsvetenskapen (Stockholm 1914, 135 ff.;
vgl. RGG II, 538) haben die Ableitung des Gebets aus dem Zauberwesen ver-
treten. R. R. M a r e 1 1 , Prom spell to prayer (F 1904, 132 ff. = The Treshold
of Religion London 1914, 29 ff. ; vgl. Art. Prayer in EB 22, 216 ff. ) sucht in psycho-
logisch interessanten Ausführungen darzutun, wie die Gebetsanrufung an die
Gottheit aus der bloßen Wunschäußerung und der Beschwörung herauswächst.
An einem reichen Material aus den primitiven und antiken Religionen sucht in
ähnlicher Weise L. R. Farnell (The Evolution of Prayer in ,The Evolution
of Religion', London 1905, 164 ff.) das Hervorgehen des Gebets aus dem Zauber-
spruch zu beleuchten. Er schenkt auch den geläuterten Formen des Gebets
Beachtung. F. B. Jevons , The Idea of God in Prayer (in The Idea of God
in Early Religion, Cambridge, 1911, 108 — 151) will zeigen, daß mit der fort-
schreitenden Differenzierung des Gottesglaubens Gebet und Zauberspruch, die
ursprünglich in einem gemeinsamen Komplex verbunden waren, auseinandertreten.
d) Alle erwähnten Untersuchungen beschränken sich fast ausschließlich auf
die Anfänge und die älteren Entwicklungsstadien des Gebets. Das Verdienst,
alle Typen oder Entwicklungsformen des Gebets zuerst überblickt zu haben,
kommt M. Müller zu, einem der Begründer der vergleichenden Religions-
wissenschaft (On Ancient Prayer, Extracts from Lectures delivered at Oxford
in Semitic Studies in Memory of Alex. Kohut. Berlin 1897, 1 ff.). An der Hand
ausgewählter Beispiele unterscheidet er das Gebet in der „ethnischen", in der
„nationalen" und in der „individuellen" Religion.
3. Die verschiedenen religionspsychologischen Untersuchungen
des Gebets zeigen deutlich die verwirrende Mannigfaltigkeit der Methoden, nach
denen diese junge Wissenschaft arbeitet.
a) Wundts völkerpsychologische Religionspsychologie bietet
eine psychologische Vertiefung der religionswissenschaftlichen Theorien der ver-
gleichenden Anthropologie und Ethnologie. Der genetischen Ableitung des Gottes-
glaubens aus dem Dämonenglauben entspricht die Zurückführung des Gebets
auf die Beschwörung (Völkerpsychologie II: Mythus und Religion 1905 — 1909,
21917, s. Index daselbst; Elemente der Völkerpsychologie, Leipzig 1912). Das
Wundtsche Evolutionsschema: Beschwörung — Bitt- und Dankgebet — Buß-
gebet — Lobpreisung ist eine glänzende Konstruktion, die aber weder dem tat-
sächlichen Entwicklungsgang völlig entspricht, no h alle Entwicklungsfo men
des Gebets umfaßt. Das Gebet als individuelle Frömmigkeitsäußerung des
religiösen Genius bleibt, dem völkerpsychologischen Prinzip entsprechend, unbe-
rücksichtigt.
b) Auch die individualpsychologischen Untersuchungen des
Gebets zeigen hinsichtlich des Gegenstandes wie der Methode die größtmögliche
Verschiedenheit. Frank Orman Beck (Prayer, A Study in its History and
Psychology, AJRP II 1906, 107 ff.) wendet das Fragebogenverfahren an, schickt
aber eine gedrängte geschichtliche Übersicht über die verschiedenen Typen des
Gebets voraus. J. B. P r a 1 1 (The Psychology of Religious Belief, New York 1907,
271 ff.) beleuchtet auf Grund einer Umfrage Motiv und Wirkung des Betens.
Die beste und ergiebigste Untersuchung nach der Fragebogenmethode hat Robert
Ostermann angestellt (Contribution ä l'^tude expe>imentale de la priere
rlinUienne, These, Genf 1907). Einen sorgfältig detaillierten Fragebogen hat
H. Lehmann ausgearbeitet („Über die Disposition zum Gebet und zur An-
dacht, Vorschläge und Materialien zu einer religionspsychologischen Unter-
suchung nach der Erhebungsmethode", Zeitschr. f. angew. Psych. X und Sonder-
druck). Der Neurologe S. W. Ranson (Studies in the Psychology of Prayer
AJRP I, 1906/07, 129 ff.) beschränkt seine Untersuchung auf die Analyse von
mystisch-kontemplativen Gebeten. Da Costa Guimaraens (Le besoin
de prier, R Ph 54, 1902, 390 ff.) untersucht, in den Bahnen Ribots und Murisiers
1 4 Einleitung
wandelnd, das Motiv des Gebets rein gefühlspsychologisch, mit einer Vorliebe
für pathologische Phänomene. „Beten heißt ein bestimmtes Bedürfnis befriedigen"
lautet seine sehr seichte Definition. Die Unzulänglichkeit der auf jede Phäno-
menologie verzichtenden generellen Gesetzespsychologie für die religionswissen-
schaftliche Forschung 1 ritt in dieser an Geschmacklosigkeiten nicht freien Arbeit
besonders deutlich hervor. Man wird dieser Methode, die sich lediglich auf Grenz-
probleme zwischen der allgemeinen Psychologie und der eigentlichen Religions-
psychologie einstellt, gewiß nicht die psychologische, wohl aber die religions-
wissenschaftliche Bedeutung absprechen müssen. Mit Recht kämpft Wobbermin
gegen diese die französische und amerikanische Religionspsychologie beherrschende
Methode an. E. Dürr (in Ebbinghaus-Dürr, Grundzüge der Psycho-
logie II, 557 ff.) wendet seine Aufmerksamkeit den psychischen Wirkungen des
Gebets zu, überschreitet jedoch die der Psychologie gesteckten empirischen
Grenzen und schließt wertphilosophische Betrachtungen vom psychobiologischen
bzw. psychohygienischen Gesichtspunkt an. Eine gründliche, auf ein reiches
Tatsachenmaterial gestützte Untersuchung ist das Werk des französischen Psycho-
logen J. Segond: La priere, Etüde de Psychologie religieuse, Paris 1911. Es
bietet eine psychologische Analyse der verschiedenen Momente des Gebets (Samm-
lung, Aspiration. Hingabe, Monolog, Dialog, Bitte und Fürbitte) sowie einen
geschichtlichen Überblick über das Gebet in den verschiedenen Religionen. Das
Fehlen einer umfassenden Klassifikation der verschiedenen Foimen bzw. Ent-
wicklungsstufen des Gebets, sowie die einseitige Heranziehung mystischer Gebets-
dokumente im psychologischen Teil bedingen notwendig einen unzureichenden
Einblik in die Typik, das Wesen und die Psychogenesis des Gebets. Ungleich
ärmer an Material, aber in methodischer Hinsicht wertvoller ist die Dissertation
einer amerikanischen Dame, A. L. Strong, A Consideration of Prayer from
the Standpoint of Social Psychology, Chicago 1908. Mit Hilfe eines völlig unge-
nügenden Materials, ohne Kenntnis der eigentlich charakteristischen Quellen und
unter Ignorierung des Gebets der schöpferischen religiösen Genien, gewinnt
Strong mit einem sicheren psychologischen Instinkt eine annähernd richtige
Typik des Gebets. Das Beten des naiven Menschen wird als ..undiscriminating
form" der „discriminating foim" des Betens in der persönlichen Frömmigkeit
gegenübergestellt. Die beiden Haupttypen des individuellen Betens werden als
,,contemplative or aesthetic typ" und als „practieal or ethical typ" auseinander-
gehalten; das liturgische Gemeindegebet wird mit einem gewissen Recht als eine
Mischung dieser beiden Typen charakterisiert. Reiches religionspsychologisches
Material enthält der erste Band des schon erwähnten großen Werkes von Dietrich
Vorwerk (Gebet und Gebetserziehung, Schwerin 1913 I: Gebetstatsachen
und Gebetsforschungen); die organische Gliederung und psychologische Durch-
dringung der Stoffülle ist jedoch dem verdienstvollen Verfasser nicht voll ge-
glückt. Dankenswert ist auch die psychologische Darstellung des Gebetslebens
der Kinder, welche im zweiten Band dieses Werkes („Gebetserziehung") ent-
halten ist und eine Ergänzung in einer kleinen Schrift desselben Autors findet
(Kindergebet und Kinderpsychologie mit besonderer Berücksichtigung der Be-
dürfnisse des Kindergottesdienstes, Schwerin 1913). Die preisgekrönte Schrift
von H. W i r z , Die Psychologie des Gebets unter der Lebensgestaltung der
Gegenwart, Haarlem 1914, bietet manch wertvolle Gedanken über das Wesen
und die Psychogenesis des Gebets. Sie gleitet jedoch ständig in wertphilosophische
Erörterungen hinüber. Ihr eigentlicher Zweck ist auch nicht eine empirische
Untersuchung des Gebets, sondern die Verkündigung eines dem modernen Geistes-
leben angepaßten Gebetsideals bzw. Gebetssurrogats. Die fesselnde Schrift von
Emil Lu c k a , Grenzen der Seele, Berlin 19178, II: Stufen der Genialität, enthält
ein geistvolles Essay über die seelischen Wurzeln des Gebets (Kap. 5 S. 149 ff.:
das Gebet).
c) Die Psychologie des liturgischen Gebets der katholischen Kirche
wird in feiner Weise von R. Quardini behandelt (Vom Geist der Liturgie,
»Ecclesia orans' Bd. 1, Freiburg 1918, 1 ff.); das Gemeindegebet des evangelischen
Gottesdienstes wird von Karl Anton (in seiner vortrefflichen Schrift „Ange-
wandte Liturgik", Praktisch-theologische Handbibliothek 23, Göttingen 1919,
117 ff.) in psychologische Beleuchtung gerückt.
II. Die bisherige religionswissenschaftliche Untersuchung des Gebets 15
4. Die religionsphilosophische Untersuchung des Gebets erfolgte
in dreifacher Richtung.
a) E. v. Hart mann (Die Religion des Geistes, Berlin 1882, 319 ff.), O.
Pf leiderer (Religionsphilosophie auf geschichtlicher Grundlage, Berlin 1896
3. A. 657 ff.), A. Sabatier (Religionsphilosophie auf psychologischer und
historischer Grundlage, übers, v. Baur, Freiburg 1898, 100 ff.) und A. Dorner,
Grundriß der Religionsphilosophie, Leipzig 1903, 306 ff.) suchen unter Verwertung
von spärlichen empirischen Daten im Hinblick auf ein Gebetsideal die stufenweise
Entwicklung des Gebets herauszuarbeiten. Die drei letzteren erblicken die Ideal-
form des Gebets in dem christlichen „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe!",
während E. v. Hartmann sie entsprechend seinem Ideal einer monistischen
Immanenzreligion in der mystisch-quietistischen Versenkung in das eigene Ich,
im reinen Monolog sucht. Es handelt sich hier überall um eine geschichts-
philosophische Konstruktion, der weniger eine historische oder psycho-
logische als eine axiologische Bedeutung zukommt.
b) Die zweite Aufgabe, welche die Religionsphilosophie sich stellt, ist die
phänomenologische Erfassung des Wesens des Gebets. Sie wurde am
glücklichsten von Rauwenhoff (Religionsphilosophie, übers, v. Hanne,
Braunschweig 1889, 583 ff.), E. Guiton (Pourquoi prier, Genf 1908) und F.
M e n e g o z (Das Gebetsproblem im Anschluß an Schleiermachers Predigten
neu gestellt und untersucht, Leipzig 1911) durchgeführt, die alle modernen Wert-
gesichtspunkte ausschließen. Andere Religionsphilosophen hingegen, wie S a b a -
t i e r (a. a. O. 100 ff. ) und R. S e y d e 1 (Religionsphilosophie im Umriß, Freiburg-
Leipzig 1893, 371 ff.) verbinden mit der Wesensbestimmung des Gebets eine
Wertbestimmung. Wie die meisten philosophischen Definitionen des Wesens
der Religion nichts anderes sind als eine Formulierung des Ideals der Religion,
das sich in der Geschichte immer mehr verwirklicht (Schleiermaeher, Sabatier,
Herrmann), so haben auch die erwähnten religionsphilosophischen Wesens-
bestimmungen des Gebets axiologisch-normativen Charakter.
c) Das metaphysische Problem einer realen Einwirkung des Menschen auf
Gott im Gebet wurde schon in der Antike empfunden (Seneca, nat. quaest. II,
37) und in der christlichen Theologie seit Origines (De oratione, Mi P Gr 11, 137 ff.)
immer wieder zu lösen unternommen. Es handelt sich um ein Grenzproblem der
Religionsphilosophie und der theologischen Dogmatik. An neueren Spezial-
arbeiten zu dieser Frage seien genannt: A. Bolliger, Die theoretischen Vor-
aussetzungen des Gebets und deren Vernünftigkeit 1891; Ernest Simyan,
De l'exaucement de la priere au point de vue philosophique (These) Genf 1894;
A. S u j o 1 , De l'exaucement de la priere au point de vue philosophique (These)
Genf 1895; Franz Schmidt, Die Wirksamkeit des Bittgebets, Brixen 1895;
A. Philippot, Essai philosophique sur l'efficacite" de la priere (These) Paris
1898; Jaques Monsabr^, La priere, Philosophie et theologie de la priere,
Paris 1906; Martin Kahler, Berechtigung und Zuversichtlichkeit des Bitt-
gebets (Angewandte Dogmen, Leipzig 1908, 234 ff. ); W. Wa 1 th e r , Die Gebets-
erhörung. Wie ist sie zu denken, Leipzig 1911 ; F. T h o m i n , Welt ordnung und
Bittgebet, Mainz 1912; W. Veit, Hat Beten Sinn? (Die Religion, Frankfurter-
Vorträge VII. Reihe, Frankfurt 191 4, 72 ff.); K. Weinrich, Gebetserhörung,
Zeitschrift für Theologie und Kirche 1916, 231 ff.; Arnold G il g , Das Problem
des Gebets, Internationale kirchliche Zeitschrift 1916, 262 ff. Eine besondere
Bedeutung kommt der kleinen oben ei wähnten Schrift von Fernand M^negoz
zu, welche die alte intellektualistische Problemstellung a linrine abweist und
dem irrationalen Charakter des Gebets vollauf gerecht wird. Sie ..läßt dem
Leben den Vortritt vor dem abstrakten Denken" und „findet den Mut, diese
Urtatsache des religiösen Lebens in ihrer ganzen Irrationalität und mit all ihren
Härten zu erkennen und darzustellen" (S. 62. 64).
Die bisherige wissenschaftliche Untersuchung des Gebets offenbart
eine verwirrende Mannigfaltigkeit von Ausgangspunkten und Methoden.
Ethnologen und Kulturforscher, Orientalisten und klassische Philologen,
Bibelexegeten und Kirchenhistoriker, Religionshistoriker und Dogmati-
16 Einleitung
ker, Psychologen und Philosophen mühten sich in die geheimnisvolle
Welt des Gebets einzudringen. Aber nur wenigen gelang es, das Sanctis-
simum des Betens zu betreten, in die Seele des Beters zu schauen, sein
innerstes Bangen und Beben, Sehnen und Verlangen, Glauben und
Vertrauen zu belauschen. Die meisten Forscher blieben im Vorhofe
stehen und ahnten kaum die Wunder, die im Heiligtum der betenden
Seele vor sich gingen. Die Historiker und Philologen sahen zumeist nur
die äußeren Hüllen des Gebets, die stereotypen Formeln und prunkvollen
Dichtungen, die konventionellen Gebärden und rituellen Handlungen;
aber sie erfaßten nicht das Leben, das all diese Formen sich schuf. So
sehr verkannten viele die Leidenschaf t und Inbrunst des Gebets, daß sie
seine Wurzel im Zauberspruch suchten, diesem größten aller religiösen
Erstarrungsphänomene; im Tode suchten sie den Ursprung des kräf-
tigsten und reinsten Lebens. Auch die Psychologen, die berufenen
Interpreten der tiefen religiösen Erlebnisse, enthüllten uns nicht das
Geheimnis des betenden Geistes. Die einen befragten nicht die großen
Beter, sondern glaubten im Gebet moderner Durchschnittsfrommer zu
erkennen, was Beten sei; andere profanierten mit ihrer mechanistischen
Gesetzespsychologie das tiefste Mysterium der Religion. Nur wenige
Forscher — es waren nicht Fachpsychologen, sondern Theologen — sind
mit genialem Blick in die Tiefen persönlichen Betens gedrungen : Köberle,
Deißmann, Weinel, von der Goltz, A. Sabatier, Menegoz, Tiele. Aber
keiner von ihnen hat dem Gebet eine umfassende religionswissenschaft-
liche Untersuchung gewidmet. Ehe wir eine solche wagen, ist eine Be-
sinnung auf die Aufgabe und Methode der Religionswissenschaft wie
eine Umschau über die uns zur Verfügung stehenden Quellen unerläßlich.
Nur so gewinnen wir in dem bunten Wirrwarr des Stoffs, der Methoden
und Theorien eine sichere Orientierung.
III. Aufgabe und Methode der Religionswissen-
schaft52.
1. Der Gegenstand der Religionswissenschaft.
Das Objekt der Religionsgeschichte, wie der Geschichte überhaupt,
ist stets ein individuelles, örtlich und zeitlich scharf umgrenztes Ge-
bilde. Die Religionsgeschichte untersucht mit den Mitteln der philo-
logischen Wissenschaft die Religion eines bestimmten Volkes (der
Ägypter, Babylonier, Chinesen), einer bestimmten Rasse (der Bantu,
Semiten, Indogermanen), einer bestimmten Epoche (der vedischen Zeit,
des nachexilischen Judentums, des Urchristentums, des Reformations-
zeitalters), einer bestimmten Kirchengemeinschaft oder Sekte (des
japanischen Sukhävati-Buddhismus, der Mithrasmysterien, des calvini-
schen Protestantismus, der Quäker), das Frömmigkeitsleben einer
schöpferischen Einzelpersönlichkeit (Buddha, Plotin, Jesus, Paulus,
Augustinus, Luther, Schleiermacher) oder eine viele Richtungen, Strö-
mungen und Persönlichkeiten umfassende Weltreligion (den Buddhismus,
Islam) oder Weltkirche (Katholizismus). Die Religionswissenschaft hat
-es hingegen im Unterschiede von der speziellen und allgemeinen Reli-
III. Aufgabe und Methode der Religionswissenschaft 17
gionsgeschichte nicht mit den einzelnen Religionen und religiösen Persön-
lichkeiten zu tun, sondern mit der Religion überhaupt. Sie sucht zu
ergründen, was Religion ist, wie sie im Seelenleben des Menschen ent-
steht und im Gemeinschaftsleben der Menschen sich fortbildet, was
sie für unser Geistes- und Kulturleben bedeutet. Auf zwei völlig ver-
schiedenen Wegen sucht die heutige Religionswissenschaft in das Ge-
heimnis der Religion einzudringen : auf dem Wege der Völkerpsychologie
und Religionsvergleichung wie auf dem Wege der individualpsycholo-
gischen Analyse. Gegenstand der völkerpsychologischen (anthropolo-
gischen, ethnologischen, soziologischen) und vergleichend-historischen
Religionsforschung sind die Anfänge und die Entwicklung der Religion.
Die psychologische Genesis und die historische Weiterbildung des reli-
giösen Phänomens wird konstruiert auf Grund des generellen Vergleichs
der Daten, welche die religiösen Vorstellungen und Riten der heutigen
Naturvölker und der antiken Kulturvölker liefern. Gegenstand der
individual-psychologischen Religionsforschung ist das reichdifferenzierte
religiöse Innenleben individueller Persönlichkeiten einer hochentwickelten
Kulturepoche — sowohl religiöser Genien wie religiöser Durchschnitts-
menschen — , die spontan oder auf Grund psychologischer Befragung
ihre religiösen Erlebnisse in Selbstzeugnissen niedergelegt haben. Keiner
der beiden Forschungsmethoden gelingt es, des religiösen Phänomens
vollständig habhaft zu werden. Die eine Methode geht gerade an den
reichsten und reinsten Ausprägungen des Religiösen achtlos vorüber,
die andere abstrahiert das religiöse Erleben von allen historischen und
soziologischen Voraussetzungen. Gewiß werden durch beide Methoden
wertvolle wissenschaftliche Erkenntnisse zutage gefördert. Aber nur
eine Untersuchung aller Erscheinungsformen und Typen des Religiösen
vermag das Fundament einer Religionsphilosophie, einer Wesens-
bestimmung und Wertung der Religion abzugeben.
Den Ausgangs- und Mittelpunkt der Religionswissenschaft muß stets
die reine, naive Religion bilden. Die Religion muß vor allem an
ihren Quellen und Höhepunkten studiert werden, dort, wo sie spontan
und frei mit produktiver Kraft aus starken seelischen Erlebnissen
hervorbricht, wo sie noch nicht erstarrt ist in stabilen, konventionellen
Kultformen und noch nicht überwuchert durch das ausdeutende mytho-
logische Denken oder die klärende philosophisch-theologische Spekulation .
Naive Religion ist mit urwüchsiger Lebendigkeit wirksam im Kult der
heutigen primitivenVölker, deren Ursprünglichkeit im Denken
und Leben durch geschichtliche Fortschritte und Rückbildungen relativ
wenig berührt worden ist. Naive Religion lebt ebenso in der Volks-
frömmigkeit aller Jahrhunderte und aller Kulturen. Denn ,,die
Frömmigkeit der Massen ist unveränderlich wie das Wasser in den
Tiefen des Meeres, sie wird von den Oberströmungen weder mitgerissen
noch erwärmt" (Cumont)63. Die kanaanäisch-israelitische, die griechische,
die hinduistische, die christlich- mittelalterliche Volksreligion sind Bei-
spiele dafür, wie unter der Decke hoher Kulturen und Religionen die
religiösen Urtriebe mit unüberwindlicher Gewalt fortleben. Ja noch
in der katholischen und evangelischen Volksfrömmigkeit unserer Tage
Das Oebet 2
18 Einleitung
ist der primitive religiöse Realismus mit unverminderter Kraft lebendig;
die großen Bewegungen der Reformation, des Pietismus und Rationalis-
mus, die über die protestantischen Kirchen gegangen sind, haben an
der urwüchsig-primitiven Religion der Bauern so wenig geändert, daß
evangelische Geistliche, die sich eingehend mit religiöser Volkskunde
beschäftigten, allen Ernstes die Frage aufwarfen: „Ist denn unser Volk
überhaupt jemals zum Christentum bekehrt worden?"54 Wertvolle
Ergänzungen zu dem lebendigen Bild von naiver Religion, das aus dem
Kult primitiver Völker und der Volksfrömmigkeit zu gewinnen ist,
bieten die in literarischen oder monumentalen Dokumenten fragmen-
tarisch überlieferten antiken Kulte, in deren festen und sakro-
sankten Ritualhandlungen und -Worten die primitiven religiösen
Schöpfungen prähistorischer Zeiten sich versteinert haben. Lehrreiche
Analogien zur primitiven Religion bietet schließlich die Frömmigkeit
des Kindes, soweit sie sich spontan äußert und nicht auf dem Wege
der Nachahmung und Unterweisung von den Erwachsenen übernommen
ist. Wie im Denken und Reden, im Gestus und Handeln, im Spiel und
im künstlerischen Schaffen, so vollzieht sich auch im religiösen Vor-
stellen und Tun des Kindes die Genesis und Fortbildung des Ursprüng-
lichen, Primitiven von neuem. Alle diese Äußerungen und Nieder-
schläge primitiver Religion ermöglichen uns eine blasse Ahnung von
der Urschöpfung des Religiösen, die sich in der Urmenschheit voll-
zogen haben muß.
Die primitiven Äußerungen des religiösen Erlebens reichen allein
nicht aus, um ein vollständiges und zutreffendes Bild von naiver Religion
zu gewinnen. Einmal sind zahlreiche religiöse Handlungen bei den
Naturvölkern wie in den Volksreligionen bereits zur konventionellen,
bisweilen sogar unverständlichen Sitte geworden, die um ihrer selbst
willen geübt wird. Es darf keineswegs jede kultische Handlung als
spontane religiöse Äußerung interpretiert werden. Schon innerhalb der
primitiven Welt, geschweige denn in der antiken Kulturwelt, muß mit
umfassenden Verkümmerungsprozessen ebenso gerechnet werden wie
mit Höherbildungen. Ferner sind die Dokumente der primitiven Religion
immer nur objektiver, äußerer, niemals subjektiver Natur; sie enthüllen
uns nie das eigentliche religiöse Erleben; dieses selbst müssen wir erst
aus den kultischen Handlungen, den sie begleitenden Worten und der
sie veranlassenden Situation erschließen. Endlich ist, entsprechend der
Undifferenziertheit des ganzen Kulturlebens, die primitive Religion so
unauflöslich verbunden und vermengt mit der mythischen Weltan-
schauung, mit den sozialen Institutionen, vor allem aber mit dem
Zauberwesen, daß die moderne Religionswissenschaft sie fortgesetzt
mit diesen heterogenen Bestandteilen der primitiven Kultur verwechselte.
Um deshalb das eigentlich Religiöse aus dem Knäuel primitiven Denkens
und Handelns herauszulösen, um das Naive, Spontane von dem Über-
nommenen, Gebundenen, Konventionellen zu scheiden, um das in den
Kulthandlungen, Kultworten und in den religiösen Vorstellungen sich
äußernde seelische Erleben zu enträtseln, müssen wir uns an die großen
religiösen Genien wenden, die uns ihre reichen und fein differenzierten,
III. Aufgabe und Methode der Religionswissenschaft 19
schöpferischen Erfahrungen in direkten und indirekten Selbstzeugnissen
eröffnet haben. Erst durch die Untersuchung ihres Frömmigkeitslebens
gelingt es uns, die naive Religion des primitiven Menschen, sein innerstes
religiöses Fühlen ganz zu verstehen. Die Psychologie nennt dieses
Verfahren die ,umformende Analyse', die darin besteht, daß die Keim-
form eines Erlebnisses aus der voll entwickelten, durchsichtigen Form
desselben Erlebnisses gedeutet wird. Solange die Religionswissenschaft
die primitive Religion aus dieser selbst, ohne den Vergleich mit dem
Frömmigkeitsleben der großen religiösen Persönlichkeiten verstehen
und erklären will, wird sie stets im Dunkeln tappen und außerstande
sein, Licht in die Fragen von der Entstehung der Religion und ihrem
Verhältnis zur Magie zu bringen.
Unter großen religiösen Persönlichkeiten sind jene
Persönlichkeiten zu verstehen, deren geistiges Wertleben im religiösen
Erleben aufgeht oder gipfelt und denen in der Geschichte der Religion
schöpferische Bedeutung zukommt: die Mystiker und Seher, die Pro-
pheten, Prediger und Missionare, die Reformatoren und Stifter. Obenan
stehen jene Persönlichkeiten, die, hervorgegangen aus der bildungs-
armen Unterschicht, im religiösen Gedanken völlig aufgehen, die keinerlei
Bedürfnis fühlen, ihre religiösen Ideen mit den wissenschaftlichen Er-
kenntnissen und den Kulturidealen ihrer Zeit zu versöhnen, die über
alles philosophische Begreifenwollen des Weltzusammenhanges schlecht-
hin erhaben sind: die alt- und neutestamentlichen Persönlichkeiten,
Franziskus von Assisi, Luther, John Bunyan, George Fox, die mystischen
Nonnen, die dichtenden Süfi. Wenn einzelne von ihnen philosophische
Begriffe verwerten, so geschieht es nur zur begrifflichen Klärung und
dialektischen Behauptung des religiösen Wahrheitsbesitzes. Die absolute
religiöse Selbstgewißheit steigert sich häufig zu einer schroffen Absage
gegen alles metaphysische Philosophieren: man denke an Pauli harte
Worte gegen die Weisen und Verständigen, an Luthers überlegenen
Spott über die , Närrin' und ,Hure' Vernunft, an Pascals Irrationalismus,
Kierkegaards Paradox, Buddhas Agnostizismus. Es ist tief bedeutsam,
daß die Frömmigkeit der größten religiösen Genien eine völlig naive,
unreflektierte, untheologische Laienfrömmigkeit war. Gerade der
Handwerker- und Bauernstand war an großen Frommen stets reich
gesegnet: Arnos der Rinderhirt, Jesus der Zimmermann, Paulus der
Zelttuchweber, Muhammed der Schafhirt, Käbir der Weber, Bunyan
der Kesselflicker, Fox der Gerbergeselle, Tersteegen der Seidenband-
wirker. Neben diesen ganz schlichten, von aller metaphysischen Pro-
blematik unberührten Frommen stehen die großen reflektierenden
religiösen Persönlichkeiten, die von einem starken philosophischen
Drang beseelt sind, ohne daß deshalb ihre Herzensfrömmigkeit an Tiefe,
Lebendigkeit und Innigkeit etwas einbüßt. Trotz des gewaltigen
Hanges zur metaphysischen Spekulation und zur logischen Durch-
dringung des religiösen Gedankengehaltes rückt niemals das Religiöse
von seiner Stellung als höchster Wert herab, so daß an seine Stelle
die reine, begriffliche Wahrheit als letztes Ideal träte. Es sind dies die
großen spekulativen Mystiker, die Männer der Upanischaden, ein
20 Einleitung
Rämänuja, Plotin, Eckhart, Böhme und die großen Theologen, ein
Origenes, Augustinus, Thomas v. Aquin, Calvin und Schleiermacher,
Newman und Schell, ein Algazäli im Islam. In ihren Predigten, beson-
ders aber in ihren Selbstbekenntnissen und Gebeten lebt naive Religion ;
das spekulative Moment, das ihre Lehrschriften beherrscht, tritt zurück.
Die Divergenz des persönlichen Frömmigkeitslebens von der theologischen
Doktrin ist unverkennbar, wenn wir den Hymnus des Thomas von
Aquin ,,Adoro te devote" den nüchternen Beweisen und Deduktionen
der Summa oder die Lieder der altlutherischen Theologen ihren pole-
mischen und scholastischen Schriften gegenüberstellen. Aufgabe der
Religionspsychologie ist es, bei den großen Theologen und Dogmatikern
immer wieder den Zugang zu finden zum Menschen, Helden, Dichter
und Kind in ihnen.
Die moderne Religionspsychologie hat zum Teil Selbstzeugnisse
von allen möglichen anonymen Durchschnittsmenschen und exaltierten
Psychopathen aufgehäuft und aus ihnen die Gesetzmäßigkeit des religiösen
Erlebens zu erfassen gesucht. Sie hat dabei ohne weiteres Methoden,
die zur Erforschung des generellen Psychischen äußerst fruchtbar sind,
auf die Untersuchung von Phänomenen angewandt, die der allgemeinen
Psychologie nicht mehr zugänglich sind. Alle seelischen Vorgänge aber,
aus denen die höchsten geistigen Kulturwerte geboren werden, das
religiöse Erleben ebenso wie das philosophische Denken und das künst-
lerische Schaffen, müssen erstlich und letztlich an den schöpferischen
Persönlichkeiten studiert werden. Darum kann, wie Söderblom mit
Recht gesagt hat, „die Religionspsychologie nicht vorwärtskommen,
ohne sich auf die großen Genien und die tiefen Geister im Reich der
Frömmigkeit zu konzentrieren" 55. Es ist ein unter Psychologen weit
verbreiteter Irrtum zu glauben, daß die durch detaillierte (schriftliche
oder mündliche) Fragen gewonnenen Selbstzeugnisse eine reichere,
ergiebigere und zuverlässigere Quelle seien als die geschichtlichen,
literarischen Dokumente der Frömmigkeit der großen Persönlichkeiten.
Freilich sind nicht alle Dokumente von gleichem psychologischen Wert ;
hier gilt es vor allem den Wert der mannigfachen literarischen Selbst-
und Fremdzeugnisse abzustufen. Sodann genügt niemals ein willkür-
liches Herausgreifen von bestimmten Persönlichkeiten, sondern es
müssen möglichst alle großen Genien herangezogen werden, da natur-
gemäß die literarischen Dokumente über einzelne Persönlichkeiten nie
ein religiöses Phänomen vollständig und nach allen Seiten beschreiben,
somit die von verschiedenen Geistern stammenden Zeugnisse sich
gegenseitig ergänzen müssen.
Auf naive, unreflektierte Religion stoßen wir auch im Leben solcher
Persönlichkeiten, deren produktives Schaffen einer anderen Sphäre von
Werten angehört als der religiösen. Gerade die großen Dichter
und Künstler (Dante und Goethe, Michelangelo und Dürer, Beet-
hoven und Haydn), aber auch geniale Staatsmänner (Gustav
Adolf, Oromwell, Bismarck), Entdecker (Columbus), Naturforscher
(Newton) und Strategen (Tilly, Ziethen, Hindenburg) offenbaren eine
unmittelbare Herzensfrömmigkeit, die ganz überraschende Parallelen
III. Aufgabe und Methode der Religionswissenschaft 21
zur Frömmigkeit der religiösen Genien bietet. Hier liegt ein
interessantes, von Theologen und Psychologen kaum beachtetes
Forschungsgebiet, obgleich die Zeugnisse nicht überreich fließen und
oft nur in kurzen, aber kernigen und charakteristischen Äußerungen
bestehen.
Die naive Religion, deren Merkmale ungebrochene Kraft, freie Spon-
taneität und Produktivität sind, ist der zentrale Gegenstand der Reli-
gionswissenschaft. Aber daneben ist die Untersuchung der sekun-
dären Phänomene unbedingt erforderlich: hinter dem urwüchsigen,
individuellen Erleben dürfen jene religiösen Gebilde nicht vergessen
werden, die teils auf der Gemeinschaft religiöser Individuen
(der Mythus, der Ritus, die Liturgie, das Gesetz), teils auf der Ver-
bindung der Religion mit dem philosophischen Denken (die
rationale Reformreligion) oder auf beiden zugleich (das kirchliche Dogma)
beruhen. Auch die Erstarrungs- und Zersetzungs-Phänomene müssen
Gegenstand religionswissenschaftlicher Untersuchung werden. Von
dem steifen Ritualwesen wie von den rationalen und moralistischen
Surrogaten philosophischer Reformreligion hebt sich die naive, reine
Religion in völliger Anschaulichkeit und Klarheit ab. Die Genesis der
festen, an eine religiöse Gemeinschaft gebundenen Kultformen aus dem
individuellen Erleben, ihre Wandlungen im Laufe der Geschichte und
ihre Bedeutung für die Frömmigkeit des Einzelnen, der Einfluß des
individuellen Frömmigkeitslebens wie der Volksreligion auf die Formu-
lierung der kirchlichen Dogmen — überall stecken hier psychologische
und soziologische Probleme. Nur wenige Menschen zeigen in ihrem
religiösen Leben schöpferische Selbständigkeit. Die Frömmigkeit der
meisten ist ein ,,second-hand religious life" (James), das sich am Er-
leben der religiösen Genien orientiert, ungleich häufiger aber an der
durch eine religiöse Gemeinschaft (Volk, Kirche, Sekte) getragenen
Tradition.- Die großen, produktiven Persönlichkeiten schaffen die klas-
sischen Muster religiöser Erfahrung, die dann für die vielen Durch-
schnittsformen zur Gestaltung ihres Frömmigkeitslebens wie zum
Ausdruck ihrer Erlebnisse dienen. Aber auch im Erleben der schöp-
ferischen Geister spielt die Nachfolge eine nicht zu unterschätzende
Rolle. Man denke daran, was Moses und die Propheten für Jesus,
Jesus für Franziskus, Paulus und Augustinus für Luther bedeuteten.
Hierin freilich liegt ein wichtiger Unterschied, daß die großen Frommen
ihr religiöses Leben nicht an sachlichen Autoritäten und Über-
lieferungen, sondern an den individuellen Erfahrungen überragender
Persönlichkeiten normieren ; denn alle Frömmigkeits-
traditionen spiegeln den Typ persönlichen Erlebens, der in ihnen
feste, normative Gestalt gewonnen hat, nur in getrübter Form wider.
Die Religionswissenschaft ist also genötigt, unter Heranziehung der
Soziologie den Phänomenen der religiösen Nachahmung und Nachfolge,
der Frömmigkeitstraditionen und der religiösen Gemeinschaftsbildung
ihre Aufmerksamkeit zu schenken.
Alle Psychologie gründet in der Selbstbeobachtung; auch
die Religionspsychologie kann ihrer nicht entraten, obgleich man auf
22 Einleitung
ihr allein keine Religionspsychologie aufbauen kann. Dazu ist das
religiöse Erleben eines modernen Menschen meist zu unproduktiv,
inhaltsarm, reflektiert und kraftlos. Aber wir müssen, soferne wir einer
unmittelbaren und kräftigen, in Meditation und Gebet lebendigen
Frömmigkeit ermangeln, wenigstens die Keime und Ansätze zu echtem
religiösen Erleben und die Erinnerungen an völlig naive Frömmigkeits-
äußerungen, besonders Kindheits- und Jugenderinnerungen, benützen,
um mittels des realen oder hypothetischen Nachfühlens zu einem Ver-
ständnis naiver Frömmigkeit zu gelangen. Die Selbstbeobachtung ist
also eine unentbehrliche Voraussetzung aller Religionspsychologie.
Wer niemals selbst einen religiösen Impuls gespürt hat, wird nie in die
an Wundern und Rätseln so reiche Welt der Religion eindringen. Was
der dänische Bischof M o n r a d vom Gebet sagte, gilt von der Religion
überhaupt: „Das Gebet ist eine Welt für sich, nur denen bekannt,
die in ihr leben" 56.
Zum Studium der Religion als eines individuellen wie sozialen Phä-
nomens kommt in erster Linie das reiche geschichtliche Material in
Betracht, das Fragebogen verfahren kann nur als Ergänzung des
letzteren dienen ; nur dort wo dieses erhebliche Lücken und Vieldeutig-
keiten aufweist, ist die Umfrage am Platz. Die systematische Erhebung
mittels Fragebogen ist vor allem nützlich zur Gewinnung von voll-
ständigem und sicherem Material über das religiöse Leben des Wilden,
des Kindes und des Bauern; in diesem Fall regt der Fragebogen die
Fremd beobachtung an. Die moderne Religionspsychologie ver-
wendet jedoch den Fragebogen fast ausschließlich zur Gewinnung von
Selbst Zeugnissen über das individuelle religiöse Erleben moderner
Menschen. Für die Kenntnis der Gegenwartsreligion liefern solche
Fragebogenergebnisse neben den spontan erfolgenden literarischen
Selbstzeugnissen wertvollen Stoff. Aber es ist verkehrt, auf diesem
Wege eine Psychologie des religiösen Erlebens überhaupt erreichen zu
wollen. Die wesentlichen Züge des religiösen Phänomens sind nur am
naiven Erleben ersichtlich; die Religion der Gegenwartsmenschen ist
jedoch allzusehr von heterogenen Bestandteilen durchsetzt, von philo-
sophischer Weltanschauung und ästhetischem Genießen, als daß man
an ihr reine, unverfälschte Frömmigkeit studieren könnte.
2. Die Gliederung der religionswissenschaftlichen Untersuchung.
Den grundlegenden Teil der Religionswissenschaft bildet die rein
empirische, geschichtliche und psychologische
Untersuchung der Religion als einer der großen menschlichen Kultur-
schöpfungen. Diese Untersuchung darf nicht belastet sein von Wert-
urteilen oder metaphysischen Deutungen. Zwar ist es eine psycho-
logische Unmöglichkeit, das religiöse Leben zu studieren, ohne irgendwie
zu ihm Stellung zu nehmen. Spinozas Grundsatz: „Ich will die Hand-
lungen und Neigungen der Menschen analysieren, als wenn es sich um
Linien, Flächen und Körper handelte", läßt sich bei der Untersuchung
der Religion nicht durchführen. Denn diese ist eine werthaltige, kul-
turelle Erscheinung. Gerade das Studium der verschiedenen Typen
III. Aufgabe und Methode der Religionswissenschaft 3
des religiösen Lebens reizt auf Schritt und Tritt zu einer wertenden
Stellungnahme. Der Religionspsychologe kann nicht bloßer Seelen-
geometer und Seelenanatom sein. Die Forderung streng empirischer
Einstellung darf keinen Verzicht, sondern nur eine Zurückschiebung
der Stellungnahme zur Religion hinter die empirische Erforschung be-
deuten. Es gilt nur während der historischen und psychologischen
Untersuchung die sich aufdrängenden Werturteile zurückzustellen, da
sie die Reinheit der Einfühlung in fremdes Erleben gefährden.
Die grundlegende Aufgabe der empirischen Untersuchung der Religion
ist die Typenlehre d.h. die Klassifikation, Deskription und Analyse
der verschiedenen Formen der Religion bzw. einer Erscheinung der
Religion. Die Typisierung darf jedoch nicht, wie es die Religions-
philosophie (Hegel, Caird, Pfleiderer, Eduard v. Hartmann, Auguste
Sabatier) tut, nach Wertgesichtspunkten erfolgen, sondern ausschließlich
nach geschichtlichen und psychologischen Merkmalen. Ohne sorg-
fältige, ins Detail dringende historische Untersuchung ist die Analyse
der einzelnen Typen unmöglich. Die Typenlehre fällt mit
der vergleichenden Religionsgeschichte zusam-
men, soweit diese alle Erscheinungsformen der Religion, nicht nur
die niederen, ins Auge faßt (Max Müller, Tiele, Söderblom, Edvard
Lehmann). Die Aufeinanderfolge dieser Typen darf jedoch nicht als
einheitliche, historische Entwicklungslinie betrachtet werden; es ist
nicht so, als ob immer der folgende Typ genetisch aus dem voran-
gehenden hervorwüchse. Nur verschiedene dieser Typen stehen mit-
einander in einem historisch-genetischen Verhältnis. So entwickelt
sich die antike Kultur- und Nationalreligion aus der primitiven, die
Mystik wächst auf dem Boden einer hochentwickelten Kulturreligion,
während der Mutterschoß der prophetischen Religion die primitive ist.
Diese Typisierung darf sich auch bei der monographischen Unter-
suchung eines bestimmten religiösen Phänomens (z. B. des Glaubens,
der Gottes Vorstellung, des Sünden- und Gnadenbewußtseins, der Jenseits-
hoffnung, des Opfers und des Gebets) nicht ausschließlich auf die Unter-
suchung dieses einen Phänomens stützen, sondern es muß die Kor-
relation zu den anderen Äußerungen der Religion ins Auge genommen
werden. Diese Typenlehre macht erst eine fruchtbare Untersuchung
der Religion bzw. einer religiösen Erscheinungsform innerhalb eines
bestimmten Kulturkreises oder einer religiösen Gemeinschaft möglich.
Die vergleichende psychologische Untersuchung ist im Grunde die
Voraussetzung für die auf ein individuelles Gebilde abzielende historische
Einzelforschung. Es wäre verfehlt und würde zu unzulänglichen
Ergebnissen führen, wollte man ohne vorausgehende allgemeine Formen-
lehre, lediglich auf Grund des vorliegenden philologischen Materials,
eine Sonderdarstellung des Gebets innerhalb der babylonischen, indischen
oder griechischen Religion oder innerhalb des mittelalterlichen Christen-
tums versuchen. Erst durch die vergleichende Untersuchung fällt
Licht auf die vielfach fragmentarischen und dunklen Dokumente gerade
der antiken Religionen. Natürlich wird durch philologisch-historische
Einzelarbeiten die psychologische Darstellung im Detail bereichert,
24 Einleitung
ergänzt und zum Teil modifiziert. Zwischen der generellen, kompara-
tiven Forschung, die auf das religiöse Phänomen als solches abzielt ; und
der individuellen historischen Forschung, die das religiöse Phänomen
in einer begrenzten Ausprägung zu erfassen sucht, muß ein wechsel-
seitiger Austausch stattfinden, der nach beiden Seiten hin frucht-
bringend wirkt.
An dem echten, reinen, naiven Erleben, das durch die typisierende
Darstellung aus der Fülle sekundärer Bildungen unzweideutig hervor-
tritt, werden die Wesenszüge des religiösen Phänomens sichtbar. Die
Phänomenologie der Religion (das Wort im Sinne der
Husserl'schen Philosophie gebraucht) sucht die religiöse ,Urmeinung'
zu klären und so das Wesen (,Eidos') alles Religiösen zu erfassen.
Als das Wesen der Religion enthüllt sich der phänomenologischen Unter-
suchung der Glaube an die Präsenz einer transzendenten Wirklichkeit
und an eine tatsächliche Berührung und Verbindung des Menschen mit
dieser höheren Wirklichkeit.
Die Religionspsychologie im engeren Sinne (generelle,
kausale Psychologie) sucht die das individuelle religiöse Erleben be-
herrschende Gesetzmäßigkeit zu fixieren, Motiv, Verlauf und Wirkung
eines religiösen Erlebnisses herauszustellen. Das Problem eines die
seelischen Abläufe bestimmenden transzendenten, übernatürlichen
Einflusses ist aus diesem Zusammenhang auszuscheiden. Diese kausal-
psychologische Untersuchung der Religion bezieht sich auf alle indi-
viduellen seelischen Vorgänge im religiösen Erleben, auf die produktiven
ebenso wie auf die reproduktiven, auf die naiven, spontanen Äußerungen
der Frömmigkeit ebenso wie auf die bewußten, reflektierten. Bei der
Untersuchung der produktiven Vorgänge muß die Religionspsychologie
in enger Fühlung mit der Psychologie des kulturschöpferischen Geistes-
lebens überhaupt bleiben: des philosophisch-metaphischen Denkens
und vor allem des künstlerischen Schaffens. Das religiöse Erleben
zeigt sich von derselben Gesetzmäßigkeit beherrscht, die das gesamte
menschliche Geistesleben trägt. Nirgends tritt dieser Zusammenhang
so deutlich zutage als in den produktiven Erlebnissen der religiösen
und der künstlerischen Inspiration.
Die Soziologie der Religion erforscht das religiöse Phänomen
nach der sozialen Seite. Sie sucht die verschiedenen Formen des reli-
giösen Gemeinschaftslebens, seine Motive und seine Bedeutung für
das individuelle Frömmigkeitsleben herauszustellen.
Mit der geschichtlichen, phänomenologischen, psychologischen und
soziologischen Untersuchung des Religiösen erschöpft sich die Religions-
wissenschaft nicht; vielmehr muß sich auf der empirischen Religions-
forschung eine Religionsphilosophie57 aufbauen, die jedoch
nicht in metaphysischen Spekulationen über Gott und Unsterblichkeit
besteht, sondern in einer philosophischen Untersuchung der Religion
als einer menschlichen Bewußtseinsschöpfung. Die Erkenntnis-
theorie der Religion holt aus der bunten Tatsächlichkeit seelischen
Erlebens das im Wesen der menschlichen Vernunft gründende apriorische
Gesetz der religiösen Ideenbildung heraus. Die Wertphilosophie
IV. Die Quellen für eine Untersuchung des Gebets 25
der Religion staffelt die einzelnen historischen Religionsbildungen wie
die großen Religionstypen nach ihrem Werte und fragt nach dem Zu-
kunftsideal der Religion, das die in den verschiedenen Religionen und
religiösen Typen steckenden unvergänglichen Werte in sich fassen soll.
Der Wertmaßstab darf nur in sekundärer Weise anderen Wertsphären
entnommen sein; so kommt der Religion ein biologischer, ethischer,
ästhetischer, rationaler und allgemein kultureller Wert zu. Primär muß
jedoch der für die Wertung ausschlaggebende Gesichtspunkt aus dem
religiösen Erleben selbst, und zwar dem naiven, gewonnen werden.
Die Religionswissenschaft wird gekrönt von einer Metaphysik
der Religion , welche nach der Realität des von der Phänomeno-
logie herausgestellten Glaubens an ein Transzendentes und Absolutes
und an die Verbindung des Menschen mit ihm fragt. Es ist dies das
wichtigste und brennendste Problem der Religionsphilosophie, freilich
auch das schwierigste, das in eine Auseinandersetzung mit den mannig-
fachen, metaphysischen und antimetaphysischen, philosophischen Welt-
auffassungen hineinführt. Ist der religiöse Glaube an Gott Illusion
oder Realität? Die Frage nach der Existenz und dem Wesen Gottes
ist nur die Voraussetzung zur Bearbeitung des zentralen Problems :
Ist die Religion, die ja nicht eine theoretische Überzeugung von Gott,
sondern ein wechselseitiges Verkehrsverhältnis von Mensch und Gott
bedeutet (Offenbarung, Selbstmitteilung Gottes an den Menschen und
Umgang, Gemeinschaft des Menschen mit Gott in Gebet, Kultus und
Sittlichkeit), Wirklichkeit oder psychologische Selbsttäuschung? Ist
die Religion vom Himmel oder von der Erde, Gottes Schöpfung oder
des Menschen Erfindung ? Läßt sich das religiöse Erleben restlos aus
psychologischen Voraussetzungen begreifen, wie Feuerbach, Wundt
und Leuba meinen, oder ist das entscheidende Agens das Wirken des
Gottesgeistes in der Seele des Menschen, wie die großen Genien im
Reich der Frömmigkeit übereinstimmend bekennen ? Und stellt der
in den psychischen Abläufen wirksame übernatürliche Einfluß eine
Sonderkausalität dar, die auf wunderbare Weise neben und über den
natürlichen Vorgängen am Werke ist, wie die scholastische Gnadenlehre
glaubte, oder ist der transzendente Faktor, das Wunder, in der gesetz-
mäßig ablaufenden seelischen Erfahrung und geschichtlichen Ent-
wicklung selbst, nicht hinter und über ihr zu suchen, wie ein evolutio-
nistischer und deterministischer Panentheismus annimmt ? Oder liegt
das Übernatürliche in dem Schöpferischen, Neuen des religiösen
Erlebens, das aus unergründlichen Tiefen aufsteigt und nur aus einem
umfassenden, lebendigen metaphysischen Zusammenhang verständlich
wird ? Für alle diese Fragen metaphysischer wie wertphilosophischer
Natur versagen die streng wissenschaftlichen Methoden; die Lösungs-
versuche werden immer mehr oder weniger subjektiven Charakter
tragen und können nicht Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben.
Gleichwohl müssen diese Probleme immer wieder von neuem gestellt
und angegriffen werden; auch der Historiker und Psychologe, dessen
Interesse vorwiegend auf das Verständnis konkreter Wirklichkeiten
gerichtet ist, wird einem exklusiven religionswissenschaftlichen Empiris-
2 6 Einleitung
mus nie das Wort reden. Denn es handelt sich in diesen religions-
philosophischen Fragen um nichts Geringeres als um das philosophische
Recht der Religion, um ihren Sinn und Wert im Ganzen unseres Lebens.
Die vorliegende Studie beschränkt sich auf die Klassifikation, De-
skription und Analyse der einzelnen Typen des Gebets und schließt
mit der Phänomenologie d. h. der Wesensbestimmung des Gebets ab.
Die kausalpsychologische Untersuchung des Gebets d. h. die Erforschung
der die Gebetserlebnisse (Motiv, Verlauf und Wirkung des Gebets)
beherrschenden allgemeinen Gesetzmäßigkeit wurde aus äußeren und
inneren Gründen ausgeschieden und einer selbständigen Behandlung
vorbehalten. Es handelt sich hierbei um einen neuen Problemkreis, der
eine andere methodologische Einstellung fordert. Auch bestünde die
Gefahr, daß durch die Anfügung einer gesetzespsychologischen Unter-
suchung der lebendige Eindruck von der irrationalen Eigenart des
Gebets, den die Typik und Phänomenologie vermittelt, verwischt
würde. Auch die gesamte religionsphilosophische Problemgruppe ge-
langt hier nicht zur Besprechung. Ihre Behandlung würde eine stete
Anknüpfung und Auseinandersetzung mit der allgemeinen Philosophie
(Erkenntnistheorie, Ethik und Metaphysik) verlangen. Es war jedoch
nötig, einen methodologischen Aufriß der gesamten Religionswissen-
schaft zu geben, um deutlich hervortreten zu lassen, wie sich die vor-
liegende Untersuchung des Gebets in den Gesamtplan der Religions-
wissenschaft eingliedert.
IV. Die QuellenfüreineUntersuchungdes Gebets.
Das Gebet ist jene Äußerung religiösen Erlebens, „wo sich das Leben
und Weben echter Frömmigkeit am deutlichsten offenbart und zugleich
am scheuesten verhüllt" (Deißmann) 58. Echtes, persönliches Beten
verbirgt sich in zarter Keuschheit vor profanen Augen und Ohren.
Schon primitive Menschen sind äußerst spröde und zurückhaltend in
Mitteilungen über ihr religiöses Leben. Manche Forscher und Missionare
weilten jahrelang unter Naturvölkern, bis es ihnen gelang, etwas über
ihr religiöses Denken und Tun zu erfahren oder gar ihre Gebete zu
belauschen 59. Was vom primitiven Menschen gilt, gilt noch mehr von
den individuellen Frommen. Das persönliche Gebetsleben der religiösen
Genien spielt sich in der Verborgenheit ab. ,,Das Religiöse", sagt
Kierkegaard, ,,ist etwas so Heimliches, daß man wie ein junges
Mädchen erröten könnte, wenn uns einer beim Beten überraschte." 60
Mövog TiQÖg [lövov (als Einsamer vor dem Einsamen) steht nach einem
Worte Plotins 61 der Beter vor seinem Gott. Wenn darum die großen
Frommen beten wollen , fliehen sie in die Einsamkeit, ins stille Kämmerlein
oder in die freie Natur. Was sie in solchen einsamen Stunden betend
vor ihrem Gott ausgeschüttet haben, hat fast nie eines Menschen Ohr
belauscht und eines Menschen Griffel festgehalten. Wohl haben sie
im Kreise ihrer Jüngergemeinde von den Geheimnissen ihres Gebets-
lebens geredet, haben ihre Schüler gelehrt, wie und was man beten
solle; aber fast nie hat in Gegenwart anderer ihr Mund sich geöffnet, um
IV. Die Quellen für eine Untersuchung des Gebets 27
traute Zwiesprache zu halten mit ihrem Gott. Paulus mahnt in seinen
Briefen oft zum Gebet, bisweilen enthüllt er etwas von der Art seines
Betens und von seinen geheimnisvollen und wunderbaren Gebets-
erfahrungen — aber er ,,ist zu keusch gewesen, selbst in vertrauten
Briefen seinen Gemeinden schriftlich etwas im eigentlichen Sinne vor-
zubeten" (Weinel) 62. Wohl kennen wir Tausende und Abertausende
von Gebeten, die in Stein gemeißelt oder in Lettern gedruckt uns über-
liefert sind, Gebete aus uralten Tempelbibliotheken und Gebete in
modernen Erb uungsbüchern, wohl hören wir von den Altären und
Kanzeln feierliche Gebetsworte, das liturgische Erbgut der christlichen
Kirche. Aber das alles sind nicht echte, spontane Gebete, wie sie aus
der tiefsten Not und der innigsten Sehnsucht eines Menschenherzens
hervorbrechen; denn diese aus dem geschieh tslosen Augenblick ge-
borenen Gebete reden eine andere Sprache; ja bisweilen reden sie über-
haupt nicht, denn sie sind gar nur ein schweigendes Anbeten und Schauen
oder ein stummes Seufzen und Sehnen. Jene formelhaften und lite-
rarischen Gebete sind nur der schwache Widerschein des ursprünglichen,
reinen Herzensgebetes. Die meisten Quellen über das Gebet sind also
nur indirekte mittelbare Zeugnisse : Andeutungen über Gebetserlebnisse
und Anleitungen zum Gebet einerseits, Gebetsformeln und Gebets-
dichtungen andererseits. Es ist darum kein Leichtes, ein genaues Bild
über das wirkliche Beten zu erhalten. Und doch glückt uns das, wenn
wir die mannigfachen Gebetsdokumente sorgfältig zusammenlesen und
nach ihrem psychologischen Werte abstufen und wenn wir sie zudem
ergänzen durch die individuellen und generellen Äußerungen über
das Beten, die wir aus dem Munde großer Beter besitzen.
1. Gebete.
Die aus gewaltigen seelischen Erschütterungen geborenen Gebete sind
beim primitiven Menschen stets, bei den großen Frommen sehr häufig
laute Rufe zu Gott. Bisweilen gelingt es — zufällig oder absichtlich —
anderen Menschen, den Beter, der sich allein mit seinem Gott glaubt,
zu belauschen und seine Gebetsworte nachher schriftlich zu fixieren.
Oder die Not und der Jubel des Herzens sind so groß, daß der Mensch
vor anderen, ja sogar vor breiter Öffentlichkeit unwillkürlich in einen
Gebetsruf ausbricht. Der Eindruck solcher leidenschaftlichen und innigen
Gebete auf die Hörer ist so tief und nachhaltig, die Worte selbst sind
so knapp und prägnant formuliert, daß sie sich dem Gedächtnis unaus-
löschlich einprägen und so eine genaue, unveränderte Wiedergabe
ermöglichen. Missionare und Ethnographen haben nicht selten Wilde
bei spontanen Gebeten heimlich oder offen beobachtet und die Worte
nachträglich aufgezeichnet 63. Auch von den größten Betern sind
solche laute Gebetsrufe überliefert. Von Jesus besitzen wir vier Gebete,
die gerade den Höhepunkten seines Erlebens entstammen; sie wurden
von seinen Jüngern gehört und von Mund zu Mund fortgepflanzt, bis
sie schließlich in den Evangelien niedergeschrieben wurden. (Trotzdem
sie erst nach Jahren aufgezeichnet wurden, ist ihre Echtheit doch
voll verbürgt. Jesus Gebetsanrede in Gethsemanc ,,Abba" und sein
28 Einleitung
Angstschrei am Kreuze „Eloi" wurde von der Urgemein de in so skla-
vischer Treue überliefert, daß sie selbst der griechische Evangelien-
übersetzer im semitischen Wortlaut wiedergibt.) Ein Reicher von
Assisi lud den heiligen Franz ein, in seinem Hause zu nächtigen, in
der Absicht, ihn bei seinem Beten zu behorchen; und er hörte, wie er
die ganze Nacht hindurch die inbrünstigen Worte: „Mein Gott und
mein alles!" wiederholte. Durch diese Gebetsinnigkeit wurde er so tief
ergriffen, daß er sogleich ein Jünger des Heiligen wurde 64. Auch der
Lieblings jünger des Armen von Assisi, Bruder Leo, konnte ihn einmal
in der nächtlichen Waldeinsamkeit des Alvernergebirges beim Beten
belauschen 65. Marabotto, der Beichtvater der heiligen Katharina von
Genua, versteckte sich einmal in deren Kammer; sie betrat dieselbe,
verschloß sie, wie gewohnt, und begann dann mit kläglicher Stimme
und unter Tränen zu beten. Marabotto gibt dieses Gebet in der Bio-
graphie der Heiligen wieder 66. Katharina von Siena wurde oft plötzlich
von einem ekstatischen Zustand überfallen und sprach dann mit lauter
Stimme glühende Gebete, welche die Anwesenden zu Tränen rührten.
Die Gebete wurden von diesen nachträglich aufgezeichnet 67. Veit
Dietrich schreibt an Melanchthon von Luther: „Es hat mir einmal
geglückt, daß ich ihn von Herzen mit heller Stimme beten hörte."
Dann schildert er Luthers Gebetsweise und den gewaltigen Eindruck,
den er vom Gebet dieses Mannes empfing 68. Oliver Cromwell sprach
zwei Tage vor seinem Tode mit lauter Stimme ein inniges Gebet, das
von seinen Angehörigen vernommen und dessen ungefährer Wortlaut
von seinem Kammerdiener Harvey behalten wurde 69. Diese dem
Zufall zu verdankenden Fremdzeugnisse sind die wertvollsten Selbst-
zeugnisse, weil sie „das formlos Tatsächliche in momentaner Gegenwart
festhalten" 70; sie sind freilich auch die spärlichsten.
Daneben stehen solche spontane Gebete, die vom Beter selbst
aufgezeichnet wurden. Die schriftlich fixierten Worte decken
sich aber nicht vollständig mit den im Gebet gesprochenen. Die Auf-
zeichnung bringt bereits eine Stilisierung der echten Gebetsworte mit
sich; was im wirklichen Gebet wortloses Fühlen, Sehnen und Vorstellen
ist, wird in Worte gekleidet, das stimmungsgemäß Erlebte in die allen
verständliche Sprache übersetzt, alles Verworrene und Unausgeglichene
harmonisiert, die sprunghaft sich aneinander reihenden Gedanken-
fragmente verknüpft. Es liegt etwas Wahres in dem übertriebenen
Diktum Bunyans: „Ein Mensch, der wirklich betet, wird nachher nie
imstande sein, mit dem Munde oder mit der Feder die unaussprech-
lichen Wünsche, Gefühle, Regungen und Begierden auszudrücken,
die im Gebet zu Gott aufstiegen 71." Wo ein Beter sein innig-
stes Beten in Worte hüllt und niederschreibt, da fühlt er nur zu tief,
daß die geschriebenen Gebetsworte nur ein matter Widerschein des
flammenden Herzensgebetes sind. Mechthild von Magdeburg fügte
an den Schluß ihres feurigsten Liebesgebetes die Bemerkung: „Das
sind die Worte des Sanges der Minnestimme; aber der süße Herzens-
klang mußte wegbleiben, denn den vermag keine irdische Hand zu
schreiben." 72
IV. Die Quellen für eine Untersuchung des Gebets 29
Manche Gebete sind unmittelbar nach dem gesprochenen
Gebet, noch im Ausklang und Nachhall der Gebetsstimmung nieder-
geschrieben. So ist das Preisgebet, das Franz von Assisi nach der Stig-
matisierung sprach, von ihm selbst in einer an Bruder Leo bestimmten
Karte unmittelbar darnach aufgezeichnet worden 73. Hierher gehören
auch die kurzen Gebetsrufe im Memorial Pascals, das er in einem Augen-
blick höchster enthusiastischer Erregung flüchtig niederschrieb. Un-
gleich häufiger ist die gedächtnismäßige Aufzeichnung
echter Gebete in Autobiographien und Selbstbekenntnissen; der Wort-
laut solcher Gebete dürfte nur dann, wenn es sich um ganz kurze Rufe
handelt, völlig unverändert erhalten sein. Solche Gebete sind in den
Bekenntnissen und Verkündigungen alttestamentlicher Propheten (Arnos,
Jeremia) 74 und in den Briefen und Selbstbiographien religiöser Men-
schen der neueren Zeit (Ignatius v. Loyola, George Fox, John Bunyan,
Johann Heinrich Wichern) enthalten.
In religiösen Schriften findet sich noch eine andere Art selbstaufge-
zeichneter Gebete, deren Quellen wert gleichfalls ein hoher ist; es sind
dies jene Gebete, die in einem Zustande der Inspiration niedergeschrieben
werden, die dem frommen Schriftsteller, wenn er bei der Erinnerung
an Gottes Gnade oder an die eigene Sündigkeit und Ohnmacht in Gebets-
stimmung gerät, spontan in die Feder fließen. Solche Gebete sind
literarische Gebete, aber gleichwohl echte Gebete, nicht absichtlich
komponierte Formulare, wenn sie auch nicht mit redendem Munde,
sondern mit schreibendem Griffel gebetet worden sind. Bei Jeremia geht
die Erzählung von den bewegten Schicksalen seines Prophetenberufes
oft unvermittelt in die spontane Anrede an Jahwe über 75. Die bangen
Zweifel und Fragen, die den Urheber des Hiobbuches martern, entladen
sich oft in leidenschaftlichen Gebetsrufen zu Gott 76. Bischof Clemens
von Rom gleitet in seinem ersten Briefe an die Korinther (c. 59 f.)
aus der ernsten Paränese in die Gebetsanrede an Gott hinüber — mitten
im Satz erfolgt der Übergang — und richtet ein feierliches Dank- und
Bittgebet an Gott, wie er es ähnlich in der gottesdienstlichen Ver-
sammlung seiner Gemeinde zu sprechen pflegte. Augustinus schickt den
tiefsinnigen philosophischen Erörterungen seiner Soliloquien (I, 1) ein
enthusiastisches Gebet zu Gott, der Quelle aller Wahrheit, Güte und
Schönheit, voraus. Symeon, der Neue Theologe, eröffnet seine
wundervollen s'Qojrsg tibv O-eIcjv vpvcov mit einem kraftvollen Gebet
zum heiligen Geist 77. Luthers Vorrede zu seinem Genesis-Kommentar
klingt in einem Gebet um das baldige Kommen des Gottesreiches aus.
Tersteegen leitet seine Brief Sammlung mit einem Gebet ein, in dem er
seine restlose Willenshingabe an Gott bekundet. Der Verfasser der
neutestamentlichen Apokalypse schließt seine flammenden Zukunfts-
bilder mit einem inbrünstigen Seufzer an den erhöhten Herrn (21 20;
vgl. 1. Kor. 16 23). Bonaventura endet sein Breviloquium mit einem
sehnsüchtigen Gebet um Vollendung der Gottesliebe (7, 7), Franz von
Assisi boschließt seinen Brief an das Generalkapitel mit einem Gebet 78.
Selbstaufgezeichnete Gebete enthalten vor allem die religiösen Selbst-
bikenntnisse, die Konfessionen Augustins und die Autobiographien der
30 Einleitung
heiligen Gertrud von Helftä, Theresa di Jesu und Madame Guyon.
Sie sind im Grunde nur große Gebete; denn sie sind nicht an Menschen,
sondern an Gott gerichtet. Der augustinische Ausdruck confessio be-
deutet nicht so sehr eine Selbstenthüllung vor den Menschen als vielmehr
ein an Gott gerichtetes Lob-, Dank- und Bußgebet: ,,et nunc, Domine,
confiteor tibi in litteris" (Conf. IX 13). Das Motiv, das Augustinus wie
Theresa zur Abfassung ihrer Selbstbekenntnisse drängte, war zweifellos
ein echtes Gebetsmotiv: das Streben nach Aussprache, Selbstoffen-
barung vor dem Allerhöchsten. Die zahllosen reinen Gebete, in welche
immer wieder die im Gebetsstil verfaßte Erzählung und Selbstanalyse
hinübergleitet, geben uns eine anschauliche Vorstellung von dem wirk-
lichen Gebetsleben, das sie als Einsame mit Gott lebten. Noch stärker
tritt der literarisch-dichterische Charakter in jenen Gebeten hervor,
die in den mystischen Dialogen, vor allem in den Offenbarungen der
Mechthild von Magdeburg und in der , Nachfolge Christi' des Thomas
von Kempen enthalten sind. Der mystische Gebetsverkehr mit Gott
wird hier als Wechselgespräch der Seele mit Christus dargestellt. Aber
durch diese poetische Hülle hindurch schauen wir das leidenschaftliche
und sehnsüchtige Beten dieser liebessiechen Nonne und dieses gott-
innigen Mönchs und die wunderbaren Erfahrungen, die ihnen im Gebet
aufgingen. Typische Beispiele literarischer Gebete, welche aber doch
getreu das persönliche Herzensgebet widerspiegeln, sind das Pater-
noster' der Margaretha Ebner und die ,Exercitia spiritualia' der Gertrud
von Helftä; auf höchst originelle Weise hat die letztgenannte Heilige
in Anlehnung an das kirchliche Ritual (Taufritual, Ritual der klöster-
lichen Einkleidung, der Profeßablegung und Profeßerneuerung) und
an die kirchlichen Tagzeiten ein mystisches Idealritual für Nonnen
gedichtet und in ihm ihr persönlichstes Gebetsleben literarisch aus-
gehaucht. In diesen Zusammenhang gehört auch das berühmte Pascal-
sche Gebet um rechten Gebrauch der Leiden 79, das zweifellos eine
literarische Schöpfung ist, aber gleichwohl zu den echten Gebeten und
nicht zu den Gebetskompositionen gezählt werden muß; denn es ent-
springt einem wirklichen Gebetsmotiv: durch die Abfassung dieses
Gebets sucht er sich innerlich mit seinen schweren körperlichen Leiden
auseinanderzusetzen. Es ist kein Zweifel, daß in diesem literarischen
Gebet seine wirklichen Gebete in eine abgerundete und ästhetische Form
gebracht sind. Aber schon innerhalb der antiken Welt ist eine solche
Selbstaufzeichnung von Gebeten etwas häufiges: es sind jene Gelübde,
Dank- und Fluchgebete, die der Beter an die Tempelwände geritzt oder
auf Papyrus, Erz oder Blei niedergelegt hat und die trotz aller Schemat
uns in die konkreten Wünsche und Anliegen des antiken Mensche
blicken lassen.
Zu den von anderen gehörten und den selbst niedergeschriebenen Ge-
beten treten solche, die von dem Beter spontan oder auf ausdrückliche
Befragung hin mitgeteilt und dann von fremder Hand aufgezeichnet
werden. Auf diesem Wege ist die Mehrzahl der Gebete gewonnen
worden, die wir von primitiven Stämmen besitzen. Bisweilen ließen
auch Forscher, die dem Gebet eines Wilden zugehört hatten, hernach
IV. Die Quellen für eine Untersuchung des Gebets 31
dieses von dem Beter wiederholen und diktieren 80. (Bei bloß mitgeteilten
Gebeten primitiver Stammesangehöriger besteht stets die Möglichkeit,
daß es sich um formelhafte Gebete handelt.) Auf dieselbe Weise sind
auch von großen religiösen Persönlichkeiten Gebete überliefert. So
beruhen die Gebete, die Elsbeth Stagelin ihrer Seusebiographie berichtet,
auf den persönlichen Mitteilungen, die Seuse seiner geistlichen Tochter
gemacht hat. Von Wert sind schließlich, bei dem Mangel genauer An-
gaben, auch jene Dokumente, in denen der Inhalt eines Gebets nur
referiert oder angedeutet ist. Hierher gehört Jesu Gebet für
Petrus, Pauli Gebet um Befreiung vom Fleischesstachel, seine Für-
bitten für die jungen Christengemeinden 81 sowie die summarischen
Inhaltsangaben der liturgischen Gebete, wie sie sich bei altchristlichen
Schriftstellern finden.
Neben den „gebeteten" Gebeten steht eine zweite größere Gruppe
von Gebetsquellen : die verfaßten, komponierten, gedichteten
Gebete, die fast ausnahmslos literarischer Natur sind. Obenan
stehen die teils individuellen, häufiger generellen Gebetsbei-
spiele, die den Zweck haben, anderen eine seelsorgerliche Anleitung
zum Gebet zu geben. Die wichtigste solche Gebetsan Weisung ist die-
jenige, die Jesus nach dem Brauch jüdischer Rabbinen seinen Jüngern
gab: das Vaterunser. Es ist keineswegs bestimmt als „Grundlage einer
unpersönlichen Liturgie für einen neuen Kultus; vielmehr hat Jesus
als Beter die Seinen durch dieses Paradigma beten gelehrt" (Deißmann)82.
Wir hören zwar in den Vaterunserbitten nicht ihn selbst, wie er Zwie-
sprache hält mit seinem Vater; und doch sind sie ein unschätzbares
Zeugnis von seinem Beten. Denn Jesus hat hier „sein Bestes gegeben,
die reichen Früchte seiner eigenen Gebetserfahrung" 82. Auch Muham-
med gab seinen Anhängern Gebetsbeispiele. So kam einst Abu Bekr
zum Gesandten Gottes und sprach: „Lehre mich eine du'a (ein freies
Gebet), das ich bei der salät (dem täglichen Pflichtgebet) beten soll."
Da lehrte ihn der Prophet ein Gebet um Sündenvergebung 83. Auch
von Luther besitzen wir solche Gebetsparadigmen für individuelle,
konkrete wie für generelle Fälle. So wenn er in einem Trostbrief „an
die Christen aus Oschatz, die von Herzog Georgen um des Evangelii
willen verjagt worden waren" sie zu demütigem Beten anweist 84 oder
wenn er in seinen Schriften ganz schlicht und spontan angibt, wie ein
frommer Regent, ein Hausvater, ein Ackersmann, eine Magd oder
junge Leute, die sich in den Ehestand begeben wollen 85, zu Gott in
ihren Anliegen beten sollen. Auch diese Gebete sind, obgleich sie , ver-
faßt' sind, von seinen echten .gebeteten' Gebeten in keiner Weise unter-
schieden; sie beruhen auf der Fähigkeit, fremde Bedürfnisse, Anliegen
und Nöte wie die eigenen zu erleben und aus diesem Sicheinfühlen
heraus mit derselben Natürlichkeit und Herzlichkeit, die das eigene
Beten zeigt, eine hypothetische Bitte zu formulieren.
Der Charakter der absichtlichen Komposition tritt viel stärker als in
den Gebetsparadigmen in den zu rituellen und liturgischen oder
privaterbaulichen Zwecken geschaffenen Ge-
betsformularen hervor. Hierher gehören die von den Priestern
32 Einleitung
der antiken Religionen verfaßten Opfer- und Ritualgebete, die über-
wiegende Mehrheit der in der jüdischen Synagoge wie in den christ-
lichen Kirchen gebrauchten liturgischen Gebete und die zahllosen
Gebete, die in den Gebet- und Erbauungsbüchern der christlichen Kon-
fessionen zu lesen sind. Der Quellenwert dieser Gebetsformulare für
die Kenntnis des individuellen Gebetslebens ist ein sehr abgestufter.
Unter ihnen befinden sich solche, in denen ein spontanes, schöpferisches
und tiefes Beten individueller Persönlichkeiten sich unverkennbar
verrät. Dies trifft auf manche altchristliche Gebete zu, einen Teil der
orationes des Anselm von Canterbury, auf die liturgischen Gebete, die
von Calvin verfaßt sind, auch auf die Gebetbücher der ersten Hälfte
des Reformationsjahrhunderts. (Freilich sind auch diese persönlich
gefärbten literarischen Gebete nicht immer der reine Reflex des
wirklichen Betens ihrer Verfasser; sie sind oft nur die reife Frucht ihres
Gebetslebens, aber sie enthüllen uns nicht die verborgenen Kämpfe
und Auseinandersetzungen, die inneren Spannungen, das Auf- und Ab-
wogen der Affekte und Stimmungen, das dem echten Beten eigen ist;
sie sind der Ausklang ihres Betens, aber nicht ihr Beten selbst.) Daneben
stehen die vielen Gebete, deren Charakter als bewußte, absichtliche
Elaborate und Kunstprodukte auf den ersten Blick ersichtlich sind.
Sie sind in der Form, wie sie niedergeschrieben wurden, nie vorher
gebetet worden, sondern erdacht, ersonnen, zum Gebrauch für viele
verfaßt, „verfertigt", wie ein Gebetbuchverfasser des 16. Jahrhunderts
in der Vorrede sagt 86, oder wie Luther sich drastisch ausdrückte, „hinter
dem Ofen erdichtet" 87. Während die echten Gebete durch eine kraft-
volle Knappheit sich auszeichnen, zeigen die verfaßten Gebete eine
Weitschweifigkeit und Breite des Ausdrucks, die bisweilen ermüdet.
Während das spontane improvisierte Beten eine gewisse Sprunghaftig-
keit und Abgerissenheit der Gedankenfolge offenbart, weisen die ver-
faßten Gebete klare und durchsichtige Disposition, logischen Gedanken-
aufbau und innere Gliederung auf. Spontanes Beten verrät sich in
einer schlichten und freien Natürlichkeit des Ausdrucks, die literarischen
Gebetselaborate sind kenntlich an dem kunstvollen Periodenbau, der
Bilderfülle, dem rhetorischen Prunk 88. Naives Beten ist ungetrübt
durch alle Reflexion, wirkliches Bitten und Danken, die erdachten
Gebete sind reflektierend, betrachtend, dozierend, predigend. Echtes
Beten ist spontaner Ausdruck des eigenen Erlebens oder doch die Frucht
des Selbsterlebten und Selbsterrungenen, die künstlich komponierten
Gebete sind für die anderen Menschen bestimmt, die sie erbauen, be-
lehren, religiös-ethisch beeinflussen sollen, sie sind mehr dogmatische
Katechesen, Sittenpredigten, Homilien. Ja, die meisten dieser künstlich
gemachten Gebete sind nicht einmal das selbständige Werk der Gebet-
buchautoren. Die Untersuchung von A 1 1 h a u s hat ganz überraschendes
Licht auf die kompilatorische, bisweilen sogar plagiathafte Abfassung
von Gebetbüchern geworfen. Die Gebetsformulare werden aus älteren
Gebetssammlungen entnommen, abgeschrieben, kombiniert oder flüchtig
überarbeitet. Verbreitete Gebetbücher aus der vor- und nachreformato-
rischen Zeit sind wenig produktiv, so die Werke des Prager Kanzlers
IV. Die Quellen, für eine Untersuchung des Gebets 33
Joh. v. Neumarkt, des Erasmus v. Rotterdam, des Petrus Canisius,
die anonymen Erbauungsbücher des Hortulus animae, der Meditationes
Augustini usw., die evangelischen Gebetbücher von Habermann, Kegel,
Musculus 89. Als Dokumente naiver Gebetsfrömmigkeit kommen diese
komponierten, geschweige denn die kompilierten Gebete nicht in Be-
tracht; aber sie sind doch der deutliche Reflex des jeweiligen Frömmig-
keitslebens, wie ein Vergleich der mittelalterlichen, reformatorischen,
pietistischen und rationalistischen Gebetbücher beweist. Die literari-
schen Gebetskompositionen sind darum die Hauptquelle zur Fest-
stellung des Betens innerhalb der verschiedenen Epochen, Kulturen
und religiösen Gemeinschaften. In ihnen erfassen wir gerade die festen
Frömmigkeitstraditionen und werden so einerseits in das Gebetsleben
der großen Persönlichkeiten eingeführt, welche den Anstoß zur Bildung
solcher Überlieferungen gaben, und andererseits in die an die formel-
haften Gebetsmuster sich klammernde Frömmigkeit der Durchschnitts-
menschen.
Zu den Gebetsparadigmen und Gebetsformularen tritt als dritte
Gruppe der verfaßten Gebete die Gebetsdichtung, in welcher
das liturgische oder erbauliche Gebet sich in ein künstlerisches Gewand
hüllt. Den schematischen, nach festen Mustern geschaffenen antiken
Kulthymnen kommt als Gebetsdokument eine ähnliche Bedeutung zu
wie dem rituellen prosaischen Gebetsformular. Als Zeugnis echten,
individuellen Betens ist zum Teil die aus persönlichen Gebetserlebnissen
geborene künstlerische Gebetspoesie zu betrachten: die Hymnen der
individualisierten Endphase der antiken Religionen, die Psalmen des
Alten Testaments, die lateinischen Hymnen des christlichen Altertums
und Mittelalters, die Kirchenlieder der verschiedenen Landessprachen.
Aber nur ein Teil dieser geistlichen Lieder ist der selbständige Ausdruck
einer persönlich erlebten Gebetsstimmung, viele sind nur Umdichtungen
von Prosagebeten. So schöpfen nicht wenige Dichtungen eines Johann
Heermann und Gerhard Tersteegen, ja sogar manche Lieder eines Paul
Gerhardt aus der zeitgenössischen Gebetsliteratur ihren Inhalt 90.
Aber darüber besteht kein Zweifel, daß der Sonnenhymnus des Ichenaton
und der Psalm Miserere, das ,,Veni Sancte Spiritus" des französischen
Königs Robert und das „Salve caput cruentatum" des hl. Bernhard,
das „Dies irae" des Thomas von Celano und das „Adoro te devote" des
Thomas von Aquin, die i:Q(i)Teg x(bv d-eiov v^ivoiv Symeons des Neuen
Theologen und die Gebetslieder Luthers oder die in allen Tempeln
Südindiens rezitierten feurigen Hymnen des Tamilmystikers Mänikka
Väschagar zu den wirklichen, nicht zu den gemachten Gebeten zu
zählen sind. Hier reden nicht Literaten und Buchschreiber, sondern
große Beter. Wir brauchen nur die dichterische Form und den künst-
lerischen Rhythmus zu abstrahieren und wir lauschen auf die vollen
Klänge eines frischen und kraftvollen Herzensgebetes.
Eine vierte Variante des literarischen Gebets bildet das nach-
geahmte Gebet, das sich in den Epen und Dramen der großen
Dichter findet. Der Dichter ist wie der bildende Künstler der fein-
sinnige Psychologe, der die zartesten und heimlichsten Regungen des
Das Gebet. 3
34 Einleitung
Herzens kennt und verdolmetscht. Die Gebete, die er seinen Helden
in den Mund legt, sind zwar niemals in dieser Form von eines Menschen
Lippen gekommen; und doch sind sie der lebendigen Wirklichkeit
abgelauscht, „gebetete" Gebete, nicht „gedichtete" Gebete. Sind die
Gebetsformulare der Priester, Theologen und Erbauungsschriftsteller
mehr das Spiegelbild des Gebetsgeistes einer bestimmten Kultur-
schicht, Frömmigkeitsepoche oder religiösen Gemeinschaft, so sind die
Gebete der genialen Dichter mehr die unmittelbaren Dokumente der
schlichten Herzensfrömmigkeit des naiven Menschen. Wenn man an
die urwüchsigen Gebete bei Homer und den hellenischen Tragikern
denkt oder an das „Neige, du Schmerzensreiche" des Gretchens in
Goethes Faust oder an den Hymnus „Vergine madre" in Dantes Paradiso,
so wird man die Gebete in den Schöpfungen der großen Dichter zu den
erstklassigen Gebetszeugnissen stellen.
2. Selbstzeugnisse ü ber das Gebet.
„Wie von Angesicht zu Angesicht konnten wir den Beter in seinen
eigenen Gebeten sehen. In den Worten an die Jünger, die vom Beten
handeln, sehen wir ihn noch einmal wie im Spiegel" (Deißmann) 91!
Die wichtigsten Gebetsdokumente sind stets die Gebetsworte selbst:
aber sie bedürfen zur richtigen Interpretierung einer Ergänzung durch
die Äußerungen großer Beter über das Gebet; diese enthüllen dem
Psychologen noch deutlicher die beim Gebet sich abspielenden seelischen
Vorgänge: Motiv, Gefühlsverlauf und Wirkung. Freilich haben die
großen Genien nicht allzu häufig in der ersten Person von ihren Gebets-
erlebnissen erzählt: Demut und religiöser Zartsinn hält sie zumeist
davon ab, im Ichstil eine detaillierte Schilderung von den intimsten
seelischen Regungen zu geben; ja sie wagen es oft gar nicht, in die
geheimnisvolle Dämmerung, in die das Allerheiligste ihres Gottes-
umganges gehüllt ist, mit dem grellen Lichte der beobachtenden Analyse
hineinzuleuchten; sie verbergen nicht selten ihr heimlichstes Gebets-
leben vor der eigenen Reflexion ebenso wie vor den Fragen anderer
Menschen. Ihre kostbaren Selbstzeugnisse verstecken sich hinter ihren
generellen und normativen Äußerungen über das wahre Beten. In
dem Gebetsideal, das die großen Beter verkündet haben, haben sie
uns ein Bild ihres Betens gezeichnet. Wenn wir die Hülle des Normativen
und Polemischen abstreifen, haben wir ein echtes Selbstzeugnis in
Händen. Der Begriff des Selbstzeugnisses darf nicht, wie es die heutigen
Religionspsychologen zumeist tun, auf die direkte, schon psychologisch
gefärbte Beschreibung und Analyse von religiösen Zuständen und Er-
fahrungen beschränkt werden. Verwertet doch auch die Psychologie des
künstlerischen Schaffens die Meisteranweisungen der großen Künstler
als eine erstklassige Quelle.
Obenan stehen die möglichst un theologischen, unproblematischen und
unsystematischen Gebetsanweisungen großer Beter, die
der psychologischen Absichtlichkeit entbehren. Jesus hat in den kurzen
und zerstreuten Worten über das wahre und falsche Beten sein Selbst
IV. Die Quellen für eine Untersuchung des Gebets 35
gezeichnet. Seine schroffe Kritik an der Gebetspraxis der Scheinheiligen
und Heiden öffnet den Ausblick auf die Art seines Betens. An den
Ecken und Straßen beten die Heuchler, er betet im Kämmerlein. Wort-
reiche Liturgien plappern die Heiden und Pharisäer; seine Gebete sind
knapp. Durch seine Worte: „Du aber, wenn du betest" . . . hindurch-
blickend, sehen wir ihn selbst an jenen einsamen, wüsten Stätten während
der Nacht auf den Knien liegen. Seine Forderung für die Feinde zu
beten, entstammt seinem eigenen Gebetsleben: noch am Kreuze bittet
er für seine Mörder 92. Aus seiner energischen Mahnung zum stürmischen
Beten und aus den Worten der Verheißung , die er den gläubigen Betern
gibt, redet seine eigene kindliche Zuversicht und unerschütterliche
Erhörungsgewißheit. Wenn Augustinus im Brief an die Witwe Proba
(ep. 130) ein spiritualistisch.es Gebetsideal entwirft, ob enthüllt er sein
eigenes rein geistiges Beten. Wenn Nilus Sinaita in seinen Apothegmen
den Wüstenmönchen Weisungen für ihr Beten gibt 93, so läßt er uns
in sein eigenes Gebetsleben einen Blick tun. Wenn Luther ,,die Weise,
wie man beten soll" angibt oder die „Stücke, die zum rechten Gebet
not sind" 94, aufzählt, so erfahren wir im Grunde nur von seinem
eigenen Beten und Glauben. In dem „Discours touching prayer" des
englischen Baptisten John Bunyan offenbart sich, obgleich er schon
eine bei Luther fehlende Systematik zeigt, die wundervolle Affektivität
und Spontaneität, die das Gebetsleben dieses Kesselflickers auszeichnet.
Reflektierter imd absichtlicher als diese völlig naiven Selbstzeugnisse
sind die generellen und normativen Äußerungen der
großen neueren Theologen und Prediger, die sich in
ihren Predigten oder religiösen Schriften finden (Schleiermacher, Tholuck,
Monod, Robertson). Doch bedingt der individualistische Geist der
Neuzeit eine vertiefte und verfeinerte psychologische Beobachtung und
Schilderung religiöser Erlebnisse. Eine Perle in der neueren religiösen
Literatur ist das Büchlein des dänischen Bischofs Monrad: „Aus der
Welt des Gebets", das ebenso das Dokument einer schlichten Herzens-
frömmigkeit wie einer treffsicheren religiösen Psychologie ist.
Die Selbstzeugnisse der Mystiker über das Gebet,
seien sie nun individuelle Berichte oder kollektive Gebetsanleitungen,
nehmen eine Sonderstellung ein. Die Mystik führt den Menschen in
sein Inneres zurück, die stete Innenkonzentration und Selbstversenkung,
die Beschäftigung mit sich selbst führt von selbst zu echter, psycholo-
gischer Selbstbeobachtung. So kommt es, daß die Äußerungen mystischer
Persönlichkeiten — soweit sie nicht an den naiven Phantasievorstellungen
der Brautsymbolik hängen bleiben — vielfach einen psychologisieren-
den Charakter haben. Gerade die buddhistischen Mönche und die
christlichen quietistischen Mystiker haben die psychologische Selbst-
besinnung bis zur Virtuosität ausgebildet. Die heilige Theresa steht
mit ihren meisterhaften Analysen, von denen jeder moderne Psychologe
lernen kann, unter allen Mystikern unübertroffen da, man könnte sie
als die Psychologin unter den Heiligen bezeichnen; gleichwohl wird bei
ihr durch die psychologische Selbstbeobachtung die Naivität und Inten-
sität des Erlebens nicht beeinträchtigt. Sie hat es fertig gebracht zu
3 6 Einleitung
erleben und gleichzeitig das Erlebte zu beobachten. Sie beschreibt
ihre mystischen Gebetszustände, während sie dieselben erlebt; und es
ist ihr dabei, „als hätte sie ein Muster vor sich und zeichnete es ab 95".
Es ist jedoch ein Fehler, in den die Religionspsychologen gerne ver-
fallen, die mystischen Selbstzeugnisse um ihres psychologischen Charak-
ters willen zur Hauptquelle ihrer Untersuchungen zu machen; sie ver-
gessen dabei, daß sie in diesen psychologisierenden Dokumenten nur
den einen großen Typ individueller Frömmigkeit vor sich haben. Der
religionspsychologische Quellenwert der von prophetischen Persönlich-
keiten stammenden rein normativen Selbstzeugnisse ist keineswegs im
Vergleich zu den mystischen Selbstbekenntnissen ein geringerer; wenn
sie auch jeder psychologischen Absichtlichkeit ermangeln, so veran-
schaulichen sie doch sehr oft — man denke an Luther und Bunyan ■ —
die inneren Erlebnisse mit einer erstaunlichen sprachlichen Plastik.
Nur sekundäre Bedeutung kommt den G ebetstheologienzu,
wie sie in den zahlreichen ,de oratione' betitelten systematischen Ab-
handlungen von Origenes, Tertullian, Cyprian, Alexander von Haies,
Thomas von Aquin, Suarez, Melanchthon, Calvin und vielen anderen
Theologen vorliegen. Sie sind zumeist von einer philosophisch orientier-
ten Problematik bestimmt ; an das naive religiöse Erleben treten ethische
imd rationale Gesichtspunkte heran. Aber auch dann, wenn die theo-
logische Norm nicht von außerreligiösen, philosophischen Motiven be-
stimmt, sondern aus dem wirklichen Frömmigkeitsleben abstrahiert
ist, kann der Normgedanke so gesteigert sein, daß das Gebets ideal
sich mit dem Gebets leben nicht mehr vollständig deckt, wie das
bei den großen, untheologischen Betern der Fall ist 96. Doch bieten
solche Gebetstheologien manche Anhaltspunkte für unsere Kenntnis
von der Frömmigkeit des Verfassers, bisweilen auch wie der dem Gebet
gewidmete Abschnitt in der Jnstitutio religionis christianae' Calvins
wertvolle psychologische Fingerzeige.
3. Reine Fremdzeugnisse.
Das reine Fremdzeugnis — die von anderen gehörten und festge-
haltenen Gebetsworte sind im Grunde ja Selbstzeugnisse — gibt Be-
obachtungen über den Körperausdruck, die Mimik, Geste und Haltung
des Betenden wieder. Dieses Fremdzeugnis ist teils literarischer
Bericht, teils künstliche Darstellung. Notizen über die konventionellen
Körperhaltungen beim Gebet enthalten die Berichte von Ethnographen
wie von antiken Schriftstellern. Über den individuellen Körperausdruck
konkreter Gebetserlebnisse großer Beter (z. B. Jesu und des hl. Franz)
besitzen wir einige spärliche Notizen. Wichtiger und ergiebiger für
die Kenntnis des Körperausdrucks sind die künstlerischen
Darstellungen von Betern in der antiken, mittelalterlichen und modernen
Malerei und Plastik96. Gewiß bezeugen die Werke religiöser Kunst auch
den traditionellen und konventionellen Gebetsgestus, aber sie verraten
uns gerade jene individuellen Ausprägungen des religiösen Erlebnisses,
vor allem im Mienenspiel, die von den literarischen Berichten nur un-
IV. Die Quellen für eine Untersuchung des Gebets 37
vollkommen beschrieben werden können. Nichts beweist den Quellen-
wert der künstlerischen Darstellungsn für das Studium der das innere
Erleben begleitenden Ausdrucksvorgänge besser als der Umstand, daß
die beiden Haupttypen individuellen Betens : der kontemplativ-mystische
und der affektiv-prophetische in den Darstellungen betender Menschen
durch die Plastik und Malerei wiederkehren.
Die Typen des Gebets.
A. Das naive Beten des primitiven Menschen.
I. Vorbemerkungen.
Das spontane, freie Bittgebet des naiven Menschen stellt den Prototyp
alles Betens dar: es ist ein Nachhall jenes Urgebetes, das einst — wir
wissen nicht, wo und wann — von den Lippen des vorgeschichtlichen
Menschen sich losriß und den Gebetsverkehr zwischen dem Menschen
und der Gottheit eröffnete; es ist aber zugleich eine Antizipation jener
grandiosen Gebetsschöpfungen, die sich auf den Gipfelpunkten des
Erlebens der religiösen Genien vollzogen. Am reinsten erfassen wir
es im Beten der Primitiven; in den Volksreligionen hochentwickelter
Kulturvölker lebt es mit urwüchsiger Kraft und Naivität, ist aber durch
das formelhafte Gebet und die mannigfachen festen Formen der Be-
schwörung und des Zauberspruches stark zurückgedrängt. In den
formelhaften Gebeten antiker Kulte, deren hohes Alter sich schon in
der archaischen Sprache verrät und deren anspruchslose, knappe Fas-
sung nicht auf das Werk dichtender Priester hinweist, haben sich die
spontanen Gebetsschöpfungen prähistorischer Zeiten erhalten. (Oft
sind sie uns nicht selbständig überliefert worden, sondern haben sich
unter die Zauberliteratur verirrt, oder sie sind in die Hymnendichtungen
aufgenommen worden.) Aber auch manche Hymnen z. B. des Rigveda
und dichterische Gebete wie bei Homer und den hellenischen Tragikern
verraten sich an der köstlichen Naivität und an der Frische ihrer Sprache
als Widerhall echten Betens. Die Darstellung des Urphänomens des
Gebets nach diesen Quellen unterliegt jedoch außerordentlichen
Schwierigkeiten .
1. Die Stämme, die wir unter den eingebürgerten, aber nicht völlig
zutreffenden Sammelnamen , Primitive', ,Naturvölker', ,savages', ,peuples
non civilises' zusammenfassen, sind in ihrem Kulturleben zum aller-
geringsten Teil wirkliche ,Primitive' x und wirkliche , Naturvölker1
— nur auf ganz wenige von der übrigen Kulturwelt abgeschiedene
Stämme trifft das annähernd zu 2 — sie zeigen vielmehr eine ganze
Reihe von Kulturstufen, Kulturschichten und Kulturkreisen. Während
die ältere Religionswissenschaft bzw. Kulturforschung im weiteren
Sinne die Stämme Amerikas, Afrikas und Austronesiens als Träger
einer relativ einheitlichen , primitiven' Kultur betrachtete, die Elemente
dieser ,primitiven' Kultur mit solchen der antiken Kulturen kombinierte
und von anderen antiken Kulturelementen schied und so glänzende
Entwicklungsschemata konstruierte, hat die neuere ethnologische
I. Vorbemerkungen 39
Schule deutlich dargetan, daß schon die ,primitive Kultur' eine Fülle
von Kultur bildungen aufweist. Es ist ein gewaltiger Unterschied zwischen
der Kultur eines Weddapygmäen, eines Zentralaustraliers, eines west-
afrikanischen Negers und eines nordamerikanischen Indianers, wie
schon eine laienhafte Vergleichung erkennen kann. Auch die religiösen
Vorstellungen und Kulte zeigen ganz erhebliche Differenzen und Niveau-
unterschiede. Die erwähnte kulturhistorische' Ethnologenschule sucht
mit einem staunenswerten Aufwand an Scharfsinn in äußerst mühe-
voller Kleinarbeit die verschiedenen Kulturkreise und -schichten der
niederen Rassen, die sich in mannigfacher Weise kreuzen, kombinieren
und überlagern, bloßzulegen und so ein historisch gesichertes, nicht
auf bloße subjektive Evolutionsschemata aufgebautes Bild von der
Entwicklung der verschiedenen Kulturphänomene (der Wirtschaft,
Wohnung, Technik, Gesellschaft, Sitte, Kunst und Religion) zu ge-
winnen 3. Die Methode dieser kulturgeschichtlichen Völkerkunde hat
zweifellos den Vorzug vor der völkerpsychologisch-evolutionistischen
Kulturforschung. Doch ist heute die Kultur kreistheorie im Einzelnen
noch zu wenig gesichert und zu hypothetisch, das Problem des Ver-
hältnisses von , Elementargedanke' und Übertragung' zu umstritten,
als daß sie einer religionswissenschaftlichen Untersuchung Anhalts-
und Stützpunkte bieten könnte. Das interessante Problem, inwiefern
schon innerhalb der primitiven Welt das Gebet hinsichtlich des Grades
der Spontaneität und Freiheit, des Inhalts, der tragenden Gottes-
vorstellung und des Verhältnisses zu Beschwörung und Zauberwort
mannigfache Abstufungen zeigt, ist heute noch nicht spruchreif; es
setzt einen noch gründlicheren Ausbau der kulturhistorischen Ethnologie
voraus. Überdies besteht ein inneres Recht, zusammenfassend von
einer primitiven Kultur zu reden und sie der antiken Hochkultur gegen-
überzustellen, obschon die primitive Kultur eine Reihe von Stufen
umfaßt und die antike Kultur zahlreiche primitive Reste in sich birgt.
Der fundamentale Unterschied liegt in der Schriftlosigkeit
der niederen Rassen und in dem Schriftbesitz der antiken
Völker4. Dieser Unterschied ist für die Religion und ganz besonders
für das Beten von unermeßlicher Bedeutung; die schriftliche Fixierung
ritueller Gebete und Hymnen bedingt eine Bindung des freien Betens,
die in demselben Umfang bei schriftlosen Völkern nicht möglich ist.
Schon dieses eine Moment — ganz abgesehen von der Gleichförmigkeit
des Inhalts aller primitiven Gebete — berechtigt zu einer einheitlichen
Zusammenfassung aller Naturvölker in der folgenden Darstellung des
naiven Betens des primitiven Menschen.
Eine zweite Schwierigkeit steckt in dem Problem von der Bedeutung
des Individuums für die Entwicklung der Kultur und der Religion.
Nach der herkömmlichen Anschauung, die von Wundt und Durkheim 5
lehrhaft zugespitzt wurde, ist Träger eines religiösen Gedankens oder
Ritus immer nur die Gesellschaft (Familie, Clan, Stamm), aber nie der
Einzelne. Gewiß ist die soziale Gebundenheit des primitiven Menschen
gerade in religiösen Dingen eine sehr starke, aber ebenso unzweifelhaft
ist, daß es schon in der primitiven Gesellschaft schöpferische Individuen
40 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
gibt, die über das durchschnittliche Niveau hinausragen und von denen
der kräftigste Anstoß zur kulturellen Fortentwicklung ausgeht 6. Auch
die religiöse Begabung der primitiven Menschen ist eine abgestufte;
neben den im traditionellen Geleise einhertrottenden Durchschnitts-
frommen stoßen wir auch auf solche Individuen, deren Frömmigkeit
einen — wenn auch nur schwachen — individuellen Zug besitzt. Die
ethnographischen Forscher, welche an Ort und Stelle einen primitiven
Stamm beobachteten, haben freilich bis heute zumeist auf das Indi-
viduelle, Persönliche kaum geachtet, sondern ihre Aufmerksamkeit fast
nur auf das Generelle, Soziale und Konventionelle gerichtet, das natur-
gemäß viel leichter faßbar ist.
Damit hängt auch zusammen, daß die Ethnographen das Gebet als
spontanen und formlosen Herzenserguß viel seltener beobachtet und
aufgezeichnet haben als die schon irgendwie formelhaften Gebete, die
Gemeingut einer sozialen Gesamtheit sind. Manche Forscher schweigen
völlig über das Beten der Wilden oder begnügen sich mit andeutenden
Hinweisen und ungenauen Berichten. Sie, die zweifellos bisweilen in
der Lage waren, solche Gebete zu hören oder zu erfragen, haben wohl
die ausführliche Mitteilung von Gebeten oder die nähere Beschreibung
des Gebetsgestus für zu banal und uninteressant gehalten, da es sich
um scheinbare Selbstverständlichkeiten handelt. In vielen Fällen
freilich beruht das Schweigen über das Beten eines Volkes oder sogar
die kategorische Behauptung, daß ein bestimmter Stamm das Gebet
überhaupt nicht kenne, auf der taktvollen Zurückhaltung der Primitiven
über ihr religiöses Denken und Leben 7. Die meisten ethnographischen
Notizen sagen uns auch nichts darüber, ob und wieweit ein mitgeteiltes
Gebet spontan-augenblicklich oder regelmäßig-wiederkehrend, frei-
improvisiert oder traditionell-gebunden ist. Bisweilen ist dies aus dem
Zusammenhang zu erschüeßen, auch schärft der stete Vergleich einer
großen Zahl von Gebeten den Blick für das Spontane und das Kon-
ventionelle. Da aber die uns mitgeteilten Gebete fast nie das Werk
bewußt schaffender und dichtender Priester sind, sondern auch dann,
wenn sie bereits formelhafte Starre zeigen, nur in verfestigter Form
ein ursprünglich spontanes und freies Gebet darstellen, können sie
unbedenklich als Quelle naiven Betens verwertet werden. Die meisten
oder doch sehr zahlreiche von Ethnographen aufgezeichneten Gebete
scheinen jedoch gar nicht formelhafter Natur zu sein, sondern stellen
eine Zwischenform zwischen dem völlig freien und völlig gebundenen
Gebet dar. Die in der ethnographischen Literatur sich findenden Gebete
niederer Stämme dürfen also als zuverlässige Quellen für unsere Dar-
stellung des primitiven Betens gelten.
2. Das interessante Material, das die Volksfrömmigkeit aller Jahr-
hunderte bietet, ist schwer zugänglich. Eine Sammlung der zerstreuten
Notizen und Hinweise bei Historikern und zeitgenössischen Schrift-
stellern, die — ■ von sachlichem und polemischem Interesse beseelt —
über Äußerungen des Volksglaubens und -Aberglaubens sich aus-
sprechen, wäre sehr lohnend. Die in den Ländern germanischer Zunge
seit fast einem Jahrhundert eifrig gepflegte Folkloristik befaßt sich
IL Anlaß und Motiv zum Gebet 41
ähnlich wie die Ethnographie fast ausschließlich mit den Sitten und
Bräuchen des Volkes, die ein festes, durch die Wandlungen der Zeit
wenig berührtes Traditionsgut bilden, hat aber der spontan sich äußern-
den, aus den konkreten persönlichen Nöten geborenen Frömmigkeit
so gut wie keine Aufmerksamkeit geschenkt. Erst die ganz junge Reli-
giöse Volkskunde', die einen Zweig der religionspsychologisch so frucht-
baren praktischen Theologie (des Protestantismus) bildet, hat sich auf
die Sammlung und psychologische Deutung dieser Tatsachen geworfen ;
doch ist das bis jetzt gewonnene Material noch relativ spärlich. Die
katholische Volksfrömmigkeit, die noch reicheren Stoff bietet, ist
leider überhaupt noch nicht Gegenstand wissenschaftlicher Unter-
suchungen geworden, obgleich die primitive Religion im Katholizismus
einen viel kräftigeren Nährboden besitzt als im Protestantismus. Die
äußeren Formen der Volksreligion tragen zwar stets das Gepräge der
jeweils herrschenden Kultur-, National- oder Universalreligion; aber
wenn wir in die inneren Absichten und religiösen Meinungen der naiven
Menschen, die in diesen Formen ihr elementares religiöses Sehnen aus-
leben, eindringen, so tritt uns das Primitive in seiner wunderbaren
Urgewalt un verhüllt entgegen.
3. Eine Schwierigkeit bietet schließlich noch die Verwertung antiker
Gebetsformeln, in denen sich das ehedem spontane Beten zu festen
Gestalten kristallisiert hat. Die heutige kulturgeschichtliche Forschung
ist noch nicht soweit gekommen, die in den primitiven Rassen auf-
gedeckten Kulturschichten mit den ältesten Schichten der in der Nacht
der Prähistorie sich verlierenden antiken Kulturen zu vergleichen.
Solange dies nicht geschehen ist, ruht die Zusammenstellung primitiver
und antiker Kulturelemente auf unsicheren Füßen. Schon jetzt aber
ist es wahrscheinlich, daß selbst die ältesten Schichten der antiken
Kulturen noch jünger sind als die verschiedenen Kulturschichten primi-
tiver Rassen. Die ganze materielle Kultur ist ungleich komplizierter
als die der niederen Stämme, die Religion hat viel von ihrer ursprüng-
lichen Naivität eingebüßt, das Kultwesen an Pracht und Ausdehnung
gewonnen. Aber die archaischen Ritualformeln und die in den literari-
schen Gebeten immer wiederkehrenden stereotypen Redensarten („höre
mich" usw.) reichen ebenso wie die konventionellen Gebetshaltungen
und Gebetsgesten in die vorgeschichtliche, schriftlose Zeit zurück und
dürfen so als Dokumente primitiver Religion verwertet werden.
II. Anlaß und Motiv zum Gebet.
1. Den ursprünglichen Anlaß zum Gebet bildet stets eine augenblick-
liche konkreteNotlage,in der die elementaren Lebensinteressen
eines Einzelnen oder einer Gruppe schwer bedroht sind: Dürre und
Hungersnot, Lebensgefahr in Sturm und Gewitter, Angriffe von Feinden
und wilden Tieren, Krankheit und Seuche, aber auch Beschuldigung und
Anklage wie die Schmach der Kinderlosigkeit drängen den naiven Men-
schen spontan, mit innerer Gewalt zum Gebet an die höheren Wesen
(konkrete Einzelbeispieles, u . Abs. V : Inhalt des Gebets S . 6 1 f f . ) . Die durch
solche Situationen bedingten, seelischen Erlebnisse, welche das Gebet
42 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
motivieren, charakterisieren sich als momentane Affekte (bisweilen
auch habituelle oder Daueraffekte) von hoher Intensität: Furcht,
Schrecken, Entsetzen, Angst, Ärger, Zorn, Haß, Kummer, Gram, Sorge.
Das Affektleben des primitiven Menschen ist weit reizempfindlicher,
gesteigerter und ungebändigter als das des unter zahlreichen Hem-
mungen lebenden Kulturmenschen. „Der kleinste Reiz genügt, eine
ganz un verhältnismäßige Entladung zu bewirken 1." Durch den Affekt
betroffen, äußert sich der Wille zum Leben, der instinktive
Lebenstrieb in einem leidenschaftlichen Streben und drängenden Ver-
langen nach Erhaltung des Lebens, Befreiung aus der gegenwärtigen
»Situation, Abwendung der Gefahr. Das Bewußtsein der gänz-
lichen Ohnmacht und vollen Abhängigkeit von höheren, mäch-
tigeren, in die Schicksale des Menschen mit starker Hand eingreifenden
Wesen trägt das ganze Leben des primitiven Menschen. Im Augenblick
der Gefahr und Not erwacht es mit einer vorher nie vorhandenen Leben-
digkeit. Die Verbindung des Abhängigkeitsgefühls mit dem Selbst-
behauptungsstreben läßt die Hoffnung keimen: das Wesen, das
Herr über mein Schicksal ist, kann mir auch helfen und mich retten.
Diese Zuversicht drängt spontan und unbewußt zur Anrufung der Gottheit
und zur Bitte um Hilfe. Wo diese Zuversicht nicht mehr lebendig ist,
aber das Abhängigkeitsgefühl gleichwohl den Menschen erfüllt, steht an
Stelle der zuversichtlichen Bitte die verzweifelte Klage, in der er nicht
fleht und fordert, sondern nur seine Not und seinen Jammer vor der
Gottheit ausschüttet. Alle diese Vorgänge spielen sich in der Seele des
Primitiven natürlich nicht im aufeinanderfolgenden Nacheinander ab,
sondern verschlingen und durchdringen sich gegenseitig in einem ein-
heitlichen Gesamterlebnis. Doch ist es auch möglich, daß Furcht und
Hoffnung eine Zeitlang alternieren, bis schließlich das Vertrauen so stark
wird und bittende Worte von den Lippen des gequälten Menschen sich
losreißen. Man könnte darum die Furcht als das treibende, die Hoffnung
als das auslösende Motiv des Gebets bezeichnen.
Der Glaube an das Vorhandensein übernatürlicher,
anthropomorpher Wesen muß schon vorbereitet sein, ehe
der Mensch in gewaltigen seelischen Erschütterungen durch die Gebets-
anrufung mit ihnen ein Verhältnis anknüpft — oder in der Sprache des
religiösen Menschen ausgedrückt: Gott muß sich dem Menschen ge-
offenbart haben, ehe der Mensch seinerseits zu ihm kommt; Gott selbst
muß den Verkehr mit der Menschheit eröffnen. Es ist nicht möglich,
daß, wie Schopenhauer 2 und Feuerbach meinten, der Götterglaube
lediglich durch eine Projektion des Wunsches entstanden sei oder daß,
wie der antike Dichter glaubte, die Furcht allein die Götter geschaffen
habe 3. Eduard v. Hartmann schon hat richtig erkannt, daß der seelische
Vorgang, in dem sich Furcht, Hoffnung und Glückseligkeitsverlangen
verbinden, „nur in dem Sinne als theogonischer Prozeß bezeichnet
Werden darf, daß er die schon vorhandenen Bewußtseinsobjekte zu
Objekten des religiösen Verhältnisses, d. h. zu Göttern macht". ,,So
wenig die instinktive Anwendung des Kausalitätsgesetzes allein imstande
ist '■ den so erschlossenen Ursachen den Stempel der Göttlichkeit auf-
II. Anlaß und Motiv zum Gebet 43
zuprägen, ebensowenig vermag die unter dem Zwange des Wunsches
leere Hirngespinste produzierende Einbildungskraft des Menschen die
Basis eines religiösen Verhältnisses zu bieten; beide müssen einander
ergänzend entgegenkommen, aber die Erkenntnis von Objekten muß
der Anknüpfung eines religiösen Verhältnisses an sie vorangehen, Wenn
das religiöse Verhältnis die unentbehrliche Gewißheit erlangen soll, auf
dem Boden realer Wahrheit zu stehen" 4. Der Mensch muß also bereits
eine Vorstellung von Gott besitzen ; das in der Not erwachende Gefühl
der Ohnmacht und Abhängigkeit kann nur diese Vorstellung zur festen
Überzeugung erheben, aber nicht aus dem Nichts hervorrufen. Den
Gottesglauben übernehmen die Menschen von der Gemeinschaft, in der
siegeboren wurden ;wie er aber erstmals entstand, kann hier nicht erörtert
werden; er floß unzweifelhaft aus einer ganzen Reihe psychologischer
Quellen 5.
2. „Not lehrt beten." Ist aber einmal durch die Not der Gebets-
verkehr mit dem höheren Wesen eröffnet und ist dem Gebet Hilfe und
Rettung gefolgt, so führt den Menschen in Zukunft nicht nur die Be-
drohung des nackten Lebens zum Gebet, sondern auch das Verlangen
nach Lebenssteigerung, -erhöhung und -bereicherung. Der primitive
Jäger verlangt Glück auf der Jagd, der Fischer reichen Fang, der Kauf-
mann reichen Gewinn, der Herdenbesitzer großen Viehstand, der Acker-
bauer glückliche Ernte, der Reisende glückliche Fahrt und Heimkehr,
der abenteuerfrohe Kämpfer reiche Siegesbeute, der vornehme Häupt-
ling zahlreiche Sklaven (Einzelbeispiele u. Abs. V: Inhalt des Gebets).
So tritt als zweites Gebetsmotiv zum Affekt der Wunsch; die Grund-
bedeutung eines der griechischen Wörter für , Beten' (evxEOÖai) ist
,Wünschen'. Da die Erfüllung des Strebens und Begehrens nicht in der
Hand des Menschen steht, regt sich das Abhängigkeitsgefühl ; aber das
Bewußtsein, daß alles Glück vom Willen höherer Wesen abhängt, die
schon in Not geholfen haben, entzündet die Zuversicht, welche dann
die naive Äußerung des Wunsches in der Bitte an den Gott auslöst.
Auch hier ist der Anlaß ein konkreter, augenblicklicher. Wenn der
Primitive auf die Jagd geht, bittet er um Wild, wenn er sät, um gute
Ernte: der aufsteigende Wunsch setzt sich spontan in ein Gebet um.
Der Unterschied von dem motivierenden Erlebnis im ersten Falle besteht
lediglich in der geringeren affektiven Intensität und in dem Zurück-
treten des Unlustcharakters.
3. Die konkreten Anlässe zum Gebet wiederholen sich immer wieder,
die zum Gebet treibenden Bedürfnisse bleiben stets dieselben. So
kommt es, daß der primitive Mensch nicht erst wartet, bis er in Not
gerät oder einen Wunsch hegt, sondern regelmäßig seine dauernden
Bedürfnisse und Wünsche in genereller, zusammenfassender Form den
hohen Wesen vorträgt. So treten neben die außerordentlichen Anlässe
zum Gebet die regelmäßigen, gewöhnlichen, wie sie vor
allem der Wechsel der Zeiten bietet : Sonnenaufgang und Sonnenunter-
gang, der Wechsel der Monde und Jahreszeiten, Aussaat und Ernte
Morgen- und Abendgebet ist nicht etwa bloß im Christentum oder bei
antiken Völkern, wie den Ägyptern 6, Griechen 7 und Römern 8 üblich,
44 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
sondern bei zahllosen primitiven Stämmen. Jeder Ovambo (Südafrika)
tritt morgens vor das Tor seiner Werft, spuckt gegen die Sonne, wirft
ihr eine Hand voll Blätter oder Gras zu und spricht dabei seine Wünsche
aus 9. Der Dschagganeger spuckt am Morgen viermal gegen die Sonne
und spricht: ,,0 Ruwa, schütze mich und die Meinen!"10 Und der
hamitische Masai betet jeden Morgen: „Gott meines Elends, gib mir
Essen, gib mir Essen, gib mir Milch, gib mir Kinder, gib mir viele Rinder,
gib mir Fleisch, mein Vater!" n Das Auftreten des Neumonds ist bei
den Bantustämmen ein steter Anlaß zum Gebet 12. Wenn die Plejaden
zurückkehren, versammeln sich die Hottentotten und fassen ihre ele-
mentarsten Bedürfnisse in der Bitte zusammen: ,,0 Tiqua, Vater über
unseren Häuptern, gib uns Regen, daß die Früchte reifen und daß wir
reichlich Nahrung haben, sende uns ein gutes Jahr!"13
4. Die Glieder der primitiven Gesellschaft sind ursprünglich durch
ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl und durch einen opferbereiten
Altruismus untereinander verbunden . Das soziale Mitfühlen äußert sich
nicht nur im Gebet in gemeinsamer Not, sondern auch im wechsel-
seitigen Fürbittegebet der Glieder eines sozialen Kreises, vor allem der
Familie, aber auch des Clans und Stammes. Der Einzelne erlebt die
Not und das Bedürfen des mit ihm sozial verbundenen Menschen wie
seine eigene und aus diesem altruistischen Fühlen heraus bittet er zu
den hohen Wesen für dessen Glück und Wohl. Ja sogar über die Grenzen
des engen Stammeskreises hinaus reicht das zoziale Fühlen ; nicht selten
lesen wir von herzlichen Gebeten, welche Angehörige primitiver Rassen
für stammes- und rassenfremde Europäer, die ihr Vertrauen und ihre
Zuneigung gewonnen hatten, zu ihren Göttern sprachen. „Ich und der
weiße Mann," heißt es in der Fürbitte eines afrikanischen Häuptlings,
„wir stehen uns so nahe, als wenn wir von einer Mutter wären." 14
Der primitive Mensch ist wohl ein naiver Eudämonist, aber — soweit
er nicht schon die Primitivität durch Einflüsse der verschiedensten
Art verloren hat — kein roher, antisozialer Egoist, wie ihn manche
anthropologische Schilderungen hinstellen. Wir müssen also das al-
truistische Mitgefühl unter die Motive des primitiven Gebets
aufnehmen.
5. Es ist eine oft aufgestellte Behauptung, daß die kulturarmen
Stämme Dankbarkeit und Danksagung nicht kennen, infolgedessen
auch ein Dankgebet in ihrem religiösen Leben nicht möglich sei. Man
verweist auf primitive Sprachen, die eine Vokabel für Danken nicht
besitzen 15, man erinnert an den reichen Wortschatz des Rigveda, in
dem ein Wort für Danken fehlt. Es läßt sich auch nicht leugnen, daß
„der Dank als ausgesprochene Verkehrsform durchaus nicht
Allgemeingut der Menschheit ist" (Schurtz), obgleich er unter zahl-
reichen Naturvölkern zu den stehenden Umgangsformen gehört. Überall
dort, wo ein primitiver Kommunismus herrscht, besteht wenig Anlaß
zu Dankesbezeugungen. Gleichwohl ist es fraglos, daß das Gefühl der
Dankbarkeit zu den elementaren sozialen Gefühlen gehört, die dem
Menschen als einem Gesellschaftswesen eigen sind, und daß dieses
Gefühl sich in Gestus, Miene und Rede äußert. Manchen Stämmen wie
II. Anlaß und Motiv zum Gebet 45
den Dajak wird von Forschern sogar ein großes Gefühl der Dankbarkeit
nachgerühmt, andere z. B. die westafrikanischen Stämme üben die
Dankesbezeugung bis zum Übermaß 16. So gehört denn auch, wie aus
zahlreichen Belegen hervorgeht, das Gefühl freudiger Dankbarkeit
zu den Gebetsmotiven. Nur selten freilich geht die Freude unvermittelt
und direkt in ein Dankgebet über. Wenn der Herero ein unverhofftes
Glück in die Hände fällt, stehen sie staunend still, sehen gen Himmel
und rufen: „Ndjambi Karunga!" (Name des Himmelsgottes)17; hier
haben wir einen spontanen, aus einem freudigen Affekt quellenden
Jubelruf, der nur in der Anrufung besteht. Sonst aber geht dem Dank-
gebet meist die Bitte voraus; die dankbare Stimmung bezieht sich
auf die erflehte Befreiung aus einer Not oder die erbetene Erfüllung
eines positiven Wunsches. Das Gefühl der Freude, des Beglücktseins
verbindet sich mit dem Bewußtsein der Abhängigkeit : nicht sich selbst
oder anderen Menschen, sondern dem übermenschlichen Wesen, zu
dem er zuerst gefleht und dem er geopfert hatte, verdankt der Mensch
die Rettung seines Lebens, die Gewährung von Nahrung und Besitz.
Ein afrikanischer Pygmäe, der Glück bei der Suche nach Nahrung hatte,
betet: „Waka, du hast mir diesen Büffel, diesen Honig, diesen Wein
gegeben." 18 Auch hier ist, wie bei der Bitte, der Anlaß ein konkreter
und momentaner. Aber wie zum Bitten, so haben sich auch zum Danken
regelmäßige Anlässe herausgebildet. Der Primitive war
ursprünglich Jäger und Pflanzensammler; beim Suchen der Nahrung
war er auf das Finderglück angewiesen; das Bewußtsein, hinsichtlich
der Stillung des Nahrungsbedürfnisses völlig von einer höheren Macht
abhängig zu sein, drückt sich am tiefsten darin aus, daß er für Speise
und Trank dankt. Die regelmäßige Wiederkehr des Anlasses bedingte
die Entstehung der Sitte des Tischgebets, das bei verschiedenen primi-
tiven Stämmen zur Regel geworden ist. Batchelor äußert, er sei sehr
überrascht gewesen, als er viele Ainu (die Urbevölkerung von Japan)
vor dem Essen danken sah. Auch traf er nie einen Ainu, der nicht vor
dem Weintrinken die Gottheit begrüßte und ihr für ihre Wohltat
dankte 19. Diese fromme Sitte des Tischsegens ist also schon ein primi-
tiver Brauch, der in Griechenland 20 und Rom 21 wie im Mazdaismus
und in Israel fortlebte und von der fortschreitenden Frömmigkeit ver-
tieft und verlebendigt wurde. Einen regelmäßigen Anlaß zum Dank-
gebet bildet vor allem auch die Ernte. Die afrikanischen Dinka bringen
ihrem Schöpfer Dengdid die Erstlingsfrüchte dar und danken ihm 22.
In China, wo die primitiven Rtligionsformen mit großer Treue bis in
die geschichtliche Zeit sich erhalten haben, fanden stets nach der Ernte
Dankgebete statt 23. Das , Erntedankgebet' findet noch heute in den
christlichen Kirchen statt.
Gewiß vermischt sich in vielen Fällen die reine Gesinnung der Dank-
barkeit beim Danksagen mit der naiv-eudämonistischen Absicht, durch
Dankesäußerung sich die künftige Wohlgeneigtheit des Gottes zu sichern ;
doch wäre es ungerechtfertigt, deshalb das Dankgebet für nichts weiteres
zu betrachten als ein absichtliches, aus dem vorausberechnenden Egois-
mus geborenes Mittel zur Gewinnung neuer göttlicher Gunstbeweise.
46 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
Erst dort, wo das Opferwesen das religiöse Leben beherrscht und zu
einem förmlichen Handel mit den übersinnlichen Mächten wird, tritt
das Danken zurück ; der Mensch glaubt, auf Grund seiner Opferleistungen
den Gott zur Erfüllung seiner Wünsche verpflichtet zu haben, so daß
er ihm dafür nicht noch dankbar zu sein braucht. Daraus dürfte es
sich erklären, daß in den großen antiken Religionen, die ja Opferreligionen
sind, das Dankgebet uns viel seltener begegnet als bei primitiven
Stämmen 24.
6. Bei der Bitte und Danksagung treibt den Menschen sein eigenstes
Interesse zu Gott; aber schon im Beten des primitiven Menschen ist
jene Form des Gebets angedeutet, die in der Mystik ihre höchste Voll-
endung erreicht: die selbstvergessene, in Gott versunkene Anbetung.
Neben der Not mid Dankbarkeit steht als Gebetsmotiv die Ehrfurcht
vor dem Heiligen, dem ,Numinosum'' und ,Fascinosu7n ; es ist jenes
spezifisch religiöse Urgefühl oder jener Uraffekt der bangen Scheu und
entzückten Bewunderung, aus dem die Vorstellung von der geheimnis-
vollen, wunderbaren ,Macht', der zauberhaften ,Kraft', dem ,Jfawa' und
,Tabul geboren wurde, eine der wichtigsten Wurzeln des Gottesglaubens;
es ist ein Mischaffekt oder besser ein undifferenzierter Affekt, der Furcht
und Hoffnung, Angst und Zuversicht, Schauer und Wonne, Zittern und
Staunen umfaßt 25. Die englische Sprache hat hiefür einen annähernd
zutreffenden Terminus in dem unübersetzbaren AVorte ,awe\ Bei
vielen Völkern entlädt sich dieser religiöse Affekt in einem spontanen
Ausruf: die ,,Macht"bezeichnungen der verschiedenen Naturvölker:
,Mana', ,Tabu', ,Wakanda', ,Manitu' usw. 26 gehen ursprünglich auf
spontane, aus dem religiösen Affekt hervorbrechende Rufe zurück, die
aber noch keine Gebetsanrede in sich schließen, weil die gegenständliche
Voraussetung des Affekts, das Heilige, nicht die Züge menschlicher
Persönlichkeit trägt. Aber dort, wo die Vorstellung von der ,Macht'
sich mit der personifizierenden, animis tischen Apperzeption verbindet,
wo ,Mana 'glaube und Geisterglaube sich paaren, kann aus der ehr-
fürchtigen Scheu die Gebetsanrede hervorgehen. Wenn der primitive
Mensch an einem Objekt vorübergeht, in dem ein mächtiges Geistes-
wesen, ein Numen haust, so bezeugt er ihm seine Ehrfurcht durch ein
paar Worte der Begrüßung und Verehrung und legt eine, wenn auch
nur symbolische Opfergabe nieder. Kein Herero geht an dem heiligen
Schöpfungsbaume vorüber, ohne wenigstens einen Stein an seinem
Fuße niederzulegen mit den Worten: „Vater, sei gegrüßt!"27 Oder
er wagt es gar nicht, ihn mit ,,du" anzureden, sondern spricht nur, ehr-
furchtsvoll meditierend: „Der Allvater, er ist heilig, unnahbar." 28 Auch
hier stehen den zufälligen Anlässen, bei denen der Mensch einem gött-
lichen Wesen begegnet, regelmäßige Anlässe, bei denen er dem Gott
seine Ehrfurcht und Anbetung erweist, gegenüber. Wenn der Tag
dämmert, gehen die Khoikhoi hinaus und beten, das Angesicht gegen
Osten gekehrt: „0 Tsui-goa! (Himmelsgott, Allvater)."29 Und die
Ana-Leute in Atakpame treten jeden Tag ehrerbietig vor den heiligen
Stab des höchsten Gottes, in dem dieser Gebete und Opfer entgegen-
nimmt, knien nieder, berühren mit der Stirne, dann mit dem Kinn
III. Form des Gebete 47
den Boden, klatschen in die Hände und sprechen : „Guten Morgen heute,
Vater!"30 Gewiß dient der Gruß häufig als die höfliche Einleitung
einer Bitte an den Gott, in diesen Fällen aber steht er völlig selbständig,
als eine feierliche, andachtsvolle Anbetung. Noch in der Volksreligion
der hellenistisch-römischen Welt lebt die fromme Sitte, beim Vorüber-
gehen an einem Heiligtum anbetend einige Augenblicke stille zu stehen.
Apulejus erzählt uns: „Fromme Wanderer verweilten, wo sie auf ihrem
Wege einen heiligen Hain antrafen oder einen blumenbekränzten Altar,
eine laubumschattete Höhle, eine mit Hörnern behängte Eiche, eine
mit Fellen geschmückte Buche, einen eingehegten Hügel, einen mit
der Axt zum Bilde behauenen Baumstumpf, einen von Opferspenden
dampfenden Rasen, einen mit Wohlgerüchen beträufelten Stein." 31
Der Mystiker versenkt sich in eine unsinnliche, geistige Welt, des primi-
tiven Menschen Kontemplation klammert sich an ein sinnliches Objekt.
Aber wenn wir den Herztönen dieser naiven Beter lauschen könnten,
so würden wir dasselbe wonne- und schaudervolle Erlebnis des ,Heiligen',
des ,summum bonum' entdecken, an dem die Seele des Mystikers sich
entzückt.
7. Auch jene andere Form des mystischen Betens scheint schon in der
primitiven Religion keimhaft vorhanden zu sein: der enthusiastisch-
ekstatische Lobpreis. Die Ekstase ist sowohl als Erlebnis einzelner
physiologisch abnormer Individuen wie als Massenepidemie in der primi-
tiven und antiken Welt nichts Seltenes ; die Mystik hat sie nur aus dem
physischen Rausch, der durch allerhand Narkotika hervorgerufen wird,
zu dem sublimsten geistigen Erlebnis erhoben, zu der Erfahrung von
der Identität des reinen, weltabgeschiedenen Ich mit dem Unendlichen,
Ewigen. Aber die religiöse Deutung ist hier wie dort dieselbe: Ekstase
heißt Heraustreten aus dem gewöhnlichen Leibesleben und* Besessen-,
Erfüllt-, Verschlungenwerden von einem Übermenschlichen, Gött-
lichen. Darum können auch die lauten Rufe, in denen ekstatische
Gottbegeisterung sich kundgibt, Gebets- und Preisrufe an die Gottheit
sein. Es scheint, daß die kurzen Schlußrufe antiker Hymnen ursprüng-
lich ekstatische Jubelruf e waren : das triumpe römischer Gebete 32,
das hailly altmexikanischer Hymnen 33, der Refrain des altgriechischen
Dionysosliedes ä'Zie tccvqe 34. Auch das tul-tul-Kxxien beim skandi-
navischen Julfeste gehört wahrscheinlich in diesen Zusammenhang.
So dürfen wir auch den ekstatischen Enthusiasmus zu den Gebets-
motiven rechnen, obgleich naturgemäß entzückte Begeisterung und
ehrfürchtige Scheu viel seltener zur Gebetsaussprache treiben als Not
und Dankbarkeit.
III. Form des Gebets.
1. Rudimente einer vorhistorischen Form der Anrufung, die in eine
Zeit zurückreichen dürften, in der die menschliche Sprache noch un-
entwickelt war, sind die reinen Naturlaute des Schnalzens, Pfeif ens
und Brüllens, die sich in manchen antiken Kulten und primitiven
Gebetssitten konserviert haben. Im Verkehr mit den Tieren ist Schnalzen
und Pfeifen noch heute eine übliche Verständigungsform. Wenn bei
48 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
den Batak das Opfer an den ,tondi' (Lebensgeist) fertig ist, schnalzt
der Familienvater mit der Zunge, um ihn herbeizurufen und spricht
dann sein Gebet 1. Noch im 5. Jahrhundert ist in Griechenland der
Homzvofiög nachweisbar: er dient im Volksglauben dazu, um die
Blitzgottheit gnädig zu stimmen. In den Wespen des Aristophanes
spricht Zeus: „wenn ich blitze, dann schnalzen sie" (626). Plinius be-
zeichnet es als übereinstimmenden Brauch der Völker „die Blitze durch
Schnalzen anzubeten" (hist. nat. 28, 25). Bei den afrikanischen Duala
beginnt der Beter mit einem langgezogenen Pfiff, damit der Gott auf
ihn aufmerksam werde, und nach jedem Satz wird der Pfiff wiederholt,
„damit er nicht wieder einschlafe" 2. Das Gebet der Ostjaken besteht
nach der Aussage eines Reisenden in einem Pfeifen, „so wie man einem
Hunde pfeift" 3. In den Kultbräuchen des hellenistischen Synkretismus,
in denen Uraltes wieder neu auflebt, ist der nonnvcfiög und ovQio/iög
bezeugt, so in der berühmten, von Dieterich entdeckten Mithrasliturgie 4.
Auch der wort- und formlose Schrei an die Gottheit, der zweifellos eine
Urform des Gebets darstellt, findet sich bei heutigen Naturvölkern.
Wenn bei den Ewe (Westafrika) eine Seuche ausbricht, erheben sie
ein klägliches Geschrei, daß die trowo (Geister) sie retten mögen, ohne
daß ein eigentliches Gebet gesprochen wird 5. Auch die ölolvyfj der zu
Athene betenden Frauen in der Illias ist ein solch formloses, durch-
einanderwogendes Rufen 6.
2. Das aus Affekten und Wünschen hervorquellende Gebet ist ursprüng-
lich ein freier Herzenserguß, ein unmittelbarer Ausdruck der seelischen
Erregung. Die Gebets worte sind darum gänzlich ungebunden,
nicht formelhaft, nicht prämeditiert, sondern improvisiert. Der Beter
übernimmt, entlehnt seine Worte nicht anderen, sie bieten sich ihm
ganz von selbst dar, er redet aus dem Herzen, in impulsiven eigenen
Worten, ganz entsprechend der augenblicklichen Situation und den
konkreten Umständen. Marc Aurel spricht treffend im Hinblick auf
das Gebet der alten Athener von einem unlibg aal itev&EQCog eßzeoüai
(„schlichten und freien Beten" V 7). So ist das Gebet eine freie Schöp-
fung des Augenblicks, aber ein selbständiger, schöpferischer Akt des
Betenden. Bei keinem Stamm auf der Erde dürfte dieses freie, unmittel-
bar aus dem Affekt geborene Gebet fehlen ; bei den kulturell am tiefsten
stehenden Völkern, manchen Pygmäen- und Pygmoidenstämmen,
scheint es noch heute die einzige Form des Betens überhaupt zu sein.
S k e a t bezeugt von den pygmoiden Ureinwohnern der malaiischen
Halbinsel, daß sie, von wenigen Ausnahmen abgesehen, noch nicht die
Stufe „feststehender Gebetsformeln" erreicht haben; „der Bittsteller
begnügt sich gewöhnlich damit, seinen Wunsch in Sätzen der gewöhn-
lichen Umgangssprache (quasi-conversational phrase) den großen Gott-
heiten seines Stammes auszusprechen." 7 Es ist darum völlig richtig,
wenn P. Wilhelm Schmidt von den Pygmäenvölkern schreibt :
„In der Religion sind feststehende äußere Formen und Formeln noch
wenig entwickelt. Das religiöse Leben scheint sich vielmehr bis zu
einem gewissen Grade regel- und formlos zu äußern, oder vielmehr die
Form seines Ausdruckes wechselt nach Person, Zeit, Ort, Veranlassung
III. Form des Gebets 49
fast in demselben Umfang wie die spontanen Äußerungen des sonstigen
Geistes- und Gemütslebens, von dem es noch nicht durch besondere
Schranken als eine eigene Abteilung desselben allseitig abgegrenzt ist." 8
Überall dort, wo uns Ethnographen berichten, daß sie keinerlei Spuren
von Gottesdienst, Gebet und religiösen Vorstellungen gefunden hätten,
dürfen wir vermuten, daß sich das gesamte religiöse Leben noch in
einem formlosen, präliturgischen Zustand befindet und deshalb der Be-
obachtung schwer zugänglich ist. Alles ist eben „unter dem Einfluß des
stets, und bei diesen Kindheitsvölkern mehr noch als bei anderen,
wechselnden Affekts zurückgehalten" 9. Auch bei zahllosen höher ent-
wickelten Stämmen ist das freie Beten neben dem irgendwie fest ge-
wordenen rituellen ausdrücklich bezeugt 10; gerade jene höchsten Wesen,
die keinen organisierten Kult besitzen : die Urväter, Himmels- und
Schöpfergottheiten werden in Zeiten der Not in freien Gebetsworten
angerufen. (S. u. S. 118 ff.) Eine wertvolle Parallele zu dem freien
Beten der Primitiven bieten ihre Arbeitsgesänge, die keineswegs stets an
traditionelle feste Formen gebunden sind. Sibree schreibt von den
Hova auf Madagaskar: „Die Ruderer vertreiben sich häufig die Zeit mit
dem Gesang ihrer Kanulieder, in denen einer von ihnen meist ein im-
provisiertes Rezitativ vorträgt, das sichnichtseltenauf Erlebtes bezieht."11
Auch die Totenklage wird bei manchen Stämmen, wie bei südameri-
kanischen Indianervölkern improvisiert 12.
Das völlig freie Beten ist nie in der Geschichte der Religion völlig
erstorben: auch durch die Bildung fester gottesdienstlicher Formen
konnte es nicht verdrängt werden. Bei manchen primitiven Stämmen
werden zwar die ungebundenen, individuellen Gebetsrufe an höhere
Wesen nicht zu der Stammesreligion, d. h. zu den heiligen sozialen
Riten, den festgeregelten sakralen Einrichtungen gerechnet 13, aber
diese Tatsache beweist, daß das gebundene, reguläre Kultwesen den
religiösen Instinkten nicht genügt. Die Mannigfaltigkeit individueller
Nöte und Bedürfnisse sorgte dafür, daß selbst in den großen antiken
Ritual- und Priesterreligionen Ritualformel und Kulthymnus das freie
Gebet nicht völlig verschlingen konnten. Gerade deshalb, weil hier
das Beten zur Amtssache des Priesters geworden war, trieb die tiefe
persönliche Not den Einzelnen immer wieder dazu, auf eigene Faust
und völlig selbständig sich an die Gottheit zu wenden. Zumal im Gelübde
hat sich — entsprechend dem stets wechselnden Opfergegenstand —
das freie Beten in seiner ursprünglichen Ungebundenheit erhalten.
Noch heute pflegt der naive Mensch in seinen eigensten Angelegen-
heiten und Nöten, in Krankheit, Angst um Gatten und Kinder, Ge-
witter und Lebensgefahr, Wasser- und Feuernot nicht ein Vaterunser
oder ein anderes eingelerntes Gebet zu sprechen, sondern in freien,
leidenschaftlichen Worten zu Gott und den lieben Heiligen zu flehen 14.
Durch die regelmäßige Wiederkehr der Gebetsanlässe bildet sich all-
mählich ein Schemades Gebets aus : die formalen Umrisse, die
Aufeinanderfolge der Gedanken, bestimmte Redewendungen verfestigen
sich ; der Wortlaut freilich variiert den augenblicklichen Sonderumstän-
den gemäß. Das Gebet, „dessen Ausdrucksweise anfangs ebenso frei
Das Gebot 4
50 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
und biegsam war wie etwa die Bitte an einen lebenden Patriarchen und
Häuptling" (Tylor) 15, beginnt sich zu verhärten, tritt in den Prozeß
der Liturgisierung und Ritualisierung ein. Man kann hier von einem
halbfreien oder halbstarren, labilen, variablen Gebet
reden 16. Ein formelhaftes Schema des Gelübdes bei den heutigen
Syriern lautet: „Ich brauche das und das, und wenn du mir das tust,
dann will ich dir ein Opfer bringen." 17 Die meisten Gebete primitiver
Stämme, die in gemeinsamen Anliegen gesprochen werden, gehören
dieser Zwischenform an.
Die fortschreitende Verhärtung des gesamten Kultuswesens führt
schließlich zur völligen Erstarrung der ursprünglich freien Gebetsworte
in einer fixierten, stereotypen Gebetsformel, deren Wort-
laut sakrosankt ist (s. u. S. 150 ff.).
Das Moment der Spontaneität und Affektivität schließt die Gebunden-
heit des Ausdrucks und der Rede nicht durchweg aus. Häufig greift ein
Mensch in der Not ganz unbewußt und unbeabsichtigt zu einer formel-
haften Gebetsrede oder besser: die Formel bietet sich ihm selbst dar;
er schüttet in ihr seinen Affekt aus. Die feste, unpersönliche Formel
wird hier von persönlichem Leben erfüllt. Gerade die kurzen Stoß-
gebetlein: „Hilf mir! Erhöre mich! Erbarme dich meiner!" sind fest-
stehende, formelhafte Redensarten — und quellen doch aus der Tiefe
der Seele. Die Scheltnamen und Verwünschungen, mit denen ein in
Zorn Geratener seine Nebenmenschen überschüttet, sind ja auch zumeist
abgegriffene Wendungen, obgleich der affektive Charakter unzweifelhaft
ist. Der Affekt oder Wunsch assoziiert aus dem gedächtnismäßig vor-
handenen Wort- und Formelschatz bestimmte Reden und entlädt sich
in ihnen ganz unwillkürlich. Dieselbe Verbindung von affektiver Spon-
taneität und konventioneller Gebundenheit zeigt das ganze Ausdrucks-
leben, Gestus und Mimik des Menschen. Ja selbst regelmäßige Gebete,
die eine traditionelle, unantastbare Form besitzen, brauchen deshalb
nicht der Gefühlsbetontheit oder des Affektcharakters zu entbehren.
Die altertümlichen Gebete, welche die Kekchiindianer bei bestimmten
Anlässen verrichten, wurden mit einer Andacht, Innigkeit und Herzlich-
keit gesprochen, die den europäischen Gewährsmann in Staunen ver-
setzte 18.
3. Die ursprünglichen Gebete sind als elementarer Ausdruck von
Affekten durch gedrungene Knappheit und kraftvolle Kürze aus-
gezeichnet. Sie enthalten nur die Anrufung der Gottheit und eine
klagende Frage, einen kurzen Hilferuf oder eine schlichte Bitte. Das
erste Gebet in Worten war darum zweifellos ein erschütternder Angst-
schrei an ein höheres Wesen.
„Hilf uns, Paia Njambe!" rufen die westafrikanischen Stämme zum Urvater
iu Not und Gefahr 19. Die Katchins in Birma schreien in der Not zum höchsten
Gott: „Karai Kasang, blicke auf mich!" „Karai Kasang, hilf mir!" „Karai
Kasang, rette mich!" Wer eines Vergehens beschuldigt wird, ruft: „O Karai
Kasang! Schau doch! O Karai Kasang, ich lüge nicht! O Karai Kasang, ich
stehle nicht! O Karai Kasang, ich bin unschuldig." 20 Das Schwurgebet der
Xosakaffern lautet: „Tixo (Urvater), hilf mir!" oder besteht gar nur aus der
Aussprache des Gottesnamens. Wenn sie durch einen Fluß gehen, werfen sie
III. Form des Gebets 51
einen Stein hinein und bitten: ,,Fluß, friß mich nicht!" 21 „Hör auf!" rufen die
vom Unwetter geängstigten Semang zum Himmelsgott Kari empor 22, „O Gott
Perkun, verschone uns!" beteten die alten Preußen beim Gewitter 23. Wenn es
bei den südafrikanischen Baronga donnert, schickt man die Kinder hinaus und
läßt sie zum Himmelsgott Tilo beten: „Geh fort! Belästige uns nicht! Wir sind
besorgt. Geh und brülle weit weg!" 2* Ein Bantustamm betet: „Gott, gib uns
Regen, gib uns Regen und zürne uns nicht weiter!" 25 Die alten Athener flehten:
fioov icrov, <L <fiks Zev, xarä rag ägovQCtg rag xdv 'Ad-rjvaccov („Laß regnen, regnen,
lieber Zeus, auf die Fluren der Athener") 26. „Vater Sonnengeist, sende deine
Sonne auf uns nieder" beten die afrikanischen Kiziba 27; der Refrain eines
athenischen Kinderliedes, in dem ein altes Gebet fortlebt, lautet: „Komm ferner-
hin, liebe Sonne!" (£?«£■, Co (flk' i}Xie)28 Die Mysten der eleusinischen Mysterien
sprachen folgenden uralten Spruch: „i>E xve", „Regne, empfange!" Dabei blickten
sie beim ersten Wort zum Himmel, beim zweiten zur Erde 29. „Komm, Reis-
mutter, ach komm ins Feld!" 30 bitten die Karenen in Birma und zu Demeter
sang man in Hellas bei der Ernte: „Schick uns dicke Garben, Garben schick
uns!" (nXsZaiov oMov ovXov Zei tovXov lei) 31 „Guter Geist, gib Büffel, Büffel,
Büffel, dicke Büffel, gib uns, guter Geist!" ist ein Indianerwunsch32; und die Hotten-
totten beten zum Urvater Heitsi-Eibib, wenn sie an seinem Grab vorübergehen:
„Heitsi-Eibib, gib uns viel Vieh!" 33 „Leute vom Haus, Kinder!" rufen die
Amazulu zu den Ahnen 3*. ..Mars vigila!" lautet in lakonischer Kürze die
Mahnung des ins Feld ziehenden römischen Heerführeis an den Schlachtengott 35.
Diese kurzen Gebetsrufe werden bisweilen ein einziges Mal ausge-
sprochen, zumeist aber zweimal und noch öfter in derselben Fassung,
in einem natürlichen Rhythmus wiederholt. Der Affekt entlädt sich
nicht in einer einmaligen Aussprache der Bitte, sondern erst nach mehr-
maliger Wiederholung. Das Gebet des Euahlayi-Medizinmannes an
den Urvater Baiame um langes Leben wird mehrmals flehentlich
gesprochen 36. Die Gebete der Ana in Atakpame an das höchste Wesen
Buku werden oft mehrmals mit denselben Worten wiederholt 37. Das
Gebet um Regen wiederholt die Priesterin der Magandscha so lange,
bis die Opferzeremonie vollendet ist 38.
Ursprünglich bestand das Gebet nur in der Anrufung und dem Hilfe-
ruf oder der Bitte, die in derselben Form wiederholt wurde; im Augen-
blicke der höchsten Not vollzieht sich die Urschöpfung des Gebets
immer wieder in dieser Weise. In den meisten Fällen jedoch wird die
Bitte mehrfach variiert und umrahmt von allerhand Redensarten und
Hinweisen, welche die Gottheit zur Erhörung geneigt machen sollen.
So wird durch die Wiederholung und Begründung aus dem kurzen
Gebetsruf ein breites Gebetsgespräch, das bisweilen eine
ermüdende Weitschweifigkeit zeigt. Die paar Gedanken, die sich in
zwei oder drei Sätzen aussprechen ließen, werden immer wieder mit
geringen formellen Variationen wiederholt. Die von Ethnographen
wiedergegebenen bündigen Gebete sind oft bloße Auszüge, in Wirklich-
keit sind die Gebete viel länger und breiter. Das folgende Gebet eines
Kikuyuhäuptlings (Ostafrika) für den Ethnographen Routledge und
seine Gattin, das phonographisch aufgenommen wurde, darf als typisches
Paradigma für die Form primitiven Betens gelten :
..O Gott, nimm dieses Opfer an. denn der weiße Mann ist zu meiner Heim-
stätte gekommen. Wenn der weiße Mann krank wird, so laß weder ihn noch seine
Frau sehr krank werden. Der weiße Mann ist aus seiner Heimat über das Wasser
zw uns gekommen; er ist ein guter Mann; er behandelt die Leute gut, die für ihn
arbeiten; laß sie nicht mit ihm streiten. Wenn der weiße Mann und seine Fraxi
52 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
krank wird, so laß sie nicht sehr krank werden, denn ich und der weiße Mann
haben uns vereinigt, dir zu opfern. Laß sie nicht sterben, denn wir opfern dir
einen sehr fetten Bock. Der weiße Mann ist aus der Ferne zu uns gekommen,
und nun hat er ein Übereinkommen mit mir getroffen, dir zu opfern. Wohin er
auch immer geht, laß ihn nicht sehr krank werden, denn er ist gut und ist auch
außerordentlich wohlhabend, und ich bin auch gut und reich und ich und der
weiße Mann, wir stehen uns so nahe, als wären wir von einer Mutter. Gott, wir
haben ein großes Schaf für dich bestimmt ; der weiße Mann und seine Frau und
ich und mein Volk, wir werden dir an dem Stamm eines Baumes ein Schaf opfern
— ein sehr wertvolles Schaf. Laß mich nicht sehr krank werden, denn ich habe'
ihn gelehrt, dir zu opfern, als wenn er ein richtiger Mkikuyu wäre." 39
In einem eigentümlichen Rhythmus wiederholt und variiert ein Algonkin- Gebet
dieselben Worte. Das Gebet wurde von den alten Männern eines Dorfes an P.
Allouez gerichtet, den die Indianer (die nie einen Weißen gesehen hatten) als
Manitu d. i. ein göttliches Wesen betrachteten: „Fürwahr, das ist gut, Schwarz-
kleid, daß du uns besuchst. Habe Mitleid mit uns ! Du bist ein Manitu, wir geben
dir zu rauchen. — Die Neudovessies und Irokesen verschlingen uns. Hab Mitleid
mit uns! — Wir sind oft krank: unsere Kinder sterben, wir sind hungrig. Hab
Mitleid mit uns! Höre mich, o Manitu. Ich gebe dir zu rauchen. — Möge die Erde
uns Korn bringen; mögen die Flüsse uns Fische geben; möge uns keine Krankheit
treffen; möge uns kein Hunger quälen! Höre uns, o Manitu, wir geben dir zu
rauchen." 40 Das Gebet der Cora-Indianer an den Flußgott variiert immer von
neuem die paar Gedanken: „Hier komme ich, Tschakan, du fügst mir Schaden zu.
Hier bringe ich dir etwas, damit bitte ich, du mögest mir nicht schaden. Hier ist
Pinole und gesponnene Baumwolle, das gebe ich dir. Hier hat euch Gott, unser
Vater, unsere Mutter und unser älterer Bruder gelassen. Das tat er. Dies bringe
ich dir hier, damit du mir nicht Schaden zufügest. Möchten die Haustiere gut
trinken, ohne daß du ihnen schadest. So sei es. Hier übergebe ich es dir ; nimm
es in Empfang. Mit dieser (Opfergabe) bitte ich darum. So sei es. Wenn du
hier existierst, so weiß ich doch nichts von dir, du aber hörst mich gut. Ich bitte
dich, du möchtest mir nicht irgendwie schaden. Als Entgelt für diese (Opfer-
gabe) verschone mich, wenn du mich nicht erhören willst. So sei es. Hier lege
ich es dir zusammen. Mit dieser Gabe bin ich hergekommen." 41
In Mkulwe (Ostafrika) wird das „Gebetszwiegespräch" mit Gott und
den Ahnen häufig in die Länge gezogen 42. Das Gebet, das ein Indianer-
häuptling beim Antritt einer Seefahrt sprach, dauerte nach der Schätzung
des Beobachters fünf bis zehn Minuten 43. Die Baronga haben sogar ein
eigenes Wort (bukutjela) für ein langes, ,sich hinschlängelndes' Gebet,
in dem der Offiziant immer wieder das gleiche sagt 44. Weil das Beten
des Primitiven der getreue Reflex des sozialen Verkehrs ist, darum ent-
spricht auch die Breite und häufige Wiederholung in der Gebetsrede
genau seiner Gewohnheit im Alltagsleben. „Bis tief in die Nacht hinein
pflegt in den Dörfern südamerikanischer Indianer oder der Neger das
herzerfreuende Geschwätz zu dauern, dessen geistiger Inhalt und Gewinn
sich vielleicht in ein paar kurzen Sätzen genügend darstellen ließe."
Dieselbe Beobachtung können wir machen, wenn wir die Briefe schlichter
Leute vom Lande lesen (von Eltern an ihre fernen Kinder, von Soldaten
an ihre Frauen und Eltern in der Heimat): eine stete Wiederholung
eines und desselben Inhalts. „Hier muß etwas wirksam sein, das die
Mühe des Sprechens reichlich aufwiegt, es muß durch das Reden etwas
erreicht werden, was ein Gefühl innerer Befriedigung erzeugt: das Reden
dient zur Herstellung des Gemeinsamkeitsgefühls" (Schurtz) 45.
Im Gebet des Kikuyuhäuptlings ist das ,Viele-Worte-machen' noch
ein völlig naives, ungekünsteltes Plaudern, frei von aller Phrase, im
IV. Die Person des Beters 53
anspruchslosen, schlichten Konversationsstil. Auch der Bilderreichtum
und die reizvolle Poesie mancher primitiver Gebete ist kein Symptom
mangelnder Naivität und beweist keineswegs, daß diese Gebete das Pro-
dukt bewußt schaffender Dichtkunst sind ; es beruht vielmehr auf einer
Lebendigkeit der Phantasie, wie sie gerade höher entwickelten Natur-
völkern wie den Indianern und Bantu eigen ist. „Der Geist der Bantu-
völker", schreibt Missionar Junod, „zeichnet sich durch die Lebendig-
keit der Phantasie und durch große Feinheit aus, mit der Ähnlichkeiten
zwischen den Dingen aufgefaßt werden. Der Neger spricht sehr gern
in Bildern. Nichts Seltsameres gibt es, als den Ansprachen der einge-
borenen (christianisierten) Prediger zuzuhören, die den pittoresken Zug
ihrer Umgangssprache treu bewahren." 46 Es gibt jedoch auch niedere
Stämme, die im sozialen Verkehr mit den gesellschaftlich höher Stehen-
den bewußt die Phrase kultivieren. „Kein Batak", erzählt Missionar
Warneck, „sagt klipp und klar, was er haben will, sondern man häuft
schöne Worte. Es würde vielfach unhöflich sein, wenn man diese phrasen-
hafte Umrahmung, die uns Europäer so schal und überflüssig dünkt,
weglassen wollte." Beim Opfergebet nimmt darum die Phrase den-
selben breiten Raum ein, „wie bei jeder Bitte, die man einem Häuptling
vorträgt." „Die Götter beanspruchen dieselbe wortreiche, in wohl-
gestellte und sorgfältig auswendig gelernte Redensarten eingeklammerte
Rede Übung wie jeder angesehene Mann. Je länger die Gebetsformel,
um so größere Ehre dem, an den sie adressiert ist. Darum sucht man
bei einem gemeinsamen Opfer denjenigen als Beter aus, der am ge-
schicktesten die Worte zu setzen und sie mit schönen Redensarten und
sprichwörtlichen Wendungen und Gleichnissen geschmackvoll zu ver-
zieren vermag. ,Denn die, denen man opfert, lieben ein langes Gebet.'
Man würde sie beleidigen, wenn man kurz und bündig sein Anliegen
vorbringen würde. Darum zieht der Zauberer sein Gebet möglichst
in die Länge, bisweilen fast einen halben Tag: ,Denn sie meinen,
sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen.' " 47 Hier droht die
rhetorische, künstliche Komposition das naive Beten zu ersticken,
obgleich es, wie die Gebete der Batak zeigen, noch nicht völlig ver-
drängt ist. Hier ist das Gebet auf dem Wege, aus der schlichten Aus-
sprache zum absichtlichen Werk zu werden. Ihre Vollendung erlangt
die Rhetorik, die Prunkhaftigkeit und Breite des Stils in den antiken
Prosaritualgebeten und Kulthymnen, die bewußte literarische Elaborate
der Priester sind.
IV. Die Person des Beters.
Individuum und Gesellschaft im primitiven Gebet.
1. Die zum Gebet drängende Not ist innerhalb der primitiven Welt
zumeist nicht die Not eines Einzelnen, sondern einer ganzen Gruppe;
darum betet zumeist nicht ein Individuum, sondern eine Gesamtheit
von sozial verbundenen Individuen: die Familie, die den engsten und
ursprünglichen gesellschaftlichen Verband darstellt, die Sippschaft,
die Dorfgemeinde, der Stamm, der Clan, der Männerbund. Die älteste
Form des kollektiven Gebets ist zweifellos in dem chaotisch
54 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
durcheinanderwogenden Rufen einer Gruppe von Menschen zu suchen,
das in Augenblicken höchster gemeinsamer Not spontan sich erhebt.
Diese Form des gemeinsamen Gebets, das chaotischeMassen-
gebet, findet sich bei den heutigen Naturvölkern äußerst selten l.
Wie im profanen Verkehr mit fremden Stämmen und Machthabern, so
spricht auch im religiösen Verkehr mit den höheren Mächten eine Gruppe
von Menschen ihre gemeinsamen Wünsche und Anliegen durch den
Mund der Person aus, die ihren Mittelpunkt bildet. Die anderen Glieder
des gesellschaftlichen Verbandes drücken iher Wünsche stumm durch
ihre Anwesenheit wie durch Gestus und Körperhaltung aus. In den
Angelegenheiten der Familie betet der Familienvater2. In der
ostafrikanischen Landschaft Mkulwe ist es sogar ausschließlich das
Recht des Familienoberhauptes, sowohl in seinen eigenen Angelegen-
heiten, wie auch in denen seiner ganzen Familie oder einzelner Glieder
derselben Gebete zu sprechen 3. Im Namen der Dorfgemeinde oder des
Stammes betet der Dorf- und Stammes h äuptling. Diese sozio-
logische Form des Gebets ist die allerhäufigste bei den kulturarmen
Völkern 4. Bei Stämmen, die nicht monarchisch, sondern oligarchisch
organisiert sind, betet einer der Ältesten 5. Wo die religiösen Funktionen
in den Händen besonderer Priester liegen, betet der Priester im
Namen und Auftrag der Gesamtheit. Bei den Weddapygmäen auf
Ceylon befindet sich in jeder Gemeinde ein Mann (Schamane), der die
erforderliche Macht und Kenntnis hat, die Totengeister anzurufen 6.
Bei den Katchin in Birma betet gewöhnlich der Priester für alle, für
Häuptlinge und das ganze Volk 7. Bei den ostafrikanischen Ewe werden
die Gebete in gemeinsamer Angelegenheit stets von den Priestern der
betreffenden Gottheit verrichtet 8. In der Ilias (I 94; V 75) heißt der
Priester schlechthin äQf]TtjQ (, Beter'). Das stellvertretende Gebet des
Amtspriesters für eine soziale Gemeinschaft ist jedoch viel jünger als
das des Familien-, Dorf- oder Stammesoberhauptes. Der Vollzug der
kultischen Handlungen durch professionelle Priester setzt bereits eine
gewisse Loslösung der Religion von dem profanen Leben voraus; wie
der Zauberer die magischen Funktionen des Familienvaters und Häupt-
lings, so übernahm der Priester die religiösen Funktionen : die des Opfers
und Gebets. Dieser Übergang des gesamten Kults in die Hände von
Berufspriestern bedingt eine starke Bindung des religiösen Lebens
und eine Zurückdrängung des freien Verkehrs mit der Gottheit.
Die bevorrechteten Personen, welche stellvertretend im Namen einer
Gruppe beten, sind fast ausschließlich Männer. Nur bei wenigen,
zweifellos mutterrechtlich organisierten, Stämmen (z. B. bei den afri-
kanischen Magandscha) treten Frauen (hier die Schwester des Häupt-
lings) als Vorbeterinnen auf 9. Bei manchen Völkern ist sogar den
Frauen jede Teilnahme an religiösen Riten verboten, so bei den Mela-
nesiern und den Ainu in Japan 10. Bei anderen wie bei den Galla be-
sitzen die Frauen gesonderte Gebetsformulare u. In der griechischen
und römischen Religion galt im allgemeinen die Regel (welche freilich
auch von Ausnahmen durchbrochen wurde), daß der Gott einen Priester,
die Göttin eine Priesterin verlangte 12.
IV. Die Ferson des Beters (Kollektivgebet) 55
Während der Häuptling oder Priester das allgemeine Anliegen dem
Gotte vorträgt, lauschen die Anwesenden seinen Gebetsworten mit an-
dächtigem Schweigen. Missionar Merensky erzählt von einer Gebets-
versammlung der Konde am Nyassasee: „Es herrschte Totenstille;
man hätte gehört, wie ein Blatt zur Erde fiel 13." Bei manchen Stämmen
schickt der Beter seinen Worten sogar die ausdrückliche Aufforderung
zum Schweigen voraus. Wie der römische Priester seine Ritualhandlung
mit einem „favete Unguis" eröffnete 14, so spricht der Kaffernhäuptling
bei Beginn der Opferhandlung: ,, Alles sei still!" 15 Aber nicht nur mit
andachtsvollem Schweigen und mit ehrfürchtigen Gesten nimmt die
Gemeinde am Gebet ihres Oberhauptes oder Priesters Anteil, sie betet
selbst, indem sie die Schlußworte des Vorbeters in einem gemeinsamen
chorischenResponsorium aufnimmt oder den Gebetsworten
mit einer formelhaften, zustimmenden Redewendung antwortet. Der
Wechsel von Gebet und Responsorium, von Beter und Gemeinde, wie
ihn die jüdische und christliche Liturgie zeigt, ist schon eine Eigen-
tümlichkeit des primitiven Betens. Dieser Wechsel von Einzelrede
und Massenrede findet jedoch nicht nur im Gebet, sondern auch im
profanen Leben statt. Bei der Totenklage der südamerikanischen
Betoyes beginnt die Witwe oder der Witwer den Klagegesang: „Wir
sind unglücklich! Er ist tot! Wir sind unglücklich!" Alle Anwesenden
wiederholen dieselben Worte im selben Ton 16. Bei den Volksversamm-
lungen am unteren Kongo ist es üblich, daß der jedesmalige Redner
einen Satz bis zum letzten Wort vollendet und dann innehält ; das letzte
Wort muß von der aufmerksam lauschenden Zuhörerschaft erraten und
im Chor nachgesprochen werden 17.
Bei den Ruanda betet der Familienvater zum Heilbringer Ryangombe, die
andern wiederholen denselben Spruch gemeinsam 18. Bei den Magandscha betet
die Priesterin: „Höre du, o Mpambi, und sende uns Regen!" Das Volk antwortet
mit leisem Klatschen und singendem Ton: „Höre, o Mpambi!" 19 Bei den
Opfern der Amazulu eröffnet der Häuptling sein Gebet mit den Worten: ..All
Heil, Geister unseres Stammes" und alle Anwesenden respondieren: „All Heil!" 20
Beim Opfergebet, das eine Gallajungfrau spricht, wird von den Zuhörern der
Refrain gesprochen: „Ich bringe dir ein Opfer dar, o Gorobba, beschütze deine
Dienerin!" R. „Beschütze sie!" „Laß mich gesund leben im Schöße meiner
Familie und laß mich lang leben!" R. „Laß sie lange leben !" 21 Auch in Griechen-
land läßt sich eine ähnliche Sitte aufweisen. Ein Gebet des Tempeldieners in
den Mimiamben des Herondas (IV 85) schließt mit den Worten: lij h), ITairjov, u>de
zavz' etrj : („o, o Heilandgott! so mög' es sein!"); der Chor der Umstehenden nimmt
dieses Schlußwort auf: eitj ydg („so sei es denn!") ". Bei den Kikuyu antwortete
die Gesamtheit dem Betenden in Intervallen: Nga-na (Amen) und Sa-i (höre,
höre!). Routledge fügt bei: „die Versammlung glich in dieser Hinsicht
völlig einer Gebetsversammlung von Dissenters." 23 Bei den Flußnegern Kameruns
antwortet der Chor den betenden Häuptlingen mit dem kurzen Ruf woa 2i. Das
hebräische Volk ruft am Schlüsse des Gebets seines Herrschers oder Führers :
„Amen" d. h. wahrlich, gewiß, um die Bestätigung und Zustimmung zu seinen
Worten auszudrücken 25. Bei den Algonkin besteht das gemeinsame Respon-
sorium nur in einem beifälligen Murmeln, mit dem die Anwesenden die Worte
des redenden Ältesten begleiten 26.
Während die kurzen chorischen Responsorien fast stets formelhaft
gebunden sind, sind die Worte, welche der Familienvater oder Häupt-
ling spricht, oft improvisiert und frei. In ähnlicher Weise wechselt ja
56 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
auch in den Arbeitsgesängen mancher Stämme ein improvisierter Text
mit einem traditionellen, stereotypen Refrain 27.
Relativ selten findet sich bei primitiven Stämmen das von einem
Chor gemeinsam gesprochene Gebet, das stets eine feste
und unveränderliche Form voraussetzt. Solche Gemeindegebete werden
zumeist im Rhythmus gesungen 28. Es ist möglich, daß der Gesang,
dem ja der primitive Mensch eine geheimnisvolle Zauberkraft zuschreibt,
in manchen Fällen aus magischen Motiven beim Gebet angewendet
wurde. Zumeist aber dient das Singen der Gebetsworte einem prak-
tischen Zwecke: es will einen regelmäßigen, geordneten Vortrag der
Gebetsworte durch eine Gruppe von Menschen ermöglichen.
2. Das individuelle Gebet, das ein einzelner Mensch in seiner
eigenen, persönlichen Not spricht, tritt bei primitiven Stämmen hinter
dem kollektiven zurück, aber fehlt fast nirgends. Wer von einem Ge-
wittersturm überrascht wird, wer in Lebensgefahr schwebt, wer be-
schuldigt wird, wer von Krankheit gequält wird, schickt leidenschaftliche
Rufe zu den hohen Wesen empor. Die schwangere Frau betet um glück-
liche Entbindung, die Kinderlose fleht um Kindersegen, der Jüngling
heischt Rat in Heiratsangelegenheit. Wer allein auf die Jagd geht,
bittet für sich um Glück, wer eine Handelsreise antritt, betet um gute
Geschäfte. Wer an einem heiligen Orte vorübergeht, fleht um sein Heil
oder spricht ein paar Worte des Grußes. Wie der Einzelne in Not und
Angst in eigenem Interesse bittet, so dankt er auch für das Glück, das
ihm zuteil geworden, für Rettung aus Lebensgefahr, Erlangung von
Nahrung, reichen Gewinn. Der Individualismus des Betens geht bei
nordamerikanischen Indianerstämmen sogar so weit, daß der Einzelne
sich zum Gebet in die Einsamkeit zurückzieht. So entfernt sich der
Osage von seinem Lager oder seinen Genossen, wenn er sein Morgen-
gebet verrichtet 29. Die Omaha-Jünglinge suchen, ehe sie mannbar
werden, einsame Plätze auf, wo sie fasten und zu Wakanda schreien,
um seine Hilfe zu erlangen 30 — ,geistliche Exerzitien' bei einem primi-
tiven Volke. In den antiken Religionen, in denen in gemeinsamen
Angelegenheiten der Berufspriester oder Staatsbeamte betet, tritt das
Beten des Einzelnen in persönlichen Anliegen stärker hervor als bei den
Naturvölkern. Ein Grund hierfür ist auch darin zu suchen, daß die
sozialen Verbände, die Dorf- und Stammesgemeinden, sich stark er-
weitern und infolgedessen die gemeinsamen Interessen sich verringern.
Die typische Form des primitiven Kollektivgebets: die Gebetsver-
sammlung, in der der Häuptling das Wort führt und die Gemeinde
antwortet, verschwindet bei den antiken Kulturvölkern fast vollständig.
Die bevorrechteten Individuen treten nicht nur als stellver-
tretende Beter im Auftrag einer Gruppe auf, sondern auch im
Spezialauf trag eines Einzelnen in dessen persönlichen
Anliegen. So betet bei afrikanischen Stämmen der Häuptling im Namen
eines Kranken um dessen Gesundung 31. Aber auch den Schamanen,
Zaubardoktor, Medizinmann, betraut man mit dem Gebet; bei Bantra-
stämmen betet der ,Medizinmann' für ein neugeborenes Kind, für einen
Kranken wie für d^n, der auf Rsisen geht 32. Vor allem aber ist es der
IV. Die Person des Beters (Individuelles Gebet) 57
Opferpriester, den man mit dem Gebet in Privatangelegenheiten beauf-
tragt; er steht, in ständigem Verkehr mit der Gottheit, er ist ihr ge-
treuer Diener; weil er ihr näher steht als der gewöhnliche Mensch, der
Laie, kann er viel besser als letzterer auf sie einwirken und die Erfüllung
des Gebetswunsches erlangen. Wie beim gemeinsamen Gebet, so pflegt
auch hier der Bittsteller und Opferspender dem kultischen, aus Gebet
und Opfer bestehenden Akt des Priesters beizuwohnen. Bei den heutigen
Naturvölkern, die zumeist nur Zauberer und Wahrsager, aber keine
amtsmäßigen Opferpriester besitzen, ist diese Form des individuellen
Gebets selten. Sie findet sich vor allem bei den in religiöser Hinsicht
über das Durchschnittsniveau primitiver Religion hinausragenden
westafrikanischen Ewestämmen, bei denen die Priester sowohl den
Häuptlingen wie den Zauberdoktoren gegenüber eine völlig selbständige
Stellung einnehmen, ohne jedoch wie bei antiken Völkern kastenartig
organisiert zu sein. Bei den Ewe „bringt der Priester alle Anliegen im
Gebet vor den tro. Der ganze Verkehr der Eweer mit ihren Göttern
kann nur durch den Priester vermittelt werden. In jeder Lebenslage
kommt deswegen der Eweer einem hilflosen Kinde gleich zum Priester,
um durch ihn sein Anliegen vor den tro zu bringen" 33. Das Priester-
gebet und Priesteropfer im Sonderauftrag eines Einzelnen ist besonders
häufig in der altindischen Religion: der Brahmane vollzieht den kul-
tischen Akt, während der Auftraggeber, der „Herr des Opfers", seine
Gattin und Familie, präpariert durch asketische und kathartische
Handlungen, beim Opfer anwesend sind. Noch im heutigen Indien
richtet man nach dem Bericht des Missionars Roussel „individuelle
Gebete an die Gottheit nur durch Vermittlung der Brahmanen. Man
wohnt der Rezitation bei oder auch nicht, das ist einerlei; denn das
Gebet des Brahmanen ist das einzige, das von Gott erhört werden kann."34
In der Volksreligion aller Jahrhunderte wird der Priester als bevor-
rechteter Beter betrachtet; weil er im steten, unmittelbaren Kontakt
mit der Gottheit steht, besitzt sein Gebet eine ungleich höhere Kraft
als das der übrigen Menschen, die von ihm vollzogene Opferhandlung
ist viel wirksamer als die Opfergabe, die der Einzelne darbringt.
3. Eine Zwischenform zwischen dem Einzelgebet und dem
Kollektivgebet besteht darin, daß bei einem gemeinsamen kultischen
Anlaß die Einzelnen nacheinander ein Gebet sprechen. So treten bei
der geheimen Jünglingsweihe der Karesau-Insulaner die Männer der
Reihe nach heran und sprechen mit lauter Stimme eine Gebetsformel 35.
Bei einem zeremoniellen Biertrinken der Kikuyu steht einer nach
dem anderen zum Gebet auf, während die übrigen ihm respondieren 36.
Es erhebt sich nun das Problem, welcher Form des Gebets, dem
individuellen oder sozialen Gebet die Priorität zukommt. Die
heutigen Naturvölker weisen zumeist beide Formen neben einander auf,
wobei das gemeinsame Gebet immer die Tendenz offenbart, feste,
formelhafte Gestalt anzunehmen. Das individuelle Beten hingegen
behält zumeist auch dann seine ursprüngliche Ungebundenheit und
Elastizität, wenn das gemeinsame und das stellvertretende Beten längst
in der zeremoniösen Gebundenheit erstarrt ist. Die Prioritätsfrage ist
58 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
wie alle Ursprungsfragen nicht mit Sicherheit zu beantworten. Es ist
jedoch wahrscheinlich, daß das Gebet Einzelner in individuellen Nöten
älter ist als das völlig form- und regellose chaotische Gebet einer Gruppe37.
Auch das formlose Kollektivgebet geht letzten Endes auf ein betendes
Individuum zurück; denn es ist wohl stets ein Einzelner gewesen, der
zuerst einen Gebetsruf ausstieß, den dann die ganze Gruppe völlig
spontan und frei aufnahm und in wirrem Durcheinander wiederholte
oder auch variierte. In den gemeinsam gesprochenen Gebeten oder
Gebetsresponsorien leben diese ehedem freien Massenrufe in regulari-
sierter, fester Form fort.
V. Inhalt des Gebets.
Der hervorstechendste Zug des primitiven Gebets ist die Naivität,
das völlig unbefangene und ungehemmte Aussprechen alles dessen, was
sich in der Seele des Betenden regt, der Angst und Not ebenso wie des
Wunsches, der Zuversicht wie des Ärgers und Unmuts. L'Houet definiert
in seiner Psychologie des Bauerntums: „Naivität ist das unbefangene
Offenbaren eines seelischen Inhalts nach seiner guten wie seiner schlech-
ten Seite, gemäß des Bibelwortes: ,Wovon das Herz voll ist, geht der
Mund über.' Naivität ist die Übereinstimmung des Redens und Handelns
bei einem Menschen mit seinem Denken. Naivität ist Einfalt im ur-
sprünglichen Sprachsinn des Wortes, . . . Konsonanz zwischen des
Menschen Innen- und Außenleben." x Das Beten des primitiven Menschen
ist ein wirkliches, restloses „Ausschütten des Herzens vor Gott", wie
das alttestamentliche, im 1. Buche Samuelis (1, 15) zuerst gebrauchte
Bild mit einer wunderbaren psychologischen Treffsicherheit sagt.
1. Anrufung.
Jedes Gebet wird eingeleitet durch die Anrufung des göttlichen
Wesens, die Nennung des Eigen- oder Gattungsnamens, der jedem
solchen Wesen beigelegt ist. Der Mensch will dadurch den Gott auf
seine Anwesenheit aufmerksam machen oder, wenn er in der Ferne
weilt, ihn geradezu herbeirufen 2. Der Hebräer nennt diese jede kultische
Handlung einleitende Anrufung das zäkar oder qärä besem Jahwe „Jahwe
beim Namen rufen" 3, der Grieche bezeichnet sie als xctkelv, ijnxctlsiv,
TictQCtxalelv , der Römer ,vocare\ ,invocare\ ,advocarel 4. Der Nen-
nung des Gottesnamens geht bisweilen ein lauter Schrei voraus ; id) idi
ttsol öeai te beginnt ein Gebet bei Äschylus (Sept. 86); ii] iij üairjov
lautet die Gebetsanrufung in den Mimiamben Herondas (IV 82. 85).
Oft wird auch der Namennennung ausdrücklich die Bitte beigefügt,
der Gott möge auf die Worte des Beters achten. „Merk auf!" (Ewe),
„höre!" (Ainu, Galla, Magandscha). K?.v&i („höre!") ist die stehende
Einleitung der homerischen Gebete 5. „Höre mich" (Galla), „höre
uns", „hört, hört auf unsere Stimme" (Batak), „höre meine
Rede", „höre das Wort meines Mundes", „höre mein Flehen" (Assyrer),
„ich rufe dich" (Batak), „ich rufe zu dir, antworte mir" (Ewe) 6 — alle
diese primitiven Gebetsformeln sind uns aus der Sprache des Psalmisten
vertraut. Bisweilen ist der Beter so höflich, daß er sich förmlich ent-
V. Der Inhalt des Gebets (Anrufung, Klage) 59
schuldigt und. nur für einen Augenblick um Aufmerksamkeit bittet.
,,Nur ein Wort sei hörbar, ein Wort nur, wenn du wirklich achtgeben
magst" (Coraindianer) 7. Dem Gottesnamen wird häufig ein Wort
beigefügt, das die soziale Relation, in welcher der Mensch zu den über-
menschlichen Wesen zu stehen glaubt, charakterisiert, zumeist eine
Verwandtschaftsbezeichnung, die manchmal sogar die Namensnennung
völlig ersetzt (Vater, Mutter, Oheim, Großvater, Großmutter, Herr,
Häuptling). Oder es werden mehrere solcher Anreden gehäuft : ,,0 Gott,
du mein Herr, du meine Mutter, du mein Vater, du Herr der Berge und
Täler!" (Kekchiindianer) 8. Die Anrede enthält häufig einen Hinweis
auf den Wohnort des Gottes, zumeist bei den im Himmel weilenden
Urvätern.
„0, du großer Geist dort oben!" (Mkulwe, Delawaren), ,,o Gott, der du oben
bist!" (Wanyika), ,,du Schwarzer dort oben!" (Galla), „o Herr in der Höhe!"
(Navahoeindianer), ,, unser Vater zu unseren Häuptern!" (Hottentotten), ,,o
großer Gott, der du in der Höhe bist!" (Ewe), ,,o Gott, der du im höchsten Himmel
wohnst!" (Ainu) 9. Zev xidiate, /ue'yiore, aid-egv vaiuiv („Zeus, ruhmreichster,
größter, der du im Himmel weilst!") (Ilias II 412).
So ertönt schon das christliche: „der du bist im Himmel" von den
Lippen primitiver Beter. Bisweilen spricht sich in der Gebetsanrede
auch das Gefühl der Zusammengehörigkeit eines Stammes mit seinen
Göttern aus. „Unser Kalunga!" betiteln die Ovambo im Gebet den
Schöpfer10. „Gott unserer Heimat!" „trow (= Geist) unserer Väter,
trow unserer Mütter!"11 — diese Apostrophe der westafrikanischen
Ewe erinnert an die Gebetsanrede der Israeliten. „Jahwe, du Gott
Israels, du Gott unserer Väter!" 12 Aber auch die anbetende Ehrfurcht
und die herzliche Zuversicht finden in der Anrufung ihren Ausdruck:
„Großer Nyambi!" (Kongo), „großer Manitu!" (Ottowäer), „großer Quahootze!"
(Nootka- Indianer), „du großer und mächtiger Hawu!" (Ewe). „großer Häuptling,
mächtiger Häuptling!" (Kaffern), „erhabener Geist!" (Bewohner am Tanganjika-
see), „erhabene Toten!" (Kamerun), „erhabene Himmelstochter!" (Sumerer),
„erhabene Göttin!" (Assyrer), „erhabene (növvia) Hera!" (Griechen), „hehre
Göttin!" (Ainu), „unschuldiger Gott!" (Duala), „ehrwürdiger Vater, verehrungs-
würdiger Mann!" (Santeeindianer) 13, „erbarmender Vater!" (Papua), „baim-
herzige Mutter!" (Assyrer), „guter Geist!" (Indianer), ..gütiger Gott!" (Mkulwe),
,. teure Gottheit!" (Ainu); „lieber (tpike) Zeus!" „lieber Helios!" „lieber Apollo!"
„lieber Artemis!" beteten die Griechen, „lieber Donner!" sagte der livländische
Bauer des 17. Jahrhunderts und noch heute apostrophieren schwäbische Bauers-
leute in spontanen Gebeten den gekreuzigten Heiland als „lieb's Herrgottle!",
oberbayerische die Mutter Gottes als „lieb's Himmelmut teil!" 14
2. Klage und Frage.
Manche primitive Gebete enthalten keine eigentliche Bitte, sondern
bestehen aus einer an die Gottheit gerichteten leidenschaftlichen Klage,
einer feierlichen Beteuerung, einer unwilligen, vorwurfsvollen Frage:
„0 Karai Kasang! Schau doch! 0 Karai Kasang, ich lüge nicht, o
Karai Kasang, ich stehle nicht, o Karai Kasang, ich bin unschuldig"
rufen die Katchins, wenn man gegen sie eine Anschuldigung erhebt.
„0 Karai Kasang, siehe, wie man mich verspottet!" 15 klagen sie, wenn
sie verhöhnt werden. „Tsui-Goatse, du allein weißt, daß ich ohne
Schuld bin," lautet die Beteuerungsformel der Khoikhoi. Wenn sie
in Angst sind, fragen sie seufzend: „Tsui-goatse, was habe ich getan,
63 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
daß ich so strenge gestraft werde?"16 Wenn es donnert, rufen die
Amazulu angstvoll: ,,0 Herr, was haben wir zerstört? Was haben wir
für eine Sünde begangen ? Wir haben keine Sünde begangen." 17 Wenn
einem Baronga die Divination enthüllt hat, daß Geister seiner Haus-
kapelle ihm eine Krankheit verursacht haben, dann kommt er zum
Altar und fragt seufzend : ,,Ba Ngoni, warum seid ihr auf mich zornig ?" 18
Die Probleme der Theodizee, die später in erschütternden Gebetsrufen
von Theognis, dem sophokleischen Ödipus und von Hiob formuliert
wurden, sind schon in uralter Zeit in solch angstvollen Fragen aus-
gesprochen worden. Das furchtbare Problem des Leidens, des unerhörten
Gebets, des Todesrätsels hat schon das Herz primitiver Menschen
gequält. In den Trauergesängen klagen die Kongoneger vor dem Urvater
Nzambi : ,,0 du großer Nzambi, deine Schöpfung ist gut, aber ein Elend
bereitest du uns durch den Tod ! Du hättest statt dessen es so machen
sollen, daß wir nie sterben müßten. 0 Nzambi, wir haben große Trauer !"19
Oft geht die schmerzvolle, klagende Frage der Bitte voraus. „0 Herr,
hast du mich denn gar nicht lieb ? Führe mir doch den Gnu-bock in
den Weg!" 20, fleht der hungernde Buschmann. Und wenn sein Kind
krank darniederliegt, betet er zum Urvater Hue: „Warum ist mein
Sohn krank? Mache ihn doch wieder gesund!" 21 Die die Bitte ein-
leitende Klage wächst sich oft zu einem ausführlichen Bericht, . einer
ganzen Erzählung aus, die den Gott informieren will. Wenn die Bran-
dung an der Küste des Kru -Landes (Westafrika) sehr stark ist und die
Leute nicht fischen können, gehen sie in Scharen an den Strand und
berichten davon dem großen Gott; dabei erklären sie ihm ganz genau
alle Umstände dieses Falles — wie die Frauen und Kinder Nahrung
brauchen und die Nahrung vom Fischfang abhängig ist, gerade so,
wie wenn sie sich an einen großen Richter wendeten, der keine persön-
liche Kenntnis von menschlichen Angelegenheiten hat 22.
3. Bitte.
Kern und Mittelpunkt alles Betens ist das Bitten, von dem es ja
seinen Namen hat 1. Ziel und Zweck der B i 1 1 e ist stets die Behauptung,
Kräftigung oder Steigerung des natürlichen, gesunden Lebenswillens,
die Befriedigung elementarer Lebensbedürfnisse. Sie hat teils negativen
Sinn, wenn sie Befreiung von einem Übel oder Bewahrung vor einer
Gefahr erstrebt, teils positiven Sinn, wenn sie auf Gewährung von
Gütern und Vorteilen abzielt. Gegenstand der Bitte sind darum fast
ausschließlich eudämonistische Güter, Nützlichkeitsweite. Auch die
ästhetischen und sozialethischen Werte, die hie und da Objekt der
Bitte sind, tragen stets eudämonistische Färbung. Gewiß erlebt der
Primitive ethische Werte, ja er erlebt sie sogar unter einem religiösen
Gesichtspunkt : die souveräne Gültigkeit der ethischen Forderung setzt
sich ihm um in eine Willensäußerung des höchsten Gottes. Nach dem
Glauben zahlloser primitiver Stämme hat der Urvater und Schöpfer
den Menschen eine Reihe sittlicher Gebote eingeschärft 2. „Mit aller
Vorsicht vor einem gewaltsamen Anachronismus könnte man hier
von einem gewissen Moralismus im Gebiete der Primitivität reden"
V. Inhalt des Gebets (Bitte) 61
(Söderblom) 3. Aber trotz des Glaubens an die Göttlichkeit des
Sittengesetzes wird das Sittliche um des Sittlichen willen fast nie
Gegenstand eines Gebets; denn das Sittliche erscheint immer nur unter
dem Gesichtspunkte der sozialen bzw. göttlichen Verpflichtung; das
persönliche Werterlebnis erreicht nicht jene Intensität, die imstande
wäre, analog den Affekten und Wünschen eine Bitte zu motivieren.
Ist der Anlaß zum Gebet ein konkreter, so ist die Bitte ganz konkret
gefaßt und bezieht sich lediglich auf das augenblickliche Bedürfnis, ist
der Anlaß zum Gebet ein regulärer, so wird die Bitte generell formuliert;
der Beter spricht dann nicht nur einen Wunsch aus, sondern faßt
eine Reihe auf allgemeine Bedürfnisse sich beziehender Wünsche in
genereller Weise zusammen.
An der Spitze der primitiven Gebetsgegenstände stehen Leben und Ge-
sundheit. Wenn ein Indianer in Lebensgefahr schwebt, so fleht er zu seinem
Gott: „Sei friedlich und tue mir kein Leid an!" 4 Wenn die Melanesier sich bei
Ungewitter auf der See befinden, flehen sie zu den Ahnengeistern: „Rettet uns
in der Tiefe, rettet uns aus dem Sturm, bringt uns*zur Küste!" 5 Ein von Kopf-
schmerzen geplagter Sia-Indianer fleht: ..O Vater, ich habe Kopfweh, es drückt
mein Herz. Ich bezahle dich mit diesem Mahle; ich gebe es dir als Nahrung
und werde dir dankbar sein, wenn du meine Krankheit wegnimmst." 6 Ein von
Krankheit gequälter Ainu betet: ,,0 Weidegott, der du mein Rückgrat bist,
eile mich zu heilen und mache mich stark. O du teure Gottheit, ich bin krank
und mein Leib ist schwach, bitte, hilf mir bald." 7 Der Primitive bittet aber
nicht nur in solchen Augenblicken um Leben und Gesundheit, in denen diese
gefährdet sind, sondern bei allen möglichen Anlässen: „Gib mir Kraft und Leben,
Waka!" (Afrikanische Pygmäen) 8. „Ich bitte dich, daß du mir langes Leben
gibst" (Siouxindianer) 9. „Wir bitten um Leben" (Marschallinsulaner) 10. „Er-
halte uns das Leben!" (Dschagganeger) ll. „Verlängere mein Leben!" (Galla) ia.
„Schenke Leben!" „Schenke langes Leben!" fleht wiederholt der sumerische
Priesterkönig Gudea zu seinen Schutzgöttinnen. „Erhalte mein Leben! Schenke
mir langes Leben ! Schenk mir ein Leben bis auf ferne ! Verlängere meine Tage !
Dehne aus meine Tage!" beten die babylonischen Könige 13. „Gib langes Leben!"
ruft der Sänger des Rigveda zur Göttin der Morgenröte; „verlängere unser Leben!"
zum Feuergott Agni 14. „Erhaltet mir das Leben und schenkt mir Gesundheit!"
ruft der Dschagga zu seinen Ahnen 15. „Laß mich leben und gesund bleiben!"
heißt es in einem babylonischen Hymnus 16. „Gib, daß wir gesund bleiben!"
flehen die Ewe 17. „Gib uns Gesundheit!" (Galla). „Gebt mir Gesundheit nach
eurer Barmherzigkeit!" (Xosakaffern). „Ich bitte um einen gesunden Leib, daß
ich angenehm lebe" (Amazulu). „Bewahre uns vor Krankheiten!" (Galla) 18.
„Gib deinen Kindern Leben und Gesundheit!" beten die Peruaner19. „Laß
mich gesund bleiben! Gesundheit und Freude verleihe mir als Geschenk!" sind
auch die Gebetswünsche babylonischer Könige 20. Zur Gesundheit gehört für
den Primitiven die Leibesstärke ; darum fleht er um sie besonders in seinen Gebet en.
„Mögen die Muskeln der Arme und Beine stark sein! Mögen die Sehnen des
Schenkels, der Kniekehle, des Armes stark werden!" (Ewe) 21. „Kaffernkorn
soll unserem Leib helfen, daß wir dick, nicht dünn werden!" (Baronga) 22. „Gib
mir Stärke des Leibes!" (Siouxindianer) 23. Ja, die Ewe sprechen sogar im Gebet
den paradoxen Wunsch aus, daß der Alkohol an ihnen keine schädigenden Wir-
kungen ausüben möchte: „Mawu Sogble! Gib, daß der Branntwein mich nicht
betrunken macht." 24
Der Wilde kennt die Gefahren und Schwierigkeiten der Reise 7.\\ Wasser und
zu Land; darum erbittet er vor ihrem Antritt den göttlichen Schutz. „O Oki.
der du in diesem Orte wohnst, ich opfere dir Tabak. Hilf uns, rette uns von
Schiffbruch, verteidige uns gegen unsere Feinde, gib uns gutes Geschäft mal
bringe uns glücklich in die Heimat!" lautet das .1t innarium' der Huronen 25.
Die Wanyika beten auf der Karawanenfahrt: „O Gott, der du oben bist ! Siehe.
ich befinde mich auf Reisen. Wohlan, o Gott, schütze mich! Möge ich Gewinn
62 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
machen, der ich mich auf Handelsfahrt befinde! Habe Mitleid mit mir, daß
ich gesund und heil zurückkehre." 26 Der Ewe-Händler. der bei Vollmond eine
Handelsreise antritt, betet: „O Vollmond, errette mich auf diesem Wege und
hilf mir auf meiner Handelsreise! Gib, daß die Leute meine Waren kaufen!
Gib nicht zu, daß ich auf meiner Handelsreise krank werde! Hab recht acht
auf mich, daß ich wohlbehalten nach Hause zurückkehre! Laß mich von keinem
Unglück betroffen werden!" 27 Der Siouxindianer opfert auf seiner Reise der
Sonne Tabak und spricht dabei: ,,0 Wakanda, der du die Sonne bist! Hier ist
Tabak. Ich möchte deinem Laufe folgen. Laß es so sein! Gib, daß mir nur
Gutes begegne und laß weit weg sein alles, was mir Unglück und Schaden bringen
könnte!" 28 Die Toradja auf Celebes beten: ,,Wir reisen dort drüben hin; macht
unsere Wege gerade, gebt uns Sonnenschein!" 29 Die mittelamerikanischen
Kekchiindianer bitten: „Beseitige die verletzenden Steine, die verletzenden
Baumstämme, die verletzenden Schlingpflanzen, beseitige sie, entferne sie von
meinem Wege, daß ich nicht stürze." 30 Wenn die Schiffer am Tanganjikasee ihie
schwankenden Boote besteigen, flehen sie: ,,0 Geist, gib uns einen ruhigen See,
wenig Winde, wenig Regen, laß die Boote gehen gut, gehen schnell!" 31
Der Schutz und die Obhut Gottes ist dem nach Lebenssicheiheit verlangenden
primitiven Menschen nicht minder wichtig und unentbehrlich wie dem alttestament-
lichen Frommen, der nur unter den Fittichen Jahwes sich wohlgeborgen weiß.
Die Khonds von Orissa beten: „Am Morgen erheben wir uns vor Sonnenaufgang
zu unserer Arbeit und besorgen die Saaten. Beschütze uns vor dem Tiger und
vor der Schlange und vor den Steinen des Anstoßes." 32 Wenn sich die Nacht
herniedersenkt, flehen die auf der Jagd befindlichen Ainumänner vor ihrem
improvisierten Nachtlager: ,,0 Göttin des Feuers, wache über uns des Nachts!" 33
Die Dschagganeger, die eine neue Hütte beziehen, tun dies nicht, ohne den gött-
lichen Schutz darauf herniederzuflehen: ,,0 Herr, schütze uns in diesem Hause!" 3*
An alttestamentliche Psalmworte werden wir durch das Gebet der afrikanischen
Malinke erinnert: „Möchte ich Frieden haben bei meinem Eingang! Möchte ich
Frieden haben bei meinem Ausgang! Während der Nacht sei mir gnädig! Be-
wahre uns vor den bösen Menschen am Tage!" 35
Zu den wichtigsten Gegenständen des Gebets gehört die Erlangung der Nah-
rung, gerade bei jenen Stämmen, die noch nicht Ackerbauer und Viehzüchter,
sondern Pflanzensammler, Jäger und Fischer sind. Die Buschmänner beten
zum Urvater Cagn, der alle Dinge gemacht hat: „O Cagn! O Cagn! Sind wir
nicht deine Kinder, siehst du nicht unsern Hunger ? Gib uns Nahrung! '36 Wenn
ein Autmoine (Kanada) Nahrungsmangel leidet, spricht er, gegen Osten sich
wendend: „Unsere Sonne, gib uns zu essen!" Dann geht er auf die Jagd37.
Wenn ein Namaqua-Buschmann ein Opfer „dem alten Mann des Wassers" bringt,
sagt er: „O Grossvater, Sohn eines Buschmannes, gib mir das Fleisch des Rhino-
zeros, des Gemsbocks oder des Zebra oder, was ich sonst zu haben begehre."38
Der Ewe, der bei Vollmond auf die Jagd geht, betet: „O Vollmond, gib, daß
ich Wild finde, das ich in diesem Busch erlegen kann. Suche mir Wild, daß
ich es erlege!"39 Die Hottentotten rufen: „Laß mich Honig und Wurzeln finden."
„Gib uns viel Honig, gib Gras unserem Vieh, damit wir viel zu essen haben."40
Ein Duala flehte: „Gib uns Fisch und Palmkern und sonstiges Essen!"41 Im
täglichen Morgengebet der Massai heißt es: „Laß mich nun auch diesen Tag
finden, womit ich mich sättige. Gott meines Elends, gib mir Essen, gib mir
Milch, gib mir Fleisch, mein Vater!"42 Die auf Fischfang gehenden Melanesier
beten: „Wenn du mächtig bist, Daula, lege einen Fisch oder zwei in dieses Netz
und lasse diese dort sterben."43 Die Ainu-Fischer bitten: ,0 du großer Gott,
der du über dem Wasser gebietest! O Wassergottheit, wir gehen jetzt Fische
fangen. Bitte, gib, daß wir Fische fangen! O gib, daß wir heute viele Fische
fangen!"44 Die Eskimo von Point Barrow werfen, wenn sie einen Fluß erreichen,
ein Stückchen Tabak hinein und rufen dabei aus: „Gute Geister, laßt mich viele
Fische fangen!"46
In tropischen Ländern ist ein Trunk Wasser oft noch schwerer zu erlangen
als Nahrung. In Zeiten, wo die Quellen und Wasserläufe versiegen und Durst
die Menschen quält, flehen die Ewe um einen kühlenden Wassertrunk: „Das
V. Inhalt des Gebets (Bitte) 63
Herz deiner Kinder ist heiß geworden. Sie sind durstig und müssen sterben.
Darum sind wir gekommen und bitten dich, du wollest uns ein wenig Kühlung
verschaffen — eine Kühlung, die bis an die Kehle reicht."46
Die Sorge um das tägliche Brot treibt den Primitiven dazu, um das Wachs-
tum und den Schutz der Pflanzen und Saaten zu beten. Der Kekchiindianer
bittet den Herrn der Berge und Täler, den kostbaren Maissamen vor Schädlingen
zu behüten. ,,Es schmerzt dich nicht, es macht dir keine Mühe, ihn zu beschirmen
vor allem, was ihm widerfahren kann. Mögest du alle deine (ihm schädlichen)
Kinder (Pflanzen und Tiere) verstecken und befestigen!"47 Die Khonds von
Orissa beten: „Laß die Saaten den fressenden Vögeln wie Erde erscheinen und
den fressenden Tieren der Erde wie Steine!"48 Die Wanyika rufen bei der Felder-
bestellung den höchsten Gott und die Ahnen an: ,,0 Mulungu, ich bitte dich.
Ich bebaue dieses Feld; ich tue es um Nahrung zu erlangen, damit ich gesund
bleibe. O ihr Ahnen ! Ich bebaue dieses Feld. Möge das Korn reichlich sprießen
auf diesem Feld!"49 Ehe die Jabim auf Deutsch-Neuguinea die ersten Taro ins
Feld setzen, rufen sie die Geister der Verstorbenen an: ,,Wenn wir unsere Taro
in die Erde pflanzen, laßt sie alle üppig werden."60 Die Samoaner beten: „Laßt
unsere Pflanzungen fruchtbar sein, laßt Futter wachsen, möge Überfluß herrschen
an Nahrung für uns, eure Geschöpfe!"51 „Schick uns große Garben!" lautet
das altgriechische Erntegebet an die Fruchtbarkeitsgöttin Demeter52. „Schüttle
dich, Großmutter, schüttle dich, laß den Reis steigen, bis er so groß ist wie ein
Hügel, so groß wie ein Berg. Schüttle dich, schüttle dich!"53 beten die Karenen
in Birma zu der Reisgöttin. Weil alle Fruchtbarkeit und aller Erntesegen in
heißen Ländern vom Regen abhängt, bittet der Primitive mit solcher Innigkeit
und Dringlichkeit um den Regen: „Gib uns Regen, o Häuptling, damit der
Reis wächst!" (Amazulu)64. „Mein Vater Meergeist! Sende deinen Regen auf
meine Saaten, sie mögen genesen!" (Kiziba)65. „Es ist sehr trocken und wir
müssen hungern. Gott, unser Vater, wir bitten dich, sieh unser Elend an und gib,
daß es auf unsere Feldfrüchte regne. Gib, daß es heute, noch heute regnet,"
flehen die Ewe in Zeiten der Dürre56. Zu den herzlichsten Gebeten in der primi-
tiven Welt gehört das folgende Gebet, das der Häuptling der afrikanischen Konde
bei großer Trockenheit spricht: „Mbamba! Kiara! Du hast uns Regen ver-
weigert, schenke uns Regen, daß wir nicht sterben! Rette uns vom Hungertod!
Du bist ja unser Vater und wir sind deine Kinder und du hast uns geschaffen;
weshalb willst du, daß wir sterben? Gib uns Mais, Bananen und Bohnen! Du
hast uns Beine gegeben zum Laufen, Arme zum Arbeiten und Kinder auch, gib
uns auch Regen, daß wir ernten können."67 An dieses Gebet klingt das Gebet der
Wanyika an: „O, Gott! Gib uns Regen! Wir sind in Not, wir leiden und wir
sind doch deine Kinder. Wohlan, gib uns Regenwolken, damit die Leute Nahrung
erlangen, wir bitten dich, o Gott, du unser Vater."58
Viehzüchtende Stämme bitten um reichen Zuwachs und um Gedeihen
ihrer Herden. „Gib uns viel Vieh!" (Hottentotten). „Gib mir viele
Rinder!" (Masai). „Gib mir Ziegen, gib mir Schafe! Möge ich reich werden!"
(Kikuyu). „Guter Geist, gib Büffel, dicke Büffel!" (Indianer). „Ich bitte um
Rinder, daß sie diese Hürde füllen!" (Amazulu). „Sei gnädig meinen Herden
und mehre sie!" (Galla)59. „Wenn der Frühling naht, laß, o Gott, die drei Arten
Vieh auf die drei Wege hinaus, schütze sie vor tiefem Schlamm, Bären, Wölfen
und Dieben!" (Tscheremissen)60.
Kinderreichtum stellt der Primitive so hoch wie großen Viehbesitz.
Gar oft bittet er in einem Atemzug um Korn, Vieh und Kinder: ..Ich bitte dich,
daß ihr meinen Kraal mit Vieh, meine Scheune mit Korn, meine Häuser mit
Kindern füllt" (Xosakaffern)81. „Gib mir Ziegen, gib mir Schafe, gib mir Kinder!"
(Kikuyu)62. „Gib uns Kinder, Tabak, Korn, Kühe, Ochsen und Schafe!" (Galla).8*
„Gib mir doch Kinder und Häuser und Pisang und Fisch und Palmkern und
sonstiges Essen!" (Duala)64. „Bringe uns Reichtum, Speise und männlichen
Nachwuchs!" bittet ein vedischer Priestersänger86. Die Ruanda beten zu den
Ahnen: „Hilf unseren Frauen, gib ihnen Fruchtbarkeit!"68 Der Galla betet:
„O Geber, gib Menschen! O Geber, gib mir Kinder! O Gott, laß sie mir ge-
deihen!"87 In den Gebeten der babylonischen Könige treffen wir immer wieder
64 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
die Bitte um Nachkommenschaft. , .Reiche Nachkommenschaft schenke mir!'
„Laß mich gesättigt werden mit Nachkommenschaft!" „Vermehre meinen
Samen, dehne aus meine Nachkommenschaft, unter meinen Nachkommen laß
gedeihen die Geburt!"88 Die Batak sehen aber nicht bloß auf die Quantität,
sondern auch auf die Qualität der Nachkommenschaft ; darum bitten sie: „Groß-
vater, gib uns kriegerische Söhne, Männer des Rats und Vorkämpfer! Gib uns
Töchter, die einen großen Topf kochen können, die geschickt sind im Weben,
willig zum Schenken. Die Sterne sind zahlreich, es ballen sich die Wolken; so
seien die Söhne zahlreich, und es mögen sich mehren die Töchter!"69 Weil Kinder-
losigkeit als Schmach empfunden wird, fleht die kinderlose Frau gar innig um ein
Kind — wie im Alten Testament Hanna, Elis Gattin. „Ich bitte dich, du wollest
mir ein Kind schenken, daß auch ich mich unter meinen Familiengliedern freuen
darf!" (Ewe)70. Oder es betet der Priester im Namen des kinderlosen Ehepaares:
„Tro unserer Väter! Diese deine Kinder sind zu mir gekommen mit der Bitte,
ich solle sie zu dir führen. Sie haben Hunger nach einem Kind und bitten des-
wegen, du mögest zuGott gehen, dort einKind holen und es dieserFrau schenken!"71
Alle Bedürfnisse, welche der Fortschritt der materiellen Kultur mit sich bringt,
werden ins Gebet aufgenommen. Die Ewe bitten einen Flußgeist: „Gib uns
Kleider zum Anziehen und gib Kaurimuscheln !"72 Der Duala betet : „Vergiß
nicht, o Gott, mir eine europäische Lampe zu geben und öl dazu!"73 „Vermehren
möge sich die Zahl der Sklaven und Sklavinnen!" ist ein Gebetswunsch vor-
nehmer Ewe74. Ja sogar um Silber und Gold beten manche wilden Stämme75.
Wo sich, wie bei den Ewe ein Kaufmannsstand gebildet hat, da betet der Händler
vor dem Antritt seiner Geschäftsreise um reichen Absatz. „O Vollmond,
errette mich auf diesem Wege und hilf mir auf meiner Handelsreise. Gib, daß
die Leute meine Ware kaufen!"76 Ähnlich betet der Tami auf Neuguinea, der
sich auf Handelsfahrt begibt: „Begleite mich auf der Reise und sorge, daß ich
gute Geschäfte mache!"77
Auch der Schutz des Eigentums gegen Diebe bildet bisweilen einen
Gegenstand der Bitte. Die Karenen beten zur Erntegöttin: „Großmutter,
du behütest mein Feld, du wachst über meine Pflanzung. Gib acht auf Menschen,
die das Feld betreten, sieh dich scharf um nach Leuten, die hereinkommen. Wenn
sie kommen, so binde sie mit dieser Schnur, binde sie mit diesem Seil und lasse
sie nicht wieder fort!"78 Und hat sich jemand an fremdem Besitz vergriffen,
so dient bisweilen, sofern man nicht irgendeinen Zauber bereit hat, das Gebet
dazu, den bösen Dieb zu entlarven. Bei den südafrikanischen Baronga redet
in diesem Falle der Medizinmann den Himmelsgott Tilo an: „0 Himmel, du
bist es, der Augen hat, die ebenso gut bei Tag und Nacht sehen. Sie haben meine
Güter gestohlen und sie leugnen es ! Komme und entdecke sie ; mögen sie ver-
nichtet werden!"79
Wird ein Stamm von Feinden überfallen, so flehen die Angegriffenen um
Hilfe zu ihrem Gott. So beten die Konde am Nyassasee: „Die Feinde kommen,
o Gott, stärke unsere Arme, gib uns Kraft! Gib deinem Volk, deinen Kindern
starke Herzen, damit der Feind nicht unsere Frauen raube und das Vieh, das
du uns gegeben hast!"80 Die Anloer (Südtogo) bitten ihren Gott, an der Spitze
ihres Heeres voranzuziehen: „Wir waren zu Hause und hörten plötzlich, daß
es Krieg gebe. Du bist unser aller Haupt. Deswegen sind wir zu dir gekommen,
um dich zu bitten, du wollest uns in dem Krieg voranziehen und ihn für uns führen.
Sammle deshalb deine Krieger um dich, damit sie diesen Krieg für uns führen,
denn wir haben keine Kraft."81 Die Galla beten alltäglich: „Wenn die Feinde
kommen, laß deinen Wurm auf der Erde nicht zugrunde gehen, halte deine Hand
über ihm!"82 Aber auch zum Angriffskrieg, sei es nun ein Rachekrieg oder ein
Eroberungskrieg, erbittet man von Gott Siegesglück. Der indianische Osage
betet: „Wakonda, erbarme dich, ich bin sehr arm; gib mir Erfolg gegen meine
Feinde, damit ich den Tod meiner Freunde rächen kann! Möge es mir vergönnt
sein, Skalpe zu nehmen, Pferde zu nehmen usw."8,3 Ganz ähnlich betet ein
kriegerischer, beutesüchtiger Siouxindianer : „Ich möchte einen Pawnee töten, ich
möchte Pferde bei der Heimkehr mitbringen, ich habe Freude daran, den Feind in den
Staub zuwerfen."84 DieNootkaindianer beten: „Großer Quahootze, laß mich leben,
nicht krank sein, den Feind finden, ihn nicht fürchten, ihn schlafend finden und
V. Inhalt des Gebets (Bitte) 65
eine große Menge von ihm töten."85 Im Kriegsgebet der Delawaren überwiegt
die Sehnsucht nach glücklicher Heimkehr zur Familie: ,,Laß es mir in diesem
Unternehmen gelingen, daß ich meinen Feind erschlage und heimbringe die Sieges-
zeichen zu meiner teuren Familie und meinen Freunden, daß wir uns miteinander
freuen. Gib nur Mut und Stärke, meinem Feind entgegenzugehen, vergönne
mir zurückzukehren zu meinen Kindern, meinem Weib und meinen Verwandten.
Habe Mitleid mit nur und behüte mein Leben, o ich will dir ein Opfer darbringen."88
Von den Batak wird der Krieg als ein Gottesurteil angesehen. Vor der Schlacht
appellieren beide Parteien an Gott, tragen ihm ihre Sache vor und rufen: „Wäge
gerecht."87
Man bittet Gott nicht bloß um Hilfe und Gaben, sondern man fragt ihn auch
um Rat, den man auf dem Wege der Divination, des Traumes und Orakels
zu erlangen hofft. So betet der Batakjüngling, der heiraten will, vor er schlafen
geht, um einen divinatorischen Traum: „Verkündigt mir doch einen guten Traum,
einen heilsamen Traum, den das Gemüt festhält, den der tondi (Lebensgeist,
Seele) annimmt! Wenn ich die Tochter des N. N. wirklich heiraten soll, daß sie
Genossin meines Wohlergehens, Genossin meines Wohlstandes werden soll, und
wir zusammen alt werden, dann sagt es mir an, Großväter!"88 Der sumerische
Priesterkönig Gudea ruft zur Göttin Nina um Erklärung seiner Träume: ,,0
Mutter, deute die Träume!"89 In diesen Anfragen bei den hohen Wesen liegt
die eine Wurzel des bei den antiken Völkern so eifrig gepflegten Orakelwesens.
Es ist wunderlich genug, daß der primitive Mensch bisweilen die hohen Mächte
um das Gelingen einer Zauberhandlung anruft, die doch aus
sich selbst den gewünschten Effekt hervorbringen sollte; es spricht sich hier ein
tiefes Mißtrauen gegen die eigene Kraft und ein starkes Gefühl der Abhängigkeit
aus. In Australien ruft man die Urwesen Mura-Mura an, daß der imitative
Regenzauber, den man dann vornimmt, glücke90. Der Ewepriester betet zum
Himmel: „Ich habe keinen Speichel (Speichel gilt als Sitz der Seele zauber-
kräftig) im Mund. Du bist der Besitzer des Speichels. So komm nun und spritze
deinen Speichel über diese Medizin!"91 Und der Barongamedizinmann betet
zu den Ahnen, daß die Medizin, die er für ein neugebornes Kind gebraut hat,
kräftig sei. „Dies ist das Kind, möge es wachsen! Möge es durch meine Medizin
wachsen. Ihr habt mir diese Arzneien gegeben. Mögen sie es gegen Krank-
heiten schützen, damit niemand sagen kann, sie habe keine Kraft!"92
Es ist ein Symptom von Naivität, wenn der primitive Beter mit einer unbe-
fangenen Unverschämtheit seine Gebetswünsche möglichst hoch hinaufschraubt.
In seinen regelmäßigen Gebeten trägt er nicht einen, sondern gar viele Wün-
sche seinem Gott vor. Die Kikuyu beten: „Die Wolken mögen viel Regen geben,
unsere Weiber mögen fruchtbar sein, keine Krankheit möge unseren Kindern
nahe kommen, unsere Herden mögen fett werden und sich mehren und unsere
Güter mögen zahlreich sein!"93 Größer ist der Wunschzettel des ostafrikanischen
Mensavolkes. Wenn man bei Neumond zum erstenmal den Mond sieht, sagt
man zu ihm: „Sei uns ein Freuden- und Glücksmonat! Möge der Junge sich
stark wachsen und der Erwachsene stark bleiben! Das schwangere Weib möge
gebären, die, welche geboren hat, möge das Kind säugen! Der Fremde erreiche
sein Ziel und die Einwohner mögen sicher wohnen in ihrem Haus! Das draußen
weidende Rind möge glücklich wiederkehren! Sei uns ein Saat- und Kälber-
monat! Sei uns ein erfrischender Gesundheitsmonat!"94 Nicht eine hyperbolische
Rhetorik, sondern ein ungezügeltes eudämonistisches Begehren redet aus den
Gebeten der Khonds von Orissa: „Laß unsere Saaten soviel Frucht zurückgeben,
daß, so viel auf den Boden fällt und übersehen wird und so viel beim Nachhause-
fahren liegen bleibt, daß im nächsten Jahr, wenn wir ausgehen zu säen, die
Felder und Wege wie ein junges Kornfeld erscheinen." „Laß unsere Herden
so zahlreich werden, daß wir sie nicht mehr bergen können, gib uns einen so reichen
Kindersegen, daß die Sorge um sie unseren Eltern zu schaffen macht, wie man
an ihren verbrannten Händen sehen wird; laß unsere Köpfe beständig gegen
eherne Töpfe stoßen, die in zahlloser Menge von der Decke herabhängen, laß die
Ratte ihre Nester aus den Abfällen von Scharlachtuch und Seide bauen, laß
alle Aasvögel des Landes auf den Bäumen unseres Dorfes versammelt sein wegen
des vlehs, das dort jeden Tag geschlachtet wirdl"" Hier gleitet das Bitten ins
Das Gebot 5
66 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
Träumen hinüber, das Wünschen steigert sich zum Schwelgen in den Wunsch-
phantasien von einem üppigen Schlaraffendasein.
Die Naivität des primitiven Betens verrät sich auch darin, daß der Egois-
mus ganz ungeschminkt zutage tritt. Man scheut sich nicht, das Unheil, dem
man selbst durch die Hilfe der Götter zu entgehen sucht, auf andere Menschen
herabzuwünschen. Die Schiffer am Tanganjikasee beten zum Seegeist, indem
sie Perlen opfern: ..Du erhabener Geist, du großer Herrscher, du nimmst alle
Menschen, du tötest alle Menschen; laß uns nur ungeschoren!"*6 Ein Ewepriester,
der zu einem tro um Genesung eines Kranken fleht, spricht: ,,Gehe hin und lege
die Krankheit auf jemand, der Böses tut." Die Ewe suchen auch das ihnen
drohende Unheil auf die verhaßten Europäer abzuschieben: „Möge es hinfahren
\ind den Weißen zustoßen, die auf dem Meere sind!"*' Ganz ähnlich bittet der
Sänger des Rigveda den Gott Indra: ,, Jeden anderen, nur nicht uns schädige!"**
Der in Süddeutschland geläufige Spruch: „Heiliger Florian, beschütze unsere
Häuser, zünd' andere dafür an!" ist keine üble Parodie des primitiven Gebets-
egoismus.
Weil das Beten eine spontane Äußerung eines Wunsches ist, darum werden
auch solche Wünsche, die unmoralisch sind und von einer reineren Frömmig-
keit als irreligiös gebrandmarkt werden, zum Gegenstand der Gebetsbitte. Missions-
bischof Le Roy berichtet von den Bantu und Negrillo: „Man bittet nicht nur,
daß man etwas Gutes erlange oder etwas Schlechtes entferne, sondern auch,
daß die Rache glücke, daß man sich fremden Eigentums bemächtige, ohne erwischt
zu werden, daß man seine Feinde töte."'* An das antike nagaöidövai tolg x&0Vl°lS
(die Übergabe an die Götter der Unterwelt) erinnert das Fluchgebet eines Ewe
an einen tro: „Denjenigen, der die mir verloren gegangene Sache genommen
hat. übergebe ich mit allen seinen Angehörigen in deine Hand! Bestrafe sie für
mich!"101 Wenn man aber selbst die Rache des Feindes und Schädigers in die
Hand nimmt, dann betet man etwa wie in Ruanda: „Wenn ich mit meinem
Feinde auf dem Wege zusammentreffe, möge ich ihn wie einen schlechten Hund
niederschlagen!"102 Wo die Schädeljagd (die übrigens religiösen Zwecken dient)
im Schwange ist, bittet man um Glück bei diesem grausamen Geschäft. Auf
der Insel Nias spricht der Priester, bevor die Kopfjäger ausziehen, ein langes
Gebet zu den Ahnen, das in der Bitte gipfelt: „Gib du ihnen einen guten Fang!"10*
Man muss jedoch in Anbetracht des die Gesellschaft ursprünglich beseelenden
Zusammengehörigkeitsgefühls es verneinen, daß auf der Urstufe des Gebets die
Bitte um Glück bei Raub, Diebstahl und Mord104 zum Inhalt des Gebets gehörte;
nur das aus Zorn und Haß geborene Rachegebet gegen den Feind des einzelnen
und vor allem der Gruppe wird man zum ursprünglichen Inhalt der Gebete rechnen
müssen. Es ist unzweifelhaft, daß schon der tief stehende Pygmäe gegen den,
der es wagt, ihm ein erbeutetes Wild zu rauben oder an seinem Weib sich zu ver-
greifen, ein Fluchgebet schleudert und um das Gelingen blutiger Rache betet.
Über dieser breiten Unterschicht rein eudämonis tischer Werte, die
den Hauptinhalt des primitiven Betens bilden, erhebt sich eine dünne
Oberschicht höherer Werte: intellektueller, ethischer, sozialer
und ästhetischer Werte, die jedoch noch immer einen eudämonistischen
Einschlag offenbaren. Nur solche Stämme, deren Kulturleben bereits
stärker differenziert und höher entwickelt ist, machen diese Werte zum
Gegenstand des Gebets.
Bei den Tobabatak ist das Gefühl vom Wert der eigenen Persönlichkeit so
stark, daß sie um Wertschätzung durch die anderen beten. „Heilige und ver-
herrliche uns, damit unser Ansehen sei wie das der Angesehenen, unser Glück
wie das der Glücklichen, wie das Ansehen der Fürsten flußauf, flußab!"195 Die
Ewe bitten Mawu Sozda, die Mutter der Menschen, um Eintracht und fried-
liches Zusammenleben. „Möge Frieden haben die Welt! Möge zusammenpassen
die Kalebasse mit dem Topf (d. h. Mann und Frau in Friede leben)! Möge zu-
sammenpassen ihr Kopf und jedes böse Wort weit hinaus in den Busch und un-
betretenes Land gehen!" „Möge zusammenpassen unser Kopf!" heißt es auch
V. Inhalt des Gebets (Bitte) 67
in einem anderen Ewegebet10'. „Gib uns Friede mit unserer Nachbarschaft!',
rufen die Ruanda zu ihrem Ahnen107. Nach dem Tode eines Familiengliedes
betet bei den Baronga der älteste Bruder zu den Göttern, ,.die Familie zu segnen,
üble Gefühle oder Streit abzuwenden"108 Die Malinke beten: ,,Für die Mächtigen
der Welt mache, daß ich das Wasser bin, mit dem sie sich waschen! Mache nicht,
daß ich das Wasser bin, das sie trinken!" (d. h. mache, daß ich in Frieden
lebe mit den Mächtigen, daß ich nicht von ihnen unterdrückt werde!)100 Der
Siouxindianer schätzt die innere Gemütsruhe und Harmonie, darum bittet
er: „Laß nicht Ärger in mein Herz einziehen!"110 Die afrikanischen Yebu bitten
um „Glück und Weisheit"111, die Tscheremissen um „Glück und Verstand"112.
Die indianischen Navahoes sind ein ausgesprochen ästhetisch veranlagtes Volk,
darum verlangen sie nach Schönheit des eigenen Leibes wie der ganzen
Welt. „O Herr in der Höhe, dessen Jugend unsterblich ist, du Herrscher dort
oben, ich habe dir ein Opfer dargebracht, erhalte meinen Leib und meine Glieder
schön, laß alles erfüllt werden mit Schönheit!"113 Bei den hamitischen Galla
Nordafrikas stossen wir auch auf ethische Gebetsbitten, die aber nicht selbst-
ständig, sondern im Zusammenhang von rein eudämonistischen Bitten vorgetragen
werden. (Einflüsse von benachbarten höher entwickelten Kulturvölkern sind
möglich, aber keineswegs sicher.) „Wenn ich zufrieden bin, halte mich von
Übermut ab", heißt eine Stelle im Morgengebet; hier schon redet die Hybrisfurcht,
die für die griechische Religion so charakteristisch ist. Und im Abendgebet
fleht der Galla: „Halte mich zum Guten!"114
Wo die animistischen Vorstellungen über das Leben nach dem Tode sich zum
(Hauben an ein eudämonistisches Glücksreich fortgebildet haben, wird auch das
jenseitige Glück zum Gegenstand des Gebets. So beten die Galla (die
hierin wohl vom Islam oder von dem christlichen Abessynien beeinflusst sind):
..O Wak, nimm uns zu dir und führe uns in den Garten, führe uns nicht zum
Satan und nicht ins Feuer!"118
Eine weitere Fortbildung primitiven Betens liegt in der völligen Generalisierung
des Gebetsgegenstandes: der Beter spricht nicht einen konkreten Wunsch aus,
faßt auch nicht mehrere konkrete Wünsche in einem Gebet zusammen, sondern
trägt eine , abstrakte' Bitte vor; hier ist bereits das philosophische
Gebetsideal angedeutet, in dem alles detaillierte Bitten um eudämonistische
Güter verpönt ist. Doch ist hier das abstrakt formulierte Gebetsziel, das , Glück',
der , Segen', das Gute', Gottes , Gunst', stets in eudämonistiseher Richtung, nicht
in geistiger gedacht. „Nimm die Opfer an, daß mich kein Unheil treffe!"116
(Flußneger Kameruns). „Gib uns Gutes und wache über uns!" „Segne uns
gnädig!" (Ainu)117. „Schau auf mich und sei immer mit mir, daß ich glücklich
lebe!" (Amazulu)118. „Ich bete zu euch um guten Fortgang und Glück." (Xosa-
Icaffern)119. „Gib. daß ich mich freue!" (Ewe)120. „Es ist nicht Gebet um Essen,
nicht Gebet um Trinken, es ist Gebet für Wohlergehen, ich rufe um Wohlstand"
(Batak)121. „Oallihr Wakanda, ich bitte euch um eure Gunst" (Sioux-Indianer)122.
Die Khonds von Orissa, die in ihren Gebeten sich in so ausschweifende Wunsch-
phantasien ergehen, setzen am Schluß ganz kleinlaut hinzu, wie wenn sie irre
geworden wären an ihren mannigfachen Wünschen: „Wir wissen nicht, was
gut ist und warum wir bitten sollen. Du weißt, was gut ist, gib es uns!"123
Auch die Sehnsucht nach Gemeinschaft mit einem göttlichen Wesen, das
Verlangen nach der Schutz, Sicherheit und Seligkeit spendenden Nähe und G e-
genwart Gottes, das aus manchen Psalmen redet und alle Mystiker be-
seelt, ist innerhalb fortgeschrittener Naturvölker nicht völlig unbekannt. So
betet ein Ewepriester zu einem tro: „Laß mich bei dir bleiben und bleibe du
bei mir!"124 Die Galla sprechen in ihrem Abendgebet wiederholt die Bitte aus:
..Zu dir, o Gott, bin ich geflohen, fliehe du nicht vor mir!"128
Der primitive Eudämonismus desBetens lebt in den großen antiken
Religionen mit unverminderter Kraft und Urwüchsigkeit fort,
vor allem in der Volksreligion, aber auch in der offiziellen Ritua'.religion,
die in den Händen der Priester oder Staatsbeamten ruht; nur die
Hymnenpoesie macht zum Teil eine Ausnahme. In den umfangreicher:
A. Das naive Beten des primitiven Menschen
Azteken gebeten, die von Sahagun erhalten wurden, ist die Bitte
um die moralische Besserung, die ,geistliche Gabe' sehr selten. Gesund-
heit, Ernte, Regen, Befreiung von Hungersnot, Schutz vor Gefahren,
Krankheiten und Niederlagen, sind die festen, unveränderlichen Gegen-
stände des Bittens 126. Die chinesischen Gebete um Regen und
gute Ernte, um Reichtum und langes Leben unterscheiden sich nicht
von den primitiven 127. Die babylonischen und assyrischen
Könige beten wohl bisweilen um höhere Werte, wie um Gottesfurcht
und gerechte Regierung. Was sie von ihren Göttern in erster Linie
erflehen, sind stets irdische Glücksgüter: „langes Leben", „reiche
Nachkommenschaft", „Gesundheit", „Herzensfreude" und „heiterer
Sinn", „Lebenskraft in Fülle", „Festigkeit des Throns und andauernde
Regierung", „Niederwerfung der Feinde und Eroberung des Feindes-
landes" 128. In der altisraelitischen Volks religion betete
man um Erhaltung des Lebens, Kinder, Hilfe gegen Bedrücker, Be-
freiung von Landplagen, Herrschaft und Sieg, Vernichtung der Feinde,
Zeichen und Wunder 129. Nicht anders war es im alten Indien. Wie
primitiv klingt folgendes Gebet aus dem Sämaveda: „Blitzschleudernder
Indra, alle guten Dinge bringe mit beiden Händen zu uns. . . Über-
schütte mich mit großem Reichtum, mit Besitz von Vieh, denn du bist
groß." 130 Aber auch im Rigveda können wir all die primitiv-eudämoni-
stischen Bitten finden: Langes Leben und Wohlsein, kräftige Söhne,
Nahrung, Reichtum an Rindern und Rossen, an Wagen und Gold,
Schutz vor Feinden und Sieg über sie. Nur selten wird um solche Werte
wie um rechtes Denken oder darum gebetet, daß man nicht tun möge,
was die Götter strafen m. Die Bitten um Tilgung der Schuld in assy-
rischen und vedischenHymnen entspringen fast nie einer echten , ethischen
Selbstverurteilung oder einem religiösen Sündengefühl, sondern be-
zwecken zumeist nur die Befreiung von Krankheit, die Beseitigung
eines Fluches. Die homerischen Helden beten um Hilfe in der
Not, aber so gut wie nie um ein sittliches Charisma 132. Xenophon
bittet um „Gesundheit, Leibesstärke, Ehre bei der Bürgerschaft, Ver-
träglichkeit mit den Freunden, Heil im Kriege und Reichtum" (Oec. 11,
8) — lauter Gegenstände, die uns im Gebet der Naturvölker begegneten.
Der athenische Staat betete für die Gesundheit und das Wohl des
athenischen Volkes, für Weiber und Kinder und das ganze Land 133.
Der Gebetsgeist des römischen Volkes offenbart sich in dem Gebets-
wunsche Tibulls: ,,Jo messes et bona vina date" („gebt reiche Ernte
und guten Wein!" I 1, 24). Das Beten der antiken Menschen ist, —
soweit es wirkliches Beten, nicht bloß feierliche Rezitation von rituellen
Formeln und Hymnen ist — primitives Beten. Auch hier zeigt sich,
was auch die Vergleichung anderer Elemente beweist, daß innerhalb
der großen antiken Kulturen die Religion nicht innerlich, sondern nur
äußerlich fortgebildet, nicht nach der Tiefe, sondern nur nach der Breite
entwickelt worden ist, daß also die antiken Religionen nichts anderes
sind als primitive Religionen, nur stark kompliziert, durch äußere Pracht
verbrämt, von Ritualismus, Mythologie, Astrologie und Magie über-
wuchert. Lediglich die Religion der hellenischen Voll kultur nimmt
V. Inhalt des Gebets (Fürbitte) 69
unter den antiken Religionen, wie später gezeigt wird, eine Sonder-
stellung ein; sie hat in der Tat das Primitive innerlich fortgebildet,
vertieft und gereinigt; aber auch sie erhebt sich nicht zu einer neuen
Stufe des religiösen Gedankens.
Die christlichen Gebetsideale haben das Beten der naiven
Volks massen, vor allem das der Landbevölkerung, vielfach nur ober-
flächlich berührt. Das spontane Gebet altchristlicher Volkskreise an
die Märtyrer bewegt sich genau in denselben Bahnen, in denen das
antike Gebet überhaupt sich bewegte; die Gefühle der Verehrung, der
Anbetung, ja selbst der Dankbarkeit kommen in ihm nur selten zum
Ausdruck; es ist im wesentlichen Bittgebet, „Bitte um Leben und
Glück" 134. Das Beten der heutigen katholischen und evangelischen
Bauern wie das der mittelalterlichen ist — soweit es völlig spontan
und frei ist — vielfach unverfälschtes primitives Beten. Die bekannten
primitiven Gebetsgegenstände — Leben und Gesundheit, Regen und
Sonnenschein, Erntesegen und Glück bei allen Unternehmungen —
kehren allenthalben wieder 135.
4. Fürbitte.
Die aus sozialen Gefühlen hervorgehende Fürbitte nimmt in
den Gebeten des Primitiven einen breiteren Raum ein , als wir erwarten .
Sie bezieht sich vor allem auf die Glieder der eigenen Familie.
Der Familienvater betet für Weib und Kind, bei konkreten Anlässen
sowohl wie bei den regelmäßigen Gebeten. Der Ku-Buschmann ruft zum Urvater
Hue: „Warum ist mein Sohn krank? Mache ihn doch wieder gesund!"1 Tritt
in Mkulwe ein Kind eine längere Reise an, so wendet sich der Vater an den höchsten
Gott: „Dein Geschöpf, o Nguluwi, schütze es! Es geht fort; erfreue es! Es
gehe, es komme an, wo es hingeht Güter zu suchen; möge es nicht krank werden,
möge es gesund sein am Leibe. Wo es geht, wo es hinkommt, möge es plaudern
(d. h. Freunde finden)"2 Besonders offenbart sich die elterliche Fürsorge, wenn
die Tochter sich verlobt oder verheiratet. Bei den Ainu spricht der Brautvater
bei der Verlobung zur Feuergottheit ein Gebet für Tochter und Schwiegersohn:
„Wir haben hier und jetzt festgesetzt, unseren Sohn und unsere Tochter zu ver-
heiraten, darum, o Göttin des Feuers, höre du und sei du dabei Zeugin. Bewahre
dieses Paar vor Krankheit und wache über sie, daß sie alt werden!"3 In Mulera
Ruanda betet der Familienvater bei der Brautwerbung zu seinem Ahnen: „O du
Geist meines Vaters, Großvater meiner Tochter, sei uns gnädig, sei ihr günstig,
verfolge nicht die Tochter, töte nicht den Mann! Gib ihr guten Willen, daß
sie den Mann verstehe und nicht träge sich hinsetze!"4 Wenn bei den Schilluk
ein Vater seine Tochter verheiraten will, so führt er sie ans Grab des Ahnen und
spricht: „Herr, hier bringe ich dir mein Kind, segne es! Du weißt, ob seine
Wege gerade sein werden oder ob ihm Unglück bevorsteht. Wenn du nur willst,
so wird mein Kind glückselig sein. Ich opfere auch ein Schaf lein ; sein Blut wird
durch die Erde zu dir dringen und für mich und mein Kind sprechen."5 Eine
rührende Fürsorge und Anhänglichkeit spricht aus dem Kriegsgebet des Dela-
waren: „O du großer Geist dort oben, habe Mitleid mit meinen Kindern und
meinem Weib! Verhüte, daß sie meinetwegen trauern!"8 Der opfernde afri-
kanische Pygmäe fleht zu Waka: „Gib mir Kraft und Leben und daß meinen
Kindern nichts Böses zustoße!"7 Der auf Reisen gehende Ewe-Kaufmann bittet
nicht nur um gutes Geschäft und glückliche Fahrt, sondern gedenkt auch liebevoll
seiner Gattin und Kinder: „Laß mich von keinem Unglück betroffen werden
und gib, daß meine Frau und meine Kinder gesund bleiben !" 8 Der Dschagganeger
betet bei seinem Morgengebet täglich für seine Angehörigen: „O Ruwa, schütze
mich und die Meinen!"* Selbst dort, wo Polygamie herrscht, fehlt nicht da.«
70 A. Das naive Beten des primitiven Mensehen
enge familiäre Zusammengehörigkeitsgefühl, das sich unwillkürlich im Fürbitte-
gebet ausatmet. So betet ein Ewe zu Mawu Sodza: „Heute übergebe ich dir
mein Leben, meine Kinder und alle meine Frauen. Habe acht auf sie!" Ein
anderer betet: „Gib mir selbst, meinen Geschwistern väterlicherseits und
allen Geschwistern mütterlicherseits Gesundheit!"10 Charakteristisch ist bei
diesen Gebeten, daß das liebe Ich natürlich vorne steht, dann erst kommen die
anderen. Auch der gute Kikuyuhäuptling, der so lieb für den Europäer betet,
redet immer nur: „ich und der weiße Mann."11 Der naive Egoist denkt an
sich selbst zuerst.
Die Fürbitte umfaßt bisweilen die ganze Sippschaft, ja sie reicht
noch über den Kreis der Verwandten hinaus. Das Gebet, das bei der geheimen
.Jünglingsweihe der Karesauinsulaner jeder Mann spricht, klingt universalistisch :
„O Wonekau (höchstes Wesen), du schwebe, siehe und schaue auf meine Frau,
meine Kinder, meine Mütter, meine Väter, meine Schwestern, meine Brüder,
meine Tanten, meine Onkel, meine Vettern, meine Freunde, meine Menschen!"18
Der primitive Stamm betet für seinen Häuptling , dem er treu ergeben ist.
Die Baronga bitten die Ahnen, dem Häuptling Weisheit und Stärke zu geben,
damit er Erfolg habe bei seiner Herrschaft über das Dorf13. In Westafrika beten
die Frauen für den erkrankten König zum Mondgott, er möchte ihn doch vor
dem Tode erretten14. Auch im alten China betet das Volk zum Himmel für den
Kaiser15. Der Primitive betet auch für seine Freunde, die er schätzt, und
für alle, die ihm einen Dienst erwiesen oder ihm Gutes taten. Wenn bei den
Ainu jemand krank ist, geht ein Freund in den Wald und betet zu einem guten
Baumgott, daß er ihn heile16. Wenn die Jabim auf Neuguinea die Taro anpflanzen,
gedenken sie im Gebet an die Ahnen all derer, die ihnen beim Bearbeiten des Bodens
behilflich waren: „Schafft, daß die Taro der Leute, die uns beim Feldschlagen
geholfen, gut gedeihen!"17
Keineswegs selten ist das Gebet wilder Stämme für einen fremden Euro-
päer, der ihr Zutrauen zu gewinnen verstand. Das innige Gebet, das der Kikuyu-
häuptling fürRoutledge und seine Gattin sprach, wurde bereits erwähnt (s. o. S. 51 f.).
Bei Stanleys Fahrt warfen seine Führer, Leute des Königs Komah der Waganda,
Perlen in den See und beteten: „Sei dem weißen Manne gnädig, o Nyansa, ich
ermahne dich, verleihe ihm eine sichere und glückliche Fahrt über die weiten
Gewässer!"18 Auch Sarasin erzählt von seiner Reise in Celebes, daß ein Ein-
geborener ihnen den Weiterweg segnen wollte, da ein steiler Aufstieg in hohes
Bergland bevorstand. „Er setzte sich zum Flusse hin und hielt ein langes Gebet
zu den Göttern unter und über der Erde, zu den Geistern der Bäume und Flüsse,
daß sie uns gnädig sein möchten auf unserer Reise und daß uns kein Unwetter,
kein Unfall zustoßen möge."19
Über den Tod hinaus reicht die Fürsorge für die Menschen, mit denen man
während des Lebens enge verbunden war. Dort, wo die Vorstellung eines jen-
seitigen Ortes der Glückseligkeit lebendig ist, — das trifft nur auf einen Teil von
Naturvölkern zu, bei anderen gilt das Fortleben nach dem Tode als Weilen im
Ahnengrab, oder als Reinkarnation — wird wohl für den Verstorbenen
gebetet. Von den auf niederer Kulturstufe stehenden Euahlayi in Australien
ist das ausdrücklich belegt. Christliche Missionseinflüsse hält die Gewährsmännin
(Miss Langloh-Parker) für ausgeschlossen. Wenn ein in die Stammesmysterien
eingeweihter Mann stirbt, so betet man zum Urvater Baiarne, er möchte dem Toten
Eintritt in ,Bullima' (Himmel) gewähren, da er die Gesetze des ,Boorah' (Ritual)
beobachtet habe. (Nur dem ,Mysten' steht das selige Los im Jenseits in Aus-
sicht, während der !' neingeweihte wandern muß, bis er auf Erden wiedergeboren
wird. )20 Die südamerikanischen Warrau- Indianer beten beim Tode eines Stammes-
gliedes: ,,0 Jawahu, du hast ihn mit Gewalt von uns genommen, er wäre sonst
nimmer von seinem Feld, von den Seinen gegangen. Bringe ihn zu seinen Freunden,
die du uns vor ihm geraubt, damit er Aguti und Affen kann jagen, damit er Yams,
Ca sada auch findet."21
Weil der Mensch dem ihm Nahestehenden immer nur das wünscht, was er
selbst zu erlangen begehrt, darum bilden auch das Objekt der Fürbitte nur Glücks-
Küter, es kehren hier dieselben eudämonistischen Werte wieder; die den Inhalt
V. Inhalt des Gebets (Opfer) 71
der Bitte bilden: Leben, Gesundheit, Kinderreichtum, Glück auf Erden und im
Jenseits.
5. Opfer, Opferspruch und Gelübde.
Das Gebet war ursprünglich eine selbständige, vom Opfer gänz-
lich unabhängige Größe und ist es noch immer dann, wenn im Augen-
blick übermächtiger seelischer Erregung ein Hilfe- oder Dankruf zu
Gott emporsteigt. Wenn aber das Gefühl der Not und die Furcht der
Inbrunst des Wunsches und der Glut der Hoffnung weicht, dann stellt
sich im Menschen der Gedanke ein, die übermenschliche Macht, die
ja so menschlich denkt und fühlt wie er selbst, durch ein Geschenk zu
gewinnen. Er weiß ja, wie auch unter den Menschen Gaben und Ge-
schenke die Herzen zu öffnen vermögen. Zu den Mächtigen dieser
Erde pflegt er nicht mit einer Bitte zu treten, ohne gleichzeitig durch
die Überreichung einer Gabe seine Geneigtheit zu erkaufen. Noch im
heutigen Volkstum ist der Glaube tief eingewurzelt, daß man von
niemand umsonst große Gunstbezeugungen und Gnadenerweise erhoffen
dürfe. Was aber für den Verkehr mit den Menschen gilt, das gilt noch
mehr für das Verhältnis zu den übersinnlichen Mächten. ,,Nie sollt
ihr euch Jahwe mit leeren Händen nahen!" lautet ein Spruch des Deu-
teronomiums 1, in dem der primitive Glaube an die Unerläßlichkeit des
Opfers zur Erlangung der göttlichen Gunst klar ausgesprochen ist.
Bei den Griechen war der Gedanke der Umstimmung der Götter durch
Geschenke (nsiüeiv dcoga y.al d-eovg) geradezu sprichwörtlich 2, und
auch der römische Dichter Ovid singt:
Munera, crede mihi, capiunt hominesque deosque;
Placalur donis Jupiter ipse datis3.
(,, Glaub mir, es werden durch Gaben die Götter und Menschen gewonnen,
Opfer besänftigen selbst Jupiters zürnendes Herz.")
Der naive Mensch stellt sich eben seinen Gott als denselben auf Besitz
und Genuß erpichten Egoisten vor, der er selbst ist. Darum gilt es, ihn
durch die Darbringung eines nützlichen oder wertvollen Gegenstandes
in eine gebefreudige Stimmung zu versetzen, ihm, wie ein Ewepriester
in seinem Gebet treuherzig heraussagt, „die Brust warm zu machen" *.
So wächst aus dem Gebet das Opfer heraus, als ein Mittel, um ihm
Nachdruck und durchschlagende Kraft zu verleihen 5. Jakob Grimm
hat nicht mit Unrecht das Opfer als „ein mit Gaben dargebrachtes
Gebet" definiert. „Wo zum Gebet, da fand sich auch Anlaß zum Opfer."
Köberle bezeichnet das Opfer als „ein versinnlichtes Gebet"6.
Auguste Sabatier sagt: „Das Opfer war ursprünglich nur eine
Form des Gebets." 7 Gebet und Opfer gehen eine enge Verbindung
miteinander ein 8: fast alle Gebete der Naturvölker wie der antiken
Völker werden von Opfern begleitet und unterstützt, oder es wird
wenigstens für die Zukunft ein solches in Aussicht gestellt; nur die
kurzen impulsiven Hilferufe und Angstschreie machen eine Ausnahme.
Schon die Terminologie weist auf eine enge Verbindung von Gebet und
Opfer hin. Im Griechischen /Litt}, Uooofiai — lateinisch litare
wechselt die Bedeutung , Opfer' und , Gebet' ö. Das hebräische 'ätar
, beten' bedeutet ursprünglich ,opfern'. Im Arabischen bedeutet lasara
72 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
sowohl eine bestimmte Gebetszeit als auch ,Gabe', , Geschenk' 10. Das
hebräische minchä , Geschenk', , Speiseopfer' wurde später als Be-
zeichnung für das Nachmittagsgebet verwendet n.
Das Gebet ist eine der Wurzeln des Opfers und es ist zweifellos älter
als dieses letztere. Es gibt noch unter den heutigen niederen Rassen
solche (z. B. die australischen Euahlayi 12 und andere australische
Stämme), in denen wohl das Beten, aber nicht das Opfern bekannt ist.
Und es gibt göttliche Wesen, zu denen man wohl in Gefahr und Not
betet, die aber keine Opfer empfangen; es sind dies jene rätselhaften,
monotheistisch erscheinenden Urväter und Schöpfer, die ,high gods',
wie sie Andrew Lang benannt hat, die bei vielen primitiven Stämmen
keinen eigentlichen Kult besitzen und darum im praktischen religiösen
Leben hinter die opferhungrigen Geister und Ahnen ganz zurücktreten.
(S. u. S. 118 ff.)
Ursprünglich stand das Opfer ganz im Dienste des Gebets. „Das ist
unser Gruß, mit dem wir bitten," heißt es von den Opfergaben in einem
Batakgebet 13. Allmählich aber stieg es von der dienenden Stellung in
die herrschende empor; schon bei manchen kulturarmen Stämmen, vor
allem aber bei den antiken Kulturvölkern steht es im Zentrum der
Religion, während das Gebet in eine periphere Stellung zurückgedrängt
ist. Von den Batak auf Sumatra schreibt Warneck, daß das reiche
Opferwesen „der eigentliche Kern der Religion und des Kultus sei" 14.
Wo aber das Opfer dominiert, ist eine Niveausenkung der Religion
unvermeidlich. Das Gefühl der völligen Abhängigkeit von Gott, welches
den Beter beseelt, wird durch den Gedanken einer Leistung an Gott,
die diesen zu einer Gegenleistung verpflichtet, geschwächt; es wird
gänzlich verdrängt durch den Glauben, daß die Götter vom Opfer der
Menschen leben, also vom Menschen abhängig sind 15. So tritt im
Opferhandel häufig an die Stelle der Unterordnung unter Gott die
Gleichordnung mit ihm oder gar die Überordnung über ihn.
Das Opfer, von dem das Gebet begleitet wird, ist, wie schon in man-
chen Sprachen der Name sagt (assyrisch nindabü = Gabe, griechisch
<)6)qov, doiQEä) eine Gabe, ein Geschenk des Menschen an Gott, das
ihn zur Erfüllung des Gebetswunsches bewegen soll. P 1 a t o definiert:
„Opfern heißt den Göttern Gaben bringen, Beten heißt die Götter
bitten."16 Ähnlich sagt der Anthropologe Tylor: „Wie das Gebet
eine Bitte ist, die man an die Gottheit wie einen Menschen richtet,
so ist das Opfer ein Geschenk, das man der Gottheit darbringt, als ob
sie ein Mensch wäre." 17
Die Gaben18 sind so verschieden und mannigfaltig wie die Lebensbedürfnisse
des Menschen : alles, was der Mensch zum Leben braucht oder was sein Leben zu
bereichern und verschönern imstande ist, wird auch den übersinnlichen Wesen
dargebracht. Nirgends im religiösen Kult spiegelt sich die materielle Kultur eines
Volkes oder einer Zeit so deutlich wie in den Gegenständen des Opfers. Das
häufigste und gebräuchlichste Opferobjekt ist Speise und Trank. Was
der Mensch selbst geniesst, das bietet er den Göttern gleichfalls an. Stämme,
die auf der Stufe des Pflanzensammlers stehen, bringen den höheren Geistwesen
von den Pflanzen dar, die sie finden (Zwiebel, Knollen, Wurzeln, wilden Honig,
Blätter von Pflanzen und Nüsse). Aber was man ursprünglich opferte, weil man
nichts Besseres besaß, das pflegte man noch immer darzubringen, als der Port>
V. Inhalt des Gebets (Opfer) 73
schritt der äußeren Kultur auch das Opferwesen bereichert hatte. Die primitive
Nahrungsweise lebt als heilig im Opferkult fort, nachdem sie längst aufgegeben
ist. Nachdem der Mensch gelernt hatte, den Boden zu bebauen, setzte er den
Göttern die Erzeugnisse des Ackers vor: Garben und Körbe voll Korn, Reis,
Mais, Früchte in unzubereitetem Zustand, später auch in gekochtem Zustand.
Jäger opferten von dem erlegten Wild, Fischer von ihrem Fischfang, viehzüchtende
Stämme von ihren Rinder-, Schaf-, Schweine-, Ziegen- und Pferdeherden; die
ältesten Opfer der antiken Kulturvölker (Chinesen, Sumerier, Ägypter, Semiten,
Indogermanen) sind Haustiere. Auch das Fleisch der Tiere wird ursprünglich
in der Form dargebracht, in der es die Menschen selbst verzehren. Das Verbrennen
des Opfertieres oder das Ausgießen des Blutes sind jüngere, aus einem magischen
Ritus übernommene Formen der Opferdarbringung. In jenen Stämmen, in
denen die magische Vorstellung von der , Lebenskraft' getöteter Menschen die
Anthropophagie aufkommen ließ, wird den Göttern auch Menschenfleisch auf-
getischt — eine Sitte, die im Opferkult antiker Völker noch fortdauerte, als jener
rohe Brauch längst verschwunden war. Aber nicht nur trockene Nahrung wird
dem Gott vorgesetzt, sondern auch Trank, den man in Gefäßen darbringt oder
auf den Boden ausgießt (assyr. nikü, onoväi]. libatio). Neben den natürlichen
Getränken (den ytjipdkioi, anovSai der Griechen) : "Wasser, Milch von Pflanzen und
Tieren, die älter sind, stehen die mannigfachen Rauschgetränke, Bier, Met und
Wein, die auf die verschiedenste Art zubereitet sind.
Der primitive Opferer ist, wenn er Speise und Trank dem Gotte bringt, von
der Vorstellung beseelt, daß die Opfergabe wirklich von dem Gotte genossen
wird. ,,Die Götter verzehren die Hekatombe" (Ilias IX 535). Der gänzlich
anthropomorph vorgestellte Gott teilt mit dem Menschen die elementaren sinn-
lichen Bedürfnisse, er hungert und dürstet; er hat „Lust zu essen"18 (Xosakaffern)
und „Freude am Wein" (Ri 9. 13), darum kann ihn der Mensch am besten für
seine Zwecke gewinnen, wenn er ihm ,,den Bauch füllt". Daß der primitive
Mensch ganz naiv glaubt, die Götter verzehrten wirklich das Dargebrachte, geht,
abgesehen von den unzweideutigen Opfersprüchen, schon aus der Tatsache hervor,
daß man in alter Zeit die Gabe der Gottheit in derselben Form darbrachte, wie
die Menschen sie genossen: das Korn als Brot, die Trauben als Wein, die Oliven
als öl, die Tiere geschlachtet und zubereitet. Aber auch die Reflexionen, die
höher entwickelte Stämme über das Opfer anstellen, sind ein Beweis für die
primitive Vorstellung des Opfers als einer Götterspeisung. Gewiß haben die
Menschen ursprünglich den übersinnlichen Wesen Speiseopfer gebracht, ohne
sich eine Vorstellung darüber zu machen, wie der Empfänger sie nehmen und
benützen kann. In vielen Fällen war gar kein Anlaß zu irgendwelchen kritischen
Überlegungen geboten. Die irgend einer Naturgottheit dargebrachten Speise-
und Trankopfer werden ja tatsächlich von den Elementen verschlungen. Flüsse
und Seen nehmen die Opfergabe in sich auf, das Feuer verzehrt sie, der Wind
trägt sie fort, die in der Erde vergrabene, für die unterirdischen Mächte bestimmte
Speise vermodert, die auf die Erde hingegossene Libation vertrocknet. Aber
die auf dem Opferplatze hingestellten Nahrungsmittel und Getränke werden von
den Göttern nicht berührt. Die ausgebildete animistische Weltanschauung,
nach der jedes lebende und leblose Objekt eine übersinnliche Seelensubstanz
von sublimer, aber doch materieller Beschaffenheit besitzt, lieferte dem f ragenden
Primitiven eine Erklärung. Die Geister und Götter verzehren nicht die äußere,
grob-materielle Hülle, sondern nur das ,Bild', die , Seele', den , Lebenshauch',
die unsichtbare Quintessenz der Opferspeise und des Opfertrankes. Oder man
beschränkt den Opfergenuß auf die sublimste Form des Genießens, atif den Ge-
ruch: „Die Geister belecken das Fett und beriechen dessen Rauch", sagen die
Xosakaffern20. Auch Jahwe genießt nach althebräischer Vorstellung das Opfer,
dadurch daß er seinen Duft riecht21. Andere Stämme greifen zum Feuer, (das
bei den Beschwörungsriten zur Abwehr dämonischer Machte dient), und ver-
brennen das Opfertier ganz oder bestimmte Teile, damit der aufsteigende
Rauch die , Seele' des Opfers eniportrage zu den überirdischen Wesen. (Das
Brandopfer ist jedoch gegenüber dem bloßen Hinstellen der Opfergaben sekundär.)
Weil nach der Anschauung zahlreicher Völker das Blut der Sitz des Lebens ist.
so empfangen die Götter das Leben eines Menschen oder Tieres dadurch, daß
74 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
man für sie das Blut ausströmen läßt. So bestand das altsemitische Opfer in dem
,, Hervorbrechenlassen des Blutes". Aber darüber kann kein Zweifel sein, daß
nach primitiver Vorstellung das Speise- und Tiankopfer dem realen Genüsse
durch den Gott dient.
Es gibt jedoch auch hohe Wesen, die nach der Aussage primitiver Stämme
weder essen noch trinken und gleichwohl Opfer empfangen: die Urväter oder
Schöpfergottheiten, die eine Sonderstellung in der religiösen Vorstellungswelt
der Primitiven einnehmen. Die birmanischen Katchins stellen ihren Urvater
Karai Kasang ausdrücklich in Gegensatz zu den opfergierigen niederen Geistern.
Sie bringen ihm nur Früchte und Fische dar, aber schlachten ihm keine Tiere,
weil er angeblich kein Fleisch ißt. Gleichwohl bringt man ihm Tiere dar, die
man jedoch nicht tötet, sondern zum Zeichen, daß sie in seinen Besitz übergehen,
frei laufen läßt22. Hier kann darum nk ht die Vorstellung, daß dem Gott mensch-
liche Nahrung nötig und willkommen sei, wirksam sein. Hier ist das Opfer nicht
«ine Götterspeisung, die dazu dient, die mächtigen Wesen in gute Laune zu ver-
setzen, sondern ein Huldigungsakt, ein Ausdruck der Verehrung, eine Anerkennung
der Abhängigkeit von Gott. Gewiß sind auch hier eudämonistische Motive wirk-
sam ; trotzdem läßt sich der Unterschied zwischen Speise opfer und Aner-
kennung« opfer nicht verwischen : hier dient die Gabe nicht zur Befriedigung
der Bedürfnisse der Gottheit, zum Kauf göttlicher Gunsterweise, sondern gilt
mehr als eine Gott schuldige Pflicht der Verehrung. Das Nebeneinander beider
Opferauffassungen zeigt sich sehr deutlich in den griechischen Opferbenennungen:
den JÄpa und dorsal stehen die zi/ual, ftagiTeg, yiya gegenüber23.
Weil die Götter menschlich vorgestellt werden, will ihnen der Mensch nicht
bloß Speise und Trank bringen, sondern ihnen alle die Genüsse und Freuden
verschaffen, die ihm selbst das Leben verschönern. Auf der tiefsten Kulturstufe
freilich bilden Nahrung und Trank den einzigen Gegenstand des Opfers. Aber
mit dem Fortschritt des materiellen Lebens nimmt der Umfang der Opfergegen-
stände immer zu. Schon primitive Stämme bringen den höheren Wesen Bauch-
opfer von Tabak und wohlriechenden Harzen, Blumen, Perlen, Muscheln, Federn,
Kleider, Stoffe. Tücher, Waffen, Juwelen, Schmuckgegenstände, Silber und Gold.
Noch häufiger sind solche Weihgeschenke (ära^T^ara) bei den antiken
Kulturvölkern.
Das Opfer war ursprünglich, ein Gelegenheitsgeschenk, allmählich wurde es
zu einem regelmäßigen Tribut. In einigen der antiken Beligionen, vor allem in
der ägyptischen, aber auch in der römischen wird die Darbringung der Opfer
zu einer vollständigen Verpflegung, Verköstigung und Bedienung des Gottes,
die in den Händen der Priester ruht. Der in der Götterstatue gegenwärtig gedachte
Gott führt dasselbe Herrenleben wie Pharao. Seine Diener, die Priester, besorgen
die Toilette, servieren die auserlesensten Gerichte aus der Holküche, die feinsten
Weinmarken aus der Hofkellerei, und die Tempelsängerinnen als seine Harems-
damen musizieren dem Gott mit dem Sistrum etwas vor. Der sinnliche Realismus,
der dem Gedanken der Götterspeisung zugrundeliegt, hat hier in Ägypten, wo
die materielle Kultur eine staunenswerte Höhe erreicht hatte, ein umfassendes
Kultwesen erzeugt.
Nicht immer ist der Mensch in der Lage, den hohen Wesen Opfer darzubringen;
in vielen Fällen scheuen sich Stämme und Völker, die auf einer höheren Kultur-
stufe angelangt sind, die grausamen Opfer der alten Zeit fortzuführen, oder der
Egoismus der Menschen will an den Menschen einsparen. Auch dämmert bei
vielen Stämmen schon die Anschauung, daß die Opfer gar nicht zur Speisung
der Götter dienen, sondern nur ein Zeichen der Ehrfurcht, Abhängigkeit und
Dankbarkeit seien24. Alle diese Motive erklären, daß an die Stelle älterer Opfer
von Speisen, Getränken und sonstigen Wertgegenständen Ersatzopfer oder
symbolische Opfer von geringerem Wert treten. Anstatt der Menschen
werden Tiere oder Teile bzw. Ausscheidungen des Menschen dargebracht: Finger,
Haare, Speichel, Blut, (Haare, Speichel und Blut sind Seelentiäger darum be-
sonders zum Ersatz geeignet) oder gar nur Bilder. Manche Stämme scheuen
sogar vor einer Täuschung der Geister nicht zurück. Der Tami auf Neuguinea
wählt die mindeste Opfergabe und versucht, ,,ob er nicht den Geist wie einen
dummen Teufel betrügen kann"25. Die Batak geben den gewöhnlichen Toten-
V. Inhalt des Gebets (Opfer) 75
geistern Opfer, die nicht eßbar sind, erklären ihnen beim Darbringen, es seien
wohlschmeckende Speisen. So sagt man, man bringe das Herz eines Tieres und
gibt statt dessen eine Bananenblüte, man offeriert eine Leber, gibt aber Scherben ;
man erklärt einen weißen Büffel zu opfern, bringt aber nur ein Ei dar26. Die
Baronga dedizieren laut Opferspruch einen Ochsen, in Wirklichkeit ist es aber
nur eine Henne, die sie opfern27.
Auch beim Ersatzopfer ist der ursprüngliche Sinn des Opfers als Gabe, Ge-
schenk an die Gottheit nicht vei wischt. In diesem ursprünglichen Sinn lebt
auch die Opferidee durch alle Jahrhunderte bis in die Gegenwart in der Volks-
religion fort. Im alten Christentum brachte das Volk den Märtyrern dieselben
Gaben dar, die der antike Mensch seinen Göttern widmete28. Allmählich aber
sind die Objekte des Opfers andere geworden. Zwar lebt im europäischen Folklore
noch heute das Speiseopfer in dürftigen Resten fort; Weihgeschenke schmücken
noch heute die Wände der Wallfahrtskirchen. Aber die eigentliche religiöse
Funktion des Opfers haben andere fromme Handlungen übernommen29: der
Kirchenbesuch, die Teilnahme an kirchlichen Kulthandlungen, die Wallfahrten,
Schenkungen und Stiftungen an die Kirche (, Opferstock'), das Anzünden von
, Opferkerzen', das Beten bestimmter Formeln, das Fasten und das Spenden von
Almosen, — kurz alles was als verdienstliches Werk, als Leistung an Gott mit
der Hoffnung auf Gegenleistung und Gebetserhörung geübt wird, ist Opfer im
primitiven Sinne; auch wenn die äußeren Formen gänzlich andere sind, so sind
doch die Meinungen und Absichten, die den naiven Frommen dabei beseelen, ganz
dieselben, die den primitiven und antiken Menschen beim Opfern beherrschen.
Die Lehre von der , Verdienstlichkeit' der »guten Werke' in den großen Gesetzes-
religionen des Mazdaismus, Judentums, Islam und Katholizismus ist im Grunde
nur eine Ethisierung und Sublimierung des primitiven Opfergedankens. Die
wesentliche Idee einer positiven konkreten Leistung an Gott, die einen Anspruch
auf eine Gegenleistung von seiten Gottes bedingt, ist dieselbe geblieben.
Die Idee der Gabendarbringung ist nicht die einzige, welche im primitiven
und antiken Opfer wirksam ist; vielmehr verbindet sich mit ihr häufig die K o m-
munionidee. Man bringt der Gottheit nicht nur Gaben dar, um ihre Huld
zu erlangen und ihren Groll zu beschwichtigen, sondern man lädt sie auch als
Gast zu dem gemeinsamen festlichen Mahle, das die Familie, die Sippe oder der
Stamm ihr zu Ehren feiert. Die Festgenossen wollen durch dieses Zusammen-
essen und Zusammentrinken sich mit der mächtigen Gottheit vergemeinschaften,
das innige soziale Band, das sie untereinander wie mit jener verknüpft, festigen,
die geheimnisvolle Kraft der Gottheit durch das Essen von der heiligen Opfer-
speise in sich aufnehmen. Diese Opfervorstellung findet sich bei primitiven
Stämmen30 und antiken Völkern31, sie ist besonders ausgeprägt in der altsemi-
tischen Religion32. Sie ist aber der Idee der Gabendarbringung keineswegs ent-
gegengesetzt. Wie bei der Darbringung von Speise und Trank handelt es sich
auch beim Opfermahl um eine Speisung des Gottes; der Unterschied besteht
lediglich darin, daß die Menschen mit ihrem Gotte zusammenspeisen und so
seine Tischgenossen werden. Die mystische Kommunionidee schließt sich an
die eigentliche Opferidee unmittelbar an; das Opfermahl ist eine Variante der
bloßen Opferdarbringung. Es ist darum zweifellos xinrichtig, im heiligen Mahl
die Urform des Opfers zu erblicken, wie es Pfleiderer unter Berufung auf Ro-
bertson Smith getan hat; es handelt sich nur um eine Weiterbildung des schlichten
Gabenopfers.
Weil das Opfer ganz im Dienste des Gebetes steht, darum wird in der
dem Opfer vorausgehenden oder es begleitenden Bitte ausdrücklich auf
die dargebrachte Gabe oder das veranstaltete Mahl Bezug genommen.
Wohl gibt es Gebete, in denen auf das gleichzeitige Opfer nicht hin-
gewiesen|wird 33, ja es gibt sogar Stämme, die stumm und wortlos, nur
mit einer ehrfürchtigen und bittenden Geste ihre Gabe überreichen 34.
Aber zumeist wird die Opferdarbringung ausdrücklich kommentiert.
Warneck schreibt von den Tobabatak: ,, Jedes Opfer, klein oder groß,
76 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
muß von einem, wenn auch kurzen Gebetsruf begleitet sein, das den
Zweck hat, das Opfer zu überreichen und die Bedeutung, mit der man
sich bittend naht, darzulegen. Dieses begleitende Gebet ist ursprünglich
die Hauptsache beim Opfer und nimmt bei größeren Feierlichkeiten
einen breiten Raum ein, denn es macht die Gabe erst recht zu dem,
was sie sein soll, eine Unterstützung, ein Akt der Höflichkeit des geringen
Bittenden, mit dem er seiner Bitte Nachdruck verleiht." 35
Die Opfergebete werden zumeist nicht von einer so leidenschaftlichen
Erregung getragen wie die Hilferufe, die ein Geängstigter in der Not
ausstößt. Die Stimmung ist relativ gleichförmig und offenbart eine
gewisse zeremonielle Feierlichkeit.
Der Opferspruch stellt seiner Form nach meist einen kurzen
Hinweis auf das Opfer dar, an den sich unmittelbar eine kurze Bitte
anschließt. In ausführlichen Gebeten wird oft nur mit ein paar Worten
auf die Gabe hingedeutet. Häufig aber macht der Beter den Gott
wiederholt auf das Opfer aufmerksam.
Der Inhalt des eigentlichen Opferspruches besteht oft nur darin, daß man ihn
auf das Opferobjekt aufmerksam macht, daß man ihm sagt, das Geschenk sei
für ihn bestimmt. „Hier ist dein Widder!" (Ewe)36. „Hier ist euer Ochse. Hier
ist euer Essen." (Amazulu)37. ,,Hier ist ein Sirihpriemchen und ein Stück Fuja,
die ich euch gebe" (Kabosenja)38. ,.Ich habe dir ein Opfer gebracht" (Navahoes)39.
„Ich opfere dir Tabak" (Huronen)49. „Ich opfere auch ein Schäflein." (Schilluk
in Ostafrika)41. „Ein klein wenig deines Essens, deines Trinkens gebe ich dir.
Und es ist nicht vieles und gutes, was ich dir gebe." (Kekchiindianer)42.
Der Opferhinweis besteht oft in einer Bitte, die gebrachte Gabe zu beachten
oder in Empfang zu nehmen. „Aronhiate (Himmel), sieh mein Opfer an." (Hu-
ronen)43. „Seht den großen Hahn für euch! Das ist euer Opfer für den Tag,
das ist euer Opfer für die Nacht." (Malinke)44. „Sieh da, was dir deine Kinder
und Geschöpfe opfern. Empfange es und sei nicht gegen sie erzürnt." (Peruaner)46.
„Die Hand opfert, o nimm die Körbchen vom Baum herunter, wir bitten um
Leben." (Marschallinsulaner)48. „Ihr Geister der Vorfahren, nehmt dies Opfer
an, es ist eure Speise." (Xosakaffern)47. „0 Großvater, Väterchen datu hat
angegeben, daß du ein Opfer haben mußt, damit es gut gehe. Hier ist es, nimm
es an! Hilf uns, segne uns! Sei freundlich und nimm es an!" (Tobabatak)48.
„Nehmt den Hahn, den ich hier opfere, als Zukost an." (Herondas, Mimiamben
IV 13); „Nimm an die Opfertiere!" (Aristophanes, Lysistrate 204).
Weil der Primitive glaubt, daß das Opfer wirklich zur Nahrung der über-
sinnlichen Wesen diene, fordert er diese bei der Darbringung nicht selten aus-
drücklich auf, das Gebrachte zu essen und zu trinken. „Erbarmender Vater!
Hier ist etwas Speise für dich ; verzehre sie ; sei uns gnädig um dieser Gabe willen !"
(Papua auf Tanna)49. „Hier bringen wir unseren Yams, nehmt ihn in Empfang
und eßt ihn. Ihr sollt essen, bevor wir essen." (Ewe)60. Wenn ein Hurone in
Gefahr ist, wirft er eine Handvoll Tabak ins Feuer, wobei er ruft: „Da nimm
und rauche, sei friedlich und tue mir kein Leid an!"61 Und wenn die Tami auf
Neuguinea eine Zigarre einem Geist dedizieren, fügen sie bei: „Da lege ich dir
eine Zigarre her, rauche sie und treibe mir hernach Fische zu!"62
Bei solchen göttlichen Wesen, die auf Erden weilen und denen der Mensch
an ihrem Wohnorte opfern kann, genügt die Bitte um Annahme und Genuß de
Opfergaben; aber solche Wesen, die nicht unmittelbar den Menschen nahe sind,
sondern in weiter Ferne sich aufhalten, pflegt man ausdrücklich aufzufordern,
an den Opferplatz herbeizukommen und von den Opfergaben Besitz zu ergreifen.
Vor allem lädt man die Gottheit ein, der zu Ehren man ein Festmahl veranstaltet.
Ein Moanu auf den Admiralitätsinseln ladet also den Gott ein: „Vater! sieh da
das dir gehörige Sagobrot ! komm herab zu meinem Sagobrot"63. Ein Ainu betet:
V. Inhalt des Gebets (Opferspruch) 77
„O Schöpfer der Welt, steige herab und nimm diesen Wein in Empfang".54 Bei
den birmanischen Katchin werden der höchste Gott Karai Kasang und die Geister
mit folgenden Worten zu einem großen Opfer aufgefordert: „O Karai Kasang,
Schöpfer aller Geister, Vater aller Menschen, komm und setze dich auf diesen Lehn-
stuhl ; alle Opfer auf dem Balkon sind für dich ; iß und trink, was du gerne hast ; auch
ihr, große Nats, Söhne und Enkel des Karai Kasang, kommt in Gesellschaft mit
eurem Vater und empfangt die aufgestellten Geschenke!" Der Einladung folgt
natürlich die Bitte: ,,Und nun Karai Kasang, gewähre uns Reis, Büffel, Silber"
usw.55 Der einladende Ruf eines Batak an den Ahnengeist lautet: ,,Sumangot
der Großmutter, S. des Großvaters! Ich rufe dich, ich lade dich ein58." Das
Herbeirufen des Gottes zum Opfer läßt sich auch als eine urindogermanische
Sitte nachweisen: der Gott wird aufgefordert, auf einem Grasbündel, das auf
die Erde gestreut wird (Sanskrit barkis, Avesta baresman), während des Opfer-
aktes Platz zu nehmen57. Mit den Worten: „Laßt euch nieder bei unserem Opfer!"
lädt der parsische Opferpriester die himmlischen Wesen zum Opfermal ein58.
D.ecp ösvze (kommt gnädig hierher!") ruft der Opferpriester in den Mimiamben
des Herondas (IV II). Sehr häufig ergeht an ein oder mehrere göttliche Wesen
gleichzeitig mit derEinladung dieBitte, ihreGenossen zum Opfermahl mitzubringen.
Bei der Brautwerbung betet der Familienvater der Ruanda: ,,0 Vater, Großvater
meiner Tochter, sieh an diesen Ochsen, den wir dir opfern; geh auf die Berge,
rufe her deine Knechte, sammle zum Schmaus deine Leute, deine Krieger; hier
ist dein Ochse, von den deinen dir erkoren; setze dich hin, iß ihn auf, du und
die deinigen."59 Die Baronga beten zu den göttlichen Vorfahren: „Ihr unsere
Götter, und ihr N. N., hier ist unser Opfer. Jetzt haben wir euch diese Gaben
gebracht. Ruft eure Ahnen N. N„ ruft auch die Götter dieses kranken Knaben." 60
Die Amazulu: ,,Hier ist eure Nahrung. All ihr Geister unseres Stammes, ladet
euch gegenseitig ein! Ich sage nicht: N. N. Hier ist deine Nahrung, denn ihr
seid eifersüchtig, sondern du N. N., der du diesen Mann krank gemacht hast,
rufe alle Geister; kommt ihr alle, um diese Speise zu verzehren!"61 Mit ähnlichen
Worten ladet der Priester der Batak die Mächtigen ein: ,,0 Großvater Boraspati
ni tano und ihr sombaon (Lokalgeister)! Ruft euch gegenseitig herbei ihr Götter,
denn ich kann euch nicht alle nennen" usw.62
In allen diesen Fällen reiht sich die Bitte ganz selbstverständlich an den Opfer-
spruch, der eine schlichte Bitte um Aufnahme oder eine Einladung enthält. Manch-
mal aber verweist der Beter auf seine Gabe mit besonderem Nachdruck;
er belehrt den Gott darüber, daß sein Opfer etwas Besonderes ist. „Wir werden
dir ein Schaf opfern, ein sehr wertvolles Schaf," kündigt der Kikuyuhäuptling
dem Urvater Ngai an62. Und ein Baronga-Dorfhäuptling empfiehlt sein Opfer
mit den Worten: „Du Mombo-wa-Ndlofu, Herr dieses Landes, der du es deinem
Sohne Makundju gegeben hast usw. Schaue auf mein Opfer! Ist es nicht ein
schönes Opfer? Ich bin hier ganz allein. Wenn ich es nicht mitgebracht hätte,
wer hätte dir etwas gegeben? Ist's nicht so?"64 Manchmal betrachtet der pri-
mitive Mensch das Opfer nicht mehr als schlichte Gabe, sondern als Kaufpreis
göttlicher Gunst. „Tschakan" (Flußgott), fleht der Coraindianer, „hier bringe
ich dir diese Gabe. Hiermit bezahle ich dich, daß du mir die Erlaubnis gibst
zu baden."85 Bisweilen aber pocht der Bittsteller sehr kräftig auf seine Leistung
und macht den Gott darauf aufmerksam, daß er nun einen rechtlichen Anspruch
auf Gegenleistung hat. „Wenn dir jemand etwas gegeben hat, was du gegessen
hast, dann mußt du auch ihm wieder etwas geben, daß er essen kann", sagt ein
opfernder Ewepriester zu einem tro68. Einen noch stärkeren Akzent trägt das
,do ut des' in dem Wort des indischen Sängers: „Hier ist das Opfer, wo sind deine
Gaben?"67
Neben diesen Opfersprüchen, in denen der Fromme auf den Wert der dar-
gebrachten Gaben pocht, stehen solche Opfergebete, in denen der Opfernde sich
wegen der Geringfügigkeit seiner Gabe entschuldigt. Der Kekrlii- Indianer betet
schüchtern und zaghaft bei der Maissaat: „Ein klein wenig deines Essens, deines
Trinkens gebe ich dir; es ist nichts, was ich dir gebe." Und bei einer anderen
Gelegenheit spricht er: „Jetzt habe ich ein klein wenig deines Essens, deines Trin-
kens gebracht. Es ist ja nicht vieles und gutes, was ich dir gebe. Vielleicht einen
78 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
halben, vielleicht einen viertel Real habe ich gewechselt, habe ich geliehen in
meiner Kleinheit, meiner Armut." Hier spricht sich jene tiefere Auffassung aus,
nach der das Opfer nur ein schlichtes Symbol scheuer Ehrfurcht, kindlicher Demut,
ein Zeichen des guten Willens ist. Nicht um kostbarer und massenhafter Gaben
willen erhört Gott ein Gebet und Opfer, sondern um der aufrichtigen Gesinnung
des Betenden und Opfernden: „Es ist nicht wegen meiner Kleinheit, meiner
Armut, was du auch tuest, so zeigt es aber vielleicht meine Kleinheit, meine Armut,
was ich schaffe."*8 In den Mimiamben des Herondas (IV 14 ff.) entschuldigt
«ich die Opfernde mit den Worten :
,,Denn spärlich fließt ja unser Brünnlein nur —
Sonst hätten wir dir ein Rind oder 'ne Mastsau'
Mit Speck gepolstert, keinen Hahn, als Kurlohn
Gebracht." (Übs. v. O Crusius.)
Die sophokleische Elektra entschuldigt sich vor Apoll, daß sie ohne Gabe
mit bloßen Bittworten vor ihn trete:
„Allein mit dem, was ich besitze, o Apoll.
Fleh' ich, werfe mich nieder, bete."69
Ursprünglich bringt der Mensch, wenn er bittend seine Hände zum
Gott erhebt, ein Geschenk dar, um ihn für seine Wünsche zu gewinnen.
Aber nicht immer wird ihm die Erfüllung seiner Bitte zuteil. Er ist
gewitzigt; er traut dem Gott nicht mehr recht. Darum will er sich
nicht vergeblich in Auslagen stürzen, er will erst die Hilfe des Gottes
erfahren und dann erst, zum Lohn und Dank dafür, das Opfergeschenk
darbringen. So stellt er denn dem Gott bedingungsweise, für den Fall,
der Erfüllung des Gebetswunsches ein Opfer in Aussicht, er verspricht,
,gelobt' ein Geschenk. Oft verbindet er mit diesem Gelübde die Dar-
bringung einer kleinen, im Verhältnis zur versprochenen Gabe minder-
wertigen Opferspende, gleichsam als Angeld des eigentlichen Opfers 70.
Das G e 1 ü b d e ist zweifellos jünger als das schlichte Opfergebet. Die
kindliche Zuversicht auf die Wirksamkeit des Geschenkes ist bereits
etwas erschüttert. „Man sucht die Götter durch ein Versprechen zu
reizen und ist klug genug, eine vielleicht vergeblicheGabe zu vermeiden."71
Das Gefühl der Abhängigkeit ist dadurch geschwächt, daß der Mensch
mit den höheren Wesen handelt und feilscht, also nicht mehr unter
ihnen, sondern auf gleicher Stufe steht. Oft wird aus der demütigen
Bitte und ehrfürchtigen Geschenkdarbringung ein gewöhnliches Kauf-
mannsgeschäft. „Gib mir — dann geb ich dir" (dehi me — dadämi te)
heißt es in einem indischen Opfertext 72. „Wenn du eilst (mit der Er-
hörung), können auch wir eilen. Wenn du aber hinkst, so müssen auch
wir hinken" beten die Ewe 73. Der sekundäre Charakter des Gelübdes
geht schon daraus hervor, daß es sich erst bei den höherstehenden
, Naturvölkern' findet: bei den nordamerikanischen Indianern, den
Bantu und Malaien, während die auf tieferer Kulturstufe stehenden
Stämme nur durch die ein gleichzeitiges Opfer unterstützte Bitte kennen.
In der ältesten Epoche der indischen Religion sind Gelübde noch sehr
selten, erst in der nachvedischen brahmanischen Periode werden sie
häufiger. An der späteren Entstehung des Gelübdes kann darum nicht
gezweifelt werden.
Eine kinderlose Ewefrau gelobt: „Ich bitte dich, du wollest mir ein Kind
V. Inhalt des Gebets (Gelübde) 79
sr.henken. Wenn du meine Bitte erfüllst, so will ich dir mit einer Ziege danken." 7*
Beim Auszug in die Schlacht betet der Ewepriester: „Hab Acht auf die Kinder,
daß ihnen nichts Schlimmes widerfährt. Wenn sie aus dem Kriege zurückkommen,
so werde ich dir mit Palmwein und zwei Hähnen danken."76 Der Dschagganeger
macht bei der Krankheit eines Familiengliedes ein Gelübde. „Du Geist X. X.,
der du diesen Menschen ergriffen hast; mache ihn gesund, so werde ich erkennen,
daß du es bist und dir dann eine Ziege spenden." Wird es aber mit dem Kranken
schlechter, dann wird sogleich ein Opfer gebracht und für den Fall der Genesung
noch ein zweites in Aussicht gestellt. ,,Hier ist die Ziege, mein Vater, wende
doch deine Augen auf den Kranken, daß er gesund werde! Erhöre, erhöre, o
König, o Erde, o Himmel, laß dich ei bitten. Wenn du es bist, der ihn ergriffen
hat, so mache ihn nun gesund, Herr, dann wirst du noch ein anderes (Stück
Kleinvieh) erhalten."78 Ein Batak-Vater betet: „Wenn du es bist, Vater, dann
tue doch nicht so zu diesem Kranken. Wenn du von uns ein Opfer haben willst,
fordere es nicht auf diese Weise . . . Laß uns einen Bund machen : Wenn
du diesen Kranken gesund machst, dann wollen wir dir ein wohlschmeckendes
Opfer bringen, wie du es gewohnt bist."77 Ein Siouxhäuptling spricht beim
Auszug zum Krieg zur Sonne Wakanda: „Ich verspreche dir ein Kattunhemd
und einen Rock, Wakanda. Ich werde dir auch eine Decke schenken, wenn du
mich heil und gesund nach Hause kommen lassest, nachdem ich einen Pawnee
getötet habe."78 Ein Missionar schildert uns ausführlich, in welcher Form bei
den Ruanda die einer religiösen Geheimgesellschaft angehörenden Männer Ge-
lübde darbringen. Der Bittsteller setzt dem göttlichen Wesen einen Krug mit
Bier gemischten Wassers vor und berichtet über seine Notlage: „Du weißt, L'ang-
ombe, meine Ernte scheint kläglich auszufallen. Die Regengüsse sind selten
(oder allzureichlich), die Frau, die ich schon vor vier Jahren zu mir genommen
habe, gebärt nicht, oder: meine Kinder sind krank oder: der, dessen Dienste ich
mich gewidmet habe, hat meinen Wünschen nicht entsprochen — keine Kuh!
Erscheint mich vergessen zu haben; ja du weißt es." Nun werden die Bedingungen
formuliert, unter denen der Gott ein Opfer erhält: „So höre denn: Wenn dvi
meine Kornböden füllst, wenn du meine Gattin fruchtbar machst, wenn du die
Meinen heilst, wenn ich von meinem Schutzherrn das erhalte, was mich zu ihm
hingeführt hat, so höre denn!" Jetzt folgt die Aufzählung der Opfergaben, die
der Gott erhält, wenn er sich willfährig zeigt. „Im Hause haben wir dein Gefäß
beiseite gesetzt; es ist wohl gewaschen; es bleibt nur mehr dazu da um es mit
ngoza zu füllen. Ich schwöre dir. im kommenden Jahr (oder früher oder später)
werde ich dir zu Ehren soviel Bananenwein oder soviel marwa ausgießen, daß
sich alle Leute der Umgegend sättigen können. Ja noch mehr, ich versichere
dich, daß alle die, welche an meinem Hause vorüber gehen werden, wenn sie von
Bugoyi oder Nanze kommen, sich nicht über Durst bei deinem intango beklagen
brauchen. Ich habe auch eine unfruchtbare Kuh; man wird sie dir zu Ehren
töten. Ich habe einen prächtigen Stier, man wird ihn dir zu Ehren töten." Der
Beter fügt eine allgemeine Bitte bei: „Sei also gnädig! Erhöre mein Gebet! Be-
schütze mich vor den Geistern! Entferne alle die, welche mir schaden wollen"
usw. Dann wiederholt er noch einmal das bedingte Versprechen und bekräftigt
es durch den Hinweis auf einen Zeugen und durch eine schaurige Selbstverfluchung.
„Wenn du mir also das gewährst, um was ich dich gebeten habe, werde ich dir
meinerseits das, was ich dir versprochen habe, opfern. Übrigens hier ist mein
Zeuge (er läßt einen Verwandten oder Freund herbeitreten); und wenn ich trotz
meines Schwäres meinen Verpflichtungen untreu werde, möge ich durch das
Schwert des L'angombe getötet werden!"79
In der gleichen Weise macht man auch bei den antiken Völkern Gelübde.
Jephtha gelobt Jahwe: „Wenn du in der Tat die Ammoniter in meine Gewalt
gibst, so soll, wer immer aus der Türe meines Hauses mir entgegenkommt, wenn
ich wohlbehalten von den Ammonitem zurückkehre. Jahwe angehören und ich
will ihn als Brandopfer darbringen" (Ri 11, 29 ff.). Und die kinderlose Hanna
spricht: „Jahwe der Heerscharen! Wenn du dich um das Elend deiner Magd
bekümmerst und meiner gedenkst und deiner Magd einen männlichen Sproß
schenkst, so will ich ihn Jahwe übergeben für' Bein ganzes Leben und kein Scheer-
80 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
messer soll je auf sein Haupt kommen" (I Sem. I, 11). Diomedes spricht in der
Ilias zur Göttin Athene:
„So nun wollest du mir auch beistehn und mich behüten!
Dir gelob ich ein jähriges Rind, breitstirnig und fehllos,
Ungezähmt, das nimmer ein Mann zum Joche gebändigt:
Dieses gelob' ich zum Opfer, mit Gold die Hörner umziehend." 8o
(Übs. J. H. Voß)
Appius Claudius betet zur Kriegsgöttin: „Bellona, si hodie nobis victoriam duis,
ast ego tibi templum voveo" (,,Belona, wenn du uns heute den Sieg schenkst,
dann gelobe ich dir einen Tempel."81) In der Volksreligion aller Jahr-
hunderte spielt das Gelübde eine wichtige Rolle. Die Gelübde, die man im 6.
Jahrb. christlichen Heiligen machte, lauten ganz ähnlich wie die der Griechen
und Römer. ,, Hilf mir, erhöre meine Bitte, so will ich dir dies oder das schenken."8*
Noch heute macht man im semitischen Orient Gelübde in dei selben Weise wie
1000 Jahre vor Christus. Die Fellachen geloben demWeli eine Menge Korn unter
der Voraussetzung, daß er ihnen reiche Ernte gewähre. Eine Syrerin, die von
der Sehnsucht nach einem Kind gequält wurde, versprach dem Nebi Daüd ein
fettes Schaf, wenn er ihr einen Sohn schenke. Zuweilen gelobt ein Mann, wenn
der Heilige einen Sohn gewähre, das Gewicht desselben in Silbermünzen darzu-
bringen. Eine muhammedanische Syrerin gelobte dem Mär Eljä, daß sie ihren
Knaben, wenn er genese, in die Kirche bringen und dort taufen lassen wolle.
Eine solche Formel des Gelübdes lautet: „Prophet Gottes! O Ssafa! Laß mir
diesen Knaben und ich will dir ein Opfer bringen." Eine andere: „Ich brauche
das und das und wenn du das und das mir tust, dann will ich dir einOpfer bringen." 83
In der schlichten Bauernfrömmigkeit nehmen noch heilte die Gelübde einen
breiten Raum ein. In katholischen Ländern gelobt man Stiftungen an die Kirche,
vor allem aber Wallfahrten an heilige Stätten. Ein biederer Algäuer versprach,
als er ins Feld rückte, der Mutter Gottes, zu Fuß nach Altötting zu wallfahren,
wenn er wieder glücklich nach Hause käme. Aber auch in der evangelischen
Bauernreligion bildet das Gelübde einen integrierenden Bestandteil. In der
Lebensgeschichte eines friesischen Bauern heißt es: „Wenn einmal ein Unglück
kam, dann hatte er die feste Zuversicht, daß ein ernstliches Gebet von Gott
erhört würde. Er tat es jedesmal und gelobte dazu etwas in den Gotteskasten."84
6. Mittel der Überredung.
Der primitive Mensch sucht seinen Gott nicht nur durch den Hinweis
auf ein reales Opfergeschenk für sich zu gewinnen, ihn umzustimmen
und günstig zu beeinflussen, sondern er benützt hiezu alle möglichen
Mittel der Überredung. Oft verrät er dabei eine bewundernswerte
Raffiniertheit; er ist höflich gegen die hohen Mächte, er schmeichelt
ihnen, er zeigt ihnen, daß die Erfüllung der Bitte in ihrem eigensten
Interesse liege; ja, wenn das nicht hilft, greift er zu Drohungen. Er
beruft sich auf ihre Macht, ihre bisherige Hilfe, auf das soziale Band,
das Menschen und Götter miteinander umschlingt. Er streicht sich
selbst heraus, aber er jammert und heult ihnen oft auch vor. Er be-
stürmt sie fortgesetzt, bis sie nachgeben. Er klagt sich selbst an, ver-
demütigt sich, entschuldigt sich und fleht um Verzeihung. Alle Rede-
künste, mit denen er im Verkehr mit seinen Mitmenschen und besonders
den Machthabern seinen Vorteil zu erringen sucht, wendet er auch im
Verkehr mit den übersinnlichen Mächten an, um seiner Bitte Gehör
zu verschaffen.
Die Bitte wird nicht selten eingeleitet durch ein Grußwort, das
bei der profanen Begrüßung gebraucht wird oder der gewöhnlichen
Grußformel nachgebildet ist. Im alltäglichen Leben „drücken die Gruß-
V. Inhalt des Gebets (Überredung) 81
worte Freundschaft, Ehrfurcht oder Hingebung aus, am häufigsten
aber bestehen sie aus Segenswünschen" (Schurtz) 1. Dasselbe gilt von
den am Anfang, hie und da auch am Schlüsse eines Gebetes stehenden
Begrüßungen.
H „Sei willkommen" beginnt das Gebet der Hottentotten an den Neumond9.
Mit den Worten: „Gruß! Gruß!" fangen einige Anrufungen der Wedda auf
Ceylon an. „Heil!" oder „langes Leben! langes Leben!" sind die Einleitungs-
worte anderer Opfergebete.3 „Bleibe gesund!" lautet ein Gebetsgruß der Dschag-
ga4. „All Heil, Geister unseres Stammes!" ruft der Häuptling der Amazulu
beim Ahnenopfer und die ganze Opferversammlung nimmt seinen Ruf auf5.
Mit der Formel „Begrüßung sei dir! Anbetung dir! Heil dir!" heben die ägyp-
tischen Hymnen an6. Xalpois, ywaTge sind alte Formeln der griechischen Epiklesis7.
Wenn die alten Araber ein Heiligtum betraten, stimmten sie das obligate Jauchzen
(tahlil) an; im heutigen Islam ist diese Sitte auf das bloße Aussprechen der Hul-
digungsformel labbaika „zu Befehl", „zu Diensten" beschränkt8. Die in ägyp-
tischen Texten oft erwähnte Sitte des hnw, bei der man sich kniend mit geballten
Fäusten die Brust schlug, scheint dem arabischen tahlil zu entsprechen9. Wenn
ein Baronga die Hauskapelle betritt um seinen Geistern zu opfern oder ihnen
ein Anliegen vorzutragen, spricht er, indem er in beide Hände klatscht: „Guten
Morgen, Ba-Ngoni!"10 Und noch in der jüngsten Zeit begann man in Mecklenburg,
wenn man dem Holunderbaum ein Speiseopfer brachte, das Opfergebet mit den
Worten: „Gun Dag, gräun Marie!"11
Der anthropomorph gedachte Gott hat nicht nur Freude an Speise
und Trank und schönen Geschenken, sondern er hat es auch gerne,
wenn man in ehrenden Worten seinen Wert anerkennt und so sein
Selbstgefühl steigert. Deshalb packt ihn der Mensch bei seiner schwachen
Seite: er schmeichelt seiner Eitelkeit, weil er weiß, daß er dann besser
zum Geben aufgelegt ist. Gewiß gibt es auch in der primitiven Welt
spontane Lobesäußerungen, die einer echten Gottbegeisterung und
Ehrfurcht vor dem Gott entspringen und nicht einen egoistischen Neben-
zweck verfolgen. Aber die ehrenden und huldigenden Worte, die in
gewöhnliche Bittgebete eingestreut sind, stehen ganz im Dienste der
Bitte und wollen nur die übermenschlichen Wesen in gute Laune ver-
setzen, daß sie gerne und bald das Gebet erhören.
„Denn auch den hehren Göttern ist dies eigen stets,
Wenn sie geehrt von Menschen werden, freu'n sie ich." (Euripides)14
In den Gebeten der Vedda-Pygmäen an die Verstorbenen swerden deren Taten
und Heldenhaftigkeit gefeiert. So wird der Totengeist eines großen Nimrod
gepriesen als „ständig gehend von Hügel zu Hügel, die Spuren des herrlichen
Sambartieres von Fußspur zu Fußspur verfolgend."13 In den Gebeten an die
Ahnen zählen viele Bantustämme ihre Ehrennamen auf, die sie im Kampf mit
den Feinden sich erwarben, und preisen ihre Taten, die sie zu Lebzeiten vollbracht. u
Ein Missionar schreibt von den Dschagganegern: „Es gibt ein Lobpreisen und
ein Rühmen der Geister, aber nur in Verbindung mit Bitten oder bei eidlichen
Versicherungen." „O wunderbare, o Berg des Alten, o Stolz des Landes, o Zierde
des Ostens!" sind rühmende Epitheta, die der Dschagga den Geistern gibt16.
„Ihr Geister der Vorfahren, die ihr so große und edle Taten für uns verrichtet
habt" beginnt ein Gebet der Xosakaffern1'. Die Amazulu weisen in ihrem Gebet
ausdrücklich auf die Lobeserhebungen hin, mit denen sie den Ahnengeistern
Freude machen. „Wir preisen dich mit allen Ehrennamen, wir erzählen deine
Großtaten. Zürne uns nicht mehr !'" 7 Auch hinter den kurzen, ehrenden Epitheta,
die der Anrede beigefügt werden, „großer", „gütiger", „Herr!" kann sich bis-
weilen schmeichlerischer, serviler Sinn verstecken, obgleich sie ursprünglich
ein unwillkürlicher Ausdruck des Abhängigkeitsgefühls und der Zuversicht, sind.
Wie es sich lohnt, den Göttern klingende Ehrentitel zu geben, zeigt ein hübsches
Das Gebet. 6
82 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
chinesisches Geschichtchen. Inmitten der heißesten Jahreszeit trat in Sutschau
plötzlich starker Schneefall ein. In seinem Schrecken begab sich das Volk in
den Tempel des Prinzen Erde, um zu beten. Da sagte einer von den Geistern:
,,Ihr sprecht mich jetzt als ,Euer Gnaden' an; nennt mich doch , Exzellenz' I
Ich bin zwar nur eine untergeordnete Gottheit, aber es wird sich wohl lohnen."
Das Volk tat so und siehe, der Schneefall hörte gleich auf18.
Daß man den übersinnlichen Wesen schmeichelt und huldigt, setzt
bereits eine Entwicklung des Selbstgefühls voraus: erst mußten die
Menschen selbst Freude an Ruhmreden und schönen Titeln haben, ehe
sie dies ihren Göttern zutrauten. Darum finden sich Lobpreisungen
in Verbindung mit Bitten fast nur bei den höherstehenden Bantu und
Malaien, ebenso bei den antiken Völkern, während primitivere Stämme
ihre Bitten noch nicht mit Lobessprüchen aufputzen.
Der Gott des Primitiven ist derselbe naive Egoist wie dieser selbst,
darum benützt der Mensch den Egoismus des Gottes als Mittel zur
Befriedigung seines eigenen : er appelliert an sein persön-
liches Interesse, er erklärt ihm, daß die Erfüllung seines Wun-
sches in seinem eigenen Vorteil liegt. Die Segnungen , die er den Menschen
zuteil werden läßt, kommen ihm selbst wieder zugute in der Form von
Opfergaben.
Die Dschagga beten beim Auszug in den Krieg: „Ruwa, mein Häuptling,
mögest du mich an die Hand nehmen und sicher führen ! Gewähre mir auch ein
Rind, Häuptling, damit ich dir ein Opfer bringe."19 Die Hottentotten beten:
„O Heitsi-Eibib, du unser Großvater, laß mich glücklich sein, laß mich Honig
und Wurzeln finden, daß ich dich wieder beglücken kann."80 Die Ewe bitten:
,,0 Kapele merk auf! Gib, daß wir gesund bleiben, damit wir später wieder zu
dir kommen und etwas Palmwein auf die Erde gießen können!"21 Die Khonds
von Orissa sagen: ,, Erinnere dich, daß mit unserem Ertrag auch deine Verehrung
wächst und daß die Verminderung desselben auch die Verminderung deiner
heiligen Riten nach sich zieht."" Ein Xosakaffer fleht : „Ich bitte, daß ihr (Ahnen-
geister) meinen Kraal mit Vieh, meine Scheune mit Korn, meine Häuser mit
Kindern füllt, damit ihr uns nie aus dem Gedächtnis kommt.'.23 Die Polynesier
beten: ,,Wir haben nichts Besseres, gebt uns Besseres, dann sollt ihr davon
kriegen."24 Ein Dschagga belehrt die Geister: „Erhaltetmir das Leben und schenkt
mir Gesundheit! Oder wie soll ich es denn sonst nach eurer Meinung machen ? Habt
Geduld, ich will Gras schneiden, bis ich eine Ziege als Futterlohn erhebe, die werde
ich eueh spenden. Wenn ihr mich so bedrängt, werdet ihr dann etwas erhalten ? Un-
möglich! Ihr werdet von euresgleichen ausgelacht werden. So behütet mich denn,
dann werdet ihr das Eurige erhalten."28 Noch mehr Worte der Überredung wendet
ein Zulukaffer auf, um seine Ahnen zu reizen, daß sie ihm Reichtum gewähren:
„Ich bitte euch, daß ich Rinder bekomme und Kinder und Weiber, von denen
ich Kinder erhalte, damit euer Name nicht zugrunde geht, sondern
damit man noch sage: das ist das Dorf des so und so dort. Denn wenn ich keine
Kinder bekomme, dann wird es nicht heißen: das ist das Dorf des so und so dort.
Wenn ich allein bin, kann es sein, daß ich lange auf Erden lebe; wenn ich aber
keine Kinder habe, ist es bei meinem Tod mit meinem Namen aus; dann werdet
ihr in schöner Verlegenheit sein, wenn ihr Grashüpfer essen müßt ; denn bei meinem
Tod ist es mit meinem Dorfe aus und ihr werdet keinen Platz mehr haben, den
ihr betreten könnt; ihr müßt dann vor Kälte in den Bergen sterben."26 Hier
richtet sich der Apell ebenso an das Ehrgefühl des Gottes wie an seine Sorge um
den Lebensunterhalt, den ihm die Opfer der Menschen garantieren. In den
Khasibergen in Assam betet der Priester: „Dir gehört dies Opfer. Mögen wir
glücklich leben, gesund sein und uns vermehren, mögen die Könige emporkommen,
möge ihre und des Landes Ehre wachsen und zunehmen und die Kinder des
Landes sich ausbreiten, um zu vermehren deinen Namen und
deine Ehre!" ,,0 Gott, Herr und Schöpfer, gib Glück und Wohlfahrt auch
V. Inhalt des Gebets (Überredung) 83
mir, dem Priester, damit immer größer werde meine Danksagung und Hingabe
an dich."27 Primitive Urwüchsigkeit redet aus dem an das erwähnte Kaf fern-
gebet anklingenden Gebet des äschyleischen Orest an Zeus:
..Hast du dem frommen Könige, der dich ehrte
Also die Sprossen weggetilgt, wer streut
Aus vollen Händen dir die Gabe noch ? . . .
Der königliche, der verdorrte Stamm
Läßt deinen Altar frei an deinem Feste" (Choeph. 255 ff.).
Eteokles ruft in den Sieben gegen Theben:
,. Helft uns, ihr Ewigen! Es frommt auch euch,
Denn eine Stadt in Glück verehrt die Götter" (76 f.).
Die Tempel sind bei den antiken Völkern die Wohnstätten der Götter ; wird
eine Stadt zerstört samt ihren Tempeln, so werden sie obdachlos. Darum er-
innert der Chor der frommen Thebanerinnen die Götter daran, was ihnen beim
Untergang ihrer vom Feind bedrängten Stadt droht.
., Gedenkt der heil'gen Tempel! Denkt ihr derer.
So müßt ihr helfend eurem Volke nah'n"28.
Um den Ehrgeiz des Gottes zu stacheln, verweist der Beter bisweilen auf andere
Götter, die dem Menschen Hilfe zuteil werden ließen. .,Alle jene, welche Erfolg
haben, haben es durch die Hilfe ihrer Götter", halten die Baronga ihren Ahnen
vor*'. Und ein Zulu sagte ihnen vorwurfsvoll : , .Andere Amadhlozi (^hnengeister)
segnen ihre Leute."30 Wenn bei Vollmond ein Ewekaufmann auf Reisen geht,
betet er: ,,0 Mond! Als deine Brüder voll waren, da war ich gesund und es ist
nur nie etwas Schlimmes zugestoßen. Nun bist auch du voll, und wenn mir
etwas Schlimmes zustößt, so wird man es von dir fordern. Ich bitte dich, hab
recht Acht auf mich !"31 Man malt auch dem Gott aus, wie man bei vertauschten
Rollen tun würde. ,.Wäre ich du. o Agni," sagt der Sänger des Rigveda, „und
wärest du ich, so würden deine Wünsche in Erfüllung gehen." „Wärest du,
Agni, der Sterbliche und ich der Unsterbliche von Mitras Glanz, so würde ich
dich nicht dem Unglück und Elend preisgeben, nicht würde mein Lobsänger
bedürftig und schlecht gestellt sein, o Agni, nicht so erbarmungswürdig."32 Man
appelliert auch an die Selbsttreue des Gottes, man erinnert ihn daran, daß es
höchst inkonsequent wäre, die Bedürfnisse der Menschen, die sie erschaffen haben,
nicht zu erfüllen. Die Khonds beten: ,,0 Boora Pennu! D u erschufst uns und
legtest uns die Eigenschaft des Hungers bei, daher war Getreidenahrung für
uns notwendig und daher waren notwendig für uns fruchttragende Felder."33
Die Flußneger Kameruns sagen zum höchsten Gott Obaschi: „Da du, o Gott,
verfügt hast, daß wir Weiber heiraten sollen, so hilf uns auch, daß mein Weib,
das zur Stunde krank darniederliegt, bald gesund wird."34
Aber nicht nur freundliche Worte gebraucht der primitive Mensch,
um die höheren Mächte zur Erfüllung seiner Wünsche zu bewegen.
Der Appell an das eigene Interesse der Götter geht nicht selten über
in die offene Drohung. Vor allem kündigt er ihnen den Entzug
der Opfermahlzeiten an; denn dadurch glaubt er ihre tiefsten Lebens-
interessen zu treffen.
Ein köstliches Dokument der Naivität ist folgendes Zulugebet: „Wann haben
wir es unterlassen zu opfern und deine Ehrennamen zu wiederholen? Warum
bist du denn so knauserig? Besserst du dich nicht, dann werden wir alle deine
Ehrennamen in Vergessenheit geraten lassen. Was ist dann dein Los ? Dann
kannst du gehen und Grashüpfer essen! Bessere dich, sonst vergessen wir dich!
Was nützt denn das. wenn wir schlachten und dich mit deinen Ehrennamen
preisen? Du verschaffst uns ja weder Saat noch Viehreichtum! Du erweisest
uns keinen Dank für alle unsere Mühe. Ganz und gar wollen wir dich verstoßen
und zu anderen Menschen sagen, daß wir überhaupt keine Ahnengeister haben.
Das ist dann dein Schaden. Wir sind über dich ärgerlich. "36 Ein alter ägyptischer
Text enthält folgende Drohung an die Götter: „Wenn ihr den Toten nicht mit
seiner Familie zusammenführt, da raubt man die erlesenen Fleischstücke von
den Altä-en der Götter, man opfert keine Brote mehr, mau mischt kein Weißbrot
84 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
mehr und kein Fleischstück wird mehr vom Schlachtbock dem Gott dargebracht.38
Ein Muslim, der ein verlorenes Kamel gesucht hatte, drohte Allah: „Ich beschwöre
dich, wenn du es mir nicht wieder verschaffst, werde ich dich nicht mehr an-
beten."37 Ähnliche Drohungen an Gott kann man bisweilen noch heute aus
dem Munde naiver Menschen vernehmen.
Selbst vor harten Vorwürfen und wilden Schmähungen
schrecken die primitiven Beter nicht zurück. Warneck berichtet von
den Batak: ,, Leute, dis sich im Unglück befinden, fluchen Gott und
überhäufen ihn mit Vorwürfen." 38 Junod schreibt von den Baronga :
,,Wenn ein großes Mißgeschick der Anlaß zum Gebet ist, geht der Bitte
voraus oder folgt ihr eine regelrechte Beschimpfung der Götter.
Man hat sogar zwei Termini, um diesen seltsamen Teil des Gebets zu
bezeichnen: rukatela, das wirkliche Wort für Schimpfen und holobela,
,die Götter schelten' " 39.
„Ihr seid unnütz, ihr Götter!" lautet ein solches Schimpfgebet, ,,ihr macht
uns nur Verdruß! Denn obgleich wir euch Opfer bringen, hört ihr nicht auf uns!
Wir sind von allem beraubt . Ihr seid von Haß erfüllt. Ihr bereichert uns nicht!"39
Ein Zuluhäuptling hält den Ahnen eine förmliche Sittenpredigt: „Ist es Recht,
daß Leute wie ihr, beständig, statt in anständiger Weise Nahrung zu verlangen,
zu uns in der Form von Krankheiten kommt ? Ist das anständig ? Nein ! Merkt
ihr denn nicht, daß ihr heute blamiert dasteht, nachdem euch der Zauberer heraus-
gebracht hat." „Ich wundere mich sehr, daß ihr, die ihr so mächtige Taten voll-
brachtet, nun ständig als Diebe kommt; ihr pflegtet doch sonst alles offen zu
tun. Macht diesen verstohlenen Besuchen ein Ende! Kommt offen, daß ich
euch sehe, denn das, was ihr verlangtet, will ich nicht verweigern."40 Die home-
rischen Beter scheuen sich nicht, dem Mißgeschick sendenden Zeus harte Vor-
würfe zu machen. In der Ilias (XII 164) ruft Asios. wie die Achäer beim Sturm
nicht weichen, erzürnt zu ihm:
„Vater Zeus, ja wahrlich auch du wardst uns zum Betrüger!"
In der Odysse (XX 201 ff.) bricht Philötios, wie er dem Dulder Odysseus die
Hand reicht, in den Klageruf an Zeus aus:
„Vater Zeus, du bist doch vor allen Unsterblichen grausam!
Du erbarmest dich nicht der Menschen, die du gezeugt hast,
Sondern verdammst sie alle zu Not und schrecklichem Jammer."
Chinesen schmähten ein Idol, von dem sie vergeblich Hilfe erbeten hatten, mit
den Worten: „Wie, wir lassen dich hündischen Geist in einem prächtigen Tempel
wohnen ? Wir schmücken dich, bringen dir Speisen und Weihrauch im Überfluß
und nach allen diesen Ehrenerweisen bist du so undankbar, daß du uns das nicht
gibst, was wir brauchen?"41 Die Neapolitaner schalten den heiligen Januarius
einen vecchio ladrone. einen birbone und scelerato, weil er eine Lavaflut des Vesuv
nicht verhinderte42. Pastor Gerade erzählt von einem protestantischen Bauern,
der bei einer anhaltenden Dürre ganz wütend zum Himmel schrie: „Du ver-
fluchter lieber Gott!" und mit geballter Faust nach oben zeigte43. Ja, es ist
sogar nichts Seltenes, daß die Fetische und Götterbilder tätlich mißhandelt und
verunedelt werden. Die alten Arkadier prügelten ihren Pan, wenn sie mit leeren
Händen von der Jagd heimkehrten44.
Eine reinere Frömmigkeit sieht in der Bedrohung und Schmähung
der göttlichen Wesen eine Blasphemie, weil hier das religiöse Verhältnis
zur Gottheit, das ein Verhältnis der Abhängigkeit ist, auf den Kopf
gestellt wird. Aber man darf diese impulsiven Äußerungen beim primi-
tiven Menschen nicht allzu tragisch nehmen. Bei ihm entladen sich die
Affekte viel stärker und ungehemmter als beim Kulturmenschen, der
heftige seelische Erregungen zurückzudämmen vermag. Zudem werden
alle sozialen Verkehrsformen zwischen Mensch und Mensch auf den
V. Inhalt des Gebets (Überredung) 85
Verkehr mit den übermenschlichen Wesen übertragen. WiemanDrohungen
und harte Worte benützt, um seine Forderungen bei anderen Menschen
durchzusetzen, so versucht man es mit diesen Mitteln auch bei den
Göttern, wenn die feinen Überredungskünste versagen. Aber das Ab-
hängigkeits- und Ohnmachtsgefühl sitzt zu tief im Menschen, als daß
er dauernd bei einer feindseligen Haltung gegen die höheren Wesen ver-
harren oder den Verkehr mit ihnen völlig abbrechen würde. Sobald der
Affekt des Ärgers sich gelegt hat, kehrt das religiöse Abhängigkeits-
gefühl wieder. Oft schlägt sogar in einem und demselben Gebet die
wilde Drohung in die demütige Bitte über.
Missionar Nassau sah in Westafrika, wie eine Frau auf die Straße stürzte,
indem sie abwechselnd die Geister schalt und sie in einem Atem zu überreden
suchte, das Kind, das sie mit Krämpfen plagten, zu verlassen46. In dem an-
geführten Gebet der Baronga folgt unmittelbar auf die vorwurfsvollen Reden eine
freundliche Einladung zum Opfer: „Jetzt haben wir euch diese Gaben gebracht.
Ruft eure Ahnen. Kommt hierher zum Altar! Esset und verteilet unter euch
unseren Ochsen nach eurer Weisheit!"46 Ein Gebet der Xosakaffern an die
Ahnen beginnt mit der vorwurfsvollen Frage: ,,Ist es recht, daß ihr fortwährend
Krankheit einkehren laßt und Fleisch fordert? Seht ihr denn nicht, daß ihr
heute von mir als Urheber der Krankheit angeklagt werdet?" Die Vorwürfe
brechen ab und es folgt der Opferspruch und ein Wort der Anerkennung gänzlicher
Abhängigkeit: „Da habt ihr euer Opfer. Wir wollen euch nichts vorenthalten,
denn wir haben von euch alles, was wir brauchen: Vieh. Korn und Rinder."47
Ein wirksames Mittel zur Gewinnung göttlicher Gunst ist das Selbst-
1 o b: der Gott muß doch viel lieber erhören, wenn er weiß, was für ein
trefflicher Mensch der Bittsteller ist. Man hält ihm vor, wie man auf
ihn stets aufmerksam bedacht war, wie man ihm stets Freude durch
Opfergaben und Lobpreisungen gemacht habe.
.jWir haben dir keine Schande bereitet, Bier und Milch haben wir dir nicht
vorenthalten" (Ruanda)48. „Beschuldige uns nicht, daß wir dich vernachlässigen!
Wann in aller Welt haben wir unterlassen, dich zu preisen und dir Fleisch und
öl anzubieten?" (Amazulu)49. Zu den Gebeten der Griechen gehören die 9-voiüv
äva/uvrjaeig. Die Beter der homerischen Dichtungen erinnern die Götter häufig
an die reichen Opfer, die sie ihnen gebracht haben. So betet Odysseus zu den
Nymphen :
„Nymphen des heiligen Quells. Zeus' Töchter! Hat jemals Odysseus
Lenden mit Fette bedeckt von jungen Ziegen und Lämmern
Euch zur Ehre verbrannt, so erfüllt mein heißes Verlangen."49
Der Chor der Thebanerinnen ruft in den äschyleischen ., Sieben gegen Theben:'
„Gedenket doch der vielen Opferwerke.
Welche die Stadt euch brachte." (179 f.).
Bei Sophokles betet Elektra zu Apoll:
..O Herr Apollo, höre gnädig doch auf sie
Und auch auf mich, die mit freigieb'ger Hand so oft
Dir opferte von allem, was mein eigen war" (1376 ff.)
Auch die Berufung auf die eigene sittliche Tüchtigkeit ist in primi-
tiven Gebeten nichts Seltenes. Von den Göttern stammen ja die sitt-
lichen Gesetze, sie sind Wächter und Rächer der sittlichen Ordnungen.
Darum muß es ihnen eine Freude sein, zu hören, wie die Menschen ihre
Gebote befolgen.
Bei den Ein weih ungszeremonien der Euahlayi richtet der älteste Medizinmann
ein (iebet an den Urvater Baianie mit der Bitte, ihnen langes Leben zu verleihen.
86 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
da sie sein Gesetz beobachtet hätten, wie der Vollzug der Initiationsiiten zeige51.
„Du weißt", erzählte ein Dualaneger dem höchsten Gott Nyambe, ,.daß ich noch
nie gestohlen, noch nie getötet, noch nie die Ehe gebrochen habe. Ich habe
immer die Wahrheit geredet, habe mein Weib, das ich gekauft, und meinen Sklaven
ganz bezahlt und bin nichts schuldig geblieben. 0 unschuldiger Gott, du weißt,
daß ich kein neidisches Auge habe auf meines Nachbarn Haus, Weib, Sklaven,
auch nicht auf seinen Pisang. nicht auf seine Ziegen, seine Palmkerne und nicht
auf seine neue Kappe, die er sich kürzlich gekauft hat."52 Ähnliches hörte Miss
Kingsley bei den westafrikanischen Stämmen an der Bucht von Panavia. ,,Dort
geht bei jedem Neumond der Häuptling eines Dorfes hinaus und steht allein im
Freien und redet mit dem Urvater Anyambie. Er eröffnet stets die Anrede an
den großen Gott mit einem Katalog seiner, des Häuptlings Vorzüge, indem er
sagt: ,Ich bin der Vater meines Volkes, ich bin ein gerechter Mann, ich komme
mit allen Menschen gut aus.' Der Bericht des Häuptlings ist naturgemäß sehr
lange. Beim ersten Anhören muteten mich diese Kataloge der Vorzüge des
Häuptlings komisch an und ich sagte einmal: ,Warum nehmt ihr denn nicht
jemand anderen, der für euch das sagt; das Selbstlob in dieser unverschämten
Weise muß doch für euch etwas sehr Unangenehmes sein.' ,0 nein', sagte der
Häuptling, ,und überdies weiß kein Mensch, wie gut er ist, außer er selbst."58
Der Ägypter der alten Zeit versichert seinen Gott immer seiner Trefflichkeit54,
der Sänger des Veda unterstützt seine Bitte durch die Erinnerung an seinen
Eifer58. Wie man durch Eigenlob die Bitte in eigener Angelegenheit ausstaffiert,
so sucht man durch das Lob des anderen der Fürbitte kräftige Resonanz zu ver-
schaffen. ,,Der weiße Mann ist gut und sehr wohlhabend", sagte der Kikuyu-
häuptling56. Im Gebet der Euahlayi für den Verstorbenen wird ausdrücklich
hervorgehoben, daß er die Ritualgesetze beobachtet habe57.
Sehr häufig verbindet sich mit dem Gebet ein Appell an das
Mitleid des Gottes. Wie die Menschen weich zu werden pflegen,
wenn man ihnen von seiner Not und Dürftigkeit vorjammert, so sollen
auch die höheren Mächte durch herzergreifende Klagerufe weich ge-
stimmt werden.
,,Hab Mitleid mit meinem Kind und meinem Weibe!" „Hab Mitleid mit mir!'
(Delawaren, Omaha, Huronen, Wanyika). „Hab Mitleid mit uns!" (Algonkin,
Ainu). „Erbarme dich, ich bin sehr arm" (Osagen). „Ich bin arm, beschütze
mich!" (Mkulwe)58. „Hab Mitleid" fleht Odysseus zur mächtigen Flußgottheit
(Od. V 450); „erbarm dich mein" spricht Elektra zu ihrem toten Vater59. „Sei
gnädig, Herrscher! Hab Erbarmen!" ruft wiederholt der vedische Sänger zu
Varuna (RV VII 89). „Hab Erbarmen!" ruft ein babylonischer Beter zu Marduk,
ein assyrischer Beter zu Ischtar60.
Bei vielen Indianerstämmen gehört das Heulen und Jammern zum
Gebet. Der betende Osage heult nach dem Zeugnis Mac Coy's „mit vor-
gegebenem oder wirklichem Weinen mit ungewöhnlich lauter Stimme
und in winselndem Ton ein Gebet." 62 Dorsey zählt zu den ,accessories'
des Gebets bei den Sioux- und Dakotastämmen das zeremonielle
Heulen und Schreien" 63. Wenn bei den Römern in Not und Gefahr
der Senat eine supplicatio der Matronen anordnete, warfen sie sich auf
den Boden und heulten 64. In der altchristlichen Volksreligion bilden
die Tränen „eine nahezu obligatorische Zugabe" zu einem jeden Gebet
an die Märtyrer. Die Bittenden vergießen mitunter ganze Ströme von
Tränen und benetzen mit ihnen das Grab des Heiligen 65. Aber man
darf diesem Jammern, Winseln und Weinen ebensowenig uneinge-
schränkten Glauben schenken wie dem Selbstlob, das sich der primitive
Beter spendet. Wie im Verkehr mit seinen Mitmenschen, so benützt
er auch im Verkehr mit den übersinnlichen Wesen die Übertreibung und
V. Inhalt des Gebens (Überredung} 87
Aufbauschung, um nur seine Zwecke zu erreichen. Aber er tut das alles
nicht völlig absichtlich, auf Grund von Reflexionen und Überlegungen,
sondern er greift unbewußt zu allen möglichen Mitteln der Beeinflussung,
die sich ihm von selbst darbieten. Man kann darum hier so wenig wie
bei den überschwänglichen Lobpreisungen des Gottes und dem Selbst-
lob von Unehrlichkeit und Heuchelei reden; denn die dabei unter-
laufende Übertreibung ist unwillkürlich durch die Stärke des Wunsches
und die Inbrunst der Hoffnung eingegeben.
Unglück und Not, vor allem Krankheit ist für den primitiven Menschen
eine Folge des Zornes eines höheren Wesens, den man auf irgendeine
Weise, sei es durch Verletzung eines Ritualgebotes, sei es durch die
Übertretung der von Gott gesetzten ethischen Ordnung, erregt hat.
Unglück ist nach dem primitiven Vergeltungsglauben Strafe und Rache
eines übernatürlichen Wesens, das — oft völlig unabsichtlich — von
dem Menschen beleidigt und erzürnt wurde, ja das sogar, weil es ein
launisches, unberechenbares Wesen ist, bisweilen grundlos zürnt. Darum
sucht der Mensch, gefoltert von Furcht und Angst, den Groll der Mäch-
tigen durch begütigende Worte zu besänftigen. Er sucht sich zu recht-
fertigen und zu entschuldigen.; er sagt ihnen, sie hätten doch keinen
Grund, ihm böse zu sein.
„Wenn du der begu (Totengeist) des N. N. bist, den wir begraben haben, so
nähere dich uns nicht. Nicht wir sind es, die deiner überdrüssig sind, wir haben
dich lieb. Zürne dem begu, der dich geholt hat" (Batak)66. , .Nicht ich habe ge-
boten, daß ihr endetet, Gott wollte nicht über die Tage hinaus, die er bewilligte.
Seid nicht irgendwie böse auf mich!" beten die Coraindianer zu ihren Ahnen67.
Wenn die Chinesen ein Götterbild beschimpft haben, weil der Gott ihre Bitte
zuerst nicht erhörte, sie aber nachträglich erfüllt wurde, tragen die Priester es
in den Tempel zurück und entschuldigen sich wegen des Vorgefallenen. ,,Es
ist wahr, wir waren etwas voreilig; allein warum zögertest du so lange ?" Warum
mußten wir dich erst schlagen? Warum erhörtest du unsere Bitten nicht aus
eigener Bewegung? Allein, was geschehen ist, ist geschehen, laßt uns das Ver-
gangene vergessen! Wir wollen dich von neuem vergolden, wenn du uns nichts
nachträgst."68 ,,Wir haben vergessen, dir zu opfern" entschuldigen sich die
Toradja einem Krankheitsgeiste gegenüber69. Der Ewepriester, der im Namen
seines Mandanten zu einem tro betet, versichert ihm, daß das rituelle Vergehen
ohne Wissen und Willen geschehen sei. „Dieser Mann hat es nicht gewußt, als
er gegen dich gesetzlos gehandelt hat. Laß nun deine Hand von ihm ab, daß er
wieder gesund werde." „Ich bitte dich, vergib es ihm; er ist noch ein Kind und
wußte nicht, was er tat."70 Ein vedischer Sänger ruft zu Varuna: „Durch die
Schwäche meiner Einsicht bin ich fehlgegangen, du Reiner" (RV VII 89, 3).
Der sich sündig, d. h. als ,Kind des Zornes' fühlende Mensch verlegt sich oft
gar nicht auf Ausreden und Entschuldigungen, sondern gesteht offen vor seinem
Gott seine Schuld ein. Wenn bei den Batak jemand erkrankt ist und der Zauber-
priester festgestellt hat, daß der tondi (Lebensgeist) sich beleidigt fühle und man
ihm frexindlich zureden müsse, bietet der Kranke ihm Siri an und spricht: „Das
ist das Wort meines Siri, das spricht zu seinem tondi: ich habe gegen dich gefehlt
so und so. Meine Anbetung deinem tondi! Dies ist ein Angeld, Beweis meiner
Schuld."71 „Ich bin im Unrecht", bekennt ein Ewe dem Himmelsgott Mawu7*.
Mit dem Schuldbekenntnis verbindet sich die demütige Bitte um Vergebung,
um Ablassen vom Groll und Unwillen, Erneuerung der alten Freundschaft. „Zürne
mir nicht, hasse mich nicht, sei mir barmherzig und hab Mitleid mit mir!" (Ka-
renen)73. „Hier bringe Ich dir die Gabe, welche du von mir haben wolltest, damit
du mir nicht mehr zürnest. Hab nun wieder ebenso Acht auf mich, wie du es früher
gehabt hast!" (Ewe)74. „Ihr zürnet uns . . . und in eurem Zorn habt ihr das
88 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
Kind uns entrissen. Laßt euch daran genügen und begrabt euren Zorn!" (Du-
faure-Insulaner auf Neuguinea)76. Der Batakpriester bittet für seinen Klienten:
„Wenn etwa dieser hier einen Fehler begangen hat, habt Mitleid, rechnet es ihm
nicht zu!"7*
Bisweilen stützt ein guter Vorsatz die Bitte um Verzeihung. „Ich will mich
bessern", verspricht der Batak seinem tondi77. ,,Er wird sich nie wieder gegen
dich versündigen", versichert der Ewepriester von seinem Schützling78.
Die Sslbstanklage und Selbstverdemütigung weitet sich bei manchen
primitiven Stämmen zu einem detaillierten Sündenbekenntnis aus. Die
Beichte vor einem Freunde, einem Zauberer oder Priester ist bei Natur-
völkern nichts Seltenes: sie geht zumeist zauberhaften rituellen Hand-
lungen voraus, die der Entfernung des gefährlichen Sündenstoffes (tabu)
dienen. Aber auch die ,confessio coram deo1, verbunden mit direkter
Gabetsanrede an Gott, ist bei Primitiven nicht unbekannt.
In der Landschaft Mkulwe (Ostafrika) sucht man in Not und Gefahr durch
das vollständige Sündenbekenntnis sich zu reinigen und sich so der Hilfe und
Rettung Gottes zu versichern. Bei der lebensgefährlichen Erkrankung eines
Familiengliedes, wenn eine Frau sich in schweren Geburtsnöten befindet, vor
einem gefährlichen Flußübergang beichtet jedes Glied der Sippschaft öffentlich
seine Sünden, beim Antritt einer längeren Reise beichtet der Einzelne öffentlich
vor der versammelten Verwandtschaft. Man nimmt eine Schwinge in die Handr
legt Splitter und Stroh hinein, durch die die Sünden versinnbildet werden sollen,
und spricht das kurze Bußgebet: „Verzeihe mir, gütiger Nguluwi (Schöpfer-
gott)! Ich habe gar keine andere Sünde." Nun folgt die ins konkrete Detail
gehende Sündenaufzählung: „Ich bin gegangen mit einem Weib. (Ehebruch) —
Ich habe verzaubert einen Menschen. — Ich habe abgetrieben Leibesfrucht. —
Ich habe gebrochen ein Gelübde. — Ich habe nicht teilgenommen am (rituellen)
Opfer. — Ich habe geschlagen Vater und Mutter. — Ich habe verachtet das Wort
des Alten (Vaters). — Ich habe mich geschlagen mit meinem Bruder (oder Ver-
wandten). — Ich habe verleumdet mit Lüge. — Ich habe begehrt zu gehen mit
nächsten Verwandten (Incest). — Ich habe gestohlen. — Ich habe keine andere
Sünde." Eine Bitte schließt die Beichte: „Ich bin arm, schütze mich, Nguluwi!"
Nun schleudert man die Holzsplitter und Strohhälmchen in die Luft mit den
Worten: „Alle Sünden sind fortgegangen mit dem Wind."7*
Die Selbstanklage und Selbstverdemütigung vor den höheren Wesen
ist nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck. Der Beter sucht
nicht, getrieben von einem echten Sündengefühl, Befreiung von der
Schuld und sittliche Erneuerung, sondern sein Trachten geht zunächst
dahin, das Unglück, das über ihn gekommen ist, zu beseitigen oder der
Gefahr, die ihm droht, zu entgehen. Nicht sittliche Werturteile sind
das Motiv des Sündenbekenntnisses und der Bitte um Sündenvergebung,
sondern unlustvolle Affekte, nicht ethisch, sondern eudämonistisch ist
das Ziel solcher Gebete. Man kann darum im Bußgebet keine selbstän-
dige, neben dem Bitt- und Dankgebet stehende Gebetsgattung erblicken,
sondern nur eine Variante des Bittgebets oder, besser gesagt, ein Mittel
zur Umstimmung einer höheren Macht, eine Unterstützung der Bitte
um Bef reimig oder Bewahrung vom Unheil. Überdies bezieht sich das
Sündengeständnis und die Vergebungsbitte gar nicht ausschließlich
auf Übertretungen der ethischen Ordnungen, sondern in gleicher Weise
auf rituelle Verfehlungen. Die von Priestersängern verfaßten antiken
(babylonischen und vedischen) Bußpsalmen stellen dem Inhalt und
der Abzweckung nach gegenüber diesen primitiven Bußgebeten nichts
V. Inhalt des Gebets (Aussprache der Abhängigkeit) 89
Neues dar; auch sie dienen zur Besänftigung des durch rituelle oder
ethische Vergehen erregten göttlichen Zornes, zur Befreiung von Krank-
heit und Übel. Gleichwohl klingt hier wie in den primitiven Gebeten
um Sündenvergebung das echte religiöse Sündengefühl, das nieder-
drückende Bewußtsein der Schwäche, Kleinheit und Nichtigkeit, das
quälende Gefühl des ethischen Unwertes schon an.
Der primitive Beter wird nicht müde zu flehen, auch dann, wenn die
Erfüllung seines Wunsches nicht sogleich erfolgt. Ja, er glaubt fest,
daß das anhaltende, stürmische, aufdringliche Gebet
schließlich doch den Gott bewegen wird, der Bitte Gehör zu schenken.
Wenn bei den afrikanischen Konde trotz ihres inbrünstigen Gebets die
sengende Dürre anhält und der ersehnte Regen ausbleibt, so gehen die
Leute immer wieder hin, um wieder ebenso zu beten, bis sie erhört
werden 80. Bei den Omaha in Nordamerika pflegten die zum Krieg
gewählten Führer unaufhörlich, bei Tag und Nacht zu schreien: ,,0
Wakanda! Hab Mitleid mit mir! Hilf mir in dieser Not!" 81 Eine
Tiroler Bauernfrau erzählte, daß sie unablässig vor einem Christusbilde
gebetet habe, so lange, bis es ihr gelang, ,,unsern Herrgott zum Nach-
geben zu bringen" und ihr Mann gesund wurde; und sie rühmte sich
ihres energischen Gebetes 82. Gewiß verfolgt dieses unverdrossene
Bedrängen und Bestürmen den Zweck, den sich hart und unnachgiebig
zeigenden Gott zu erweichen und umzustimmen, ihn solange zu be-
lästigen, bis er schließlich aus Überdruß über das stete Betteln die
Bitte erfüllt — als ein Jatigare deos' charakterisieren die Römer dieses
unverschämte Beten 83. Aber es ist zweifellos mehr als ein bloßes Über-
reden- und Beeinflussenwollen ; es drückt sich in ihm eine unverwüstliche,
starke Zuversicht zu den höheren Wesen aus, die auch dann nicht zu-
sammenbricht, wenn der leidenschaftliche Wunsch nicht alsbald seine
Befriedigung findet. Es ist bedeutsam, daß gerade dieser Zug naiven
Betens in der Gebetsfrömmigkeit der prophetischen Persönlichkeiten
stark hervortritt.
7. Aussprache des Abhängigkeitsgefühls, der
Zuversicht und Ergebung.
Schon im Gruß und in der Lobpreisung, in der Selbstanklage und
der Bitte um Vergebung der Schuld, die primär der Überredung und
Gewinnung der höheren Mächte dienen, kündet sich noch ein Zweites,
Höheres an, das über das bloß Eudämonistische und Egoistische hinaus-
führt: Ehrfurcht und Bewunderung, Demut und Zuversicht. Aber
noch deutlicher tritt dieses Höhere in der Berufung auf Gottes Macht,
auf seine bisherige Hilfe und seine Vaterschaft hervor. Auch diese
bezweckt zunächst nichts anderes als eine Einwirkung auf Gott, eine
Unterstützung der Bitte; der Beter erinnert ihn an seine Macht, an
seine frühere Güte und Hilfsbereitschaft und an seine enge soziale
Zusammengehörigkeit mit den Menschen, damit er helfe und spende.
Aber ohne daß der Beter es beabsichtigt, wird aus einem .Mittel der
Überredung, einem Appell an Gott, einer Berufung auf Gründe, einer
Motivierung der Bitte de)- selbständige Ausdruck der beiden religiösen
90 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
Grundgefühle : des Abhängigkeitsgefühls und der Zuversicht. So ver-
nehmen wir mitten in primitiven Bittgebeten Klänge wie einer höheren
und reineren Frömmigkeit, die uns zunächst überraschen. Aber es
reden hier nur jene religiösen Urgefühle, die unausgesprochen allen
Gebeten und allen religiösen Handlungen zugrunde liegen : Demut und
Vertrauen.
Der Bittende hält dem Gott die eigene Ohnmacht und seine souveräne Macht
vor; er erinnert ihn daran, daß der Mensch sich nicht helfen kann, daß es aber
Gott ein Leichtes sei, die menschlichen Bitten zu erfüllen. ,,Wir haben keine
Kraft", bekennen die Anloer, wenn sie von Feinden überfallen, ihren Gott bitten,
sich an die Spitze ihres Heeres zu stellen1. ,, Nicht ich kann die Berge ausbessern,
nicht ich kann die Hügel heilen", sagt der Karener, wenn er in unfruchtbaren
Zeiten um das Wachstum der Felder bittet2. „Tue du es, denn ich bin dazu nicht
imstande; ich kann es nicht tun!" betet ein Schamane bei den Coraindianern
in Krankheit3. ,,Wir aber — Kinder sind wir, die nichts zu tun vermögen. Du
bist der Besitzer der Kraft . . . Ich habe keinen Speichel im Munde. Du bist
Besitzer des Speichels", spricht ein Ewepriester, wenn er zu Mawu um gute Wir-
kung seiner Medizin fleht4. „Ihr allein seid mächtig", gesteht der Cora-In dianer5.
Die Watjeneger auf den karaibischen Inseln beten täglich: ,,0 Gott, ich kenne
dich nicht, du aber kennst mich; deine Hilfe ist mir notwendig."6 Ein Schilluk-
vater betet bei der Verlobung seiner Tochter: „Wenn du nur willst, so wird mein
Kind glückselig sein."7 Ein Indianerhäuptling sprach beim Antritt einer Seefahrt:
„Du hast diesen See gemacht und hast uns geschaffen, deine Kinder, du kannst
Ruhe halten auf diesem Wasser, bis wir glücklich und gesund darüber hinweg-
gefahren sind."8 Wenn der Kekchiindianer auf Reisen ist, ruft er des Abends
zu seinem Tzultacca der Berge und Täler um Nahrung für den kommenden Tag:
„Es schmerzt dich nicht, es macht dir keine Mühe, mir zu geben allerlei große
Tiere, kleine Tiere, den wilden Pfau, den wilden Fasan, das Wildschwein, zeige
es mir also, öffne mir die Augen, nimm sie und setze sie auf meinen Weg!" „In
deiner Macht, in deinem Sein ist alles Mögliche im Überfluß; von allem möchte
ich haben." Ganz ähnlich betet er bei der Aussaat des Maises: „Jetzt, o mein
Gott, bin ich vor deinen Füßen, vor deinen Händen, damit mein Mais empor-
sprosse. Laß ihn axifkeimen! ... Es schmerzt dich nicht, es macht dir keine
Mühe, ihn zu beschirmen vor allem, was ihm widerfahren kann."9 An das Wort
des Kekchiindianers : „es macht dir keine Mühe", klingt die Motivierung der
Bitte bei Theognis ((14) an: aol fiiy xovto, d-sd, oiaixqov, iuol öh fisya. („Dir, o Göttin,
ist dies ein Kleines, mir aber ein Großes.") Die Konde beginnen ihr Gebet um
Regen mit der demütigen Anerkennung: „Du hast uns Regen verweigert."10
„Du hast es getan, kein anderer hat es gemacht. Du hast es getan, mein Vater!"
„Du hast mich auf der Welt gelassen, du hast es getan und es eingerichtet", be-
kennt der Cora-Indianer11. Der Siouxindianer betet auf der Reise: „O Wakanda,
der du die Sonne bist ! Auf dieser Insel (der Welt) lenkst du alles, was sich bewegt,
auch die Menschen, und wenn du einem bestimmt hast, daß sein letzter Tag auf
Erden gekommen ist, dann ist es so. Es kann nicht aufgeschoben werden. Darum,
o Wakanda, bitte ich um deine Gunst."12 Die Galla sind tief durchdrungen von
der absoluten Macht Gottes: „Wie wir einen Wurm auf der Erde töten können,
so kannst du, wenn du willst, uns auf der Erde durch einen Tritt vernichten."13
In dem Gebet des sumerischen Priesterfürsten Gudea spricht sich ebenso die
Anerkennung der souveränen Macht Gottes wie die frohe Zuversicht auf seine
Güte aus: „Vor dem Volk, auf das du blickst, ist überreich deine Macht; des
frommen Menschen, auf den du blickst, dessen Leben ist verlängert."14 In dem
Gebet, das die Madagassen an die Erde richten, verschwindet die Bitte ganz
hinter der Aussprache der völligen Abhängigkeit, in der der Mensch gegenüber
dieser großen Gottheit sich fühlt. „Hab Erbarmen mit mir, o Erde! Du bist
es, auf der ich wohne, du bist es, die mir Speise gibt, du, die mir Wasser gibt zum
Trinken, du, die mir gibt, womit ich mich kleiden kann. Sei barmherzig gegen
mich, o Erde! Du nimmst von mir weg meine Gattin, ohne die ich mich nicht
behelfen kann; du nimmst mir weg meine Kinder, die meine Freude sind; du
V. Inhalt des Gebets (Aussprache der Zuversicht) 91
nimmst meine Freunde, die mir teuer sind; auch meine Eltern nimmst du weg."1*
Der Beter fleht und fordert hier kaum, er erkennt nur voll Demut und Ehrfurcht
an, daß all sein Glück und Unglück von der Hand der souveränen göttlichen
Macht kommt.
In der Berufung auf die bisherige Hilfe und Gnade der Gott-
heit drückt der Beter zugleich sein Vertrauen auf Erhörung des Gebets auch im
gegenwärtigen Falle aus. „Du hast unseren Vorfahren schon Speise gegeben",
erinnern die Ewe einen tro18. ,,Von Anfang an haben wir nur durch deine Gunst
gelebt. Laß uns auch in Zukunft davon teilhaftig sein!" beten die Khonds17.
Der Dschagga spricht in seinem Morgengebet zum Urvater Ruwa: „Du hast mich
in dieser Nacht beschirmt. Beliebe mich auch tagsüber zu beschirmen und laß
es mir nicht fehlen an etwas zum Sattwerden, o Häuptling."18 Die alttestament-
lichen Patriarchen erinnern Jahwe an alle „Wohltaten und alle Treue," die er
bisher ihnen erwiesen19. Der vedische Sänger unterstützt seine Wünsche durch
die Erinnerung an die früheren Wohltaten des Gottes20. In der Ilias erinnert
der Priester Chryses Apoll an seine früheren Gebetserhörungen.
,,Höre mich, Gott, der du Chrysa mit silbernem Bogen umwandelst, . . .
So wie du schon zuvor mich hörtest, als ich dich anrief."21
Diomedes mahnt die Göttin Athene an den Beistand, den sie früher schon ihm
wie seinem Vater lieh :
„Höre, des ägiserschütternden Zeus unbezwungene Tochter!
Wenn du mir je und dem Vater mit sorgsamer Liebe genahet
Im feindseligen Streit* so lieb' nun auch mich, o Athene."22
Noch tiefer spricht sich die herzliche Zuversicht aus in der Berufung
auf das Kindschaftsverhältnis, in dem der Mensch zu den hohen
Mächten zu stehen glaubt. „Rette uns, vor dem Hungertod, du bist ja unser
Vater und wir sind deine Kinder und du hast uns geschaffen" beten die Konde
bei anhaltender Dürre23. Ganz ähnlich flehen die Wanyika: „O Gott! gib uns
Regen! Wir sind in Not, wir ermatten, wir deine Kinder."24 Die Ewe: „Gib
uns noch heute Regen! Wir sind ja deine Kinder,!"25 Die Basuto: „Herr! Wir
deine Kinder, sind gekommen, dich anzurufen."28 Die Hottentotten: „Bist du
nicht unser Vater, du Vater der Väter, du Tsui-goa ?" „Bist du nicht unser
Urgroßvater, du Heitsi-Eibib!"27 „Wenn wir gegen dich gesündigt haben, so
vergib uns. Eine Mutter schlägt ihr Kind nicht auf den Bauch", sagen die Ewe
bei großer Trockenheit. Und ein Ewepriester bittet für seinen Schützling, der
eine rituelle Sünde begangen hat: „Hab Acht auf diesen Mann, der ja doch dein
eigenes Kind ist."28 Selbst die auf so tiefer Kulturstufe stehenden Buschmänner
berufen sich in ihrem Gebetsruf an den Urvater auf ihr Kindschaftsverhältnis
zu ihm: „0 Cagn, sind wir nicht deine Kinder ? Siehst du nicht unseren Hunger ?
Gib uns Nahrung!"29
Bei dem Appell an Gottes Vaterschaft ist die Tendenz einer Ein-
wirkung auf den Gott noch wirksam. Aber wir stoßen in den Gebeten
mancher höherstehender Naturvölker 30 auch auf reine Äußerun-
gen religiöser Gewißheit und Zuversicht, bei denen
jeder egoistische Gedanke an eine Umstimmung und Überredung fehlt.
Der Beter atmet nur in der frohen Gewißheit, unter dem Schutze des
Allerhöchsten geborgen zu sein. Aber diese Aussprache des Vertrauens
steht doch mit der naiven Bitte in innerem Zusammenhang, wächst
aus ihr mit natürlicher Selbstverständlichkeit heraus. Die Hoffnung
und Zuversicht, die schon als Motiv des Betens wirksam ist, verdrängt
alle Sorge und Furcht, sie steigert sich bis zur freudigen Gewißheit, so
daß aus dem Wünschen und Verlangen ein inneres Haben und Besitzen
wird. Mitten im Gebet vollzieht sich unbeabsichtigt im Frommen eine
affektpsychologische Metamorphose. Der Beter wird, nachdem er seine
Not ausgeschüttet und seine Wünsche ausgesprochen hat, von solcher
92 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
Zuversicht erfüllt, daß ihm die Erhörung seines Gebets zur unzweifel-
haften Gewißheit wird.
Ein Zulu sagte: ., Hierauf (nach dein Gebet an den Ahnen um Beseitigung der
Krankheit) fassen sie Mut, weil sie ihn verehrt haben, indem sie sagen: „Er hat
gehört, er wird kommen und unsere Krankheiten behandeln und sie werden
aufhören."31 Die durch die Gebetsaussprache bedingte Stimmung der Zuversicht
bewirkt nicht selten eine furchtlose Entschlossenheit, einen männlichen Mut
mitten in der größten Gefahr. John Tanner erzählt uns von einer alten Irokesen-
frau, die während der Fahrt auf dem See im Schiff lein schlief; von einem fürch-
terlichen Sturm geweckt, ,, stand sie auf und richtete mit lauter Stimme ein inniges
Gebet an den großen Geist, fing dann an mit erstaunenswerter Lebhaftigkeit
zu rudern, ermahnte uns auszuharren und zeigte W.. wie er das Kanot lenken
mußte."32
Alles naive Beten und Sichaussprechen erhöht somit die Lebens-
zuversicht dadurch, daß sich in ihm eine seelische Umwandlung, ein
Übergang von der bangen Furcht und quälenden Sorge zur frohen,
ruhigen Hoffnung vollzieht. Aber es ist ein Zeichen eines bereits stark
differenzierten seelischen Erlebens, wenn nicht nur die unlustvollen
Affekte und heißen Wünsche, sondern auch die feineren Gefühls-
regungen und Stimmungen: das stille Gewiß- und Getrostsein in dem
Gebet selbständigen sprachlichen Ausdruck erlangen.
Das Abendgebet, das die Kekchi- Indianer a\if der Wanderung sprechen, be-
ginnt wie die anderen primitiven Gebete mit einem Opferhinweis, an den sich
die Bitte um Nahrung für den morgigen Tag reiht. „Du, o Gott, du Herr der
Berge und Täler! Ein klein wenig deines Essens, deines Trinkens habe ich dir
gegeben. Jetzt gehe ich vorüber unter deinen Füßen, unter deinen Händen, ich,
ein Reisender." Die Bitte wird gestützt durch die Berufung auf Gottes Macht
und Reichtum. ,,Es schmerzt dich nicht, es macht dir keine Mühe, mir zu geben
allerlei große Tiere, kleine Tiere, du mein Vater! Du hast eine Menge Tiere,
den wilden Pfau, den wilden Fasan, das Wildschwein; zeige mir also, öffne mir
die Augen, nimm sie und setze sie auf meinen Weg!" Dieser Gedanke erhöht im
Betenden die Hoffnung und läßt ihm die Freude des Jagdglückes antizipieren:
„Ich sehe, ich schaue sie dann; ich bin unter deinen Füßen, unter deinen Händen;
ich bin im Glücke, du Herr der Berge und Täler." Er wiederholt die Berufung
auf Gottes Macht und den Wunsch: „In deiner Macht, in deinem Sinn ist alles
Mögliche im Überfluß; von allem möchte ich haben!" Nun schiebt sich eine
Betrachtung über seine Lage ein: „Heute muß ich vielleicht meinen Maiskuchen
trocken essen und ich bin doch in einem reii hen Jagdgelände; es möge Gott sehen,
daß es hier nichts Lebendes gibt, vielleicht nur einen wilden Pfau bringe ich,
schleppe ich her. Jetzt sehe, schaue ich auch, du mein Gott, du meine Mutter,
du mein Vater!" Er entschuldigt sich wegen der geringfügigen Opfergabe. „Nur
das ist es, was ich sage, was ich denke: Es ist ja nicht Vieles und Gutes deines
Essens, deines Trinkens, was ich hergeschleppt habe." Nun verstummen alle
Wünsche; es ist vergessen alle Sorge; der Gedanke an die väterli« he und mütter-
liche Fürsorge des Gottes erfüllt ihn mit tiefer Zuversicht. „Und mag es nun so
oder so sein, was ich sage, was ich denke, ist: Gott, du bist meine Mutter, fdu bist
mein Vater." Geborgen in den Händen seines Tzultacca, legt er sich zur Ruhe.
..Jetzt werde ich also schlafen unter deinen Füßen, unter deinen Händen, du Herr
der Berge und Täler, du Herr der Bäume, du Herr der Schlinggewächse." Auch
um den kommenden Tag ist ihm nicht bange : „Morgen ist wieder der Tag, morgen
ist wieder das Sonnenlicht. Ich weiß nicht mehr, wo ich dann sein werde. Wer
ist meine Mutter, wer ist mein Vater? Nur du, o Gott,
Du siehst mich, du beschützest mich auf jedem Wege,
in jeder Dunkelheit, vor jedem Hindernis, das du verstecken, das du beseitigen
mögest, du o Gott, du mein Herr, du Herr der Berge und Täler!" „Nur das ist
es, was ich sage, was ich denke, sei es nun, daß es mehr, sei es, daß es nicht mehr
sein sollte, was ich gesagt habe: Du erträgst, du vergissest meine Verfehlungen."3*
V. Inhalt des Gebets (Aussprache der Ergebung) 93
An das poesievolle Abendgebet der Kekchi-Indianer klingt das Abendgebet
der nordafrikanischen Galla an. Es hebt an mit der Bitte um Schutz: ,.0 Gott,
du hast mich den Tag in Friede verbringen lassen, laß mich auch die Nacht in
Friede verbringen, o Herr, der du keinen Herrn über dir hast." Betrachtend
und bewundernd steht der Beter vor Gottes Größe. ,,Es gibt keine Stärke außer
in dir, du allein hast keinerlei Verpflichtung." Der Gedanke an Gott stimmt ihn
zuversichtlich und sorglos. ,,In deiner Hand verbringe ich den Tag, in deiner
Hand verbringe ich die Nacht. Du bist meine Mutter, du bist mein Vater !"s*
Es weht über diesen schlichten Nachtgebeten niederer Stämme der-
selbe wundervolle Hauch der Zuversicht und Ruhe, der das aus Psalmen-
worten gebildete offizielle Abendgebet der katholischen Kirche, das
,Completorium', beseelt. Ein unerschütterliches Vertrauen auf den
göttlichen Schutz spricht sich im Kriegsgebet eines Ewestammes aus.
„Wir waren zu Hause und hörten plötzlich, daß es Krieg gebe. Du bist unser
aller Haupt. Deswegen sind wir zu dir gekommen, um dich zu bitten, du wollest
uns in den Krieg voranziehen und ihn für uns führen. In unserer Heimat Anlo
gibt es keinen Wald, worin wir uns verstecken könnten. Du, o Nyigbla unserer
Vorfahren, d u bist der Wald, in dem wir uns bergen. Sammle
du deswegen alle deine Krieger um dich, damit sie diesen Krieg für uns führen;
denn wir haben keine Kraft."35 In Worten unzweifelhafter Erhörungsgewißheit
gipfelt folgendes Gallagebet. das in einer Familie nach einer blutigen Fehde auf-
kam, durch welche diese schweren Schaden erlitten hatte: ..Wenn ich dir lieb
bin, so befreie mich, ich bitte dich von ganzem Herzen. Wenn ich nicht von
Herzen zu dir bete, erhörst du mich nicht; ich bitte dich aber von ganzem Herzen,
so weißt du es und bist mir gnädig."36 Das paradoxe Gefühl absoluter Lebens-
sicherheit trotz der völligen Unsicherheit aller Verhältnisse spricht sich im Morgen-
gebet der Tambuneger auf den karaibischen Inseln aus: ,,Gott hilf uns; wir wissen
nicht, ob wir morgen noch leben, w i r sind in deiner Hand."37 In einem
Gebet der Cora-Indianer wird die bange, ungewisse Frage von dem Ausdruck
fester Zuversicht abgelöst. ..Was wirst du tun? - — Wir vertrauen auf dich."38
Das Abhängigkeitsgefühl und das Vertrauen erlangt bisweilen —
freilich äußerst selten — bei Naturvölkern eine solche Reinheit und
Stärke, daß alle Eigenwünsche zusammenbrechen und der Mensch voll
Zuversicht und Trost sich ganz der Hand des höheren Wesens überläßt.
So ist auch das Gebet der Ergebung, das so oft als das Ideal alles
Betens gepriesen worden ist, in der primitiven Welt in einigen Ansätzen
vorhanden. Der Jesuitenpater de Smet erzählt von einem Indianer, der
drei Tabakspfeifen verloren hatte — einen größeren Verlust kann sich
der Indianer nicht denken — und in seiner Not sich an den großen
Geist wandte: ,,0 großer Gott, du, der du alles siehst und alles auf-
hebst, gib, ich bitte dich, daß ich finde, was ich suche!" Er spricht
treuherzig den brennenden Wunsch, der ihn erfüllt, seinem Gotte aus.
Nun verstummt das Verlangen, er stellt die Erfüllung der Bitte dem
großen Geist anheim, sein Wille fügt sich dem Willen des großen Gottes:
„Doch möge dein Wille geschehen!'' (,,and yet let thy will
be done!" gibt der Gewährsmann seine Gebetsworte wieder) 39. Hier
klingt die Bitte in der Ergebung aus. Das höchste und reinste Gebet,
das die Religionsgeschichte kennt, kommt hier von den Lippen eines
frommen Natur kindes.
Ein Opfergebet der Akovi-Ewe lautet: ,,Gott Sodza. Mutter des Palmweins
und Mutter der Tiere! Gibst du dem Menschen, so gibst du ihm, übergehst du
den Menschen, so übergehst du ihn. Deine Größe erhöhe ich. deinen Willen liebe
ich. Du Regenspender, du Samstaggeborner! Du Schiff voll der buntesten Fülle,
94 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
du Schrecken der Händler und Glück der Ackerleute." Ganz ähnlich lautet das
Gebet der Ho. eines anderen Ewestammes: ,,0 Mawu Sodza, Mutter der Menschen,
Mutter der Tiere! Gibst du den Menschen, so gibst du den Menschen; ver-
weigerst du den Menschen, so verweigerst du den Menschen. In deiner Größe
bin ich groß, m i t dem, was du willst, stimme ich üb er ein."48
Eine Kekchifrau klagt beim Tode ihres Mannes: „Du bist gestorben, du mein
Gatte. Du hast mich verlassen, du bist entschwunden, du bist tot; ich weiß
nicht mehr, ob ich wieder Chile oder Salz versuchen werde zum Würzen, zum
Angenehmmachen, ob ich es finde oder nicht, ich bin nur ein einzelnes Weib,
ich bin zurückgeblieben." Nun wird in überraschender Weise die Totenklage
durch ergebungsvolle, demütige Worte an Gott abgelöst; die Unglückliche beugt
sich unter seinen Willen: ,,Wie werde ich wieder halbe Reales (Münzen) bekommen ?
Ich will hingehen in der Kleinheit, in der Armut ; ich frage nicht darnach,
omein Gott, du hast vielleicht die Seele meiner Mutter,
(d. h. meines Ernährers), meines Gatten gewollt."41 Ein langes Galla-
gebet, das mit einer Bitte beginnt und dann in eine Klage und Danksagung über-
geht, schließt mit Worten der Ergebung. .,Ein einziger schlechter Mensch hat
alle Menschen aus ihrer Wohnung vertrieben; die Mutter und die Kinder hat er
wie eine Herde Truthühner dahin und dorthin zerstreut; der mörderische Feind
riß das schön gelockte Kind aus dem Arm seiner Mutter und erwürgte es. Dies
alles hast du geschehen lassen, warum hast du es ge-
tan? Du weißt es. Du hast die Saaten uns wachsen lassen und sie unserem
Auge gezeigt; der hungrige Mann schaut sie an mit seinem Auge und ist getrost.
Wenn das Getreide blüht, schickst du Schmetterlinge und Heuschrecken
hinein, Heuschrecken und Tauben ; alles kommt aus deiner Hand,
die läßt es geschehen; warum du alles so machst,
weißt du."42
Schon in manchen primitiven Gebeten vollzieht sich ein Übergang
der Rede mit Gott in das Selbstgespräch, des Lobes, der Aussprache
der Demut und Zuversicht in die Meditation und Kontemplation. Der
Beter vergegenwärtigt sich Gottes Nähe, Größe, Macht, Güte und
Schutz.
Du unschuldiger Nyambe, du weißt alles, kennst meinen Namen, weißt, wo
ich bin und hörst mich", betet der Duala43, und der Cora-Indianer reflektiert im
Gebet an den Flußgott: „Wenn du hier existierst, so weiß ich doch nichts von dir,
du aber hörst mich gut."44 Wenn der Kekchi- Indianer an einem Berge oder Paß
angekommen ist, betet er: „Du. o Gott, o Herr der Berge und Täler, ich bin müde
angekommen vor deinem Mund, vor deinem Angesichte, du meine Mutter, du
mein Vater. Nur du bist meine Mutter, mein Vater, du Herr der Berge, du Herr
der Täler. Müde bin ich vor deinem Munde, vor deinem Angesichte."45 „Gott
der Herr, du bist über mir, ich bin unter dir" beginnt ein Gallagebet48. Schon
primitive Beter stellen sich den Kontrast von Gottes Unendlichkeit und des
Menschen Nichtigkeit, in den sich die Mystik versenkt, vor Augen: ..Ihr seid groß
und wir sind geringe Leute."47
So zeigt schon das Gebet primitiver Stämme den in der individuellen
Frömmigkeit, zumal in der Mystik hervortretenden merkwürdigen
Doppelcharakter und Doppelzweck des Gebets. Das Gebet ist wirk-
liches Reden mit einem anderen, gegenwärtig gedachten und menschlich
vorgestellten Wesen, Anrede an ein Du — und zugleich Selbstgespräch,
Reden zu sich selbst; im Gebet sucht der Mensch eine reale Einwirkung
auf die Gottheit, er sucht sie zur Hilfe und zur Gewährung seiner Wünsche
zu bewegen — und gleichzeitig sucht er unbewußt auf sich selbst ein-
zuwirken durch die Vergegenwärtigung dessen, was für ihn Gott be-
deutet, sein eigenes Lebensgefühl zu behaupten, erneuern und erfrischen.
V. Inhalt des Gebets (Danksagung) 95
8. Danksagung.
Während die Aussprache der Abhängigkeit und Zuversicht im Grunde
nur ein Teil des Bittgebets ist, ist die Danksagung eine selbständige
Gebetsform neben der Bitte und Fürbitte. Das Dankgebet besteht in
der demütigen und frohen Anerkennung, daß Gott dem Menschen eine
Hilfe oder Gabe — sei es auf ausdrücklichen Wunsch oder unerwartet —
zuteil werden ließ. Es ist dabei gar nicht nötig, daß der Beter ein eigenes
Wort für danken gebraucht ; viele Sprachen besitzen ein solches gar
nicht, obgleich tatsächlich das Danken in Worten geübt wird; es liegt
überall dort Dank vor, wo man dem Geber ausdrücklich erklärt, daß
man dies oder jenes Gute von ihm empfangen hat. In der Sprache der
afrikanischen Kiziba wird das Wort ,danke' überhaupt nur durch die
Phrase ,,du hast es gemacht" wiedergegeben 1.
,,Waka, du hast mir diesen Büffel, diesen Honig, diesen Wein gegeben", ist
das Dankgebet eines afrikanischen Pygmäen2. „Du hast mich errettet, o Gott",
spricht ein Konde, wenn er einer großen Gefahr entgangen ist8. Der vom Kriegs-
zug glücklich zurückgekehrte Dschagga spricht: ..Du Gott (Ahne), hast mich
mit Vieh bereichert, mich geleitet und erhalten, so daß ich heimgekehrt."4 „Du
hast mich aus diesem Streit gerettet", sagte ein Ewe, dem ein Fluchzauber geglückt
ist8. Bei der Maisernte betet der Kekchi- Indianer : ,,Ich habe vieles und gutes
von meinem Essen, meinem Trinken ; du hast es geschenkt meiner Seele, meinem
Leibe, du meine Mutter." Und wenn er auf der Reise vom Regen durchnäßt
wurde und nun die Sonne wieder erblickt, ruft er ihr frohen Herzens zu: „Du
mein Gott, du Herr Sonne, gar lieblich blickst du, und der hündische Regen, er
sieht nicht auf seine Armen, aber du, o Herr Sonne, auch du hast deine Armen."8
In den Mimiamben des Herondas dankt der Priester dem Asklepios mit den
Worten: „Du hast die Krankheiten abgewischt, indem du, o Herr, deine gütigen
Hände ausstrecktest" (IV 17 f.). Bei Stämmen, die ein bestimmtes Wort für
Danken oder eine Redewendung hierfür besitzen, verbindet man diese mit der
Anerkennung: ,,0 Dzake! Wir danken dir, denn du hast uns in unserer Arbeit
geholfen, daß der Yams groß wurde." (Ewe)7. „Geister, wir danken euch für
diese erfolgreiche Jagd." (Xegritos auf den Philippinen)8. „O du Getreidegott,
wir verehren dich. Du bist sehr gut in diesem Jahr gewachsen und dein Geschmack
wird süß sein. Du bist gut. Die Gottheit des Feuers wird froh sein und wir alle
werden uns sehr freuen. 0 du Gott, o du göttliches Korn, ernähre du das Volk.
Ich nehme nun an dir teil. Ich verehre dich, ich danke dir" (Ainu)'.
Der Gegenstand des Dankgebets ist derselbe wie der der Bitte :
die Befriedigung elementarer Bedürfnisse und Wünsche.
Man dankt für die Rettung oder Erhaltung des Lebens. „Du hast mich er-
rettet, o Gott" (Konde)10. „Ihr habt mich am Laben erhalten, so daß ich bis an
den heutigen Tag gelangte" (Dschagga)11. Man dankt für Sonnenschein nach
strömendem Regen (s. oben), für Rückkehr vom Feldzug und Beute (s. oben.),
für glückliche Reise. „Ich bin hierher gekommen, du siehst es, du allmächtiges
Kreuz", spricht der Kek -hi-Indianer, wenn er auf der Wanderung auf einem Paß
ein Kreuz findet; „ich bin nicht krank geworden, ich bin nicht gefallen. Darum
will a\ich mein Herz fröhlich sein."12 Die Ewe-Kaufleute danken dem Marktgott
für reichen Absatz: „Du bist es, unter dem ich meine Marktware aufstelle. Du
gibst nicht zu, daß mir meine Waren bleiben. So bringe ich dir heute meine
Geschenke dar, um dir zu danken."13 Die Amazulu danken sogar den Ahnen,
wenn sie niesen müssen, denn das Niesen gilt als Zeichen der Gesundheit: „Ihr
l^eute vom Haus, ich habe dieses Glück gewonnen, das ich wünschte."14 Wie
man um das Gelingen der Rache bittet, so dankt man auch bisweilen dafür (s. o. ).
Aber den hauptsächlichsten Gegenstand des Dankgebetes bildet die Erlangung
der Nahrung. Man sagt Dank für die Pflanzen und Früchte, die man findet,
und seien es nur die reifen Nüsse eines Baumes; für das Jagdglück, vor allem
96 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
aber für den Ertrag der Felder, den Emtesegen. Viehzüchtende Stämme danken
auch für Vermehrung ihres Viehbesitzes (s. u.). Auch bei den täglichen Mahlzeiten
erinnert man sich der schenkenden Güte der Gottheit: ,,Herr Gott, du hast uns
dies gegeben, du hast es wachsen lassen", beteten die Watje (die von der west-
afrikanischen Küste nach den karaibischen Inseln verpflanzt worden waren)15.
Wie das Bittgebet oft eine ganze Reihe von Wünschen zxisammenfaßt, so wird
bei regelmäßigen Gebetsanlässen manchmal auch für all das gedankt, was man
von Gott empfangen zu haben glaubt. „Gott, du hast die Tiere und Menschen
geschaffen, alle wie sie avif der Erde sind; auch das Getreide auf dieser Erde hast
du geschaffen, daß wir davon leben sollen, wir haben es nicht getan. Du hast
uns Stärke gegeben, du hast uns Vieh und Samen geschenkt und unserem Vieh
Stärke verliehen, wir haben damit gearbeitet und die Saat ist gewachsen. Du hast
uns das Getreide wachsen lassen und die Menschen wurden satt" (Galla)16.
Wie die Bitte, so wird auch die Danksagung fast stets von einer Gaben-
darbringung begleitet. Während aber die Bitte ursprünglich selbständig
war und erst später durch das Opfer unterstützt wurde, ist das Dank-
gebet — wenigstens die Danksagung für erlangte Nahrung ■ — von
Anfang an an ein Opfer gebunden. Von allem Eßbaren bringt der
Mensch den höheren Mächten, vor allem dem Urvater und Schöpfergott,
die Erstlinge dar: von den Früchten, die er im Urwald findet, von den
wilden Tieren, die er auf der Jagd erlegt, von dem Erntesegen seiner
Felder, von dem Ertrag seiner Herden, von den berauschenden Ge-
tränken, die er bereitet. Diese ,Primitialopfer', die auf der ganzen
Erde verbreitet sind und sich gerade bei den kulturell so tiefstehenden
Pygmäen Völkern als einzige Form des Opfers finden sollen 17, werden
von Aristoteles und von manchen neueren Religionsforschern (Brinton,
P. Wilhelm Schmidt) als das Urphänomen des Opfers betrachtet 18.
Sicher ist, daß sie aus anderen Motiven und Vorstellungen entspringen
als die gewöhnlichen Gaben- und Geschenkopfer, die zur Speisung
oder doch Erfreuung der hohen Wesen bestimmt sind. Die Erstlings-
opfer sind schlichte Verehrungs-, Anerkennungs- und Dankopfer, obgleich
naturgemäß die andere Opfervorstellung sich mit dieser heterogenen
leicht verbinden kann. Auch in der alttestamentlichen Religion kon-
kurrieren beide Opferideen 19. Der Fromme bezeugt durch die Dar-
bringung der Erstlinge, daß er Speise und Trank der Güte der Gottheit
verdankt, er anerkennt seine vollständige Abhängigkeit von den
hohen Mächten und deren souveränes Eigentumsrecht über das, was
ihm zuteil ward 20.
Die westafrikanischen Tschi bringen dem höchsten Wesen Onyame regel-
mäßig Erstlingsopfer dar; beim Palmweint linken gießen sie einige Tropfen aus,
beim Reisessen werfen sie einige Körner auf den Boden; und wenn man sie fragt,
warum sie das tun, sagen sie: „um Gott zu danken."21 Von Wichtigkeit ist,
daß bei den Primitialopfern im Unterschied von den Speise- und Gabenopfern,
nur unbedeutende Mengen dai gebracht werden. Ein afrikanischer Pygmäe er-
zählte: „Wenn ich einen Büffel töte, nehme ich ein kleines Stück, das Beste,
ich lege es aufs Feuer, das andere esse ich mit meinen Kindern. Wenn ich Honig
finde, trage icli nichts davon weg, bevor ich ein wenig davon in den Wald und
gen Himmel geworfen habe. Und wenn ich Palmwein habe, muß ich zuerst ein
wenig auf die Erde gießen."22 Wenn die Negritos des nördlichen Luzon ein Tier
schlachten, schneiden sie jedesmal ein Stückchen Fleisch heraus und werfen
es gegen den Himmel23. Wenn die afrikanischen Nkulapygmäen von einem
Baum die reifen Nüsse, „das Geschenk Gottes" holen, pflücken sie eine gute und
eine schlechte Nuß ab und verbrennen beide, wobei sie ums Feuer tanzen und
V. Inhalt des Gebets (Dank) 97
Gott danken24. Wenn der Barongahäuptling den Tabak zum Schnupfen gemahlen
hat, legt er zwei kleine Löffel in den Topf, einen für die väterlichen, den anderen
für die mütterlichen Ahnengötter25.
Neben den Primitialopfern stehen solche Dankopfer, die man bei
Rettung des Lebens und anderen glücklichen Anlässen darbringt, des-
gleichen solche, die die Einlösung eines Gelübdes bedeuten, also be-
dingte Opfer sind 26. Hier tritt wieder der dem Bittopfer eigene Gaben-
und Geschenkcharakter stärker hervor. Doch gibt es auch Gelobungs-
opfer, die einen bloßen Akt der Verehrung darstellen. Die Malinke
überreichen ihrem höchsten Wesen den gelobten Gegenstand, dann
aber geben sie ihn Armen, Freunden und Kindern, die unter Aussprache
einer Segensformel die Speisen essen 27.
Auch das Dankopfer wird wie das Bittopfer durch einen kurzen
Opferspruch kommentiert, durch einen Hinweis auf das Dargebrachte
oder auch eine Einladung zur Annahme.
Der afrikanische Pygmäe spricht beim Erstlingsopfer: „Waka, du hast mir
diesen Büffel, diesen Honig, diesen Wein gegeben; da hast du deinen Anteil."28
Das Dankgebet der Negritos auf den Philippinen für die Jagdbeute lautet: ,, Geister,
wir danken euch für diese erfolgreiche Jagd. Hier ist euer Anteil an der Jagd."29
Die Ewe beten zu einem Flußgeist: ,,0 Dzake! Wir danken dir, denn du hast
uns in unserer Arbeit geholfen, daß der Yams groß wurde. Du sollst deswegen
essen, ehe wir essen. Hier bringe ich dir dein Teil."30 Bei den Bukaua auf Deutsch-
Neuguinea wird bei der Ernte von dem Festschmaus etwas in eine Kokosnuß-
schale gelegt und den Geistern der Vorfahren dediziert: ,,So, die ihr unser Feld
gehütet habt, wie wir euch baten, da habt ihr auch etwas. "31 Die Baronga sprechen
bei der Darbringung der ersten Früchte: „Hier ist das neue Jahr gekommen.
Ihr Götter sollt den Vorrang vor uns haben. Euch gehören die Erstlinge und erst
in zweiter Linie uns."32 Oft werden sogar dem das Dankopfer begleitenden
kurzen Spruch keinerlei Worte der Anerkennung und Dankesphrasen beigefügt.
Wenn die Negritos des nördlichen Luzon beim Schlachten ein Stückchen Fleisch
gegen den Himmel schleudern, sagen sie nur: „Dieses auch dir!"33 Die Tarni
auf Deutsch-Neuguinea bringen bei Festmahlzeiten oder Fleischmärkten dem
Urvater Anuto die erste Portion dar. Man legt eine Kleinigkeit der Speise in
ein Körbchen und ruft dazu: „Dies ist Anutos Teil." Dann wird das Körbchen
im Walde niedergelegt34. Wenn der Baronga schnupft, streut er den Ahnen ein
wenig Tabak und spricht dabei: „Hier ist ein wenig Tabak, kommt alle und
nehmt diese Prise und zürnt mir nicht, wenn ich schnupfe und sagt nicht, daß
ich euch eures Anteils beraube."35
Weil der naive Beter stets eine kindlicher, treuherziger Egoist ist,
läßt er die Gelegenheit der Danksagung nicht vorübergehen, ohne ein
paar Wünsche, die er auf dem Herzen hat, dem Gott auszusprechen
oder um künftige Geneigtheit und Hilfe zu bitten.
..(üb mir noch Kraft und Leben, und daß meinen Kindern nichts Böses zu-
stoße!" fü^t der afrikanische Pygmäe seinem Dank bei38. „Du hast mich ge-
rettet, o Gott, rette mich immer", betet ein der Gefahr entronnener Kunde37.
Wenn die Dinka (Ostafrika) ihrem Schöpfer Dengdid die ersten Prü hte dar-
bringen, bitten sie: „Vater, der du uns diese Flüchte gegeben, segne uns und
unsere Kröcht e."38 Die Bukaua auf Neuguinea reihen an ihren Dank für die
glückliche Ernte die Bitte: „Nun sehe uns auch ferner' freundlich an!"39 Das
Erntedankgebet der Kwe an Dzake schließt mit der Bitte: ..Wir bitten dich,
gib, daß das neue Jahr, das aunherankomxni . uns gesunderreicht, damit wir wieder-
kommen und dir Neues bringen dürfen."40 Der Ewe-Kaufmann, der auf dem
.Markte ein gutes (ieschäft gemacht hat, will noch größeren Gewinn, darum folgt
dem Dankgebet der Wunsch: „Half mir nun weiter- und ziehe die Leute aus der
Ferne heran, damit sie kommen und meine Marktwaren kaufen."41 Der Dschagga,
Das Gebet. 7
98 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
der eine Ziege opfert und für Erhaltung des Lebens dankt, schließt sein Gebet
mit den Worten: „Erhaltet mich auch fernerhin und verleiht mir andere (Stücke
Kleinvieh), so sollt ihr wieder Gaben erhalten."42 Die frommen Frauen, die in
den Mimiamben des Herondas dem Asklepios für die Befreiung von Krankheiten
danken, fügen ihrem Gebet folgende Bitte an, die wörtlich mit obigem Ewegebet
übereinstimmt:
,,.Ta, mag's gescheh'n, Allmächtiger du, und möchten
Wir kerngesund, um größere Opfer dir
Zu bringen, wiederkommen, Ehemänner
Mit uns und Kinder" (IV 86 ff. übs. v. 0. Crusius).
Bei den Ewe kommt es sogar vor, daß man für Befreiung von einem Übel
höflich dankt und gleichzeitig sich derartige Heimsuchungen für die Zukunft
energisch verbittet. ,,Dein Sklave", betet der Priester zum tro, „ist gekommen,
um dir zu danken. Du beschützest die Menschen von altersher. Das, was ihm
jetzt zustieß, muß das letzte Mal gewesen sein. Unter keinen Umständen darf
es ihm ein zweites Mal begegnen. Möge es hinfahren und den Weißen zustoßen,
die auf dem Meere sind . . . Wir sind gekommen, um dir zu danken. Mögest du
ein hilfreicher Zauber sein, der stets auf uns Acht hat."43
VI. Gebetshaltung und Gebetsgestus1.
Wie die Rede nur eine von den Ausdrucksfunktionen des Psychischen
ist und ihr stets die Körperhaltung, die Miene und Geste zur Seite
gehen, so besteht auch das Gebet nicht nur in gesprochenen Worten,
sondern ist immer begleitet von einer bestimmten Körperhaltung, be-
stimmten Körperbewegungen, einem bestimmten Mienenspiel. Ja, wenn
es richtig wäre, daß die Gebärdensprache' älter ist als die ,Lautsprache',
so könnten wir annehmen, daß der Gebetsgestus älter ist als das Gebets-
wort, daß das Gebet ursprünglich nur in bestimmten Gebärden bestand,
denen erst später, nach dem Fortschritte der Sprache, die Laute und
Worte zur Seite treten. In der Tat wird von südamerikanischen Stäm-
men erzählt, daß sie stumm beten, daß sie nur mit ehrfürchtigen Ge-
bärden zu den höheren Wesen flehen und ihnen Gaben bringen 2. Die
australischen Yuin erheben in ihren Stammesmysterien Hände und
Waffen zum Urvater im Himmel — sie beten wortlos 3. Die Frage, ob
die Gebärde dem Laut, die Gebetsgeste dem Gebet vorangeht, kann
hier nicht entschieden werden. Fest steht, daß wir überall dort , wo
wir das Gebet finden, auch einen bestimmten Gebetsgestus antreffen.
Tiefe seelische Erlebnisse, wie sie ursprünglich dem Gebete zugrunde
liegen, pflegen ja nicht nur eine Seite des körperlichen Ausdrucks-
systems, sondern das ganze Ausdruckssystem zu ergreifen. Am deut-
lichsten und reinsten äußern sich die mannigfaltigen und wechselnden
Affekte, Stimmungen, Gefühle, Wollungen und Wünsche, die in der
Seele des Betenden sich tummeln, im Mienenspiel; hier verraten sich
Furcht und Angst, Kummer und Sorge, Ehrfurcht und Bewunderung,
Staunen und Entzücken, Sehnsucht und Hingabe, Verlangen und Be-
gehren, Zuversicht, Hoffnung und Vertrauen. Aber diese fein dif-
ferenzierten Ausdrucksbewegungen der Gebetserlebnisse in der Mimik
sind uns nicht faßbar. Wir müssen sie ebenso wie die das Gebet moti-
vierenden, es begleitenden und aus ihm hervorgehenden Erlebnisse
selbst erst aus den Gebetsworten erschließen. Nur die bildende Kunst
antiker Völker, vor allem der Hellenen, gibt uns eine schwache Ahnung
VI. Gebetshaltung und Gebetsgestus 99
vom Gesichtsausdruck des primitiven Beters; aber sie vermag immer
nur den Ausdruck einer Erlebnisseite oder Erlebnisphase des Betens
festzuhalten, nicht jedoch den in der Mimik sich spiegelnden Wechsel
der Gefühle. Was uns die schriftlichen Zeugnisse über das Mienenspiel
primitiver Beter berichten ist äußerst kärglich: daß sie den Blick
sehnsüchtig zum angerufenen Wesen empor oder demütig zur Erde
niederrichten, daß sie unter Tränen oder mit lautem Weinen beten —
das ist alles. Daß die literarischen Dokumente über die Mimik primitiven
Betens so dürftig sind, beruht darauf, daß die Mimik im Körperausdruck
das Spontanste und Individuellste ist, von keiner Regel oder Konvention
gebunden : sie ist frei, freier noch als die Rede. Während die Worte sich
zur festen Formel verhärten, während die Körperbewegungen in der
zeremoniellen Gebärde erstarren, bleibt das Mienenspiel das im Beten
ewig Lebendige, der unmittelbare Ausdruck der lebendigen Gefühle,
Stimmungen und Affekte.
Unendlich mehr als von der Mimik des primitiven und besonders des
antiken Beters, wissen wir von seiner Körperhaltung und seinen Gesten.
Sie sind ursprünglich ebenso frei wie Rede und Mienenspiel. Aber viel
rascher als die Gebetsworte sich in der Gebetsformel verfestigen, werden
die Gebetshaltung und Gebetsgeste zur konventionell gebundenen Form,
zur rituellen Zeremonie zur verpflichtenden, durch den mos maiorum
geheiligten Sitte. Das Gebet ist ein Verkehr mit der Gottheit, der sich
in denselben Formen vollzieht, wie der soziale Verkehr der Menschen
untereinander. Der Betende verfiel ursprünglich spontan und unbewußt
in dieselben Körperstellungen und -bewegungen, die er in analogen
Fällen im Verkehr mit Menschen, mit den Eltern, dem Herrn oder dem
Häuptling einnahm: wollte er den Gott bitten, so hob er die Hände
empor, wie er es tat, wenn er den Eltern eine Bitte vortrug; wollte er
ihm seine Ehrfurcht bezeugen, so warf er sich zur Erde nieder, wie er
es vor dem Häuptling zu tun pflegte; wollte er vor den Gott hin treten,
so begrüßte er ihn in derselben feierlichen Weise, wie er einen Macht-
haber oder Gast zu begrüßen gewohnt war. So wurden unbewußt be-
stimmte Haltungen und Gebärden aus dem profanen Gesellschafts-
leben in den Gebetsverkehr mit der Gottheit übertragen. Schon im
profanen Leben waren sie feste, gewohnheitsmäßige Verkehrsformen,
wie an den Grußsitten deutlich ist; in die religiöse Sphäre übertragen,
erlangten sie bald religiösen Verpflichtungseharakter, es wurde ihnen
das Stigma des Heiligen aufgeprägt. Aus dem profanen Gestus entstand
so ein spezifischer Gebetsgestus. Beschleunigt wurde dieser Erstarrungs-
prozeß dort, wo das religiöse Verhältnis zu Gott als ein Untertanen-
verhältnis gedacht war : wie im Verkehr mit einem irdischen Herrscher
mußte man sich auch im Verkehr mit der Gottheit peinlich an das
Höflichkeitszeremoniell halten. Während die Gebetsworte dem jeweiligen
Anlaß und den verschiedenen Nöten und Bedürfnissen gemäß wechsel-
ten, blieben die Gebetshaltung und Gebetsgeste dieselben. Nur in
Augenblicken höchster Not fleht der Mensch zu Gott gänzlich un-
zeremoniös, formlos in der Geste ebenso wie in der Rede. Hier schafft
der Augenblicksaffekt einen individuellen Gebetsgestus, der sich spontan
100 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
an einen profanen oder religiösen Gestus anlehnen mag, der aber ebenso
frei ist wie das Augenblicks wort, in dem ein bedrängtes Herz sich Luft
macht.
Ehe wir nach dem Sinn und Ursprung der einzelnen Gebetshaltungen und
-gesten fragen, müssen wir eine dürre Aufzählung der verschiedenen Gebetssitten
vorausschicken. Da die Nachrichten über den Gebetsgestus und die Gebetshaltung
von Naturvölkern überaus spärlich und dürftig sind, müssen wir hier vor allem
die literarischen Dokumente der antiken Völker verwerten. Zugleich ist es nötig,
kurz darzutun, wie die uralten Gebetssitten im christlichen Beten fortleben.
Da ich die Körperhaltung beim Gebet bereits in einem Aufsatz in der Hommel-
Festschrift behandelt habe, muß ich für alles philologische Detail dorthin ver-
weisen4.
Die gewöhnlichste Körperstellung beim Gebet ist die stehende. Der
Beter steht aufreiht, das Antlitz der angerufenen Gottheit zukehrend. So beten
die meisten kulturarmen Völker, so beteten zumeist die Kultvirvölker der Antike.
Stehend beteten auch die alten Christen am Sonntag und in der Osterzeit5. (Die
stehenden ,Oranten' der Katakombenbilder sind Selige im Himmel, also Auf-
erstandene, in der ewigen Sonntags- und Osterfeier Begriffene. > Das Stehen ist
durch alle Jahrhunderte hindurch die liturgische Gebetshaltung der christlichen
Kirche geblieben. Die hervorragende Rolle, welche die stehende Gebetshaltung
spielt, läßt sich auch sprachgeschichtlich dartun. lAmtda d. h. Stehen heißt das
jüdische , Achtzehngebet', weil es stehend gebetet werden muß, upasthäna d. h.#
Sichhinstellen ist in der brahmanischen Terminologie die Bezeichnung für die
Adoration eines heiligen Objektes. Im Sumerischen bekommt , Stehen', Ein-
treten' (gub) geradezu die Bedeutung ,Bitten', ,Beten'.
Nächst der stehenden Gebetshaltung treffen wir am häufigsten die kniende.
Sie begegnet uns bei manchen Naturvölkern, wie bei den Sumerern, Babyloniern,
Ägyptern, Israeliten, Griechen, Römern und Indern. Die ägyptischen Beter
stellten ein Knie hoch, das andere ruht auf der Erde. Kniend scheinen stets die
babylonischen Bußgebete verrichtet worden zu sein. Die Römer ließen beim
Gebet bald ein, bald beide Knie nieder. Die alten Christen knieten beim Gebet
an Wochentagen; diese kniende Körperhaltung wurde zur gebräuchlichsten Ge-
betshaltung der privaten, christlichen Frömmigkeit.
Mit den Knien verwandt ist die hockende, kauernde oder sitzende Ge-
betsstellung. Sie findet sich bei nicht wenigen niederen Stämmen wie bei ver-
schiedenen antiken Völkern. Die Griechen beteten zu den chthonischen Göttern
in einer halb sitzenden, halb knienden Stellung. Bei den Römern durften betende
Frauen gleich Trauernden und Schutzflehenden am Boden kauern. Die sitzende
Gebetshaltung war auch bei den indischen Brahmanen üblich. Yoga und Buddhis-
mus übernahmen sie als Meditationshaltung (äsana)6.
Dem Gebet, das stehend oder kniend gesprochen wird, geht häufig die Proster-
nation, das Sich niederwerfen zur Erde, voraus. Dabei wird der Boden
mit den Händen und dem Kopfe (Kinn, Mund, Nase oder Stirne) berührt. Diese
Gebetsstellung ist bei verschiedenen primitiven und bei den meisten antiken
Völkern (den Sumerern, Babyloniern, Ägyptern, Israeliten, Römern, Indern)
üblich; wir treffen sie heute noch im chinesischen Kult7; sie ist auch eine der
verschiedenen Körperstellungen, die für das mohammedanische Pflichtgebet
vorgeschrieben sind. Auch im alten Christentum war es Sitte, sich vor den Gräbern
und Reliquien ganz auf den Boden zu werfen. Diese vielgeübte Adorationsweise
ließ ihre Spuren auch in der Sprachgeschichte zurück. Die babylonische Wendung
labanu appa, sich niederwerfen (eigentlich ,,die Nase platt machen") gewann die
Bedeutung , beten'; das hebräische Wort histachawäh sich zur Erde werfen, wurde
zum gewöhnlichen Terminus für .Anbeten'. Aus der Bezeichnung einer viel
geübten Gebetshaltung wurde im Christentum das Wort humilis ein Terminus
für die innere Haltung des Frommen gegenüber Gott. Dieselbe sprachgeschicht-
liche Entwicklung durchlief das assyrische Adjektiv asru (von asäru, sich nieder-
werfen), das die Bedeutung , demütig' gegenüber der Gottheit erlangte.
In all diesen Fällen ist das Sichniederwerfen und Berühren des Bodens nur
vorübergehend; die eigentliche Gebetshaltung ist kniend oder stehend. Aber
VI. Gebetshaltung und Gebetsgestus 101
es kommt auch vor, daß man hingeworfen zur Erde, liegend betet ; die Proster-
nation wird hier zur Gebetsgrundstellung. Diese merkwürdige Gebetshaltung
ist von einigen Naturvölkern wie von den Israeliten und Römern bezeugt.
Statt der Prosternation kann die Inklination dem Gebet vorausgehen oder
es begleiten, die Verbeugung des Oberkörpers oder das Neigen des Hauptes,
eine bei manchen kulturarrnen Völkern und bei den Sumerern, Babyloniern,
Hebräern, Indern, Römern und Germanen übliche Gebetssitte. Das altindische
und avestische Wort für , Anbetung' (namas) leitet sich etymologisch vom , Sich-
neigen' {narrt) ab, die Bezeichnung des islamischen Pflichtgebetes (salät) vom
..Krümmen des Rückgrats" (salaj).
Neben der Prosternation und Inklination steht als dritte Form der das Gebet
einleitenden Körperbewegung die Ganzdrehung des Körpers (circumagere
corpus), eine besonders bei den Römern und Kelten übliche Gebetssitte. Die
Drehung erfolgte bei den Römern nach rechts, bei den Galliern nach links. Dieses
circumagere corpus beim Gebet geht zweifellos auf eine ältere, weitverbreitete
Adorationssitte zurück, das Umkreisen eines Kultobjekts. Das Sichumdrehen
ist im Grunde nur ein „verkleinerter Umgang". In Indien, Griechenland und
Rom spielt der sakrale Rundgang eine bedeutsame Rolle. Spuren des Umgangs
bzw. der diesen ersetzenden Körperdrehung lassen sich auch in der babylonischen
Religion aufweisen.
Eine seltsame, aber sicher sehr alte Gebetssitte ist das Hüpfen während
des Gebetes. Bei den Trisagion des Schmone 'Esre springen die Juden dreimal
in die Höhe; dasselbe geschieht an einer bestimmten Stelle des Morgengebetes8.
Clemens von Alexandrien erklärt (Strom. VII 7, 40): ,,Wir heben die Füße in die
Höhe bei dem das Gebet beendenden gemeinsamen Ausrufe". Es handelt sich
ohne Zweifel um den Rest einer primitiven Gebetssitte, die im Spätjudentum
beibehalten und vom Frühchristentum übernommen wurde.
Unter den mannigfaltigen Händehaltungen beim Gebet erscheint
als die häufigste und ursprünglichste das E r h eben, Hochhalten oder Aus-
breiten, Ausstrecken der (meist geöffneten) Hände: die Handflächen werden
dabei stets dem angerufenen Wesen zugekehrt. Die australischen Yuin heben
bei den Initiationsmysterien Hände und Waffen zum Himmel empor9. Die dem
betenden Häuptling respondierenden Kikuyuleute halten die Hände hoch10.
Die Massai beten zu Ngai mit erhobenen Händen, in denen sie Grasbüschel halten11.
Die Siouxindianer ,. erheben beim Gebet die Arme, indem sie die Handflächen
gegen das Objekt oder das angeredete Wesen richten; hierauf senken sie die Hände
abwärts gegen die Erde zu, ohne jedoch das Objekt oder die Person zu berühren."12
Die ägyptischen Determinative für , anbeten' (<5w3, Isw) zeigen einen Mann mit er-
hobenen Händen. Auf zahlreichen ägyptischen Tempelbildern halten die Beter
beide Hände in der Höhe des Gesichtes erhoben, die Handflächen sind stets der
angerufenen Gottheit zugekehrt13. In einer Serie babylonischer Hymnen kehrt
regelmäßig die Aufforderung wieder, bei der Rezitation die Hand zu erheben
(su-il-la — semitisch m§ käti)1*. In den assyrischen Königsinschriften begegnet
uns häufig die Wendung: „ich erhob meine Hände und betete zu N. N."15 Der
Ausdruck ,, Handerhebung" (nis käli) bekommt die Bedeutung von , Gebet'16.
Die geöffneten Handflächen werden dem angerufenen Gott zugekehrt; so heißt
es in einer Inschrift: ,,es öffnete Assurbanipal seine Hände und trat vor Nebo
seinen Herrn" (KB III 2, 138). ,Die Hände ausstrecken' und die , Hände er-
heben' sind bei den Israeliten geläufige Termini für Beten — ein Zeichen für die
Häufigkeit und das hohe Alter dieses Gebetsgestus17. Wie schon das Wort kappaim
(die hohlen Hände, Handflächen) andeutet . richtete man die Handflächen nach
dem Wohnsitz der Gottheit, nach dem Himmel oder dem Heiligtum. In dem
freien Gebet der Muslime {du'a) ist der alte arabische Gestus des Emporhebens
und Ausstreckens der Hände in Geltung geblieben18. Die Griechen hielten beim
Beten die Hände empor (ave'/eiv, aiQtiv /eipag19. Ausdrücke, welche geradezu die
Bedeutung , Beten' gewinnen) oder streckten sie aus (ävateivetv, doiyeiv xeioag)20.
Die Römer streckten heim Gebe! ebenfalls die Hände aus oder erhoben sie (rnayius
bzw. paltnas tendere, tollere)21. Die Hände wunlen dabei leicht zurückgebogen,
man sprichl deshalb von xeiQlS eVruat, manus supinae22. Die Handflächen wurden
102 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
stets dem Wohnort des Gottes (Himmel, Tempel, Meer) zugekehrt23. Aus den
Avesta geht hervor, daß die Erhebung der Hände auch der altpersische Gebets-
gestus war24. In den Katakomben werden die Beter mit ausgebreiteten Armen
dargestellt25. Das Ausbreiten der Arme, der Gebetsgestus der Israeliten, Griechen
und Römer, wurde so zum christlichen Gebetsgestus, von den alten Kirchen-
schriftstellern als Nachahmung des Gekreuzigten sinnig gedeutet26. Im zweiten
christlichen Jahrtausend tritt es hinter dem Händefalten immer mehr zurück
und erhielt sich als feststehender Gebetsgestus nur in der Liturgie. Als individuelle,
durch den Affekt spontan erzeugte Gebetsgebärde lebt es bis heute fort, wie man
an Wallfahrtsorten beobachten kann.
Neben dem Emporheben beider Arme ist auch das Hochhalten eines
Armes als Gebetsgebärde bezeugt. Auf ägyptischen Tempelbildern erhebt
der Beter häufig nur eine Hand, die andere hält eine Opfergabe, ein Kultsymbol
oder ein Sistrum27. Ähnliche Darstellungen treffen wir auch in Babylonien. Häufig
finden wir auch einen Schutzgott dargestellt, der vor einer Gottheit steht und
mit einer Hand einen menschlichen Adoranten hält. Beide, der Mensch und sein
Fürsprecher, wenden die eine erhobene Hand dem Gotte zu28. Auf manchen
griechischen Opferdarstellungen streckt der Opfernde seine Schale als das Wich-
tigere mit der Rechten vor, während er die Linke erhebt29. Der gerüstete Krieger
hält stets die Rechte allein empor, da die Linke die Waffe trägt30. In all diesen
Fällen ersetzt die Erhebung der einen Hand die regelmäßige Erhebung beider
Hände. Es kommt jedoch au<h vor, daß nur eine Hand erhoben wird, obgleich
die andere Hand frei ist. Auf manchen ägyptischen Bildern erhebt der Beter die
eine Hand, die andere läßt er in spannungslosem Zustand nach abwärts fallen31.
Wenn die Griechen einem Altar oder Götterbild gegenübertraten, erhoben sie
häufig nur die rechte Hand mit gespreizten Fingern32.
Eine seltsame Gebetsgeste ist die Haltung beider Hände über
dem Kopfe. Die Einwohner des Reiches Candy und andere Völker des süd-
lichen Asiens halten beim Beten, selbst wenn sie auf der Erde hingestreckt liegen,
die Hände über dem Haupte empor33. Auch das Anlegen einer Hand
an den Kopf findet sich als Gebetsgestus. Die Tehuelchen von Patagonien
legen, wenn sie an bestimmten, von Totengeistern bewohnten Wäldern, Flüssen
oder Felsen vorübergehen, die Hand an den Kopf und murmeln ein paar Worte34.
Die galatischen Taskodrugiten legten beim Beten den rechten Zeigefinger an
die Nase35; ebenso die in Phrygien entstandene Sekte der Kataphryges oder
Quintiliani36.
Sehr häufig wird das Gebet eröffnet, begleitet oder geschlossen mit Hände-
klatschen oder Aneinanderschlagen der Handflächen. Beim Morgengruß
an die Gottheit schlagen verschiedene Bantustämme in die Hände37. Mit Hände-
klatschen empfängt man im Kongo den Neumond38. Bei den Ewe39 ist ähnlich
wie in Israel Händeklatschen beim Dankgebet üblich. ,,Ihr Völker alle, klatschet
in die Hände", ruft noch der Psalmist aus40. Aber auch beim Bittgebet ist diese
Gebetsgeste gebräuchlich. Von den Kiziba wird das Gebet an den Sonnengeist
und an den Meergeist mit emporgestreckten Armen und unter Aneinanderschlagen
der Handflächen gesprochen41. Wenn am Nyassa der Häuptling das Gebet
spricht, schlagen alle Leute, die ihn umgeben, rhythmisch in die Hände42. Wenn
der Häuptling der Flußneger Kameruns sein Opfe gebet gesprochen hat, klatscht
er in beide Hände43.
Uralt ist das noch in der heutigen Frömmigkeit übliche Klopfen an die
Brust. In Ägypten schlug man sich beim ekstatischen Jauchzen (hnw) mit
der geballten Faust die Brust44. In Israel klopft der um Gnade flehende Sünder
demütig an seine Brust (Lk 18, 13). In Rom gehört zum Gelübde, daß man,
so oft das Wort ego vorkommt, die Brust berührt45. Walafrid Strabo tadelt
noch im 9. Jahrhundert, daß manche sich im Gebet mit Fäusten die Brust
schlugen46. Noch affektvoller als das Klopfen an die Brust ist das Schlagen des
Hauptes od-r das Zerraufen der Haare, zu dem die Beter in höchster Not oder
Verzweiflung greifen. Wenn in Rom vom S±nat eine supplicatio angeordnet
war, rauften sich die Frauen das Haar, zerkratzten die Wangen und schlugen
die Schultern47. Alle diese leidenschaftlichen Gebärden entstammen den Se-
pulchralriten.
VI. Gebetshaltung und Gebets gestus 103
Beim Gebet an die Mutter Erde und an die chthonischen Mächte richteten
Griechen und Römer die Hände abwärts: „Die Götter der Unterwelt rufen wir
mit zur Erde gesenkten Händen an", sagt der Erklärer der Äneis48. Meist aber
berühren oder beklopfen sie den Erdboden. Ein römisches Ritual
enthält die Anweisung für das Gebet des Diktators: „Cum Tellurem dicit, manibus
terram tangit".49 Zumal beim Fluchgebet, das an die Toten und Unterwelts-
götter gerichtet wurde, schlug man mit den Händen den Boden oder stampfte
mit dem Fuße auf die Erde50. Noch heute schlagen in Griechenland und Neapel
fluchende Weiber mit der flachen Hand auf den Boden51.
Das Händefalte n52, der gewöhnliche christliche Gebetsgestus, findet sich
schon in alter Zeit bei den Indern {anjali). In der Bhagavadgitä faltet Arjuna
beim Gebet an Krischna die Hände (XI 14, 35). Nach dem Mahävagga (I 5. 5)
erhebt Brahma bittend seine gefalteten Hände zu Buddha63. Auf hinduistischen
Reliefs und Statuen halten die Adoranten die Hände zusammengelegt vor54.
Das Händefalten beim Gebet findet sich bei den Tibetanern55 und Japanern65.
Es begegnet uns auch auf einem sumerischen Tonrelief, auf dem die Göttin Ba'u
sich für einen Adoranten bei ihrem Gemahl Ningirsu verwendet67. Das Hände-
falten scheint der altgermanische Gebetsgestus gewesen zu sein; mit dem Sieg
des Germanentums drang es in das Christentum ein und wurde allmählich zur
Gebetsgebärde des ganzen christlichen Abendlandes. Zuerst ist es in altfränkischen
Grabdenkmälern des 7. Jahrhunderts nachweisbar H
Mit dem Händefalten berührt sich das Ineinanderlegen der Hände
und das Verschlingen der Finger, Gebetsgesten, die noch heute bei uns
gebräuchlich sind. Erstere Händehaltung findet sich auf den sumerischen Gudea-
statuen; die Fläche der einen Hand ruht auf dem Rücken der anderen59. Das
Ineinanderschlingen der Hände wird von römischen Schriftstellern als Gebets-
gestus bezeugt60, doch scheint es hier eine mehr magische Bedeutung zu haben.
Das erste monumentale Zeugnis ist ein dem 5. Jahrhundert entstammender
Sarkophag in einer Katakombe zu Syrakus, der eine mit verschlungenen Fingern
vor Maria hockende Frau zeigt81. Das erste literarische Dokument dieses Gestus
bietet die bekannte Erzählung von dem Gebet der heiligen Scholastika 62.
Eine ruhende Gebetsgeste wie das Händefalten ist das Kreuzen der
Hände auf der Brust. Es wurde von den Arabern und Türken geübt
und drang aus dem Orient in die Ostkirche ein83. Auch bei den parsischen Mazda-
anbetern ist diese Gebetshaltung gebräuchlich. In der mystischen Frömmigkeit
des Abendlandes ist sie beim Beten und Betrachten sehr beliebt.
Seltsamerweise wurde auch das Kreuzen der Hände auf dem
Rücken als Adorationshaltung geübt. Hierauf spielt zweifellos die Notiz
des Tacitus an, daß die Germanen einen heiligen Hain nicht anders als , gefesselt'
beträten64. Callimachus erzählt, daß die in Delos landenden Kaufleute, die sich
den Segen Gottes für ihr Geschäft erbaten, um den Altar herumliefen und dann
mit den Händen auf dem Rücken v.u einem nahen Ölbaum gingen, um etwas von
dessen Rinde abzubeißen85.
Bei all den erwähnten Händehaltungen und -bewegungen ist die Distanz des
Beters vom Gotte gewahrt. Es gibt aber auch solche Gebetsgesten, die den Beter
in unmittelbare Berührung mit der sinnlich gegenwär-
tigen Gottheit bringen. Bei den semitischen Völkern war die Sitte ver-
breitet, die Idole zu streicheln; mit der Hand über sie hinzufahren.
Die heidnischen Araber nannten diesen Gestus tamassuch**, die Hebräer chilld
et pene ein Ausdruck, der geradezu die Bedeutung ,Gott um Gnade anflehen',
, beten' bekam87. Die Römer berührten oder umfaßten gerne beim Gebet
den Altar88. Häufig umfingen die Beter die Hände oder Kniee der Göttersta-
tuen — eine Sitte, die naturgemäß viel jünger ist als die Umarmung des Opfer-
altars. Ein assyrisches Ritual gibt die Anweisung: „Du sollst niederfallen und
die Hände des Gottes ergreifen."*9 Ein assyrischer Hymnensänger fleht: „Der
ich die Göttin Ninua an den Füßen faßte, in der Schar meiner Feinde mögest
du mich nicht verlassen."70 Valerius BlaccUs singt: „Haeserat auratae genibus
Medea Minervae."7' Eine verbreitete Gebetssitte ist das K üssen des Kult-
objektesoder Idols. Die Kanaanäer küßten die Idole und Tierbilder ihrer ba'alim7-,
die alten Araber küßten die Bilder ihrer Hausgötter beim Betreten und Verlassen
104 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
der Häuser, die Mekkaner den schwarzen Stein, die Kaäba73, die Griechen die
heilige Eiche des Zeus zu Ägina74. Die Lippen wie das Kinn der Erzstatue
des Herakles zu Agrigent waren zu Ciceros Zeiten durch vieles Küssen stumpf
geworden76. Im Tempel küßte der betende Römer den Statuen Hände und
Füße74. Altchristliche Fromme, die zu den Märtyrern beteten, küßten ihre
Gräber77; die Christen der morgenländischen Kirchen küssen noch heute die
Heiligenbilder. Ferne am Himmel wohnenden Gottheiten sendet man Kuß-
hände. So warf man in Peru der Sonne Küsse zu78. Die Semiten verehrten
in gleicher Weise Sonne und Mond79. In Griechenland und Italien gebührte die
Kußhand allen Gestirngottheiten, dem Helios, der Selene und den Sternen, selbst
den Winden80. Beim Eintritt in den Tempel verehrte man in Rom den ßoti
nicht selten durch eine Kußhand81. Sonst erwiesen die Alten mit diesen Gebärden
allen heiligen Gegenständen, die sie nicht berührten, Altäre, Steinen, Hainen,
Statuen ihre Verehrung, vor allem beim Vorübergehen82. Nichts beweist die
Verbreitung der Gebetssitte des Kusses und der Kußhand so sehr wie der Um-
stand, daß der griechische Terminus für , anbeten' (ngoaxwelp) ursprünglich ,küssen',
der lateinische Terminus adorare , Kußhand' (die Hand zum Munde führen) be-
deutet. Ebenso bedeutet das sumerische Wort sub (babylonisch suppü) ,, beten"
ursprünglich .Kußhand'; das Ideogramm setzt sich zusammen aus den Zeichen
für ,Mund' und ,Hand', bedeutet also wie das lateinische adorare ,,die Hand
zum Munde führen". Die Sitte der Kußhand hat sich in der europäischen Volks-
religion zäh erhalten. Sie findet sich bei den Spaniern und Neapolitanern83.
1 n Schwaben werfen heute noch fromme Bauersleute dem Kruzif ix wie den Heiligen-
statuen beim Vorübergehen Kußhände zu. In Steiermark zeigt man den kleinen
Kindern, sobald sie verstehen gelernt, die Bilder von Christus und Maria und
lehrt sie ,,ein Busserl hinaufgeben zum Himmelvaler und zur Himmelmutter."84
Weit verbreitet ist die Sitte der Entblößung freilich nur bei Völkern,
bei denen das Kleidungswesen schon stark entwickelt ist. Man entledigt sich
vor allem der Schuhe, wenn man ein Heiligtum zum Gebet betritt oder einen
kultischen Akt vollzieht. In Peru zog man bei der Anbetung der Sonne die Schuhe
aus85. Die Israeliten pflegten beim Betreten heiliger Stätten die Sandalen aus-
zuziehen88. Die Samaritaner betreten de i heiligsten Fleck auf dem Garizim
barfuß, ebenso die Araber die heiligste Stätte auf dem Serbel87. Die Mohamme-
daner legen die Schuhe ab, wenn sie feierlich beten oder die Moschee betreten.
Die griechischen Tempelinschriften mahnen den Tempelbesucher, unbeschuht
das Heiligtum zu betreten88. Die Barfüßigkeit ist in Griechenland und Rom bei
der Opferdarbringung und sonstigen Kultakten, besonders bei Prozessionen er-
forderlich89. Römische Frauen beteten nudis pedibus zu Jupiter um Regen90.
Wie man die Füße entblößt, wenn man an heiliger Stätte betet, so entblößt man
auch das Haupt, wenn man vor dem Angesichte Gottes steht. Die Griechen91
wie die Germanen 92 beteten entblößten Hauptes. Noch heute pflegen wir die Kopf-
bedeckung abzunehmen, wenn wir eine Kirche betreten oder beten. Die Ent-
blößung des Oberkörpers bzw. der Schultern ist eine vielgeübte Gebetssitte; sie
findet sich ebenso im alten und neuen Indien93 wie in der antiken Mittelmeer-
welt94. Auch ein assyrisches Ritual fordert die ».Entblößung der Arme" bei der
Hymnenrezitation96. Aber nicht nur die Entblößung bestimmter Körperteile,
sondern auch die vollständige Nacktheit bzw. die Entblößung bis auf den Hüften-
schurz begegnet uns im Kult der Völker98, beim Gebet und Opfer, beim Umlauf
und Tanz, bei der Inkubation und Prophet ie und besonders beim Totenkult.
Als mit dem Fortschritt des ethischen und ästhetischen Gefühls die sakrale Nackt-
heit aus dem öffentlichen Kult verbannt worden war, blieb sie in dem geheimen
Mysterienkult erhalten97. Im Folklore und in der Magie98 lebt sie bis in die
Gegenwart fort. Die erschreckende Rolle, welche Nackheit und Entblößung
in der Magie und im volkstümlichen Aberglauben spielen, weist auf eine uralte
Kultgewohnheit hin, die nun wie viele andere unter der Decke der Kultur sich
fortfristet.
Seltsamerweise treffen wir beim Beten der Völker auch die entgegengesetzte
Sitte, die Verhüllung, vor allem die Hauptverhüllung. Der Priester der
Katchin trägt beim Gebet eine Kopfbedeckung99. Die Perser beteten bedeckten
Hauptes100; ebenso beteten und opferten die Römer stets capile velato101. Die
VI. Gebetshaltung und Gebetsgestus 105
Frommen des Alten Testamentes verhüllten ibr Haupt bei Theophanien102. In
der nachexilischen Zeit bildete sich die Sitte aus, beim Gebet den Kopf mit dem
Gebetsmantel, der Tallith d. i. der Schützenden zu umgeben103. Noch der Apostel
Paulus schärft den korinthischen Frauen ein, nur mit verhülltem Haupte zu beten,
während ihm die Hauptverhüllung des Mannes als schändlich erscheint (1. Kor.
II, 4 f.). Die Muslim bedecken beim Gebet mit dem Turban Scheitel, Ober- und
Hinterkopf; desgleichen ist es im Islam Vorschrift, daß der Oberkörper beim Gebet
bedeckt ist104. Die Chinesen halten, wenn sie vor Göttern und Geistern erscheinen,
eine Tafel von Jaspissteinen vor den Mund105. Die Parsen verhüllen beim Kult
den Mund mit einem viereckigen Stück Zeug, dem Paitidhäna (neupers. Penom)106.
Neben der Haupt- und Mundverhüllung steht die Hand verhüllung. Der
Göttin Fides opferten die Römer mit verhüllter Hand107. In hinduistischen
Kulten ist der Gebetshandschuh gebräuchlich108. Die Perserpriester tragen beim
Feuerkult Handschuhe. In diesen Zusammenhang gehört auch die jüdische
Sitte des Gebetsiiemens.
All diese Gebetshaltungen, Gebetsgesten und Gebetssitten sind das
Vermächtnis uralter Zeiten. Sie gehören zu jenen Formen der Religion,
die sich am treuesten durch Jahrhunderte, ja Jahrtausende hindurch
erhalten haben. Eben deshalb, weil sie nicht spontane Ausdrucksformen
individuellen religiösen Erlebens sind, sondern festes Traditionsgut von
Stämmen, Völkern und Rassen, ist die Deutung ihres Sinnes und die
Aufdeckung ihres Ursprunges nicht ganz einfach. Die alten religiösen
und religionsgeschichtlichen Interpreten dieser Gebetssitten entdeckten
in ihnen eine sinnige Symbolik: in den verschiedenen Gebetsstellungen
und Gebetsgesten symbolisiert sich das eigentümliche Verhältnis des
Menschen zur Gottheit; in ihnen kommen die elementaren religiösen
Gefühle der Ohnmacht, Abhängigkeit und Sehnsucht zum Ausdruck.
Augustinus schon sagt: ,.Die Betenden tun mit ihren leiblichen Gliedern,
was Schutzflehenden geziemt, wenn sie die Knie beugen, wenn sie die Hände
ausbreiten oder sonst etwas Sichtbares machen."109 Jak. Grimm sagt: Die Ge-
bärden beim Gebet zeigen, .,daß der Mensch dem mächtigen Gotte, seinem Sieger
sich als wehrloses Opfer darbietet und unterwirft."110 ,.Man nimmt", urteilt
Chantepie de la Saussaye, „dieselben Stellungen ein, zu welchen
man als Schutzflehender mächtigen Herrschern gegenüber verpflichtet ist."111
,.Das Stehen", sagt der Bibelforscher Delitzsch, ,,ist Ausdruck der Ehrfurcht ,
Untertänigkeit, Dienstbereit schaff, wie der Diener steht vor seinem sitzenden
Herrn, wie die Engel stehen vor Gottes Thron."112 Das ,. Sichhinwerfen" urteilt
Edvard Lehmann, ,,das Berühren der Erde mit der Stirne und das Knien
sind alles Stellungen der Unterwerfung und Wehrlosigkeit."113 Im Händeerheben
und Händeausstrecken drückt sich nach der Ansicht Westphals das Verlangen
aus, die erwünschte Gabe von der Gottheit entgegenzunehmen, da man die innere
Hand dahin streckte, wo man sich die Gottheit befindlich dachte. ..Durch das
Ausstrecken der Arme", sagt Meiners, ,, suchte man die zögernden Wohltaten
und in großen Nöten die schleunige Hilfe der Götter herabzuziehen."114 V o u 1 -
1 ieme hingegen meint: ,,Die Betenden strecken die Hände zum Himmel und
zu den Göttern, nicht um die von den Göttern erflehten Geschenke entgegenzu-
nehmen, sondern um die Götter selbst gleichsam zu berühren und ihre Knie
schmeichlerisch zu umfangen und sie so zur Erhörung der Bitten geneigt zu
machen115." Greiff vollends schreibt: ,,Das Ausstrecken der Hände zum
Himmel ist aus «lern Gefühl des Versinkens zu verstehen. Wie das Kind seine
Hände zur Mutter hinaufstreckt, so der Bete zu Gott, damit er ihn aus dem
unglücklichen Zustand gleichsam au den Händen heraufziehe."118 ..Das Hände-
falten", sagt Matthias Claudius, ,,ist eine feine äußerliche Zucht und sieht
so aus, als wenn sieh einer auf Gnade oder Ungnade übergibt und 's Gewehr
streck»."117 ,,In sinniger Weise kommt ", wie D ö 11 e r glaubt, ,, im EEändefalten
106 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
zum Ausdruck, daß man sich vor Gott gebunden und ganz von ihm abhängig
glaubt."118 Ähnlich urteilt Edvard Lehmann: ,,Die zusammengelegten oder
gefalteten Hände deuten zugleich wie die kreuzgelegten Arme des orientalischen
Grußes die Wehrlosigkeit oder gewollte Untätigkeit an."119 ,,Die Entblößung
des Hauptes war gewiß", wie Jakob Grimm sagt, „von frühe her unter unseren
Vorfahren eine Ehrenbezeugung, die gleich dem Neigen der Gottheit wie Königen
und Vornehmen erwiesen wurde."120
Die neueren Religionshistoriker, welche die Wurzel der religiösen
Phänomene in der Sphäre des Magischen suchen, erklären die Gebets-
gesten als magische Praktiken, die den Zweck haben, durch Zauber-
zwang sich die wertvolle Macht der Gottheit zu sichern oder sich gegen
ihre gefährliche Macht zu schützen.
Schon Meiners hatte behauptet, daß die cireumactio corporis magischen
Ursprungs sei; sie entspringe der Absicht, ,,alle die Beschwörungen und Zauber-
werke aufzufangen, welche auf die Götter fallen können und gleichsam einen Kreis
um dieselben zu ziehen."121 Die neueren Forscher dehnen die magische Deutung
auch auf die Händehaltung des Betenden aus. Der Islamforscher Goldziher
erblickt in dem Emporheben der Hände bei dem muhammedanischen Gebet
einen Zusammenhang mit uralten Zaubergesten. Die erhobenen Hände seien
ein Fluchgestus und dienten zur Abwehr böser Geister122. Das Händefalten
hatte nach der Anschauung von Schultze in der griechisch-römischen Welt
die Bedeutung des Bindens : man wollte die Dämonen an ihrem Orte zurück-
halten oder sie zwingen, dem Betenden zu gehorchen123. Das Umfassen des Altars
und das Streicheln des Idols geht nach A p p e 1 s und D ö 1 1 e r s Hypothese
auf den Glauben zurück, daß man durch Berührung die Götter zwingen könne,
dem Wunsche des Menschen zu willfahren124. Das Schwingen mit dem Körper,
das Händeklatschen, Hüpfen und Springen beim Gebet ist nach E. Lehmann
„ekstatischen Ursprungs"125 — die Ekstase galt als Erfülltwerden von göttlicher
Macht, ein Besessenwerden von Geistern. Das Ablegen der Schuhe und Kleider
wird auf das Streben des Menschen zurückgeführt, die unmittelbare Einwirkung
des göttlichen Zauberfluidums auf seinen Körper zu ermöglichen. Die kultische
Barfüßigkeit erklärt sich nach Wächter aus dem Glauben, daß der ,,mit
Bändern am Fuß befestigte Schuh" eine „bindende, hindernde Kraft" sei188.
D öl ler sieht in dieser Sitte einen „Rest der sakralen Nacktheit."127 Ebenso
meint Weinhold, die Vorschrift der Barfüßigkeit sei lediglich „eine Be-
schränkung der Entblößung des ganzen Leibes auf einen Teil."128 Die religiöse
Nacktheit selbst wird von Wächter aus der „Furcht vor der hemmenden
Wirkung des Gewandes" abgeleitet129. Nach Heckenbach hat sie „lustrale
Bedeutung"; die Alten glaubten, daß alle Fesseln und mit ihnen alles, was am
Körper unrein war, gelöst werden müsse130. Ähnlich urteilt Weinhold: „Der
ganze Mensch muß sich der vom Verkehr mit dem Irdischen befleckten Hüllen
vor dem Göttlichen entledigen."131 Die Hauptverhüllung wird als Schutzvor-
kehrung gegen Dämonen gedeutet. Wensinck führt diese Gebetssitte auf die
Vorstellung zurück, daß die Dämonen durch den Hinterkopf eindringen132. S a m-
t e r weist auf die Anschauung hin, daß man den Anblick der Geister meiden
müsse133. Eitrem sagt: „Die Verhüllung will nicht gewünschte Seelen und
Geister weghalten. Man verhüllt vor allem die Augen, die Ohren, die Nase und
den Mund, aber nicht zum mindesten das Haar. Das wallende Haar der Frauen
war den Angriffen der Dämonen besonders ausgesetzt."134
Die ältere symbolisch-soziale Deutung erscheint in den meisten
Fällen als die naheliegendste und natürlichste. Doch enthält auch die
magische Erklärung verschiedener Gebetssitten zweifellos ein richtiges
Element. Beide Deutungen haben jedoch vergessen, die profanen
Grußsitten zum Vergleich heranzuziehen. Der Grußgestus
liefert uns erst den Schlüssel zum Verständnis
VI. Gebetshaltung und Gebetsgestus 107
des Gebetsgestus. All die Körperstellungen, Händehaltungen
und sonstigen Sitten beim Gebet sind auch als Gruß- und Huldigungs-
formen im profanen Gesellschaftsverkehr bezeugt.
Die Anbetung Jahwes im Heiligtum erfolgte bei den Israeliten in derselben
Weise, wie ein Herrscher oder Vornehmer begrüßt wurde. Die profane Huldigung
trägt sogar denselben Namen wie die religiöse Anbetung (hehr, histachawä,
ngoaxweiv)136. Die verschiedenen Körperhaltungen: Aufstehen. Stillstehen, Sich-
niederwerfen, Sichverneigen, Niederknien und Niedersitzen finden sich in den
Grußsitten136. Der Kaffer bestreut beim Gruß sein Haupt mit Staub, anderswo
ist das Aufheben des Staubes durch bloßes Berühren des Erdbodens angedeutet
— gleichfalls eine verbreitete Gebetssitte. Das der circumactio corporis zugrunde-
liegende Umkreisen ist eine im Orient und Okzident übliche Begrüßung des Herr-
schers. Durch dreimaliges Umgehen ehrte man die persischen Großkönige und
später die römischen Cäsaren ; dreimal umging der Kelte Vercingetorix den Sessel
Cäsars, um ihm seine Unterwerfung zu bezeugen (Plut. Caes. 27); dreimal umritten
die mittelalterlichen Vasallen das Gerüst, auf dem der Kaiser saß (,,Berennen
des kaiserlichen Lehnstuhls")137. Das Umkreisen ist auch eine Ehrung, die man
den Toten erweist138. Auch die typischen Händehaltungen im Gebet treffen wir
als Grußgesten. Die grüßenden Indianer halten die Arme hoch, die grüßenden
Bantu klatschen in die Hände, die grüßenden Orientalen kreuzen die Hände über
die Brust. Der byzantinische Untertan erweist dem Kaiser seine Ehrfurcht durch
Kreuzen der Arme auf der Brust (aiavgoyegidZeod-ai.) Beim ehrerbietigen Gruße
faltete man im alten Indien die Hände. Gefaltete Hände gehören zur iranischen
Huldigung. Im frühen Mittelalter ist das Händefalten eine häufige Form der
Huldigung der Vasallen vor dem Lehensherrn, der niederen Geistlichen vor dem
Bischof139. Die Umarmung ist eine Lieblingsform des Grußes in Ausstralien.
Das zärtliche Streicheln kommt bei den japanischen Ainu als Grußform vor. Der
Kuß auf Mund, Wangen und Stirne ist im europäischen Kulturkreise beliebt;
er entstand als Grußform wahrscheinlich in Persien und drang von hier ins Abend-
land ein140. Der Nasenkuß findet sich als Grußform in Ozeanien und China.
Bei größerer Entfernung treten an Stelle der körperlichen Berührung Wink und
Kußhand. Zahlreiche Grüße stellen eine teilweise Entblößung des Körpers dar:
der Orientale entledigt sich der Sandalen, der afrikanische Neger entblößt die
Schultern oder den ganzen Oberkörper, der Europäer nimmt die Kopfbedeckung
ab. Der Besiegte erscheint im alten Orient vor seinem Sieger nackt oder nur mit
dem Lendenschurz bekleidet141. Aber auch die Haupt- und Handverhüllung
lassen sich als Grußsitte nachweisen. Der Tubu, der einem Fremden begegnet,
umhüllt sorgsam sein Gesicht mit dem Turban, so daß nur die Augen sichtbar
sind. Auf Java und Borneo142 legen die grüßenden Frauen die Hände vor das
Gesicht. In China hält man bei der Begrüßung des Kaisers eine Tafel aus Jaspis-
steinen vor den Mund143. Die Perser verhüllten die Hände bei der Huldigung
vor dem König. Noch heute tragen die Europäer bei feierli hen Anlässen Hand-
schuhe.
Die verschiedenen Grußsitten und -gebärden sind Ausdrucksformen
von Sozialgefühlen 147, jenen Gefühlen, die der Grüßende gegenüber
dem Begrüßten hegt. Wohlgefallen, Zuneigung, Freundschaft, Streben
nach Vereinigung offenbaren sich in den Grußformen, in welchen eine
körperliche Berührung erfolgt, im Umarmen, Streicheln und Küssen.
Die Freude über die Begegnung kommt im Händeklatschen zum Aus-
druck. Diese Grußform bildet den Übergang zwischen den Freund-
schaftsgrüßen zu den Respektsgrüßen, den Ehren- und Unterwürfigkeits-
bezeugungen; der Grüßende steht zum Begrüßten im Verhältnis der
Unterordnung. Im Stillestehen äußert sich gewollte Passivität. In den
verschiedenen Verkleinerungen des Körpers, im Sichniederwerfen, Sich-
verbeugen, im Knien, Kauern und Sitzen verrät sich das Bewußtsein
108 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
der eigenen Kleinheit, Nichtigkeit und Ohnmacht. Das Bestreuen des
Hauptes mit Staub und das Berühren des Erdbodens will die Niedrigkeit
und Verworfenheit des Grüßenden zum Ausdruck bringen. Das Hände-
erheben, Händekreuzen und Händefalten sind Zeichen der Wehrlosig-
keit, Abhängigkeit, des Verhaftetseins an den Mächtigen und Starken.
Reiche und vollständige Kleidung bedeutet Vornehmheit, teilweise
Nacktheit Armut und niederen Stand 148. Völlige Entkleidung ist eine
Demütigung, zu der sich der Besiegte verstehen muß.
Aber noch ganz andere Vorstellungen und Absichten liegen den
Grußsitten zugrunde. Manche von ihnen sind nicht nur oder überhaupt
nicht Äußerungen von Sozialgefühlen, sondern wurzeln in dem über
das Leben des Primitiven sich ausbreitenden Glauben an die Zauber-
macht. Der Fremde und Unbekannte ist ebenso wie der Herrscher und
Häuptling mit ,Macht' erfüllt; alles Neue, Ungewöhnliche, Außer-
ordentliche, wie alles Große, Gewaltige und Wunderbare weckt im
Primitiven Furcht und Zuversicht, Ehrfurcht und Staunen; es ist für
ihn ,Macht', wertvoll und gefährlich zugleich, mana und tabu. Ja, in
jedem Menschen wohnt solche Macht, die Lebenskraft, der zauberhafte
Seelenstoff, wie er in den Haaren und in den Nägeln, im Blut, im Hauch
und im Speichel sinnenfällig ist. Im Kusse und im Beriechen wird man
der kraftvollen Seelenmaterie des anderen teilhaftig; durch die Be-
rührung mit der Hand entsteht ein geheimnisvoller Kontakt mit dem
Mana, dem elektrischen Zauberfluidum des anderen. Wie durch gemein-
sames Trinken aus gleichem Becher, so entsteht auch durch den Kuß
ein magisches Bündnis; durch den gegenseitigen Austausch des Seelen-
stoffes sind die beiden einander verhaftet; keiner wagt es, dem anderen,
der nun Macht über sein Leben erlangt hat, zu schaden. Noch auf
andere Weise vermag der Primitive sich gegen die im Fremden und im
Häuptling steckende gefährliche Macht, gegen das Fremdlingstabu und
Häuptlingstabu zu sichern und schützen. Wie der Zauberer und Be-
schwörer um ein mit Zauberkraft geladenes Objekt einen Kreis be-
schreibt, so umkreist der Grüßende den Fremdling oder Häuptling,
um dessen Tabu in diesen umgrenzten Raum zu bannen und seine Fern-
wirkung zu verhindern. Er verhüllt sein eigenes Haupt oder legt wenig-
stens die Hand an dasselbe, auf daß die schädigende und tötende Zauber-
kraft des anderen nicht in sein Haupt, den Sitz des Lebens, eindringe.
Das Verhältnis des Menschen zu Gott ist ein Reflex des sozialen Ver-
hältnisses von Mensch zu Mensch. Dieselben Sozialgefühle, die der
Mensch seinem Mitmenschen gegenüber hegt, hegt er auch gegenüber
der Gottheit: Zuneigung, Freundschaft, Ehrfurcht, Demut, Unter-
tänigkeit. Aber die Gottheit ist nicht nur ein menschenähnliches Wesen,
sondern wie der Fremdling und Herrscher auch ,Macht', Mana und Tabu,
gegen das der Mensch sich schützen muß. So kommt es, daß sowohl die
sozialen wie die magischen Grußgesten in den Gebetsverkehr mit der
Gottheit übernommen wurden 147. (Doch scheinen die magischen
Grußgesten viel später zu Gebetsgesten geworden zu sein als die sozialen,
was daraus hervorgeht, daß sie sich als Gebetsgesten meist nur bei den
antiken Völkern, aber selten bei den Naturvölkern finden.) Die Gleich-
VII. Die im Gebet angerufenen höheren Wesen 109
heit oder Ähnlichkeit der Gefühle und Vorstellungen bedingte die An-
wendung der diesen Gefühlen und Vorstellungen zugeordneten Aus-
drucksformen. Diese Übertragung profaner Grußsitten in das Gebiet
des religiösen Kults mag in manchen Fällen eine differenzierende Rück-
wirkung auf den profanen Gesellschafts verkehr ausgeübt haben. Jene
Grußgesten und -sitten, die zu religiösen Grußgesten und -sitten, zu
Gebetsformen geworden waren, verschwanden bisweilen aus dem profanen
Leben. Das Divergieren von Gebetsgestus und Grussgestus bei ver-
schiedenen Völkern dürfte hierin seinen Grund haben 148.
Sämtliche Gebetsgebärden und -sitten gehen also auf profane Gesten
und Verkehrsformen zurück, vor allem auf die Grußsitten. Es gibt
ursprünglich keine spezifische Gebetsstellung und Gebetsgebärde, die
der besondere Ausdruck religiöser Gefühle oder magischer Vorstellungen
wäre. Schon die Sprache bezeugt, daß eine ausschließlich für die
übernatürlichen Wesen bestimmte Huldigung und Verehrung nicht
besteht. Die Termini für ,anbeten' (hebr. hiMachawä, , babylonisch
Zukennu, indisch -altpersisch nam, griechisch tcqooxvveiv, lateinisch vene-
rari, adorare) werden in gleicher Weise auf Menschen und Götter ange-
wendet149. Die magische Deutung hat den Zusammenhang mit den
Grußsitten völlig übersehen, die symbolische Theorie hat ihn nicht
entschieden genug hervorgehoben. Die meisten Gebetsstellungen und
-gesten, die man bisher als B i 1 1 gesten interpretiert hat, sind in Wirk-
lichkeit Grußgesten. Nur das Ausbreiten und Falten der Hände
mag bei manchen Stämmen als profaner Bittgestus geübt und dann
zum Gebetsgestus erhoben worden sein.
Dem lebendigen Wort und dem lebendigen Mienenspiel gegenüber
erscheint, wie wir bemerkten, die Körperstellung und Gebärde beim
Gebet als eine starre, traditionelle und konventionelle Form. Die
Worte, in denen der Beter sein Herz ausschüttet, sind stets neu, aus
der Not der Gegenwart geboren; in seinem Antlitz spiegelt sich der
flüchtige Augenblicksaffekt ; aber seine Körperstellung und seine Hände-
haltung sind dieselben, mit denen schon vor Jahrhunderten und Jahr-
tausenden Menschenkinder gebetet haben. Der Gebetsgestus stammt
aus grauer Urzeit, unverändert hat er sich bis in die Gegenwart fort-
geerbt — ein lebendiges Zeugnis von dem dramatischen Realismus,
der dem Gebetsverkehr des Primitiven mit seinem Gott eigen ist.
VII. Die im Gebet angerufenen höheren Wesen.
I. Die Wesen, an die der primitive Mensch sich bittend und an-
betend wendet, sind gar viele und von mannigfacher Art. Bei vielen
Naturvölkern richtet man Gebete und Bitten in erster Linie an die
verschiedenen Naturgeister und Naturgötter, höhere, mächtige
Wesen, die mit einem wahrnehmbaren oder kleineren Naturobjekt
verbunden sind, in ihm wohnen und wirken. Alle Gegenstände und
Erscheinungen der Natur, die dem primitiven Menschen auffällig sind,
die in ihm starke Affekte der Furcht, Ehrfurcht, Bewunderung und
Hoffnung auslösen, die ihm Glück und Nutzen verheißen oder Unglück
HO A. Das naive Beten des primitiven Menschen
und Gefahr zu bringen drohen, können Objekte des Gebets und der
Anbetung werden : ein seltsam geformter Stein, ein aufragender, zackiger
Fels, ein schneebedeckter, riesenhafter Bergesgipfel; ein rauschender
Quell, der den Menschen erquickt, ein sprudelnder Bach, der den Feldern
Fruchtbarkeit spendet, ein gewaltiger Strom, der über die Ufer tritt,
ein trügerischer See, der so manches Opfer in seine Tiefe zog; ein alt-
ehrwürdiger gewaltiger Baum, der reichen Schatten spendet, ein immer-
grüner Stamm, ein heilkräftiges Kräutlein, das nährende und keimende
Saatkorn; das körn tragende Feld, dessen Fruchtbarkeit man sich in
einer dieses Feld bewohnenden Gottheit konzentriert denkt, der Blitz-
strahl, der zuckend zur Erde fährt, der Donner, der mächtig durch
die Lüfte hallt, der wehende Wind, der krachend durch die Äste des
Waldes fährt und über die weiten Steppen eilt, das flackernde Feuer,
das der menschlichen Arbeit eine Quelle unendlichen Segens ist, zu-
gleich ein Schutz wider wilde Tiere und böse Geister; der mütterliche
Erdboden, dem nach primitiver Vorstellung alles vegetative und ani-
malische Leben entspringt und in den alles Lebendige wieder zurückkehrt,
die leuchtende Sonne, die Wärme, Licht und Wachstum spendet,
der strahlende Mond, der das nächtliche Dunkel erhellt, die Sterne,
die am Nachtfirmamente funkeln. Neben den in der leblosen und
vegetativen Natur wirkenden Geistwesen stehen die Tiergötter:
Lebewesen, die ob ihrer Größe auf die Menschen Eindruck machen,
wie der Elefant, solche, die ihnen ob ihres unheimlichen Aussehens
Furcht einflößen, besonders die Schlange, sodann die verschiedenen
Totemtiere, mit denen eine straff organisierte Gruppe (,Clan') sich enge
verbunden fühlt und die bisweilen auch als Urheber und Schöpfer
des Clans gelten.
Nicht nur tote und beseelte Naturgegenstände redet der primitive
Mensch im Gebete an und bringt ihnen Opfer dar, er verehrt sogar
die Werke seiner eigenen Hände als göttliche Wesen .
Auch in den durch menschliche Kunst verfertigten Objekten, die zum
menschlichen Leben und Schaffen in nützliche Beziehung treten, offen-
bart sich die Tat und die Macht eines übermenschlichen Wesens. So
bringt der Ewer bei der jährlichen Yamsernte dem Buschmesser und
der Axt, dem Hobel, der Säge und der Schelle, kurz allen in seinem
Dienste stehenden Werkzeugen Opfer dar1. Bei den Toba-Batak
opfert der Schmied dem Eisen; auch den eisernen Geräten, der Hacke,
dem Messer, dem Schwert, der Lanze; der Fischer opfert seinem Kanoe,
der Jäger seiner Flinte; der Zimmermann seinen Werkzeugen; die
Familie der Seele des häuslichen Herdes. Im heutigen Jndien beginnen
die Arbeiter ihr Tagwerk mit der Anbetung ihrer Werkzeuge; der Ar-
beiter wirft sich vor seinem Spaten oder seinem Pflug nieder, der Holz-
hauer vor seiner Axt2. Vor allem aber betrachtet der Primitive gerne
die mannigfachen, von übernatürlicher, wertvoller Zaubermacht (Mana)
erfüllten Objekte und Präparate als von menschenähnlichen Geist-
wesen beseelt und bewohnt und ruft deshalb diese übernatürlichen
Träger bittend und anbetend an. Solche kraftbegabte Gegenstände
können die Opfergeräte sein, sowie sonstige beim Kult verwendete
VII. Die im Gebet angerufenen höheren Wesen (Naturgeister) 111
Instrumente, Zauberstäbe, besonders aber Fetische. Unter einem
Fetisch ist dem ursprünglichen Wortsinn nach (portugiesisch feitigo
von factitius) ein machtgeladenes, zauberkräftiges Objekt zu ver-
stehen, das vom Menschen selbst künstlich ,gemacht', verfertigt bzw.
zubereitet und zugerichtet wird ; im Gegensatz dazu werden die Natur-
gegenstände (Steine, Bäume, Gewächse) in ihrer ursprünglichen natur-
haften Gestalt als machterfüllte, geistbeseelte, übernatürliche Wesen
angesehen und verehrt. Ein solcher Fetisch kann in einem zugeformten
Stein oder Holz bestehen oder auch in einem alle möglichen zauber-
kräftigen Substanzen enthaltenden Bündel wie dem nkisi der Kongo-
neger3. Oft wird ein Stein oder Holz so zugeformt, daß in ganz rohen
Umrissen menschenähnliche Züge hervortreten. So verfertigen die
japanischen Ainu aus Bäumen Schnitzbilder, die sie dann als Fetische
(inao) verehren und anbeten4. Während die Fetische trotz aller
künstlichen Bearbeitung und Zubereitung letzten Endes doch nur über-
natürliches ,Mana besitzende Naturdinge sind, sind die Idole und
Götterbilder, die auf höherer Kulturstufe aus den rohen Fe-
tischen herauswachsen, eine freie künstlerisch-schöpferische Gestaltung
von Phantasievorstellungen über die stark anthropomorphisierten über-
sinnlichen Mächte. Diese künstlerische Darstellung setzt stets einen
Fortschritt im mythologischen Denken voraus. Doch lebt der natur-
hafte Charakter der mächtigen Wesen auch in den künstlerischen
Idolen fort. Das Material, aus dem die griechischen Hermessäulen ver-
fertigt werden , ist stets Stein . Die Tier köpf e der Götterbilder in Ägypten
beweisen den ursprünglich tierischen Charakter der Götter.
Nicht nur Naturdinge und Naturerscheinungen, in denen sich ge-
heimnisvolle Macht und Lebenskraft offenbart, werden zu Kultobjekten,
man opfert und betet auch zum Seelenstoff, der dem mensch-
lichen Leibe Leben, Kraft und Gesundheit spendet, einer feinmateriellen
Kraftsubstanz, die man sich zu erhalten sucht und die man auf alle
mögliche Weise kräftigen und fördern will dieser Glaube und Brauch,
ist besonders in den malaiischen Völkern lebendig ist. Diese Lebens-
kraft, Lebensmaterie ist „eine Art Mensch im Menschen", so der tanoana
der Toradja, der kala der Karenen, der tondi der Batak5. Der genius,
den jeder altrömische Mann besaß, wie die juno, die jede römische
Frau hatte, sind nichts anderes als die unsichtbare, Lebenskraft ver-
leihende Seelenmaterie. Die kultische Verehrung, die man ihr erwies,
um sie zu sichern und steigern, brachte es mit sich, daß aus einem
individuellen, übersinnlichen Seelenstoff ein persönlicher, göttlicher
Schutzgeist wurde, wie die Entwicklung der römischen Genius-
vorstellung lehrt.
Neben den Naturmächten stehen als zweite große Gruppe über-
natürlicher Wesen die Tätigkeitsgötter. Diese sind nicht wie
die verschiedenen Naturgottheiten an bestimmte sichtbare Objekte
unzertrennlich gebunden, sondern an sich völlig unsichtbar, sichtbar
und greifbar nur in den Wirkungen, die von ihnen ausgehen. Seltsame
und plötzliche Erkrankungen werden auf das Wirken unheimlicher
112 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
Geister zurückgeführt, die in den Leib des Kranken fahren oder auf
andere Weise das Übel hervorrufen . Sehr häufig denkt sich der Primitive
diese unholden Geisteswesen als in der Luft hausend und durch die
Luft in den menschlichen Körper gebracht, gleich als ahnte er die Be-
deutung der atmosphärischen Luft für die Verbreitung und Übertragung
der Krankheitskeime. Diese Krankheitsgeister sind zumeist
nur wilde Dämonen, von verschwommenem, mehr unpersönlichem
Charakter, ohne Zahl und Name; nicht selten aber nehmen sie schärfer
umrissene, persönlichere Züge an und werden aus unbestimmten Geistern
zu Sondergöttern, die einen bestimmten Macht- und Wirkungskreis
haben: Die Büro kennen einen , Blatterngott'6, die Haidaindianer
einen Dämon der Pestilenz, einen Dämon der Pocken und einen solchen
des gewaltsamen Todes7, die Römer verehrten eine Göttin Febris. In
den meisten Fällen sucht man sich dieser unheimlichen Gäste durch
Beschwörungshandlungen und -worte zu entledigen, man sucht sie auf
alle mögliche Weise zu verjagen und zu verscheuchen, aber wendet sich
an sie auch mit demütigem Flehen und mit Opfergaben, beseelt von
dem tiefen Gefühl völliger Abhängigkeit.
Eine andere Klasse der Tätigkeitsgötter bilden die ,departemental
gods' (Andrew Lang), die Patron-, Funktions-, oder , Sondergötter'
(Usener)8, die mit keiner Naturerscheinung in Beziehung stehen, sondern
bestimmte menschliche Tätigkeiten und Beschäftigungen lenken und
überwachen, ihre übernatürliche Ursache darstellen. Die verbreite tsten
dieser Patrongötter sind die Kriegsgötter, die sich auch bei höher ent-
wickelten Naturvölkern wie den afrikanischen Ewe und den Polynesiern
finden9. Die Haida-Indianer kennen eine , Eigentumsfrau', von der
aller Reichtum kommt10. Der Ewe-Kaufmann verehrt die ,Marktgott-
heit'11 wie der römische Händler den Mercurius. Einen unerschöpflichen
Reichtum von stets neu entstehenden Sonder- und Patrongöttern be-
sitzen die griechische, altrömische und altlitauische Religion. Fast bei
jeder menschlichen Handlung, von der Wiege bis zum Grabe, beim
täglichen Tun und Treiben wie bei selten vorkommenden Gelegenheiten
rief der Grieche eine eigene Gottheit an, die hier und nur hier hilft. So
opferte man in Athen an dem Frauenfeste der Thesmophorien der Kalli-
geneia, d. h. der schöne Geburt Verleihenden. Kurotrophos, die Kind-
ernährerin, schützt das Wachstum der Kinder. Die jungen Athener
rufen, wenn sie beim Eintritt in das mündige Alter den Ephebeneid
leisten, Thallo an, die der Jugend Blühen und Gedeihen, Auxo, die
Wachstum verleiht, Hegemone, die Geleiterin. Paian oder Paieon,
Jaso, Akesios, Panakeia waren Gottheiten des Heilens12. Bei den
Römern steht jede einzelne Handlung in der bäuerlichen Beschäftigung
unter dem Patronat einer Spezialgottheit. Sterculinus sorgt für die
Düngung des Ackers, Veruactor für das erste Durchackern des Brach-
feldes, Reparatur für das zweite, Imporcitor für das dritte, Insitor für
das Säen; so geht es fort bis zum Messor, der der Schnittertätigkeit
vorsteht, Convector, der die Einfahrt des Getreides, zu Terensis, der
das Ausdreschen unter sich hat, und Tutulina, welche das eingeheimste
Korn aufbewahrt. Beim Fluropfer hatte der jlamen außer Tellus
VII. Die im Gebet angerufenen höheren Wesen (Sonder- und Lokalgötter) 113
und Ceres zwölf solche ländliche Sondergötter anzurufen13. Die
Gottesstimme, welche die Römer vom Heranrücken der Gallier
unterrichtete, erhielt als Aius Locutius einen Altar; die Gottheit, welche
die Umkehr Hannibals veranlaßte, bekam unter dem Namen Rediculus
ein Heiligtum. Neue Gottheiten entstehen im religiösen Glauben der
Völker unauf höflich — ■ noch im heutigen Hinduismus können wir dieses
theogonische Schauspiel beobachten14. Aber bei den meisten Völkern
sind diese neu auftauchenden Gottheiten an konkrete Objekte der
Natur und Kunst gebunden. Daß die Griechen, Römer und Litauer
so zahlreiche Tätigkeits- und Patrongötter schufen, beruht zweifellos
auf dem gerade diesen indogermanischen Völkern eigentümlichen ab-
strakten Charakter des Vorstellens, „dem tiefen Gefühl des Allgemeinen
in dem Besonderen15.
Eine Variante der Patrongötter bezeichnen die eigentlichen ,L o k a 1-
gottheiten'. die &soi nohovxoi oder iyx&Qtoi, die jedoch im Unter-
schied von den Tätigkeitsgöttern in enger Beziehung zu bestimmt um-
grenzten Orten und Ländern stehen. Bei den Kekchi-In dianern hat
jedes Dorf seinen eigenen Tzultaccä, den „Herrn der Berge und Täler",
dem man opfert und zu dem man betet16. Im ältesten Ägypten „besaß
jede Stadt, jedes Dorf, jeder Flecken seine eigene Schutzgottheit,
seinen Heiligen. An ihn wandten sich die Bewohner in den Tagen der
Not und Gefahr, hilfeflehend. Seine Gunst suchten sie durch Opfer
und Gebete zu gewinnen. In seiner Hand lag das Wohl und Wehe der
Gemeinde: er war der Herr der Gegend, der ,städtische Gott', der,
gleich einem weltlichen Fürsten, die Geschicke seiner Schutzbefohlenen
lenkte und ihr Leben, ihr Hab und Gut gegen äußere Feinde verteidigte.
So eng war der Gott mit seiner Ortschaft verbunden, daß er häufig
nicht einmal einen eigenen Namen besaß, sondern kurzweg nach der
Kultstätte, die ihm gehörte, oder an der er sich offenbarte, bezeichnet
wurde".17 Bei den westsemitischen Stämmen verehrte jede Stadt und
jeder Ort eine mehr oder minder anonyme Ortsgottheit als El (Macht),
Dan (Richter), Melekh (König), besonders aber unter der Bezeichnung
Ba'al (Herr). Häufig wird das appellative Wort für Gott durch die
Ortsbestimmung zum Eigennamen der Gottheit (Ba'al-Peor, Herr von
Peor, Melkhart, König der Stadt).18 In Griechenland hatte jede Stadt
und jedes Dorf seine eigene Gottheit, die ihren Verehrern und nur diesen
Schutz gewährte.19 Bei den Römern hatte jede Stadt, jeder Gau, ja
jede Straße und jedes Grundstück seinen lar als Orts- und Schutzgeist,
jedes Haus seinen lar familiaris genau so wie jeder Mann seinen
genius besaß20.
Alle diese höheren Wesen sind in ihrem Wirken nicht völlig unbe-
schränkt, sondern an ein genau umschreibbares Gebiet gebunden: die
Naturgeister an das betreffende Naturphänomen, die Tätigkeits- und
Patrongötter an die unter ihrer Aufsicht stehenden Handlungen und
Beschäftigungen, die Lokalgottheiten an die ihnen gehörigen Orte
und Länder. Ihre Macht ist also nicht absolut, sondern auf den
ihnen eigentümlichen Wirkungsbereich begrenzt. Eben deshalb
Das Gebet 8
114 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
pflegt man sich an sie nicht in jeder beliebigen Angelegenheit zu
wenden, sondern nur in solchen Anliegen, die in ihren Wirkungsbereich
einschlagen, nur mit solchen Wünschen und Bitten, deren Erfüllung in
ihrer Macht liegt.
Die Götter der Gebirgspässe ruft der Kabosenja um glückliche Reise an,21
den tro eines Teiches bittet der Ewe um Regen,22 zur , Göttin des Wassers' betet
der Ainu, wenn er aus der sprudelnden Quelle Wasser schöpft.23 „Fluß, friß mich
nicht", fleht der Xosakaffer, wenn er einen Fluß durchschreitet.24 „Du mögest
mir die Erlaubnis geben zum Baden und Fischfangen, ohnemir Schaden zuzufügen"
ist die Bitte der Cora-Indianer an den Flußgott Tschakan26. Die Ainu rufen den
, großen Gott', der über die Wasser gebietet, um reichen Fischfang an26. Der
Eweptiester richtet an den tro eines Baches ein Sühnegebet, wenn j mand durch
Wasserschöpfen mit verrußtem Topfe ihn beleidigt hat27. Die Schiffer am Tangan-
jkasee flehen, wenn sie ihre Boote besteigen, zum Seegeist um Verschonung des
Lebens28. Zur, Reismutter' beten die Karenen um Wachstum des Reises undSchutz
des Feldes vor Dieben2*, zur Korngöttin Demeter die Griechen um dicke Garben30
Der Getreidegottheit danken die Ainu für die reiche Ernte, die sie gespendet31.
Zum schützenden und Unheil wehrenden Feuer richten die auf der Jagd befind-
lichen Ainu ihr Nachtgebet, vom heiligen Herdfeuer erflehen sie häusliches Fa-
milienglück32. Die gebärende und nährende , Mutter Erde' wurde von den Griechen
um Kindersegen und Fruchtbarkeit der Felder angerufen.33 Zur Sonne fleht
der afrikanische Kiziba, daß sie scheine,84 der Cora-Indianer bittet sie, dafür zu
sorgen, daß die Flüsse den Feldern keinen Schaden zufügen;35 der Kekchi-Indianer
dankt ihr, Wenn sie nach heftigem Regen strahlend die Wolken durchbricht.3*
Den , Häuptling' Elefant flehen die Kaffern an, daß er sie nicht zertrete und töte.37
Wenn die zentralaustralischen Warramunga sich der Höhle nahen, in der die
Riesenschlange Wollunqua haust, bitten sie dieselben, sie möchte ihnen doch
keinen Schaden zufügen. 38 Die Haida-Indianer bitten die übernatürlichen Seetiere
um guten Fang, das Käuzchen rufen sie um trockenes Wetter an.39 In zahlreichen
Stämmen bitten die Jäger die Geister der erlegten Jagdtiere um Entschuldigung,
daß sie sie getötet haben.40 In ähnlicher Weise erfleht man auch beim Fällen
von Bäumen Verzeihung von den Baumgeistern. 41 Die Karenen bitten den Seelen-
stoff zurückzukehren, wenn sie fürchten, er habe den Leib verlassen.42 Bei Schwer-
geburten opfern die Batak der Kinderseele und bitten sie, doch zu kommen.43
Zu den gefürchteten Krankheitsgeistern fleht man, daß sie fortgehen oder fern-
bleiben möchten.44 Zu den Spezial- und Patrongöttern betet man nur in den
Anliegen, die ihr Wirken und ihre Macht betreffen, zum Kriegsgott um Siegesglück,
zum Handelsgott um gute Geschäfte, zum Glücksgott um Erfolg, zum Hausgeist
um Gesundheit und Wohlstand der Familie. Zu den Lokalgottheiten betet man
nur innerhalb ihres begrenzten Territoriums. Antike Reisende und Kaufleute
pflegten, wie aus zahlreichen Inschriften hervorgeht, in fernen Ländern nicht ihre
heimischen Götter, sondern die dort herrschenden Lokalgottheiten um Schutz
und Glück anzuflehen. Ein römischer Kaufmann, der mit Tongeschirren nach
Britannien handelt, macht auf der Insel Waleheren der dortigen Göttin Nehalennia
„wegen der Erhaltung seiner Waren in gutem Zustand" ein Gelübde.45 Die
mittelamerikanischen Kekchi-Indianer beten zum Tzultaecä, dem ,Herrn der
Berge und Täler', nur in den heimatlichen Gefilden und im heimischen Urwald;
sobald sie aber in ein Gebiet kommen, in dem sich christliche Wegkreuze befinden,
beginnen sie sogleich zum ,Vater Kreuz' zu rufen. In Gebieten hingegen, in denen
sich auch keine solchen Kreuze befinden, geben sie ihre täglichen Gebete und
Opfer auf und werden mit einem Schlag religionslos.46
Ursprünglich werden also die Natur- und Tätigkeitsgötter nur in
den sie betreffenden Spezialangelegenheiten, die Ortsgötter nur inner-
halb ihres Territoriums angerufen,47 die Stammes-, Volks- und National-
götter nur von ihrem Stamm oder Volk, die Familiengötter von ihren
Familien, die Genien nur von den in ihrem Schutze stehenden Individuen.
VII. Die im Gebet angerufenen höheren Wesen 115
Wenn aber ein Naturgeist, ein Fetisch oder ein Sondergott die Gebete
seiner Verehrer erhört und für ihre Opfergaben sich erkenntlich erweist,
so wächst die Schar der Verehrer; man beginnt zu ihm in allen mög-
lichen Angelegenheiten sich zu wenden: sein Machtgebiet erweitert
sich, er streift seinen Spezialcharakter ab und wird ein Helfer und
Erhörer im allgemeinen.48 Man betet nun zum Gebirgsgott um Ge-
sundheit,49 zum Geist eines Teiches um Kindeireichtum.:(! zum Erdgott
um langes Leben, Stärke des Leibes und reiche Siegesbeute.51 zur Sonne
um Nahrung,52 zum Neumond um Gesundheit und Stärke, Wachstum
der Felder, Viehreichtum und Kindersegen.53 Das zweite Moment,
das die Erweiterung des Wirkungskreises und Machtbereiches eines
Gottes bedingt, ist der Synkretismus der verschiedenen Einzelgötter
zu großen Göttergestalten. Ansätze zu diesem Verschmelzungsprozeß
finden sich schon bei manchen höher entwickelten Naturvölkern; als
umfassender religionsgeschichtlicher Vorgang spielt er sich jedoch erst
in den antiken Religionen ab. Der Synkretismus der Göttervorstellungen
ist sogar das typische Merkmal der antiken Götteridee im Gegensatz
zur primitiven. Fast alle die großen Göttergestalten des assyrischen,
ägyptischen, vedischen, griechischen, römischen und mexikanischen
Pantheons sind das Produkt eines gewaltigen Synkretismus. Die örtlich
gebundenen Naturgeister verbinden sich zu einem einheitlichen Natur-
gott. Die Lokalgottheiten und Patrone vermischen sich mit den ver-
schiedensten Naturmächten, mit Steinen, Bäumen, Tieren und Ge-
stirnen. Eines der wichtigsten Momente im antiken Synkretismus ist
die Vereinigung der örtlich begrenzten Naturgeister und Patrone mit
den mythischen Heroengestalten. Es ist eine feinsinnige Beobachtung
Wundts, daß die großen anthropomorphen Göttergestalten der Kultur -
und Nationalreligionen aus einer Verschmelzung des Idealmenschen mit
dem zauberstarken, naturhaften Dämon hervorgingen : der Dämon erhebt
den Helden ins Übermenschliche, der Held verleiht dem Dämon die
Züge einer individuellen menschlichen Persönlichkeit.54 Wenn solche
große und mächtige Götter einmal entstanden sind, dann saugen sie
die zahllosen kleinen Natur- und Lokalgottheiten auf, übernehmen ihre
Funktionen. Durch die von politischen Eroberungen oder friedlichen
Kulturbeziehungen herbeigeführten Völkermischungen vollzog sich auch
eine Verschmelzung der verschiedenen Volks-, Stammes- und Stadt-
gottheiten.55 Mit der Erhebung Thebens zur Hauptstadt Oberägyptens
tritt der thebanische Stadtgott Amon in unlösliche Verbindung mit
dem Sonnengott Ra, dem Hauptgott des Reichs. Der israelitische
Jahwe verschmilzt nach dem Eindringen der Israeliten in Kanaan mit
den kanaanäischen ba'alim. Die griechische Liebesgöttin Aphrodite
wird bei der Hellenisierung der römischen Kultur mit der latinischen
Gartengöttin Venus identifiziert.
Alle diese synkretistischen Vorgänge haben zur Folge, daß man die
großen Götter in den mannigfaltigsten Nöten des Lebens, nicht nur
in ganz speziellen Anliegen anruft. Doch obgleich ihr Machtgebiet
nicht wie das der primitiven Natur- und Sondergötter eng begrenzt ist,
so besitzt ein jeder von diesen doch einen bestimmten Wirkungskreis,
116 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
in dem er vornehmlich seinen Machteinfluß geltend macht. Darum
werden sie., wenn auch keineswegs ausschließlich, so doch vorzugs-
weise in den Angelegenheiten, die ihr Machtgebiet betreffen, angerufen.
Zeus bleibt allzeit der große Himmelsgott, zu dem man um Regen
fleht, Neptun der Meeresbeherrscher, den die Seefahrer anrufen, Mars
der Soldatengott, zu dem Heer und Volk um Kriegsglück beten, Marduk
oder Asklepios der weise Heilgott, an den der Kranke sich wendet,
Ischtar, Isis, Artemis und Diana sind die großen Muttergöttinnen, zu
denen kreißende Frauen ihre Zuflucht nehmen.56
In der Volksreligion aller Jahrhunderte wendet man sich in den
besonderen Anliegen an die verschiedenen großen und kleinen Spezial-
götter, die in ihrem eigenen Machtgebiet am besten helfen und wirken
können. Gerade dadurch erweisen sich nicht wenige Heilige der katho-
lischen und mohammedanischen Volksreligion als die wirklichen Nach-
folger vorchristlicher und vorislamischer Götter, vor allem der Sonder-
götter, daß sie zumeist in Spezialanliegen und Spezialnöten um Hilfe
angerufen werden: St. Wendelin bei Viehseuchen, St. Blasius bei Hals-
weh, St. Lucia, Ottilia und Klara in Augenleiden, St. Apollonia gegen
Zahnschmerzen, St. Rochus gegen die Pest, St. Florian in Feuersgefahr;
St. Antonius hilft Verlorenes wiederfinden, St. Andreas schenkt den
Frauen Kinder, St. Katharina verhilft den Mädchen zu Männern,
St. Valentin ist der Heilige der Verliebten, die Gottesmutter ist die
mächtige Helferin der Frauen in Geburtsnöten.57
2. Neben den Naturgottheiten, den Tätigkeits- und Patrongöttern
stehen als zweite große Klasse der durch Gebet und Opfer verehrten
übermenschlichen Wesen die Ahnengeister; bei vielen Völkern
und Völkergruppen bilden die Geister der Vorfahren nahezu den aus-
schließlichen Gegenstand der religiösen Verehrung, so bei den afri-
kanischen Bantuvölkern und den indonesischen Stämmen: der Ahnen-
kult droht bei ihnen zur Religion schlechthin zu werden.58 Untei den
Kulturvölkern sind es die Chinesen, bei denen die Verehrung der gött-
lichen Ahnen den wichtigsten Platz im religiösen Leben inne hat. Bei
anderen Völkerfamilien hingegen ist der Kult der Verstorbenen nur
relativ schwach entwickelt, so bei den nordamerikanischen Indianern
und bei der semitischen Rasse. In der Religion der Urindogermanen
nahm der Ahnenkult einen breiten Raum ein, in historischer Zeit trat
er aber immer mehr zurück.
Die Familie verehrt vor allem ihr verstorbenes Oberhaupt, den
Vater. Ein Zulukaffer erzählt: „Die Schwarzen verehren nicht alle
Amatongo unterschiedslos, d. h. alle Toten ihres Stammes. Das Haupt
eines jeden Hauses wird von den Kindern dieses Hauses verehrt; denn
sie kennen nicht die Ahnen, welche gestorben sind, noch ihre Ehren-
namen. Aber ihr Vater, den sie kennen, ist das Haupt; mit dem sie
in ihrem Gebet beginnen und aufhören, denn sie kennen ihn am besten
und seine Liebe für die Kinder; sie erinnern sich seiner Güte gegen sie
während seines Lebens; (sie sagen:) er wird uns genau so behandeln,
nachdem er tot ist (wie zu seinen Lebzeiten) ; wir wüßten nicht, warum
er auf andere außer uns schauen sollte; er wird auf uns allein schauen."59
VII. Die im Gebet angerufenen höheren Wesen (Ahnen) 117
Im alten Griechenland verehrte man den toten Vater mit Gebet
und Opfer; die Lebendigkeit und Innigkeit des Gebetsverkehrs der
Kinder mit dem verstorbenen Vater spiegelt sich nirgends so deutlich
wie im ,Totenopfer' des Aeschylus.60 Nach dem Vater verehrt man
auch die Mutter, die verstorbenen Großeltern, Geschwister und Kinder,
ja die ganze Sippschaft. In den an die Ahnen gerichteten Opfergebeten
wird oft der ganze Familienstammbaum aufgezählt. Der opfernde
Baronga ruft zuerst seinen Vater und bittet ihn, seinen Großvater zu
bringen, diesen, daß er seine Ahnen bringe usw., bis der Letzte genannt
ist. Die Ahnen der Hauptlinie werden dann ausgesandt, alle Abge-
schiedenen der Seitenlinien zu rufen.61 Die Amazulu wenden sich oft
in genereller Weise an alle unmittelbaren Vorfahren und ruft sie als
„unsere Leute" oder ,, Leute vom Haus" an.62 Im Ahnenkult der
Batak spielen die Vorfahren größerer Sippenverbände eine besondere
Rolle. Ihnen zu opfern tun sich die ganze Verwandtschaft oder mehrere
Sippen zusammen, was seltener, aber mit feierlichem Zeremoniell ge-
schieht.63 Der ganze Stamm opfert bei vielen Völkern dem verstorbenen
Häuptling und seinen Vorvätern. Bedeutende und einflußreiche Men-
schen, besonders mächtige Zauberer, die ob ihres reichen ,Mana', ihrer
geheimnisvollen Zauberkraft geachtet und gefürchtet werden, werden
nach ihrem Tode durch Opfer und Anrufungen auch außerhalb ihrer
Familie verehrt. Der Totengeist eines starken und erfahrenen Mannes
bleibt bei den Veddas in dauernder Erinnerung und empfängt beständig
Opfer, auch nach dem Tode der näheren Verwandten.64 Codrington
schreibt von dem Totenkult der Melanesien ,,Man darf nicht meinen,
daß jeder Totengeist Gegenstand der Verehrung wird. Ein Mensch
in Gefahr mag wohl seinen Vater, Großvater oder Oheim anrufen, die
nahe Verwandtschaft ist Grund genug dazu. Aber der Totengeist,
den man allgemein verehrt, ist der Geist eines Mannes, der zu seinen
Lebzeiten mana besaß ; die Seelen der gewöhnlichen Menschen dagegen
sind die gewöhnliche Herde von Geistern, Nullen vor wie nach dem
Tod."65 Hier erkennen wir die Ansätze zum Heroenkult, der bei den
Griechen eine mächtige Entwicklung nahm66 und der eine der Wurzeln
der altchristlichen Heiligenverehrung ist. So wird also nicht allen
Verstorbenen unterschiedslos religiöse Verehrung zuteil, sondern
nur den Vorfahren und Familienmitgliedern
einerseits und den durch soziale Würde oder magische
Kraft hervorragenden Individuen andererseits. Das
,profanum volgus' der Totengeister hingegen ist nicht Gegenstand eines
religiösen Verhältnisses, in dem nicht nur die Furcht, sondern auch
die Zuversicht waltet; man fürchtet vielmehr diese als feindliche, bös-
artige Wesen, man sucht sich ihrer durch die Beschwörung zu erwehren
oder man bringt ihnen Opfer, um sie zu beschwichtigen und sie sich
so vom Leibe zu halten.67
Die Geister der Vorfahren werden besonders häufig bei Krankheits-
fällen in der Familie angerufen, da gilt ihr Zorn als die Ursache solchen
Unglückes68. Aber sie sind dem primitiven Menschen nicht nur Ver-
118 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
hänger von allerlei Unheil, sondern auch Spender von Glück und Segen.
„Der Vater ist für die Schwarzen ein großer Schatz, auch wenn er
tot ist," sagte ein Zulukaffer zu Bischof Callaway.f;!' Man ruft darum
die Ahnen vor allem um Glück, Reichtum und Erfolg für die Familie
an; man fleht zu ihnen in Todesgefahr um Rettung, man erbittet von
ihnen Gesundheit und angenehmes Leben, Reichtum an Korn, Vieh
und Nachkommen, Friede mit der Nachbarschaft usw. Man erbittet
ihren besonderen Segen dann, wenn ein Kind des Hauses eine Ehe
zu schließen gedenkt.70 Weil die Ahnengeister bei vielen Stämmen
auch als Spender des Wachstums und Erntesegens geschätzt werden,
werden ihnen unter Dankgebeten Erstlingsopfer dargebracht.71 Der
Wirkungskreis und Machtbereich der göttlichen Vorfahren ist also er-
heblich weiter als der der Naturgeister, Tätigkeitsgötter und Schutz-
patrone, die an ein begrenztes Gebiet gebunden sind.
3. Mit den mannigfachen Natur- und Tätigkeitsgöttern wie den
Ahnengeistern erschöpfen sich noch nicht die übermenschlichen Wesen,
zu denen der naive Naturmensch mit Geschenken und Gebeten sich
wendet, um Hilfe in der Not und Erfüllung seiner Wünsche zu erlangen.
Hinter und über diesen Wesen, die in die Geschicke des Menschen mit
mächtiger Hand eingreifen, stehen in der religiösen Vorstellungswelt
zahlloser niederer Stämme in allen Erdteilen seltsame und geheimnis-
volle übernatürliche Gestalten, die , hohen Götter' (high gods),
die Ur wesen, die von jenen niederen Geistern sich deutlich abheben.
In der gegenwärtigen Ethnologie und Religionswissenschaft sind sie der
Gegenstand eines erregten Meinungswechsels geworden. Der Forscher,
welcher diesen Geisterkampf entzündet hat, ist der schottische Folklorist
und Literarhistoriker Andrew Lang.72 Er, der früher eine scharfe
Polemik gegen den verschleierten Urmonotheismus Max Müllers
geführt und für eine evolutionistische Ableitung der höheren Formen
des religiösen Bewußtseins aus den niederen und roheren eingetreten
war, nahm später, überwältigt von den zahlreichen Berichten über
höhere Gottesvorstellungen primitiver Stämme, den Kampf gegen die
animistische Erklärung der Religion auf, wie sie in klassischer Weise
von dem Oxforder Anthropologen Tylor formuliert worden war.
Älter als der Glaube an Naturgeister und Ahnen erschien ihm der Glaube
an „ein übermenschliches Wesen, das immerdar besteht, einen schaffenden
Geist, einen Wächter für moralische Regeln"; denAnimismus und
Manismus betrachtete er als Produkte eines Verkümmerungsprozesses,
während die Urform der Religion als ein ethischer Monotheismus sich
ihm darstellte. Längs vielumstrittene Theorie, die sich vor allem auf
die religiösen Vorstellungen der Südostaustralier stützte, wurde durch
den gelehrten Erforscher der austronesischen Stämme und der Pygmäen
P. Wilhelm S c h m i d t73 weiter geführt und durch sorgfältige ethno-
logische Untersuchungen unterbaut. Man hat mit einem gewissen
Recht behauptet, daß beide die Primitiven sowohl wie die Urwesen,
an die diese glauben, idealisiert hätten — Lang mit einer Vorliebe für
das Romantische, P. Schmidt in einem theologischen Interesse an der
Theorie des Urmonotheismus. Gleichwohl bezeugen es ganz schlicht
VII. Die im Gebet angerufenen höheren Wesen (Urväter) 119
die Tatsachen, daß jene ,high gods' in der religiösen Vorstellungswelt
der Naturvölker eine Sonderstellung einnehmen und weder mit dem
Geisterglauben noch mit dem Ahnenkult in einem genetischen Zu-
sammenhang stehen. Helles Licht wurde auf die Vorstellung vom
Urheber durch die tiefschürfenden Untersuchungen Nathan S ö d e r-
b 1 o m s74 geworfen. Ihm ist es geglückt, die Wurzel dieses beiden
primitiven Stämmen weit verbreiteten Glaubens aufzudecken. Wir
müssen uns hier näher mit diesen Gottesgestalten vertraut machen,
da ihre Kenntnis zu der Beantwortung der Frage nach dem Ursprung
und der Urform des Gebets unbedingt erforderlich ist.
Die .high gods' (Lang), .supreme beings' (Marett). ,höchsten Wesen', Himmels-
götter' (P. Schmidt), .Allväter', .Urväter' oder .Urheber' (Söderblom), wie man
sie immer bezeichnen mag. tragen einen ganz anderen Charakter als die die Natur
oder ein bestimmtes Gebiet menschlicher Tätigkeit beherrschenden Mächte. Sie
stehen dem Menschen ferner als die Naturgeister oder Ahnen aber sie überragen
diese an Größe, Macht und Hoheit. Ihr Wirken^iegt nicht ausschließlich in der
Gegenwart wie das Wirken der Natur- und Tät'gkeitsgötter, sondern vor allem
in grauer Vergangenheit, in ferner Urzeit. Sie sind — das ist ihr hervorstechendster
Charakterzug — Schöpfer und Urheber alles Seienden; Himmel und
Erde. Pflanzen, Tiere und der Mensch sind das Werk ihrer Hände. Aber nicht
nur die anorganische und organische Natur, nein, auch die gesamte materielle
und geistig-soziale Kultur: Wirtschaft, Technik und Kunst, Sprache und Sitte,
Gesellschaftsordnung. Religion und Magie, alles wird auf das virsächliche Wirken
jener hohen Gottheiten zurückgeführt. Die Urväter sind nicht nur Schöpfer,
sondern auch Stifter und Gesetzgeber. Sie sind Kulturheroen, , Heil-
bringer', wie die modernen Ethnologen sagen, vor allem aber sittliche Gesetz-
geber; die absolut gültigen sozialethischen Ideale des primitiven Stammes er-
scheinen als die verpf licht enden Gebote des Schöpfers. So enthält schon die
primitive Vorstellung vom Urheber die beiden Elemente des voll ausgebildeten
Gottesbegriffs: Gott ist die Quelle alles Seienden wie aller Werte.
Bei manchen Stämmen liegt das Wirken der Urväter ausschließlich in der
grauen Vorzeit, sie sind Urzeitwesen, die einst Großes und Segensvolles voll-
bracht haben, aber keine Gegenwartsgötter, die mit mächtiger Hand die Geschicke
des Menschen gestalten. Manche dieser Ursprungsgottheiten sind, nachdem sie
ihr Werk vollendet haben, in ein anderes Land gezogen, um dort zu wirken und
zu schaffen. Aber bei der überwiegenden Mehrzahl der Naturvölker ist das höchste
Wesen mehr als Urheber und Schöpfer. Stifter und Gesetzgeber in ferner Ver-
gangenheit, er ist zugleich Erhalter seines Werkes, Schicksals-
gott, Wächter über seine Gebote. Diese Seite im Bilde des Urvaters hat Söder-
blom zu wenig hervortreten lassen. Tira-wa, das höchste Wesen der Pawnee-
Indianer wird auch genannt: „die Kraft dort oben, die die Welt bewegt und alle
Dinge überwacht." 75 Das Bewußtsein der universellen Abhängigkeit von dem
höchsten Gotte äußert sich schon in den abgegriffenen Sprichwörtern und Redens-
arten der Alltagssprache. „Was Kuwa dir bestimmt hat, das trifft dich auch,"
sagen die Dschagganeger. 7e ,,Es steht bei Lowalangi," ist ein Sprichwort der
Niasser. 77 ,,Cuok hat dich gebracht, Cuok hat dich erhalten, es führe dich Cuok,"
sind die bei den zentralafrikanischen SchiUuk gebräuchlichen Grußformeln. 7'
Wenn einem Omaha- oder Kansa-Indianer ein unerhofftes Glück zufällt, pflegt
man zu sagen: „Wakanda (das höchste Wesen) hat ihm beigestanden, Wäkanda
kennt ihn, Wakanda hat für seine Leute gesorgt." 79 Gottes Schicksalsmacht ist
doppelseitig: Glück und Unglück, Reichtum und Armut. Segen und Fluch, Leben
und Tod — alles kommt aus seiner Bland. Kuwa, heißt es bei den Dschagga-
negern, ,,hat Reiche und Arme, (teile und Krüppel gesetzt." H" Der Glaube, «laß
di-v höchste Goti Urheber des guten wie bösen Geschickes ist, tritt sein- anschaulich
hervor in der Vorstellung der südafrikanischen Ovambo von dem Schöpfer Kalunga.
Dieser trägt in einem Gürtel zwei große Korbe. Sieh! er blenschen, die nach
seinem Sinne tun, so nimmt ei' aus dem Korbe des Guten Kaffeinkorn und andere
120 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
dem Menschen wertvolle Dinge und streut sie ihnen aus. Gefällt ihm das Treiben
der Menschen nicht, dann holt er aus dem Korbe des Bösen oipute und streut
sie aus; dann gibt es Hunger, Mißwachs, Krankheit und Unglück 81. Nach der
Anschauung der Bewohner von Mkulwe (Ostafrika) kommt von Nguluwi, dem
höchsten Gotte, alles Gute: Kindersegen, Regen, Nahrung, Glück bei jedem
Unternehmen, bei der Jagd und Fischerei, Gesundheit, Hilfe zur Beseitigung
eines persönlichen Feindes durch Gewalt und Zauberei. Mißerfolg hingegen,
Krankheit. Hunger, Not und vorzeitigen Tod verhängt er als Strafe für Ver-
gehen. 82 Lowalangi, das höchste Wesen, hat nach dem Glauben der Niasser ,, Macht
über Leben und Tod, Segen und Fluch, Reichtum und Armut". 83 Weil der
Urvater am oder im Himmel wohnend gedacht wird, oder sogar mit dem Himmel
identifiziert wird, werden auf ihn mit Vorliebe die atmosphärischen Erscheinungen
zurückgeführt; Sonnenschein und Regen, Dürre und Unwetter kommen von
ihm. Im Wind spürt man seinen Atem, im Donner hört man das Grollen seiner
Stimme oder das Rasseln seines Schwirrholzes, im Blitz sieht man die Feuer-
brände, die er schleudert. Schwere Krankheiten, für die man keine natürliche
Ursache weiß, wie verheerende Seuchen gelten als vom höchsten Gotte gewirkt.
„Wenn Ruwa erzürnt ist," lautet ein Dschaggasprichwort, , .sterben alle Länder
aus." 84 Am tiefgreifendsten äußert sich Gottes absolute Macht darin, daß er
Herr ist über Leben und Tod. „Ruwa bestimmt die Grenzen des Lebens", heißt
es bei den Dschagganegern. 8S Stirbt ein Herero, so sagt man: ,,Ndjambe Karunga
hat ihn gerufen." 86 Stirbt jemand bei den Ewe eines natürlichen Todes, dann
sagt man: ,,Mawu hat ihn gerufen, Mawu hat ihn f ort genommen. " 87 ,,Nzambi
hat ihn gegessen," sagen die Bab wende bei Todesfällen; 88 „Nazambi hat ihn
geraubt, genommen, gefangen," sind die Redensarten der Kongoneger 89.
Die hohen Wesen, welche den Menschen sittliche und rituelle Gebote gegeben
haben, wachen über ihre Ausführung und strafen den, der sie übertritt. Die
Schöpfergottheiten der austronesischen Völker90 tragen un verkennbar den
Charakter von Sittlichkeitswächtern. Auch das Schicksalswirken der
afrikanischen Himmelsgötter entbehrt nicht eines gewissen ethischen Einschlags;
dem Verhalten der Menschen entsprechend, senden sie Glück zum Lohne, Un-
glück zur Strafe.
Anthropomorphe Züge fehlen im Bilde des Urvaters nicht. Bei
vielen Stämmen wird er als Greis oder großer Mann mit langem Bart vorgestellt.
Die high gods haben meist Weiber und Kinder. Ob ihrer Zaubermacht werden
die Urväter oft als Medizinmänner, und Zauberhäuptlinge vorgestellt. Anderer-
seits aber frappiert uns die Reinheit, Geistigkeit und Erhabenheit des Urväter-
glaubens mancher Stämme. Routledge gibt uns einige Äußerungen von Kikuyu-
leuten über ihren höchsten Gott Ngai wieder : ,,Ngai hat weder Vater noch Mutter,
weder Weib noch Kind; er hat keine Boten, er selbst tut all sein Weik; er ißt
nicht ;er ist weder ein Kind noch ein alter Mann; er ist derselbe heute wie gestern."'1
Der Urvater ist unerschaffen, niemals geboren, ewig. 9a Nach dem
Glauben mancher Naturvölker trägt er den Grund seiner Existenz in sich selbst;
er ist causa s u i. Atnatu, das Urwesen der australischen Kaitisch, machte
sich selbst und gab sich selbst seinen Namen. 93 Nurali ist nach der Anschauung
der Murray-Rivet -Australier , selbstentstanden'. 94 Der Urvater einiger Völker
ist allwissend gedacht er schaut selbst die Gedanken der Menschen 96.
Er ist in gewissem Sinn allgegenwärtig. ,, Glaube nicht," sagt ein mada-
gassisches Sprichwort, ,,daß du allein seiest im Schweigen des Tales, Gott ist
über deinem Haupte." 96 Zwar ist er nie unräumlich vorgestellt, aber der lichte,
weite Himmel ist seine Wohnung. An seine Gestalt knüpft sich gerne eine reiche
Himmelsmythologie. Weisheit und Güte ist jene Eigenschaft, welche die
Primitiven übereinstimmend den high gods zuschreiben. Karai Kasang der bir-
manischen Katchin ist ein gutes Wesen, das Wohltaten spendet, ohne dafür
Gegengaben zu fordern. 97 Puluga der Andamanen ist mitleidig gegen Leidende
und Bedrängte und hilft ihnen. 98 Buku, das höchste Wesen der Ana, ist gütig,
wohltätig und nachsichtig, ohne Falsch und weise 99. Ruwa der Dschagga er-
scheint den opferhungrigen, stets fordernden Geistern gegenüber als der milde,
hochherzige Spender. loe Anuto der Tanii auf Neuguinea ist gut, man braucht
ihn nicht zu fürchten. 101 Ngai der Kikuyu „liebt einen jeden"102.
VII. Die im Gebet angerufenen höheren Wesen (Urväter) 121
Die Namen, welche jene höchsten Wesen in der Sprache der Primitiven
tragen, sind verschiedene. Bisweilen nennt man sie , Himmelsmensch,
, Himmelshäuptling oder schlechthin ,Himmel'. Im letzten Fall,
übertrug man die Bezeichnung des Aufenthaltsortes auf den, der darin wohnt.
Nicht selten heißt er schlechthin ,Macht', ,mächtig' (Nzambi, Nyambie
Maweza, Leza, Kalunga, Tilo usw. der Bantuvölker, Wakanda und Manitu der
nordamerikanischen Indianer, Ngai der Kikuyu). 103 Die Montauk auf Long
Island nannten ihr höchstes Wesen Cauhtuntoowut, d. h. „einer, der mit höchster
Macht ausgestattet ist". 104 Bei australischen wie afrikanischen Völkern heißt
das höchste Wesen ,M a c h e r' — ein Terminus, der seinen Charakter als Schöpfer
der Welt und des Menschen bezeichnet. Aber der älteste und verbreitetste Name
der ,hohen Götter' ist der Vater name. Mungan, ,Vater' oder Mungan ngaua,
,unser Vater' heißt das höchste Wesen der Kurnai, Mami ngorak oder ngata
, unser Vater' ist das Epitheton Bunjils bei den australischen Victoriastämmen. 105
Die Ku-Buschmänner rufen Huwe, den Schöpfer und Erhalter aller Dinge als
Ba ,Vater' an. 106 Die afrikanischen Mpongwe und Benga nennen ihn Reri yajio,
.unser Vater'. 107 Die westafrikanischen Bantustämme verehren den Schöpfer
als Vater. Fragt man sie nach dem Geheimnis ihres höchsten Gottes, so erhält
man die Antwort: „Njambi. der, welcher uns machte, er ist unser Vater." los
,Unser hoher Vater' (Tamai-Tingei) nennen ihn die Bahanstämme auf Borneo,10'J
,Vater aller Menschen' die birmanischen Katchin. 110 , Allvater' nennen die austra-
lischen Euahlayi und die mittelamerikanischen Zuni den Schöpfer in ihren My-
sterien. m , Geistvater', , Unser Vater allerort' bezeichnen ihn die Pawnee-
Indianer. 112 ,Urvater der Wesen', .Urvater der Dinge' heißt er in der Kosmogonie
der Delawaren.113 ,Vater Himmel' (vedisch Dyaus pitä, griechisch Zevg
naiiß, römisch Jupiter) hieß das höchste Wesen der Urindogermanen. m Der
Vatername des höchsten Gottes ist der Ausdruck der absoluten Abhängigkeit
des Menschen von ihm, zugleich der Ausdruck der Ehrfurcht und des Vertrauens.
Der Mensch verdankt jenem hohen Wesen Leben und Dasein, er blickt zu ihm
mit denselben Gefühlen empor wie das Kind zum Vater, wie der Jüngling zu den
Alten, die er respektvoll mit diesem Ehrennamen anredet, wie der Stammes-
zugehörige zum Stammeshäuptling. Wenn wir näher zuhorchen, so klingt uns
dieses ,Vater' und ,unser Vater' wie ein „Präludium des christlichen Gottes-
glaubens aus ferner Urzeit". 115
Hehre erhabene Wesen sind in der Tat diese uns so seltsam anmutenden Ur-
väter der Primitiven; ,high gods' hat sie A. Lang mit Recht bezeichnet. Aber
„die Hoheit dieser Wesen kontrastiert mit der geringen Bedeutung, die sie in
der Religion der Primitiven neben den näheren, wirksameren und gefährlicheren
Wesen haben, mit denen man im Kult unaufhörlich zu rechnen hatte, den Seelen
Verstorbener, den Ahnen, den Geistern und den Naturgottheiten" (Söderblom). u*
Die Urväter besitzen gewöhnlich k e i n e n in regelmäßigen Opfern und Gebeten
bestehenden, organisierten Kult wie die zahlreichen anderen übersinn-
lichen Wesen. Wohl ist in den Mysterien der Australier immer wieder die Rede
von den Urvätern, die sie eingesetzt; in den heiligen Gesängen, von denen die
Riten begleitet werden, wird ihr Name genannt; der Mysterien-Häuptling, der
den Kandidaten die Geheimlehre enthüllt, verkündet ihnen feierlich die Taten,
die der Urvater einst vollbracht, und die Gesetze, die er gegeben. Im Jeraeil, (Irr
Mysterienfeier der Kurnai, weist der Häuptling die Jünglinge mit dem Speer
nach dem Himmel, der Wohnung des Mungan ngaua, indem er spricht : schau
dorthin! 117 Im Kuringal, der Mysterienfeier der Yuin, werden Waffen und
Hände zu Daramulum nach dem Himmel erhoben. 118 Es herrscht eine Gebet s-
stimmung in diesen australischen Mysterien. Aber der Gewährsmann, der Zeuge
dieser heiligen Schauspiele war, berichtet uns nichts von Gebeten und Opfern,
Bei zahllosen niederstehenden Völkern treffen wir den Glauben an ein höchstes
Wesen, aber man versichert uns, daß i hm keine regelrechten Opfer dargebracht
würden. Ahone, der Schöpfer, der alle Menschen mit Gütern versorgt, empfängt
von den Virginia-Indianern keine Opfer 1I». Die Herero bringen dem Kalunga
keine Opfer. Miss Kingsley berichtet: „Es besteht kein organisierter Kult für
Xyjirubi in Westafrika." l,° Dasselbe sagt Missionar Raum von den <>stafiikanis< In n
Dschagga: „Bin eigentlicher Kultus wird Ruwa nicht gewidmet." 121 „Die Schilluk
122 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
in Äquatorialafrika fühlen sich," wie P. Hofmayr erzählt, ,,gar nicht verpflichtet,
ihrem Schöpfer und Herrn irgendwelche eigentliche Verehrung darzubringen." lM
Aber selbst bei solchen Stämmen, die dem höchsten Gott durch Opfer Verehrung
erweisen, tritt sein Kult hinter dem der niederen Natur- und Totengeister sehr
zurück. Die Katchin in Birma, berichtet P. Gilhodes, erweisen dem Karai Kasang,
dem größten Gott, der alles gemacht hat, keine Verehrung, die höher oder gleich-
wertig wäre der Verehrung der Nats (Geister). 123 Wo ein regulärer Kult des
höchsten Wesens besteht, unterscheidet er sich auch unverkennbar von dem der
niederen Mächte und Geistwesen. Bei vielen Stämmen bringt man den Urvätern
die Erstlingsopfer dar, die Dankopfer sind — die Opfer, welche man den Natur-
geistern und Ahnen bringt, sind vorwiegend Bittopfer. Bei manchen Völkern,
wie bei den Katchin, sind die Opfer an den höchsten Gott ausschließlich unblutig
— die Geister hingegen heischen blutige Schlachtopfer. Die den Urvätern ge-
brachten Opfer sind meist nur ein schlichtes Zeichen der Verehrung und Dank-
barkeit, sie bestehen aus geringen Mengen; denn sie dienen nicht zur Speisung 124
— die Geister hingegen sind hungrige Wesen, sie haben Lust zu essen und zu
trinken; ihnen bringt man große Mengen, auf daß sie sich sättigen und so den
Menschen gnädig seien.
So sind jene ,high gods' trotz ihrer Größe und Erhabenheit nicht
Gegenstand eines reichen Opferkults wie die zahlreichen, den Menschen
nahestehenden Naturgeister und Totenseelen. Weil man ihnen keine
regelmäßigen Gaben und Opfer widmet, darum richtet man an sie
nur selten regelmäßige Gebete, während man sich an die niederen
Mächte in den mannigfachsten Nöten und Anliegen mit Bitten wendet.
Die Missionare und Ethnographen bezeugen uns von den meisten Natur-
völkern , daß das Gebet an die* höchsten Wesen etwas
relativ Seltenes ist, ja von manchen Stämmen wird behauptet,
daß jene high gods überhaupt nicht im Gebet angerufen würden 125.
Es ist wahr, nicht allzu oft hören wir von feierlichen Gebeten eines
Stammes an den Urvater und Schöpfergott — und doch würde es den
Tatsachen widersprechen, wollten wir annehmen, daß der Primitive
sich nie oder nur ausnahmsweise an jene hohen Wesen bittend wende.
„Man wendet sich bisweilen an sie, von Not und Gefahr gedrängt.
Solche Gebetsrufe sind viel eher impulsive Äußerungen einer Seele,
die sich bedrückt fühlt und sich vergebens an die Mittel der offiziellen
Religion gewendet hat, als Sache der Gesellschaft, das heißt nicht Religion
im Sinne von geordneten Riten und Mysterien 126." Söderbloms
Worte treffen den Kern der Sache. Das Gebet an den Urvater ist zu-
meist der spontane und formlose Erguß eines Einzel-
nen .nichtdiegeordneteÄußerungeinersozialen
Gesamtheit. Was uns Missionare und Ethnographen von der
Religion der Primitiven erzählen, bezieht sich zum größten Teil auf
die religiösen Riten und Vorstellungen, soweit sie streng sozial gebunden,
innerlich an eine Gemeinschaft von Individuen als ihren Träger gekettet
sind. Aber gerade hier im Gebet an das höchste Wesen enthüllt sich
uns die individuelle Religion des Primitiven in ihrer ganzen
Inbrunst und Leidenschaft. Von den verschiedensten Stämmen wird
übereinstimmend bezeugt, daß sie in Not und Gefahr spontan und unge-
bunden, ohne Opfer und Gelübde, jene hohen Wesen um Hilfe und
Rettung anrufen.
Wenn das Leben gefährdet ist, wendet man sich an den, der Herr ist über
Leben und Tod, an den Schöpfer, den höchsten Gott. Wenn Hungersnot herrscht,
VII. Die iin Gebet angerufenen höheren Wesen (Urväter) 123
fleht der Buschmann um Nahrung zu Cagn, dem Urvater. 127 Wenn ein Gewitter-
sturm tobt, schreit der afrikanische Pygmäe zum höchsten Wesen um Hilfe. 128
Wenn bei den Katchin jemand ins Wasser fällt, wendet er sich bittend an Karai
Kasang. 129 Wenn die Sumos- und Mosquitos- Indianer mit ihrem schwankenden
Boot gefährliche Stromfälle passieren, nehmen sie zu Davan Eisi, , Meister Vater',
dem sie sonst nie opfern, ihre Zuflucht. 130 ,,Bei den Batak," berichtet Warneck
„glaubt man das Geschick des Menschen von debata (Gott) abhängig, appelliert
an sein Erbarmen, wendet sich in Stoßseufzern an ihn. ruft ihn an in Zeiten der
Not, ohne jegliche Darbringung von Opfer." m „Ganz selten,' sagt Missionar
Nassau, „und nur in der äußersten Not richtet der Westafrikaner einen Appell
an Gott." 132 Miss Kingsley schreibt: „Wenn es dem Bantu schlecht geht, wenn
der Fluß gewaltig anschwillt und sein Haus und seine Pflanzungen wegschwemmt,
wenn die Pocken im Lande herrschen und Tag und Nacht die Leichen den Fluß
hinabschwimmen und sich stauen und seine am Ufer angelegten Kanoen und seine
Fischfallen verstopfen, wenn dann schließlich die Klage über die Opfer der Seuche
Tag und Nacht in seinem Dorfe laut wird, dann wird er sich erheben und diesen
großen Gott (Nzambi) anrufen, im Schrecken, toll vor Verzweiflung, er möchte
doch hören und dem bösen Werk der niederen Geister Einhalt tun." 133 Die
Karesauinsulaner beten nur selten zu Wonekau, dem höchsten Wesen. Es ge-
schieht jedoch, wenn ein Kind von seinen Eltern weggegangen; dann gehen Eltern
und Geschwister in den Wald und rufen zu Wonekau, er möge das Kind zurück-
führen. 134 Die Kikuyu rufen zu Ngai in Zeiten der Dürre oder bei großem Un-
glück, bei den kleinen Übeln des Alltags hingegen wenden sie sich an die Ahnen-
geister. 13S Die Siouxindianer beten nach dem Zeugnis Dorseys zu Wakanda,
dem höchsten Wesen, nicht wegen Kleinigkeiten wie wegen des Fischfangs, sondern
nur bei wichtigen Angelegenheiten wie bei einem Feldzug oder beim Antritt
einer Reise. 138 Die Dschagganeger flehen zu Ruwa erst dann, wenn alles Opfern
und Beten zu den Geistern nichts genützt hat; 137 ebenso rufen die Yoruba zu
Olorun, dem höchsten Gott, erst dann, wenn die anderen Gottheiten ihre Hilfe
versagt haben. 138
So sind es also nur die großen Nöte und wichtigen An -
liegen im Leben, in denen die niederen Völker zum Schöpfer selbst
ihre Zuflucht nehmen ; er ist die höchste und letztelnstanz ,
an die sie dann appellieren, wenn die Bitte an die niederen Stellen
erfolglos blieb.
Die Urväter sind sittliche Gottheiten, Hüter des Gesetzes, Schirmer
der Wahrheit und des Rechts. An sie wendet man sich, wenn es gilt,
die Heilighaltung der Eide oder Bündnisse zu sichern, oder wenn
es gilt, seine Unschuld zu beteuern.
Die birmanischen Katchin rufen Karai Kasang als Zeugen ihrer U/nschuld an.
wenn man gegen sie eine Anklage erhebt 13'. Die Xosakaffern rufen zu Tixo
beim feierlichen Schwüre. 140 Auf Tenimbar und Luang Sermata wird das höchste
Wesen beim Friedensschlüsse angerufen; vor ihm wird von den sich befehdenden
Parteien die feierliche Erklärung abgegeben: „0 Duadilah, es soll zusammen
gespeist werden von jenen, die früher uneinig waren." 141
Wie der Primitive in schwerer Not zum höchsten Wesen fleht, so
dankt er ihm im Glücke. Innige Dankesworte sendet er zu ihm
empor, wenn er ihm zum Zeichen der Anerkennung die Erstlingsopfer
darbringt. Wo das Primitialopfer an den höchsten Gott als dauernder
Brauch sich einbürgerte, dort wurde auch der Gebetsverkehr mit ihm
ein regelmäßiger, nicht auf außerordentliche Anlässe beschränkter.
So mag es gekommen sein, daß bei nicht wenigen Kuturvölkern der
Urvater Gegenstand eines wirklichen Stammeskults geworden
ist, wie der Tangaroa der Polynesier. Auch jene antiken Göttergestalten,
124 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
hinter denen primitive Urväter und Himmelsgötter sich verbergen, wie
der chinesische Hoang-tien Schang-ti oder der vedische Varuna, der
griechische Zeus oder der römische Jupiter, sind ausgesprochen nationale
Kultgottheiten, denen ein Opferritual gewidmet ist 142.
Bei den einen Stämmen trat im Laufe der Entwicklung der Urvater
immer stärker hervor; wie den anderen übersinnlichen Wesen und
Mächten dienten sie schließlich auch ihm mit einem reichen, geregelten
Opferritual. Aber auch der gegenteilige Entwicklungsgang läßt sich
nicht selten aufweisen. Weil diese hohen Wesen kein geordnetes Opfer-
ritual besaßen wie die Naturgeister und Ahnen, darum traten sie hinter
diese ständig verehrten Mächte zurück und verschwanden schließlich
völlig aus dem religiösen Bewußtsein. Weil man nicht regelmäßig zu
ihnen betete, rief man sie schließlich überhaupt nicht mehr an. Gewiß
müssen wir all jene ethnographischen Notizen sehr vorsichtig beurteilen,
welche besagen , daß zu dem obersten Gott eines Stammes überhaupt
nicht gebetet werde; in vielen Fällen fehlt nur das regelmäßige, formel-
haft gebundene Gebet, man betet zu ihm spontan und frei. Aber wir
besitzen einwandfreie Zeugnisse dafür, daß bei manchen Stämmen tat-
sächlich so gut wie niemals ein Gebet zum höchsten Gott gerichtet
wird. 143 Auch werden interessante Äußerungen von Wilden uns mit-
geteilt, die uns die Gründe für die Seltenheit oder das gänzliche Fehlen
von Gebeten an den Urvater aufschließen. Es sind hauptsächlich zwei
Gründe, welche die Vernachlässigung der ,high gods' erklären, der
Glaube an ihre Erhabenheit und Ferne wie der Glaube an ihre Güte.
In der Vorstellung vieler primitiver Völker trägt der Urvater einen
durchaus deistischen Charakter; er schuf die Welt und den Men-
schen, und als er sein Schöpferwerk vollbracht hatte, zog er sich von
der Welt zurück und lebt jetzt in weltferner Erhabenheit als ein deus
otiosus („müßiger Gott"), gleichgültig gegen den Lauf der Welt und
das Geschick des Menschen. 144
,,Er machte uns," lautet die Ansicht der westafrikanischen Bantu, „aber nach-
dem er uns gemacht hatte, verließ er uns; er kümmert sich nicht um uns; er ist
weit von uns. Warum sollten wir uns um ihn kümmern? Er hilft und schadet
uns nicht." 146 Die Waganda und Wanyore erweisen Katonda, dem höchsten
Wesen, das die Welt und Menschen erschaffen hat, keine Verehrung, da es, wie
sie glauben, viel zu hoch steht, um sich um die Menschen zu kümmern. 14* Aber
auch bei anderen Stämmen als den Bantu finden wir diesen „great indifferent
and neglected god" (Miss Kingsley). 147 Den australischen Euahlayi erscheinen
täglich gesprochene Gebete an den Urvater Baiame als Torheit, ja geradezu als
eine Beleidigung gegen ihn. Er weiß alles, wozu ihn durch Wiederholung ermüden,
wozu die Ruhe stören, die er nach seinen Erdenmühen genießt? 148
Während das höchste Wesen in weiter Ferne weilt, sind die zahl-
reichen Naturmächte, Patrone, Ahnengeisterund Dämonen den Menschen
stets nahe; während jenes nur selten in den Weltlauf eingreift, sind
diese stets tätig und wirksam. Jenes ist ein hehres Geisterwesen, diese
sind wirkliche Mächte; allstündlich erfahren die Menschen ihre Ab-
hängigkeit von ihnen; zu ihnen beten sie in ihren Nöten, von ihnen
erflehen sie Gunst und Gnade. Die Ahnen sind ihnen von ihren Leb-
zeiten her vertraut, ihr Bild hat sich unauslöschlich ihrer Erinnerung
eingeprägt ; den Urvater und Schöpfer hingegen hat niemand geschaut,
VII. Die im Gebet angerufenen höheren Wesen (Urväter) 125
nur die Vätersage hat ihnen Kunde von ihm gebracht. Was Wunder,
daß sie im Gebet sich allererst an jene höheren Wesen wenden, die
ihnen von Angesicht bekannt sind ?
Der zweite Grund für die Vernachlässigung des höchsten Wesens ist
die Überzeugung von seiner Güte und Milde einerseits und anderer-
seits die Furcht vor den zahlreichen bösen Geistern. All die Übel, die
den Primitiven täglich treffen, vor allem Krankheit und unnatürlicher
Tod, sind ein Werk übersinnlicher Wesen, die es stets darauf abgesehen
haben, dem Menschen Schaden zuzufügen. Er wehrt sich gegen diese
bösen Dämonen mit Beschwörungspraktiken aller Art, er verscheucht
sie mit Feuer, mit Lärm und mit Drohworten — aber er sucht auch sie
zu begütigen durch demütig flehende Worte und sie günstig zu stimmen
durch Opfergaben aller Art. Doch diese Unholde sind unersättlich;
immer wieder senden sie Krankheit und sonstige Übel und immer wieder
muß er ihren Opferhunger stillen. An sie wendet er sich zunächst im
Unglück; denn sie sind dessen Urheber. Zu ihnen betet er in seiner
Not, nicht zu dem hehren, milden Geist, der im Himmel thront.
Auf die Frage: „Warum opfert ihr denn nicht dein Ndjambi?" antworten die
Herero: „Warum sollen wir ihm denn Opfer bringen, er tut uns doch nichts Böses
wie unsere Ovakuru (Geister)?" 14*. Die Tembe, ein Sakei-Stamm, richten an
Samor, das höchste Wesen, keine Gebete, da er stets freundlich gesinnt ist, den
Gott der Unterwelt aber verehren sie und rufen ihn an, weil er schaden kann 1S0.
Ahone, der Schöpfer und Regierer der Welt, der alle Menschen mit Gütern ver-
sieht und ihnen nichts Böses tut, erhält von den Virginia- Indianern keine Opfer;
Okeus hingegen, der Krankheit und Unwetter schickt, hat Tempel, Opfer und
Priester m. P. Brigaud schreibt von den Karenen in Pinna: „Der Karene betet
Gott nicht an, bringt ihm weder Opfer noch Verehrung dar und bittet ihn um
nichts. Er läßt sich eben nur von der Furcht beeinflussen, und da er von Gott
die Überzeugung hat, dieser sei gut und gerecht, man habe von dessen väterlicher
Milde nichts zu befürchten, so läßt er ihn auch gänzlich beiseite liegen." 158 Die
Sikkhim im Himälaya bringen nur den bösen Geistern Ehrenbezeugungen und
opfern ausschließlich ihnen. „Wozu auch," sagen sie, „sollten wir uns an die
guten Geister wenden, die uns doch nie etwas zu leide tun? Die Teufel dagegen
hausen überall auf den Felsen und Bergen und sinnen beständig auf unser Ver-
derben; sie muß man also durch Opfer und Gebete versöhnen." 163 Thomas
Campanius Holm erzählt von den Algonkin Nya Sveriges : „Sie sagen : .Der oberste
Gott im Himmel, er ist nicht böse, er tut uns weder Übles noch Gutes, darum
können wir ihn auch nicht anbeten'. Aber von den Bösen sagen sie: ,Der Teufel,
unser Oberster, ist böse; wenn wir nicht tun, was er befiehlt, so verwundet,
zerreißt und tötet er uns'. Deswegen verehren sie Gott nicht und rufen ihn nicht
an ; aber vor dem Bösen haben sie Furcht und opfern ihm, damit er ihnen keinen
Schaden zufüge." 15*
Das Zurücktreten des Urvaters hinter die Natur- und Ahnengeister
im Opferkult hat zur Folge, daß seine Gestalt bei vielen Stämmen aus
dem religiösen Leben völlig verschwindet und fast nur noch in der
heiligen Sage und in stereotypen frommen Redensarten des Alltags
fortlebt.
„Kai i. das Im liste Wesen der Semang auf Malakka", schreibt Skeat, ..kann am
besten als eine mythologische Person betrachtet werden; eine wirkliche Ver-
ehrung fehlt ihm." 158 Missionar Nassau, der jahrzehntelang bei den westafri-
kanischen Bunin wirkte, sagt: „Ihr Gottesglaube ist meist nur eine Theorie; es
isl ein übernommener Glaube, aber beeinflußt nicht ihr L Den." ii! „Olorun,
der höchste Gott der Yoruba, lebt," wie Frobenius sagt, „mehr im Sprichwort
126 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
wie in der Anschauung oder im Kulte." 158 Von den Schilluk bezeugt P. Hof-
mayr, daß sie den Namen des höchsten Wesens Cuok sehr selten außer in den
gewöhnlichen Grußformeln nennen. 159 Über den Himmelsgott der Dschagga-
neger schreibt Raum: ,,Ruwa droht oft zu einer bloßen Idee oder Ahnung sich zu
verflüchtigen, die keine praktische Bedeutung besitzt. Bei den Aussagen über
Ruwa handelt es sich mehr um Gottessagen." 160
Wenn wir die Vorstellungen der verschiedenen Stämme von dem
höchsten Wesen überschauen, so treten deutlich drei Gruppen hervor:
1. high gods, die (außer den Primitialopfern) keine Opfer empfangen,
zu denen man in der Not spontan, frei und formlos betet; 2. hig h go
an die Opfer und Gebete gerichtet werden wie an alle anderen Mächte,
die Objekt eines eigentlichen Kults sind; 3. high gods, denen man keine
Opfer bringt und zu denen man nie oder fast nie betet. Die Wesen der
zweiten Gruppe sind Kultgottheiten genau so wie die anderen Götter
und Geister, die der primitive oder antike Mensch verehrt. Die Wesen
der dritten Gruppe sind ,dii otiosi' deistischer Wesensart, denen nur
eine theoretische Bedeutung im religiösen Vorstellungskreis, jedoch keine
praktische Bedeutung im religiösen Leben zukommt. In keiner dieser
beiden letzten Gruppen dürften wir das ursprüngliche Bild des höchsten
Wesens erfassen. Die Verehrung des Urvaters mit Opfern dürfte auf
einem fortschreitenden Entwicklungsprozeß beruhen : der Kult und das
Opferritual der Naturgötter und Ahnen wurde auf den höchsten Gott
übertragen. Der deistische Charakter des Urhebers hingegen erscheint
als das Resultat einer Rückbildung, eines Verkümmerungsprozesses : das
höchste Wesen wurde von den dem Menschen näherstehenden Geistern
verdrängt; um sein Bild, ehedem lebendig im Glauben des Primitiven,
hüllt sich das Dunkel der Sage; der die Welt beherrschende Schicksals-
gott wurde zum bloßen Demiurgen, ,Urheber', dessen Macht und Werk
der Vorzeit angehörte. So schwand das ehedem lebendige Gefühl seiner
Nähe, das ehedem tiefe Bewußtsein der vollen Abhängigkeit von seiner
Macht; man hörte auf, zu ihm zu beten. Es fehlt nicht an Zeugnissen
dafür, daß der Gebetsverkehr mit dem Schöpfergott in vergangenen
Zeiten reicher und lebendiger war wie in der Gegenwart. 161 Trübe
Erinnerungen daran haben sich bisweilen in der Sage erhalten. Die
Andamanesen erzählen sich von Puluga, daß er früher mit den Menschen
verkehrte 162 — eine schwache Erinnerung daran, daß ehedem die
Menschen durch das Gebet in trautem Umgang und lebendiger Gemein-
schaft mit ihrem Schöpfer standen. Bei verschiedenen Bantu-
stämmen findet sich der Glaube, Gott habe seine Schöpfung der Herr-
schaft der Geister überlassen 163 — ein primitiver theologischer Versuch,
das Zurücktreten des Urvaters im Glauben und in der Verehrung zu
erklären.
4. Interzession.
Das Gefühl der Erhabenheit und Majestät des höchsten Gottes kann
so stark sein, daß der Mensch nicht wagt, mit ihm in unmittelbaren
Verkehr zu treten. Wie er manchmal sich nicht direkt mit einer Bitte
an den Herrscher und Häuptling wendet, sondern dessen Freunde und
Diener bittet, sein Anliegen vor dessen Thron zu bringen, so richtet
VII. Die im Gebet angerufenen höheren Wesen (Interzession) 127
er auch an den Gott des Himmels sein Gebet nicht persönlich und un-
mittelbar, sondern ruft die niederen Gottheiten um Fürsprache an. In
vielen Fällen steht diese Bitte um Fürsprache der persönlichen Bitte
an das höchste Wesen nur zur Seite. Man trägt diesem seine Bitte vor,
zugleich aber wendet man sich an die unteren Götter, auf daß diese
bei ihm ihr Wort für den Bittenden einlegen. Dasselbe pflegt man ja
auch auf Erden zu tun; man bittet einen Freund des Herrschers, das
Bittgesuch, das man an diesen gerichtet hat, zu befürworten.
Eine Euahlayi-Frau sandte bei Dürre ihren Schutzgeist zum Urvater Baiame.
auf daß er ihm sage, das Land bedürfe des Regens. 164 Die Konde am Nyassa-
See riefen bei einer Viehpest zu den Ahnen: ..Erhöret das Wort, das ich rede!
Fallet nieder vor Gott und sagt : Weshalb soll das Vieh Muakorobos sterben ?
Die Seuche möge weichen!" 1S5 Die Eweer bringen Gebete und Opfer an Mawu
durch seinen Sohn Sogble, den Blitzgott: ,,0 roter Sogble. komm und empfange
diese Gabe für deinen Vater, den großen Gott !" ,,0 Sogble, höre auf meine Stimme
und gehe zum großen Gott, daß er mir helfe, mich segne und alles wohl gelingen
lasse!" 188 Nach der Anschauung der Bewohner von Mkulwe haben die wazimu
(Seelen der Verstorbenen) großen Einfluß bei Xguluwi, dem Schöpfer und Him-
melsgott. Alltäglich bitten sie ihre Ahnen um Fürbitte: „Du, Vater, schütze
mich, und du, Mutter, schütze mich, du Großvater N. ,ihr Großväter alle, schützt
mich, fallt für mich bittend nieder bei Gott, daß ich wohl sei!" Als die einfluß-
reichsten Fürsprecher bei Gott gelten die verstorbenen Häuptlinge, maleza ge-
nannt. Um Regen zu erlangen, opfert der Häuptling an ihrem Grabe und erfleht
ihre Fürsprache: „Du Vater Luiwa schütze mich; ihr Väter alle des Landes,
schützt mich, erbittet mir Regen bei Xguluwi!" 187 Der Opferpriester der Jap
(deutsche Südsee) ruft, immer aufsteigend, die ganze Kette seiner Amtsvorgänger
an, daß sie sein Gebet weitergeben an den jeweiligen Vorgänger. Ist das Namen-
register erschöpft, so wendet er sich in genereller Weise an alle übrigen Vorgänger,
daß sie den kan (Geist) des taliu bitten sollen, und dieser Margigi seine Mutter
und dieser die Bewohner von Sipin und diese schließlich das höchste Wesen, den
Himmelshäuptling Yelafaz. Seine Gebetsanrufung durchläuft so die ganze
,hierarchia coelestis': ,,0 Tamang, du mögest Giliken bitten, er möge Ken bitten,
er möge Tämaniad bitten, er möge Tämanin bitten, er möge die Seligen bitten
sie mögen Uezrei bitten, er solle Margigi bitten, sie solle die von Sipin bitten, sie
sollen Yelafaz bitten." 16s Doch nicht allein an den Schöpfer und Himmelsgott,
sondern auch an andere höhere Gottheiten wendet man sich durch Fürbitter und
Mittelspersonen. Die Ainu rufen zum Feuer: ,,0 Gott des Feuers, bitte die Götter,
uns Erfolg zu geben!" 18' Die Cora-Indianer rufen die jüngst Verstorbenen als
Fürsprecher bei den Gottheiten und den , Alten', d. h. den früher Verstorbenen
an. ,,So tut es denn und bittet für mich um Leben, damit ich darin Leben habe
und (noch) einen Tag hier zubringe." l7° Die alten sumerischen Priesterfürsten
rufen ebenso wie die späteren assyrischen Könige niedere Gottheiten um ihre
Vermittlung bei den höchsten Göttern an. ,,0 Annunaki zu meiner Seite, möchtet
ihr ein Gebet (vor Ningirsu) aussprechen!" (Gudea Cyl. B II 6). „Möge sein
Gott Ninsach für sein Leben in künftigen Tagen si< h vor Ningirsu niederwerfen."
(Urukagina). ,,Enlil, der König der Länder, möge Anu, seinem geliebten Vater,
meine Bitte sagen, meinem Leben Leben zuzufügen" (Lugal-zagiz) 171. „Nieder-
werfung der Gegner und Zerstörung des Landes meiner Feinde sprich aus vor
Schamasch, demKönig des Himmels und der Erde, alljährlich." „Vor Mardurk,
dem König des Himmels und der Erde, dem Vater, deinem Erzeuger, mache
angenehm meine Taten, bitte um Gnade für mich" (Nebukadnezar) l72.
Die Anrufung niederer Geister als Mittler und Fürsprecher bei höheren
Gottheiten oder beim höchsten Gott ist zweifellos eine sekundäre Er-
scheinung. Als das kindliche Zutrauen zu Gott schwand und man be-
gann, Gott als schwer zugänglichen, souveränen Herrscher vorzustellen,
da suchte man, irdisch-sozialen Analogien gemäß, durch die Vermittlun
128 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
solcher Wesen, die einerseits Gott nahe standen und andererseits den
Menschen vertraut waren, vor allem der Ahnen, Gottes Gunst und Gnade
zu erlangen. Aber es ist bedeutsam, daß der Gedanke der ,intercessio
sanctorumi schon bei den schriftlosen Stämmen Australiens, Afrikas
und Austronesiens wie bei den ältesten Kulturvölkern sich findet. Er
wurzelt in der im ganzen religiösen Leben sich offenbarenden Tendenz,
auf das Verhältnis zu Gott die Verhältnisse des sozialen Lebens zu
übertragen. Die Anrufung der Fürbitte der Heiligen und Engel, die
in den großen monotheistisch-prophetischen Religionen, im nach-
exilischen Judentum, im Christentum und im Islam eine hervorragende
Rolle spielt, erweist sich somit als uralte, in menschlichen Anlagen und
Bedürfnissen tief begründete Form des religiösen Verkehrs mit Gott.
5. Intervention.
Seltsamerweise treffen wir in der Religion von Naturvölkern auch die umge-
kehrte Erscheinung. Man wendet sich an die höheren Götter und erfleht von
ihnen eine Einwirkung auf die niederen. So betet der Cora- Indianer zum Morgen-
stern: „Möchtest du es mitteilen deinen jüngeren Brüdern, den Tschakate- Göttern
(Flußgöttern)!" Oder er bittet die Sonne um ihre Intervention bei den Fluß-
göttern: ,,Du verstehst sie und weißt über sie Bescheid. Du mögest ihnen sagen,
sie möchten nichts Übles gegen mich sinnen. Diese Gabe mögest du ihnen ein-
händigen!" Und zu der Unterweltsgöttin Tetewan, der Mutter der Flußgötter,
ruft er: „Sage also deinen Söhnen, den Tschakate: sie möchten mir keinen Schaden
zufügen, sie, die das Wasser in Obhut haben." 173 In babylonischen Hymnen
bittet häufig ein gequälter Mensch eine mächtige Gottheit, ihm seinen Schutz-
gott oder seine Schutzgöttin, die ihm zürnt, zu versöhnen. 174
6. Gebet an mehrere Gottheiten.
Ursprünglich richtete wohl der Mensch sein Gebet nur an einen Gott oder
doch nur an e i n e Götterklasse wie die Ahnen. Wo aber ein Stamm zur Bildung
eines, wenn auch noch so primitiven Pantheons fortgeschritten ist, ruft man
— zumal bei feierlichen liturgischen Akten — nicht selten in einem und demselben
Gebet mehrere Götter an, die ganz verschiedenen Kategorien angehören. Bei
verschiedenen afrikanischen Stämmen ruft man im gleichen Gebet den höchsten
Gott wie die Ahnen an. Ein Gebet der Wapokomo hebt an mit den Worten :
,,0 Gott, wir bitten dich! 0 Totengeister, wir bitten euch! O Ahnen, wir bitten
euch!" 175 Ein Ewe-Gebet beginnt mit der Anrede: „Sodza, Gott unserer Heimat.
Mutter der großen Gemeinde, ihr trowo (Naturgeister) unserer Heimat!" 178 Ein
Batak-Gebet fängtan mit der Anrufung: ,,0 Großvater Boraspati ni tano (Erdgott)
und ihr sambaon (Lokalgeister)!"177 Die Cora-Indianer rufen in einem Gebet
die Sonne, die Erdgöttin, den Morgenstern und die Ahnen an. 17S Ein Gebet
in den „Sieben gegen Theben" beginnt mit der feierlichen Apostrophe:
„0 Zeus, o Erde und ihr städt'schen Götter all!"
Oft wird eine lange Reihe von göttlichen Wesen bei Beginn des Gebets angerufen.
,,Es ist eine Eigentümlichkeit vieler Opfergebete der Tobabatak, daß darin nicht
nur die Gottheit oder der eine Ahne oder begu angerufen wird, mit dem man es
gerade zu tun hat, sondern daß man die ganze Schar der Götter und Geister mit
ihm zusammenruft: die fünf Obergötter, Boraspati ni tano (Erdgott), die Wasser-
gottheiten, verschiedene samban (Lokalgeister), alle möglichen begu (Toten-
geister) und Heroen, eine Menge Namen. Es liegt wohl die Besorgnis zugrunde,
es könne sich irgend ein Begu übergangen fühlen und unangenehm berührt wer-
den." 180 Die Griechen riefen in der Not bisweilen zu zahlreichen Gottheiten.
Das Chorgebet der Thebanerinnen in den „Sieben gegen Theben" des Äschylus
(116 ff.) spiegelt trefflich das spontane individuelle wie das feierliche liturgische
Gebet der Griechen an viele Einzelgötter wieder. Das Devotionsgebet, das
der römische Konsul Decius Mus in der Not des Landes sprach, beginnt mit der
Anrufung: „Jane, Juppiter, Mars pater, Quirine,Be!lona, di Novensiles, di Indi-
getes, divi, quorum est potestas nostrorum hostiumque, dique Manes!" 181 Wird
VII. Die im Gebet angerufenen höheren Wesen 129
nach jeder Namensnennung dieselbe kurze Bitte in einförmiger Weise wiederholt,
so nennen wir ein solches Gebet an viele höhere Wesen , Litanei'. Schon schriftlose
Völker wie die Cora-Indianer rezitierten solche Litaneien bei ihren religiösen
Festen. Allein während die anderen an mehrere Gottheiten gerichteten Gebete
noch spontan und frei sein können, sind die Litaneien stets feststehende, streng
gebundene Gebets formein; sie gehören darum nicht in den Zusammenhang
des naiven Gebets der Primitiven.
7. Das Prioritätsproblem.
Eine große und bunte Schar übersinnlicher Mächte ist es, zu denen
der primitive Mensch um Hilfe und Glück betet. Aber zu all den mannig-
fachen Natur- und Elementargeistern, Tätigkeits- und Sondergöttern
fleht er nur in jenen Anliegen, die das eng umgrenzte Machtgebiet dieser
Wesen betreffen. Umfassender ist der Wirkungskreis der Lokalgötter
und Ahnen; vor sie bringt man die verschiedensten Nöte und Wünsche,
die Anliegen der Familie, des Dorfes, der Stadt, des Gaues; aber auch
ihr Wirken ist nicht unbegrenzt; zu den Ahnen beten immer nur die
Kinder und Kindeskinder, zu den Lokalgottheiten nur der, welcher in
ihrem Bereiche weilt. Nur das Wirken des höchsten Gottes, des Schöpfers,
ist schrankenlos, seine Machtsphäre kennt keine Grenzen. Zu ihm kann
man in allen Anliegen seine Zuflucht nehmen, zu ihm kann man aller-
orts und allezeit beten. Wie seine Macht und sein Wirken, so sind auch
die Gebetsanliegen, mit denen man zu ihm kommt, universell, so reich
und verschieden wie die Nöte und Bedürfnisse des Menschen. Aber es
sind fast stets die wichtigsten Anliegen, die den Gegenstand des Gebets
an ihn bilden — die kleinen und kleinsten Wünsche und Launen des
Tages trägt man den niederen Göttern vor — ; aber sie erstrecken sich
über das ganze Leben des Menschen, umfassen die ganze Natur. Der
Gegensatz zu jenen übersinnlichen Mächten, die nur einem Teil der
Natur oder des Menschenlebens vorstehen, ist so deutlich wie möglich.
War er es, der Schöpfer Himmels und der Erde, der Herr über die
Natur und die Geschicke des Menschen, zu dem der schwache Mensch,
gedrängt von Not und Gefahr, zuerst seine bittende Stimme erhob ?
oder rief er zuerst zu den Geistern der Natur oder zu seinen Ahnen ?
An der Beantwortung dieser Frage hängt die Lösung des Problems
nach dem Ursprung und der Urform des Gebets. Dieses Problem aber
ist nur ein Teilproblem des großen Problems vom Ursprung des Gottes-
glaubens. Eine nähere Erörterung dieses Problems kann an dieser
Stelle nicht erfolgen. Die Antwort, welche auf diese Frage gegeben
wird, enthält stets eine geschichtsphilosophische Kon-
struktion, keine strenge geschichtliche oder psy-
chologische Erkenntnis. Immerhin kann die Religions-
wissenschaft nicht darauf verzichten, eine solche hypothetische Kon-
struktion vorzunehmen. Darum sei die Anschauung des Verfassern
über die Entstehung des Gebets an die verschiedenen höheren Wesen
kurz skizziert. Eine nähere Ausführung dieser Gedanken wird seine
Untersuchung über „Gebet und Zauberspruch" bringen.
Verschiedene Momente weisen darauf hin, daß ursprünglich das Gebet
ausschließlich an den höchsten Gott Himmels und der Erde gerichtet
Das Gebot 9
130 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
wurde. Der Glaube an ein höchstes Wesen hat eine doppelte Wurzel
im Seelenleben des Urmenschen. Er ist einmal geboren aus der großen
Frage, die schon den Primitiven beschäftigte: Woher stammt die Welt,
woher der Mensch ? Aber noch tiefer und wichtiger als diese theoretische
Wurzel des Gottesglaubens ist die andere, praktische. Der primitive
Mensch ist durchdrungen von dem Gefühl der absoluten Ohnmacht und
Abhängigkeit; man kann dieses Gefühl, das Furcht und Hoffnung,
Angst und Zuversicht umschließt, sein Lebensgrundgefühl nennen. Aus
diesem universellen Abhängigkeitsgefühl geht der Glaube an einen Vater
aller Menschen hervor — das höchste Wesen, das die Naturvölker
verehren, gilt allenthalben als Vater. An diesen Urvater wandte sich
der Mensch in jeder Not, ihm dankte er in allem Glück. Als Zeichen
der Anerkennung und Dankbarkeit brachte er ihm die Erstlinge von
Speise und Trank, von der Jagdbeute und den Feldf rächten dar.
Zum Gebet und Erstlingsopfer an den Urvater trat sehr frühe die
Anrufung und Gabendarbringung an die Ahnen. Das Gebet an die
verstorbenen Eltern und Großeltern ging wahrscheinlich aus der Toten-
klage hervor, das Opfer an sie aus der Totenspeisung. Bei den meisten
Völkern erfolgt die Totenklage in der Du-Anrede. Der Klage über den
Weggang und dem Wunsche „komm wieder" fügte man schließlich die
Bitte um Hilfe zu. So entstand ein Gebetsverkehr zwischen den Nach-
kommen und Ahnen, analog dem Gebetsverkehr zwischen Mensch und
Schöpfer. Am Grabe des Verstorbenen setzte man Speise und Trank
nieder, deren der Tote ebenso wie der Lebende bedurfte. Zu der regel-
mäßigen Speisung trat die Darbringung außerordentlicher Gaben hinzu,
mit denen man die Bitten an die mächtigen Toten unterstützte. So
entstand das Speiseopfer, das einen völlig anderen Sinn hat als das
dem Schöpfer gewidmete Primitialopfer.
Während das Gebet an den Schöpfer und an die Ahnen selbständig
entstand, erscheint das Gebet an die Naturgeister und Naturgötter als
etwas Sekundäres. Die Naturobjekte, die mit Gebet und Opfer ver-
ehrt werden, sind zum größten Teil Mana- oder TWm-Objekte, an denen
dem Primitiven das Erlebnis des ,Heiligen', des ,Numinösen' aufleuchtete.
Sie scheinen erst unter dem Einflüsse des Ahnenkults und der Ver-
ehrung des höchsten Wesens aus unpersönlichen mit übernatürlicher Macht
begabten Objekten zu persönlichen Geistwesen, d. h. zu Göttern ge-
worden zu sein. Nachdem sich die Anthropomorphisierung der Mana-
Objekte vollzogen hatte, richtete man an sie Gebete und Opfer wie
ehedem an die Ahnen und an den Schöpfer.
Noch jünger als der Kultus der Natur mächte ist die Verehrung der
Lokalgottheiten und Patrongötter. Die Lokalgötter sind wohl aus einer
Verschmelzung der Ahnen und Heroen mit bestimmten Naturgeistern
und dem höchsten Wesen entstanden. Die Vorstellung der Patron-,
Funktions- und Sondergötter ist eine sehr junge Neubildung; sie setzt
bereits eine sehr starke Abstraktionsfähigkeit voraus.
So drängt sich uns, wenn wir die Urgeschichte des Gebets zu rekon-
struieren versuchen, eine geschichtsphilosophische Perspektive auf, die
den herkömmlichen Theorien von der Genesis der Gottesidee entgegen-
VIII. Die dem Gebet zugrundeliegende Gottesvorstellung 131
gesetzt ist. Nicht zu einer Vielheit von Geistwesen wendet sich der
betende Urmensch, sondern zu dem einen Gotte, dem Urvater, dem
Herrscher über Himmel und Erde. Darum kann der Polydämonismus
nicht die Wurzel der Religion sein. Die Wurzel der Religion ist vielmehr
— soweit wir nach dem heute vor uns ausgebreiteten religionsgeschicht-
lichen Material schließen können — eine doppelte: einmal der Glaube
an ein höchstes Wesen, den Schöpfer und Schicksalslenker, den Gesetz-
geber und Richter, zu dem man im Gebet ruft und den man mit Dank-
opfern ehrt, also ein primitiver ,Monotheismus', und andererseits der
Glaube an die geheimnisvolle übernatürliche ,Macht', die man, sofern
sie wertvoll ist, zu gewinnen sucht oder gegen die man, wenn sie ge-
fährlich ist, sich zu schützen trachtet, der Glaube an das ,Heilige'
(Mana, Tabu), das in Menschen und Dingen sich verkörpert, also ein
keimhafter ,Pantheismus'. Zum Urvater- und Machtglauben trat frühe
der Geisterglaube und Totenkult, der aus dem Funeralwesen hervor-
wuchs. Dem Urvaterglauben entstammt das Gebet und Erstlings opf er,
aus dem ,Macht'glauben ging das komplizierte Riten- und Zauberwesen
hervor. Aus dem Totenkult wuchs einerseits das Beschwörungswesen,
andererseits das sich immer steigernde Opferwesen heraus. Das Gebet
ist also die große Schöpfung eines primitiven ,Monotheismus' ; nur dort,
wo der Eingottglaube in voller Kraft lebendig wurde, in der Frömmigkeit
der religiösen Genien, war darum die Vollendung des Gebets möglich.
VIII. Die dem Gebet zugrundeliegende Gottes-
vorstellung.
1. Die höheren Wesen, an die der primitive Mensch glaubt und die
er verehrt, sind übersinnlich. Zwar sind sie stets — bald enger, bald
loser — an ein sinnlich wahrnehmbares Naturobjekt gebunden, das ihr
Wohnsitz oder Wirkungsbereich ist; übersinnlich aber sind sie
immer, einerseits insofern sie niemals mit einem Naturobjekt völlig
zusammenfallen, mit ihm identisch sind; andererseits insofern sie trotz
ihrer anthropomorphen Wesensart nie mit der sinnlichen Physionomie
des lebenden Menschen wahrnehmbar sind. Ein Gott trägt nie — es
sei denn ein menschgewordener Gott — eine menschliche Gestalt und
ein menschliches Antlitz. Diese Übersinnlichkeit ist jedoch nicht das
Wesensmerkmal eines Gottes. In Stämmen, bei welchen der auf der
ganzen Welt zu findende ,Animatismus' und ,Animismus' zum ,Pan-
psychismus' erweitert worden ist, hat jeder Stein, jede Pflanze, jeder
Baum, jeder Fluß, jeder See, jedes Tier, ja jedes Gerät seinen , Geist',
seine , Seele', seine unsichtbare, übersinnliche Substanz von fein-
materieller Beschaffenheit; die ganze Natur wird von Geistern durch-
waltet. Weil der naive Mensch all diese leblosen und lebenden Objekte
personifiziert, redet er mit ihnen wie mit seinesgleichen ; dasselbe kann
man noch heute beim Kinde beobachten. Aber dieses Reden ist kein
Beten, diese Geistwesen sind keine Götter, zu denen der Mensch in ein
kultisches Verhältnis tritt. Nur einigen von diesen Geistern bringt er
Opfer dar und betet zu ihnen, zu jenen, von deren Macht er sich ab-
hängig weiß, denen gegenüber er sich ohnmächtig fühlt. Gott und
132 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
Dämon sind dem primitiven Menschen nicht bloß übersinnliche Geist-
wesen, die existieren, aber den Menschen nicht weiter kümmern, sondern
Wesen, die Macht besitzen und diese Macht den Menschen fühlen lassen.
2. Nicht in der Übersinnlichkeit liegt das Wesensmerkmal der Gott-
heit, sondern in ihrer übernatürlichen und übermenschlichen Macht,
Kraftfülle, ,Heiligkeit' 1. Es ist ihr geheimnisvolles, wunderbares, zauber-
haft wirksames ,Mana' 2, vermöge dessen sie den Naturlauf wie des
Menschen Schicksal lenken und gestalten 3. Mana ist eine Quelle des
Segens, eine Lebenskraft; aber Mana kann auch schädlich und ver-
derblich wirken, kann Fluch bringen, diese seine negative Seite tritt
in dem polinesischen Wort ,Tabu\ , Gefährlichkeit' hervor. Ob dieser
doppelseitigen Macht können die Götter schenken und verweigern,
geben undnehmen ,nützenundschaden , segnen undf luchen (vgl .o.S.119f.).
Diese in entgegengesetzter Richtung wirksame Macht eines Gottes kann
auf ein kleines Teilgebiet der Natur oder der menschlichen Lebens-
interessen beschränkt sein, wie bei den Natur- und Sondergöttern,
oder sie kann die ganze Natur und das ganze Menschenleben umspan-
nen wie bei den Ahnen und höchsten Wesen; immer aber ist es die
wunderbar-zauberhafte Macht des übersinnlichen Wesens, die dem
Betenden vor der Seele steht und ihn mit Angst und Bewunderung,
Furcht und Hoffnung, Schauer und Zuversicht erfüllt.
3. Die Macht ist nur eine Komponente der das Gebet tragenden
Gottesvorstellung. Die Macht allein bildet nicht das Wesen eines Gottes,
zu dem man im Gebet ruft. Der Primitive kennt eine Unzahl mit Macht
erfüllter, mit Zauberkraft geladener Objekte und Lebewesen: heilige
Steine, heilige Pflanzen, heilige Bäume, heilige Tiere, heilige Kultgeräte,
heilige Waffen, heilige Orte. Diesen heiligen Objekten steht er mit
denselben Gefühlen und Vorstellungen gegenüber, die ihn im Verkehr
mit den Göttern beseelen : naht er sich ihnen, so überkommen ihn Zittern
und Staunen, Scheu und Bewunderung, Angst und Zuversicht. Diese
Objekte sind ihm etwas Übernatürliches, Geheimnisvolles, Rätselhaftes,
,Numinöses'. Sie sind ihm eine Quelle der Kraft, des Lebens und Glückes,
aber auch etwas Gefährliches, ein ,noli me tangere', Verderben bringend
über den, der unbefugt damit in Berührung kommt; sie sind beides:
Mana und Tabu zugleich. ,Heilige' Gegenstände besitzen eine uner-
meßliche Bedeutung im religiösen Leben des Primitiven ; er verehrt sie
in andachtsvoller Scheu und doch betet er nicht zu ihnen : weder
bittet er sie, noch dankt er ihnen. Sie sind unpersönlich; darum
kann er zu ihnen nicht in ein persönliches Gebetsverhältnis
treten. Um Objekt des Gebets zu sein, muß die , Macht', das ,Numen',
von einem Persönlichen getragen sein ; sie kann nicht bloß ruhend
sein, sie muß wirkend sein, durchwaltet und beherrscht von einem
persönlichen Willen. Erst die Verbindung der ,Mana'-Vorstellung mit
dem personifizierenden Animismus' — in Rudolf Ottos Terminologie
ausgedrückt: die Rationalisierung' des irrationalen' in der Idee des
Göttlichen — schafft die Voraussetzung zum Gebet; ein übersinnliches,
mit übernatürlicher nnd übermenschlicher Macht ausgestattetes, men-
schenähnliches Wesen ist Gegenstand des Gebets und Opfers, ist ein
VIII. Die dem Gebet zugrundeliegende Gottesvorstellung 133
Gott. Wie die Macht im Zauberhäuptling oder Medizinmann als in
einem sinnlichen Menschenwesen konzentriert ist, so ist sie im Gott als
in einem übersinnlichen, menschenähnlichen Wesen konzentriert. Das
dritte Wesensmerkmal des im Gebet angerufenen Gottes ist also der
Anthropomorphismus. Nur zu einem Wesen, das dem Men-
schen gleicht, kann der Mensch beten. Der Gott besitzt in der Vor-
stellung des Beters dieselbe psychologische, vor allem dieselbe psychische
Struktur wie der Mensch, er ist ,,nach seinem Bild und Gleichnis"
geschaffen.
Die Gottheiten des Primitiven sind nie unkörperlich oder immateriell,
sie haben einen materiellen Leib, mag dieser nun zoomorph oder
häufiger anthropomorph gedacht sein. Sie stehen, wie der Mensch, in
einem bestimmten Lebensalter; die Ehrfurcht vor ihnen bringt
es mit sich, daß man sie sich zumeist als bejahrt vorstellt: man ruft
sie als , Vater', ,Mutter', , Großvater' oder , Großmutter' an. Sie sind
fast stets geschlechtlich differenziert: Götter oder
Göttinnen. Bisweilen freilich stellt man sie sich als androgyn vor; J
in ihrem doppelgeschlechtlichen Charakter sucht man das Geheimnis
ihrer Entstehung und schöpferischen Zeugungskraft. Sie besitzen
dieselbe Sinnesorganisation wie der Mensch, nur
noch gesteigert und verfeinert, „eine der unsrigen inhaltlich gleich-
artige, nur formell überlegene, potenzierte Sinnlichkeit" 9. Die alt-
testamentliche Sprache hat den sinnlichen Anthropomorphismuo der
primitiven Gottesvorstellung in wundersamer Weise konserviert, wenn
sie von Gottes Augen und Ohren, von seinem Mund und seinen Händen
spricht : Der Gott sieht, hört und riecht, er nimmt mittels seiner
Sinnesorgane wahr wie jeder Mensch. Der Mensch tritt mit ehrfurchts-
voller Haltung und Geste vor ihn im Gebete hin — Gott sieht ihn, er
ruft ihn bei seinem Namen an — Gott hört seine Stimme. Mit lauter
Stimme betet der Primitive zu seinem Gott, er ,ruft', , schreit', damit
sein flehendes Wort an des Gottes Ohre dringe. Mit der Fähigkeit
sinnlich wahrzunehmen ist für den Gott auch die Fähigkeit gegeben,
sinnlich zu genießen. Auch der Gott verlangt nach Speise und
Trank, ja selbst nach geschlechtlichem Genuß; weil er dieselbe Sinnes-
organisation besitzt wie der Mensch, hat er auch dieselben animalischen
Triebe und Bedürfnisse wie dieser: den Nahrungs- und Geschlechts-
trieb. Schreitet die materielle Kultur fort, so steigern und verfeinern
sich auch die Bedürfnisse der Götter; dann fordern sie prachtvolle
Wohnungen, schmucke Kleidung, elegante Toilette, auserlesene Tafel-
freuden, Wohlgerüche und Blumen, musikalische Konzerte und dich-
terische Vorträge. Der Befriedigung all der sinnlichen Bedürfnisse der
Götter dienen die Opfer ; dem Nahrungsbedürfnis das Speise- und Trank-
opfer, dem Luxusbedürfnis die Darbringung von wertvollen Geschenken
aller Art, dem ästhetischen Bedürfnis die Hymnenpoesie, dem sexuellen
Bedürfnis das in mannigfachen Symbolen sich vollziehende Keusch-
heitsopfer. 5
Die Fähigkeit der sinnlichen Wahrnehmung eignet allen göttlichen
Wesen an, an die der Primitive Gebete richtet ; nicht jedoch die Fähigkeit
134 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
des sinnlichen Genusses. Diese gröberen anthropomorphen Züge fehlen
fast stets in dem hehren Bilde der Urväter; diese sind erhaben über
die leiblichen Bedürfnisse des Menschen; sie fordern weder Speise-
noch Trankopfer. Bei primitiven Stämmen sind es meist nur die Natur-
geister und die Ahnen, denen man solche Opfer bringen muß. Vor
allem aber sind es die großen Nationalgötter der antiken Kult- und
Priesterreligionen, in deren Bild der Anthropomorphismus des sinn-
lichen Genießens in raffinierter Weise ausgeprägt ist; ihnen ist ein um-
fassendes, luxuriöses Opferritual gewidmet.
Der Gott des primitiven Beters hat nicht nur dieselbe Sinnesorgani-
sation wie der Mensch, nein, was noch wichtiger ist, sein Seelen-
leben ist genau wie das des Menschen: dasselbe Wahrnehmen, Vor-
stellen und Denken, dieselben Gefühle Stimmungen und Affekte, das-
selbe Begehren und Wollen, dasselbe Lebens- und Selbstgefühl. Wie
er die Menschen sieht und hört, so stellt er sich ihr Tun und Treiben
vor, er erinnert sich ihrer früheren Taten , er erwägt und überlegt ( , ,spricht
in seinem Herzen"), er freut sich (,, seine Brust wird warm"), wenn die
Menschen seine Gebote halten oder wenn sie ihm Gaben und Geschenke
bringen, er fühlt sich geehrt, wenn die Menschen seine Macht anerkennen
und seine Taten preisen, er wird von Zuneigung und ,Liebe' zu denen
erfüllt, die ihm gehorchen, ihn anbeten und verehren, er hat , Mitleid',
,erbarmt sich' dessen, der in Not und Elend ihn um Hilfe anfleht. Aber
auch die unlustvollen Affekte des Menschen sind ihm nicht fremd. Zorn,
Ingrimm, Groll erfaßt ihn, wenn der Mensch seinen Kult und seine
Gesetze mißachtet, wenn er den Gott vernachlässigt, wenn er ihn be-
leidigt'. Bisweilen überkommt ihn sogar Reue, den Menschen erschaffen
zu haben; er sinnt Rache wider die Missetäter. Sein Zorn kann sich
zum dauernden Haß gegen einen Menschen verhärten. Aber nicht
immer ist sein Zürnen ein gerechtes Zürnen. Die niederen Geisteswesen
zumal sind unberechenbar in ihren Launen, grundlos bringen sie Unheil
über den Menschen. Doch auch den zürnenden Gott kann der Beter
versöhnen, seinen Groll beschwichtigen: Gott ,verzeiht' und vergibt
dem Menschen, der sich demütig vor ihm in den Staub wirft und offen
seine Schuld bekennt. Er kann Gott gewinnen, ihn umstimmen, ihn
begütigen. „Dein Herz werde kühl," heißt es in einem Bußgebet der
Ewe 6. „Es beruhige sich dein Herz, es besänftige sich dein Gemüt,"
heißt es immer wieder in den assyrischen Klageliedern 7. Das Wort
,besänftigen' (nuhhu) bekommt im Assyrischen geradezu die Bedeutung
,beten'. Wie in der Seele des Menschen, so wechseln auch bei Gott die
Stimmungen, Affekte und Entschlüsse. Die Veränderlich-
keit Gottes ist eine wesentliche Voraussetzung
des primitiven Gebets. Wie einem Menschen trägt man ihm
eine Bitte vor, er kann sich vom Beter bestimmen lassen und seinen
Wunsch erfüllen ; weil er aber wie der Mensch einen freien Willen hat,
kann er den Bittsteller auch abweisen, die Hilfe verweigern, das Gnaden-
geschenk versagen. So gleicht des Gottes Seelenleben nach der intel-
lektuellen wie nach der emotionellen Seite völlig der menschlichen
Psyche.
VIII. Die dem Gebet zugrundeliegende Gottesvorstellung (Gebetsort) 135
Der Anthropomorphismus der Gottesvorstellung umfaßt außer des
physischen und psychischen auch die soziale Seite. Wo ein primitives
Pantheon sich gebildet hat, beginnt man sogleich die höheren Wesen
nach sozialen Kategorien zu ordnen : meist stehen sie zu einander in
einem genealogischen Verhältnis. Schon die Urväter der verschiedensten
Stämme haben Mütter, Brüder, Weiber und Kinder. Bei den Bantu-
völkern, in deren religiösen Vorstellungskreis das höchste Wesen und
die Geister oder Ahnen scharf auseinandertreten, gelten die niederen
Geister als Kinder, als Hofstaat oder als Polizeiorgane des obersten
Gottes 8. Diese Vorstellung von einer sozialen Rangordnung der gött-
lichen Wesen ist die Voraussetzung für die Anrufung von Mittlern und
Fürbittern. In den antiken Religionen, in welchen eine reiche mytho-
logisch-theologische Spekulation den nationalen Götterglauben um-
rankte und umwucherte, kommt der sozialen Rangordnung der Götter
eine noch größere Bedeutung zu.
Der Gott der Primitiven ist ein Mensch, nur größer, mächtiger und
seliger wie der Erdenbewohner. Sein anthropomorpher Charakter be-
dingt seine relative Endlichkeit und Beschränktheit. All die
Prädikate, welche eine philosophische Theologie ,via negationis' und
,via eminentiae' zu gewinnen sucht um Gottes Wesen zu umschreiben,
fehlen in der Gebetsvorstellung des primitiven Menschen oder sind —
wie in der Vorstellung vom Urvater — nur angedeutet. Der Gott des
primitiven Beters ist nicht allgegenwärtig und raumlos, sondern an
einen räumlichen Ort, an ein sinnliches Objekt unlöslich gebunden. Er
ist nicht allwissend, sondern muß erst vom Menschen über sein Anliegen
informiert werden. Er ist nicht allmächtig, sondern seine Macht ist
auf einen speziellen Wirkungskreis beschränkt, auf einen Naturgegen-
stand oder eine Naturerscheinung, ein Gebiet menschlicher Betätigung,
eine begrenzte Gegend, einen Kreis menschlicher Individuen. Er ist
nicht allgütig und allgerecht, sondern bisweilen launisch, eifersüchtig,
rachgierig, haßerfüllt. Er ist nicht unveränderlich; er ändert seine
Pläne und faßt neue, er ist menschlicher Beeinflussung und Überredung
zugänglich; er erhört des Menschen Bitte auf Grund des Gebets und
Opfers, was er ohne dieses nicht getan hätte. Nur die Urväter ragen
über die Masse der streng anthropomorphen Geister und Götter hinaus :
zwar kann man fast all diese menschlich-allzumenschlichen Züge auch
in ihrem Bilde finden; aber ihr Anthropomorphismus ist doch feiner,
milder, reiner, bezieht sich mehr auf die psychische, als auf die physisch-
materielle Seite. Das höchste Wesen ist geistiger und erhabener als
die bunte Schar der Naturgeister, der Tätigkeitsgötter und der Ahnen.
4. Der Glaube an die Präsenz Gottes.
(Gebetsort und Gebetsrichtung.)
Das Gebet ist nicht ein bloßer unbestimmter Hilferuf, den der Mensch
in der Not ausstößt, sondern stets Anrede an ein Du, an ein anderes
Wesen, das ihm gegenwärtig oder nahe ist, das ihn sieht und hört. Der
primitive Beter ist durchdrungen von dem lebendigen Gefühl der un-
136 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
mittelbaren, realen Gegenwart Gottes. Stade, der gründliche Kenner
der israelitischen Religion, sagt treffend: „Den antiken Menschen unter-
scheidet die Empfindung der Nähe Gottes vom modernen." 10 Mark
Aurel verdolmetscht diese antike Auffassung, wenn er sagt: „Wir beten,
opfern und schwören nur in der Voraussetzung, daß die Götter gegen-
wärtig sind und mit uns leben" (&<; fiQÖg naQÖvrag xai ov/ißiovviag rovg
»eovg VI 44).
Der Gott des Primitiven ist stets an ein sichtbares Objekt, an einen
sinnlich wahrnehmbaren Ort gebunden. Er wohnt und weilt an einem
bestimmten Platze, er hat einen bestimmten Aufenthaltsort n, sei es
nun ein grünender Baum oder eine ragende Bergeshöhe, ein roher
Fetisch oder eine kunstvolle Statue, ein von Menschenhänden erbautes
Haus oder der weite, lichte Himmel. Darum ,geht' der Mensch, den die
Not drückt, oder der Wunsch drängt, zu seinem Gott, er ,eilt' zu ihm,
er ,kommt' zu ihm, er ,naht' ihm, er , tritt' vor ihn, wie das bittende
Kind vor den Vater, der flehende Untertan vor den Häuptling. „Wir
sind zu dir gekommen, um dich zu bitten," heißt es in einem Ewegebet ; 12
der äschyleische Chor der Thebanerinnen spricht: „Wir nah'n dir im
Gebet, Erhörung heischend". (142 f.).
Zu den Naturgeistern betet man an den Plätzen, an denen sie ihren
Wohnsitz haben; man geht in den Wald hinaus, um zu einem segen-
spendenden Baumgeist zu flehen; man eilt an das Ufer des Flusses,
Teiches, Sees oder Meeres, um dem Wassergott ein Anliegen vorzu-
tragen, man schleicht sich vor die Höhle eines Tigers oder einer Schlange,
um diese mächtigen Tiergottheiten um Gnade zu bitten. An den gefähr-
lichen Paßübergängen erfleht man glückliche Fahrt von den tückischen
Berggeistern. Zu den Dorf- und Gaugöttern betet man nur innerhalb
des von ihnen beherrschten Territoriums. Nur im heimischen Urwald
wendet sich der Kekchi-Indianer an Tzultaccä, den ,Herrn der Berge
und Täler' ; wenn er an einem Bergpaß angelangt ist, spricht er zu ihm :
„Müde bin ich vor deinem Munde, deinem Angesichte." 13 Zu einem
Fetisch, Idol oder einem kultischen Symbol betet man nur dort, wo
sie aufgestellt sind. Dort, wo christliche Wegkreuze errichtet sind,
betet der Kekchi-Indianer zum „Vater Kreuz": „Ich bin hierher ge-
kommen, du siehst es, du allmächtiges, heiligstes Kreuz": du, oGott, du
allmächtiges, heiligstes Kreuz, du bist bei mir. Du bist hier an der
Seite 14." Zu den Ahnen betet man an ihrem Grabe oder vor einem
künstlichen Objekte, in denen man sie sich gegenwärtig denkt. So
beten die Ewe zu ihren Ahnen vor dem ,Ahnenstuhl', 15 die Chinesen
vor den , Ahnen tafeln'. Die mächtigen Totengeister, die in der Erde
hausen, ruft man an, indem man den Erdboden beklopft. Bei den Herero
begibt sich der Häuptling in Not zum Grabe des Ahnen, klopft mit dem
Ahnenstab des Toten auf das Grab und ruft: „hu, hu, hu!" dann spricht
er das Gebet 16. Bevor man bei den Kaileuten auf Deutsch-Neuguinea
auf die Jagd geht, tritt einer der nächsten Verwandten an das Grab des
Toten, weckt den schlafenden Geist durch leichtes Stampfen mit dem
Fuß und bittet ihn um gute Beute 17. Wenn die Griechen die chthonischen
Götter um Hilfe anriefen, klopften sie mit den Händen oder stampften
VIII. Die dem Gebet zugrundeliegende Gottesvorstellung (Gebetsort) 137
mit den Füßen auf den Erdboden, um jene auf ihr Gebet aufmerksam
zu machen 18.
Ursprünglich betete und opferte man unter freiem Himmel; als
die Kultur des Wohnungsbaues fortgeschritten war, fing der Mensch
an, den göttlichen Wesen Wohnstätten zu errichten. Die Karenen
bringen der Reismutter ihre Opfergaben und beten zu ihr in einer kleinen
Hütte auf dem Reisfelde. 19 Die Ewe opfern und beten zu einem tro
(Naturgeist) im tro-Heim. 20 Vor allem aber errichtet man solche Wohn-
stätten den in einem Kultobjekt oder Idol gegenwärtigen Gottheiten.
Die Ewe bauen für den Ahnenstuhl, den Sitz ihrer Vorfahren, eine
besondere Hütte. Dort betet man bei Ausbruch eines Krieges oder beim
Antritt einer Handelsreise, dorthin bringt man Kranke. 21 Die Stifts-
hütte, welche die heilige Lade, Jahwes Wohnstätte, in sich barg, war
für die alten Israeliten der Ort des Gebets. Josua warf sich vor der
Lade Jahwes nieder und betete (Jos. 7 6). Elkana zog Jahr für Jahr von
seinem Wohnort hinauf nach Silo, um dort in der Stiftshütte vor Jahwe
zu beten und zu opfern (1 Sm. 1 3). Hanna, Elis Frau, ging in die Stifts-
hütte um zu beten; „sie trat vor Jahwe" (1 Sm 1 9). Mit dem Fort-
schritt der äußeren Kultur trat an die Stelle der Gotteshütte das Gottes-
haus; wie der Fürst und die Mächtigen dieser Erde mußte nun auch
Gott in einem prachtvollen Steinbau Wohnung nehmen, im Tempel.
In Ägypten und Assyrien ward der Tempel dem Königspalaste nach-
gebildet: jeder Tempel hatte einen Thronsaal, ein Göttergemach, ein
Allerheiligstes ; hier wird das Idol, das Götterbild aufbewahrt, im ägyp-
tischen Tempel in einer Art Tabernakel. Das alte Testament hat uns
den bedeutsamen Übergang des Gotteshauses von der Hütte zum
Tempel in Israel ausdrücklich überliefert; Salomo erbaute mit allen
Mitteln orientalischer Tektonik einen Tempel zu Jerusalem und brachte
dorthin die heilige Lade, in der er selbst, der Jahwe der Heerscharen,
wohnte (1 Kg 8 4 ff.). Wo menschliche Kunst den Göttern einen Tempel
errichtet hat, wird dieser zur vornehmsten Gebetsstätte, obwohl die
alte Sitte, unter freiem Himmel und an heiligen Naturstätten zu beten
und opfern, daneben fortlebt und sich gerade im Glauben und Aber-
glauben des Volkes zäh erhält. Wer ein Anliegen hat, der geht in den
Tempel, um es dort dem Gotte vorzutragen. In Assyrien und Ägypten
ließen sich Kranke in den Tempel tragen, um dort Sündenvergebung
und Heilung zu erflehen. 22 Der Tempel auf Sion ist der Ort, wo der
fromme Israelit seine Nöte vor Jahwe ausschüttet: 23 denn Jahwe selbst
wohnt im Tempel. „Keine Vorstellung ist im Alten Testament so nach-
drücklich und mannigfach bezeugt als diejenige vom Wohnen Gottes
im Tempel zu Jerusalem" (Westphal). 24
In dem Glauben an die örtliche Präsenz und Gebundenheit des Gottes
wurzelt die Sitte des Wallfahrens; die, welche von der Wohnstätte
des Gottes ferne weilen, pilgern zu ihr, sei es um ein bestimmtes An-
liegen vor ihn zu bringen, sei es um an den zu seinen Ehren gefeierten
Festen teilzunehmen. Bei primitiven Völkern ist diese Sitte kaum nach-
zuweisen. Sie setzt in doppelter Hinsicht einen starken Kulturfortschritt
voraus : sie ist nur dort möglich, wo eine größere nationale Gemeinschaft
138 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
aus den engen Sippen, Clan- und Stammesverbänden sich gebildet hat,
wo ferner geordnete Verkehrsverhältnisse geschaffen sind. Die Anfänge
der Wallfahrt freilich finden sich schon bei höher stehenden Natur-
völkern. So wallfahrten die westafrikanischen Ana von Atakpame zu
Buku (dem höchsten Wesen) nach Adele; die Pilgerfahrt ist hier sogar
von einem ,Heiligkeitsgesetz', einem Taburitual umgeben 25. Einen wich-
tigen Platz nimmt das Wallfahrten in der Frömmigkeit der antiken
Völker ein, zumal bei den Griechen, deren Stadtstaaten miteinander in
regem Verkehrsaustausch standen. Man pilgerte zu den Orakelstätten,
um sich Rat in Schwierigkeiten zu erholen ; Kranke reisten zu den be-
rühmten Heiligtümern des Asklepios, um Gesundung zu erlangen. Die
frommen Israeliten zogen nach der Zentralisierung des Kults durch die
deuteronomische Reform dreimal im Jahre zum Sionstempel nach
Jerusalem hinauf, um Jahwe zu schauen, um zu ihm zu beten und ihm
Opfer zu bringen. 26
Aber nicht immer ist der Mensch, wenn die Not ihn quält und drängt,
imstande, zum Wohnort des Gottes zu eilen; auch gibt es hohe Wesen,
die hier nicht auf Erden weilen, sondern hoch oben am oder im Himmel :
die strahlende Sonne, der blinkende Mond, die glitzernden Sterne, der
Urvater , Himmelsmensch', Himmelshäuptling', ,Vater im Himmel'.
Wenn man zu den Gestirngottheiten oder zum Himmelsgott betet,
wendet man unwillkürlich den Blick und die Hände gen Himmel. 27 Ter-
tullian sieht in dieser weitverbreiteten Sitte ein überwältigendes Zeugnis
dafür, daß die Menschenseele von Haus aus christlich sei. 28 Im Juden-
tum und Christentum lebt diese uralte Sitte bis heute fort: ,,Zu dir
erhebe ich meine Augen, der du im Himmel wohnst." *29 Beim Morgen-
gebet richten viele Stämme den Blick gegen die aufgehende Sonne. 30
Auf diese Hinwendung zur aufgehenden Sonne mag die weit verbreitete
Sitte der Gebetsorientierung zurückgehen. Ursprünglich richtete man
nur beim Gebet an die aufsteigende Sonne die Augen nach Osten, später
beim Gebet im Freien überhaupt, schließlich beL jedem Kultakte. Die
australischen Euahlayi beten, den Blick nach Osten gekehrt. 31 Im
alten Mexiko war man beim Gebet gewöhnlich nach Osten gekehrt.32
Nach dem Zeugnis des Lucian beteten die Inder nach der aufgehenden
Sonne gerichtet. 33 Dasselbe taten die Ägypter nach dem Bericht des
Apulejus. 34 Die babylonischen Priester wandten sich bei allen religiösen
Handlungen mit dem Gesicht nach Osten. 35 Die Römer kehrten nach
Vergil beim Beten das Antlitz nach Osten. 36 Das Christentum über-
nahm die alte Sitte der Gebetsorientierung und deutete sie heilsgeschicht-
lich um: das ,ex Oriente lux' hatte nun einen höheren, geistigen Sinn. 37
Nach einem Heiligtum, in dem ein Gott wohnt, blickt man, wenn man
aus der Ferne zu ihm beten will. Die Römer kehrten beim Gebet an
Jupiter sich bisweilen gegen den weithin sichtbaren Tempel auf dem
Kapitol. 38 Die Samaritaner beteten in der Richtung zum Berge
Garizim, wo Jahwe nach ihrem Glauben wohnte. 39 Nachdem in Juda
durch die deuteronomische Reform der lokale Höhenkult abgeschafft
und der ganze Kult in Jerusalem konzentriert war, richtete man beim
Gebet stets das Angesicht nach dem Heiligtum auf Sion, der Stätte
IX. Das im Gebet sich äußernde Verhältnis des Menschen zu Gott 139
Jahwes! „Erhebet eure Hände zum Heiligtum und preiset Jahwe!"40
Die im Zweiströmeland verbannten Juden wenden betend den Blick
nach der Heimat, nach Jerusalem, zum Tempel auf dem Sion.
Daniel betete im Obergemach in der Richtung nach Jerusalem
bei geöffnetem Fenster (Dan 65ll). Mohammed hatte ursprünglich, der
jüdischen Sitte gemäß, die Gebetsrichtung nach Jerusalem geboten.
Nach dem Bruche mit dem Judentum führte er die Gebetsrichtung
(kibla) nach Mekka ein, der heiligen Stadt, in welcher seine Väter schon
den alten Steinfetisch der Ka'aba als Allahs Wohnsitz verehrten. 41
Die Gebetsrichtung ruht auf demselben Glauben wie das Beten an
einem bestimmten Orte : auf der Vorstellung von der lokalen Gebunden-
heit des Gottes. Das Bewußtsein der Gegenwart und Nähe Gottes ist
im Beter in gleicher Weise lebendig, wenn er am irdischen Wohnsitze
des Gottes betet, wie wenn er zum Himmel die Augen erhebt oder aus
weiter Ferne nach dem heimatlichen Tempel seine sehnsüchtigen Blicke
sendet. Schon die Etymologie des arabischen Wortes für Gebets-
richtung {kibla von Icabala) weist darauf hin, daß der aus der Ferne
nach dem Wohnort des Gottes blickende Beter sich diesem ,nahe\
, gegenüber' fühlt. Dieses Bewußtsein der realen, sinnenfälligen Präsenz
Gottes hält im Betenden die beiden religiösen Uraffekte lebendig:
Furcht und Hoffnung, Angst und Zuversicht. Der Mensch steht vor
Gott, Gott sieht seine bittenden Hände, er hört seine flehenden Worte.
Der Mensch ist ohnmächtig, er kann sich nicht selbst helfen, aber Gott
hat Macht, er allein kann, wenn er will, ihm helfen. Des Menschen
Schicksal ruht ganz in Gottes Händen. Von Schauer und Ehrfurcht
wird der Mensch erfüllt, der sich bewußt ist in der Gegenwart des großen
und mächtigen Gottes zu atmen; aber frohe Zuversicht erwacht in
seinem Herzen, wenn er weiß, der große und mächtige Gott, der Helfer
und Retter, ist mir nahe, seine Macht bringt mir Heil.
IX. Das im Gebet sich äußernde Verhältnis des
Menschen zu Gott.
Das Gebet des Primitiven ist kein Selbstgespräch, keine Meditation,
sondern ein Rufen zu Gott, ein Reden mit Gott. l Dem Ich steht ein Du :
gegenüber, dem Menschen ein anderes menschenähnliches WTesen ; beide
das Ich und das Du, der Mensch und der andere treten zu einander in
eine Beziehung, in ein Verhältnis, es entsteht ein innerer Kontakt
zwischen beiden. Das Gebet ist ein soziales Phänomen.
Im Gebet spielt sich ein realerVerkehr, ein Umgang, ein
Austausch des Menschen mit dem gegenwärtigen
Gott ab. Dem anthropomorphen Charakter Gottes entsprechend,
vollzieht sich dieser Verkehr ganz in den Formen des gesellschaftlichen
Verkehrs der Menschen untereinander. Das Gebet ist in allem der
Reflex der menschlichen, sozialen Beziehungen und Verhältnisse. Das
hauptsächlichste Mittel, um mit dem anderen Menschen in Beziehung
zu treten, ihm seine inneren Erlebnisse , mitzuteilen', ist die Rede. In
der Rede bringt der Mensch seine Vorstellungen, Stimmungen, Gefühle,
sein Begehren, Wünschen und Wollen dem anderen Menschen zum
140 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
Ausdruck. Die Rede ist auch das Mittel, durch das der Mensch den
höheren Wesen das, was ihn in seiner Seele bewegt, mitteilt. So mannig-
faltig die Formen menschlicher Rede sind, so vielgestaltig sind auch
die Formen des Gebets: Anrufung und Anrede, Gruß und Segens-
wunsch, Klage und Bitte, Lob und Dank, Einladung, Lockung und
Überredung, Drohung und Beschimpfung, Anklage und Entschuldigung
— alle Arten der menschlichen Rede kehren im Gebet wieder. Wie des
Menschen Rede nicht bloße Aussprache, Mitteilung ist, sondern auch
eine reale Einwirkung , eine Gewinnung bzw. Umstimmung
des anderen bezweckt, so dient das Gebet vor allem dazu, Gott zur
Gewährung der Hilfe oder zur Erfüllung des menschlichen Wunsches
zu bewegen. Von einem Öeovg evxalg naQÜyeo&cti (,, Umlenken der
Götter durch Gebete") redet Plato. 2 Der Dichter der Ilias sagt mit
großer Anschaulichkeit:
„Oft wenden sich selber die Götter ....
Diese vermag durch Räuchern und demutsvolle Gelübde,
Durch Weinguß und Gedüft der Sterbliche umzulenken,
Flehend, nachdem sich einer versündiget oder gefehlet." 3
Alle die groben und feinen Mittel der Überredung, die der Mensch an-
wendet, um auf seinen Nebenmenschen einzuwirken und ihn sich will-
fährig zu machen, gebraucht auch der Beter, um Erhörung von seinem
Gott zu erlangen. Wie im Verkehr mit Menschen, so geht auch im
Gebetsverkehr mit Gott der Rede die Geste zur Seite. Der Gebetsgestus
ist wie die Gebetsrede beides zugleich : Ausdruck der den Betenden
beseelenden Gefühle: der Ehrfurcht und Ohnmacht, der Sehnsucht und
des Verlangens, der Freude und Liebe wie Mittel zur Einwirkung auf
Gott; durch Höflichkeits- und Demutsbezeugungen gilt es, Gottes
Gunst sich zu erwerben.
Die Vorstellung einer realen Einwirkung des menschlichen Gebets
auf den Willen der Gottheit bildet auch die Voraussetzung des Glaubens
an die Gebetserhörung, eines Glaubens, mit dem das naive
Beten steht und fällt. Auf den Inschriften antiker Tempel wie auf den
Votivtafeln moderner Wallfahrtskirchen — überall begegnet uns das
schlichte Bekenntnis bedrängter Menschen, die zu Gott um Hilfe riefen
und denen Erfüllung ihres Gebetswunsches zuteil wurde. „Ich habe
demütig gebeten und Nannar, mein König, hat mich erhört," gesteht
ein altbabylonischer Herrscher,4 und in ähnlichen Worten dankt ein
unzähliger Chor von Betern. Sie alle sind überzeugt, durch das Gebet
des Gottes Willen gewonnen oder umgestimmt zu haben, auf Grund des
Gebets erlangt zu haben, was ohne dieses ihnen versagt geblieben wäre. 5
Das soziale Verhältnis, in dem der betende Mensch zu Gott steht, ist
ein Verhältnis der Unterordnung und Abhängigkeit: Gott ist größer
und mächtiger als der Mensch, in seiner Macht steht des Menschen
Geschick. Dieses Abhängigkeitsverhältnis ist immer der getreue
Reflex eines irdischen Sozialverhältnisses,6 meist
eines Verwandtschaftsverhältnisses oder auch eines Untergebenen-
verhältnisses. Dieses das Gebet tragende soziale Verhältnis spricht
sich fast stets schon in der Gebetsanrede aus.
IX. Das im Gebet sich äußernde Verhältnis des Menschen zu Gott 141
„Die Idee der Verwandtschaft zwischen Mensch und Gott",
sagt Farneil, „gehört zum Alphabet des echten Gebets." „In den Litur-
gien der primitiven wie der fortgeschrittenen Religion wird die Gottheit
gewöhnlich in den Verwandtschaftsbeziehungen angeredet." 7 Dorsey
bezeugt, daß zu jedem Indianergebet „die Anwendung des Verwandt-
schaftsterminus" gehöre. 8 Das ursprünglichste Verhältnis des Menschen
zu Gott ist das Kindschaftsverhältnis.
Mä rü, Mä rä, ßöav | „Mutter Erde, Mutter Erde, das Geschrei,
ipoßEQov &7iöiQE7tE- Das furchtbare, wende ab ;
(L nä, rag nal, Zev9. | O Vater, der Erde Sohn, Zeus!"
„Aus den Schutzflehenden des Aeschylus tönt uns das wiederholte
Gebet des Chores entgegen wie ein Klang aus geheimnisvoller Tiefe
einer Religion, die nicht mehr im Lichte des Tages den herrschenden Ton
angibt. Es sind Worte der primitiven Sprache, Lallformen für Vater
und Mutter. Es sind auch Lallformen primitiver Religion. Sie er-
findet kein Dichter; das attische Volk kannte solch Gebet."10 Das
Verhältnis des betenden Menschen zu Gott als Kindesverhältnis zum
Vater ist ein religiöses Urphänomen. In dieser Gebetsanrede an
Gott reichen Pygmäen und Australier, Bantuvölker und Indianer den
Griechen und Römern, Assyrern und Indern die Hände. Den Schöpfer
und Himmelsgott, den geheimnisvollen Urheber nennen die Primitiven
Vater (s. o. S. 121), mit dem Vaternamen rufen sie ihn im Gebet an;
auf ihr Kindschaftsverhältnis zu ihm pochen sie in ihren Bitten. „Bist
du nicht unser Vater?" „Sind wir nicht deine Kinder?" „Du bist
unser Vater und wir sind deine Kinder." (S. o. S. 91). Der Vatername
ist bei vielen Völkern ein Respektsname und Ehrentitel. Die Australier
nennen jeden Mysteriengenossen, verschiedene südamerikanische Stämme
jeden alten Mann ,Vater'. n Diese ausgiebige Anwendung des Vater-
namens als Ehrennamens mag der Hauptgrund dafür sein, daß außer
dem Urvater und Schöpfer wie dem verstorbenen leiblichen Vater die
verschiedensten Göttergestalten im Gebet als , Vater' angerufen werden.
Ahnen- und Naturgeister, Baum- und Wassergottheiten, Gestirne, die
leuchtende Sonne, der glänzende Mond, der heimatliche ,Herr der Berge
und Täler', selbst Kultobjekte, Fetische und Zauberstäbe werden von
Naturvölkern so angeredet. 12 „Du, o Agni, bist unser Vater, wir sind
deine Verwandten," betet der Sänger des Rigveda zum Feuergott 1S.
näxEQ iialr\ov riefen die Griechen zu Asklepios. 14 Im Gebet der
Römer führten Jupiter, Janus, Liber, Mars, Neptun, Quirinus und
Saturnus das Ehrenprädikat pater, parens oder genitor. 15 Eine reine
Gebetsfrömmigkeit und eine geläuterte Gebetsauffassung erheben
Protest dagegen, daß der Vatername im Gebet vielen Göttern und sogar
Fetischen und Idolen beigelegt wird; aber diese Proteste sind zugleich
Zeugnisse für das zähe Fortleben des primitiven Betens. Jeremias, der
große Beter, ruft aus: „Es sollen sich schämen die vom Hause Israel
samt ihren Königen, ihren Priestern und ihren Propheten, sie, die zum
Holzbild sagen: ,Mein Vater bist du!' und zum Steingötzen: ,Du hast
mich geboren' " (2, 26). Für den Apologeten Lactantius wird die An-
wendung des Vaternamens im Gebet zu verschiedenen Göttern ein
142 A. Das naive Eeten des primitiven Menschen
gewichtiges Argument für die Widersinnigkeit und Widernatürlichkeit
des Vielgötterglaubens.
„Daß die Verehrung vieler Götter nicht der Natur entspricht, kann schon
aus der Tatsache erschlossen und verstanden werden, daß ein jeder Gott, der
vom Menschen verehrt wird, in den feierlichen Riten und Gebeten als Vater
angeredet werden muß; nicht nur der Ehren sondern der Vernunft halber, weil
er älter ist als der Mensch und weil er Leben, Heil und Nahrung gewährt wie ein
Vater. Deshalb wird Jupiter von den Betenden Vater genannt, ebenso Saturnus,
Janus, Liber und die übrigen nacheinander. Dies verspottet Lucilius im Rate
der Götter:
ut
nemo sit nostrum, quin aut pater optimus divum
aut Neptunus pater, Liber, Saturnus pater, Mars,
Janus, Quirinus pater siet ac dicatur ad unum.
(„daß
niemand unter uns ist, weder der beste Göttervater
noch Vater Neptun, Liber, Vater Saturnus, Mars,
Janus, Quirinus, der nicht Vater wäre und zugleich genannt würde.")
Wenn also die Natur nicht duldet, daß einer viele Väter hat (denn nur von einem
wird er gezeugt), dann ist die Verehrung vieler Götter gegen die Natur." 16
, Mutter' und ,Mütter' sind von altersher Bezeichnungen von Gott-
heiten, die als der Menschen und alles Lebens Spenderinnen verehrt
werden; 17 vor allem die Erde, deren Mutterschoß alles vegetative und
animalische Leben gebiert. Zur , Mutter' Tetewan rufen die Cora-
indianer 18 heute wie ehedem die Inder zur Prthivi mätä, 19 die Griechen
zur Ge Meter, 20 die Römer zur Tellus mater, Terra mater, Ceres mater. 21
,Mutter' (ama) nannten die Babylonier die verschiedenen Vegetations-
göttinnen, Nin-mach und Gula, 22 die Assyrer ihre Stadtgöttin Ischtar,
die all die anderen Muttergöttinnen verdrängte; 23 zur Mutter Astarte
(Ummu lAttar) beteten die alten Araber; eine ,große Mutter' verehrten
die Karthager. 24 Wie der Vatername, so wird auch der Muttername
als Ehren- und Respektstitel gebraucht. 25 So kommt es, daß auch
andere weibliche Gottheiten wie Erd- und Fruchtbarkeitsgöttinnen als
,Mütter' angerufen werden, z. B. die Mondgöttin der Cora-Indianer. 26
In Mkulwe legt man sogar dem Schöpfergott Nguluwi wegen seiner
Güte häufig den Titel , Mutter' bei, obgleich er männlich gedacht ist.
Ja, selbst den bösen Geist nennt man bisweilen „Mutter Blattern",
um ihn zu besänftigen. 27 Wie die Vateranrede, so ist auch die Mutter-
anrede der Gottheit ein religiöses Urphänomen, das uns auf der ganzen
Erde begegnet. Im christlichen Marienkult ist dieses Urphänomen, das
Verhältnis des Menschen zur Gottheit als Kindesverhältnis zur Mutter,
zu neuem Leben erwacht — religiös vertieft, sittlich geläutert, ästhetisch
verklärt. Es sind religiöse Urlaute, primitive Gebetsklänge, die uns
aus vielen Marienliedern entgegentönen:
„Du bist ja die Mutter,
dein Kind will ich sein." 28
Bei manchen Völkern — den mittelamerikanischen Indianern, den
Sumerern und Ägyptern — treffen wir die merkwürdige Tatsache, daß
in der Gebetsanrede an ein und dasselbe göttliche Wesen der Vater-
und Muttername gebraucht ist. „Du meine Mutter, du mein Vater!"
sagen die Keckchiindianer zu Tzultacca, dem Herrn der Berge und
IX. Das im Gebet sich äußernde Verhältnis des Menschen zu Gott 143
Täler. „Wer ist meine Mutter, wer ist mein Vater? Du gewiß." 29
Der Ägypter redet Isis an: ,,0 mein Vater, mein Bruder, meine Mutter
Isis!" 30 Der sumerische An (Himmel) wird als ama-a-a ?Mutter- Vater'
bezeichnet, ein Name, der auch auf andere Gottheiten übertragen
wurde. So betet Gudea zu Ga-tum-dug: „Ich habe keine Mutter, du
bist meine Mutter, ich habe keinen Vater, du bist mein Vater, in deinem
Herzen hast du mich empfangen, du hast mich geboren in dem Tempel"
(Cyl. A III 6 ff.). Und in einem Gebet an Marduk heißt es: „Wie ein
Vater und eine Mutter weilst du bei dem Volke." 31 Wollten diese
Beter die Ehrentitel häufen ? Oder dachten sie, daß des Gottes Güte
die Fürsorge des Vaters und die Liebe der Mutter umfasse ? Oder waren
sie, wie Radau von den Sumerern feststellt, von der Vorstellung des
androgynen Charakters der Gottheit geleitet ? Die Frage ist für unseren
Zusammenhang belanglos. Von Wichtigkeit ist nur die Tatsache, daß
auf der ganzen Erde die Menschen zu den göttlichen Wesen im Kindes-
verhältnis zu stehen glauben, daß sie im Gebet mit ihnen reden wie
Kinder mit ihren Eltern.
In der Ehrfurcht vor den höheren Wesen ist es begründet, daß man
ihnen gegen übertritt wie junge Leute den Alten. , Großvater'
und , Großmutter' sind bei Naturvölkern häufige Gebetsanreden.
Bei den Siouxindianern werden männliche Gottheiten als , Großväter',
weibliche als , Großmütter' angerufen. 32 Die Hottentotten nennen ihren
Urvater Tsui-Goab , Großvater'. 33 Die Batak reden alle Obergötter
und Lokalgötter als , Großväter' an. 34 Für die Siouxindianer ist der
mächtige Erdgott ein , Großvater'. 35 Die Melanesier rufen die mäch-
tigen Totengeister als Großväter an. 36 Die reichen Erntesegen spen-
dende Reisgöttin gilt den Karenen als Großmutter. 37 „Großvater,
verehrungswürdiger Mann!" beten die Santee-Indianer zum Büffel.38
Die Büro reden selbst einen gefährlichen Krankheitsgeist mit diesem
Respektsnamen an — ,,geh fort, Großvater Blattern;"39 die Omaha-
In dianer bezeichnen mit diesem Ehrentitel einen Fetisch. 40 Auch die
Anrede ,0 h e i m' und , älterer Bruder' findet sich bisweilen in
primitiven Gebeten. In den australischen Mura-Gesängen soll die An-
rede „Vater, Großvater, Onkel, älterer Bruder" gebraucht werden. 41
Der Cora-Indianer ruft den Morgenstern als , älteren Bruder' an. 42 „Du
bist mein Bruder," spricht ein Ägypter zu Isis. 43 Theophore Namen
wie Achmelech (, Bruder des Königs' d. h. Gottes), Chatmelech (, Schwester
des Königs') lassen darauf schließen, daß auch bei den Phönikern bis-
weilen das Verhältnis zur Gottheit als ein Geschwisterverhältnis be-
trachtet wurde. 44 Auch die Anrede ,Freund' an die Gottheit fehlt
nicht, obgleich das Freundschaftsverhältnis zu Gott viel seltener ist
wie das Verwandtschaftsverhältnis. Einzelne Amazulustämme reden
den Urvater Unkulunkulu als Freund an. 45 Bei den Aschanti ist der
eine Name für den Urvater Yankumpon ,mein Freund'. 46
Viel häufiger als das Freundosverhältnis, aber seltener als die Ver-
wandtschaftsbeziehungen spricht sich im Gebet zu Gott das Unter-
tanenverhältnis aus. Alle möglichen Gottheiten werden vom primitiven
144 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
Beter als ,Herr', ,Herrscher' und , Häuptling' angerufen.
„Großer Herrscher!" nennen die Schiffer am Tanganjikasee den See-
geist. 47 Die kriegerischen Omaha-Indianer rufen den Donner als ,Führer'
und ,Feldherrn' an. 48 Die Dschagga nennen den Schöpf ergott Ruwa
im Gebet ,Häuptling'. 49 ^Großer, weißer Häuptling!" reden die afri-
kanischen Sotho Thulare, ,den Spender des Regens im Winter' an. 50
„Dein Sklave ist gekommen, um dir zu danken," heißt es in einem
Ewegebet an einen tro. 51 „Großer Häuptling, mächtiger Häuptling!"
ruft der Kaff er zum Elefanten. 52 ,Herr' ist für den Kongoneger auch
ein Fetisch. 53 „0 Herr!" redet der Dschagganeger den Hausgeist an. 54
der Schilluk den Ahnen. 55 '"Avd% und ävaooa sind altertümlich,
Gebetsanreden an göttliche Wesen bei den Griechen. 56 „0 meine
Herrin!" redet Gudea die Göttin Ga-tum-dug an. „Mein König!"
spricht er zu Ningirsu. Er bezeichnet sich im Gebet als ,Knecht der
Göttin', als ihren ,geliebten Diener'. 57 Domina und regina heißen die
römischen Göttinnen. 58 Nirgends aber spielt das Untertanen Verhältnis
zur Gottheit eine bedeutendere Rolle als in den semitischen Religionen, 59
obgleich auch in ihnen das Kindschaftsverhältnis das Ursprüngliche
war. Das Knechtschaftsverhältnis zu Gott ist sogar eine Wesenseigen-
tümlichkeit der semitischen Religion im Gegensatz zur indogermanischen.
Schon die westsemitischen Gottesnamen (Ba'al, Adon, Melech, Rabbat)
beleuchten die Beziehung des Menschen zur Gottheit. Die Gottes-
verehrung ist für den alten Semiten ein Knechtschaftsdienst. Spricht
der Römer von einem colere, der Grieche von einem Ü£Q(m£V£iv der
Götter, so bezeichnet der Hebräer den Kult schlechthin als ein 'äbad
, Sklave sein', , Knechtesdienst tun'. 60 Im Arabischen bedeutet dieselbe
Wurzel ('abada) , anbeten'. Im Gebet wird Gott als ,Herr' (babylonisch
belu, hebräisch Adonai), die Göttin als ,Herrin' (beltu) angeredet; die
babylonische Anrede ,mein Herr', , meine Herrin' (belitija = Madonna)
bringt die enge Zusammengehörigkeit des einzelnen Menschen mit Gott
zum Ausdruck. Das religiöse Verhältnis ist hier individualisiert: wie
ein Sklave an seinen Herrn, so ist der Mensch an seinen Gott gebunden,
seinem souveränen Willen unterworfen. Der fromme Israelit betrachtet
sich im Gebet als Knecht Jahwes, die fromme Israelitin als seine Magd. 61
Das Verhältnis von Mensch zu Gott, das stets einem sozialen Ver-
hältnis der Menschen untereinander gleicht, ist im Gebet eines der Ab-
hängigkeit oder Unterordnung. Im Gelübde hingegen vollzieht sich
meist eine Niveau Verschiebung. Gott und Mensch stehen auf der-
selben Stufe, wie zwei Menschen, die einen Tausch vornehmen. Der
Mensch verspricht Gott eine Leistung und fordert von ihm eine Gegen-
leistung: do ut des. Das Bewußtsein der Abhängigkeit von Gott ist
hier nicht aufgehoben, aber der Mensch fühlt sich nicht schlechthin'
abhängig. Das Abhängigkeitsverhältnis ist vielmehr ein doppelseitiges :
jeder der beiden Beteiligten ist von dem andern abhängig; jeder von
beiden, Gott wie Mensch, ist Gebender und Nehmender zugleich. Hier
tritt an Stelle der Unterordnung die Gleichordnung von Gott und
Mensch ; aber auch hier spiegelt sich eine irdisch-soziale Relation wider ;
nicht Kind und Eltern, nicht Sklave und Herr; nicht Untertan und
IX. Das im Gebet sich äußernde Verhältnis des Menschen zu Gott 145
Häuptling stehen einander gegenüber, sondern zwei, die einen Kauf-
vertrag abschließen, ein Handelsgeschäft machen.
Die Art des sozialen Verhältnisses zu Gott äußert sich unverkennbar
in der Gebets Stimmung. Die Gelübde sind die stimmungslosesten
Gebete: Ehrfurcht, Demut und Vertrauen treten zurück, der Mensch
denkt nur an sein Interesse, handelt und feilscht. Ganz anders ist die
Gebetsstimmung im Gebet zum Herrn. Demut und Furcht erfüllen
den Beter ; er ist durchdrungen vom Bewußtsein der Größe und Macht
des Herrn, niedergeschmettert vom Gefühl gänzlicher Abhängigkeit. Er
zeigt sich höflich, unterwürfig, devot, bisweilen verfällt er sogar in
kriechenden Servilismus. Vertrauen und Zuversicht fehlen nicht, aber
sie treten zurück hinter dem Furcht- und Kleinheitsgefühl. So beteten
die alten Semiten, so beten die Semiten im Orient heute noch. So
beten auch unsere heutigen Bauern zu Gott. Nach dem Zeugnis eines
geistlichen Volkskenners ist „Gott dem Landmann im allgemeinen der
zu fürchtende Gebieter, Herrscher und Richter der Welt". „Gott ist
für ihn mehr sein gnädiger Herr, der wie andere gnädige Herren auch
zuweilen recht ungnädig sein kann." „Gottes furcht ist und bleibt
dem Bauern die zutreffendste Bezeichnung der Religiosität" (Pastor
Gebhardt.) 62 Anders wieder ist die Gebetsstimmung, wenn der Beter
nur erfüllt ist vom Gefühl der Größe und Erhabenheit seines Gottes,
wenn knechtische Furcht ihm ebenso ferne ist wie herzliches Kindes-
vertrauen. Über solchem Gebet liegt ein feierlicher Ernst, eine würde-
volle Gemessenheit. Es fehlt aller Überschwang der Affekte.. Miss
Kingsley hat solche Gebete bei einem westafrikanischen Bantustamm
in der Bucht von Panavia gehört und den Eindruck, den sie dabei
empfangen, beschrieben. 63
„An jedem Neumond geht der Häuptling eines Dorfes hinaus und redet zu
Anyambie, dem höchsten Wesen. Er preist ihn nicht, er bittet ihn nicht, in die
menschlichen Angelegenheiten einzugreifen, er ersucht ihn nur auf die Geister
zu achten, die er als Gott besser als ein Mensch lenken kann, und sie von seinem
Dorfe fernzuhalten; aber immer eröffnet er seine Rede an den großen Gott mit
einer Aufzählung seiner, des Häuptlings Vorzüge. Beim ersten Anhören machte
diese Aufzählung der Vorzüge des Häuptlings auf mich einen komischen Ein-
druck. Aber allmählich, nachdem ich der schweigende Zeuge mehrerer dieser
Reden mit dem großen Gott geworden war, erschien mir die Sache wirklich groß-
artig. Da stand der große Mann allein, bewußt des Gewichts der Verantwortlich-
keit, die er für das Leben und Glück seines Volkes hatte, und redete ruhig, stolz.
ehrfürchtig zu dem großen Gott, von dem er wußte, daß er die Welt regiere.
Er war wie ein großer Diplomat, der mit einem anderen großen Diplomaten von
einer fremden Macht redete; da war kein Winseln und Betteln dabei. Die grandeur
seines Auftretens bezauberte mich." Dieselbe feierliche Stimmung anbetender
Ehrfurcht liegt über den Gebeten des sumerischen Priesterkönigs Gudea. „Als
ein Diener voll Ehrfurcht für seine Herrin, hat er die Majestät seiner Herrin er-
kannt," bekennt er auf einer Statue (E 2, 1 ff.).
Wieder anders ist die Gebetsstimmung dort, wo das Verhältnis zur
Gottheit als Kindes Verhältnis gedacht ist. Wohl ist der Vatornanie
in manchen primitiven Gebeten eine bloße Höflichkeitsphrase, nicht
der Ausdruck wirklichen Kindersinnes; oft ist die Freundlichkeit und
Herzlichkeit im Gebet nur halb echt, mitbestimmt von dem selbstischen
Streben, Gott für sich zu gewinnen. Aber in vielen primitiven Gebeten
Das Gebot 10
146 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
besitzt der Vater- und Mutternamen seelische Resonanz. Aus zahl-
reichen Gebeten an die Ahnen, an die lebenspendende Muttergöttin,
an den hehren Urvater redet eine Innigkeit und Herzlichkeit, die aus
einem wirklichen Kindschaftsverhältnis zur Gottheit entspringt. Wir
müssen das moderne Vorurteil ablegen, daß, wie Alfred M a u r y sagte.
„die Furcht der Vater der Religion, die Liebe ihre spätgeborene Tochter"
sei 66. Der wirkliche Primitive ist kein ,Wilder', kein ,Unzivilisierter%
kein halbtierisches Wesen, dessen seelische Triebfedern nur Furcht und
selbstsüchtiges Begehren sind, sondern ein „unverfälschtes Naturkind
von liebenswürdigem Wesen". Koch-Grünberg schreibt über
die kulturell tiefstehenden südamerikanischen Indianer: „Sieht der
Indianer bei einem längeren Zusammensein, daß ihm der Weiße wohl
will, so verschwindet rasch sein Mißtrauen, und seine wahre, liebens-
würdige Natur kommt zum Vorschein. Er gibt sich, wie er in Wirklich-
keit ist, als ein unter normalen Verhältnissen harmloses Naturkind
und belohnt in der Regel die Güte des Weißen mit seinem vollen Ver-
trauen." 65 Wie der Primitive im Verkehr mit jenen Menschen sich
gibt, deren Güte er erfahren, so gibt er sich auch im Verkehr mit den
übernatürlichen Wesen, an deren Güte er glaubt. Dieselbe Herzlichkeit
und Vertraulichkeit, die er gegenüber den Eltern und Verwandten zeigt,
offenbart er auch im Gebet gegenüber jenen hohen Wesen, die ihm als
Vater oder Mutter, Großvater oder Großmutter gelten. Er redet wie
das Kind zu den Eltern: in voller Unbefangenheit — er spricht sich
rückhaltlos aus, er ,schüttet sein Herz aus' ; in schlichter Vertraulichkeit
— Gott ist ihm kein Fremder, er kennt ihn wohl; mit ungekünstelter
Herzlichkeit ■ — ■ er liebt ihn, weil er seine Güte schon oft erfahren hat;
mit inniger Zuversicht — er vertraut auf ihn, er baut auf seine Macht
und seine Freundlichkeit. Europäische Missionare und Ethnographen ,
die Augen- und Ohrenzeugen von primitiven Gebeten gewesen, schildern
uns den tiefen Eindruck, den diese auf sie machten.
„Der Galla," bezeugt Paulitschke, „wendet sich gerne und vertraulich
an seinen Gott." „Die kurzen Anrufungen beim Opfer erfolgen in sehr vertrau-
licher Fomi." 66 John T a n n e r , der dreißig Jahre unter den Irokesen weilte,
schildert uns zwei Gebete, die er bei der Fahrt auf einem See gehört. „Mitten
im See wurden wir von einem argen Sturm überrascht. Wir hielten uns schon
verloren und schrien laut auf. Da erwachte plötzlich die alte Frau, stand auf,
lichtete mit lauter Stimme ein inniges Gebet an den großen Geist, fing dann
an mit erstaunenswerter Lebhaftigkeit zu rudern und ermahnte uns auszuharren."
Ein zweites stimmungsvolles Bild: „Kaum waren wir 200 Schritt weit (vom
Lande) gerudert, da hielten alle Kanots an, und der Häuptling richtete mit lauter
Stimme ein Gebet an den großen Geist, damit derselbe einen gnädigen Blick
auf uns werfen möchte. ,Du hast diesen See gemacht und hast auch uns geschaffen,
deine Kinder, du kannst Ruhe halten auf diesem Wasser, bis wir glücklich und
gesimd darüber hinweggefahren sind.' Ich entsinne mich, daß die Anrufung,
welche der Häuptling an den großen Geist richtete, mir sehr eindrucksvoll vor-
kam und einen tiefenEindruck auf mich machte. Sie hatten sich in ihren
gebrechlichen Fahrzeugen einem ungeheuren See anvertraut und fühlten darum
um so mehr, wie sehr sie in der Gewalt des Wesens waren, das Wind und Wellen
beherrschte."67 Mit beredter Sprache gibt Sa p per die Eindrücke wieder,
die er von den Gebeten der Kekchi-Indianer an ihren Tzultaccä der Berge und
Täler empfing. „Es liegt ein unterwürfiger Respekt in der Art, wie der Indianer
vor die Bildnisse (des christlichen) Gottes und der Heiligen hintritt und zu ihnen
X. Zusammenfassende Charakerist ik 147
betet. Wenn er vor ihnen spricht, so hat man stets das Gefühl, als ob er in Ge-
danken devote Bücklinge vor denselben machte. Wie so anders ist es, wenn er
in feierlich stiller Tropennacht aus dem einsamen Lager im Urwald hervortritt
nach der Richtung hin. in welcher am nächsten Morgen der Marsch fortgesetzt
werden soll, wenn er nun auf einem großen grünen Blatt über mitgebrachten
glühenden Kohlen sein Kopalharz verbrennt und dazu sein altgewohntes Gebet
an Tzultaccä spricht. Da zeigt sich das Vertrauen des Mannes, daß sein heimischer
Gott ihm auch helfen werde, er, der alle seine Nöte und Bedürfnisse soviel besser
kennt als der stolze, fremde Christengott. Lag für mich schon auf gewöhnlicher
sicherer Wanderung etwas Weihevolles in der Art, wie der Indianer frei und
vertrauend sich an s e i n e n Gott wandte, so werde ich den tiefenEin-
d ruck nie vergessen, den ich empfing, als einst in den wilden Urwäldern von
British Honduras nach bangem Tage des Hungers in dämmernder Abendstunde
der älteste meiner indianischen Begleiter mit lauter Stimme seinen Tzultaccä
anrief und um Jagdbeute anflehte, obgleich er das vorschriftsmäßige Opfer nicht
darzubringen vermochte. Und als noch in derselben Nacht, zum erstenmal wieder
nach langer, langer Zeit, in der Nähe das häßliche, meinen Ohren nun höchst
melodisch klingende Geschrei eines Büffelaffen ertönte, da konnte ich mich des
ketzerischen Gedankens nicht erwehren, daß der liebe Gott das vertrauensvolle
Gebet des Menschen erhöre, auch wenn es nicht gerade an seine Adresse ge-
richtet ist." 68
So verleiht die Art des sozialen Verhältnisses, in dem der Beter zur
Gottheit zu stehen glaubt, der Gebetsstimmung eine ganz bestimmte
Färbung. Die Wahl der Worte, der Klang der Stimme, das Mienenspiel
des Gesichtes, Körperhaltung und Geste sind verschieden je nach der
durch das eigentümliche Verhältnis zur Gottheit bedingten Gebets-
stimmung. Diese feinen Variationen psychologisch zu erfassen, ist
nieht möglich, da das Beobachtungsmaterial fehlt. Es genügt, fest-
stellen zu können, daß das Sozialverhältnis zu Gott die Gebetsstimmung
und das ganze Ausdruckssystem zu variieren vermag.
X. Zusammenfassende Charakteristik.
Die Bedeutung des primitiven Gebets.
Das Gebet des Primitiven ist unmittelbarer Ausdruck tiefer, seelischer
Erlebnisse; es quillt spontan aus der Not oder dem Dankgefühl; die
übermächtige Erregung bricht in freien Worten der Klage und Bitte,
des Lobes und Dankes durch. Nirgends äußert sich die Freude am
Leben, der Drang nach Steigerung und Bereicherung des Lebens, kurz
der gesunde Wille zum Leben, der jedes Naturkind beseelt, so rein und
stark wie im Gebet. Leben und Glück erbittet der Primitive von seinem
Gott; nach Irdischem und Vergänglichen ist sein Trachten im Gebet
gerichtet. Mit Verachtung sieht der Philosoph und Mystiker auf dieses
Bitten um Leben und Gesundheit, um Nahrung und Reichtum herab
und verwirft es als eudämonistisches Beten. Und doch muß jeder, der
auf die Herztöne dieser Beter lauscht, innerlich ergriffen werden von
ihrer Inbrunst und Leidenschaft. Diese Verbindung von tiefstem Ab-
hängigkeitsgefühl und höchstem Lebensdrang hat in der Tat etwas
Wundervolles an sich. In der Lebendigkeit des Affektlebens wurzelt
der konkrete Realismus der dem Gebet zugrundeliegenden Gottes-
vorstellung, der die philosophische Kritik herausfordert. Das Gebet
des Primitiven ist keine Meditation, sondern ein Umgang mit dem
gegenwärtigen, lebendigen Gott. Ein dramatischer Realismus eignet
148 A. Das naive Beten des primitiven Menschen
allem urwüchsigen Beten. Alle die drei Hauptmerkmale des primitiven
Gebets — Affektivität, Eudämonismus und Realismus — lassen sich
zurückführen auf die Naivität des primitiven Menschen: Gebetswort
und Gebetsgestus sind der echte, unmittelbare Ausdruck dessen, was er
erlebt. Sein Beten ist von keiner intellektuellen Problematik belastet.
Er reflektiert nicht über die metaphysischen Voraussetzungen des
Gebets, die Existenz der höheren Wesen oder die Möglichkeit, zu ihnen
in ein soziales Verhältnis zu treten. Gewiß ist das Grübeln und Sinnen
über den Ursprung der Welt und über die Rätsel des Lebens dem Primi-
tiven nicht fremd, das lehren seine Mythen, das lehren vor allem seine
Vorstellungen vom Urvater und Schöpfer. Bei manchen Naturvölkern
treffen wir sogar merkwürdige Reflexionen über die Art und Weise,
in denen die höheren Wesen die Opfer genießen. Aber das Beten des
Primitiven ist frei von aller Reflexion und Spekulation. Das Gebet ist
die spontanste religiöse Lebensäußerung, erhaben über alles Denken
und Grübeln. Der Beter fragt nicht, untersucht nicht, zweifelt nicht,
sondern tritt mit Gott in Verkehr, ruft ihn an und schüttet ihm sein
Herz aus. Er handelt mit des Lebens eigenem Recht. Die Irrationalität
der Religion, ja des Lebens überhaupt, tritt uns nirgends so gewaltig
vor Augen wie im Gebet.
Das Gebet des Primitiven ist ein schwacher Nachhall jenes Gebets, das
von den Lippen des Urmenschen kam. Wir ahnen hier die Kraft und
Leidenschaft der Urreligion. Alle Religion, soweit sie lebendig ist,
offenbart dieselbe Kraft und Innigkeit der Urreligion, sie ist im Grunde
nur eine Wiederholung der Urschöpfung der Religion. Will man es
theologisch ausdrücken, so muß man sagen: aller Glaube, alle Religion
wurzelt in der Uroffenbarung. Alles naive Beten — nicht nur das
Beten der Volksmassen, sondern gerade das Beten der großen Genien,
der Propheten und Heiligen, der Dichter und Künstler — ist im Grunde
nur primitives Beten; es zeigt, wie die spätere Untersuchung heraus-
stellen wird, dieselbe innere Struktur; ja der prophetische Typ des
individuellen Gebets gleicht trotz fundamentaler Unterschiede dem
primitiven Gebet in allen Wesenszügen, im Motiv, in der Form, im
Inhalt, in der zugrundeliegenden Gottes Vorstellung, in der Relation
zwischen Mensch und Gott.
In der Frömmigkeit des naiven Menschen und des großen religiösen
Genius lebt die Urform der Religion immer wieder auf. Aber noch in
anderer Weise lebt sie durch alle Jahrhunderte fort. Die religiöse Termi-
nologie bleibt dieselbe, auch wenn die durch sie bezeichneten Inhalte
längst eine Wandlung und Läuterung erfahren haben. In der Gebets-
terminologie und Gebetssprache hat sich der ursprüngliche sinnliche
Realismus des primitiven Betens bis heute erhalten. Wir ,rufen' und
,schreien' zu Gott — der Primitive betet stets laut, auf daß der Gott
ihn höre. In der Not ,eilen' wir zu Gott — der Primitive läuft zu der
Stätte, wo sein Gott wohnt. Wir ,treten' mit Beten ,vor Gott' — der
primitive Beter ist durchdrungen vom Bewußtsein der sinnlichen Gegen-
wart Gottes. Wir , werfen uns nieder vor Gott' — der primitive Beter
wirft sich wirklich in den Staub; die ursprüngliche Gebetsstellung lebt
X. Zussammen fassende Charakteristik 149
jetzt als frommes Bild. fort. Im Salve Regina beten fromme Katholiken
zur Gottesmutter: „Zu dir rufen wir seufzend und weinend" — der
Primitive betet unter Seufzern und Tränen; das ögcjfievov ist zum
leyöfievov geworden. Wir leiten jedes Gebet ein mit einer Anrede an
Gott — der Primitive ruft Gott mit seinem Namen an, daß er auf ihn
aufmerksam werde. Wir sprechen zu ihm ,,mein Gott!", „unser Gott!",
„lieber Gott!", „guter Gott!" — für den Primitiven drücken diese
Worte das Zusammengehörigkeitsgefühl und das herzliche Vertrauen
aus. Wir nennen Gott ,Vater, ,Herr' und ,König', Maria betiteln die
betenden Katholiken als ,Mutter' ,Herrin' und ,Königin' — der Primitive
steht zu seinem Gott im Kindes- oder Untertanen Verhältnis. Wir bitten
Gott: „Höre!" „Erhöre!" „Neige dein Ohr meinem Flehen!" rufen
wir mit dem Psalmisten — der Primitive ist beseelt von dem Glauben
an Gottes Fähigkeit, sinnlich-menschlich wahrzunehmen. Mit einem
Psalmworte beten wir: „Gott, komme mir zu Hilfe!" „Herr, eile mir
zu helfen!" — der Primitive ruft den in der Ferne weilenden Gott, daß
er herbeieile und durch seine Gegenwart helfe. Unsere kurzen, stereo-
typen Gebetsrufe: „Erhöre uns!", „Steh uns bei!", „Gib uns, schenke
uns!", „Erbarme dich unser!" sind keineswegs erst Schöpfungen des
Psalmisten, sondern uralte primitive Gebetsrufe. Die Gebete der römi-
schen Meßliturgie: „Suscipe/" „Accepta habeas /" „Offerimus tibi/"
(„Nimm hin", „empfange", „wir opfern dir") sind uralte primitive
Opfersprüche.
Wie in der Gebetssprache, so haben sich auch in der Gebetshaltung
und im Gebetsgestus die Urformen des Betens treu erhalten. Für ein
Beten im , Geist und in der Wahrheit' sind alle Körperstellungen und
Händehaltungen nebensächlich. Und doch haben die großen Beter
die aus primitiver Zeit überkommenen Gebetssitten bewahrt. Stehen
und Knien, Händeausbreiten, Händefalten und Händekreuzen, Blick
zum Himmel, Entblößen des Hauptes wurden zu den Gebetssitten
des christlichen Abendlandes. Die alte Gebetsstellung des Hockens ist
im Buddhismus zur Kontemplationsstellung geworden. So halten die
beiden höchsten Religionen der Erde in ihren äußeren Gebetsformen
treu an dem Erbe der primitiven Religion fest.
B. Die rituelle Gebetsformel.
Das Gebet ist ursprünglich eine spontane Affektentladung, ein freies
Ausschütten des Herzens. Im Laufe der Entwicklung wird es zu einer
feststehenden Formel, die der Mensch affekt- und stimmungslos, herz-
und gedankenlos rezitiert. Ursprünglich ist das Gebet ein trauter per-
sönlicher Umgang mit Gott, allmählich wird daraus eine starre, un-
persönliche Kultform, ein durch den mos maiorum geheiligter Ritus.
Ursprünglich quillt das Gebet unmittelbar aus tiefster Not oder höchstem
Glück, später ist es an feste, regelmäßig wiederkehrende Anlässe ge-
bunden . Ursprünglich ist das Gebet der formlose Ruf eines Bedrückten
oder Beglückten, begleitet höchstens von einer schlichten Gabe und
Spende, später ist es der unveräußerliche Bestandteil eines komplizierten
Rituals, verbunden mit mannigfaltigen Reinigungen, Opfern, Prozes-
sionen, Tänzen und Weihen. Ursprünglich ist das Gebet die persönliche
Äußerung eines Individuums oder des Hauptes einer Gruppe, später
wird es zum unpersönlichen Amtsgeschäft der Priester. Schon bei
Naturvölkern vollzieht sich dieser Erstarrungs- und Mechanisierungs-
prozeß, der aus dem freien Gebet die genau fixierte Gebetsformel hervor-
gehen läßt. Am Feste der Erstlingsfrüchte spricht der Buschmann-
Häuptling ein Gebet, das jährlich in derselben Weise wiederholt wird. x
Die Weddas auf Ceylon besitzen zahlreiche Gebetsformeln, welche der
Schamane rezitiert und der Schamanenschüler auswendig lernt. 2 Die
Bantu und Negrillo besitzen nach dem Zeugnis von Le Roy neben den
freien Gebeten ,, formelhafte'', ,,die geheiligt sind durch den Gebrauch,
welche die Kultdiener bei bestimmten Anlässen rezitieren." 3 Von den
Baronga schreibt Junod: „Die meisten Gebete tragen einen extrem
liturgischen Charakter. Jeder weiß, was bei einer bestimmten Gelegen-
heit, beim regelmäßigen Opfer zu sagen ist. Das persönliche Element
fehlt fast völlig." 4 Die Batak besitzen feststehende Gebetsformeln,
welche von den Zauberern, Opferpriestern oder Häuptlingen hergesagt
werden. 5 Die Melanesier unterscheiden ausdrücklich die spontane,
formlose Anruf img der Ahnen von dem tataro, der strenggebundenen
Gebetsformel. 6 Einen noch viel breiteren Raum nehmen die Gebets-
formeln im Kult der antiken Völker ein, vor allem in der vedisch-brahma-
nischen Religion, welche das größte Ritualbuch, den Yajurveda, besitzt, 7
in der ägyptischen Religion, in der die alten Gebetsformeln zu Zauber-
worten geworden sind, in der römischen Religion, in welcher die formale
Gebundenheit des Betens am strengsten durchgeführt ist. 8
Wie ist das Gebet aus einem freien Herzenserguß zur unbeweglichen,
starrenForm geworden ? Wie schon oben (S. 49f.)bemerkt wurde, vollzog
sich dieser Entwicklungsgang nicht direkt, sondern über eine Zwischen-
etappe. Das biegsame, elastische Schema, das in freier Weise dem
B. Die rituelle Gebetsforrnel 151
konkreten Augen blieksbedürfnis angepaßt wird, ist das Bindeglied
zwischen der spontanen, formlosen Affektäußerung und der genau
fixierten Formel, die als Traditionsgut weitergegeben wird. Die diesen
Erstarrungsprozeß bedingenden bzw. begünstigenden Momente sind
die häufige Wiederkehr des Gebetsanlasses wie die enge Verbindung
mit bestimmten Ritualhandlungen. Die kultischen Handlungen ver-
festigen sich ungeheuer rasch zu heiligen Riten ; durch die Verbindung
mit ihnen wird auch das sie begleitende Gebet in diesen Verfestigungs-
prozeß hineingerissen. Als sekundäre Momente kommen in Betracht
ein wachsendes Gefühl der Unsicherheit gegenüber der Gottheit, das
sich nur bei festen Formeln beruhigt, sowie der Mangel selbständiger
Ausdrucksfähigkeit, der zur Benützung von Formularen zwingt.
Die Anlässe zum formelhaften Gebet sind zumeist regulär; besonders
sind es die großen Feste, zu deren Ritual bestimmte Gebetsformeln
gehören. Man verwendet solche aber auch bei außerordentlichen Ge-
legenheiten, in konkreten Nöten und Anliegen. Die Gebetsformel dient
zumeist als Begleitung einer Opferdarbringung, eines Weihe- oder Reini-
gungsaktes 9. Daneben gibt es auch selbständige Gebetsformeln, die
nicht einem Opfer- oder Lustralritual angehören, z. B. die Morgen- 10
und Abendgebete, die der Einzelne regelmäßig verrichtet.
Die Gebetsformel ist stereotyp, streng verbindlich; der Wortlaut ist
unantastbar, sakrosankt; kein Beter darf sich anmaßen, an den Worten
irgendetwas zu ändern n, so wenig er sich unterstehen darf eine Modi-
fikation der heiligen Opfer-, Sühne-, oder Weihehandlung vorzunehmen-
Mit peinlicher Sorgfalt achteten die Römer auf die korrekte Rezitation,
der Gebetsformel. Damit der Liturge jedes Wort an der richtigen Stelle
sprach und nicht etwa Worte miteinander vertauschte, las der Pontifex
oder ein Beamter ihm die überlieferte Formel vor. 12 Ein Abweichen
vom Wortlaut macht das Gebet und den ganzen rituellen Akt ungültig.
Nach Cicero lautet das römische Axiom: ,,Si aedilis verbo aut simjyuvio
aberraverit, ludi non sunt rite facti'''' („Wenn der Ädile auch nur bei
einem Worte oder Opferguß einen Fehler macht, dann sind die heiligen
Spiele nicht richtig vollzogen.") 13
Die rituelle Formel besitzt eine ungeheuere Stabilität. Unverändert
wird sie durch Jahrhunderte weitergegeben. Die ägyptischen Kult-
bücher der hellenistisch-römischen Epoche reproduzieren getreu die
alten Ritualtexte, die ehemals an die Wände der Pyramiden geschrieben
Maren. ,,Noch unter den Cäsaren vollzieht man mit peinlicher Sorgfalt
die alten Zeremonien, die aus den Anfängen der ägyptischen Geschichte
stammen und deren kleinstes Wort und unscheinbarste Geste ihre
Bedeutung haben " (Cumont). 14 Die altheiligen Gebetsformeln sind
noch im Gebrauch, nachdem die religiösen Anschauungen sich längst
gewandelt haben. Ja man fährt fort, sie zu rezitieren, auch wenn ihre
Sprache nicht mehr verstanden wird. Noch in der römischen Kaiserzeit
wurden altlateinische Gebete gesprochen, die selbst den Priestern
•iänzlich unverständlich waren 15. Ja selbst in fremde Sprachgebiete
werden bisweilen solche altheilige Gebetsformeln verpflanzt. So beten
die Wadschagga das Morgengebet in der Masaisprache. 16 In den hei-
152 Die rituelle Gebetsformel
lenistischen Isismysterien bedient sich der Priester beim heiligsten
Akt, bei der Tabernakelöffnung, der ägyptischen Sprache. 16 Die Fort-
dauer der alten Ritualformeln trotz des Fortschritts der Sprache oder
der Übernahme durch andersredende Völker bedingt die Entstehung
ganzer Sakralsprachen. Die älteste Sakralsprache ist das Sumerische,
das den semitischen Assyrern und Babyloniern stets als heilig galt.
Neben jenen Gebetsformeln, die aus ehedem freien Gebeten heraus-
wuchsen und dann unverändert fortgeerbt wurden, stehen solche, die
für bestimmte Zwecke erst neu geschaffen wurden. Diese sind jedoch
keine freien Gebete, eingegeben von dem Affekt des Augenblicks, sondern
absichtlich verfaßt, komponiert oder doch prämeditiert nach dem
Muster anderer Gebetsformeln. Sie sind meist das Elaborat bewußt
schaffender Priester oder Beamten. Die Fassung solcher Gebete muß
strengen Anforderungen genügen. Der Offiziant der Batak muß sich
der gewähltesten Ausdrücke bedienen. 17 In China wurden bei feier-
lichen Opferzeremonien die Gebete niedergeschrieben und abgelesen. 18
Die römische Gebetsformel mußte schriftlich fixiert und in wörtlicher
Übereinstimmung mit dem geschriebenen Formular vorgetragen wer-
den; 19 den Gebetsworten mußte eine offizielle Feierlichkeit eigen sein.
„Besondere Sorgfalt verlangt aber auch die Fassung des speziellen
Inhalts des Einzelgebets, für welches vor allem die Regel gilt : „in precibus
nihil esse ambiguum debet" (,,in den Gebeten darf nichts zweideutig
sein"); da alle aus dem ins sacrum sich ergebenden Rechtsfragen nach
dem ins strictum entschieden wird und für sie der Grundsatz gilt: „uti
Lingua nuncupasset, ita ins esto" („wie die Zunge es ausgesprochen,
so soll es gelten!"), so muß der Wortlaut des Gebets so gefaßt sein,
daß weder Art und Umfang der dem Gott gelobten Darbringung noch
der Inhalt der von diesem erwarteten Gegenleistung den geringsten
Zweifel zuläßt" (Wissowa). 20
Dadurch, daß die in den verschiedensten Anliegen ausgesprochenen
Gebetswünsche Formelcharakter erlangen, daß ferner für bestimmte
Anlässe neue Formeln verfaßt werden, entsteht allmählich ein ganzes
System von Gebetsformularen, die dann Fall für Fall ausgewählt werden.
Die großen antiken Priesterreligionen haben für alle Nöte und Bedürf-
nisse ein spezielles Opferritual und Gebetsformular. ,,Die rituelle Kunst
hatte mehr und minder jeden Wunsch vorhergesehen und für ihn die,
wenn auch noch so geringe Opferspende samt dem dazu gehörigen
Spruch festgestellt; überall ein fertiges liturgisches Formular" (Olden-
berg) 21. Die umfassendste Sammlung von solchen Gebets- und Opfer-
formularen stellt der indische Yajurveda dar; doch enthält er neben
eigentlichen Gebetsformeln zahlreiche andere Formeln, die wir der
Sphäre des Zauberspruches zuweisen müssen.
Wie der Wortlaut, so ist auch der Vortrag durch strenge Vorschriften
geregelt. Bei den zeremoniellen Batakgebeten darf kein Wort falsch
ausgesprochen oder betont werden 22. Die Gebetsformeln der Römer
müssen deutlich und ausdrucksvoll rezitiert werden. Jedes Versprechen
oder Stocken macht das Gebet wirkungslos. 23
B. Die rituelle Gebetsforniel 153
Die feierliche Rezitation ist die häufigste Vortragsform der Gebets-
formel. Daneben findet sich auch das Singen des Gebets. Nach Le Roy
werden die Gebetsformeln der Bantu und Negrilo teils gesprochen, teils
gesungen 24. Der Gesangsvortrag setzt stets einen genau festgesetzten
Text voraus . Auch das Murmeln der Gebetsformel ist bezeugt ; so wird
der Opferspruch in der vedisch-brahmanischen Religion vom Opfer-
priester gemurmelt. 25 Es scheint, daß die Vortragsweise der Zauber-
formel auf die Gebetsformel übertragen wurde.
Der zeremoniöse Charakter einer rituellen Handlung verlangt, daß
die opfernde und betende Amtsperson nicht im Alltagskleide, sondern
im Festgewande oder gar in einer besonderen liturgischen Tracht vor
der Gottheit erscheint. Der Priester der birmanischen Katchin betet
am Jahresfeste in zeremonieller Kleidung und Kopfbedeckung. 26 Bei
größeren Opfern der Batak legen der Beter und die Opferer Festkleider
und Schmuck an (nur bei den kleinen Hausopfern ist dies nicht nötig).
Die feierlichen Batakopfer sind nicht nur von einem steifen Zeremoniell,
sondern von einem komplizierten Taburitual umgeben; eine Unmenge
von Heiligkeitsvorschriften muß beachtet werden, soll nicht alles ver-
geblich sein. Der Opfernde darf nicht mit dem Schatten eines Menschen
oder Gegenstandes in Berührung kommen. Seine Kleidung muß rein,
das Gesicht gewaschen, das Haar geglättet sein. Während der Feier
darf er nicht gähnen, nicht ausspucken, seine Kleidung darf nicht
in Unordnung kommen. Niemand darf ihn berühren oder an-
reden oder seinen Namen nennen. Am Opfertage darf niemand
grobe Arbeit verrichten. Acht Tage lang nach dem Opfer muß sich der
Opferherr und der Opferpriester jeder Verwünschung enthalten. 27
Umgeben von einer Unzahl solcher Tabugesetze, muß das Gebet not-
wendig seinen ursprünglichen Charakter als Rede mit Gott verlieren
und zu einem zauberhaft wirksamen Ritus analog den vielen anderen
herabsinken.
Der Inhalt des rituellen, gebundenen Gebets ist im Grunde derselbe
als der des naiven, freien Gebets, dessen Erstarrungsform es darstellt.
Auch in ihm ist der Kern die Bitte um irdische Güter, die Einladung
zum Opfer oder das Gelübde. Aber die Anrede ist viel wortreicher,
Huldigung und Lob stehen im Vordergrund, die naiven Mittel der
Überredung treten zurück. Ein besonderer Wert wird auf die Nennung
des richtigen Namens oder Ehrentitels gelegt. In China muß jedes
höhere Wesen von den Gebetsbeamten mit dem rechten Titel benannt
werden, der Himmel heißt ,erhaboner Himmel', ,hoher Herr', der Ahn-
herr , hoher Ahn', die Erde fürstliche Erde' usw. 28 Weil man in Rom
über die richtigen Namen und Titel der Gottheit in Ungewißheit war,
so fügte man der Invokation die vorsichtige Bemerkung bei: .,sive
deus es sive dea es" („magst du ein Gott sein oder eine Göttin"); und
die aufgezählten Namen und Prädikate beschloß man mit dem Satz:
„seu quo nomine vis appellari" (,,oder mit welchen Namen du sonst
genannt sein willst"). 29
Eine Eigentümlichkeit der komponierten rituellen Gebete ist die An-
rufung mehrerer oder vieler höherer Wesen 30. Wir treffen sie schon bei
154 f{- Die rituelle Gebetsformel
Naturvölkern, zumal in den Gebeten der Baronga und Batak, welche den
Übergang vom naiven, freien zum rituellen, fixierten Gebet darstellen.
(S. o. S. 128) Wird nach der Anrufung einer jeden Gottheit dieselbe
stereotype Formel wiederholt, so nennen wir ein solches gebundenes
Gebet eine Litanei. Die Cora-lndianer rezitieren solche Litaneien all-
jährlich am Fruchtbar keitsfeste. 31 Besonders häufig begegnen sie uns
in den babylonischen Bußritualen (s. u. S. 175 f.).
Das gebundene Gebet ist zumeist das Gebet einer Gruppe — eines
Stammes, einer Stadt, eines Volkes — durch den Mund ihres priester-
lichen Stellvertreters. Daneben gibt es solche formelhafte Gebete, die
ein Priester in besonderem Auftrage eines Einzelnen verrichtet. Wohl
gibt es auch Gebetsformeln, die der Laie spricht, z. B. die täglichen
Gebete (Morgen-, Abend- und Tischgebet) oder die regelmäßigen Opfer-
gebete an die Ahnen, die jeder Hausvater verrichtet. :52 Aber die eigent-
lichen Ritualgebete, von welchen die Opfer oder andere rituelle Hand-
lungen begleitet werden, werden nur vom Priester oder dem als Priester
fungierenden Herrscher oder Beamten rezitiert. Die formelhaften Gebete
bei den Batak werden vom Zauberer oder vom Opferpriester, bisweilen
auch vom Häuptlinge gesprochen. 33 Bei den Katchin sind die eigent-
lichen Gebetsformeln Sache des Priesters, der für Häuptling und Volk
betet. 34 In China wie in der hellenischen Polis, wo ein eigentlicher
Priesterstand fehlt, werden die rituellen Gebete an den Festen oder bei
außerordentlichen Anlässen von den Staatsbeamten gesprochen. Die
Chinesen unterscheiden sogar zwei Kategorien von Gebetsbeamten : den
,großen Beter' und die ,kleinen Beter' entsprechend den großen und
kleinen Opferzeremonien. Diese liturgischen Ehrenämter werden seit
alter Zeit gewissen Staatsbeamten ad hoc übertragen. 35 Im alten Rom
sind die Ritualgebete teils Sache eines Priesterkollegiums (pontifices,
augures, Salii), teils Sache der Beamten (des Konsuls oder Aedilen).
Bei den feierlichen indigitamenta sprach der Pontifex dem Priester oder
Beamten, der indigitabat, die überlieferte Formel vor {praeibat). 36
Im alten Indien waren die Brahmanen „die Inhaber der Kunst des
rechten Opferns und Betens". 37 Als später das Ritual wesen sich immer
mehr komplizierte, wurde das Opfergebet die Aufgabe des adhvaryu;
er vollzog die eigentliche Opferhandlung und murmelte den Opferspruch.
Der Brahmane hingegen überwachte als Oberpriester den korrekten
Vollzug der ganzen heiligen Handlung. 38 Das Beten wird so zur nüch-
ternen Amtssache, zum priesterlichen Geschäft.
Das Beten ist ursprünglich ein unmittelbarer Verkehr, Umgang, Aus-
tausch des Menschen mit Gott. Ist es aber in der stereotypen Ritual-
formel erstarrt, so droht das Bewußtsein der Gegenwart Gottes und
des Kontaktes mit ihm sich zu verlieren. Wo nicht mehr starke Gefühls-
regungen wirksam sind, schwindet die innere Anteilnahme. Die Gebets-
formeln werden entweder mit zeremonieller Steifheit und offizieller
Kälte rezitiert oder rein mechanisch heruntergeplappert . Das mechanische
Beten ist seelenlos, gedanken- und stimmungslos. Der Liturg, der die
Formel spricht, konzentriert seine Aufmerksamkeit ängstlich darauf,
keinen Fehler zu machen, nichts auszulassen, jede Silbe richtig zu be-
B. Die rituelle Gebetsformel 155
tonen. Die beiwohnende Menge der Laien ist von frommer Scheu vor
dem Unverstandenen und Geheimnisvollen erfüllt, oft aber ignoriert
sie in andachtsloser Weise den Kultakt. „Die Aufmerksamkeit der
zuhörenden Menge," sagt Warneck von den Batakopfern, „läßt viel
zu wünschen übrig. Andacht ist für die Wirkung des Opfergebetes
nicht erforderlich.'' 39 Gilhodes erzählt von den Katchin: Der Priester,
der die liturgischen Gebete spricht, „ist wohl der einzige, der auf das,
was er sagt, ein wenig aufpaßt. Die Beiwohnenden beschäftigen sich
mit etwas anderem; die Kinder ergötzen sich, die Erwachsenen trinken
Bier, rauchen Opium und unterhalten sich". 40 Ähnliches berichtet
Junod von den Baronga. „Die Gebete an die Ahnen offenbaren nicht
viel religiöses Fühlen und sind in gewisser Hinsicht gänzlich frei von
Ehrfurcht. Während des Opfers lachen die Eingeborenen, sprechen mit
lauter Stimme, tanzen, singen obszöne Lieder, unterbrechen sogar das
Gebet mit ihren Bemerkungen und beschimpfen sich gegenseitig wegen
Familienangelegenheiten. Der Offiziant selbst spricht in monotoner
Weise, gerade nach vorne starrend, in gänzlicher Gleichgültigkeit. Es
ist nichts in seinem Benehmen, was Ehrfurcht oder Respekt verrät." 41
Ursprünglich ist das Gebet wie das Opfer ein Mittel des Menschen,
um auf Gott einzuwirken und ihn zur Erfüllung seiner Wunsche zu
bestimmen. Durch die Ritualisierung und Mechanisierung wird es zu
einer in sich selbst wertvollen und wirksamen Formel. Die Form, nicht
der Inhalt des Gebets bewirkt die Erhörung. Der Beter braucht nur
auf die korrekte Rezitierung der Formel achten, und er darf gewiß sein,
daß seine Wünsche in Erfüllung gehen. Die innere Anteilnahme an den
Gebetsworten, die Stimmung der Ehrfurcht, das Abhängigkeitsgefühl,
das Vertrauen, kurz alles seelische Erleben ist nebensächlich und ent-
behrlich. Die formelle Korrektheit ist die ausschließliche, aber unum-
gängliche Bedingung für die Wirksamkeit des Gebets.
Im naiven Beten äußert sich stets ein lebendiges soziales Verhältnis
zwischen Mensch und Gott, vor allem ein Venvandtschaftsverhältnis.
Wo aber das Gebet in der formelhaften Gebundenheit erstarrt und zu
einem Stück im festgeregelten Sakralsystem wird, tritt unvermeidlich
eine Erkaltung und Entfremdung der Beziehungen ein. An die Stelle
dos ungezwungenen Verkehrs mit der Gottheit tritt ein steifes, zere-
monielles Form wesen. Warneck schreibt von dem Opferkult der Batak:
„Das bunte und reiche Zeremoniell bewegt sich in den Formen, die
auch die Menschen im gesellschaftlichen Leben untereinander beobachten.
Denn der Kodex der Höflichkeit und des guten Tones in allen Lebens-
lagen ist durch Herkommen und Sitte bis ins Einzelne festgelegt."
„Beobachtung der Sitte ist viel wichtiger als spontaner freier Herzens-
erguß." 42 Noch steifer ist das juridische Verhältnis zur Gottheit, das
sich im Beten der Römer so scharf ausprägt. Der Mensch steht zu den
Göttern in einem Rechtsverhältnis, in dem alle Leistung und Gegen-
leistung genau abgemessen ist. Das Gebet ist die zur Ritualhandlung
gehörende notarielle llcchtsurkunde, die mit juristischer Sachlichkeit,
Schärfe und Trockenheit abgefaßt, aufgezeichnet und von einer Amts-
person verlesen wird. Es ist. wie Wissowa treffend sagt, „die zu jeder
156 B. Die rituelle Gebets forme 1
sakralen Handlung nötige mündliche Erklärung, die das sakrale Rechts-
geschäft von seiten des Sterblichen perfekt macht und, wenn in richtiger
Form abgegeben, zugleich die Gottheit in dieses einzutreten zwingt."
„Da so eine Bindung der Gottheit durch den Sterblichen erfolgt, kann
man geradezu von einer ,legum dictid' auf seiten des letzteren reden." 43
Dieses durch zeremonielle Steifheit oder juristischen Formalismus ge-
bundene Gebet ist noch ein wirkliches Gebet; es spiegelt noch irdisch-
soziale Verkehrsformen wieder. Der Mensch sucht irdischen Analogien
gemäß durch Einhaltung des Höflichkeitszeremoniells oder durch einen
rechtlichen Vertrag die höheren Wesen zu bewegen und zu zwingen,
seinen Wünschen zu willfahren. Aber die Erfüllung der Bitte liegt
selbst nach der römischen Auffassung noch im freien Willen der Gottheit.
„Vorausgesetzt, daß der die Handlung vornehmende Augur die richtige
Formel anwendet und bei ihrem Vortrag keinerlei Verstoß begeht, ist
die Gottheit gehalten, ihre Zustimmung ■ — falls sie sie über-
haupt erteilen will — eben in der erbetenen und nicht in einer
anderen Form kundzugeben" (Wissowa). 43 Die durch die Gebets-
formel bewirkte Bindung der Gottheit ist eine relative, keine absolute.
Aber hier vollzieht sich bereits der Übergang der Gebetsformel in die
echte Zauberformel. Die Gebetsformel verliert völlig den Gebets-
charakter und sinkt zum Zauberspruch herab, wenn den Gebetsworten
eine unfehlbare, immanent-magische Kraft zugeschrieben wird,
durch die entweder ein absoluter Zwang auf die höheren Wesen aus-
geübt wird oder gar unter Ausschaltung jeder Tätigkeit der höheren
Wesen der Wunsch des Rezitierenden direkt und automatisch realisiert
wird.
Wo das Riten- und Formelwesen um sich greift, wird das spontane
und freie Beten des Einzelnen immer mehr zurückgedrängt. Der Mensch
glaubt, genug getan zu haben, wenn er die traditionellen Riten vollzieht,
die Tabuvorschriften beachtet und die heiligen Formeln fleißig rezitiert.
Befindet sich jemand in einer konkreten Notlage oder hat jemand ein
besonderes Anliegen auf dem Herzen, so geht er zum -Priester oder
Zauberer, daß er aus seinem reichen Formelschatze eine passende,
kräftige Formel auswähle und an seiner Statt unter Opferdarbringung
rezitiere. Das religiöse Leben in seiner unmittelbaren Kraft und Unge-
bundenheit wird so unterdrückt und erstickt. Die spontanen Äußerungen
des religiösen Bewußtseins werden auf ein Minimum reduziert. Aber
sterben kann das freie Gebet nie, weil die religiösen Urgefühle nicht
sterben können. Tiefe Nöte und heiße Wünsche geben dem Individuum
immer wieder die Kraft, den ganzen Wust von Riten und Formeln zu
vergessen und durch einen leidenschaftlichen Gebetsruf sich den un-
mittelbaren Weg zu Gott zu bahnen.
C. Der Hymnus.
j
In der religiösen Literatur der meisten antiken Völker, der Inder,
Sumerer, Babylonier, Ägypter, der alten Mexikaner und Peruaner
nimmt der Hymnus einen wichtigen Platz ein. Er ist jedoch keine
literarische, sondern eine kultische Größe, ein Stück des komplizierten
Rituals, das den antiken Kulturreligionen eigen ist. Seinem Zweck und
seiner Form nach ist der Hymnus ein Gebet; man redet in ihm eine
Gottheit an, man wendet sich an ein höheres Wesen, dessen Gunst
man gewinnen will. Und doch ist der Hymnus etwas anderes als das
schlichte Bitt- oder Dankgebet des naiven Frommen, ja selbst etwas
anderes als die feierliche Gebetsformel, die der Priester bei einer Ritual-
handlung spricht. Wie schon die Bedeutung des Wortes Hymnus zeigt,
unterscheidet sich der Hymnus vom Gebet durch seine Form wie seinen
Inhalt. Er ist ein Gesang, ein Lied, also ein poetisches Gebilde, ein
Gedicht, ein Kunstwerk. Er ist weiterhin ein Lob- oder Preis lied ;
Klage, Bitte, Überredung und Dank treten zurück hinter dem Lob-
preis der Größe und Macht des Gottes, bisweilen fehlen sie völlig. In
seiner vollentwickelten Form ist der Hymnus ein Charakteristikum der
großen antiken Ritualreligionen ; die Ansätze zum Hymnus finden wir
aber bereits bei den Naturvölkern wie bei jenen antiken Völkern, welche
nicht zur Bildung eines komplizierten Sakralsystems fortgeschritten sind .
I. Das primitive Gebetslied.
1. Die formalen Elemente des Hymnus, Rhythmus und Gleichklang,
Parallelismus membrorum, Stichenbau und Strophengliederung be-
gegnen uns bereits in manchen primitiven Gebeten.
Ein natürlicher Rhythmus schwingt schon in den kurzen, mehrmals wieder-
holten Gebetsrufen, die wir als die ursprüngliche Form des Gebetes bezeichneten.
,, Guter Geist, gib Büffel, Büffel, Büffel, dicke Büffel gib uns, guter Geist!" 1
lautet ein Indianergebet. Uralt sind die beiden früher schon erwähnten Gebete
der Athener an Zeus und Demeter, welche die Rhythmik primitiven Betens gut
veranschaulichen:
ioov, $001', o) cpü.e Zev, xaxä rag äoovoag tag zibi> 'A&rjvaicov.
(,, Regne, regne, o lieber Zeus, herab auf die Fluren der Athener!") 2
nXelozov ovXov ov'/.ov ist- XovXoi' Zet.
(Große Garben, Garben schicke, Garben schicke!") s
In vorhistorische Zeit reicht wohl das Lied der römischen Arvalbrüder zurück:
,,Enos, Lases, iuvate
Neve lueruern. \[ns. sins incurrere in pleoris.
Satur furere, Mars, Urnen sali, sta, Berber.
Seniums altemei advocapil cunctos,
Enos, Marina r. iuvate!
Triumpe, triumpe, triumpe!" 4
158 .01. J)as primitive Gebetslied
(„Wohlan, Laren, helfet!
Laß nicht Seviche und Ruin befallen die Menge!
Sei satt (= habe genug), Hais, spring über die Grenze, bleib stehen, Berber
(= Mars)!
Alle Geister wird er im Wechselgesang anrufen.
Wohlan, Marmar (= Mars), hilf!
Triumph ! Triumph ! Triumph ! " )
Derselbe kräftige Rhythmus zeichnet das altgriechische Dionysoslied aus. in
dem der wilde bacchantische Gott zum Kommen aufgefordert wird:
'EXd-Eiv, ■iJQco /liövvae,
"" Hkelov (?) i-g vabv äyi'öv,
abv XaoiTsaoiv ig vaöv,
ttp ßoeip jtoöi &v<or,
äi-ie iavQ£, ti^ie tavQe. s
(,. Komme, du Held Dionysos,
In den heiligen Tempel von Elis,
Mit den Charitinnen in den Tempel.
Mit dem Stierfuß stampfend,
Du edler Stier! Du edier Stier!")
Der Gleichklang kommt zur Geltung in dem althebräischen Kultliede, das man
sang, wenn man die heilige Lade Jahwes mit in die Schlacht nahm (Num 10, 35):
qütnd, Jahwe, icejäpkusü 'ojebekhä wejdnusü mesan'ekhä mippdnekhd.
(„Steh auf, Jahwe, daß zerstieben deine Feinde und daß fliehen deine Hasser,
vor deinem Angesicht!")
Während in den kurzen Gehetsformeln und Kultliedern Rhythmus und Gleich-
klang hervortreten, zeigen längere Gebete den Parallelismus membrorum und
Strophen. Als erstes Beispiel diene das Gebet der Kekchiindianer vor der Maisernte
..Du o Gott, du mein Herr,
du meine Mutter, du mein Vater,
du Herr von Berg und Tal.
Jetzt und ebenso in drei Sonnen, in drei Tagen
werde ich beginnen mit dem Zusammenlesen meines Maises
vor deinem Mund, vor deinem Angesicht,
du Herr der Berge und Täler,
zeig ihn mir also vor meinem Leib, vor meiner Seele.
Ein klein wenig deines Essens, deines Trinkens gebe ich dir;
es ist (fast) nichts, was ich dir gebe:
aber ich habe Vieles und Gutes
von meinem Essen, meinem Trinken;
du hast es gezeigt meiner Seele, meinem Leibe,
du meine Mutter, du mein Vater.
Ich fange also mit dem Ernten an,
ich werde aber heute nicht mit dem Ernten fertig
vor deinem Munde, vor deinem Angesichte.
Wer weiß, wie viele Sonnen, wie viele Tage ich ernte;
es geht nicht schnell im Unkraute zusammenzusuchen,
ich vollbringe es wohl nur langsam.
Wer weiß, bis wann ich zu dir sprechen kann,
du meine Mutter, du mein Vater,
du Engel, Herr der Berge und Täler.
Ich werde wieder zu dir beten,
warum denn nicht, du mein Gott."6
Noch schärfer ist der Parallelismus der Glieder in manchen Opfergebeten der
Batak durchgeführt.
Ol. Das primitive Gebetslied (Form) 159
..Eines Sinnes mit unserem Großvater, dem großen Gott,
der den Leib bildet, der die Brust breit macht,
der die Waden feist macht. der die Finger schlank macht,
der den Kopf rund macht, hell das Auge, hörend das Ohr,
Hörend sei dein Ohr, hell dein Auge,
uns zu bewachen, daß wir gesund und wohlauf.
Gib uns doch Söhne, die kriegerisch, Männer des Rats und Vorkämpfer.
Gib uns Töchter, die da kochen können einen großen Topf,
die geschickt sind zu weben, willig zu schenken.
Zahlreich sind die Sterne, es ballen sich die Wolken,
So seien die Söhne zahlreich und mögen sich mehren die Töchter." 7
Religiöse Innigkeit und poetische Schönheit vereint das folgende Khoikhoigebet,
das an den Urvater und Himmelsgott Tsuigoa gerichtet ist. Mit Recht bemerkt
Max Müller, daß es „kaum tiefer steht als manche Hymnen des Veda und
Avesta".
..Du, o Tsuigoa,
du Vater der Väter,
du bist unser Vater.
Laß die Donnerwolke strömen,
Laß unsere Herden leben,
laß uns leben!
Fürwahr, ich bin gar schwach
vor Durst, vor Hunger.
O daß ich doch die Früchte des Feldes essen möchte!
Bist du nicht unser Vater,
der Vater der Väter,
du Tsuigoa ?
O daß wir dich preisen mögen!
() daß wir dir wieder zurückgeben mögen!
Du Vater der Väter,
du, o Herr,
du Tsuigoa." 8
Dem poetischen Charakter entsprechend, werden diese hymnenartigen
Gebete vielfach gesungen. So tragen die Khoikhoi ihre Gebetslieder
zu Ehren der Urväter Tsuigoa und Heitsieibib wie des Neumondes
singend und tanzend unter Begleitung einer primitiven Schilfrohrmusik
vor. 9 Auch von anderen Bantustämmen ist dies bezeugt. So schreibt
Bischof Le Roy: ,,Die Bantu haben Hymnen und Gesänge, die von
Tanz und Musik bagleitet werden. Diese Tänze werden meist nachts
bei Mondschein aufgeführt, bei Tag in großen Hütten. Die Hymnen
müssen sehr alt sein, ihr Sinn ist uns heute bisweilen unverständlich;
übrigens geben sich die Neger, die die Tänze aufführen, offensichtlich
selbst wenig Mühe sie zu verstehen. In der außerordentlichen Exaltation,
in der sie sich befinden, sind sie vor allem bestrebt, den Rhythmus
einzuhalten und die Melodie; zu beachten. Die meisten dieser mit Leiden-
schaft und Überzeugung wiederholten Gesten sind in ihrer Einfachheit
und wilden Energie äußerst eindrucksvoll und bilden unvergeßliche
Szenen für den, der ihr Zeuge war." 10
160 C I. Das primitive Gebetslied
2. Aber nicht nur die poetische Form und die Art des Vortrags zeigen
die Annäherung dieser Gebete und Lieder an die antiken Kulthymnen,
auch der Inhalt weist häufig hymnische Elemente auf. Der Lobpreis,
der in den primitiven Gebeten nur zur Unterstützung der Bitte dient,
tritt stärker hervor. Enthusiastische Jubelrufe bilden den wirkungs-
vollen Abschluß des griechischen Dionysosliedes wie des altitalischen
Liedes der Arvalbrüder. Zahlreiche Batakgebete häufen die ehrenden
Epitheta des Gottes, in welchen seine Macht und sein Wirken geschildert
wird, genau so wie es in den antiken Kulthymnen geschieht.
„Beschütze uns, Großvater, uns zu schirmen.
Muladjadi, der Große, Ursprung der Macht, Ursprung der Schöpfung,
der da breitschlägt den Schädel, aushöhlt das Ohr, rund macht das Herz,
ausbreitet die Leber, auseinanderspaltet die Finger."
Ein anderes Opfergebet beginnt mit dem schwulstigen Lobpreis:
,, Großvater! Du bist es also,
Der aufhebt und es blitzt,
Der sich herumdreht und es kommt Wind.
Der sich wendet und es kommt Erdbeben, . . .
Der Niederlage bewirkt.
Du bist also der Großvater,
Der Gras als Haare, Bäume als Rippen,
Steine als Knochen, Lehm als Fleisch hat.
Du bist also der Ursprung des Grases,
Ursprung des Rotang, Ursprung der Schlingpflanze." n
Hier treffen wir bereits die breite, schwerfällige und dunkle Ausdrucks-
weise, die unlebendige und langweilige ,Poesie', die uns in dem größten
Teil der vedischen, assyrischen und ägyptischen Hymnen entgegenstarrt.
Die wesentlichen formalen und materiellen Elemente des Hymnus
lassen sich schon in den Gebeten und Gebetsformeln primitiver Völker
herausstellen. Gleichwohl können wir hier nur von Ansätzen zum
eigentlichen Hymnus reden. Alle angeführten Beispiele — die letzten
abgesehen — sind echte Gebete, in ihrem Zentrum steht die Bitte, der
Lobpreis ist nicht der Hauptinhalt, sondern bildet nur Umrahmung dei
Bitte. Auch ist der formale Unterschied dieser Gebete von der freien
Sprechsprache des Alltags zu gering, als daß wir sie als Gebetspoesie
scharf von der Gebetsprosa trennen körinen. Was uns in den Gebeten
von Naturvölkern als poetisch eischeint, findet sich auch in der ge-
wöhnlichen Umgangssprache dieser Stämme. Die Eigentümlichkeit
der Kekchigebete, einen bestimmten Gedanken in einem zweiten er-
klärenden Sätzchen mit anderen Worten zu wiederholen, bemerkt man
auch in der Umgangssprache dieses Indianerstammes 12. Aus den Batak-
gebeten „klingt die ganze angeborene Redegewandtheit des Batak und
seine Vorliebe für wohlklingende Wendungen. Parallelismen, Allite-
rationen, Häufung von Synonymen und Wortspielen." 13 Dieser Um-
stand weist darauf hin, daß die hymnenartigen Gebete primitiver Völker
im Gegensatz zu den antiken Hymnen nicht das Werk bewußt schaffender
Dichter-Priester sind, sie sind vielmehr teils Gelegenheitsgedichte, von
dichterisch begabten Individuen improvisierte Rezitative, wie die Batak-
gebete; teils sind sie überhaupt nicht das Produkt dichtender Individuen,
sondern nur eine Erweiterung und poetische Gestaltung überlieferter
Gebetsworte. Der Kern des angeführten Dionysosliedes ist der kurze
C II. Der priesterliche Kult- und Beschwörungshymnus 161
Refrain: a^is ravQE. Dieser exstatische Jubelruf, hervorgestoßen vom
Chor der trunkenen Bachantinnen, und die kurze Einladung, die ihm
vorausging (ild-elv), wurden miteinander verbunden und zu einem
poetischen Gebilde erweitert. So entstand aus dem orgiastischen Toben
gottrunkener Weiber ein kunstvolles Kultlied, das ein Chor sang. Aber
nicht eine individuelle Dichterpersönlichkeit hat aus diesen enthusiasti-
schen Rufen bewußt und absichtlich ein Gedicht geschaffen, die Fort-
bildung und Umgestaltung der ursprünglichen Gebetsworte zum hymnen-
artigen Lied erfolgte aller Wahrscheinlichkeit nach spontan und un-
bewußt durch die Mitwirkung vieler Individuen. Die freien und unge-
bundenen Worte werden rhythmisiert, besser gesagt, der natürliche
Rhythmus, der den kurzen, mehrmals wiederholten Gebetsrufen eigen
ist, wird zum kunstmäßigen Rhythmus gesteigert. Träger dieses Ent-
wicklungsprozesses ist nicht ein Individuum, sondern eine Mehrheit von
Individuen — in diesem Punkte behält Wundts völkerpsychologischer
Grundgedanke sein Recht. Alle diese Momente zwingen zu der Fest-
stellung, daß auf einer primitiven Religionsstufe von eigentlichen
Hymnen nicht geredet werden kann, sondern nur von Ansätzen zum
Hymnus, wie sie im einfachen Kultlied und im poetischen Gebet vor-
liegen.
II. Der priesterliche Kult- und Beschwörungshymnus.
1. Vorbemerkungen.
Die entwickelte Hymnenpoesie ist eines der typischen Merkmale der
großen antiken Kulturreligionen. Die antiken Kulturreligionen stellen
den zweiten großen Typ der Religion dar. Die Wurzel, der sie ent-
sprossen sind, ist die primitive Religion. Ja man kann sagen, daß sie
in ihrem Wesen selbst nichts anderes sind als primitive Religion; denn
sie enthalten dieser gegenüber kein wesentlich neues Element. Die
Elemente der primitiven Religion sind nicht nach der Höhe und Tiefe,
sondern nur nach der Breite fortgebildet. Der Fortschritt der materiellen
Kultur bringt es mit sich, daß auch die religiösen Vorstellungen und
Riten reicher, mannigfaltiger und prächtiger werden. Die antiken
Religionen sind nicht mehr Stammesreligionen, sondern National
religionen, getragen von einer umfassenden Staatsorganisation. Die
Verbindung zahlreicher Stämme und Städte zu einem einheitlichen
Reiche bedingt eine Vermengung der verschiedenen Stammes- und
Stadtkulte, einen Synkretismus der Göttervorstellungen wie der Riten.
Das Ritual nimmt gewaltige Dimensionen an und wird von äußerem
Glanz umgeben. Das Opferwesen tritt in den Mittelpunkt des Kults,
die Kathartik wird immer mehr ausgedehnt. Es entsteht ein kompli-
ziertes, bis ins Detail geregeltes Sakralsystem, dessen sorgsame Be-
obachtung als unerläßlich für das Heil des Landes betrachtet wird.
Prunkvolle Tempelbauten dienen als Götterpaläste und als Kultstätten.
Der Wohnsitz der großen Götter sind nicht mehr Naturobjekte und
rohe Fetische, sondern künstlerische Idole von überwiegend anthro-
pomorphem Charakter. Eine kastenartig organisierte Priesterschaft be-
Das Gebet 11
162 C II. Der priesterliche Kult- und Beschwörungshymnus
sorgt den Kultus; sie ist bestrebt, das Ritual zu erweitern und erläutern;
theologische, kosmogonische und astrologische Spekulation blüht neben
der liturgischen Rubrizistik. Divination, Orakelkunst und Magie wird
von den Priestern emsig gepflegt und mit dem Kult aufs engste ver-
quickt. Im Wüste dieses Zauberwesens droht die Religion schließlich
erstickt zu werden. Die antiken Ritual- und Priesterreligionen besitzen
keine schöpferischen, aufwärts treibenden religiösen Kräfte, ihr immer
in die Breite wuchernder Synkretismus trägt den Keim des Zerfalls in
sich. Religionsgeschichtlich betrachtet, sind die antiken Priester-
religionen kein Fortschritts-, sondern ein Dekadenzphänomen ; trotz
alles äußeren Prunkes sind sie das Produkt eines umfassenden Ver-
kümmerungsprozesses. Eingesetzt hat dieser Degenerationsprozeß bei
den Naturvölkern, aber in den antiken Kulturreichen ist er zu Ende
geführt worden. Wo sich lebendige religiöse Kräfte in ihnen regten,
erfolgte eine innere Loslösung von der offiziellen Kultreligion; dann
erhob sich pantheistische Spekulation, ästhetische Naturbetrachtung
oder asketisch-mystisches Heilsstreben über das verworrene System der
Mythen und Riten.
In vier Gebieten entwickelte sich aus primitiven Stammeskulten
ein ausgedehntes Sakral wesen : in Indien und Mittelamerika, am Nil wie
im Zweiströmeland. Die vorkolumbische mexikanisch-peruanische, die
ägyptische, die sumerisch-babylonisch-assyrische und die vedisch-
brahmanische Religion sind die großen Priester- und Ritualreligionen.
Sie alle besitzen eine umfassende Ritualliteratur, die Schöpfung ihrer
Priesterschulen. Die Religionen anderer antiker Völker, der Italer,
Kelten und Germanen, der Kappadokier und Phöniker erheben sich
zwar über das Niveau der primitiven Religion und nähern sich dem
Typ der priesterlichen Ritualreligion. Aber ihr Kultwesen ist doch zu
einfach, ihre Ritualliteratur zu rudimentär, als daß wir sie wie jene
Religionen als Ritualreligionen charakterisieren könnten. Die alt-
griechische wie die altchinesische Religion haben manche Züge mit den
typischen Ritualreligionen gemeinsam. Die Göttervorstellungen, die
Mythen, die Opferriten, die kultischen Zeremonien zeigen mannigfache
Berührungspunkte mit jenen. Aber der Unterschied ist zu gewaltig,
als daß wir diese beiden Religionen jenem Typ zurechnen könnten.
Vor allem ist in ihnen der Zusammenhang mit der primitiven Religion
viel enger als bei jenen; die primitiven Riten haben in China wie in
Griechenland viel mehr ihre ursprüngliche Einfachheit bewahrt als in
Indien, Babylonien oder Ägypten. Der Hauptgrund hierfür ist das
Fehlen einer organisierten Priesterkaste. In Griechenland waren die
Priester Staatsbeamte, in China die Staatsbeamten Priester. Eben
deshalb, weil ein festgeschlossener Priesterstand fehlte, war hier wie
dort die Entstehung eines komplizierten Sakralsystems und einer aus-
gedehnten Ritualliteratur unmöglich. Die griechische wie die chinesische
Religion blieben vor aller mythologischen und ritualistischen Verworren-
heit bewahrt; beide besaßen die Möglichkeit, ohne gewaltsamen Bruch
oder negative Reaktion gegen das Erbe der Vergangenheit zu höheren
religiösen Vorstellungen fortzuschreiten.
1. Vorbemerkungen 163
Ein Stück der ausgebreiteten antiken Ritualliteratur bilden die
Hymnen. Die Hymnenpoesie begegnet uns in ähnlichen Formen in
der altmexikanischen 14 und altperuanischen Religion, in der ägyp-
tischen, 15 der sumerisch-babylonisch-assyrischen 16 und der vedisch-
brahmanischen Religion. 17 In der italischen wie in der althebräischen
Religion scheint die Hymnenpoesie nicht über das einfache Kult- und
Gebetslied hinausgekommen zu sein. Auch die religiöse Poesie der
Chinesen und Griechen kann nicht auf eine Stufe mit der Hymnen-
dichtung der genannten Völker gestellt werden. Die religiösen Oden,
die im 4. Buche des kanonische Gültigkeit besitzenden Schi-King (,Buch
der Lieder') gesammelt sind, tragen einen gewissen weltlichen Anstrich;
der Gebetscharakter ist völlig verwischt, sie unterscheiden sich von
den Hymnen des Rigveda ebenso sehr wie der kanonische Li-Ki (,Buch
der Zeremonien') von den vedischen Brähmana. Die Hymnenpoesie
der Griechen 18 bewegt sich, soweit sie liturgischen Zwecken dient,
größtenteils in den Bahnen des schlichten Kultliedes; soweit sie wirk-
liche Hymnen p o e s i e ist, ist sie meist literarisch, dient nicht den
praktischen Zwecken des Kults; auch überragt sie an religiöser Tiefe
und dichterischer Kraft weit die orientalische Ritualdichtung. Zum
Typ des antiken Kulthymnus sind hingegen die avestischen Gesänge
( Yasna) zu zählen. Zwar ist der avestische Mazdaismus analog der
nachexilisch- jüdischen Religion eine aus einer prophetischen Offen-
barungsreligion entsprungene Gesetzesreligion; aber ungleich mehr wie
das Judentum hat sich der spätere Zoroastrismus in der Gottesvorstellung
im Opferkult, im Taburitual und auch in der liturgischen Poesie der
antiken Ritualreligion genähert.
Als die Hymnen des Rigveda vor fünfzig Jahren dem Verständnis des
Abendlandes erschlossen worden waren, berauschte man sich an der
Gottbegeisterung dieser Sänger und an dem dichterischen Schwung ihrer
Lieder; man entdeckte in ihnen die religiöse und poetische Blüte eines
jugendfrischen Volkes; man bewunderte ebenso die erhabenen Gottes-
vorstellungen, die einen urwüchsigen Monotheismus zu enthalten
schienen, wie die künstlerische Gestaltungskraft, die einer phantasie-
vollen Naturbetrachtung entsprungen schien. Als dann die in Keil-
schrift auf Tontäfelchen eingegrabenen Hymnen und Klagelieder der
Babylonier aus dem Schutt uralter Tempelbibliotheken ans Licht ge-
bracht und enträtselt wurden, da glaubte man die. Vorlage der israe-
litischen Psalmen gefunden zu haben, das hehre Urbild jener Preis-
gesänge, Bitt- und Dankgebete und Bußlieder, die noch heute in den
christlichen Kirchen erklingen und in christlichen Herzen widerhallen.
Aber die neuere literar- und religionsgeschichtliche Forschung hat
mit rauher Hand den romantischen Nimbus zerstört, mit dem die Be-
geisterung der Entdecker die vedische und assyrische Hymnendichtung
umgeben hatte. Sie hat es als unzweifelhaft herausgestellt, daß die
Masse der altindischen, altägyptischen und altbabylonischen Hymnen
weder religiöse Poesie noch Naturpoesie ist, sondern priesterliche Ritual-
dichtung; sie entstammen nicht der drängenden Leidenschaft schöpfe-
rischer, religiöser oder dichterischer Genien, sondern sind das absieht-
164 C II. Der priesterliche Kult- und Beschwörungshymnus
liehe Werk dichtender Priester, welche kunstvoll aufgeputzte Texte
zur Rezitation bei Ritualhandlungen und Beschwörungen verfertigten.
2. Zweck.
Der antike Hymnus ist K u 1 1 hymnus ; er ist nicht wie der literarische
Hymnus, die religiöse Ode, die wir später kennen lernen werden, Selbst-
zweck, sondern — wie ursprünglich alle Kunst — Mittel zum Zweck; er
ist geschaffen für praktische rituelle Zwecke. Wie in der primitiven
Religion jedes Opfer von einem Gebet begleitet wird, so wird in den
antiken Religionen jeder feierliche rituelle Akt, sei es nun eine Opfer-
darbringung, eine Weihehandlung, eine Prozession, eine Reinigungs-
zeremonie, eine Sühnehandlung, ja selbst eine Beschwörung, durch die
Rezitation eines Hymnus begleitet. Die ägyptischen Hymnen waren,
wie Wiedemann feststellt, „dazu bestimmt, mehrfach Verwendung zu
finden und im Verlaufe der kultischen Handlungen oder Zaubervoll-
ziehung regelmäßig vorgetragen zu werden". 19 Die in den Pyramiden-
texten eingefügten Hymnen gehören nach der Meinung Breasteds zu
alten Tempelritualen. 20 Nicht wenige ägyptische Hymnen sind zu dem
Zwecke gedichtet, um von den Toten rezitiert zu werden; man legt
sie ihnen in den Sarg oder schreibt sie an die Wände ihrer Grabkammern,
auf daß sie durch diese Preis- und Gebetsgesänge das Herz der Götter
gewinnen und so ein glückliches Leben in der anderen Welt sich sichern
mögen. 21 Die babylonischen Hymnen sind nach Zimmern „als be-
gleitende Gebete bei Opfern und sonstigen Kulthandlungen aufzu-
fassen"; 22 ihr Zweck ist, wie Otto Weber sich ausdrückt, „ein rein
liturgischer, gottesdienstlicher; sie sind Bestandteile des Rituals"; „sie
erweisen sich ihrem Inhalt nach deutlich als Festhymnen, dazu be-
stimmt, bei Götterfesten, vornehmlich dem Neujahrsfest vorgetragen
zu werden." 23 Auch die babylonischen Bußpsalmen sind nicht indi-
viduelle religiöse Ergüsse, sondern ein Stück des Rituals, verbunden
mit Reinigungs-, Sühne- und Beschwörungszeremonien. Dieses Klage-
und Sühneritual war „ursprünglich für öffentliche Anlässe und sodann
für die Herrscher bestimmt", später wurde es auch in den privaten
Nöten einzelner Menschen angewendet. 24 Die vedischen Hymnen
werden von Oldenberg als „liturgische Poesie" charakterisiert; sie sind
„Opfergesänge und Litaneien, mit welchen die Priester der vedischen
Arier auf tempellosem Opferplatz, an den rasenumstreuten Opferfeuern
ihre Götter anriefen;" der Sänger des Rigveda „dichtet in altererbter
Weise für die Opferfeiern, vor allem für das große und prunkvolle Soma-
opfer". 25 Ebenso haben die altmexikanischen Hymnen eine praktisch-
kultische Zweckbestimmung; sie werden zum größten Teil bei den
großen Götterfesten vorgetragen. *26 Auch die theogonischen und kos-
mogonischen Epen der antiken Völker, die, wie Wundt treffend bemerkt
hat 27, nicht als selbständige Mythen entstanden, sondern aus der
Hymnenpoesie herausgewachsen sind, dienen wie die Hymnen kultischen
Zwecken. Die kosmogonischen Hymnen des Rigveda wurden, wie aus
dem Text erschlossen werden kann, beim Opfer reduziert. Die baby-
lonisch-assyrischen Mythen waren feste Bestandteile des Rituals. Das
2. Zweck — 3. Verfasser 165
babylonische Weltschöpfungsepos mußte beim Wiederaufbau eines
Tempels vorgetragen werden ; das Epos von Ischtars Hadesfahrt wurde
am Tammuzfeste im Zusammenhang mit einem Totenweihopfer von
einem Priester rezitiert. 28 So ist das mythische Epos wie der Hymnus
zur Ritualliteratur zu zählen.
3. Verfasser.
Der Hymnus ist im Unterschied vom naiven Gebet kein spontaner
und freier Herzenserguß in der Not oder im Glück, auch nicht eine
gebundene Gebetsformel, in der ehedem freie Gebetsworte sich kristal-
lisiert haben ; er stellt auch nicht wie das Kultlied eine bloße Rhythmi-
sierung und Versifizierung eines Prosagebets dar. Der Hymnus ist viel-
mehr von individuellen Persönlichkeiten absichtlich ersonnen, will-
kürlich verfaßt, künstlich komponiert. Der Dichter hat, wie ein treffendes
Bild wort des Rigveda sagt, das Lied „gezimmert wie ein geschickter
Werkmeister einen Streitwagen"; er hat es sorgsam geprüft, von allen
Kunstfehlern befreit, „wie man Korn mit der Schwinge reinigt". 29 So
ist der Hymnus ein Elaborat, ein Dichtwerk, ein Kunstprodukt. Die
Verfasser der Hymnen sind jene Männer, denen die Regelung und Aus-
führung des gesamten Kultwesens obliegt, die Priester. „Nur in den
engen und abgeschlossenen Kreisen priesterlicher Opfertechnik konnte
eine solche Poesie entstehen" (Oldenberg). 30 Nur Priester besitzen
eine solche Vertrautheit mit dem komplizierten, theologischen, mytho-
logischen und liturgischen System, das den Hymnen zugrunde liegt.
Während das Kultlied Volksdichtung ist, ist der Hymnus Priester-
dichtung. Die Dichterpersönlichkeiten, welche die Hymnen geschaffen
haben, nennen sich fast nie mit Namen. Nur in dem Rigveda ist öfters
von Familien und Geschlechtern wie denen des Vasishtha und Vicvämitra
die Rede, in welchen die Sängerkunst erblich war. 31 Wir dringen darum
niemals zu der Persönlichkeit des Dichters vor; alle antiken Hymnen
sind für uns unpersönliche, literarische Dokumente. 32
Nicht nur der Dichter der Hymnen, sondern auch die Vortragenden
sind Priester. Während das Gebets- und Kultlied von einem Laienchor
gesungen wird, wird der Kulthymnus von einem Priester rezitiert oder
gesungen. Im brahmanischen Opferwesen ist es der hotr (,Anrufer'),
der die rcas, die Lobgesänge des Rigveda, vorträgt, während der udgdtr
(, Sänger') bestimmte rigvedische Verse, die im Sämaveda zusammen-
gestellt sind, nach einer bestimmten Melodie singt. 88 Ob die altägyp-
tischen Hymnen vom Priester gesprochen, gesungen oder melodramatisch-
rezitiert wurden, ist nicht festgestellt. 34 Wir wissen nur, daß in den
ägyptischen Isismysterien zu Rom beim täglichen Gottesdienst die
Hymnen vom Priester angestimmt und von Flötenspielern begleitet
wurden. 35 Die babylonischen Kulthymnen wurden von einem Priester
bzw. Priesterchor unter Musikbegleitung vorgetragen, wie schon aus
der stehenden Bezeichnung er-sem-ma (semitisch sigü hal-hallati) ,
,Flötenpsalm' zu schließen ist. 3ß Welche Musikinstrumente beim
Hymnen Vortrag Verwendung fanden, verrät ein alter Text, in dem es
heißt: „Die Liturgen sollen eine Melodie zur Lyra singen ; zu der heiligen
166 C II. Der priesterliche Kult- und Beschwörungshymnus
Trommel und zum heiligen Tamburin sollen sie singen ; zu der Doppelflöte
und zur Sackpfeife sollen sie singen." 37 Im Gegensatz zu den Kult-
hymnen wurden die Beschwörungshymnen ohne begleitende Musik
heruntergesagt. 38
Neben der Auffassung und Rezitation der Hymnen obliegt als dritte
Aufgabe den Priestern die treue Überlieferung der komponierten und
durch den rituellen Gebrauch geheiligten Hymnen. Der Brahmanen-
schüler mußte all die überlieferten Texte aufs Wort auswendig lernen.
In den assyrischen und babylonischen Priesterschulen wurden die
uralten Preisgesänge und Klagelieder immer wieder sorgfältig abge-
schrieben und nur unbedeutende Änderungen an ihnen vorgenommen.
Wir treffen gelegentlich einen Hymnus in drei Abschriften', von denen
die erste aus dem dritten Jahrhundert, die zweite aus der Bibliothek
Assurbanipals, die dritte aus der Asarzidenzeit stammt — ein Beispiel
dafür, mit welch sklavischer Treue die Hymnen von den Priestern
durch zwei Jahrtausende hindurch überliefert wurden. 39 Nachdem
sich im Laufe der Zeiten eine große Masse von Gesängen angehäuft
hatte, ordneten die Priester die Hymnen unter bestimmten Gesichts-
punkten. So sind die rigvedischen Hymnen in mandala („Kreise")
eingeteilt. In ähnlicher Weise sind die Hymnen der babylonischen
Tempelbibliotheken zu , Serien' zusammengestellt. Diese Systemati-
sierung dürfte vor allem aus den liturgischen Bedürfnissen hervor-
gegangen sein. 40 Nach Langdons Hypothese erfolgte die Klassifikation
der babylonischen Hymnen nach dem Musikinstrument, das zur Be-
gleitung beim Vortrag diente. 41
4. For m.
Vergleichen wir die einzelnen Hymnen der verschiedenen Ritual-
religionen miteinander, so fällt uns sogleich ihre durchgängig stereotype,
schematische Form auf. Es enthüllt sich in ihnen nicht eine Mannig-
faltigkeit scharf ausgeprägter Individualitäten, sondern ein starres,
rituelles Schema. Dieser unpersönliche Zug der antiken Hymnen ent-
spricht durchaus der Anonymität der Verfasser. In der Beurteilung
der schematisch-unpersönlichen Art der antiken Hymnenpoesie stimmen
die verschiedenen philologischen Literaturhistoriker der Gegenwart in,
auffallender Weise überein. Die ägyptischen Hymnen der alten Zeit
sind nach Ermans Urteil „mit wenig Ausnahmen alle nach demselben
Schema verfertigt". 42 „Die Hauptmasse der babylonischen Hymnen",
urteilt Zimmern, „trägt in der Regel einen noch recht typischen, kon-
ventionellen Charakter und weist wenig individuelle Züge auf." 43
Selbst jene Hymnen, deren Verfasser und historischen Anlaß wir kennen
und die als Gelegenheitsgedichte gelten müssen, sind, wie Otto Weber
sich äußert, durchaus „unpersönlich"; sie „tragen unverkennbar die
Merkmale überlieferter, starrer Form", „arbeiten mit dem ganzen
feststehenden Apparat von Wendungen und Gedanken, die auch die
anonymen Stücke beherrschen", „sie sind den Vorbildern in den Biblio-
theken und Archiven entnommen". 44 Auch die ergreifenden Klage-
lieder und Bußpsalmen, die als der unmittelbare Ausdruck persönlicher
4. Form 167
Not und Sehnsucht erscheinen, sind, wie Jastrow betont, „nach einer
gewissen Schablone oder besser ausgedrückt, nach gewissen Schablonen
abgefaßt"; es kehren in ihnen dieselben „stereotypen Formeln" immer
wieder. 45 Den meisten Gesängen des Rigveda haftet nach Winternitz
eine „außerordentliche Eintönigkeit" an. „Es sind immer dieselben
Redewendungen, mit denen ein Gott wie der andere als groß und ge-
waltig gepriesen wird, immer dieselben Formeln, mit denen der Opfer-
priester um Rinderschätze und Reichtümer zu den Göttern fleht."
Sehr viele Stücke der Rigveda-Samhitä sind „von priesterlichen Sängern
recht handwerksmäßig zusammengeleimt worden". 46 E. Lehmann sagt:
„Die Dichtung, aus der unser Veda hervorgegangen, war schon zu einer
Art Gewerbe geworden; die Verskunst wurde in Dichterschulen nach
bestimmter Technik gelernt; der dichterische Apparat ist fertig aus-
gebildet, und es gilt jetzt, ihn so gescheit und sinnreich wie möglich
anzuwenden . . . Daß bei dieser Methode Mittelmäßiges herausge-
kommen ist, liegt auf der Hand, der größte Teil der vedischen Dichtung
ist formell und dürr, gedankenarm und gesucht und selbst für den Inder
schwerfällig und dunkel." 47 In ähnlicher Weise sind nach Lehmanns
Urteil auch die avestischen Yascht, Lobgesänge an die Yazatas, „breit,
wenig kunstvoll, oft ganz trivial". 48
Die poetische Struktur der antiken Hymnen ist nicht immer mit
strenger Konsequenz durchgeführt. Die Kunstmittel, welche die priester-
lichen Sänger anwenden, sind zum Teil dieselben, die wir schon in den
hymnenartigen Gebeten primitiver Völker trafen. Die ägyptischen
Hymnen zeigen „Alliterationen, strophische Anordnung, Parallelismus
der Glieder. Diese treten aber nicht gesetzmäßig in strenger Gebunden-
heit auf, sondern werden nur gelegentlich angewendet, um der Form
des Ganzen einen höheren Schwung zu geben". 49 Die Form der baby-
lonischen Hymnen ist dieselbe, die auch die epischen Literaturwerke
beherrscht, „freilich hier wie dort keineswegs immer streng durch-
geführt". „Speziell der lyrischen Poesie eigen ist die Einteilung größerer
Texte in Perioden und Strophen von verschiedenem Umfang." Am
häufigsten ist folgendes Gliederungsschema angewendet: „eine Strophe,
bestehend aus zwei Versen, jeder Vers aus zwei Halbversen, jeder Halb-
vers aus zwei Hebungen". 50 Auch in der vedischen Poesie begegnet
uns die Strophenbildung. Doch ist die Struktur der alt-indischen
Hymnen insofern komplizierter, als die Silbenzahl der Zeilen feststeht,
während dem Rhythmus nur eine sekundäre Bedeutung zukommt. 51
Dem Gebetscharakter des Hymnus entspricht es, daß er ursprünglich
in der zweiten Person abgefaßt wurde. Die Epitheta des Gottes sind
Vokative. Aber die Aufzählung zahlreicher Namen und Prädikate imd
die epische Schilderung der Taten des Gottes läßt nicht selten den
Dichter vergessen, daß er zum Gotte redet: unwillkürlich gleitet er bei
der Betrachtung und Schilderung aus der ,Du'-Anrede in den Bericht
hinüber. Der Übergang von der zweiten Person in die dritte findet
sich in der ägyptischen und babylonischen Hymnenpoesie, häufiger
noch in der vedischen Dichtung; hier „ändert die Rede fortwährend
ihre Richtung; sie schwankt hin und her zwischen der Anrede an den
168 C II. Der priesterliche Kult- und Beschwörungshymnus
Gott mit Du und der in der dritten Person sich bewegenden Erzählung
von dem Gott". 52 In den mexikanischen Hymnen hingegen überwiegt
die Fassung in der dritten Person ; nur selten erhebt sich der Beter zur
unmittelbaren Gebetsanrede. In manchen assyrischen 53 und mexi-
kanischen 54 Hymnen ergreift die Gottheit selbst das Wort zum glän-
zenden Selbstpreis. Andere mexikanische 55 und vedische 56 Hymnen
sind in der Form eines dramatischen Dialogs abgefaßt; es wechselt die
Rede des Priestersängers mit der Rede eines oder mehrerer Götter.
5. Inhalt.
Den zentralen Inhalt des Hymnus bildet die Lobpreisung des
Gottes. Als die älteste Form der Lobpreisung dürfte die Aufzählung
der Ehrentitel und Beinamen eines Gottes gelten. Der Lobpreis der
Ahnen, den afrikanische Bantustämme mit ihren Opfergebeten ver-
binden, besteht lediglich in der Nennung ihrer Ehrennamen (s. o. S. 81).
Die Griechen wie die Mazedonier besaßen primitive Kulthymnen, die
lediglich aus der Aufzählung von Namen und Prädikaten bestanden. 57
Zahlreiche ägyptische und babylonische Hymnen enthalten auf weite
Strecken hin nur eine dürre Aneinanderreihung von ehrenden Epitheta,
Kultstätten und Kultsymbolen des Gottes, von schwerfälligen und
dunklen mythologischen Anspielungen.
Ein altägyptischer Hymnus an Osiris lautet: „Heil Dir, Osiris, Herr der Ewig-
keit, König der Götter, der viele Namen hat und prächtige Gestalten und
geheimes Wesen in den Tempeln. Er ist der (Gott) mit dem herrlichen Ka in
Busiris und mit großer Pracht in Letopolis, der Herr des Lobpreises in dem
Busirisgau, der den Speisen vorsteht in Heliopolis. der Herr des Gedenkens in
Schuti, die geheimnisvolle Seele, der Herr von Kreret, prächtig im Memphisgau,
die Seele des Ra und sogar sein Leib, der in Ehnas wohnt, den man herrlich preist
in Na'ret, das entstanden ist um seine Seele zu erhöhen, der Herr der Großhalle
in Schmu und mit gewaltiger Kraft in Schashotep, Herr der Ewigkeit inAbydos
der im Friedhof auf seinem Throne sitzt, dessen Name dauert im Munde der
Menschen." 58
Die babylonischen Hymnen gleichen den ägyptischen nach Form und
Inhalt, nicht selten treffen wir sogar dieselben Prädikate der Götter.
Doch zeigt die babylonische Hymnenpoesie gegenüber dem Wirrwarr
der ägyptischen eine größere Einfachheit und Gleichmäßigkeit in der
Aneinanderreihung der Titel und Namen. In den altsumerischen Hymnen
enthält eine Verszeile meist einen Ehrennamen; so kommt es, daß im
Sumerischen das Wort mu (,Name') die Bedeutung ,Linie', , Zeile1
erhielt. 59 Ein uralter Hymnus an den Mondgott Sin beginnt mit den
Worten :
,,0 Herr, Haupt der Götter, der allein auf Erden und im Hinunel erhaben ist;
Vater Nannar, Herr An-äar, Haupt der Götter,
Vater Nannar, Herr, großer Anu, Haupt der Götter,
Vater Nannar, Herr, Sin, Haupt der Götter,
Vater Nannar, Herr von Ur, Haupt der Götter,
Vater Nannar, Herr von E-gi§-sirgal, Haupt der Götter,
Vater Nannar, dessen Königsherrschaft äußerst vollkommen ist, Herr der
Götter,
Vater Nannar, der in großer Majestät einherschreitet, Herr der Götter."60
Die vedische Opferreligion kennt keine Tempel, keine Kultstätten,
keine Kultsymbole. Wie in der arischen Urzeit opferte man auf freien
5. Inhalt (Lobpreisung) 169
Plätzen den Göttern, die noch viel enger mit dem Naturgeschehen ver-
knüpft waren als die synkretistischen Tempelgottheiten in Ägypten und
Babel. Gleichwohl häufen auch die vedischen Opferpriester tiefsinnige
Prädikate. So wird Agni, der Gott des priesterlichen Opferwesens mit
folgenden Worten gepriesen :
„Das Haupt des Himmels, den Heim der Erde, Agni Vaicvänara, den im
heiligen Gesetz geborenen, den Weisen, den Allherrscher, den Gast der Menschen
schufen die Götter als Gefäß für ihren Mund. Dem Nabel der Opfer, dem Sitz
der Reichtümer, dem großen Schöpfereimer jauchzten sie entgegen; die Götter
schufen Vaicvänara, den Wagenlenker der Opfer, des Opfeis Wahrzeichen."
„Geboren leuchtet Agni sichtbar auf, der Renner, der Weise, von den Sehern
gepriesen, der gabenreiche, den die Götter bei den Opferwerken als verehrungs-
würdigen allkundigen Opferführer einsetzten." 81
Die sinnlose Häufung von Namen, Titeln, Prädikaten ist die un-
lebendigste Form des hymnischen Lobpreises. Etwas lebendiger, an-
schaulicher und farbenreicher wird der Lobgesang, wenn der Sänger
des Gottes Wesen und Wirken, seine Größe und Macht, Schönheit und
Güte betrachtend sich vergegenwärtigt.
Ein sumerischer Priester besingt die Macht des Gewitter- und Kriegsgottes
Ninib: „Du Held, gewaltig, gar mächtig, ausgestattet mit furchtbarer Schreck-
lichkeit; Ninib, gewaltig, Sturmflut, großer Sturm, tapfer in Schlachten, du
strenger, der du die Feinde unterwirfst, ihre Städte zerstörst und ihre Mengen
(Einwohner) vernichtest; Ninib, großer Bergochse, Stier von außerordentlicher
Macht, großer Wall, der Schutz gewährt; Sturmflut, die dem Feindeslande Zittern
verursacht, du ohnegleichen." 62
Zum Vergleich diene ein altmexikanischer Hymnus an den Kriegsgott Huitzi-
lopochtli: „Ein Zauberer, ein Schrecken, ein Anstifter des Streites, ein Betrüger,
ein Erreger des Krieges, ein Lenker der Schlachten, ein Herr der Schlachten, von
dem man sagt, daß er schleudere seine Flammenschlange, seinen Feuerstock,
dessen Mittel Krieg, Blut und Brand." „Er ist ein Schrecken für Mixteca, er
allein zerstörte die Picha-Huastaca, er besiegte sie . . . Wenn er laut aufjauchzt,
flößt er gewaltigen Schrecken ein, der göttliche Schleuderer, der Gott, der sich
selbst dreht im Kampfe." 83
Der vedische Indra ist zugleich Gewitter- und Kriegsgott. In zahllosen Hymnen
besingt man ihn als Regenspender : „Du schlugst den Drachen, der die Wasser
umlagerte; du grubst die Bahnen (der Flüsse), die alle tränken." „Durch viele,
im Lied gefeierte Frühlinge und Herbste hier hat Indra, nachdem er Vitra er-
schlagen, die Flüsse freigelassen. Indra erbohrte die umlagerten, bedrängten
Wasserläufe, daß sie für die Erde sich ergossen." Aber er ist nicht bloß Regengott,
sondern auch Schlachtengott. ..Ohne den die Menschen nicht siegen, den sie
im Kampf zu Hilfe rufen, der einem jeden sich gewachsen zeigte, der das Uner-
schütterliche erschüttert, das. ihr Menschen, ist India." 64 Agnis Macht wird
wie die Macht so vieler ägyptischer und babylonischer Götter unter dem Bilde
des Stiers verherrlicht: „Ein Stier mit tausend Hörnern, stark wie ein Stier,
stehsl du allen anderen durch seine Kraft voran." 6S
Die Erzählung der Machttaten und mythischen Schicksale des Gottes
tritt in manchen Hymnen so sehr in den Vordergrund, daß der Hymnus
in ein mythologisches Epos sich aufzulösen droht. Zahlreiche vedische
Hymnen an Indra und Agni, ägyptische an Osiris, haben ausgesprochen
mythisch-epischen Charakter. Die Hymnenpoesie ist darum die Haupt-
quelle der Mythologie; ohne sie würden wir unendlich wenig von dem
bunten Mythengewirr der antiken Priesterreligionen wissen. Aber es
ist im Gebetscharakter des Hymnus begründet, daß nur selten ein
Göttermythos vollständig erzählt wird; auch die epischen Hymnen
1 70 C II. Der priesterliche Kult- und Beschwörungshymnus
begnügen sich mit allgemeinen Hinweisen oder mit der Wiedergabe
bestimmter Einzelszenen; der Mythus als Ganzes ist stets als bekannt
vorausgesetzt. Nur in den theogonischen und kosmogonischen Epen,
die aus der Hymnenpoesie hervorwuchsen und wie diese zu rituellen
Zwecken verwendet wurden, werden die Mythen ausführlicher wiederge-
gegeben.
Neben den Lobpreis der göttlichen Macht tritt die Hervorhebung der
göttlichen Güte. Die Gottheit wird als Schenkerin und Helferin gefeiert.
„Sie ist unsere Mutter, die Erdgöttin," heißt es in einem altmexikanischen
Hymnus an Teteoinan, „sie schenkt Nahrung den wilden Tieren in der Wüste
und läßt sie leben. So seht ihr sie denn als ein ewig lebendiges Vorbild der Frei-
gebigkeit gegen alle Wesen." 06 Ein ägyptischer Hymnus preist den Sonnengott:
„Heil dir, Re, Herr des Rechts, der das Gebet des Bedrängten erhört, gütigen
Herzens, wenn jemand nach ihm ruft, der den Geängstigten vor dem Gewalt-
tätigen schützt, der den Armen und in Not Geratenen richtet (um ihn vor Unge-
rechtigkeit zu schützen)." " Mit ähnlichen Worten rühmt ein babylonischer
Sänger den Gott Ninib: „Du entscheidest das Gericht der Menschen; du leitest
den Irregehenden, der voll Drangsal ist; du ergreifst die Hand des Schwachen,, den
Niedergedrückten erhebst du; den Leib dessen, der der Unterwelt entgegengeht,
führst du zurück; den Sünder erlösest du von seiner Sünde; gegen wen sein Gott
erzürnt ist, dem gewährst du später Gnade." 68
In einem rigvedischen Hymnus wird der Priestergott Brahmanaspati ob seiner
Fürsorge für die ihm dienenden Brahmanen gefeiert: „Du, Brahmanaspati, ver-
drängst Schmähung und Finsternis und besteigst den lichten Wagen der Ordnung,
den furchtbaren, der die Feinde schädigt, die Rakshas schlägt, den Kuhstall
spaltet, das Licht gewinnt. Mit trefflichem Rat leitest du, schützest du den Men-
schen. Wer dir huldigt, den wird Bedrängnis nicht treffen. Du versengst den
Feind des Brahman, vernichtest seinen Zorn. Das ist deine Größe, Brhaspati.
Nicht hat Bedrängnis, nicht Gefahr, wo immer her, nicht Bosheit oder Falschheit
den bezwungen (der dir huldigt). Alle Ränkesüchtigen hältst du von dem ferne,
den du, Brahmanaspati, als guter Hirt beschirmst." B9
Schon der primitive Beter schickt häufig seiner Bitte Gruß- und
Segensworte voraus, einen noch breiteren Raum nehmen sie in den
antiken Hymnen ein.
„Heil dir!" ruft der ägyptische Priestersänger seinem Gott bei jedem neuen
Abschnitte seines Preisgesanges entgegen. 70 Die babylonischen Dichter verbinden
mit dem Lobpreis nicht selten einen Segenswunsch: „Enlil mache dich groß,
möge Ea dich erhöhen, mögen die Götterscharen dich segnen, mögen die großen
Götter dein Herz erfreuen." 71
Mannigfach sind die Redensarten, mit denen der Sänger dem Gott
seine Huldigung und Verehrung zum Ausdruck bringt. Indikativ,
Kohortativ, Imperativ und Interrogativ sind die sprachlichen Formen,
die hierbei angewendet werden.
„Agni verehre ich." „Dir nahen wir, Agni, und bringen dir Verehrung dar"
(Rigveda). 72 „Deinen Namen will ich nennen, deine Größe verkünden, in Demut
will ich dir huldigen" (babylonischer Hymnus). 73 „Laßt uns mit Verneigung den
starken Indra verehren, den gewaltigen, hohen!" (Rigveda). 74 „Laß mich deine
Gottheit verehren, in Demut dir huldigen! O Gott, laß mich deine Stärke ver-
künden! O Gott, laß mich deine Größe preisen!" (babylonischer Hymnus). 7S
..Sing dem Starken mit diesen Liedern, preise den Parjanya und huldige ihm mit
Verehrung!" (Rigveda) 76. „Erweiset Verehrung dem Re, dem Himmel des
Himmels, dem Fürsten, der die Götter schuf. Betet ihn an in seiner schönen
Gestalt beiseinemErscheinen in der Manzet-Barke" (ägyptischer Sonnenhymnus).77
„Wer ist, dessen Mund deine Gerechtigkeit nicht verkündet, der deine Majestät
nicht preist, deine Herrschaft nicht verherrlicht ?" (babylonischer Marduk-
hymnus). 78
5. Inhalt (Lobpreisung) 171
Der Sänger schmeichelt dem Gotte am meisten dadurch, daß er ihn
als den größten und mächtigsten aller Götter preist. „Huitzilopochtli
ist der Erste im Rang, keiner, keiner ist ihm gleich," heißt es in einem
mexikanischen Hymnus. 79 Jeder der großen ägyptischen Götter ist,
wenn beim Hymnus die Reihe an ihn kommt, der erste unter den Göttern.
Jeder Gott, an den der assyrische Priestersänger sich wandte, war, wie
unbedeutend er auch sein mochte, für ihn in diesem Augenblick der
größte unter den Göttern. 81 Ebenso wird im Rigveda jeder Gott ge-
legentlich als der erste und höchste aller Götter gepriesen. 82
Mit beredten Worten feiert ein babylonischer Priesterdichter der Mondgott:
,, Welcher Gott erreicht deine Fülle?
Wer ist im Himmel erhaben ? Du allein bist erhaben.
Wer auf Erden ist erhaben ? Du allein bist erhaben ....
Herr, im Himmel an Herrschaft, auf Erden an Herrschaft, unter den Göttern,
deinen Brüdern ist dir keiner gleich.
Herr des erhabenen Göttergemachs, dessen Befehl nichts gleichkommt, dessen
Göttlichkeit unvergleichlich ist." 83
Für den Hymnendichter ist der aufgerufene Gott Vater und König der Götter.
En-lil ist der Herr „der Herren", der „Vater der großen Götter", Assur, der „Herr
der Götter", Ischtar die „höchste der Göttinnen", die „Königin der Göttinnen",
die „Befehlshaberin der Götter"; „unter den Göttinnen ist keine ihr gleich; kein
Gott nähert sich ihrer Macht". 84 Amon-Ra ist „Vater der Götter", „Fürst"
und „Oberhaupt aller Götter", der einzige „König unter den Göttern". Osiris
ist „König der Götter", „Leiter der Götterschaft", „der erst (geborene) Große
von seinen Brüdern, der älteste der Götterschaft", „Fürst der Götter", „König
der Könige, Herr der Herren, Herrscher der Herrscher". 85 Ein vedischer Sänger
schmeichelt dem Indra: „Die Götter ließen wie Greise nach in ihrer Kraft. Du,
Indra, wurdest der Allherrscher." 88 Weil der im Hymnus gefeierte Gott der
höchste ist, ist er auch der ewige, universelle Gott, dessen Macht Himmel und
Erde umfaßt, dessen Wirken keine Schranken kennt. Re ist „Herr des Himmels,
Herr der Erde, Herr der Ewigkeit, Herrscher der Unendlichkeit" 87. Schamasch
ist „Herr über das Schicksal der Erde" 88, Enlil ist „Bestimmer aller Geschicke",
„Herrscher des Himmels und der Erde", Marduk „König des Himmels und der
Erde"; „Himmel und Erde sind dein", ruft bewundernd der Dichter aus. Ischtar
wie Damkina ist „Herrin des Himmels und der Erde" 89.
Als henotheistischen Universalgott preist der Sänger den angebeteten Gott mit
den Prädikaten der verschiedensten Götter. Amon-Re und Osiris, Sin, Nergal,
Enlil und Marduk tragen die Züge vieler Götter, sie ähneln einander zum Ver-
wechseln. In einem Marduk-Hymnus heißt es sogar: „Du trägst die Macht Anus,
<li" Macht Enlils, die Macht Eas, Herrschaft und Majestät." 90 Zu der umfassenden
Macht und Wirksamkeit, welche die Hymnendichter ihren Göttern zuschreiben,
gehört vor allem die Schöpfertätigkeit. Zahlreiche in den Hymnen angerufene
(iötter werden als „Urgötter, Weltenschöpfer und Weltenbildner" gefeiert. Amon-
Re ist im Hymnus derjenige, „der das Existierende hervorgebracht und das
Seiende geschaffen hat, der den Himmel aufgehängt und den Erdboden befestigt
hat", „aus dessen Augen die Menschen kamen, auf dessen Mund die Götter ent-
standen, der die Weide (für) die Viehherden schuf und den Lebensbaum für die
Menschen." 91 Der Mondgott Sin ist „der Erzeuger aller Dinge," „der Erzeuger
der Götter und Menschen": Marduk. der Lukalgott von Babel, ist „der Erneuerer
des Himmels, Büdner der Eide", die Muttergöttin Ischtar die „Erzeugerin
der Götter" und „die Erzeugerin (\cs Weltalls" 92. Der vedische Gott des Opfer-
feuers Agni ist ..der Scher, der voller Weisheit die Räume, des Himmels lichte
Sphären ausmaß, der alle Wesen geschaffen hat" 93, Indra, der Wettergott, ist
derjenige, der „die schwankende Erde befestigte, die bewegten Berge beruhigte,
<b-v den Luftraum erweiterte und den Himmel stützte" 94. Der Gott, der den
Hymnendiehter verherrlicht, isi bisweilen noch mehr als die Ursache allen Seins,
er ist die Ursache seiner seihst, causa sui; er hat sich selbst erzeugt. „Das ist
172 CIL Der priesterliche Kul1> und Beschwörungshymnus
Re Harachte", heißt es in einem ägyptischen Hymnus an den Sonnengott, „der
göttliche Jüngling, der Erhe der Ewigkeit, der sich selbst erzeugt und sich selbst
gebiert, der aus dem Wasser hervorging und sich aus dem Nun herauszog, der
sich selbst wartete und seine Geburt selbst besorgte. ' Und in einem Hymnus
an Amon-Re heißt es: „Du bist Ptah, du bildetest deine Glieder; (du bist es),
der sich erzeugt, ohne gezeugt zu sein." 9S In einem babylonischen Hymnus
wird Sin als „selbsterzeugte, vollentwickelte Frucht" betitelt 96. Und in einem
mexikanischen Hymnus wird Tlaloc, der Regen- und Gewittergott gepriesen:
„Du hast dich selbst gemacht, wer darf dir trotzen?" 97
Höchster Gott, Vater und König der Götter; Schöpfer Himmels und
der Erde, Allursache, Selbstursache — das Größte, Wunderbarste, ja
das Paradoxeste, was der Sänger sich erdenken kann, sagt er im Hymnus
vom Gotte aus. Der Glanz des gefeierten Gottes überstrahlt alle übrigen
Götter, stellt sie insgesamt in Schatten. Die anderen Götter erkennen
selbst die Größe des vom Dichter gepriesenen Gottes an, sie huldigen
ihm, neigen sich ehrfurchtsvoll vor ihm, jubeln ihm zu, sie beten ihn
an, wie die Menschen und mit den Menschen beten sie zu ihm.
„Himmel und Erde verneigen sich ihm" (vedischer Indrahymnus). 98 „Dir
jauchzen alle Götter, Unsterblicher, wie einem Kinde bei der Geburt entgegen."
„Alle Götter neigten sich ehrfurchtsvoll vor dir, o Agni" (Rigveda). 99 „Die
Neunheit (der Götter) betet ihn an, und die Bewohner von Duat küssen die Erde,
und die Unterweltlichen verneigen sich ; die Verstorbenen jubeln, wenn sie ihn
sehen, die dortigen (im Jenseits befindlichen) erweisen ihm Ehrfurcht und die
beiden Länder zusammen preisen ihn, wenn seine Majestät sich naht" (ägyptischer
Osirishymnus). , Anbetung dir! sagen sie alle; Lobpreis dir, weil du mit uns um-
gehst. Erdküssen dir, (weil) du uns geschaffen hast. Die Götter verneigen sich
vor deiner Majestät und erhöhen die Macht ihres Schöpfers jauchzend beim Heran-
nahen ihres Erzeugers" (ägyptischer Hymnus von Amon-Ra). „Isis und Nephtys
beten dich an" (ägyptischer Sonnenhymnus). „Alle Götter beten zu Thot" (ägyp-
tischer Hymnus) 10°. „Bei dem Gedenken an deinen Namen beben Himmel und
Erde, die Götter beben, die Annunaki zittern. Dein mächtiger Name erschreckt
die Menschheit. Alle Menschen, die beseelte Kreatur, die Menschheit huldigt
deiner Macht" (assyrischer Ischtarhymnus) m. „Es beugen sich vor dir die großen
Götter" (babylonischer Sin-Hymnus) 102. „Die Versammlung der großen Götter
steht vor dir und fleht dich an zu deinen Füßen" (assyrischer Sin-Hymnus) 103
Aus der bunten Mannigfaltigkeit der hymnischen Lobpreisungen
heben sich deutlich zwei Hauptformen der Götterverherrlichung heraus :
die Häufung von Ehrenprädikaten, Kultnamen und mythologischen
Anspielungen einerseits und andererseits die henotheistische Erhebung
des Gottes zum Universalgott. In beiden Formen offenbart sich dasselbe
Streben des Phantasievorstellens nach dem Maßlosen, Grellen, Bunten,
Massigen, ja Grotesken, das nach unserem ästhetischen Urteil dieser
Poesie den künstlerischen Wert nimmt. Oldenberg sagt sehr fein von
den vedischen Hymnen: „Diese Preislieder erinnern an die Körper,
welche die altindische Plastik gebildet hat, unter deren undurchgearbei-
teten Fleischmassen es kein Knochengerüst zu geben scheint." 104
Aber es fehlt den antiken Priesterhymnen nicht nur Klarheit, Maß und
Harmonie, es fehlt ihnen vor allem die innere Wahrhaftigkeit. Die
gehäuften und überschwänglichen Lobpreisungen sind nicht, wie sie
rein äußerlich erscheinen, der spontane dichterische Ausdruck religiöser
Begeisterung, echter, erlebter Wertgefühle, sondern entspringen einem
raffinierten Egoismus ; sie sind klug ersonnene schmeichlerische Redens-
5. Inhalt (Lobpreisung) 173
arten und Ergebenheitsphrasen, durch die man der Eitelkeit des Gottes
frönt, um so seine Gunst zu gewinnen. 105 Hier redet und dichtet kein
kindlich frommes Gemüt, das kontemplierend sich in Gottes Größe und
Macht, Schönheit und Liebe versenkt und dabei von Staunen und
Entzücken ergriffen wird, hier redet nur ein höfisch-serviler Geist, eine
geschickt drapierte eudämonistische Begehrlichkeit. Die Sitte der
rigvedischen Hymnen, den angerufenen Gott als ersten und höchsten
aller Götter zu preisen, ist, wie Winternitz sagt, „eine Art Schmeichelei,
durch die man sich den Gott gewogen machen will, ähnlich wie spätere
Hofdichter manches kleine Fürstchen als Weltbeherrscher gefeiert
haben" 106. Wenn die ägyptischen Hymnendichter von ihren gefeierten
Göttern behaupten, sie hätten die Welt erschaffen, so haben wir nach
dem Urteil Wiedemanns darin „nur eine schmeichlerische Redensart zu
sehen. Der jeweilige Schreiber oder Sprecher glaubte sich durch solche
Lobeserhebungen den Gott, dessen er gerade bedurfte, gewogen zu
machen. Er verfuhr ihm gegenüber genau so, wie er es bei irdischen
Beamten und Fürsten zu tun gewohnt war. Auch deren Gunst trachtete
man im alten wie im heutigen Orient am liebsten durch die allerunter-
tänigste Schmeichelei zu gewinnen und war dabei im allgemeinen des
Erfolges sicher". lü7 In der schmeichlerischen Lobrederei ist eine weitere
Eigentümlichkeit des Hymnus begründet, die dunkle, tiefsinnige Rede-
weise, die Geheimnistuerei. „Man muß des Gottes Wesen als reich an
tiefen Geheimnissen schildern, die es mit Geschick halb zu verbergen
und halb zu enthüllen gilt (Oldenberg). 108 Wie man einem orientalischen
Herrscher nicht nur mit klaren, unzweideutigen Lobsprüchen, sondern
auch mit versteckten, dunklen Andeutungen schmeichelt, so kleidet
man auch die Verherrlichung des Gottes gerne in den Mantel des Ge-
heimnisses : das nur halb enthüllte Geheimnisvolle erscheint eben noch
größer und wunderbarer als alle völlig enthüllte Pracht und Herrlichkeit.
All die volltönenden Huldigungsphrasen, Ruhm- und Schmeichel-
reden des Hymnus sind nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck.
Der dichtende oder rezitierende Priester will im Lobpreis des Gottes
nicht seinen religiösen Enthusiasmus ausschütten, er will vielmehr den
Gott bewegen, daß er seinem Sänger reiche Gaben schenke. Hinter
dem prunkvollen Gotteslob versteckt sich dieselbe ungezügelte Begehr-
lichkeit nach irdischen Glücksgütern, die den primitiven Beter beseelt.
Im Hintergrund des Hymnus steht auch immer die Bitte um die
gleichen eudämonistischen Güter, nach denen der primitive Beter ver-
langt. Aber während der naive Mensch seine Wünsche ohne viele Um-
schweife offen und gerade heraussagt, naiv und treuherzig ausspricht,
was ihn drängt und bewegt, verbirgt der priesterliche Hymnensänger
sein Anliegen unter einem Schwall von Huldigungen und Schmeicheleien,
er flicht nur vorsichtig in den Hymnus eine kurze Bitte bei. Die Bitte
ist ganz eingebettet in den Lobpreis, so daß es den Anschein hat, als
sei sie etwas Nebensächliches. In Wirklichkeit aber ist sie dem Sänger
die Hauptsache, nur daß er es geschickt versteht, den Gott hierüber
zu täuschen. In der Rolle des Lobsängers glaubt der Dichter eher Er-
füllung seiner Wünsche zu erlangen, als in der Rolle des Bittstellers.
174 0 II. Der priesterliche Kult- und Beschwörungshymnus
Bisweilen freilich fällt er in seiner Redseligkeit aus der Rolle und sagt
in plumper Naivität heraus, worum es ihm bei all seinen Lobreden
eigentlich zu tun ist. So heißt es in einem Marduk-Hymnus : ,,Da ich
dir glänzend gehuldigt habe, laß mich gesättigt werden!" 109 Und in
mehreren Indrahymnen heißt es: „Nun gepriesen, nun besungen, laß
reichlich deinem Sänger stromgleich die Speisen fließen!"110 In den
meisten Hymnen steht die Bitte am Schlüsse der Lobpreisung. Die
meisten babylonischen Hymnen „klingen nur zum Schluß in ein kurzes
Gebet, oft nur von wenigen Zeilen aus". m Im Rigveda „pflegt die
Bitte um Gaben, welche man von dem durch solches Lob befriedigten
Gott erhofft, sich kurz an jenes anzuschließen". 112 Doch wird bis-
weilen in vedischen wie ägyptischen Hymnen die Bitte zwischen die
Lobpreisungen eingeschoben. Sie kann sogar, wie manche ägyptische
und zahlreiche mexikanische Hymnen zeigen, gänzlich fehlen, ohne daß
deshalb der Hintergedanke, Gunsterweise des Gottes zu erlangen, fehlen
würde.
Der Gegenstand der Bitte ist derselbe wie im Beten des Primitiven: Leben,
Gesundheit, Nahrung, Reichtum an Vieh und Kindern, Vernichtung der Feinde
und Siegesbeute. U3 Wenn konkrete Wünsche ausgesprochen werden, werden
mehrere zusammengefaßt. „Bringe uns Reichtum, Speise und männlichen Nach-
wuchs!" fleht ein rigvedischer Dichter zu Agni. U4 Noch häufiger aber ist der
Gebets wünsch generell gefaßt; „von den Gütern ist meist in ziemlich allgemeinen
Ausdrücken die Rede, wie das dem wenig individuellen Charakter jener litur-
gischen Poesie entspricht". 115 Ein sumerischer Hymnendichter betet für seinen
König zu Ninib: „Deinen heiligen, königlichen Thron, o mögest du ihn segnen!
Den Gimil-Sin, mögest du ihn segnen, Ninib, ein Leben langer Tage bestimme
ihm!" „Mögest du sein großer Wall sein; mögest du mit gnädigen Augen auf
ihn blicken!" llt In einem babylonischen Hymnus an En-me-sar-ra betet ein
Herrscher: „Laß mich, den Fürsten, deinen Diener, vor deiner großen Gottheit
auf ferne Tage mit Gunst genannt sein!" 1W Ein für den Monat Nisan bestimmter
babyolnischcr Festhymnus enthält die Bitte: „Beachte die zu dir erhobenen
Hände! Deiner Stadt Babylon gewähre Gnade! Auf E-sag-ila, dein Haus, wende
dein Antlitz ! Den Söhnen Babylons, deinem Volk insgesamt gewähre die Hilfe." ll9
Einfacher als die im schwülstigen orientalischen Hofstil formulierten Bitten
vieler babylonischer Hymnen sind die kurzen Gebete, die in die Hymnen des
Rigveda eingestreut sind : „Sei dem Opferherrn nilfreich!" „Gib Kind und Kindes-
kindern Segen und Heil !" lauten die Bitten an Agni; zu den Maruts (Windgöttern)
fleht ein Dichter: „Gewähret uns die erfreuende, Glück bringende Gabe, um die
wir euch bitten, mit der ihr für Kind und Kindeskinder unerschöpfliches Saatgut
herbeibringt!" 11B Wie die Lobpreisung nicht selten nicht in der Duanrede, sondern
in der Erzählungsform gefaßt ist, so wird auch die den Hymnus abschließende
Bitte bisweilen in der Form des Segens ausgesprochen. So heißt es in einem
Agni-Lied: „Vaicvänara sei gnädig uns zu helfen, der Unsterbliche sei gnädig
uns zu helfen!" 120
Die vedischen Hymnen sind Opfergesänge; viele von ihnen enthalten analog
den primitiven Opfergebeten eine Einladung der Götter zur Opfermahlzeit. „Dich,
Brahmanaspati, den Herrn der Scharen, rufen wir. Uns erhörend mit deiner
Hilfe, setze dich auf deinen Sitz!" „Komm zu unserem Opfer mit deinen hundert
Gespannen, mit deinen tausend komm zum Mahl, Väyu, zu den Opfergaben, zum
Mahl. Dein ist dieser Anteil, der jahreszeitgemäße, von gleichem Strahl wie die
Sonne." 121 Häufig wird der Gott des heiligen Opferfeuers, Agni, aufgefordert,
die Götter herbeizuholen. (Vgl. o. S. 77.) „Eben geboren, führe, Agni, die Götter
hierher für den, der die Opferstreu geschnitten hat." „Führe, du Sühnender,
Leuchtender, die Götter herbei zu unserem Opfer und Opfermahl!" 121 Wie die
in die Hymnen eingeschobenen Grußworte und konkreten Bitten, so sind auch
diese Opfersprüche echte, viel gebrauchte Gebetsworte, die von den Hymnen-
5. Inhalt (Klage) 175
sängern nur poetisch verbrämt wurden. Der Dichter ist nicht bloß von derselben
Tendenz beseelt wie der primitive Beter; er benützt sogar dieselben oder ähnliche
Gebetsworte, wenn er die Götter bittet und zum Opfer lädt.
Im Hymnus tritt, wie wir sehen, die Bitte ganz zurück; die Klage ,
dieses wesentliche Element primitiven Betens, fehlt völlig. Einen viel
breiteren Raum nehmen Bitte und Klage in dem Büß- oder Sühne-
lied ein. Der Rigveda weist eine stattliche Zahl von Buß-
psalmen auf, die meist an den strengen und gerechten Richtergott
Varuna sich wenden. In der religiösen Literatur der Babylonier und
Assyrer bilden die Büß- und Klagelieder, die ursprünglich an den En-lil
und die Nin-lil von Nippur, später auch an andere Götter, vor allem
an die assyrische Madonna Ischtar, gerichtet wurden, 122 einen eigenen
Literatur zweig. Während die vedischen und vor allem die babylonisch-
assyrischen Bußpsalmen eine ganze Gattung der Hymnendichtung dar-
stellen, lassen sich in der ägyptischen Hymnenpoesie nur Ansätze zu
Bußpsalmen feststellen. 123 Auch die Klagelieder und Bußpsalmen sind
echte Hymnen. Sie dienen wie die anderen Hymnen kultischen Zwecken,
werden wie diese von Priestern gedichtet und rezitiert, sie zeigen dieselbe
poetische Struktur; sie enthalten auch dieselben ermüdenden Lob-
preisungen, Ruhm- und Schmeichelreden wie die anderen Hymnen.
Aber während sich in diesen an die Lobpreisung nur eine kurze generelle
Bitte anreiht, folgt ihr hier eine breite Klage. Wie der Lobpreis, so
besteht auch die Klage vielfach nur aus endlosen Wiederholungen einer
und derselben stereotypen Wendung; auch in der Klage werden die
Götter-, Tempel- und Ortsnamen gehäuft.
So heißt es in einem solchen Klagelied an Ba-u:
.,Die mächtige Herrin Nin-lil ruft unter Wehgeschrei den Wehruf über die Stadt.
Die glänzende Herrin von Nippur ruft usw.
Die Herrin von E-äu-me-du ruft usw.
Die Herrin, die das Leben hält, ruft" usw. 124
Neben diesen unlebendigen litaneienartigen Klagen stehen äußerst an-
schauliche, ergreifende Schilderungen der Not; freilich sind auch die
treffenden Bilder vielfach stereotyp, sie sind zumeist nicht die indi-
viduelle Erfindung eines Dichters, sondern gehören dem traditionellen
Formelschatz der Priesterschulen an.
Das folgende Klagelied schildert die durch eine Belagerung hervorgerufene
Hungersnot und Verwirrung der Stadt Nippur:
„Die Stadt von Nahrung abgeschnitten, von Not gedrückt,
In der der nach Essen Verlangende durch Mangel an Nahrung verhungert,
In der man statt des Gemahls den Sohn als ,mein Gemahl' anredet,
Das Töchterlein als ,mein Sohn* anredet,
Die Magd als ,mein Brüderchen' anredet,
In der Stadt, wo die Mutter ein neugeborenes Mägdlein als ,mein Söhnchen' anredet,
Das junge Töchterchen als ,mein Väterchen' anredet.
Wo Jammer in den Straßen herrscht und Brand angesteckt wird,
Wo man klein und groß niedermetzelt ....
Ihre Pracht hat der Feind weggenommen,
Ihren herrlichen Glanz hat das Feuer vernichtet,
Fröhlichkeit ist im Sturm dahingegangen;
Die Straßen sind verödet." 126
Das folgende Klagelied schildert mit beredten Worten die Not eines einzelnen
Herrschers :
176 C II. Der priesterliche Kult- und Beschwörungshymnus
,, Während die Schwachen stark wurden, wurde ich schwach,
Überwältigt, bin ich gleich einer Flut von einem unheilvollen Wind getrieben.
Es fliegt und entflieht mein Herz gleich einem Vogel des Himmels,
Ich wehklage gleich einer Taube bei Nacht und Tag,
Ich bin verwüstet und weine bitterlich.
Mit Weh ist mein Gemüt schmerzerfüllt ....
Als ob ich meinen Gott und meine Göttin nicht fürchtete, bin ich in Not geraten,
Krankheit, Siechtum, Verderben und Verwüstung haben mich befallen,
Drangsal, Unmut, Unwillen und Zornesfülle,
Grimmiger Zorn aller Götter und Menschen,
Ich erlebe, o meine Herrin, traurige Tage, bedrängnisvolle Monate, Jahre der
Drangsal,
Ich erlebe, o meine Herrin, eine Regierung der Verwirrung und Empörung.
Tod und Not haben mich zugrunde gerichtet.
Vernichtet ist meine Kultstätte, vernichtet mein Heiligtum,
Über mein Haus, Tor und Gefild ist Leid ausgegossen.
Meines Gottes Antlitz hat sich anderswohin gewendet,
Meine Stärke ist aufgelöst, meine Macht gebrochen,
Es harren auf dich, o meine Herrin, auf dich sind meine Ohren gerichtet." 12u
Wie in manchen primitiven Gebeten, so erhebt sich bisweilen auch
in den Bußliedern die Klage zur wehmütigen Frage an die Gottheit.
So ruft ein babylonischer Dichter zu Enlil:
„Herr des Landes, Enlil, weitsinniger, wie lange noch wird dein Herz sich nicht
beruhigen ?
Vater Enlil, wie lange noch werden deine Augen, die (alles) schauen, nicht ruhen ?
Wie lange noch wirst du deinen Kopf wie mit einem Kleide bedeckt halten ?
Wie lange noch wirst du dein Angesicht deinen Lenden zuwenden (d. h. nicht
auf mich blicken)?
Wie lange noch wirst du dein Herz wie ein Gefäß bedeckt halten ?
Gewaltiger, wie lange noch wirst du dein Herz in die Ohren stecken?" 127
Wie die hymnische Lobpreisung, so hat auch die Klage die Tendenz
aus der Gebetsrede in die Betrachtung überzugehen. Wie der Lob-
sänger sich die Größe, Macht und Schönheit des Gottes sich vergegen-
wärtigt, so versenkt sich der Klagedichter in sein oder seines Volkes
Leid; dort ist der Blick auf ein fremdes Ich gerichtet, hier wendet er
sich auf das eigene Ich. Der Hymnus, der die Taten des Gottes besingt,
wird zum mythischen Epos; das Klagelied, das des Herzens Not und
Jammer schildert, erhebt sich zur religiösen Lyrik.
Die in den Klageliedern ausgesprochene Bitte richtet sich vornehmlich
auf die Befreiung aus schwerer Not, sei es nun die Not des ganzen Landes,
Krieg, Hunger, Seuchen, sei es die Not eines Einzelnen, Krankheit oder
Siechtum. Aber wie in den anderen Hymnen, so wird auch in den Buß-
psalmen die Bitte zumeist nur generell formuliert. Alles Elend und
Mißgeschick, das über den antiken Menschen kommt, erscheint ihm
als Strafheimsuchung des Gottes, als Ausfluß seines Zornes. Darum
fleht der Sänger der Klagelieder, daß der Gott seinen Groll aufgebe
und sich wieder gnädig seinem Verehrer zuwende.
„Es besänftige sich dein Gemüt, es beruhige sich dein Herz!" „Ruhe endlich!"
sind die stereotypen Wendungen, die in den babylonisch-assyrischen Klage-
liedern unzählige Male wiederkehren. „Verkünde Versöhnung!" „Wende dich
um, kehre zurück!" „Gewähre mir Gnade!" 128 sind andere gebräuchliche Redens-
arten. „Sei gnädig, gib Gnade!" ruft der vedische Dichter in seinen Bußpsalmen
zu Varuna. 129 Der Zorn der Gottheit wurde durch ein bewußtes oder unbewußtes,
sittliches oder rituelles Vergehen erregt; deshalb fleht der Mensch, daß Gott ihm
5. Inhalt (Klage) 177
diese Sünde vergebe, sie vergesse und tilge. „Vergib mein Vergehen!" „Meine
vielen Schlechtigkeiten zerreiße wie ein Gewand!" „Lösch aus meine Schuld!"
„Befreie von dem Vorgehen, tilge dieSchuld!" 130 heißt es in babylonisch-assyrischen
Klageliedern. Und in einem Varunahymnus steht die Bitte: „Was immer wir
Menschen am Geschlecht der Götter begehen, Varuna, wenn wir deine Gesetze
übertreten haben, nicht schädige uns wegen dieser Sünde." 131
Sünde und Schuld ist hier eine Beleidigung der Gottheit, die der
Mensch wissentlich oder unwissentlich begangen hat, und durch die er
ihren Zorn auf sich lädt. Mit dieser Vorstellung verbindet sich beim
primitiven Menschen noch eine völlig andere. Sünde ist auch ein Fluch,
der auf ihm lastet, ein Bann, der sich über ihn gelegt hat, eine Be-
fleckung, die ihn verunreinigt, ein Aussatz, der seinem Leib anhaftet.
Sünde ist auch eine gefährliche, schädigende Kraftsubstanz, ein Gift-
stoff, der in seinem Körper wühlt, ein Tabu, das in ihm steckt, eine
magische Fessel, die ihn bindet. Der Beseitigung des unheilvollen
Sündentabus dient das ganze System der kathartischen Riten. Aber
der Mensch wendet sich auch im demütigen Gebet zu der Gottheit,
auf daß sie ihn vom magischen Band der Sünde befreie. In den baby-
lonisch-assyrischen wie in den rigvedischen Bußpsalmen begegnet uns
immer wieder die Bitte um Lösung der ,Sündenfessel' — das Bild lebt
noch in unserer religiösen Sprache fort.
In einem Klagelied fleht der Dichter die Ischtar an: „Löse auf meinen Bann!
Löse meine Schuld, mein Vergehen, meine Missetat und Sünde." In einem anderen
Bußpsalm betet der Priester für den Sünder: „öffne seine Bande, befrei ihn von
seinen Fesseln." „Lockere seine Fessel, damit er schleunigst aufatme." 132 Zu
Varuna ruft der Sänger: „Löse jede begangene Sünde von uns!" „Welche Sünde
wir immer gegen den Eidam begangen haben, diese löse von uns, o Varuna!"
„Löse, o Varuna, die oberste Fessel von uns, löse die unterste, löse die mittlere." 13:i
Wie in den primitiven Gebeten (s. o. S. 87 f.) wird die Bitte um Vergebung der
Sünde und Lösung der Schuld bisweilen von einem Sündengeständnis begleitet.
Ein babylonischer Büßer gesteht: „Viel sind meiner Sünden, die ich gesündigt
allesamt." In einem anderen Bußpsalm wird mehrmals das demütige Sünden-
bekenntnis wiederholt: „O Herr, meine Vergehen sind viele, groß sind meine
Sünden." In einem Bußgebet an die Schutzgottheiten kehrt immer wieder das
Geständnis: „Meine Vergehen sind siebenmal sieben." 13* Dem offenen Sünden-
bekenntnis schließt sich bisweilen eine Entschuldigung an: nicht böser Wille,
sondern Unwissenheit sei die Ursache der Verfehlung gewesen. „Als ich noch
klein war, sündigte ich." Oder der Beter erklärt, sich keiner Schuld bewußt zu
sein: „Das Vergehen, das ich begangen, kenne ich nicht. Die Sünde, die ich getan,
kenne ich nicht". 13<s
Klage, Sündenbekenntnis, Entschuldigung und Bitte um Vergebung
dienen demselben Zweck wie die Huldigung und Lobpreisung ; sie wollen
die Gnade und Gunst der Gottheit gewinnen. Der Beter will das Mitleid
des Gottes erwecken und seinen Zorn beschwichtigen. Der Bußpsalm
ist seiner inneren Tendenz nach ebenso wie der Hymnus ein Bittgebet
im primitiven Sinne. Wie der Lobsänger durch überschwenglichen Preis
und durch Schmeichelei, so sucht der Bußdichter durch Klage und
Schuldbekenntnis sich Gottes Huld zu sichern.
6. Die im Hymnus angerufenen höheren Wesen.
Die Wesen, an die der priesterliche Dichter im Hymnus und Buß-
psalm sich wendet, sind die synkretischen Göttergestalten des umfassenden
Das Gebet 12
178 CIL Der priesterliche Kult- und Beschwörungen ymnus
Pantheons, das die antiken Ritualreligionen gebildet haben. Fast alle
diese Gottheiten zeigen meist noch deutlich ihren ursprünglichen Cha-
rakter als Natur-, Lokal- oder Tätigkeitsgötter. Der ägyptische Ra ist
ursprünglich ein Sonnengott, der vedische Indra ein Sturm- und Wetter-
gott, die ägyptische Isis wie die assyrische Ischtar sind Muttergöttinnen,
die alles vegetativ.; und animalische Leben hervorbringen, der alt-
indische Agni ist der Gott des flackernden Herd- und Opferfeuers, der
thebanische Amon und der babylonische Marduk sind ehedem Lokal-
götter gewesen, der ägyptische Thot, der Gott der Schreibkunst und
Weisheit, ist ein ausgesprochener Tätigkeits- oder Patrongott. Aber
das ursprüngliche Wesen dieser Gottheiten stellt nur den Grundton
in ihrem Bilde dar, der bald mehr, bald weniger von anderen Farben
überdeckt ist. Diese Göttergestalten nahmen die Tätigkeiten und
Funktionen zahlreicher anderer Götter, Naturgeister, Lokalgötter,
Sondergötter und Heroen in sich auf, so daß ihr eigentlicher Charakter
mehr oder weniger verblaßte, bisweilen sogar bis zur Unkenntlichkeit
entstellt wurde. So ist es uns heute unmöglich, die ursprüngliche Eigen-
art des ägyptischen Osiris mit Sicherheit zu bestimmen. Dieser Syn-
kretismus der Göttervorstellung beruht auf einem natürlichen religions-
geschichtlichen Prozeß, dessen treibende Kräfte an früherer Stelle be-
sprochen wurden. (S. o. S. 115 f.) Die rituelle Hymnenpoesie brachte
noch eine künstliche Steigerung dieses Synkretismus. Um dem ange-
rufenen Gott zu schmeicheln, häufen die Priester die überschwänglichen
Prädikate und preisen ihn als den höchsten aller Götter. So werden
ihm „nicht nur die Vorzüge vieler anderer Götter beigelegt, sondern
auch Charaktere, Funktionen und Erlebnisse derselben ganz kritiklos
in sein Bild eingefügt." 136 Daraus erklärt sich der verschwommene ,
wenig individuelle Charakter der in den Hymnen gepriesenen Gott-
heiten. Sie sind einerseits anthropomorpher als die höheren Wesen,
zu denen der primitive Mensch betet, weil sie sich der Naturgebundenheit
mehr oder weniger entrissen haben, andererseits aber raubt ihnen wieder
der wirre Synkretismus die schärfere Individualisierung, die ihnen die
Loslösung vom Naturuntergrunde gebracht hatte.
Weil das Machtgebiet dieser synkretistischen Götter in keine Grenzen
eingeengt ist, beten zu ihnen die Hymnensänger um die verschiedensten
Glücksgüter. Die schlichten Leute aus dem Volke flehen freilich —
soweit sie sich überhaupt an diese zum offiziellen Priesterkult gehörenden
Gottheiten wenden — auch sie vorwiegend in ganz bestimmten Nöten
an. (S.o. S. 116.) Die Volksreligion hat eben die ursprüngliche Wesensart
der Götter treuer bewahrt als die rituelle, theologische Priesterreligion.
Der Universalismus der in der Hymnenpoesie angebeteten Götter
fordert einen Vergleich mit den hehren Gestalten der primitiven ,Ur-
väter' heraus. Auch sie gelten als ,höchste Wesen', als Schöpfer alles
Seienden, als Herren Himmels und der Erde. Auch zu ihnen betet der
Mensch um die verschiedensten Gegenstände und bei den verschiedensten
Anlässen. Dennoch springt der Unterschied zwischen den primitiven
Urvätern und den großen Göttern der antiken Religionen beim ersten
Blick in die Augen. Die ,high gods' der Naturvölker sind durchaus
7. Die Gottesvorstellung 179
einfache Wesen, so einfach wie die Naturgeister und die Ahnen; die
antiken Götter hingegen sind komplizierte Gestalten, hervorgegangen
aus der Vermischung zahlreicher Einzelgötter. Die Urväter der Primi-
tiven sind wirkliche Schöpfergottheiten und Weltbeherrscher, die
Schöpfertätigkeit ist ihre wesentliche Tätigkeit ; die antiken Götter hin-
gegen — der Varuna des Veda ausgenommen — sind keine Schöpfer-
gottheiten, der Dichter sucht ihnen nur zu schmeicheln, indem er sie
zu Weltschöpfern erhebt. In den primitiven Gebeten an den Urvater
redet eine ehrliche Überzeugung, in den antiken Kulthymnen ist die
Lobpreisung des Gottes als Schöpfers eine nicht ernst gemeinte Phrase.
In den eigentlichen Kulthymnen wird stets nur ein Gott angerufen ;
diese Ausschließlichkeit ist schon durch die ganze Tendenz des Hymnen-
dichters gefordert. In manchen vedischen Opfergesängen werden der
Reihe nach sämtliche Götter des vedischen Pantheons mit Namen
angerufen. 137 Der Beter fürchtet den Zorn einer Gottheit auf sich zu
laden, wenn er übersieht, sie zum Opfermahl einzuladen. Einige avestische
Yascht sind bloße Namenlisten, aus weitläufigen Anrufungen der
Götter und Geister bestehend. 138 In vielen babylonisch-assyrischen
Klageliedern wendet sich der Sänger an eine Vielzahl von Gottheiten ;
der Namennennung folgt in Litaneiform die einförmige Bitte. Manche
Texte zählen lediglich die Namen auf und fügen ihnen erläuternde
Epitheta bei. So heißt es in einem Bußpsalm:
„Enlil und seine Gemahlin Ninlil, Ninib und Gula, Ea, Damkina, En-mul.
Nin-mul, Nusku von erhabener Macht, Schutzgeist von E-kur, Mutter des Hauses
der Sa-dar-nunna ; Sir, Schutzgeist von E-iarra, gnädiger Lamassu von erhabenem
Glanz." So geht die schier endlose Kette der Götternamen fort, bis mit einer
generellen Anrufung aller Götter geschlossen wird:
,,Die Götter des Himmels, die Götter der Erde,
Die großen Götter — ihrer fünfzig,
Die Götter der Schicksalsbeschwörung — ihrer sieben.
Die Annunaki des Himmels — ihrer dreihundert.
Die Annunaki der Erde — ihrer sechshundert." 13*
Der vom Unglück Heimgesuchte zählt alle Götter auf, um den Gott,
der ihm grollt und den er nicht kennt, nicht zu übersehen, oder er ruft
alle Gottheiten zu Hilfe, damit sie den Grimm des einen strafenden
Gottes besänftigen.
7. DiedemKulthymnus zugrundeliegende Gottes-
vorstellung.
Die Götter, an die der priesterliche Dichter sich im Hymnus wendet,
besitzen denselben anthropomorphen Charakter wie die Naturgeister,
Lokal- und Sondergötter, zu denen der Primitive betet. Was Olden-
berg von den vedischen Göttern sagt, gilt von den Göttern der antiken
Ritualreligionen überhaupt: „Sittliche Erhabenheit, Heiligkeit im
Sinne unserer Religion liegt dem Wesen dieser himmlischen Herren im
ganzen ziemlich ferne. Sie sind erregbar, launenhaft, überwiegend von
einer nicht ganz zuverlässigen Gutmütigkeit; tückische, gefährliche
Gesellen fehlen unter ihnen nicht. Um ihre Gunst zu gewinnen, ist es
nicht so wesentlich, Tugenden zu üben, als vielmehr sie reichlich zu
180 C II. Der priesterliche Kult- und Beschwörungshymnus
speisen, prächtige Trinkgelage zu veranstalten, durch kunstvolle Lob-
lieder ihnen zu schmeicheln." 140 Der letzte Punkt zeigt den Fort-
schritt gegenüber der primitiven Gottesvorstellung. Die Götter sind
stets nach dem ^Bild und Gleichnis' des Menschen gedacht. Mit dem
Fortschritte der Kultur schreiten auch die Göttervorstellungen fort;
steigern und verfeinern sich die Genüsse der Menschen, so steigert
und verfeinert sich in der Vorstellung des Menschen auch das
Genießen der Götter. Die Götter fordern dann nicht bloß Speise und
Trank, sondern auch ästhetische Freuden und glänzende Ruhmreden,
die ihr Selbstgefühl steigern. „Dir, o Agni," heißt es im Rigveda, „soll
das süßeste Wort, dir dieses Lied gehören, als Freude für das Herz." 141
Die kunstvollen Hymnen, welche die Priester ihnen zu Ehren dichten
und vortragen , erfreuen und stärken die Götter genau so wie die Speise-
und Trankopfer. Die Verherrlichung ihrer Macht und Güte weckt in
ihnen Lust und Mut zu neuen Machttaten und Hulderweisen. Wie die
Menschen, so haben auch die Götter Wohlgefallen an klingenden Phrasen,
an schwungvollen Reden, an überraschenden Wortspielen, am Rhythmus
und Gleichmaß der Gedichte. So wird der Hymnus zu einer „von
Herzen gezimmerten Opferspeise", wie ein treffendes rigvedisches
Bildwort besagt. Die prunkvoll aufgeputzten Gesänge erfüllen den
vedischen Gott „wie die großen Strömeden Indus", 142 sie umschmeicheln
und umarmen ihn wie die Gattin den Gatten, die Liebende den Ge-
liebten, sie stärken ihn wie der heilige Rauschtrank des Soma. 143 So
liegt auch dem Hymnus derselbe Anthropomorphismus der Gottesvor-
stellung zugrunde, der die Voraussetzung für das primitive Gebet bildet
8. Das im Hymnus sich äußernde Verhältnis des
Menschen zu Gott.
Dem kultischen Zweck, zumal der engen Verbindung mit dem Opfer
entspricht es, daß der Hymnus weder eine Meditation noch eine Homilie,
weder ein Monolog noch ein Epos ist, sondern ein wirkliches Gebet.
Nicht an menschliche Hörer wendet sich der Sänger, sondern an einen
Gott. Schon seiner äußeren Gestalt nach ist der Hymnus zumeist ein
Gebet; die verschiedenen Formen und Teile des Gebets: Anrufung,
Klage, Bitte, Lob, Überredung kehren in ihm wieder. Aber auch dann,
wenn die Du-Anrede an den Gott nicht konsequent durchgeführt ist
oder sogar völlig fehlt, ist der Gebetscharakter des Hymnus doch un-
zweifelhaft. Durch das Fehlen der äußeren Gebetsform wird die innere
Gebetstendenz des Kulthymnus nicht aufgehoben.
Wie im primitiven Gebet, so spielt sich auch im Hymnus ein realer
Verkehr des Menschen mit dem gegenwärtigen Gotte ab. Der Beter
versucht eine Einwirkung auf den Gott, er will ihn für sich gewinnen
oder ihn umstimmen und wendet zu diesem Zwecke jene Mittel der
Rede an, die er auch im Verkehr mit Menschen benützt, um seine Ziele
zu erreichen. Wie das Verhältnis des primitiven Beters zu Gott, so ist
auch das Verhältnis des Hymnendichters zu dem gefeierten Gotte der
Widerschein eines menschlich-irdischen Gesellschaftsverhältnisses ;
freilich nicht eines Kindschafts- oder Verwandtschaftsverhältnisses.
8. Verhältnis zu Gott — 9. Schlußcharakteristik 181
Wenn in. manchen ägyptischen und assyrischen Hymnen in der Gebets-
anrede der Vater- oder Muttername gebraucht wird, so ist das nur eine
uralte Gebets tradition oder eine geschickt gewählte, schmeichelhafte
Phrase. Das Verhältnis des priesterlichen Dichters zum angerufenen
Gott spiegelt das Verhältnis der orientalischen Höflinge zu ihrem
Herrscher wider. Mit ähnlichen schwulstigen Schmeicheleien und Er-
gebenheitsphrasen überhäuften die ägyptischen Hofbeamten den Pharao,
die babylonischen Gaufürsten und Priester ihren Großkönig. Das
Verhältnis des Hymnendichters zu dem gepriesenen Gott ist ebensowenig
wie das eines Hofmannes zu dem mächtigen Despoten ein echtes, unbe-
fangenes Vertrauensverhältnis, sondern steif, offiziell, zeremoniös. Da
ist keine kindliche Herzlichkeit, keine Zuversicht, keine Sehnsucht und
Begeisterung. Schon der Umstand, daß der Dichter viele Gottheiten
besingt, schließt eine volle Hingebung an den angebeteten Gott aus.
„Man kann," bemerkt Oldenberg, ,, nicht zu einem Gott so reden, wie
der alttestamentliche Dichter zu Jahwe redet, wenn man weiß, daß im
nächsten Augenblick die Opferordnung die Besingung eines anderen
und dann alsbald wieder eines anderen Gottes verlangen wird. Das
Verhältnis zwischen Mensch und Gott kann hier nicht leicht über eine
gewisse Kühlheit und Äußerlichkeit hinauskommen." 144
9. Schlußcharakteristik.
Überschauen wir die rituelle Hymnendichtung der verschiedenen
antiken Religionen und vergleichen wir sie mit dem naiven Beten des
primitiven Menschen, so zeigt sich deutlich, daß der Kulthymnus seinem
Wesen nach primitives Beten ist. Sein Inhalt weist gegenüber dem
primitiven Gebet keine wesentlich neuen Elemente auf : auch Lob und
Klage gehören, wie wir sahen, zum primitiven Beten; im Hymnus und
Bußpsalm nehmen sie zwar den meisten Raum ein, aber sie sind ebenso
wie bei jenen nur Überredungsmittel, welche die Bitte stützen sollen.
Dem Hymnus liegt dieselbe anthropomorphe Gottesvorstellung zu-
grunde wie dem primitiven Gebet, den Hymnendichter und -sänger
beseelt dieselbe Absicht wie den naiven Beter; es gilt den Gott zu ge-
winnen, daß er helfe und schenke, schenke im Übermaß. Während so
der Hymnus dieselbe innere Eigenart besitzt wie das Gebet des Primi-
tiven, offenbart er in zweierlei Hinsicht einen Unterschied. Ein Fort-
schritt liegt in der formalen Seite: die dichterisch-künstlerische Fassung
der Lobpreisung ist bedingt durch den Fortschritt der allgemeinen
Kultur, der eine Steigerung und Verfeinerung des ästhetischen Wert-
fühlens mit sich bringt. Diesem formalen, äußeren Fortschritt steht
gegenüber ein innerer Rückschritt. Die Hymnenpoesie hat ebenso wie
das rituelle formelhafte Prosagebet im ganzen die urwüchsige Frische
und Naivität eingebüßt, die das auszeichnende Merkmal des primitiven
Betens bildet und die auch im primitiven Kultlied noch spürbar ist.
Trotz des äußeren dichterischen Prunkes ist darum der Kulthymnus
ebenso wie das komplizierte Mythensystem und das priesterliche Ritual
der antiken Völker ein Degenerationsprodukt. Die antike Ritualpoesie
ist „der Schlußstein einer sehr langen Entwicklung" (Pischel) 146, einer
182 C III. Der literarische Hymnus
Entwicklung, in der das religiöse Denken und Leben seiner ursprüng-
lichen Kraft und Tiefe verlustig ging. Die Gottesvorstellung, der Mythus,
der Gebetsverkehr mit Gott verraten durchgängig „einen Verfall und
ein Altern des geistigen Lebens, wo Schulmethode und Pedanterie das
Denken vorwiegend beherrschen, wo der Glaube zur Theorie, der Kultus
zum Ritual geworden" (Edvard Lehmann). 146
Als Stück des priesterlichen Rituals partizipiert der Kulthymnus an
dem Heiligkeitscharakter, der diesem eigen ist. Voll Ehrfurcht und
Bewunderung lauschten die Epigonen den Worten der aus alter Zeit
überlieferten Kulthymnen. Nirgends erreichte die Wertschätzung der
Ritualdichtung eine solche Höhe wie im alten Indien. Der Rigveda
erlangte kanonische Geltung; seine Hymnen sind ,inspiriert' , sind
, Offenbarung', sruti, d. h. das, was die heiligen Barden, die rshi in ferner
Vorzeit aus dem Munde der Götter hörten. In Ägypten und im Zwei-
strömeland erreichten die Hymnensammlungen zwar nicht den Charakter
inspirierter Offenbarungsbücher. Trotzdem war ihre Wertung keines-
wegs geringer; man schrieb den Hymnen zauberhafte Kraft zu, eine
Anschauung, die wir auch im alten Indien antreffen. Wie das Opfer
zur Zauberhandlung wurde, so sank der Hymnus aus einem Gebet zum
Zauberspruch herab, der dann auch außerhalb des Kults zu allerlei
magischen Praktiken benützt wurde. So wurde die rituelle Hymnen-
poesie in den großen Entartungsprozeß hineingezogen, der die antiken
Ritualreligionen zu verworrenen Zaubersystemen verkümmern ließ und
so ihre Auflösung vorbereitete. Gleichwohl wurde sie auch der Aus-
gangspunkt einer individuellen religiösen Poesie, die, losgelöst vom
Ritual, einen höheren und reineren Frömmigkeitstyp schuf.
III. Der literarische Hymnus.
Die überschwänglichen Lobpreisungen des Hymnus dienten, wie wir
sahen, ursprünglich dazu, den jeweils angerufenen Gott sich geneigt zu
machen; sie waren lediglich eine captatio benevolentiae, eingegeben
vom egoistischen Wunsche nach Erlangung von Hilfe und Gunst-
erweisen. Aber das konzentrierte Streben, in immer neuen Formen des
Gottes Macht, Güte und Schönheit zu verherrlichen, bedingte in tieferen
Naturen einen Wandel der psychischen Motive. Der gefeierte Gott
wird durch die übertreibenden Lobpreisungen in der Vorstellung des
Dichters wie des Hörers immer größer und herrlicher. Die betrachtende
Vergegenwärtigung des Wesens und Wirkens der Gottheit läßt den
Sänger ästhetische Werte im Bilde des Gottes entdecken und genießen.
Die Vorstellung Gottes, dessen Wert- und Erhabenheitscharakter der
Sänger absichtlich und künstlich gesteigert hatte, wirkt so auf dessen
Erleben zurück, und weckt in ihm spontane, echte Wertgefühle: Ehr-
furcht, Bewunderung, Staunen, Entzücken, Sehnsucht, Hingabe. 147
Die henotheistische Erhebung des angebeteten Gottes, geboren aus
schmeichlerischer Gefälligkeit, erregt im Beter echte Gottesliebe: er
erlebt den Gott, den er angerufen, als höchsten Wert. Diese tiefen
seelischen Erlebnisse drängen in künstlerisch begabten Frommen zu
neuen, selbständigen Ausdrucksformen: die alten stereotypen Epitheta
Form 183
und Huldigungsphrasen genügen nicht, um die quellenden Affekte und
Gefühle des von seinem Gott Ergriffenen auszudrücken; so besingt er
den Gott in neuen individuellen Hymnen, die er nach Analogie der
alten Kulthymnen, unter Verwendung derselben poetischen Kunstmittel
dichtet. Aus der traditionellen Ritualpoesie wächst auf diese Weise
eine individuelle Hymnenpoesie heraus, die den Zusammenhang mit
der älteren Kultpoesie noch deutlich offenbart, aber nach Form und
Inhalt einen selbständigen Typ der Hymnendichtung darstellt. Bis-
weilen (z. B. in manchen ägyptischen Hymnen) treffen wir beide Dich-
tungsarten nebeneinander ; der Dichter ringt noch mit dem traditionellen
Schema, aber er vermag sich ihm nicht völlig zu entwinden.
In allen priesterlichen Ritualreligionen, im alten Mittelamerika und
im vedischen Indien, in Ägypten und in Assyrien löste sich eine freie,
literarische Hymnenpoesie von der Ritualdichtung ab. In Ägypten
können wir sogar den Zeitpunkt hiefür bestimmen : in der zweiten Hälfte
des neuen Reiches vollzieht sich der Umschwung: „Der frische Zug,
der in dieser Epoche das ägyptische Leben durchweht, ruft eine religiöse
Dichtung hervor, in der das Fühlen und Empfinden des Einzelnen frei
sich ausspricht" (Erman). 148 Auch in Griechenland ging aus der
Kultpoesie eine literarische Hymnenpoesie hervor; ,,die Hymnen-
dichtung in Griechenland muß im 8. Jahrhundert einen lyrischen
Charakter erhalten haben." (Holwerda) 149 Die berühmtesten dieser
griechischen Hymnen sind jene, die unter Homers Namen bekannt
sind. Im Unterschied von der literarischen Hymnenpoesie der genannten
Ritualreligionen schloß sich die griechische unmittelbar an das einfache
Kultlied an, da die griechische Religion eine eigentliche Ritualpoesie
analog der indischen oder ägyptischen nicht besitzt.
Die individuelle Hymnendichtung, die aus der schematischen Kult-
hymnenpoesie herauswuchs, ist im Gegensatz zu dieser rein literarischer
Natur. Der Sänger dichtet nicht für die Zwecke des Kultus ; der Hymnus
ist nicht dazu bestimmt, ein Opfer, eine Weihe- oder Sühnezeremonie
zu begleiten, sondern er ist der selbständige, spontane Ausdruck der in.
der Seele des Dichters sich drängenden Gefühle, Stimmungen und Affekte,
Unter den babylonischen und assyrischen Priestern, schreibt Jastrow
„gab es gewiß manche, die entweder durch ihr frommes Gemüt angeregt
oder durch schriftstellerisches Talent ermutigt, Hymnen verfaßten, ohne
den bestimmten Zweck ihrer Verwertung beim Gottesdienst im Auge
zu haben — gleich den Psalmendichtern des Alten Testaments, bei
denen der rein religiöse Sinn augenscheinlich das Hauptmotiv bildete,
wenn auch später die Sammlung selbst zu rein gottesdienstlichen Zwecken
redigiert wurde." Freilich ist es nicht immer leicht, zwischen Kult-
hymnus und literarischem Hymnus zu unterscheiden; „einen fest-
stehenden Maßstab gibt es nicht." 15° Otto Weber urteilt: „Viele baby-
lonische Hymnen sind gewiß wie die hebräischen Psalmen ursprüngliche,
spontane Ausflüsse persönlicher Stimmungen." Wir haben ein Recht,
aus der Reihe der Klagelieder und Bußpsalmen „literarische Psalmen
auszuscheiden in Rücksicht auf den Umstand, daß diese letzteren
keinerlei Beziehung zum praktischen Kultus verraten, während die
184 CHI. Der literarische Hymnus
ersteren durch innere und äußere Anzeichen ihren engen Zusammen:
hang mit dem gottesdienstlichen Gebrauch bekundeten. Wir haben
es vielmehr offenbar mit rein literarisch zu wertenden Erzeugnissen zu
tun, und zwar mit solchen, die nicht nur ursprünglich, sondern wie es
scheint, für alle Zeiten als rein literarische Denkmäler betrachtet und
überliefert und nie in den gottesdienstlichen Zusammenhang eingefügt
worden sind." 151 Ein Teil der vedischen Hymnen sind nach Winternitz
„unabhängig von allem Opferrituell als die naiven Äußerungen eines
frommen Götterglaubens, als die Herzensergüsse gottbegeisterter Sänger
entstanden; in ihnen weht der Hauch echter, urwüchsiger, religiöser
Poesie."152 Auch die orphischen und homerischen Hymnen sind nach
dem Urteil eines Fachgelehrten „nicht liturgische Gesänge" (Bau-
meister). 153 Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, daß Hymnen, die ur-
sprünglich nicht zu Kultzwecken geschaffen worden waren, sekundär
zu solchen benützt wurden, wie das bei den israelitischen Psalmen der
Fall war. So vermutet Jastrow, daß das ergreifende Klagelied des
assyrischen Hiob von einem Priester am Versöhnungstag rezitiert
wurde. 154 Roeder schließt aus der großen Zahl der Stellen, an denen
der Sonnenhymnus des Ichenaton überliefert ist, daß er „das Bekennt-
nislied der Atongemeinde" ist. „Wenn nicht bei jedem Gottesdienst,
so ist er gewiß bei den großen Feierlichkeiten wie ein Tedeum gesungen
worden." 156
Die Verfasser der Kulthymnen sind stets Priester, die für rituelle
Zwecke dichten. Die literarische Hymnenpoesie hingegen erscheint als
Laienschöpfung. Hier sprechen religiös und dichterisch produktive
Männer der Bildungsschicht, Fürsten und Ritter, Künstler und Beamte.
Die peruanischen Inkas dichteten schwungvolle Hymnen, deren religiöse
Reinheit und Tiefe uns überrascht. 156 Um 1400 v. Chr. dichteten zwei
ägyptische Architekten, Suti und Hör, die von Amenophis III. in
Theben beschäftigt waren, einen feurigen Sonnenhymnus, der auf einer
im britischen Museum befindlichen Stele uns erhalten ist. 157 Der be-
geisterte Preisgesang auf Aton ist das Werk des Königs Amenophis IV.
Ichenaton, des großen Reformators der ägyptischen Religion. 158 Die
hymnischen Gebete, die man in den vornehmen Gräbern von Teil
el-Amarna fand, sind nicht priesterliche Elaborate, sondern entstammen
dem Adel und der Beamtenschaft des Ichenaton. 159 Aus der Zeit
Ramses II. sind prächtige hymnische Gebete erhalten, die von einem
nach Nubien verbannten Beamten verfaßt sind. 160 In dem Klage-
gesang des assyrischen Hiob redet ein König von seinen Leiden und
Drangsalen. 161 Wir dürfen auch vermuten, daß die rein literarischen
Hymnen des Rigveda nicht von Brahmanen, sondern von Angehörigen
der Kriegerkaste (Ksatrya) stammen. Der Umstand, daß Laien die
Verfasser dieser Hymnen sind, bedingt den freien, persönlichen Charakter,
der ihnen im Unterschied von den priesterlichen Ritualhymnen eigen ist.
Nur Laien waren imstande, sich den drückenden Priestertraditionen
zu entreißen und neue Ausdrucksformen des religiösen Erlebens zu
schaffen.
Die literarische Laienpoesie unterscheidet sich von der rituellen
Verfasser — - Inhalt 185
Priesterpoesie schon in der Form. Sie ist nicht wie diese in der schwer-
fälligen, schwulstigen Sakralsprache, sondern in der leichten, beweg-
lichen Sprechsprache abgefaßt. Seit der zweiten Hälfte des neuen
Reiches sind die ägyptischen Hymnen nicht mehr in der archaischen
Sprache der alten Literatur, sondern in der modernen Umgangssprache
gedichtet. 162 Von der Monotonie der Kulthymnen sticht die Frische
und Farbenpracht der literarischen Hymnen ab; dort nüchterne Sche-
matik, hier individuelle Kraft und Originalität; dort plumpe und grelle
Bilder, hier anschauliche und packende Vergleiche; dort ein Hang zum
Maßlosen, Verworrenen, Grotesken, hier Klarheit, Maß und Harmonie.
Die individuelle Hymnenpoesie ist im Gegensatz zur Ritualdichtung
urwüchsige Naturpoesie. Die priesterlichen Dichter häufen stereotype
Epitheta, Titel, Namen, dunkle mythologische Andeutungen, Huldigungs-
formeln und Ergebenheitsphrasen — die literarischen Hymnendichter
versenken sich kontemplierend in das Naturgeschehen, in dem sie des
Gottes Wesen und Wirken erkennen, sie konzentrieren sich auf die
ästhetischen Werte, die in den Naturobjekten und im gesetzmäßigen
Naturlauf verkörpert sind; der Gedanke, daß in und hinter dem Natur-
geschehen ein übernatürliches, göttliches Wesen waltet, verbindet mit
den ästhetischen Wertgefühlen die religiösen Wertgefühle anbetender
Ehrfurcht und Bewunderung. Meist ist es die Sonne, deren Schönheit
und Segenskraft der Dichter betrachtet und lobpreist. Als das schönste
der zahlreichen Sonnenlieder kann der Hymnus des ägyptischen Königs
Ichenaton gelten. Er hebt an mit einer Schilderung des Sonnenauf -
und Untergangs:
„Du erglänzest schön im Himmelshorizont, du lebender Aton, der am Uranfang
lebte. Wenn du aufgehst am östlichen Horizont, so erleuchtest du jedes Land
durch deine Schönheit. Wenn du herrlich und groß und glänzend und hoch über
jedem Lande bist, umarmen deine Strahlen die Länder bis zum Ende alles dessen,
das du geschaffen hast ....
Gehst du zur Ruhe im westlichen Horizont, so liegt die Erde in Finsternis,
als wäre sie gestorben. Man schläft in den Zimmern mit verhülltem Kopf, kein
Auge sieht das andere; wird alle ihre Habe weggenommen, die unter ihren Füßen
liegt — sie merken es nicht. Jeder Löwe kommt aus seiner Höhle, und die Erde
liegt schweigend da; denn der Schöpfer der Menschen ruht in seinem Horizonte.
Gehst du morgens im Horizonte auf und erglänzest als Aton am Tage, so ver-
treibst du die Finsternis und spendest deine Strahlen. Die beiden Länder freuen
sich dann ; sie erheben sich und treten auf die Füße — du hast sie erhoben ! Man
wäscht seine Glieder, ergreift seine Kleider, und ihre Arme beten dein Erscheinen
an. Die ganze Erde nimmt ihre Arbeit auf. Alles Vieh freut sich über sein Gras,
die Bäume und Gräser werden grün. Geflügel und Vögel (kommen) aus ihren
Nestern, ihre Flügel sogar beten deinen Ka an. Alle Ziegen springen auf die Beine,
die Vögel und alles Fliegende — sie beginnen zu leben, wenn du ihnen aufgehst.
Die Schiffe fahren stromab und wieder stromauf, jeder Weg ist geöffnet durch
dein Erscheinen; selbst die Fische im Strom springen auf dich zu, denn deine
Strahlen reichen tief in den Ozean hinein." 163
Der Lauf der Sonne wird in einem babylonischen Hymnus geschildert, der
freilich an poetischer Frische an den Atonhymnus nicht heranreicht:
„Die mächtigen Gebirge sind erfüllt von deinem Glänze,
Deine Helligkeit füllt und überwältigt alle Länder,
Du erreichest die Gebirge, überschauest die Erde,
An den äußersten Endpunkten der Erde, mitten im Himmel schwebst du,
Die Einwohner der ganzen Welt überwachst du ....
186 C III. Der literarische Hymnus
Du schreitest regelmäßig über die Himmelsbahn,
Um die Erde zu erleuchten, kommst du täglich ....
Du überschreitest das weite, ausgedehnte Meer,
Dessen Tiefe die Himmelsgötter nicht kennen.
O Schamasch, dein Glanz reicht bis in die Tiefe hinein,
Dein Licht durchdringt die Meereswogen ....
Welche Gebirge sind nicht bedeckt durch deinen Glanz,
Welche Weltteile sind nicht beleuchtet durch das Aufflammen deines Lichtes!
Du erleuchtest die Dunkelheit, erleuchtest die weite Erde,
Erhellest den Tag, bringst auf die Erde herab die Hitze am Mittag,
Machst die weite Erde erglühen wie ein Flammenmeer.
Du kürzest die Tage und verlängerst die Nächte,
Bringest herbei Kälte, Frost, Schauer und Schnee." 164
Die Morgenröte (Usas) wird von rigvedischen Sängern in prachtvollen Liedern
besungen :
..In Majestät aufstrahlt die Morgenröte
Weiß glänzend wie der Wasser Silberwogen,
Sie macht die Pfade schön und leicht zu wandeln
Und ist so gut und mild und reich an Gaben.
Ja, du bist gut, du leuchtest weit, zum Himmel
Sind deines Lichtes Strahlen aufgeflogen.
Du schmückest dich und prangst mit deinem Busen.
Und strahlst voll Hoheit, Göttin Morgenröte.
Es führt dich ein Gespann von roten Kühen,
Du sel'ge, die du weit und breit dich ausdehnst.
Sie scheucht die Feinde wie ein Held mit Schleudern,
Und schlägt das Dnukel wie ein Wagenkämpfer.
Bequeme Pfade hast du selbst auf Bergen
Und schreitest, selbst erleuchtend, durch die Wolken" 1S5 . . .
Zur Betrachtung des Naturwirkens der Gottheit tritt die Versenkung
in ihre lebenspendende und helfende Güte. Der große Atonhymnus
preist den Sonnengott als Schöpfer und Erhalter alles Lebendigen:
„Du (bist es), der die Gezeugten in den Frauen ernährt und dem Kinde im
Leibe seiner Mutter Leben gibt; der es beruhigt, so daß es nicht weint — du
Wärterin im Mutterleibe! (Du bist es), der den Atem spendet, um jedes (Kind)
zu beleben, das er geschaffen hat, wenn es aus dem Mutterleibe an das (Licht)
kommt am Tage seiner Geburt; du öffnest seinen Mund bei dem (ersten) Geschrei
und sorgst für seinen Unterhalt. Sitzt das Küken im Ei und piept an der Schale,
so gibst du ihm Luft, um es zu beleben; du schaffst ihm Kraft, um das Ei zu
zerbrechen ....
Wie zahlreich ist, was du schufst! ... Du schufst die Erde nach deinem
Wunsche, als du allein warst, mit Menschen, Herden und allem Vieh und allem,
das auf der Erde ist und auf seinen Füßen geht und das schwebt und fliegt auf
seinen Flügeln. Die Fremländer von Syrien und Kusch und das Land Ägypten
— du setzest jeden Mann (in ihnen) an seinen Platz und sorgst für ihren Unterhalt,
so daß jeder einzelne seine Nahrung hat ....
Du schaffst den Nil in der Unterwelt und führst ihn herbei nach deinem Be-
lieben, um die Menschheit zu beleben — denn du bist es ja, der sie dir schafft,
du ihrer aller Herr ....
Alle Fremdländer sind glücklich, denn du lassest sie leben. Du setzest einen
Nil (d. i. den Regen) an den Himmel, damit er zu ihnen hinabsteige und Wogen
auf den Bergen wie den Ozean erzeuge, um ihre Äcker bei ihren Städten zu über-
fluten. Wie gütig ist deine Fürsorge, du Herr der Ewigkeit! . . .
Du schufst die Jahreszeiten, um alles, was du schufst, zu beleben: den Winter,
um sie zu kühlen, die Hitze, damit sie dich auskosten. Du hast den fernen Himmel
geschaffen, um an ihm aufzugehen und alles zu sehen, was du geschaffen hast.
Inhalt 187
Du bist einzig, wenn du aufgehst in deiner Gestalt als lebender Aton, wenn du
glänzest und leuchtest, wenn du dich entfernst und zurückkehrst. Du schaffst
Millionen von Erscheinungen durch dich, wenn du auch allein bist; Städte, Orte
und Felder, Weg und Strom — alle Augen insgesamt blicken auf dich, wenn du,
der Aton des Tages, über der Erde bist." 148
Der assyrische Schamasch-Hymnus feiert die helfende Güte des Gottes:
,, Jeder, wer er auch sei, ist in deiner Obhut.
Du leitest ihre Rechtssprüche, die Gebundenen befreist du.
Du erhörest, o Schamasch, Flehen, Gebet und Anrufung,
Demütigung, Verbeugung, Verehrung und Niederwerfung.
Mit lauter Kehle schreit der Elende zu dir;
Der Schwache, Kraftlose, Bedrängte, Niedergetretene,
Mutter, Frau und Magd flehen dich beständig an.
Der entfernt von seiner Familie weilt, fern von seiner Stadt,
Der Hirt beim Einbringen des Feldertrags fleht zu dir."
In dieser Weise fährt das Preislied fort und zählt alle diejenigen auf, die zum
Sonnengott um Hilfe und Gnade flehen; der Reisende, der Kaufmann, der
Jäger, der Hirt, der Weise, der von Räubern Überfallene — alle werden von
Schamasch erhört. 167 Die liebende Fürsorge des Gottes wird gerne in ägyptischen
und assyrischen Hymnen unter dem Bilde des , guten Hirten' gepriesen. So heißt
es in dem erwähnten Schamaschhymnus: „Alles erschaffene Wesen weidest du
insgesamt, du bist der Hirte alles dessen, was droben und unten ist" 168
Dieselbe Stimmung dankbarer Bewunderung spricht aus dem homerischen
Hymnus an Gaia:
„Allmutter Erde, dich festgegründete will ich besingen,
Älteste unter den Göttern, du weidest alles auf Erden,
Alles, was in deinem göttlichen Schöße sich regt und im Meere
Und in der Luft, das alles nähret sich von deiner Gabe.
Aus dir erstehen gar herrliche Kinder und schöne Früchte.
Holde, es stehet in deiner Macht zu geben, zu nehmen
Leben den sterblichen Menschen. O selig, den du da würdigst
Deiner Gnade und Huld, denn alles gewährst du ihm reichlich.
Herrliche Ähren traget das Kornfeld, und auf den Wiesen
Weiden gar kräftige Rinder, im Haus wohnen adlige Männer.
Diese lenken mit weisen Gesetzen die Stadt, wo gar schöne
Frauen wirken und schaffen, wo Glück und Reichtum nicht schwinden.
Jünglinge schreiten einher, voll Stolz, in Frohsinn und Freude,
Jungfrauen eilen, mit Blüten gezieret, zum freudigen Reigen,
Spielen und hüpfen auf weichem, mit Blumen gesprenkeltem Grase.
Ihnen scher kest du Huld, hehre Frau, du neidlose Gottheit.
Heil dir, du Mutter der Götter, du Gattin des sternreichen Himmels" l*9
Die individuelle literarische Hymnenpoesie offenbart einen kräftigen,
ethischen Zug ; der Sänger preist seinen Gott als Schirnier und Wächter
des Guten, als Rächer und Bestraf er des Bösen. So heißt es in dem
erwähnten Schamasch-Hymnus :
„Wer auf Schlechtigkeit sinnt, dessen Hörn zerstörst du,
Wer beim Feststellen der Grenzen auf Abänderung des Besitzes bedacht ist,
Den ungerechten Richter hältst du durch Gefangenschaft zurück,
Der Bestechung annimmt, der nicht recht leitet, dem legst du Sünde auf.
Derjenige, der keine Bestechung annimmt, der für die Bedrückten besorgt ist,
Ist dem Schamasch wohlgefällig, dessen Leben wird verlängert."
„Der Samen derer, die ungerecht handeln, wird nicht gedeihen,
was ihr Mund in deiner Gegenwart ausspricht,
Wirst du zerstören, was aus ihrem Munde hervorgeht, wirst du auflösen.
Du kennst i.ire Übertretungen, den Ausspruch des Schlechten verwirfst du." l7°
Die Betrachtung der Größe, Güte und Schönheit des Gottes weckt
bisweilen im Dichter eine mystische Sehnsucht nach seiner beglücken-
188
C III. Der literarische Hymnus
den Gegenwart und Nähe. An alttestamentliche Psalm worte klingen
zwei Hymnen der peruanischen Inka an.
..O Virachoca! Herr des Universums
Seiest du nun männlich,
Seiest du weiblich,
Herr der Hitze, Herr der Zeugung!
Reicht Orakelkunst hin
Um zu erfahren, wo du weilst?
Bist du ferne, wo weilst du ?
Magst du dort oben sein,
Magst du sein bei
Deinem Herrscherthron und -scepter,
O hör mich!
Von der Himmelshöhe,
Von der Meerestiefe,
Wo immer du weilst,
O Schöpfer der Welt,
O Erschaffer des Menschen,
O Herr aller Herren !
Zu dir allein,
Mit schwachen Augen,
Voll Sehnsucht dich z\i erkennen,
II.
..Komm doch,
Groß wie die Himmel,
Herr über die Erde,
Schöpfer aller Dinge,
Schöpfer des Menschen!
Immer bete ich dich an
Komm ich zu dir,
Dich zu erkennen,
Dich zu verstehen.
Du siehst mich,
Du kennst mich.
Sonne und Mond,
Tag und Nacht,
Frühling und Winter,
Sie alle eilen,
Getreu deinem Befehl,
Von bestimmten Orten
An ihre Bestimmung;
Rechtzeitig kommen sie dorthin,
Wo immer du befiehlst,
Du hältst sie fest.
O höre mich!
Mach mich zu deinem Auserwählten!
Dulde nicnt,
Daß ich ermatte,
Daß ich sterbe!"
Dich suche ich,
Auf daß ich dich schaue,
Wie zum Flusse,
Wie an die Quellen
Eilend, voll Durst.'* 171
In ägyptischen Hymnen finden sich Ausdrücke der Liebe zu Gott, der
Hingabe an ihn, der Zuversicht zu ihm. Gott ist der Mastbaum, der
den Winden trotzt, er ist der Pilot, der die Untiefen kennt, „der süße
Brunnen für den Durst in der Wüste". „Amon Ra," singt ein Dichter,
„ich liebe dich und habe dich in mein Herz geschlossen . . . Ich folge
nicht der Sorge meines Herzens, was Amon gesagt hat, gedeiht." Manche
Worte dieser Hymnendichter könnten ebensogut in einem israelitischen
Psalme stehen. .So steht in dem erwähnten Hymnus das Wort des
Vertrauens: „Du wirst mich erretten aus dem Munde der Menschen
am Tage, wo er Lüge redet." 172
Die Bitte tritt auch im literarischen Hymnus hinter der lobpreisen-
den Betrachtung zurück. Sie ist meist kurz und generell gefaßt. Ihr
Gegenstand sind noch irdische Glücksgüter, keine geistigen Gnaden.
Doch ist der Eudämonismus stets geläutert, wie es dem verfeinerten
Wertfühlen der Hymnendichter entspricht. Der vedische Sänger bittet
die Morgenröte um „Gedeihen und Reichtum". 173 Der peruanische
Inka fleht, daß er nicht sterbe. 174 Der ägyptische Aton-Hymnus endet
mit einem Gebet des Königs für sein und seiner Gattin Heil. 175 Die
schwungvollen Varuna-Hymnen schließen mit der Bitte um Vergebung
der Schuld. 176 „Strafe mich nicht wegen meiner vielen Sünden!" fleht
Inhalt — Gottesvorstellung 189
ein ägyptischer Dichter. 177 Der homerische Hymnus an Gaia klingt
aus in der kindlichen Bitte:
., Schenk für dies Lied dem Sänger voll Gnade sorgloses Leben,
Dann werd ich deiner in neuen, herrlichen Liedern gedenken."
Die Götter, die in den literarischen Hymnen gepriesen werden, sind
zum größten Teil ausgesprochene Naturgottheiten, die, von dem mytho-
logischen Synkretismus relativ wenig berührt, ihren ursprünglichen
Charakter treu bewahrt haben. Allen voran steht die Sonne, an die der
größte Teil der individuellen Hymnenpoesie gerichtet ist. Im Gegensatz
zu den synkretistischen Kultgöttern, welche die priesterliche Ritual-
poesie besingt, sind diese Gottheiten der Natur wenig anthropomorph,
sie verlieren sich in dem unpersönlichen Naturgeschehen. Treffen wir
in den Kulthymnen einen Henotheismus, so zeigen die Naturhymnen, vor
allem die Sonnenlieder, einen keimhaften Pantheismus. Das Verhältnis
in dem der Sänger zur Gottheit der Natur steht, ist ein viel innerlicheres
als jenes, das zwischen dem Priesterdichter und den Kultgottheiten
besteht. Er will nicht durch Schmeicheleien ihre Gunst sich sichern,
sie umstimmen — die Bitte ist etwas Nebensächliches; der Lobpreis
ist nicht Mittel zum Zweck, sondern Selbstzweck. Der Dichter ver-
senkt sich in die göttliche Wunderwelt, er geht auf in der Kontemplation
der göttlichen Größe und Erhabenheit, er wird eins mit dem kontem-
plierten Objekte. Es weht ein mystischer Hauch in der individuellen
Hymnenpoesie der antiken Völker. Der Grundgedanke aller Mystik,
daß des Menschen Seele eins ist mit Gott, blitzt im Enthusiasmus dieser
Hymnendichter auf. ,,Du bist Aton, der ewig lebt," heißt es im kleinen
Atonhymnus des Ichenaton, ,,und ich bin ein Teil von dir." 178 Gleich-
wohl kann hier nur von einem Ansatz zur Mystik gesprochen werden.
Es fehlt in diesen Hymnen die der mystischen Frömmigkeit wesent-
liche negative Wertung von Welt und Leben; der kräftige, gesunde
Eudämonismus, der sich mit der Naturbegeisterung verbindet, ist mit
reiner Mystik unvereinbar. Der Frömmigkeitstyp, den die literarische
Hymnenpoesie darstellt, berührt sich enge mit jenerVariante mystischer
Religiosität, die wir als , ästhetische Mystik' später (Kap. G) behandeln
werden .
Die Anklänge der literarischen Hymnen an die israelitischen Psalmen
sind unverkennbar. Auch diese sind ursprünglich rein literarischer
Natur, unmittelbarer Ausdruck der den Dichter beseelenden religiösen
Gefühle. Auch sie sind aus der Kultpoesie hervorgegangen. 179 Die
Preisgesänge, in denen die ganze Natur zum Lobe Jahwes aufgefordert
wird, ähneln manchmal den ägyptischen Sonnenliedern, die Bittgebete
und Bußlieder weisen nicht selten eine wörtliche Übereinstimmung
mit den individuelleren babylonischen Klageliedern auf. 18° Es ist un-
zweifelhaft, daß die hebräische Psalmendichtung in formaler Hinsicht
sich an die literarische Hymnenpoesie Ägyptens und vor allem Baby-
loniens anlehnt. Trotzdem gehört der israelitische Psalter nicht in
diesen Zusammenhang. In den Psalmen des Alten Testamentes lebt ein
völlig anderer Gebetsgeist als in den individuellen Hymnen Ägyptens.
Assyriens und Indiens; in ihnen hat das prophetische Beten des Jeremia
190 CHI. Der literarische Hymnus
seinen dichterischen Ausdruck gefunden. Wir müssen darum die Gebete
des Psalters im Zusammenhang mit dem prophetischen Gebetstyp
behandeln. So wenig wie die jüdischen Psalmen gehören hierher die
Hymnen des Tamildichters Mänikka-Väsagar, die heute in allen
Schivatempeln Südindiens rezitiert werden. Sie sind der echte Aus-
druck mystischen Betens und werden an späterer Stelle erwähnt werden.
Die literarische Hymnenpoesie ist ,,der Anfang einer innerlichen
Religion" (Erman). 181 Aus dem Gewirr der Mythen, Riten und Zauber-
praktiken der antiken Priesterreligionen stieg verheißungsvoll eine
schlichtere, reinere Frömmigkeit empor. Die Gottesvorstellung entriß
sich den Schranken des Anthropomorphismus und befreite sich von
den Fesseln des Mythus. Der Mensch trat zu Gott in ein innerliches
Verhältnis ; an die Stelle selbstischen Begehrens traten Gottbegeisterung,
Gottesliebe und Gottvertrauen, an die Stelle äußerer Ritualakte echtes
inneres Erleben. Aber diese neue verinnerlichte Religion besaß nicht
die Kraft zur Expansion und Fortentwicklung. In Indien und Baby-
lonien lebte sie nur in einzelnen schöpferischen Dichterpersönlichkeiten
und wurde nicht Besitz einer größeren Religionsgemeinschaft. Nur in
Ägypten ward sie durch die kühne Reformtat des Ichenaton zum Gemein-
gut der gebildeten Schichten des Reichs. Aber auch hier war sie nur
eine vorübergehende Episode; noch ehe sie zur vollen Entfaltung kam,
nahm sie ein Ende. Der Grund ihres raschen Zerfalls ist darin zu suchen,
daß das ästhetische Moment das Übergewicht über das religiöse hatte;
weil ihr die religiöse Einseitigkeit und Herbheit fehlte, vermochte sie
sich nicht gegenüber der alten Ritualreligion zu behaupten. Nur die
mystische Erlösungsreligion wie die prophetische Offenbarungsreligion
besaßen die innere Kraft, der Kultreligion sich zu entreißen und in
stetem Vorwärtsschreiten zu ungeahnten Höhen emporzusteigen.
D. Das Gebet in der hellenischen Kulturreligion.1
Wie die prophetisch-israelitische Religion, so nimmt die hellenische
Religion unter den Religionen der Erde eine Sonderstellung ein. Während
die großen antiken Ritualreligionen nur durch die synkretistische Kompli-
ziertheit und den äußeren Prunk des Sakralsystems sich über die primitive
Religion erhoben, wuchs in Griechenland aus den primitiven Stammes-
und Stadtkulten spontan — ohne einen gewaltsamen Bruch mit der
Vergangenheit und ohne die bewußte Reformarbeit eines philosophischen
oder religiösen Genius — eine reinere, freiere und tiefere Frömmigkeit
heraus. Die erste Etappe dieses religiösen Fortschrittes bilden die home-
rischen Gesänge der Ilias und Odyssee. 2 Hier redet die kräftige, naive
Religion des lebensfrohen jonischen Rittertums. Wohl steht sie noch
ganz im Bannkreis des primitiven Eudämonismus ; aber der Unterschied
dieser freigeistigen Ritterreligion von der primitiven Volksreligion, die
sich in Griechenland durch alle Jahrhunderte hindurch erhielt, ist ein
ganz gewaltiger. Die Götter sind losgelöst von ihrer ursprünglichen
Natur- oder Ortsgebundenheit, stark anthropomorphisierte, individuelle
Gestalten mit scharf umrissenen Charakterzügen . Der olympische Zeus
mit seinem Götterstaat ist das Spiegelbild eines jonischen Fürsten, um
den sich seine Ritter scharen. Gebet und Opfer sind die einzigen Formen
des Kults, in denen die homerischen Helden mit ihren Göttern ver-
kehren. All die Riten der Mantik, Kathartik und Magie, die einen
wesentlichen Bestandteil der Volksreligion und selbst der offiziellen
Kulte bilden, treten zurück. Über die Furcht vor den unheimlichen
Totengeistern, die in jeder Volksreligion lebendig ist, sind Homers
Helden erhaben. Wie in Israel der Glaube an Jahwes einzige Macht,
so schwächte in Jonien eine aufgeklärte Freigeistigkeit die Toten zu
wirkungslosen unterirdischen Schatten ab.
Ihre Vollendung und Vertiefung erfuhr die olympische Religion der
homerischen Gesänge in der hellenischen Vollkultur des 5. Jahrhunderts.3
Äschylus, Sophokles, Pindar, Xenophon und Plato sind die Wortführer
der vergeistigten Religiosität, welche die gebildeten Schichten des
griechischen Volks in seiner klassischen Epoche durchdrang. Hatten
die Dichter der homerischen Gesänge die Volksreligion erweitert und
geläutert, indem sie ein gemeinhellenisches Pantheon schufen und den
Kult aus seiner Verflochtenheit mit dem Zauberwesen befreiten, so
haben jene Männer sie verinnerlicht und versittlicht. Die enge Fühlung
mit dem lebendigen Kultwesen des Staates bürgte dafür, daß diese Ver-
innerlichung der traditionellen Religion nicht auf eine Entleerung und
Verflüchtigung hinauslief.
Das Gefühl vollständiger Abhängigkeit von höheren Mächten ist in
192 I». Das Gebet in der hellenischen Kulturreligion
jeder Religion lebendig; aber in keiner Religion der Erde — von der
israelitisch-christlichen abgesehen — ist dieses religiöse Grundgefühl so
universell, das ganze Denken und Leben durchherrschend wie in der
hellenischen. „Was ist ohne dich den Sterblichen erreichbar?" heißt
es in einem Gebet der äschyleischen Schutzflehenden (823). „Alles
kommt dem Menschen von Gott. Seine äußere Gestalt, seine Kraft und
Schönheit, sein inneres Wesen, Verstand und Charakter : alles ist göttliche
Gabe. Was das Leben wechselnd darbietet, in Schicksalen, an äußeren
Gütern, dem Einzelnen und den Gemeinschaften der Menschen: der
Gott hat es gegeben. . . . Der Grieche fühlte im tiefsten Herzen, wie
bald er überall auf die Grenzen seines eigenen Vermögens stieß, w;e eng
der Kreis sei, in dem sich sein bewußter Wille und zielsetzender Verstand
tätig regen könne. Alles, was jenseits dieses Kreises liegt, was dem
Menschen kommt ohne sein Zutun, ja ohne sein vorhergehendes Bewußt-
sein, das verdankt er göttlichen Mächten. Das ist aber in der Fülle des
Bleibenden und des momentan Vorübergehenden der größte Teil, fast
der ganze Inhalt des Lebens" (Rohde) 4. Mit dem Universalismus des
Abhängigkeitsgefühls hängt zusammen, daß die Götter nicht nur Schick-
salsmächte sind, sondern ebenso Träger der Kulturideale, zuvorderst
der ethischen. Die griechische Religion des 5. Jahrhunderts ist eine
ausgesprochen ethische Religion, wie die prophetische Religion Israels.
Während wir bei Homer kaum Ansätze zu einer Ethisierung der Frömmig-
keit entdecken, sind der Gottesglaube und die Gottesverehrung der
klassischen Religion durchaus von ethischen Idealen bestimmt. Zwar
treten in vielen primitiven Religionen die Götter — zumal die Urväter —
als sittliche Gesetzgeber und Wächter auf ; aber in Hellas wurden unter
dem Einfluß des fortschreitenden autonomen ethischen Wertgefühls
„die Götter selbst versittlicht" (Rohde) 5, das sittliche Denken und
Tun wird zum Gottesdienst, evosßsia (Frömmigkeit) und owcpQo-
avvri (Besonnenheit) 6 fallen zusammen. Diese Ethisierung der
Religion vollzog sich jedoch nicht auf Grund bewußter philosophischer
Kritik und Reform der Volksreligion, sondern auf Grund einer spon-
tanen Verfeinerung und Steigerung des religiös-sittlichen Wertfühlens.
Aber nicht nur das Ethische wird zum religiösen Wert, zum Heiligen,
nein, der ganze Umkreis kultureller Werte, alles, was zum Ideal der
xaXoxäyalHa („Schönheit und Güte") gehört, empfängt eine religiöse
Weihe: das soziale Gemeinschaftsleben, das künstlerische Schaffen,
das wissenschaftliche Erkennen, ja selbst der frohe Lebensgenuß. Die
hellenische Religion ist die Kulturreligion überhaupt, sie
besaß die Kraft, sich mit allen Kulturwerten zu vermählen und so das
ganze soziale und geistige Leben zu durchdringen. „Der Grieche",
sagt der Religionshistoriker Farnell, „trachtete stets darnach, in seiner
Religion für alles, wofür er begeistert war, einen Platz zu finden; eben
deshalb spiegelt die griechische Religion so lebendig die Gefühle und
Stimmungen des Individuums wider." 7 Mit dieser Vielseitigkeit ver-
eint die hellenische Religion eine innere Abgeklärtheit und Harmonie,
ein Gleichmaß der seelischen Kräfte. Sie kennt keine synkretistische
Verworrenheit, keinen massigen Prunk wie die orientalischen Ritual-
Eigenart der griechischen Religion 193
religionen, keine Unterbindung des gesunden Affektlebens, keine aske-
tische Weltverachtung wie die indischen Erlösungsreligionen, keine
drängende Leidenschaft, keinen verzehrenden Eifer für Gottes heiligen
Willen wie die israelitische Prophetenreligion, keine unbändige Reich-
gottessehnsucht wie die christliche Urgemeinde. Die echte griechische
Frömmigkeit kennt auch kein mystisches Streben nach seligem Eins-
werden mit Gott in der Ekstase, nach Aufhebung der individuellen
Schranken jenseits des Bewußtseinslebens: [iexqov (Maß) und
üoifpQoavvr} (Besonnenheit) sind ihre Ideale; 8 Affektivität und
Affektlosigkeit, prophetische Herbheit und mystische Gelassenheit
sind ihr fremd. Sie ist im Unterschied von der prophetischen Offen-
barungsreligion und von der mystischen Heilsreligion eine ,natürliche'
Religion, freilich nicht eine aus philosophischer Kritik geborene Ver-
nunf treligion , sondern naive, primitive Religion, nur ethisch vertieft
und ästhetisch verklärt.
Die Eigenart der hellenischen Religion enthüllt sich nirgends so
deutlich wie im Gebet. Das universelle Abhängigkeitsgefühl, das den
Griechen der klassischen Kulturepoche beseelt, spricht sich am tiefsten
darin aus, daß er bei jeder Angelegenheit die Götter unter Opfern um
Hilfe und Beistand anruft. „Der Opfer- und Gebetsdienst durchdringt
alle Verhältnisse des griechischen Volkes in merkwürdiger Ausdehnung ;
keine religiöse Lehre steht für das öffentliche und häusliche Leben
fester, als daß alles mit der Gottheit, das ist mit Gebet und Opfer be-
gonnen werden müsse" (Nägelsbach). 9 Xenophon legt dem Cristobul
die Worte in den Mund: „Ein treffend Wort sprichst du, o Sokrates, wie
mir dünkt, aus, wenn du empfiehlst, ein jegliches Werk mit den Göttern
zu beginnen ; denn die Götter sind die Herren über alle friedlichen und
kriegerischen Werke".10 Und der platonische Timäus sagt: „Für-
wahr, o Sokrates, alle, die nur ein bißchen Weisheit besitzen, rufen
beim Beginn eines jeden Werkes, mag es wichtig oder unwichtig sein,
überall und allezeit Gott an." u Das Gebet bildet den Anfang aller
öffentlichen Handlungen, der Volksversammlungen, Feste, Gerichts-
verhandlungen, Bündnisse, Verträge und Kriege. 12 Die attischen
Redner riefen bei Beginn ihrer Reden die Götter an 13, die athenischen
Ratsherrn beteten beim Eintritt ins Rathaus in der dort befindlichen
Kapelle des Zeus und der Athene vom Rate. u Bei freudigen politischen
Ereignissen wie bei kriegerischen Erfolgen wurden Dankfeste {yaQiaitjQia)
veranstaltet, die mit Opfern, Dankgebeten und Liedern verbunden
waren. 15 Eine nicht minder wichtige Stelle nahm das Gebet im Privat-
leben ein. Jede Berufsklasse ruft beim Beginn ihrer Tätigkeit ihre
Patrongötter an. 16 Die unscheinbarsten profanen Handlungen erhalten
durch Gebet und Opfer eine religiöse Weihe. Ischomachus, die Haupt-
person im Xenophontischen Oeconomicus, beginnt den Unterricht
seiner Gattin in der Haushaltungskunde nicht eher, als nachdem er
gebetet hat, daß ihm sein Lehren, ihr das Lernen zum Heil gereichen
möge. 17 Die Athener beteten selbst bei der Öffnung des Weinfasses
und Probe des jungen Weines, auf daß der edle Trank ihnen zum Heile
gereiche. 18 Die primitive Sitte des regelmäßigen Morgen-, Abend- und
Das Gebet 13
194 D. Das Gebet in der hellenischen Kulturreligion
Tischgebetes ist stehender Brauch der hellenischen Frömmigkeit. Hesiod
spricht von täglichen Morgen- und Abendopfern (opp. 338). Sokrates
richtet im Symposion Piatons (220 D) am Morgen ein Gebet an die
Sonne. Plato bezeugt im 10. Buche der Gesetze (887 E), daß die Hellenen
wie Nichthellenen beim Aufgang der Sonne und des Mondes wie bei
ihrem Untergang anbetende Ehrfurcht bezeugen. Der Mahlzeit ging
ein Gebet voraus oder folgte ihr nach; wie das Tischgebet der Natur-
völker wurde es meist von einer primitiven Opferspende (onovdfj)
begleitet 19.
Die Lebendigkeit und Innerlichkeit der griechischen Religion schließt
eine Erstarrung des Betens in der Ritualformel aus. Wohl kannte man
auch in Griechenland feststehende Gebetsformulare, die im öffentlichen
Kult gebraucht wurden. Aber im Unterschied von der römischen Re-
ligion ist die Erhörung des Gebets nie an die strenge Einhaltung des
Wortlautes gebunden. „Der Gedanke, daß eine bestimmte Fügung der
Worte für die Erfüllung des Gebets von entscheidender Bedeutung sei,
ist dem öffentlichen griechischen Gottesdienst fremd und mußte es nach
dessen ganzen Charakter sein." (0. Gruppe) 20 Der persönliche Charakter
der hellenischen Religion duldete nicht, daß das lebendige Gebetswort
zur toten, unpersönlichen Zauberformel verkümmerte. Weil die grie-
chische Religion im Gegensatz zu den großen orientaüschen Religionen
nicht zu einem komplizierten Ritualsystem sich erweiterte, bewahrte
auch das kultische Gebet seinen schlichten, ursprünglichen Charakter.
Während das offizielle Gebet im öffentlichen Kult eine gewisse, innerlich
notwendige Gebundenheit aufweist, scheint das individuelle Privatgebet
der intellektuellen Schichten über alle Formelhaftigkeit erhaben ge-
wesen zu sein. Soweit wir aus den dürftigen literarischen Dokumenten
schließen können, zeichnete sich die Gebetsfrömmigkeit der gebildeten
Hellenen durch dieselbe Spontaneität und Freiheit aus, die wir im
Gebetsleben der großen israelitischen und christlichen Persönlichkeiten
treffen. Marc Aureis (V 7) Charakteristik des athenischen Betens als
tcTiXdtg xai itev&EQwg evxeg&cu (schlichten und freien Betens) gilt für
die hellenische Religion überhaupt. Die Gebetsworte sind der un-
mittelbare Ausdruck der erlebten Stimmungen, Wünsche und Wert-
gefühle.
Dem Reichtum seelischen Erlebens, der in der griechischen Religion
sich offenbart, entspricht die Mannigfaltigkeit der Gegenstände, um die
der Grieche im Gebet fleht. Alles, was er als wertvoll und ideal erlebt,
spricht er im Gebet vor seinen Göttern aus. Der primitive Mensch betet
nur um Glücksgüter; die Bitte um sittliche Werte ist ihm fremd. Alle
antiken Religionen, die chinesische, vedische, babylonische, ägyptische
und altamerikanische, die altrömische und die griechisch-homerische
Religion stehen noch im Bannkreis des rein eudämonistischen Betens;
das ethische Wertgefühl hat hier nur selten jene Kraft erlangt, um
analog dem elementaren Lebensgefühl eine Bitte zu motivieren. In der
Religion der hellenischen Vollkultur vollzog sich ähnlich wie in der
israelitischen Prophetenreligion eine umfassende Ethisierung des reli-
giösen Erlebens; hier wie dort rückt die Bitte um ethische Werte ins
Form — Inhalt 195
Zentrum des Betens. Callimachus stellt an die Spitze seines Gebets die
Bitte um sittliche Tüchtigkeit: „Gib Tugend und Reichtum, gib Tugend
und Glück." 21 Hesiod erblickt in der Bitte um das stete innere Fest-
halten am ethischen Ideal das beste Gebet. Im Wettstreit mit Homer
richtet er an diesen die Frage:
„Was ist das Beste, um das man beten soll zu den Göttern?"
Homer antwortet:
..Wohlgesetzlich zu sein (eßvofiov elvat) in seinem Herzen auf immer".
Die religiösen und sittlichen Ideale faßt der Hellene in den Worten
ao)(pgoavvi] (Besonnenheit, Tugendhaftigkeit) und svoeßsia (Frömmig-
keit) zusammen; beide bilden einen wichtigen Gegenstand der
Bitte. In dem Totenopfer des Äschylus bittet Elektra ihren ver-
storbenen Vater:
„Laß selber mich ein tugendhafter Weib
Als meine Mutter werden und viel frömmer" (142 f. ).
Beschieden sei mir Besonnenheit,
der Götter herrlichstes Geschenk,"
betet der Chor in der Medea des Euripides (635 f.). Für den Sokrates
im platonischen Phädrus wird das ethische Persönlichkeitsideal zu
einem Gebetsanliegen ; seine Bitte: „0 lieber Pan und alle hier weilen-
den Götter, laßt mich innerlich schön werden" (doirjze [tot xalco
yeveo&ai rävdo&ev 279 B) ist das reifste Gebet des hellenischen
Geistes. Im Gebet der Spartaner kommt die ihnen eigene herbe,
willensmäßige Festigkeit zum Ausdruck; sie bitten nach Plutarchs
Zeugnis um die Kraft, Unrecht mit männlicher Standhaftigkeit
zu ertragen {ddntetodtu dvvaod-ai). 23 Ein tiefes Gefühl der sitt-
lichen Ohnmacht und Sündenhaftigkeit, das die größten christlichen
Genien nach Gnade und Vergebung seufzen ließ, ist dem Griechen fremd.
Aber wenn er sich eines konkreten Fehltrittes oder Pflichtversäumnisses
bewußt ist, oder wenn er fürchtet, die Götter durch ein unbedachtes
Wort verletzt zu haben, ruft er sie um Vergebung an. Simonides betet
zu Zeus : „Wenn ich nun in kühner Rede bitte und Recht für uns heische,
verzeih mir." 24 Und bei Xenophon mahnt Sokrates: „Bist du besonnen,
mein Sohn, so flehe zu den Göttern, daß sie dir verzeihen, falls du deine
Mutter nicht genug geachtet hast." 25
Keine Religion der Welt hat die natürlichen Formen des menschlichen
Gemeinschaftslebens mehr geadelt und geheiligt wie die hellenische. Der
soziale Sinn des Hellenen atmet sich im Fürbittegebet aus. Zu den
schönsten griechischen Gebeten gehört das Fürbittegebet, mit dem die
sterbende Alkestis bei Euripides ihre Kinder der häuslichen Herdgöttin
Hestia übergibt:
„O Herrin, nun steig' ich hinab in Plutons Reich,
Zum letzten Male knie' ich bittend hier vor dir,
Beschütze die verwaisten Kleinen: gib dem Sohn
Ein trautes Weib, der Tochter einen edlen Mann.
O laß sie nicht wie mich, die Mutter, sterben hin,
Hinscheiden allzu früh; in Glück und Wohlergehen
LaßbringensieihrLebenhinimHeimatland"(163ff. übs. nachBernstädt).
Ein griechischer Erziehungsbeamter von Cos betet im 2. Jahrhundert
auf einer Inschrift um „Gesundheit und tugendhaftes Verhalten der
196 D. Das Gebet in der hellenischen Kulturreligion
Knaben" 26 Die Hochschätzung der Polis, des Stadtstaates, drückt sich
in den Fürbittegebeten aus, die der Einzelne für seine Polis spricht.
Bei Athenäus sind uns zwei Tischgebete überliefert, eines an Athene,
das andere an Demeter und Persephone gerichtet, in denen die Tisch-
genossen Heil und Segen für ihre Vaterstadt erflehen:
„Pallas Athene, schaumgebor 'ne Herrin,
Bewahre diese Stadt und ihre Bürger
Vor Zwietracht und vor allen Übeln
Und auch vor frühem Tod, du und dein Vater."
,.Beim Festmahl sing ein Lied ich auf Demeter,
Des großen Totengotts olymp'sche Mutter,
Mit ihr seist du gegrüßt, Persephone.
Tochter des Zeus! So schützet diese Stadt!"27
Noch in anderer Weise als im Fürbittegebet offenbart sich der soziale
Charakter der griechischen Religion. Die evvota, die Verträglichkeit
mit den Freunden, ist ein wichtiger Gegenstand des Gebets. 28 Aber
auch die Bitte um individuelle ethische Werte zeigt einen sozialen
Einschlag. Pindar ruft Zeus an, ihn auf den Pfaden des Guten zu führen,
damit er einen guten Nachruhm seinen Kindern hinterlasse:
,, Vater Zeus, auf rechten Pfaden
Laß durch's Leben stets mich wandern
Bis zum Tod, daß meinen Kindern
Ich nicht üblen Ruf anhefte" (Nem. 8, 35).
Die ethischen und sozialethischen Werte stehen im Gebet der Griechen
obenan; aber im Unterschied von dem philosophisch-moralistischen
Gebetsideal beschränkt sich das Gebet nicht auf jene Werte, sondern
umfaßt, der Weite hellenischen Wertfühlens entsprechend, alle Ideale
und Güter. Plutarch spricht noch die Gedanken der klassischen Zeit
aus, wenn er sagt: „Um alle Güter müssen die Verständigen zu den
Göttern flehen." 29 Es ist das sicherste Symptom der Naivität der
griechischen Religion, daß im Gebet neben den ethischen Werten die-
selben eudämonistischen Werte stehen, um die der primitive Mensch
bittet'. Das Gebet des Callimachus veranschaulicht sehr schön dieses
Nebeneinander von ,geistigen' und , weltlichen' Gütern:
SiSov d'&Qexriv r' äyevög ze . . . dldov ägsi^y te xal ökßov.
„Gib Tugend und Reichtum, . . . gib Tugend und Glück"
Ischomachus zählt im Xenophontischen Oeconomicus als Gebets-
gegenstände auf: „Gesundheit, Leibesstärke, Ansehen in der Stadt,
Verträglichkeit mit den Freunden, Heil im Kriege, Zuwachs an Reich-
tum." 30 Der gute Ruf scheint den Griechen ein besonderer Wert ge-
wesen zu sein, weil er um ihn besonders bittet. Solon betet zu den
Musen :
„Glück lasset mich von den Göttern, den seligen, allzeit erlangen
Und in der Sterblichen Schar trefflichen Rufs mich erfreu'n." 31
Sogar ein Töpfer aus Mesopontum betet im 5. Jahrhundert, daß er
„einen guten Ruf bei den Menschen habe" 32. Auch der Reichtum an
materiellen Gütern gilt dem griechischen Weisen als erstrebenswert.
Der platonische Sokrates betet um Reichtum an Gold, freilich mit
einer Einschränkung : „Des Goldes Menge sei mir so viel, als kein anderer
Inhalt 197
tragen und nehmen kann als der Besonnene" (Phädr. 279 C). Die
Jugendfrische und Schönheit des Körpers ist dem Hellenen ein hohes
Gut; darum fleht er zur Göttin der Jugendschöne um Aufschub des
Alterns: dvdßale dvco xb yfjQag, to xahä 'AcpQodiza („schieb auf das
Greisenalter, du schöne Aphrodite") 33. Selbst der edle Liebesgenuß
wird zum Objekt des Betens. Xenophon empfiehlt, Aphrodite zu bitten,
daß sie liebreizende Worte und Taten eingebe. 34
Am unverhülltesten tritt die Naivität der hellenischen Religion in
dem Fluch- oder Rachegebet entgegen. Zwar entstammen die stereo-
typen Fluchformeln, die auf Stein und Blei geschrieben in die Tiefe
des Erdbodens gesenkt wurden, der Volksreligion einer späteren Zeit,
in der die schwarze Magie immer wilder wucherte. Aber auch in dem
offiziellen Kult wie in der Privatreligion der klassischen Epoche nimmt
der Fluch einen breiten Raum ein. Für den Griechen war, wie Leopold
Schmidt sagt, „die Übung der Gerechtigkeit so sehr die hervortretendste
Seite in dem Walten der Gottheit, daß ein Streben nach Einklang mit
ihrem Willen, welches ihre strafende Tätigkeit unberührt gelassen
hätte, ihm unverständlich gewesen wäre . . . Daher die häufigen
Gebete um das Verderben der Frevler, welche wir als Verfluchungen
zu bezeichnen uns gewöhnt haben, während der Grieche die Begriffe
Gebet und Fluch in einem Ausdruck dqd zusammenfaßte." 35 Muster-
beispiele des hellenischen Rachegebets geben die Tragiker. Elektra
ruft im Totenopfer des Äschylus:
„Zeus, Zeus, der aus den Gräbern du empor
Der alten Ate Rachegeister schickst,
Nun triff, o triff die frevelhafte Hand" (381 ff.)
„O Götter, gebet unsrer Rache Recht" (462 übers. Wolzogen).
Der sophokleische Philoktet betet:
„Du heim'sche Erde und ihr Götter droben all
Im Himmel, rächet, rächet, aber balde, bald
Sie allesamt, wenn ihr ein Mitleid habt mit mir" (1040 ff.).
Der Unterschied der klassisch-hellenischen Frömmigkeit von den
beiden reinsten Ausprägungen der hohen Religion, der Religion
Jesu und der Erlösungslehre Buddhas, springt hier besonders deutlich
in die Augen. Der buddhistische Bettelmönch, der die ,Übung des
Wohlwollens' (mettä-bhdvanä) vornimmt, dehnt den Wunsch: „Mögen
alle höheren Wesen glücklich sein, frei von Sorge, Krankheit und Pein"
auch auf seine Feinde aus. 36 Jesus stellt an seine Jünger die kühne,
unerfüllbar erscheinende Forderung: „Segnet die, so euch fluchen,
betet für die, so euch verfolgen und verleumden!" (Luk. 6, 28). Der
Hellene ruft auf seine Feinde und Übeltäter des Gottes Rache herab,
vom sicheren Glauben erfüllt, daß des Gottes strafende Gerechtigkeit
seinen Fluch verwirkliche, im vollen Bewußten seines sittlichen Rechtes:
()ixav d'ii; ddlxcjv dnatrcij („Recht von den Ungerechten heisch' ich") —
liQdaavii Tia&elv („dem Übeltäter Leiden!").37 Er spricht unbe-
fangen den ihn drängenden Wunsch nach Vernichtung des Feindes
aus. Buddha und Jesus fordern, daß man den natürlichen Affekt
nicht nur unterdrücke, sondern sogar zum gegenteiligen Wunsche
198 D. Das Gebet in der hellenischen Kulturreligion
sich erhebe, daß man segne statt zu fluchen. Der Glaube an ein religiöses
Ideal — im Buddhismus ist dieses Ideal die Affektlosigkeit (virdga), im
Christentum die universelle Nächstenliebe — hat hier wie dort die
urwüchsige Naivität des Racheverlangens, die noch in der hellenischen
Religion lebendig ist, zerstört und an ihre Stelle eine paradoxe Seelen-
stimmung gesetzt.
Schon bei Naturvölkern treffen wir nicht selten generell gefaßte Bitt-
gebete. In den griechischen Gebeten wird die Bitte häufig allgemein
formuliert. Die Spartaner beteten ganz schlicht „um das Schöne zum
Guten" (td xcdä inl tolg dya&ois). 38 Ein anonymer Dichter ruft
zu Zeus:
„König Zeus, gib Gutes, gebeten, doch auch ungebeten,
Schlimmes aber halt' fern, ob wir gleich bitten darum". 39
Überall umfaßt hier die generelle Bitte ethisch-überpersönliche und
eudämonistisch-persönliche Werte. Doch zeigt meist schon die For-
mulierung (rä dya&d, xd xaXd, zä £o&kd) das Überwiegen des Ethischen
und Ästhetischen.
Alle echten hellenischen Gebete offenbaren jene Abgeklärtheit, Har-
monie, jenes innere Gleichmaß, das zur Wesensart des griechischen
Geistes gehört. Die Leidenschaft der großen israelitischen Beter ist dem
Griechen fremd; das Gebet ist kein impulsives „Ausschütten der Seele",
wie das alttestamentliche Bibelwort sagt, kein Rufen zu Gott „aus der
Tiefe". Auch im Beten muß der Mensch seine Affekte mildern, den
ungestümen Drang zurückdämmen. In den Schutzflehenden desÄschylus
mahnt der Halbchor den anderen „maßvoll zu beten", da dieser in
seiner unbändigen Leidenschaft die Ehrfurcht vor der Gottheit zu ver-
letzen droht: //etqiov vvv enog ed%ov („maßvoll nun sprich das
Gebet", 1060). Wenig Worte charakterisieren die Eigenart des grie-
chischen Gebetsgeistes besser wie dieses Dichterwort.
Wie bei primitiven Völkern, so sind es auch in Hellas vielerlei Gott-
heiten, an die sich der Mensch im Gebet wendet. Wie die Religionen
des Orients, so besitzt auch die griechische Religion ein buntes, reich-
gegliedertes Pantheon. In ihrer klassischen Epoche regen sich keine
monotheistischen Tendenzen; keine schöpferische Tat eines religiösen
Genius rückte an die Stelle der zahlreichen Einzelgötter den einen Gott
Himmels und der Erde. Der Grieche betet darum zu den verschiedensten
höheren Wesen, zu Naturgottheiten, Tätigkeitsgöttern, Lokal- und
Patrongöttern. Die fortschreitende Kulturentwicklung hat zwar in
Hellas die zahllosen Geister und Götter der einzelnen Städte, Gaue und
Inseln zu großen nationalen Göttern verschmolzen ; aber der Synkretis-
mus der hellenischen Göttergestalten läßt sich mit dem der orientalischen
Götter nicht vergleichen; die ursprüngliche Sonderart schimmert
überall deutlich durch.
Auch die hellenischen Götter sind keine Universalgottheiten, sondern
in ihrem Wirken auf ein bestimmtes Gebiet der Natur oder mensch-
lichen Tätigkeit beschränkt. Darum wendet sich der Grieche genau so
wie der Primitive in konkreten Nöten und Wünschen nicht an eine
Gottesvorstellung 199
beliebige Gottheit, sondern an jene, in deren Macht die Erfüllung des
Wunsches liegt oder deren Stätte er nahe ist. „Penelope fleht Artemis,
die Entsenderin der raschtötenden Pfeile, um den Tod an; die von
Agamemnon abgesandten Helden bitten, während sie an dem Gestade
des Meeres dahinschreiten, den Gott Poseidon, daß es ihnen gelingen
möge, den trotzigen Achill zu versöhnen ; auf die nahe Höhle der Nymphen
aufmerksam gemacht, richtet Odysseus nach seiner Ankunft auf seiner
heimatlichen Insel seine Aufrufung an diese." „In der attischen Periode
waren die Bestimmungsgründe bei der Wahl der angerufenen Götter
von denen, die sich in den homerischen Gedichten erkennen lassen,
wohl nicht wesentlich verschieden." 40 Eine Stelle in Arrians Schrift
über die Jagd gibt zweifellos die Gewohnheiten der klassischen Zeit
wieder. „Die Seefahrer sollen sich bei dieser Gelegenheit an die Meeres-
gottheiten wenden, die Bebauer des Landes an Demeter, Köre und
Dionysos , die Handwerker an Athene und Hephästos, die mit der Er-
ziehung Beschäftigten an Apollon, die Musen, Mnemosyne und Hermes,
die Pfleger erotischer Dinge an Aphrodite, Eros, Peitho und die Chariten,
die Jäger an Artemis, Apollon, Hermes, Pan, die Nymphen und andere
Gottheiten des Gebirges." 41 Über den zahllosen Einzelgöttern steht
Zeus, der Vater der Götter und Menschen, der Himmelsgott und Schick-
salslenker, der Wächter der Eide, der Schirmer der Schutzflehenden.
Er ist ähnlich dem vedischen Varuna und dem chinesischen Hoang-tien
schang-ti ein primitiver ,Urvater' und ,Himmelsgott'. Während man
sich an die übrigen Götter nur in bestimmten Angelegenheiten wendet,
ruft man zu ihm bei den allerverschiedensten Anlässen. Die Gebete um
ethische Werte scheint man mit Vorliebe an ihn gerichtet zu haben.
Die Anrufung mehrerer oder aller Gottheiten, wie wir sie häufig bei den
Dichtern finden, 42 fand ursprünglich wohl nur im feierlichen kultischen
Gebet statt und drang später auch in das Privatgebet ein.
Die Götter, zu denen die Griechen beten, tragen dieselbe anthro-
pomorphe Struktur wie die höheren Wesen, zu denen die Primitiven
beten; sie sind dv&Qü)Tioq)vEig, dvÖQcorzoEidrfg (,menschenförmig"
,menschenähnlich'), wie sie bei Herodot und Aristoteles genannt
werden. 43 Zwar hat der reife religiöse Geist der klassischen Zeit die
leichtfertigen und abenteuerlichen Züge im homerischen Götterbilde
beseitigt. Aber die Götter bleiben stets persönliche, denkende, wollende
und fühlende Wesen, die, trotzdem sie an Macht und Seligkeit den
Menschen überragen, in ihrem Seelenleben dem des Menschen gleichen.
Sie lösen sich nie in unpersönliche Naturkräfte auf. Weil die Götter
menschenähnliche Wesen sind, kann der Mensch zu ihnen in ein per-
sönliches Verhältnis treten. Im Gebet findet ein inniger Verkehr des
Menschen mit dem gegenwärtigen Gott statt. Nirgends ist dieser dem
griechischen Gebet zugrunde liegende Gedanke schöner ausgesprochen
als im Hippolytos des Euripides (85 f.), wo der betende Held zu Artemis
spricht :
„Ich bin mit dir zusammen und antworte dir,
Ich lausch auf deine Stirnm', seh ich auch nicht dein Aug."
200 D. Das Gebet in der hellenischen Kulturreligion
Derselbe Gedanke kehrt wieder im platonischen Gastmahl, wo Eryxy-
machos den aus Gebet, Opfer und Mantik bestehenden Kult als f] tieqi
&eovg xe xai dv&Qü)7iovg TiQÖg ällrjkovs xoivovia ( , ,die wechselseitige Gemein-
schaf t zwischen Göttern und Menschen" ( Symp. 1 88 C) definiert. Im Ver-
hältnis des Menschen mit der Gottheit kehrt stets eine irdisch-soziale Re-
lation wieder. Ab nicht im Untertanenverhältnis fühlt sich der griechi-
sche Beter seinem Gott gegenüber — der freie Hellene beugt sich nicht wie
der Semite als Sklave unter die Gottheit, er steht zu ihr auch nicht im
vertraulichen Kindschaftsverhältnis wie der Christ zu dem gnädigen
Vatergott. Das Verhältnis der Griechen zu Gott, das sich im Gebet
ausspricht, erscheint vielmehr als Freundschaftsverhältnis. Die Hellenen
waren Virtuosen der Freundschaft ; die Eigenart der sozialen Beziehungen
spiegelt sich im Verkehr mit der Gottheit wider. Eine männlich-freie,
offene Haltung nimmt der Betende und Opfernde ein. Mit respekt-
voller Hochachtung paart sich gemessene Würde, stolzes Selbstbewußt-
sein. Schon in der Körperstellung kommt dies zum Ausdruck: kniende
Haltung oder völliges Sichniederwerfen kennt der Grieche nicht ; stehend
erhebt er seine Hände zu den angerufenen Göttern. Auch im Verkehr
mit ihnen gilt es Maß zu halten, die Extreme zu vermeiden. Servile
Untertänigkeit, erniedrigende Schmeichelei und Bettelei verachtet der
Hellene als barbarisch. 44 Aber auch das Selbstbewußtsein hat
seine Schranken: Selbsterhebung (vftQig) ist der schwerste Frevel
wider die Götter, die Sünde der Sünden. Wehe dem, der nach
Gottgleichheit strebt: [iq (lärsve Zevg ysvio&ai („trachte nicht Zeus zu
werden"). 45
Das Gebet der Griechen ist naives, primitives Beten: der urwüchsige,
gesunde Eudämonismus, die Anrufung vieler Gottheiten, der Realismus
der Gottesvorstellung und des Verkehrs mit Gott — alle Eigentümlich-
keiten des primitiven Gebets kehren wieder. Und doch steht das he -
lenische Gebet unendlich höher wie das Bitten des Primitiven; in ihm
öffnet sich eine Welt höherer Werte. Auch die Realisierung der Persön-
lichkeits- und Kulturideale ist von der Macht der Götter abhängig;
darum erfleht der Hellene „alles Gute und Schöne" von ihnen, die hel-
lenische Kulturbegeisterung atmet sich im Gebet aus. Diese innige Ver-
bindung der Religion mit dem Kulturleben ist der Vorzug der griechischen
Frömmigkeit, zugleich aber auch ihr Verhängnis. Mit dem Untergang
der Kultur, deren Teil sie war, mußte auch sie untergehen. Nur in
der Renaissancereligion war ihr eine schwache Nachblüte beschieden.
Mit der Erneuerung des klassischen Geisteslebens flackerte sie nochmals
empor; in der Gebetsfrömmigkeit der dichtenden und schaffenden
Renaissancemenschen lebt das naive hellenische Beten auf. Aber der
Untergang war unausbleiblich; die hellenische Religion starb, wie all
die großen Ritualreligionen des Ostens sterben mußten, trotzdem sie
diese an Tiefe und Reinheit überragte. Nur den übernationalen und
überkulturellen Religionen, den mystischen Erlösungsreligionen und
den prophetischen Offenbarungsreligionen kommt Unvergänglichkeit
in der Geschichte zu. Wo die Religion zur vollen Entfaltung kommt,
Schlußcharakteristik 201
fordert sie mit innerer Lebensnotwendigkeit unerbittlich den Primat
im Geistesleben. Die Verflochtenheit der Religion im allgemeinen
Kulturleben ist der primitiven Religion eigen. Die großen religiösen
Genien erheben sich über die primitive Religion dadurch, daß sie die
Religion aus der Umklammerung der Kultur losreißen und über sie
erheben. Die hellenische Religion ist darum primitive Religion, freilich
in ihrer reinsten und edelsten Form; aber sterbend gebar sie aus sich
eine überkulturelle und übernationale Religion, die mystische Erlösungs-
religion des Neuplatonismus.
E. Gebetskritik und Gebetsideale des
philosophischen Denkens.
Die primitive kultische Religion ist der Boden der religiösen Negation.
Das philosophische Denken, mag es nun metaphysisch oder antimeta-
physisch, ethisch oder erkenntnistheoretisch, idealistisch oder materia-
listisch, theistisch oder deistisch, pantheistisch oder atheistisch gerichtet
sein — immer steht es in einem inneren Widerspruch zu der naiven
Frömmigkeit des primitiven Menschen. Der urwüchsige Eudämonismus,
der alle Äußerungen primitiver Religion beseelt, wie der anthropomorphe
Realismus, der die Gottes Vorstellung des Primitiven beherrscht, fordern
mit innerer Notwendigkeit die philosophische Kritik heraus. Diese
Kritik schreitet aber nur selten zu einer völligen Absage an die Religion
fort. Nur der konsequente Materialismus und Positivismus verwirft
von vornherein alles Religiöse als Trug und Irrtum, doch sucht er zumeist
dieses Verwerfungsurteil durch eine nachhinkende psychologische Ab-
leitung der Religion zu stützen (Sophisten, Hume, Feuerbach). Die
idealistische Philosophie hingegen — mag nun ihr Idealismus ein meta-
physischer, erkenn tnis theoretischer oder ein ethischer sein hat trotz
aller Gegensätze etwas mit der Religion, auch der primitiven, gemein-
sam: den Glauben an eine Welt des Übersinnlichen hinter der Welt
der Erscheinungen, an eine Welt höherer Werte über der Welt der
profanen Alltagsinteressen. In dieser zwiespältigen Stellung zur Religion,
dem Widerspruch gegen sie einerseits und ihrer Wertschätzung anderer-
seits, gründet das Streben der idealistischen Philosophie nach einer
Umgestaltung der empirischen Religion in eine Idealreligion. Das philo-
sophische Denken sucht die traditionelle kultische Religion zu ethisieren
und rationalisieren, indem sie den Eudämonismus aus der Frömmigkeit
verbannt, die Gottesvorstellung von allen anthropomorphen Zügen
reinigt und an die Stelle des Kults die Verwirklichung sittlicher Werte
im individuellen und sozialen Leben rückt. Diese ethisch-rationale
Idealreligion ist keine naive Religion, sondern eine Reformreligion,
geboren aus der bewußten Kritik an der naiven Frömmigkeit, keine
reine Religion, sondern eine philosophische Religion, eine ,Religion
innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft' (Kant), orientiert an den
Normen der philosophischen Erkenntnistheorie, Metaphysik und Ethik.
Die Beziehung der philosophischen Reformreligion zu der lebendigen
Religion ist bald enger, bald loser; der Pietät eines Konfutse gegen die
religiöse Tradition und der Anpassungsfähigkeit der Stoa an die Volks-
religion steht gegenüber die schroffe Abweisung der naiven Frömmigkeit
durch Xenophanes und Fichte; mit der religiösen Wärme und prophe-
Inhalt des philosophischen Gebets 203
tischen Wucht eines Sokrates kontrastiert das abstrakte und nüchterne
Religionsideal eines Seneca und Kant. Aber all diese Denker haben
dies gemeinsam, daß sie der wirklichen Religion die von ihnen konstruierte
Idealreligion als wahre, reine, echte und allgemeingültige Religion
gegenüberstellen .
Der urwüchsige Eudämonismus und kräftige Realismus der naiven
Religion offenbart sich nirgends so deutlich wie im Opfer und Gebet.
Eben deshalb richtet sich die philosophische Religionskritik mit Vor-
liebe gegen das primitive Beten und Opfern. Schon der antiken Philo-
sophie war das Gebet ein ernstes Problem. Seit den Tagen des Xeno-
phanes ist in ihr die Frage, ob und wie man beten sollte, nicht zur Ruhe
gekommen. Am Ausgang der Antike verfaßte der Philosoph Maximus
Tyrius eine eigene Schrift mit dem Titel: ei del £#/£ff#o« (,,ob man
beten darf"). Diese Frage nach dem philosophischen Recht des
Betens beschäftigte die griechischen Kirchenväter sbenso wie die Pytha-
goreer, Stoiker und Platoniker. Auch in der Aufklärungsphilosophie
und bei Kant wird dem Problem des Gebets Aufmerksamkeit ge-
schenkt. 3 Die philosophische Gebetskritik führt jedoch fast nie zu
einer radikalen Verwerfung des Gebets überhaupt, vielmehr wächst aus
ihr ein positives Gebetsideal heraus; unter dem Gesichtspunkt der
ethischen Werte und metaphysischen Erkenntnisse wird eine Gebets-
norm formuliert; dem naiven, spontanen wie dem rituell gebundenen
Beten der Volksmassen und Priester wird das wahre und vollkommene
Beten des Philosophen gegenübergestellt. Nach einem Wort der Pytha-
goreer ist der Weise „der einzige Priester, der einzige Gottliebende,
der Einzige, der zu beten versteht" (fiövog Isoevg ö oocpög, fiövog d-eo-
(pri.fjQ, fiövog eldoig evl-aod-ai*).
I. Inhalt des philosophischen Gebets.
Das ethische Gebetsideal.
1. Der naive Mensch betet um Leben und Gesundheit, um Nahrung,
Sonnenschein und Regen, um Besitz und Kinderreichtum, um Ehre und
Ansehen, um Sieg und Verderben über seine Feinde. Dieser gesunde,
kräftige Eudämonismns wird von den Philosophen als irreligiös und
unsittlich gebrandmarkt. Eduard v. Hartmann sagt: „Vom Stand-
punkt eines höheren religiösen Bewußtseins müssen die eudämonistischen
Zwecke des Kultus als irreligiös erscheinen." 5 Fichte schrieb im Atheis-
musstreit: „Das System, in welchem von einem übermächtigen Wesen
Glückseligkeit erwartet wird, ist das System der Abgötterei und des
Götzendienstes und so alt wie das menschliche Verderben." 6 Das
Beten erscheint dem kraftvollen sittlichen Geiste als Schwäche; als
„Tröstung einer kranken Seele" (aegrae mentis solatia) hat Seneca das
Gebet bezeichnet. 7 Es gilt, alle Eigenkraft anzuspannen, nicht tatenlos
die Hilfe von oben zu erwarten. „Quid votis opus estt Fac te ipsum
felicem/" („Wozu braucht man Gebete? Mach dich selbst glücklich!") 8
Es erscheint klein, häßlich und unmännlich, sich nicht in sein Geschick
zu fügen, sondern trotzig um Erfüllung seiner augenblicklichen Wünsche
und Begierden zu flehen. Kant urteilt: „Es ist ein ungereimter und
204 E. Gebetskritik und Gebetsideale des philosophischen Denkens
zugleich vermessener Wahn, durch die pochende Zudringlichkeit des
Bittens zu versuchen, ob Gott nicht von dem Plan seiner Weisheit zum
gegenwärtigen Vorteil für uns abgebracht werden könnte." 9 Die Güter,
um die der gewöhnliche Mensch betet, sind keine wirklichen Werte.
Der Kyniker Diogenes warf der Masse der Menschen vor, sie flehe die
Götter nicht um wahre, sondern um scheinbare Güter an. 10 Sokrates
erklärte, diejenigen, welche um Gold, Silber, Herrschaft oder der-
gleichen beteten, täten nichts anderes als wenn sie um ein Würfelspiel
oder um eine Schlacht oder sonst etwas, dessen Ausgang ungewiß sei,
beteten. n „Was das Schicksal geben kann und wieder nehmen, um
solches darfst du nicht beten," mahnt ein anderer griechischer Weiser. 12
2. Das Beten um vergängliche eudämonistische Güter gilt dem nach
dem sittlichen Ideal strebenden Philosophen als unwürdig. Nur um
unvergängliche, ethische Werte darf der Mensch bitten. Das philo-
sophische Gebetsideal beschränkt den Gegenstand des Gebets auf den
Umkreis der geistigen und sittlichen Güter. Keiner hat dieses ethische
Ideal so begeistert verkündet wie der Stoiker Epiktet. „Nicht was du
begehrst, erbitte von den Göttern, sondern daß du frei werdest von
allem Begehren, das erflehe von ihnen. Dann werden dich die Götter
erhören, wenn du nicht um das Angenehme, sondern um das Wertvolle
betest (fiij tzeqi %Giv fjöicov^ ällä ueqi %(bv xatäv). Und dann werden
sie dir das Wertvolle geben, wenn du nicht an der Lust, sondern
an der Tugend dich erfreust. Gedenke von den Großen nur das Große
zu erflehen; denn das Kleine werden sie wohl nicht geben. Nichts ist
größer und erhabener als Gott, wenn du darum zu den Göttern betest,
bitte um das Göttliche, das unberührt ist von aller fleischlichen und
irdischen Leidenschaft." 13 Clemens von Alexandrien sagt ähnlich vom
christlichen Gnostiker: „Er betet, daß ihm die wahren, auf die Seele
bezüglichen Güter (rd övxwg dyadä xä tceql tyvyr\v) zuteil werden
und erhalten bleiben." 14
Die Philosophen beten zunächst um die Verwirklichung ethischer
Werte im individuellen Leben. Xenophanes bittet um die Kraft, das
sittlich Gute zu vollbringen (rä dixaia dvvao&ai jrQfjooeiv) 15, Apollo-
nius von Tyana betet um Besitz- und Bedürfnislosigkeit (ofiixQa eyeiv
xai deia&ai firjdevög) 16. Epiktet fordert, daß man um die oaicpQoovvr}
tpvzrjg (Besonnenheit der Seele) bete 17. Maximus Tyrius nennt
als Objekte des Betens: „Tugend der Seele, Ruhe des Lebens,
tadelfreien Wandel, hoffnungsvollen Tod, die wunderbaren von
den Gföttern geschenkten Gaben." 18 Clemens von Alexandrien
schreibt: „Der schon vollendete Gnostiker betet um Wachstum und
Bewahrung der Erkenntnis (d-eoiQia), so wie der gewöhnliche Mensch
um dauernde Gesundheit. Ferner wird er flehen, daß er nie von der
Tugend abfallen werde."19 Seneca mahnt: „Roga bonam mentem,
bonam valetudinem animi" („Bete um guten Geist, um gutes Befinden
der Seele") 2Ü. Juvenal gibt in einer seiner Satiren eine echt stoische
Gebetsregel.
,,Orandum est, ut sit mens sana in corpore sano.
Fortem posce animum mortis terrore carentem,
Inhalt des philosophischen Gebets 205
Qui spatium vitae extremum inter munera ponat
Naturae, qui ferre queat quoscumque labores,
Nesciat irasci, cupiat nihil" . . . . ai
(„Bef, daß gesunder Geist in gesundem Körper mög' wohnen.
Flehe um tapferen Mut, der trotzt allen Schrecken des Todes,
Der als das letzte Geschenk der Natur langes Leben betrachtet.
Der Kraft hat, mit Geduld zu ertragen jegliche Mühsal,
Der frei ist von Zorn und frei von aller Begierde.")
Die ethischen Ideale, die für den Philosophen der einzige Gegenstand
des Betens sind, beschränken sich jedoch nicht auf das individuelle
Leben, sondern umfassen das Leben aller Menschen. Pythagoras fordert,
daß die Weisen für die Toren um das Gute beten, da diesen das wahr-
haft Gute unbekannt sei. 22 Apollonius von Tyana betet, „daß es viele
weise Männer gebe, daß Gerechtigkeit herrsche, daß die Gesetze nicht
aufgelöst würden, daß die Weisen arm, die übrigen reich seien, aber
ohne Ungerechtigkeit". 23 Aus den Gebeten Voltaires spricht das welt-
bürgerliche Humanitätsideal der französischen Aufklärer.
„Du hast uns nicht ein Herz gegeben, damit wir uns hassen, und Hände, damit
wir uns erdrosseln, sondern daß wir uns gegenseitig helfen die Last eines mühe-
vollen, flüchtigen Lebens zu tragen; daß die kleinen Unterschiede zwischen den
Kleidern, die unsere schwachen Körper bedecken, zwischen unseren ungenügenden
Sprachen, zwischen unseren lächerlichen Bräuchen, zwischen all unseren unvoll-
kommenen Gesetzen, zwischen all unseren unsinnigen Meinungen, zwischen
unseren Standesverhältnissen, die so verschieden sind in unseren Augen und so gleich
vor dir, daß all die kleinen Nuancen, welche die Atome, , Menschen' genannt,
unterscheiden, nicht Anlässe zum Haß und zur Verfolgung seien." „Erhalte in
unseren Herzen die Unterwerfung (unter deinen Willen), erhalte in ihnen deine
reine Religion; entferne von uns allen Aberglauben; wenn man dich durch un-
würdige Opfer verhöhnen kann, schaffe diese ruchlosen Mysterien ab; wenn man
die Gottheit durch törichte Fabeln entehren kann, mögen diese Fabeln für immer
zugrunde gehen; wenn die Tage des Fürsten und der Beamten nicht von aller
Ewigkeit her gezählt sind, verlängere die Dauer ihrer Tage; bewahre die Reinheit
unserer Sitten, die Freundschaft, die unsere Brüder hegen, das Wohlwollen,
das sie gegen alle Menschen haben, ihren Gehorsam gegen die Gesetze, ihre Weisheit
im Privatleben; mögen sie leben und sterben in der Anbetung des einen Gottes,
des VergeJters des Güten und Rächers des Bösen." 24
Das allgemeine Fürbittegebet der christlichen Kirche ist in diesen
antiken und neuzeitlichen Philosophengebeten schattenhaft angedeutet.
In allen diesen Fällen ist die ethische Gebetsbitte konkret gefaßt ; der
Weise bittet um mehr oder weniger genau umschriebene ethische Werte.
Häufig aber ist die Bitte generell und abstrakt formuliert, wie dies dem
Fehlen konkreter Gebetsmotive entspricht. Die generelle Form der
Bitte begegnet uns schon beim primitiven Menschen; aber während
dieser um , Glück', um göttliche , Gunst' und , Gnade' betet, betet der
Philosoph schlechthin um ,das Gute'; dort hat die generelle Bitte rein
eudämonistischen, hier rein ethischen Charakter. Pythagoras schon
sagte, man dürfe im Gebete nur um das Gute bitten (öetv iv Tcug
Evxcclg änKög evxeottcu xäyaihu) und warnte vor einem Namhaft-
machen konkreter Wünsche (xarä fieQog övoiiäQeiv) 25. Sokrates bat
die Götter lediglich, das Gute zu geben, da sie am besten wüßten, was
gut sei. 26 Apollonius von Tyana sagte, er fasse alles in das eine
Gebet zusammen: „O ihr Götter, gebt mir das Gebührende" {rä
dtpeilöfiEva) und er versteht hierunter ,das Gute' {idyaiyd). 27
206 E. Gebetskritik und Gebetsideale des philosophischen Denkens
Das Anheimstellen aller Einzelwünsche an Gott leitet zu jener Form
des philosophischen Gebets über, die in der Stoa ihre höchste Voll-
endung erreichte: zur Aussprache der vollen Wunschlosigkeit und Ge-
lassenheit, der restlosen Ergebung in die Hände des Schicksals. Der
Weise bittet und fleht nicht, er betet nicht einmal um die Erlangung
eines sittlichen Gutes; er bekennt nur seine volle Abhängigkeit, er ver-
zichtet auf allen Eigen wünsch und Eigenwillen, er ist bereit, jedes
Geschick, Leben und Tod, Glück und Unglück, Ehre und Schmach
ohne Widerspruch und Widerwillen hinzunehmen. Klean thes ruft zu
Zeus und zum Schicksal:
„Führ mich, o Zeus, und du, gewaltiges Schicksal,
Wohin auch immer ich von euch bestimmt bin;
Ich folge ohne Zögern; wenn ich auch nicht will
In meiner Bosheit, folgen muß ich dennocb." 28
Seneca hat dieses Gebet ins Lateinische übersetzt 29; er hat uns auch
den feierlichen Verzicht des Demetrius überliefert, in dem dieser Leib
und Leben, Kinder und Besitz den Göttern übergibt: „Wollt ihr meine
Kinder nehmen ? von euch hab ich sie empfangen ; wollt ihr einen Teil
meines Leibes? nehmt ihn; nicht etwas Großes geb ich dahin, da ich
doch bald den ganzen Leib verlassen muß ; wollt ihr die Seele ? warum
sollte ich euch daran hindern das zurückzunehmen, was ihr gegeben ?
Was ihr auch fordert, ich überlasse es euch aus freiem Willen" („Vultis
liberos sumere? vobis illos sustuli, vultis aliquam parte m corporis?
sumite; non magnam rem promitto, cito totum relinquam; vultis
spiritum ? quidni nullam moram faciam, quominus recipiatis quod
dedistis ? a volente feretis, quidquid petieritis"). 30 Eine wundervolle
Stimmung männlicher Freiheit und Entschlossenheit redet aus dem
Gebet, zu dem Epiktet seine Jünger auffordert. „Richte einmal deinen
Nacken empor als ein aus der Knechtschaft Befreiter, wage es zum
Himmel aufzuschauen und zu sprechen : , Gebrauche mich denn, wozu du
willst, ich stimme mit dir überein, ich bin dein (xqu> [tot Xomov eh 8 äv
lHlri$, öfioyvcofiovd) ooi, oög eifii). Ich appelliere nicht gegen deine Be-
schlüsse. Wohin du willst, führe mich, welches Kleid du nur willst,
lege mir um. Willst du, daß ich ein Amt habe, daß ich ein Privatmann
sei, daß ich bleibe oder fliehe, arm oder reich sei; ich werde dich für
das alles vor den Menschen verteidigen; zeige die Natur eines jeden,
wie sie ist." 31
Das stoische Gebetsideal der vollen Hingabe des menschlichen Willens
an den göttlichen, des Sichbeugens unter die ewigen Schicksalsordnungen,
wurde auch von den französischen Aufklärern hochgehalten.
„Das vollkommenste Gebet", urteilt Rousseau, „ist die völlige Resignation
in Gottes Willensfügungen. ,Nicht was ich will, sondern was du willst!' ,Dein
Wille geschehe!' Jedes andere Gebet ist überflüssig und steht mit diesem in
Widerspruch." sa Diderot ruft am Schlüsse der Interprätations de la nature aus:
„O Gott! Ich erbitte nichts von dir, denn der Gang der Natur ist innere Not-
wendigkeit, wenn du nicht bist, oder dein Gebot, wenn du bist." 3S Voltaire
bekennt: „O Gott aller Welten und aller Wesen, das einzige Gebet, das dir ent-
sprechen kann, ist die Unterwerfung; denn wozu den bitten, der alles geordnet,
alles vorgesehen, alles verkettet hat seit dem Anbeginn der Dinge ?" Die Gebete
Voltaires sind darum nur bedingte Gebete, getragen von der absoluten Aner-
Inhalt des philosophischen Gebets 207
kennung der ewigen Ordnungen Gottes. Eines der oben angeführten Gebete
beginnt mit den Worten: „Nicht mehr an die Menschen richte ich mich, sondern
an dich, den Gott aller Wesen, aller Welten, aller Zeiten. W e n n e s schwachen
Geschöpfen, welche in der Unendlichkeit verloren sind und unfähig das übrige
Universum zu erkennen, erlaubt ist, dich um etwas zu bitten, dich, der
alles gegeben hat, dich, dessen Bestimmungen unabänderlich wie ewig sind, so
würdige dich in Gnade die Irrungen zu betrachten, die unserer Natur anhaften." 8*
In der Aussprache der Resignation und Ergebung berührt sich das
stoisch-philosophische Gebetsideal mit dem Gebete der mystischen
Frömmigkeit. Das , Suspice' des heiligen Ignatius von Loyola, manche
Gebete des Thomas von Kempen, der heiligen Teresa und der Madame
Guyon klingen wörtlich an die Gebete des Demetrius und Epiktet an.
Epiktets Worte: „Tue mit mir, was du willst, dein Wille ist mein Wille,
ich bin dein," werden von den Mystikern unzählige Male wiederholt.
(S. u. Kap. F III 4.) Und doch bergen sich hinter den gleichen Worten
grundverschiedene seelische Stimmungen. Trotz aller Feierlichkeit und
Erhabenheit, trotz alles tiefen sittlichen Ernstes offenbaren die stoischen
Gebete eine gewisse Frostigkeit und Unpersönlichkeit. Es fehlt ihnen
die Innigkeit und Wärme, der enthusiastische Hauch, der dem Beten
der christlichen, suf istischen und hinduis tischen Mystiker eigen ist. 35
Das Gebet der Stoiker und Aufklärer ist eben ein ethischesldeal ,
das der Mystiker quillt aus den Tiefen persönlichen religiösen
Erlebens. Die Resignation des Stoikers entspringt einem starken
sittlichen Willen, der sich mutig und entschlossen dem unabänderlichen
Schicksal beugt, die Ergebung des Mystikers wurzelt in der völligen
Hingabe des Ich an das höchste Gut, in der Gottesliebe. Viel enger als
mit dem Beten der Mystiker ist das stoische Gebetsideal mit der bud-
dhistischen Versenkung verwandt. Die stoische änäÜ-eia gleicht
in der Stimmungsfarbe der buddhistischen upekkhä, dem völligen
leid- und freudlosen' Gleichmut, zu dem sich der Bhikkhu auf der
vierten Stufe der Versenkung (dhyäna) erhebt. Doch unterscheidet
sich das stoische wie das mystische Ergebungsgebet von der buddhisti-
schen Indifferenzstimmung dadurch, daß in letzterer jede unmittelbare
Hinwendung an eine höchste metaphysische Realität fehlt. 36
Noch eine andere Form mystischen Betens und Kontemplierens ist
in dem philosophischen Gebetsideal angedeutet: die feierliche Betrach-
tung, Anbetung und Lobpreisung der Majestät und Herrlichkeit Gottes,
die im großen und kleinen sich offenbart. Epiktet sagt:
„Welches Wort reicht aus, um die Werke der Vorsehung zu lobpreisen und
zu verherrlichen ? Hätten wir Einsicht, müßten wir dann etwas anderes tun als
sowohl gemeinsam wie einzeln die Gottheit lobpreisen und rühmen und ihr Dank
sagen? Müßten wir dann nicht beim Graben, Pflügen und Essen den Hymnus
auf Gott anstimmen: ,Groß ist Gott, weil er uns diese Werkzeuge gab, mit denen
wir die Erde bearbeiten können; groß ist Gott, weil er uns Hände gab, weil er
uns gab einen Gaumen, einen Magen, weil er uns wachsen läßt, ohne daß wir es
merken, weil er uns Erquickung spendet durch den Schlaf.' Diesen Lobpreis
müßten wir stets singen und den größten und göttlichsten Hymnus anstimmen,
weil er die Kraft gab, dies zu verstehen und praktisch zu verwerten. Was nun ?
Weil so viele von euch blind sind, muß dann nicht einer . . . für alle den Hymnus
auf Gott anstimmen ? Was kann ich lahmer Greis anders tun als Gott lobpreisen ?
Wäre ich eine Nachtigall, ich würde singen wie eine Nachtigall; wäre ich ein
Sjhwan, ich würde singen wie ein Schwan. Nun bin ich ein vernunftbegabtes
208 G'ebetskritik und Ciebetsideale des philosophischen Denkens
Wesen; so muß ich Gott lobpreisen. Dies ist meine Aufgabe, ich erfülle sie und
nicht werde ich diesen meinen Posten verlassen, so lang es mir bestimmt ist,
und euch fordere ich auf, einzustimmen in diesen Lobgesang." Noch sterbend
hofft Epiktet zu Gott sprechen zu können: „Nichts als Dank sage ich dir dafür,
daß du mich gewürdigt hast, mit dir dieses Festspiel des Lebens zu feiern, deine
Werke zu schauen und deiner Weltregierung verstandesmäßig nachzugehen". 37
Auch Kant scheint etwas von der wunderbaren Macht der wortlosen
mystischen Kontemplation erlebt zu haben; in seinen kritischen Aus-
fuhrungen über das Gebet schreibt er:
,,Die Betrachtung der tiefen Weisheit der göttlichen Schöpfung an den kleinsten
Dingen und ihrer Majestät im Großen, so wie sie zwar schon von jeher von
Menschen hat erkannt werden können, in neuerer Zeit aber zum höchsten Be-
wundern erweitert worden ist, hat eine solche Kraft, das Gemüt nicht allein in
diejenige dahinsinkende, den Menschen gleichsam in seinen eigenen Augen ver-
nichtende Stimmung, die man Anbetung nennt, zu versetzen, sondern es liegt
auch mit Rücksicht auf seine eigene moralische Bestimmung darin eine so seelen-
erhebende Kraft, daß dagegen Worte, wenn sie auch die des königlichen Beters
David wären, wie leerer Schall verschwinden müssen, weil das Gefühl einer solchen
Anschauung der Hand Gottes unaussprechlich ist." 38
Die Ähnlichkeit der philosophischen Anbetung und der mystischen
Kontemplation ist unverkennbar. Freilich besteht ein gewaltiger Unter-
schied in der Gefühlsintensität: hier eine feierliche Stimmung, ein
stilles Erhabenheitsgefühl, dort ein wonniges Trunkensein, ein affektiver
Enthusiasmus, der sich bis zum Untergang des Selbstbewußtseins in
der Ekstase steigert; hier das Gefühl des unendlichen Abstandes von
Gott, dort ein seliges Einswerden mit ihm in der Liebe.
Der Inhalt des philosophischen Gebets ist also ein dreifacher: die
Bitte um das sittliche Gute, die Ergebung ins Schicksal, die Anbetung
der Größe Gottes — in der Tat ein hehres Ideal, geboren aus einem
tiefen und reinen sittlichen Geiste. Und doch ist dieses Gebet dem
Philosophen nicht eine Notwendigkeit wie dem Frommen, der ohne
Gebet nicht leben kann, sondern etwas Entbehrliches. Das sittliche
Ideal läßt sich auch verwirklichen, ohne daß man im Gebet den Gnaden-
beistand Gottes erfleht. Seneca sagt : „Wie töricht ist es um einen guten
Geist zu beten, da du ihn doch von dir selbst erlangen kannst." 39
Maximus Tyrius 40 wie Clemens von Alexandrien 41 betonen, daß der
Weise, welcher um sittliche Güter bete, diese durch sein eigenes Streben
und seine eigene Anstrengung, nicht durch göttliche Hilfe erlange.
Ähnlich urteilt Rousseau : „Nicht G o 1 1 ist es, der sich ändert, sondern
wir ändern uns, indem wir uns zu ihm erheben. Alles, um w a s m a n
ihn bittet, wie man soll, gibt man sich selbst; . . . man
steigert seine Kraft, indem man seine Schwäche erkennt." 42 Es lebt
in dem philosophischen Ethiker der unerschütterliche Glaube an die
sittliche Eigenkraft des Menschen, während die größten religiösen
Geister von einem tiefen Gefühl der sittlichen Ohnmacht durchdrungen
waren. Nicht auf das Gebet um das Gute kommt es an, sondern aus-
schließlich auf die sittliche Gesinnung und die sittliche Tat: „Der ver-
ehrt genügend die Götter, der sie nachahmt," sagte Seneca.43 Ein
japanischer Moralist, Sugawora no Michizane, sprach:
,,Wenn dein Herz nur stets verbleibt auf dem Pfade der Wahrheit,
Schützen die Götter dich doch, säumtest Du gleich im Gebet."44
II. Das metaphysische Gebetsideal 209
Voltaire meint: „Tun wir unsere Pflicht gegen Gott, beten wir ihn an,
seien wir gerecht — das ist unser wahrer Lobpreis, unser wahres Gebet."45
Guyau, der beredte Verfechter einer sozialethischen Zukunftsreligion,
verkündet: „Ist die Liebe das wesentliche Moment des wahren Gebets,
so darf nicht nur der Mund von ihr reden, sondern Herz und Hand
müssen den Liebesdienst üben, d. h. es kommt schließlich zum Ersatz
des Gebets durch die Tat . . . Die moralische Tat ist das
uneigennützigste, heiligste, das menschlichste und göttlichste der
Gebete." 46 Nicht die Bitte um das sittliche Ideal ist darum das wahre
Gebet, sondern der Wille zum Guten, die ethische Einstellung, das
sittliche Lebensgrundgefühl. Dieses wahre Gebet ist an keine Veran-
lassung, an keine Worte, an keine Anrufung Gottes gebunden, ein
Beten ohne Unterlaß. „Mein Gebet ist beständig," sagte der kranke
Konfutse, als seine Schüler ihn um die Erlaubnis baten, für ihn die
Götter anzurufen. 47 Clemens von Alexandrien behauptet: „Der Gno-
stiker betet in Gedanken zu jeder Stunde." 48 Kant schreibt in seiner
,Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft':
„Ein herzlicher Wunsch, Gott in allem unserem Tun wohlgefällig zu sein,
das ist die alle unsere Handlungen begleitende Gesinnung, sie, als ob sie im Dienste
Gottes geschehen, zu betreiben, ist der Geist des Gebets, der ,ohne Unterlaß'
in uns stattfinden kann und soll. Diesen Wunsch aber (es sei auch nur innerlich)
in Worte und Formeln einzukleiden, kann höchstens nur den Wert eines Mittels
zu wiederholter Belebung jener Gesinnung in uns selbst bei sich führen, unmittel-
bar aber keine Beziehung aufs göttliche Wohlgefallen haben, eben darum auch
nicht für jedermann Pflicht sein. Weil ein Mittel nur dem vorgeschrieben werden
kann, der es zu gewissen Zwecken bedarf, aber bei weitem nicht jedermann dieses
Mittel (in und eigentlich mit sich selbst, vorgeblich, aber desto verständ-
licher mit Gott zu reden) nötig hat, vielmehr durch fortgesetzte Läuterung
und Erbebung der moralischen Gesinnung dahin gearbeitet werden muß, daß
dieser Geist des Gebets allein in uns hinreichend belebt werde, und der Buchstabe
desselben (wenigstens zu unserem eigenen Behuf) endlich wegfallen könne. Denn
dieser schwächt vielmehr wie alles, was indirekt auf einen gewissen Zweck gerichtet
ist, die Wirkung der moralischen Idee." *•
Kants scharfsinniger Geist hat die Konsequenzen des philosophisch-
ethischen Gebetsideals aufgedeckt. Wo das Gebet in die innere sittliche
Gesinnung verlegt wird, sinkt das wirkliche Beten, d. i. die Gebets-
hinwendung zu Gott, die Bitte um sittliche Kraft und die Aussprache
der Ergebung zu einem bloßen pädagogischen Hilfsmittel der Ethik
herab; das Gebet wird seines religiösen Charakters entkleidet, seiner
Selbständigkeit beraubt. Der , Geist des Gebets' ist kein Gebet mehr,
sondern ein moralisches Surrogat des Gebets.
II. DiemetaphysischeGebetskritikunddasmeta-
physische Gebetsideal.
Der naive Mensch empfindet im Gebet kein Problem ; für den Frommen
ist das Beten die selbstverständlichste religiöse Lebensäußerung. Alban
Stolz sagt: „Das Kind, kaum geboren, bringt die Geschicklichkeit zur
Welt, an der Brust der Mutter seine Natur zu saugen; so ist auch der
Seele es angeboren zu beten, das Beten ist Nahrungssaugen aus Gott.
Eine Seele, die nicht beten mag oder kann, ist eine unnatürliche Miß-
Das Gebet 14
210 E. Gebetskritik und Gebetsideal des philosophischen Denkens
geburt." Und Matthias Claudius spricht mit heiligem Humor: „Ob
die Menschen beten dürfen — - eine Frage wie die, ob die Menschen eine
Nase haben dürfen." 50 Für das philosophische Denken hingegen ist
das Gebet ein unabweisbares Problem: ei öel e-vxeoO-ai (,,ob man
beten darf") — ■ diese Frage, die Maximus Tyrius zum Titel einer
philosophischen Abhandlung wählte, ist immer wieder in philosophischen
Köpfen aufgestiegen, sie liegt unausgesprochen allen religionsphilo-
sophischen Ausführungen über das Gebet zugrunde. Was das Gebet
zum philosophischen Problem macht, ist weniger der Widerspruch
zwischen dem Eudämonismus des primitiven Betens und den Idealen
der philosophischen Ethik; dieser Widerspruch läßt sich beseitigen
durch den Ausschluß aller irdischen Bitten aus dem Gebet und die
Einengung des Bittgebets auf die ethischen Werte. Ein viel tieferer
Gegensatz klafft zwischen den dem naiven Beten zugrundeliegenden
religiösen Vorstellungen und Meinungen und dem rationalen Gottes-
begriff der Philosophie.
1 . Alles naive Beten hat zur Voraussetzung den Glauben an die reale
Existenz und den anthropomorphen Habitus des angeredeten Gottes.
Für den Philosophen ist Gott etwas ganz anderes als für den naiven
Frommen. Mag er nun .persönlich', .unpersönlich' oder , überpersönlich'
gedacht sein — nie ist er ein menschenähnliches Wesen, das fühlt und
denkt wie der Erdenbewohner. Gott ist das ,Sein', das ,Absolute', der
, Weltgrund', das ,Weltprinzip', die , Weltseele', die ,Idee des Wahren,
Guten und Schönen' oder gar nur ein , Postulat' der Vernunft, aber
er ist nicht der ,Herr' und der , Vater', dessen Nähe dem Beter eine
unmittelbare und unzweifelhafte Gewißheit ist. (Auch eine theistische
Metaphysik verbannt ebenso wie die pantheistische aus dem Gottes-
begriff allen Anthropomorphismus.) Dieser Widerspruch zwischen der
das naive Beten tragenden anthropopathischen Gottesvorstellung und
dem philosophischen Gottesbegriff macht das harte Urteil verständlich,
das manche Philosophen über das Gebet fällen. Voltaire sagt: „Wir
richten an Gott nur deshalb Gebete, weil wir ihn nach unserem Bilde
geschaffen haben. Wir behandeln ihn als einen Pascha, als einen Sultan,
den man reizen und beschwichtigen kann." 51 Kant schreibt in einem
Briefe an Kiesewetter: „Bei dem Gebete ist Heuchelei, denn der
Mensch mag nun laut beten oder seine Ideen innerlich in Worte auf-
lösen, so stellt er sich die Gottheit als etwas vor, das den Sinnen gegeben
werden kann, da sie doch bloß ein Prinzip, das seine Vernunft ihn
anzunehmen zwingt. Das Dasein einer Gottheit ist nicht bewiesen,
sondern es wird postuliert und es kann bloß dazu dienen, wozu
die Vernunft gezwungen war, es zu postulieren." 52 Noch schärfer als
Kant urteilt Schopenhauer über das Gebet: „Wenn man sich ein Idol
macht aus Holz, Stein, Metall oder es zusammensetzt aus abstrakten
Begriffen, ist einerlei; es bleibt Idololatrie, sobald man ein per-
sönliches Wesen vor sich hat, dem man opfert, das man anruft, dem
man dankt. Es ist auch im Grunde so verschieden nicht, ob man seine
Schafe oder seine Neigungen opfert. Jeder Ritus oder Gebet zeugt
unwidersprechlich von Idololatrie." 53
II. Das metaphysische Gehetsideal • 211
Alles Beten — das des primitiven Menschen ebenso wie das der großen
religiösen Genien — hat zur Voraussetzung den Glauben an die reale
Präsenz Gottes. Heraklit schon kritisierte diesen Glauben an die Nähe
des im Gebet angerufenen Gottes. „Sie beten zu diesen Götterbildern,
wie wenn jemand in dem Tempel wohnte." 54 Seneca wendet sich gegen
die primitive Vorstellung von der örtlichen Gebundenheit der Gottheit.
„Nicht soll man die Hände zum Himmel erheben noch den Tempel-
pförtner bitten, daß er einen zum Ohr der Götterstatue lasse, als ob
man dadurch besser erhört würde. Gott ist dir nafye, er ist mit dir, in
dir." 65 Kant erkennt richtig, daß der Betende Gott als „persönlich
gegenwärtig annimmt oder sich wenigstens (selbst innerlich) so stellt,
als ob er von seiner Gegenwart überführt sei". In diesem realistischen
Glauben an Gottes Präsenz erblickt Kant „eine kleine Anwandlung
von Wahnsinn"; der Fromme, der von einem anderen beim lauten
Beten oder auch nur „in der dieses anzeigenden Gebärdung" überrascht
werde, gerate „darüber in Verwirrung oder Verlegenheit, gleich als über
einen Zustand, dessen er sich zu schämen habe." 56
Das naive Beten ist ein realer Verkehr des Menschen mit Gott; es
ruht auf dem Glauben, daß der Mensch auf Gott einwirken, ihn für sich
gewinnen, ihn umstimmen könne. Dem philosophischen Denken hin-
gegen ist wesentlich die Überzeugung von der lückenlosen Gesetz-
mäßigkeit des Weltgeschehens, sei diese nun als eine unabänderliche
kausale Notwendigkeit oder als eine teleologische Verwirklichung des
göttlichen Weltplanes gedacht. Das primitive Beten hat zur Voraus-
setzung den Glauben an die Veränderlichkeit Gottes — die Unveränder-
lichkeit des Absoluten gehört zu den Elementen der philosophischen
Metaphysik. Es erscheint dem Philosophen als intellektuelle Beschränkt-
heit und als kindischer Trotz, dem Schicksal hemmend in die Arme
fallen zu wollen, den unendlichen Gott zur Aufhebung der strengen
Naturgesetzlichkeit zu bewegen, ihn zur Änderung seines ewigen Welt-
planes bestimmen zu wollen.
Seneca sagt: „Das Schicksal vollzieht sein Recht und läßt sich durch keine
Bitte bewegen. Nicht kann es durch Mitleid noch durch Dankbarkeit gebeugt
werden. " „Was weinest du? was wünschest du? das ist verlorene Mühe. Höre
auf zu hoffen, daß die Schicksalsbestimmungen der Götter durch Beten gebeugt
werden." ..Was verstehst du denn unter Schicksal? Ich verstehe darunter die
Notwendigkeit aller Dinge und Handlungen, die keine Macht brechen kann;
wenn du glaubst, daß diese durch Opfer oder durch das Haupt eines schneeweißen
Lammes sich erbitten lasse, dann kennst du das Göttliche nicht." *' Ähnlich
spricht Vettius Valens: „Es ist unmöglich, daß jemand durch Gebete oder Opfer
die von Anfang an bestehende Sehicksalsbestimmung überwinde." 68 Maximus
Tyrius urteilt: „Sich umstimmen lassen und anderen Sinnes werden geziemt
nicht einmal einem charaktervollen Menschen, geschweige denn Gott." ,,Gott
tut in seiner Weisheit das Rechte, gleichgültig, ob der Mensch betet oder nicht."
..Nicht wird er den Betenden geben wider Gebühr noch wird er den Nichtbetenden
nicht geben nach Gebühr" (otite ovy ev%o(j.£voi.g dwaei naoä tijv &£iaf oihe ovx
ii>/o^ivoig ov SünftL xaxä ttjy äJ-iav). 6* Eduard v. Hartmann sagt: „Das Bittgebet,
ist überflüssig, weil Gott auch ohne unser Gebet weiß, was wir wünschen, und
töricht, weil Gott um unserer Bitten willen kein Jota am Weltlauf ändert." *°
Am klarsten und schärfsten sind die Einwände der philosophischen Metaphysik
^egen das Bittgebet von Spinoza formuliert worden: „In der Natur geschieht
nichts, was ihren allgemeinen Gesetzen widerspricht, und nichts, was damit nicht
212 E. Gebetskritik und Gebetsideal des philosophischen Denkens
übereinstimmt oder aus ihnen nicht folgt; vielmehr geschieht alles, was geschieht,
mit Gottes Willen und ewigem Beschluß d. h. es geschieht alles nach Gesetzen
und Regeln, welche eine ewige Notwendigkeit enthalten, und die Natur befolgt
diese Gesetze und Regeln . . . immer, wenn wir sie auch nicht kennen, und
ebenso ihre feste und unverbrüchliche Ordnung. Keine gesunde Vernunft kann
der Natur eine beschränkte Macht und Kraft zuteilen und annehmen, daß ihre
Gesetze nur für Einzelnes und nicht für alles passen; denn die Kraft und Macht
der Natur ist die göttliche Macht und Kraft selbst, und die Gesetze und Regeln
der Natur sind die eigenen Beschlüsse Gottes. . . . Geschähe also in der Natur
etwas gegen ihre allgemeinen Gesetze, so würde es notwendig auch der göttlichen
Einsicht ihrer Natur und ihren Beschlüssen widersprechen, und wenn jemand
annähme, daß Gott etwas gegen die Naturgesetze tue, der müßte auch annehmen.
Gott handle gegen seine eigene Natur, was nicht verkehrter sein könnte." sl
Die neuzeitliche Naturwissenschaft hat den Glauben an die Unab-
änderlichkeit des streng gesetzmäßigen Weltgeschehens verstärkt und
in. weite Kreise getragen. Das naive Beten ist dadurch in den intellek-
tuellen Schichten und in der großstädtischen Bevölkerung überhaupt
stark zurückgedrängt worden.
Paulsen sagt: „Es ist wohl nicht zweifelhaft, daß (der Glaube an die Wunder-
kraft des Gebets) im raschen Zurückweichen begriffen ist. Sichtbar ist dieser
Rückgang in der europäischen Völkerwelt seit dem Beginn der modernen natur-
wissenschaftlichen Forschung. In dem Maße, als die Meteorologie die Vorgänge
am Himmel, als Physiologie und Pathologie die Vorgänge im leiblichen Leben
aufgehellt haben, in eben dem Maße haben natürliche Schutz- und Heilmittel
die übernatürlichen zurückgedrängt. . . . Wir haben uns mehr und mehr ge-
wöhnt vorauszusetzen, daß der natürliche Kausalzusammenhang ohne Aus-
nahmen und Lücken ist." 62 Mit Paulsens Äußerung stimmt das Urteil eines
bekannten Predigers der Gegenwart überein: „Unter dem Eindruck, daß es nicht
möglich sei, die Gesetzmäßigkeit der Natur aufzuheben und das natürliche Ge-
schehen durch Gebetswunder zu unterbrechen, hat die Energie des Gebets ge-
litten. Wir sind lässiger, hoffnungsloser im Gebet geworden." (Geyer). 63 Ähnlich
schreibt F. Menögoz, der das religionsphilosophische Problem des Gebets in
neue Beleuchtung gerückt hat: „Unter dem Druck der intellektualistisch-anti-
supranaturalistischen Metaphysik ... ist der Gebetsdrang in den Herzen mehr
oder weniger unterdrückt worden. Unter mancherlei Ursachen, die ein Sinken
des religiösen Lebens und Interesses herbeigeführt haben, ist bis zur Stunde der
Zweifel an der Berechtigung des Gebetstriebes und an die Legitimität des Ge-
dankens der Gebet serhörung eine der wirksamsten und verhängnisvollsten ge-
blieben." 63,)
Alles urwüchsige, naive Beten — das des primitiven Menschen wie
das der größten Heiligen — ist ein trauter Umgang mit Gott, ein per-
sönliches Verhältnis zu ihm, in dem sich stets ein irdisches Gesellschafts-
verhältnis widerspiegelt, das Untertanen-, Verwandtschafts-, Freundes-
oder Brautverhältnis. Der dem Weltgeschehen immanente Gott des
Pantheismus aber schließt ebenso ein solches Gebetsverhältnis aus wie
der dem Weltgeschehen ferne stehende und an ihm uninteressierte Gott
des Deismus. Zu dem ttqojtov xivovv dxivnzov (, ersten unbewegten
Beweger') des Aristoteles kann der Mensch ebenso wenig in ein
Gebetsverhältnis treten wie zur anima mundi oder zum inexorabile
fatum der Stoiker, zum deus sive natura sive substantia sive Universum
des Spinoza ebensowenig wie zum grand etre Auguste Comtes. Paulsen
schreibt: „Ein persönliches Verhältnis ist zunächst ein Verhältnis, wie
es von Mensch zu Mensch besteht, ein Verhältnis, bei dem ein gegen-
seitiger Austausch von Gedanken, Gefühlen und Leistungen stattfindet.
II. Das metaphysische Gebetsideal 213
Daß eben dasselbe Verhältnis zwischen einem Menschen und Gott
stattfinden könne, wird doch auch der verwegenste Anthropomorphis-
mus bedenklich finden zu behaupten; oder hat jemand den Mut zu
sagen, es bestehe hier ebenso dasselbe Verhältnis wie zwischen Eltern
und Kindern, zwischen Freunden und Nachbarn?"64 Die größten
Geister im Reiche der Frömmigkeit hatten diesen Mut ; sie sagten nicht
bloß, daß ein persönliches Verhältnis zwischen Mensch und Gott bestehe,
sie 1 e b t e n in einem solchen Verhältnis ; sie standen in unmittelbarem
Verkehr, in innigster Lebensgemeinschaft, in stetem Austausch mit
ihrem Gott; Gott war für sie wirklich Vater oder Herr, Freund oder
Bräutigam.
2. Das rationale philosophische Denken zerstört die wesentlichen
Voraussetzungen des naiven Betens: den Glauben an den anthro-
pomorphen Charakter Gottes, an seine reale Präsenz, an seine Ver-
änderlichkeit, den Realismus des Verkehrs mit Gott und des persönlich-
sozialen Verhältnisses zu ihm. Die Konsequenz wäre eigentlich eine
radikale Ablehnung des Gebets; diese wird jedoch nur selten, meist
nur vom ausgesprochenen Materialismus und Naturalismus vollzogen.
Denn gleich als hätten die philosophischen Denker eine instinktive
Ahnung gehabt von dem Reichtum seelischen Lebens, der im Gebet
der großen Genien sich enthüllt, und von den wunderbaren Wirkungen,
die der Fromme im gläubigen Gebet erfährt, schreckten sie meist vor
einer radikalen Verwerfung des Gebets zurück und suchten das Gebet
ihrem philosophischen System anzupassen. Selbst Auguste Comte,
der doch jeden Glauben an ein Übersinnliches verwirft, empfiehlt in
seinem positivistischen Katechismus' das tägliche Gebet. 65 Die Formen
der Umgestaltung und Umdeutung des Gebets sind verschiedene.
a) Die Achtung vor der Tradition bedingt bisweilen ein äußeres
Festhalten an dem rituellen Gebet und Opfer. Konfutse nahm
an den Riten teil, die der Anbetung des Himmels, der Erde, der Götter,
Geister und Ahnen dienten. Er wollte nicht, daß man sie übertreibe,
noch daß man ihnen etwas hinzufüge, aber er bestand auf ihrem kor-
rekten Vollzug. 66 Seneca und Epiktet hielten pietätvoll an den ererbten
Riten fest. 67 Seneca will, daß man die religiösen Gebräuche beobachte
„tamquam legibus iussa, non tamquam dis grata" („als durch die Gesetze
geboten, nicht als den Göttern erwünscht"). 68 Epiktet fordert ein
„Spenden und Opfern und Darbringen der Erstlinge nach altväter-
lichem Brauch". 69
b) Nicht selten treffen wir ein inkonsequentes Hin- und
Herschwanken zwischen einer Ablehnung des Gebets überhaupt und
der Wertschätzung einer geläuterten Form des Gebets. Typische Bei-
spiele für die Unschlüssigkeit und Unsicherheit der Philosophen in der
Beurteilung des Gebets wie der Religion überhaupt sind Seneca 70 und
Voltaire 71, bei denen sich die widersprechendsten Gedankengänge
kreuzen. Auch die Abhandlung des Maximus Tyrius wie die Ausführungen
des Clemens von Alexandrien über das Gebet zeigen eine schwankende
Haltung. Selbst Spinoza, der scharfsinnige, folgestrenge Denker, hält
an der durch seine Metaphysik geforderten Ablehnung des Gebets nicht
214 E. Gebetskritik und Gebett-ideal des philosophischen Denkens
unbedingt fest, sondern erklärt: „Ich bestreite nicht, daß Gebete uns
sehr nützlich sein mögen; denn mein Verstand ist zu schwach um alle
Mittel bestimmen zu können, die Gott zu Gebote stehen, um die Menschen
zur Liebe zu ihm, d. h. zum Heile zu führen." 72 Bei Diderot wird das
Gebet geradezu zur Aussprache seiner absoluten religiösen Skepsis. Er
schließt seine Jnterpretations de la nature' mit folgendem , Gebet':
,,Ich habe mit der Natur begonnen, die man dein Werk genannt hat und ich
will enden bei dir, dessen Name auf Erden Gott ist. O Gott, ichweißnicht ,
ob du bist, aber ich will denken, als blicktest du in meine Seele, ich will handeln,
als stünde ich vor dir. Wenn ich bisweilen gegen meine Vernunft oder dein Gesetz
gefehlt habe, so will ich nicht weniger zufrieden sein mit meinem vergangenen
Leben; aber ich will auch nicht weniger ruhig über mein künftiges Schicksal
sein, weil du meinen Fehler vergessen hast; denn der Lauf der Dinge ist in sich
selber notwendig, wenn du nicht bist, oder durch deine Ordnung, wenn du bist.
Ich hoffe auf deine Vergeltung in der anderen Welt, wenn es eine solche gibt,
obgleich ich alles, was ich in dieser tue, für mich tue. Wenn ich das Gute befolge,
so geschieht es ohne Streben; wenn ich das Böse lasse, so tue ich es ohne an dich
zu denken. Ich könnte mich nicht davon abhalten, Wahrheit und Tugend zu
lieben und Lüge und Laster zu hassen, selbst wenn ich wüßte, daß du nicht bist,
oder wenn ich glaubte, daß du bist, aber dich nicht darüber ereiferst. Sieh mich
an, wie ich bin, ein notwendig organisierter Teil einer ewigen und notwendigen
Materie oder vielmehr deine Kreatur. Aber wenn ich wohltätig und gut bin,
was liegt meinen Nebenmenschen daran, ob ich das bin durch eine glückliche
Organisation oder durch die freien Akte meines Willens oder durch die Hilfe
deiner Gnade?" 7S
Mit einer Frage endet das Gebet dieses Aufklärers, es ist selbst nichts
anderes als der trostlose Ausdruck eines ruhelosen, immer fragenden
und nie bejahenden Geistes.
c) Das Gebet wird häufig umgedeutet in die bloße Erinnerung
an Gott oder in das Symbol einer frommen Gesmnung, einer demütigen
und dankbaren Stimmung, eines vertrauenden und liebenden Herzens.
Das dem Philosophen anstößige Moment des Gebets, der Gedanke
einer Einwirkung auf Gott, wird so beseitigt, der objektive metaphysische
Charakter des Gebets wird verwischt und dem Gebet ausschließlich
subjektive, psychologische Bedeutung zuerkannt. Ein
pythagoreischer Philosoph, Diotegenes, nennt das Tischgebet eine schöne
Sitte; es diene dazu, durch die Erinnerung an Gott sich in eine gehobene
Stimmung zu versetzen. 74 Maximus Tyrius sagt, das Gebet des Philo-
sophen sei nicht eine anr\oiq xdv oö naQÖvzcov, („Bitte um das
nicht Gegenwärtige"), sondern eine didkexrog nQÖg rovg Üeovi; tzeqI
r.&v TcaQÖvtcov („Unterredung mit den Göttern über das Gegen-
wärtige"). 75 Auguste Comte schreibt: „Wir beten zum wahr-
haftigen höchsten Wesen nur, um ihm unsere aufrichtige Dankbarkeit
zu bezeugen für seine gegenwärtigen und früheren Wohltaten, die uns
seine künftigen Fortschritte ankündigen." 76 Guyau, der Verkünder
eines positivistisch-soziologischen Religionsideals, versucht eine Um-
deutung des christlichen Fürbittegebets. „Soll das Gebet eine Erhörung
in sich selbst finden, so darf es nicht eine an ein außenstehendes Wesen
gerichtete Bitte, sondern muß ein seelischer Liebesakt sein, eine Tat
der christlichen Nächstenliebe. . . . Dieser Liebeszug des Gebets hat
eme Schönheit, die nicht mit den abergläubischen Vorstellungen, die
II. Das metaphysische Gebetsideal 215
sich vom Gebet allmählich lösen werden, untergehen wird." 77 Ein
moderner Psychologe (Dürr) schreibt: „Das Gebet ist für den Frommen
des neuen Glaubens nur noch der Ausdruck des Vertrauens auf die
unabänderlich festgelegte Richtung des Welt- und Lebenslaufes,"
„eine Erhebung über den gewöhnlichen Ichstandpunkt durch Unter-
werfung unter die für gut gehaltene Weltordnung." 78
d) Das Gebet wird meist in die Betrachtung aufgelöst. Die
dem naiven Beten wesentliche Gebetshinwendung zu Gott bildet nur
die äußere Einkleidung oder fällt ganz weg, aus dem Gebetszwiegespräch
wird ein Selbstgespräch, aus dem lebendigen Umgang und Austausch
mit Gott ein bloßes Denken an Gott und über Gott, aus einem Rufen
zu Gott die Meditation über die Rätsel des Daseins, über die idealen
Werte und sittlichen Ziele des Lebens. Das Idealgebet des christlichen
Gnostikers, das Clemens von Alexandrien seinen Stromateis einfügt,
ist rein kontemplativ, es enthält keine Bitte, sondern nur die Betrachtung
von Gottes Weltordnung und die Aussprache der sittlichen Entschlossen-
heit.
„Ich will mich freimachen von der Begierde, um mich mit dir zu vereinigen,
o Herr. Trefflich fürwahr ist die geschaffene Ordnung, alles wird recht gelenkt,
nichts geschieht ohne Ursache. In deiner Welt muß ich sein, und wenn ich dort
bin, bin ich bei dir. Ich will frei von Verlangen sein, damit ich dir nahe kommen
kann, und will mich mit wenigem begnügen, strebend nach deiner gerechten
Auserwählung, welche die Guten von den anderen scheidet." '*
Auch Diderots Gebet enthält keine Bitte, sondern nur eine Medi-
tation über die großen Lebensprobleme (s. o.). Während hier überall
die Gebetsanrede an Gott beibehalten ist, richtet sich das Gebet des
englischen Aufklärungsphilosophen Toland nicht an eine lebendige
übernatürliche Macht, sondern an einen abstrakten Begriff.
„O Philosophie, du Lebensführerin ! Du erforschest die Tugend und treibst
das Laster aus. Was hätten wir, ja was hätte überhaupt das Leben ohne dich
sein können ? Du hast die Städte gebaut und die zerstreuten Menschen zum
geselligen Leben zusammengerufen; du hast sie miteinander verbunden, erst
durch die Wohnsitze, sodann durch die Ehen, darauf durch den Verkehr der
Sjhrift und Rede. Du hast die Gesetze erfunden, du warst die Lehrmeisterin
der Sitten und der Zucht. Zu dir nehmen wir unsere Zuflucht, von dir heischen
wir Hilfe, dir ergeben wir uns ganz und gar. Ein Tag, gut und nach deinen Vor-
schriften verbracht, ist einer sündenvollen Unsterblichkeit vorzuziehen. Wessen
Beistand möchten wir daher lieber anwenden als den deinigen ? Du hast uns
die wahre Lebensruhe gespendet und den Todesschrecken beseitigt." 80
Die dialogische Form dieses Gebets kann über seinen monologischen
Charakter nicht hinwegtäuschen. Kant bemerkt in der oben angeführten
Äußerung, daß das Gebet eigentlich ein Selbstgespräch sei.
Derselbe Gedanke wird auch von den neuesten Religionsphilosophen
verfochten .
Dorner schreibt: ,.Spbald man sich darüber klar wird, daß man als endlicher
Mensch den göttlichen Willen weder beeinflussen noch kennen kann, so schmilzt
das Bittgebet dahin zusammen, daß man nur bedingt bittet: ,wenn es dein Wille
ist' oder daß man unbedingt nur um solches bittet, von dem man weiß, daß es
schon gewährt ist. In beiden Fällen schwindet das Interesse am
Gebet. Ein solch bedingtes Bitten ist die Anerkennung der Vorsehung und
geht in d ie Kontemplation über. Daß man die Wünsche, die man
hat, mit dem Gottesbewußtsein in Verbindung bringt, ist durchaus gerechtfertigt.
216 E. Gebetskritik und Gebetsideal des philosophischen Denkens
Aber gerade das muß dazu führen, sie unter dem Aspekt der Ewigkeit und im
Zusammenhang der Weltordnung zu beurteilen und führt weniger zu direkten
Bitten als zu einer Betrachtung, die die Wünsche auf das gerechte Maß
zurückführt, und zu dem Bewußtsein, daß, was wir ernstlich zu wünschen das
Recht haben, wir auch mit allen Kräften selbst erreichen müssen in dem Ver-
trauen, daß Gott am Ende doch der guten Sache zum Siege verhelfe." Ähnlich
erblickt er das wahre Dankgebet in einer „mit Kontemplation verbundenen
dankbaren Stimmung." 81 Auch Guyau preist in seiner ,Irreligion der Zukunft'
die Betrachtung als das wahre Gebet. „Für die wirklicher Erhebung fähigen
Geister werden jene Stunden der Bildung und inneren Belebung ihres Ideals
fruchtbar bleiben, jene Stunden der Sammlung und Betrachtung
alles dessen, was das Wissen umfaßt oder umfassen möchte, aller Hoffnungen,
aller Entwürfe der Idee, die durch sie zum Leben drängt und vielleicht ihr Herz-
blut kosten wird. DiehöchsteFormdesGebetsistdasDenken."8*
Mit noch entschiedeneren Worten verkündet Eduard v. Hartmann als Gebets-
ideal den Monolog, die Versenkung in das eigene Ich, da nur ein solches Beten
mit dem monistischen Immanenzgedanken vereinbar ist. „Die dialogische Form
(des Gebets) steht und fällt mit der Zweiheit der Personen im religiösen Ver-
hältnis; sobald das allein wahre Heilsprinzip als Gnadenprinzip, als Gnaden-
immanenz oder reale Einheit mit dem wahrhaft absoluten, dafür auch unper-
sönlichen Gott erkannt ist, wird die dialogische Verarbeitung (des Heilprozesses)
zur monologischen, d. h. das Gebet zur Einkehr in sich selbst und zur
Beratung mit sich selbst .... Mit der Erhebung auf die Stufe des konkreten
Monismus verschwindet mit dem bewußten Besitz der realen Einheit jedes Be-
dürfnis nach einer dieselbe ersetzenden Wechselbeziehung in dialogischer Form.
Wie die Wahrheit des Opfers in der Selbstopferung oder Selbstverleugnung des
Eigenwillens, so liegt die Wahrheit des Gebets in der Versenkung des reli-
giösen Bewußtseins insichselbst, wo man Gott weder als Du noch als Ich,
sondern als absolut geistigen Grund, immanenten Zweck und heiligende Kraft
des eigenen persönlichen Geisteslebens besitzt." 83
e) Während so die monologische Betrachtung als Gebetsideal ver-
kündet wird, wird das eigentliche Gebet, die Gebetsrede und Gebets-
hinwendung zu Gott, als pädagogisches Hilfsmittel ge-
wertet, das zwar entbehrlich, aber doch nützlich ist für die Pflege der
»Religion des Geistes'. Kant bemerkt: „Es ist nötig, selbst bei der
frühesten, von Kindern, die des Buchstabens noch bedürfen, angestellten
Gebetsübung sorgfältig einzuschärfen, daß die Rede (selbst innerlich
ausgesprochen, ja sogar die Versuche, das Gemüt zur Fassung der Idee
von Gott, die sich einer Anschauung nähern soll, zu stimmen) hier nicht
an sich etwas gelte, sondern es nur um die Belebung der Gesinnung zu
einem Gott wohlgefälligen Lebenswandel zu tun sei, wozu jede Rede
nur ein Mittel für die Einbildungskraft ist." 84 „In den öffentlichen
Vorträgen an das Volk kann und muß das Gebet beibehalten werden,
weil es wirklich rhetorisch von großer Wirkung sein und einen großen
Eindruck machen kann." 85 Dorner hält die Gebetsanrede an Gott für
„die phantasiemäßige Form der Darstellung des Inhalts." 86 Eduard
v. Hartmann erblickt in der „Fiktion eines persönlichen Adressaten",
an welchen die Gebetsanrufung sich richtet, „einen Notbehelf
auf theistischer Basis", der „dem Beter für die mangelnde reale Einheit
Ersatz leisten soll." 87
f) Die theistisch gerichtete oder theologisch interessierte Philosophie
befaßt sich nicht mit einer schalen Umdeutung und Entleerung des
Gebets, sondern versucht eine rationale Rechtfertigung der meta-
physischen Voraussetzungen des Gebets und des Glaubens an die Gebets-
II. Das metaphysische Gebetsideal 217
erhörung. Seneca sprach einmal den Gedanken aus: Die Götter haben
etliches in suspenso gelassen, so daß es nur auf die Gebete der Menschen
hin eintritt. 88 Der erste, der eine tiefere Apologie des Gebets ver-
suchte, ist Origenes. Er formuliert in aller Schärfe das Problem : ,,Wenn
alles nach Gottes Willen geschieht und seine Ratschlüsse feststehen und
nichts von dem, was er will, umgestoßen werden kann, dann ist das
Gebet töricht." Seine Lösung will einerseits die Un Veränderlichkeit
Gottes unangetastet lassen, andererseits den dem naiven Beten zugrunde-
liegenden Glauben an eine reale Einwirkung auf Gott festhalten. Gott
sieht von Ewigkeit voraus, was der einzelne Mensch frei wählen wird,
und faßt dann im Hinblick auf den freien Willensentschluß und die
freigewollten Handlungen des Menschen — insbesondere mit Rücksicht
auf dessen Gebet — seine nunmehr unabänderlichen Ratschlüsse. Gott
denkt: ,Diesen, der inständig beten wird, will ich um des Gebetes willen,
das er beten wird, erhören; jenen aber werde ich nicht erhören, weil er
nicht würdig sein wird, erhört zu werden." 89 Dieser spekulative Ver-
such, die metaphysische Möglichkeit der Gebetserhörung zu erweisen,
kehrt in ähnlicher Form in der christlichen Theologie immer wieder.
In einer hübschen Fassung findet er sich bei Meister Eckhart:
,,In seinem ersten ewigen Anblicke sah Gott alle Dinge an, wie sie geschehen
sollten .... Er sah auch das mindeste Gebet und gute Werk, das jemand
sollte tun, und sah an, welches Gebet und welche Andacht er hören sollte; er
sah, daß du ihn morgen willst mit Fleiß anrufen und mit Ernst bitten; und das
Anrufen und Gebet wird Gott nicht morgen erhören; denn er hat es gehört in
seiner Ewigkeit, ehe du Mensch wurdest. Ist aber dein Gebet nicht redlich und
ohne Ernst, so wird es dir Gott nicht jetzt versagen, denn er hat es dir in seiner
Ewigkeit versagt. Also hat Gott in seinem ersten ewigen Anblicke alle Dinge
angesehen und wirket nichts auf Veranlassung (von warurribe); denn es ist alles
ein vorge wirket Ding." 90
Alle derartigen Hypothesen sind nur nachträgliche Versuche, einen
Ausgleich zu schaffen zwischen den Forderungen des rationalen Denkens
und den wesentlichen Voraussetzungen des echten Gebets. Dem naiven
Frommen — dem primitiven Menschen ebenso wie dem religiösen
Genius — ist diese „die Urtatsache des religiösen Lebens nivellierende
intellektualistisch-mystische Dialektik" (Menegoz) 91 unverständlich und
entbehrlich. Seine Gewißheit, mit Gott in unmittelbarem Verkehr zu
stehen, kann durch keine philosophische Kritik zerstört werden, sie
bedarf auch keiner philosophischen Stütze und Rechtfertigung. Selbst
die großen Theologen, welche als Denker mit dem philosophischen
Gebetsproblem rangen und nur zu oft (man denke an Schleiermacher)
vor der intellektualistisch-antisupranaturalen Metaphysik kapitulier-
ten 92, als Beter waren sie darüber erhaben, sie fragten nicht und
grübelten nicht, sondern erhoben sich, zu Gott und schütteten vor ihm
ihre Not und ihr Glück aus.
Das rationale philosophische Denken bedeutet die Zersetzung und
Auflösung des Gebets. Das Gebet, der spontane und unmittelbare Aus-
druck des religiösen Erlebens, wird einer Fremdgesetzlichkeit unter-
worfen, wird unter die Normen der philosophischen Ethik, Erkenntnis-
theorie und Metaphysik gezwängt. Wo diese Normen wirksam sind.
218 E. Gebeiskritik und Gebeisideal des j hiiosophischen Denkens
hört das Gebet auf, ein .Ausschütten des Herzens', eine unmittelbare
Äußerung der religiösen Gefühle, Stimmungen und Affekte zu sein.
Der Beter darf nicht aus tiefstem Herzen zu Gott reden, er darf ihm
nicht seinen Jammer und seine Not enthüllen, sein innerstes Sehnen
und Verlangen, sein Hoffen und Vertrauen muß stumm bleiben; die
zur Gebetsaussprache drängenden Affekte und Wünsche müssen unter-
drückt werden. Nur die Bitte um das ,Gute', die völlige Resignation,
die betrachtende Anbetung dürfen den Inhalt des Betens bilden. Das
positive Gebetsideal, das die philosophische Kritik dem lebendigen
Beten gegenüberstellt, erscheint dem religiösen Menschen ebenso wie
dem Religionspsychologen als ein kahles Abstraktionsprodukt, als ein
kümmerliches Surrogat. Selbst die reinste Form und schönste Blüte
philosophischen Betens, Epiktets Ergebungsgebet und Hymnus, ist
trotz des Anklanges an das Gebet der Mystiker nur der Schatten des
wahren Gebets. Das Gebet des Philosophen ist kein realer, dramatischer
Verkehr, kein Umgang mit Gott, kein persönliches Verhältnis, keine
lebendige Gemeinschaft mit ihm.
Die abstrakte, ethisch-rationale Gebetsnorm ist nur eine Etappe im
Auflösungsprozeß des Gebets. Das Gebet, das Herz und die Seele der
Frömmigkeit, sinkt zu einem bloßen Hilfsmittel im Dienste der Sittlich-
keit und Vernunft herab; aus dem Zentrum der Religion wird es in
die Peripherie verdrängt. Es wird zu einem Erziehungsmittel degradiert,
das der mündig und reif gewordene Mensch nicht mehr bedarf, es ist
nur mehr eine Krücke, die der sittlich Starke von sich schleudert. „Der-
jenige, welcher schon Fortschritt im Guten gemacht hat, hört auf zu
beten, denn Redlichkeit gehört zu seinen ersten Maximen." 93 Kants
ehrliches Wort zeigt in aller Schärfe die zersetzende Tendenz der philo-
sophischen Gebetskritik und Gebetsnorm.
Das Gebet ist, wie wir in der Einleitung sahen, die ,, wesentliche und
charakteristische Äußerung des religiösen Bewußtseins". Die Eigenart
der philosophischen Reformreligion offenbart sich nirgends so klar und
unzweideutig wie in der Stellung zum Gebet; hier zeigt sich, daß sie
in der Tat keine Religion ist. Auguste Sabatier sagt treffend: „Die
natürliche Religion ist keine echte Religion. Sie beraubt den Menschen
des Gebets ; sie hält Gott und Mensch ferne voneinander. Es gibt keinen
Herzensverkehr, kein innereres Zwiegespräch, keinen Austausch zwischen
beiden, kein Handeln Gottes im Menschen, keine Rückkehr des Menschen
zu Gott. Im Grunde genommen ist diese Religion nur Philosophie. Sie
ist nie etwas anderes gewesen als eine Abstraktion. Die drei Dogmen,
in denen sie sich zusammenfaßt, das Dasein Gottes, die Unsterblichkeit
und die Verbindlichkeit der Pflicht, sind nur ein unorganischer Rest,
das caput mortuum, der Niederschlag auf dem Boden des Schmelztiegels,
in welchem alle positiven Religionen aufgelöst wurden. Eine künstliche
und an sich tote Schöpfung, zeigt sie von den eigentümlichen Zügen
der Religion fast keine Spur." 94
Das philosophische Gebetsideal ist nur in den engen Kreisen einer
philosophischen Schule, aber niemals in weiten Volkskreisen zur Gebets-
praxis geworden. Es besaß keine Lebenskraft; es konnte nur auf-
II. Das metaphysische Gebeteideal 219
lösend und zerstörend wirken. 95 Aber so wenig das Riten- und Zauber-
wesen das naive Beten ersticken konnte, ebenso wenig konnte es die
philosophische Kritik ertöten. Das Leben in seinem irrationalen Trotz
zeigte sich stärker als das Denken in seiner scharfen Konsequenz. Es
besteht eine innere Nötigung des Menschen zum Beten; „Mensch heißt
nichts anderes als beten" (A. Kalthoff).96 Die Nöte des Lebens sind zu
schwer, der Wille zum Leben ist zu stark, die befreiende und tröstende
Kraft der Gebetsaussprache zu wunderbar, als daß die Menschen mit
dem kahlen philosophischen Gebetsideal sich hätten begnügen können.
Das naive Beten ist unzerstörbar; mit seiner Leidenschaft und Kraft
lebt es in der Volksfrömmigkeit aller Länder und Zeiten ; noch wunder-
barer und gewaltiger lebt es in der Frömmigkeit der großen religiösen
Persönlichkeiten. Die Darstellung ihres Gebetslebens beleuchtet erst
das philosophische Gebetsideal in seiner ganzen Unlebendigkeit, Kälte
und Schattenhaftigkeit.
F. Das Gebet in der individuellen Frömmigkeit
der großen religiösen Persönlichkeiten.
I. Eigenart des Gebets der religiösen Genien.
Das philosophische Denken zersetzt das naive Beten, indem es dieses
einer außerreligiösen Norm unterwirft. Die philosophische Gebets-
kritik und das philosophische Gebetsideal rauben dem Gebet seine
elementare Kraft. In dem schöpferischen Frömmigkeitsleben der
großen religiösen Persönlichkeiten erwacht das naive Beten, das die
Philosophie kritisiert und idealisiert, in seinem urwüchsigen Realismus,
seiner unmittelbaren Kraft und dramatischen Lebendigkeit. Am
deutlichsten treten die Züge des primitiven Gebets in dem prophetischen
Frömmigkeitstyp hervor. Aber auch im Beten der Mystiker ist die
Eigenart des echten Gebets unverkennbar; nur in bestimmten Formen
und Zuständen der Mystik vollzieht sich eine Wandlung und Auflösung
des Gebets, die freilich von ganz anderen Motiven bedingt ist als in
der philosophischen Gebetskritik. Die Verschiedenheiten des my-
stischen und prophetischen Gebets erfordern eine gesonderte Dar-
stellung. Wir müssen jedoch der Analyse dieser beiden Gebetstypen eine
zusammenfassende Charakteristik der gemeinsamen Elemente vor-
ausschicken. Die Ähnlichkeit wie die Verschiedenheit des individu-
ellen Gebets vom primitiven, rituellen und philosophischen Gebet
tritt dadurch in um so schärferes Licht.
Auf den Höhepunkten des persönlichen Frömmigkeitslebens ist das
Gebet eine spontane und freie Äußerung tief aufwühlender Erlebnisse.
Es steht jenseits aller philosophischen und religiösen Normen, ist nicht
belastet durch intellektuelle Probleme, nicht beengt durch die Gebunden-
heit an traditionelle Gebetsregeln und -formein. Sein tiefstes Motiv ist
das brennende Heilsverlangen, das in der wonnevollen Vereinigung
mit Gott oder in dem zuversichtlichen Vertrauen auf Gott zur Ruhe
kommt — im tiefsten Grunde also dasselbe, nur unendlich vertiefte,
verfeinerte und geläuterte Sehnen und Verlangen nach Leben, Kraft
und Seligkeit, das alle Äußerungen der primitiven Religion erzeugt.
Das Gebet des religiösen Genius teilt mit dem primitiven Beten den
unbefangenen, durch rationales Denken ungetrübten Realismus, der
die philosophische Kritik herausfordert. Gott trägt in der Vorstellung
des Beters die klaren Züge der menschlichen Persönlichkeit: Denken,
Wollen, Fühlen, Selbstbewußtsein. Nur das mystisch-kontemplative
Gebet zeigt bald schwächer, bald stärker die Tendenz, die Gottes-
vorstellung zu entpersönlichen. Aller individuellen Gebetserfahrung
ist wesentlich der primitive Glaube an die reale und unmittelbare
Gebet und Opfer. 221
Präzens Gottes. Freilich wohnt Gott nicht wie in der Vorstellung des
primitiven Beters in einem sinnlich wahrnehmbaren Naturobjekte,
er weilt vielmehr unsichtbar als der innere Gast — dulcis hospes animae }
■ — in der innersten Seele des Betenden. Wie auf primitiver Stufe ist
das Gebet kein bloßes Selbstgespräch, sondern ein unmittelbarer Kon-
takt mit dem lebendigen, gegenwärtigen Gott, ein wirklicher Verkehr
mit ihm, der sich nie einseitig auf den Menschen beschränkt, sondern
als wechselseitiger Austausch und Rapport sich darstellt. Wie in
der primitiven Religion ist das im Gebet sich äußernde Verhältnis zu
Gott der Reflex einer sozialen Relation, des Untertanen-, Diener-,
Freundes-, Braut- oder Kindesverhältnisses. In dieser sozialen Be-
ziehung wurzelt die Unbefangenheit, Herzlichkeit und Vertraulich-
keit des Beters zu seinem Gott, die noch stärker hervortritt als im
Gebet des primitiven Menschen.
Die Wesenszüge des primitiven Gebets treten mit greifbarer An-
schaulichkeit im Beten der großen Heiligen und Propheten hervor.
Gleichwohl ist das persönliche Beten gegenüber dem primitiven Ge-
bet, dem antiken Hymnus und selbst gegenüber dem Gebet der klas-
sisch-hellenischen Frömmigkeit etwas völlig Neues.
I. Der erste fundamentale Unterschied liegt in der Emanzipation
des Gebets vom Opfer. Bei Naturvölkern und antiken Völkern wird
das Gebet fast stets von Opferdarbringungen begleitet. Noch in der
griechischen Religion geht dem Gebet stets das Opfer zur Seite; Plato
redet vom Gebet und Opfer als zwei unlöslich verbundenen Größen 2.
In der individuellen Frömmigkeit vollzieht sich die Loslösung vom
Opferkult: die Mystik Laotses, das Heilstreben Plotins, die Ver-
senkung des Buddhismus haben mit allem Opferwesen gebrochen. In
Israel war es die große Prophetentat des Mose, den persönlichen Ge-
betsverkehr mit Jahwe vom Opferritual unabhängig gemacht zu haben 3.
Zwar nimmt im israelitischen Kult der späteren Zeit das Opfer einen
breiten Raum ein; aber das Beten der großen Propheten wie der Psal-
misten war ein Umgang mit Gott ohne jede Verbindung mit dem Opfer 4.
Die Freiheit des christlichen Gebetslebens von allen Opferdarbringungen
ist das Erbe des israelitischen Prophetismus.
Das Gebet der persönlichen Frömmigkeit hat sich aber nicht nur
von der traditionellen Umstrickung des Opferrituals losgelöst und
verselbständigt, es hat vielmehr letzteres ganz verdrängt und seinen
Platz eingenommen. Die individuelle Gebetsfrömmigkeit schließt jede
materielle Opferdar bringung aus, weil sie selbst die reinste und voll-
kommenste Opfergabe darstellt. Sowohl in der hellenistischen Mystik
wie in der prophetischen Religion Israels stieg der hehre Gedanke
empor, daß das Gebet das wahre und allein Gottes würdige Opfer sei.
In der Poimandresliteratur heißt es: „Wir wollen Gott durch Danksagung
anbeten; denn das ist das beste Rauchopfer für Gott, wenn die Sterblichen ihm
danken."5 Der Neuplatoniker Porphyr sagt: „Wir müssen unsere Andacht
Gott als unser heiliges Opfer darbringen, sie, die unser Hymnus zugleich und
unser Heil; in der Leidenschaftslosigkeit der Seele und im Schauen Gottes be-
steht die Darbringuug dieses Opfers."* In Israel war es der Prophet Hosea,
der als erster das Gebet als das „Opfer der Lippen" bezeichnete (14,). Diese
222 K I. Das Gebet der religiösen Genien.
Identifizierung von Gebet und Opfer begegnet uns wiederholt bei den Psalm-
sängern. ,,Laß dir, Jahwe, das freiwillige Opfer meines Mundes gefallen" (119 108):
..Stelle mein Gebet als Rauehopfer vor dich, mein Handerheben (stehender se-
mitischer Ausdruck für, Beten',) als Speise des Abends", (141 2). ,, Opfere Gott
Dank, so wirst du dem Höchsten deine Gelübde bezahlen", (50 4). Der neute-
stamentliche Apokalyptiker urteilt gleich dem heidnischen Hermetiker: „Das
Rauchopfer, das sind die Gebete der Heiligen", (58; vgl. 8 s. 4). Der Verfasser
des Hebräerbriefes Fügt: ..Durch Christus wollen wir stets das Opfer des Lobes
darbringen, d. i. die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen" (Hebr.
131&). Justin schreibt: ..Auch ich sage (wie die Diasporajuden), daß die Ge-
bete und Danksagungen, welche von den Gerechten verrichtet werden, allein
die vollkommenen und Gott wohlgefälligen Opfer sind." ' Clemens von Ale-
xandrien sagt: ..Wir ehren Gott durch das Gebet und schicken dieses Opfer,
das beste und heiligste, in Gerechtigkeit empor." * Dieser Gedanke zieht sich
durch die ganze Frömmigkeitsliteratur des christlichen Morgen- und Abend-
landes. Nilus Sinaita erklärt in seinen Gebetsanweisungen für die Wüsten-
mönche: ..Bei uns wird als Opfer das Gebet betrachtet." ' Luther sagt: ..Das
Gebet und Seufzen ist ein gülden Opfer." 10 Paul Gerhardt singt:
..Du willst ein Opfer haben.
Hier bring' ich meine Gaben;
Mein Weihrauch und mein Widder
Sind mein Gebet und Lieder." 1J
Der große evangelische Dogmatiker Richard Rothe hat diesen alten Fröm-
migkeitsgedanken zum theologischen Axiom erhoben: ..Das Beten ist wesent-
lich Opfern. Es gibt auf der einen Seite kein anderes Gebet als ein Opfergebet
und auf der anderen kein anderes Opfer als ein Gebetsopfer." 12
2. In der primitiven Religion tritt der Mensch zur Gottheit nur zeit-
weise, bei konkreten Anliegen und bei regelmäßigen kultischen An-
lässen, in Gebetsverkehr; nur wenn die Not drückt oder der Wunsch
drängt und wenn die Sitte es gebietet, ruft er betend zu den höheren
Wesen. In der persönlichen Religion der großen Heiligen ist das Ge-
bet nicht mehr auf bestimmte Anlässe beschränkt, sondern begleitet
das ganze Denken und Handeln : das Gebet wird zum Gebets-
leben, zum dauernden, täglichen und stündlichen Verkehr mit
Gott. Ansätze zu dieser ständigen Gebetsgemeinschaft finden sich
freilich bereits in der primitiven und antiken Kultfrömmigkeit.
Wenn bei den südafrikanischen Baronga ein Epileptiker von seiner Krankheit
befreit worden ist, errichtet er den Krankheitsgeistern in seiner Hütte einen
Altar. Hier bringt er ihnen, so oft er sie betritt, ein Tabakopfer dar. Geht er
auf Reisen, so nimmt er von ihnen Abschied; kehrt er davon zurück, so begrüsst
er sie. Wo immer er sich aufhält, wirft er ihnen vor dem Essen ein wenig Nahrung
vor, vor dem Biertrinken schüttet er ein wenig Bier aus. So entsteht „ein täg-
licher Gottesdienst, konstanter und individueller als die Riten des Ahnenkultus,
eine wirkliche Gemeinschaft mit den Geistern", die, nachdem sie ihn gequält
hatten, seine Wohltäter geworden waren. Dieses Privatverhältnis eines Einzel-
nen zu den Geistern ist nach Missionar Junod ,,eine neue Religion", eine tiefere
Frömmigkeit bricht hier durch 13. Ein Ansatz zu steter Gebetsgemeinschaft
findet sich bei Naturvölkern und bei antiken Völkern auch in dem Verkehr des
Berufspriesters mit dem Gotte. dessen Dienst er sich geweiht hat. Er wohnt
beim Tempel, dem Wohnsitz seines Gottes, er bringt ihm regelmäßige Opfer
dar, er übermittelt ihm die Anliegen der Gläubigen, die hilfesuchend zur Stätte
des Gottes kommen, er enthüllt diesen den Willen und Ratschluß des Gottes.
Während der Mann aus dem Volke nur bisweilen zum Gotte kommt, steht er
mit ihm in stetem, täglichem Veikehr 1A. Innerlicher und lebendiger als dieser
rituelle Verkehr eines professionellen Priesters mit seinem Gotte ist das Gebets-
verhältnis, in dem die frommen Kultgenossen der ägyptischen Mysterien zu
ihrer Gottheit standen. Sie huldigten ihr nicht nur bei dieser oder jener Gelegen-
Das Gebetsleben 223
heit, sondern zweimal an jedem Tage längere Zeit. Ihre Gebetsfrömmigkeit
durchdrang ihr ganzes Leben und beherrschte all ihre Interressen. sie , «lebten
sozusagen immer vor dem Angesicht der Götter." 15 Der dauernde Gebets-
umgang mit Gott kündigt sich auch in den großen sumerischen Tempelfesten
an. „Während des Tages fanden Gebete statt, während der Nacht leuchteten
Gebete" M — diese dem Gudea-Zylinder eingeschriebenen Worte bezeugen, daß
die , ewige Anbetung', wie sie in katholischen Kirchen gefeiert wird, schon in
den sumerischen Tempeln stattfand.
Dieser kultische Verkehr mit der Gottheit ist aber nur ein kümmer-
licher Ansatz zu der lebendigen Gebetsgemeinschaft der großen reli-
giösen Genien mit ihrem Gott. Muhammed durchwachte in seiner
ersten Periode, der Zeit seines prophetischen Enthusiasmus, mit seinen
Anhängern viele Nächte im Gebet17; Jesus brachte ganze Nächte im
Gebet zu (Lk. 6 12); Franz von Assisi ist hierin seinem Meister gefolgt 18;
Katharina von Siena betete die Nacht hindurch, bis die Klosterglocke
zur Mette rief19; Luther betete täglich mindestens drei20, Ignatius
von Loyola täglich sieben Stunden 21 ; die heilige Teresa erzählt, sie
sei bisweilen ,,gar nicht mehr aus dem Gebet herausgekommen" 22;
der Karmeliterbruder Laurent de la Resurrection sagt, „die Anbetung
sei ihm gleichsam zur Natur geworden" 23; vom heiligen Franz be-
richtet sein Biograph Thomas a Celano, er habe „nicht so sehr gebetet,
sondern sei vielmehr ganz zum Gebet geworden" (totus non tarn orans
quam oratio facta). 24 Die Forderung, die der Völkerapostel an seine
jungen Christengemeinden richtete: „Betet ohne Unterlaß — das ist
der Wille Gottes in Jesus an euch!" „Betet zu jeder Zeit!" „haftet
am Gebet!" 25 — diese Forderung ist von den großen Geistern im Reiche
der christlichen Frömmigkeit immer wieder erhoben worden. Bernhard
von Clairvaux mahnt: „Meine liebe Schwester, bete unter Tränen
ohne Unterlaß. Bete beständig, flehe bei Tag und Nacht zu Gott.
Die Waffe des Gebets lege nie aus der Hand, das Gebet weiche nicht
von deiner Zunge. Bringe die Nacht in Gebet und Flehen zu; nach-
dem du ein wenig die Augen geschlossen hast, bete von neuem." 26
Tersteegen sagt: „Dein stetes Geschäft vom Morgen bis zum Abend
sei Beten." „Euer Beruf ist Tag und Nacht mit Gott umzugehen in
euren Herzen durch die Übung des wahren Gebetes." 27
So stehen die religiösen Genien in fortwährendem Gebetskontakt
mit Gott. Die spontanen Gebetsausbrüche in Augenblicken höchster
innerer Erregung ragen aus ihrem Gebetsleben nur als Gipfelpunkte
hervor. Dieser stete Gebetsverkehr mit Gott hat zur Folge, daß die
Gebetseinstellung, das Bewußtsein, in der Gegenwart Gottes zu weilen,
vor seinem Angesicht zu stehen, sich über ihr ganzes Denken und Tun
ausbreitet. Gottes Nähe ist ihnen ständig so gewiß und selbstverständ-
lich, daß sie, wenn sie ihre Vergangenheit überschauen oder über ihren
inneren Zustand nachsinnen, gar nicht anders können als ihn anreden,
mit ihm sprechen. In diesem dauernden Erlebnis der unmittelbaren
Präsenz Gottes gründet der Gebetscharakter der großen religiösen
Autobiographien (s. o. S. 30). Aber auch dann, wenn sie nicht aus-
drücklich beten, befinden sich die großen Frommen in Gebetshaltung.
Das ganze Leben ist für sie ,,ein einziges zusammenhängendes großes
224 F I. Das Gebet der religiösen Genien.
Gebet" (/nia awamofiivr} fieydXrj evti)), wie ein schönes Wort des Ori-
genes lautet 28.
Augustinus sagt: „Es gibt ein inneres Gebet ohne Unterlaß. Was du
auch sonst tun magst, wenn du dich sehnst nach jenem Sabbat, hörst du nicht
auf zu beten." „Die Sehnsucht betet immerdar, wenn auch die Zunge schweigt." *•
Albertus Magnus urteilt: „Das ist das Ziel aller Vollkommenheit, daß der Geist
solange täglich von allem fleischlichen Trachten befreit und ins Geistige erhoben
werde, bis alles Reden und alles Wollen des Herzens zu einem einzigen, bestän-
digen Gebet wird." 30 Luther meint: „Wo ein Christ ist, da ist eigentlich der
Heilige Geist, der da nichts tut denn immerdar betet. Denn ob er gleich nicht
immer den Mund reget oder Worte machet, dennoch gehet und schlägt das Herz
ohne Unterlaß mit solchem Seufzen . . ., daß man keinen Christen kann finden
ohne Gebet, so wenig als einen lebendigen Menschen ohne Puls, welcher stehet
nimmer still, reget und schlägt immerdar für sich, obgleich der Mensch schläft
oder anderes tuet, daß er sein nicht gewahr wird." 31 Sebastian Frank sagt:
„Die Eingekehrten, geistlich Gesinnten, die in Gott leben und weben, beten
oft, wenn sie den Mund nicht auftun und selbst nicht wissen, was sie beten. Denn
weil das Gebet eine Erhebung des Gemütes in Gott ist, und weil doch dieser
Leute Gemüt in Gott zuckt, lebt und webt, muß notwendig all ihr Leben nichts
als ein Gebet, Anbeten, Handaufheben gegen Gott sein."3* Das mystische
Ideal des ununterbrochenen stillen Herzensgebet wird von Gerhard Teerstegen
in schlichten, aber innigen Versen besungen.
„Hier ist die stille Ewigkeit,
Ein immerwährend sel'ges Heut,
Dies nun kann alles geben.
Die Zeit vergeht mir süss und sacht,
Jch möchte beten Tag und Nacht,
Bei Gott im Geiste leben.
Jch bet' daheim und auf der Straß,
Beim Werk und sonst ohn' Unterlaß,
Im Geist und in der Wahrheit:
Ich bin gesammelt, eh' ich's denk',
Anbete, lieb und mich versenk'
In Gottes dunkle Klarheit." 33
3. Noch tiefer greifend ist der folgende Unterschied zwischen dem
Gebet der primitiven Religion und dem der hohen Frömmigkeit. Der
naive Mensch betrachtet sein Beten als Eigenleistung; sein Gebet ist
wie seine Religon ein Pakt zwischen Mensch und Gott: menschliche
Leistung — göttliche Gegenleistung; menschliche Einwirkung — gött-
liche Gegenwirkung. Er betet um Gott für seine Zwecke zu gewinnen,
ihn umzustimmen, daß er nicht mehr zürne und strafe, sondern schenke
und helfe. Der tief innerliche Fromme hingegen, der um Gott selber
betet und ringt, fühlt, daß sein Beten nicht sein Eigenwerk und seine
Eigentat ist, daß es nicht aus seinem eigenen Herzen aufsteigt, sondern
von oben kommt, aus der Kraft und Fülle Gottes strömt. Er spürt,
daß er nicht beten könnte, wenn nicht Gott selbst ihm Gebetsgedanken
und -gefühle ins Herz, Gebetsworte und Gebetsseufzer auf die Lippen
legte. Der rätselhafte Drang, der ihn mit Gewalt ins Gebet hinein-
treibt, ist die Offenbarung des im Innersten des Menschen weilenden
und wirkenden Gottes. Das Gebet, das aus unergründlichen Tiefen
hervorquillt, ist göttliches Gnadengeschenk; der Fromme bekommt
es als Charisma von oben her eingegeben, eingehaucht, eingegossen
{oratio infusa) 34. Zahllos sind die Zeugnisse der großen Beter für das
Wunder der Gebetsinspiration.
Das Gnadengebet (oratio infusa) 225
Jahwe spricht zum Propheten Zacharja: „Über das Haus Davids und über
die Bewohner Jerusalems will ich den Geist der Gnade und des Gebets aus-
gießen" (12 10). In der Poima ndresschrif t belehrt Hermes Trismegistos den
Mysten: „Diese Art, o Kind, wird nicht gelehrt, sondern von Gott, wenn er es
will, eingegeben" (dyafit/^y^axeTai). ** Der Dichter der Oden Salomos
bekennt in wundersamer Bildrede: „Wie die Hand über die Zither gleitet und
die Saiten ertönen läßt, so redet in meinen Gliedern der Geist des Herrn." 8S)
Nilus Sinaita erklärt: „Wenn du beten willst, brauchst du dazu Gott, der das
Gebet dem Betenden gibt." 37) Augustinus urteilt: „Daß wir beten, ist gött-
liches Geschenk." „Der Geist selbst, den doch wir zu erlangen wünschen, macht,
daß wir bitten; er selbst, den wir doch zu finden verlangen, macht, daß wir suchen;
er selbst, zu dem wir doch zu gelangen uns mühen, macht, daß wir anklopfen." 38
Thomas von Aquin folgt dem Meister von Hippo, wenn er das theologische Axiom
aufstellt: „Das Gebet geht aus einer Gnade als einem umsonst verliehenen Ge-
schenk hervor. " 39 Der Verfasser der .Nachfolge Christi' und Gerhard Tersteegen
sprechen Augustins Gedanken in Gebetsform aus. „D u hast mich zuerst er-
regt, daß ich dich suchte." 40 „Du bist schon da und suchst, eh' wir ans Suchen
denken." 41 Die heilige Teresa betont immer wieder, daß die wunderbaren Seelen-
zustände auf den höheren Gebetsstufen, im Gebet der ,Ruhe', , Einigung' und
»Verzückung' göttliche Gnadengabe seien. „Auf der Stufe des Ruhegebets be-
ginnt der Zustand übernatürlich zu werden." „Man kann sich die höheren Stufen
nicht selber verschaffen"; „der Geist Gottes versetzt uns in diese Zustände".
„DieAndacht ist eineGabe und wir verdienen sie nicht durch unsere Anstrengung."4*
Nicht minder entschiedenen Nachdruck legen die großen evangelischen Beter
auf das Mysterium des Gnadengebetes. Luther sagt: „Ohne den heiligen Geist
wird kein Gebet getan" *3. Mit ihm stimmt Johann Arndt überein: „Ohne den
Heiligen Geist wird kein wahres Gebet getan." „Das gründliche Zukehren zu
Gott, das muß Gott selber wirken." „Das Gebet kommt von Gott und geht
zu Gott." ** Ähnlich urteilt der große englische Fromme John Bunyan: „Nur
der Geist kann die Seele zu Gott im Gebet erheben." „Wenn der Geist ins Herz
kommt, dann ist hier in der Tat Gebet, sonst nicht." „Das Herz muß vom Geist
gehalten werden, wenn es sich zu Gott erhoben hat um recht im Gebet fort-
fahren zu können." 45 Und der berühmte englische Prediger C. H. Spurgeon
sagt: „Nur das Gebet, das von Gott kommt, steigt wieder zu Gott empor."44
Aber nicht nur christlichen Frommen, nein auch außerchristlichen Betern ist
die wunderbare Erfahrung des gotteingegebenen Gebets aufgegangen. In reiz-
voller Weise hat der geniale persische Mystiker Jaläl-ed-din-Rümi diese tiefe
religiöse Wahrheit poetisch verkleidet.
Es war einmal ein Mann, der eine Nacht hindurch laut , Allah' schrie,
bis endlich sein Mund Süßigkeit empfand bei diesem heil'gen Wort.
Doch Satan rief: „So sei doch still 1 Du siehst so barsch und grimmig aus.
Wie lang willst du so schrei'n? Du bist an großen Worten ja so reich.
Denn alle diese Ruf' ,o Gott' beruh'n gewiß auf Hochmut bloß.
Magst du auch rufen noch so oft und laut: ,Sieh, hier bin ich, o Gottl'
Es kommt doch keine Antwort dir herab vom hohen Himmelsthron.
Wie lang' willst du noch schrei'n ,o Gott' ? Du siehst so barsch und grimmig aus."
Er ward betrübt gar sehr bis in des Herzens Tief und hing das Haupt.
Doch später deuchte ihm, als sähe er im Traume Chizers Bild.
Und dieser sprach: „Kann es denn möglich sein, daß du ermüdet bist?
Wie kannst du fühlen Reu' deshalb, weil du zu deinem Gotte riefst?"
Er sprach: „Es kommt ja keine Antwort her von Gott: ,Sieh, hier bin ich.'
Und darum furcht' ich nun, daß ich verstoßen bin von Gottes Tür."
Doch Chizer sprach: „Sei still 1 Von Gott hab ich erhalten den Befehl:
geh' hin zu ihm sogleich und sag: ,Du viel und arg geprüfter Mann!
Hab' ich denn nicht ganz klar und deutlich dir geboten meinen Dienst?
Hab' ich nicht dir zur strengen Pflicht gemacht zu bitten mich um Hilf?
Und deine Ruf ,o Gottl' enthalten meine Antwort: ,hier bin ich'.
Denn dies Gebet und dieser inn're Brand und Schmerz mein Bote war.
Die Mittel und die Weg', die du zu finden suchtest für dich selbst,
Das Gebet 15
226 F I. Das Gebet der religiösen Genien.
die waren meine Mittel dich zu fassen und zu führ'n zu mir.
Dein Fürchten und dein' Lieben sind sichere Bürgschaft meiner Gnad.
Bei jedem deinem Ruf: ,o Gott!' tönt's vielfach von mir: ,hier bin ich.' " 4?
In dieser unscheinbaren Erzählung, die Jaläl seinem Masnavi ein-
streut, ist das Mysterium des Gnadengebets mit seltener Klarheit
beleuchtet. Die Sehnsucht und Leidenschaft, die im Gebet sich aus-
schüttet, entspringt nicht dem kleinen Menschenherzen, sondern ent-
strömt (wie Jaläl an einer anderen Stelle sagt 47b ) der ewigen Liebe
Gottes, die im Menschen jene Sehnsucht weckt um ihn zu sich zu locken
und emporzuziehen. Nur scheinbar verhallt des Menschen flehent-
licher Hilferuf in der unendlichen Leere, nur scheinbar bleibt die gött-
liche Antwort aus. In Wahrheit ist Gottes Antwort schon im Gebets-
ruf zu Gott beschlossen ; wo ein Mensch betend seine Stimme erhebt,
da ist Gott gegenwärtig ; und mag der Mensch sein Antlitz nicht schauen
und seine Stimme nicht vernehmen, Gott weilt doch bei ihm, wenn auch
verborgen und unsichtbar, Gott lenkt und führt ihn, ohne daß er es
ahnt. ,,Du würdest mich nicht suchen, wenn du mich nicht schon
gefunden hättest," spricht Gott zu Pascal 48 — dieselbe Antwort,
die jenem zweifelnden Muslim in Jaläls Masnavi zuteil wird. Auch
Savonarola erhielt diesen trostvollen Bescheid, als er in qualvoller
Kerkerhaft am Gebet irre zu werden drohte. Die göttliche , Hoffnung'
erscheint ihm schimmernd in strahlendem Glänze und spricht: „Sage
mir, wer hat dein Herz zu Gott erhoben von der Erde ? Wer hat dich
zum Beten gezogen ? Wer hat dir Schmerz über die Sünden und
Tränen gegeben ? . . . War es nicht der Herr, der alles in allem wirket ?
Wenn er dir nun fort und fort solche Gaben schenket, warum spricht
dann die Traurigkeit: ,Wo sind deine Gebete?'"49 Eine wunder-
same Paradoxie tut sich der betenden Frömmigkeit auf: ,,Das Gebet
ist eine Tat Gottes an unserer Seele." „Durch das Gebet zieht Gott
selbst in die Seele ein, ihr seine Kräfte mitteilend und sie nach seinem
Willen gestaltend — das ist der letzte und tiefste Sinn des Gebets" (Gir-
gensohn).50 „Wenn der Mensch recht betet aus dem Herzen heraus,
so ist dieses Beten ein Sprechen Gottes zu dem Menschen, indem näm-
lich die Erkenntnis und das Verlangen, welches die Seele im Gebet
ist, von Gott erweckt oder eingegeben ist. Das christliche Gebet ist
sonach ein geistiges Echo; aus Gott kommt die Gebetsstimme, sie
hallt an das menschliche Herz und widerhallt von da zu dem Himmel
hinauf, von woher es gekommen" (Alban Stolz 51).
„Die Zunge selbst, die zu dir schreit, ja alle Kräfte meines Wesens,
Die zu dir schrei'n, alle sind dein.
. . . Der Schauer selbst, der zitternd mich durchläuft,
Auch er ist dein". (Mänikka Väcagar) **
Im tiefsten Grunde ist darum des Frommen Gebet Gottes eigenstes
Gebet; der große Gott ist es, welcher durch des kleinen Menschen Herz
und durch seinen schwachen Mund betet.
„Solch Gebet gleich and'rem halte nicht!
Dies Gebet traun nicht er selbst, nein Gott es spricht,
Sieh', es betet Gott, und er steht tief versenkt,
Gott Versenkung ihm und auch Erhörung schenkt"
(Jaläl-ed-din-Rümi). •»
Das Gnadengebet (oratio infusa) 227
Sebastian Frank sagt: „Wenn Gott sich nicht selbst in uns bittet,
so erhört er uns nicht, denn er will sich allein ehren, hören, gewähren,
lieben und loben." 54 Ähnlich schreibt Madame Guyon vom voll-
kommenen Gebet: „Die Seele weiß, daß ihr Bitten das eigene Wollen
Gottes ist und daß, wenn sie betet, Gott in ihr selbst sich erhört." 55
Und ein jüdischer Chassid urteilt: „Die Menschen meinen, sie beten
vor Gott, aber es ist nicht so, denn das Gebet selbst ist die Gottheit." 56
Noch gewaltiger und ergreifender als alle diese Frommen hat Paulus
das unbegreifliche Mysterium des göttlichen Gebets ausgesprochen:
„Der Geist kommt unserer Schwachheit zu Hilfe, denn wir wissen
nicht, was wir beten sollen, wie sich's gebühret, aber der Geist selbst
tritt für uns ein in unaussprechlichen Seufzern." Die großen christ-
lichen Beter haben immer wieder zu dieser lapidaren Confessio des
Völkerapostels im Römerbrief (8 27) gegriffen um das Wunder des
gotteingegebenen Herzensgebetes auszudrücken: Religion ist nicht
Menschen werk, sondern Gotteswerk, nicht Menschenerfindung, sondern
Gottesoffenbarung, nicht Menschenleistung, sondern Gottesgnade.
Weil das Gebet unverdientes göttliches Geschenk ist, darum flehen die
großenFrommenmitinnigerSehnsuchtumdieKraft, recht beten zu können.
„Erleuchte, entflamme mich, lehre mich, was ich bitten soll" (Savonarola). S7
..Gib, daß nicht bet' allein der Mund, hilf, daß es geh' von Herzensgrund" (Lu-
ther). S8 ..Dein in mir Beten, Lehren, Kämpfen, laß mich auf keine Weise dämp-
fen." „Bete selbst in mir inwendig" (Tersteegen). 69 „Du Geist aus Gott, mache
uns zu wahrhaftigen Anbetern, die Gott im Geist und in der Wahrheit anrufen.
Nimm alle Trägheit und Nachlässigkeit im Gebet von uns und entzünde unsere
ICerzen mit deinem Liebesfeuer, daß wir mit sehnendem und brünstigen Ver-
langen uns zu Gott hinwenden können: Lehre uns, wie wir ohne Unterlaß mit
Gott umgehen sollen . . . Vertritt du selber uns mit unaussprechlichem Seufzen
und rufe in uns: Abba. lieber Vater!" (Johann Arndt). 80
Das tiefe und heiße Gebet der Frommen ist nicht Menschenkunst
und Menschenweisheit, sondern Gottes Gabe und Gnade, die demütig
erbeten und herzlich erfleht werden muß. Der Masse der Menschen
wird dieses Geheimnis immer verhüllt bleiben, die aufgeklärten Köpfe
und klugen Vernunftmenschen werden zu dieser Paradoxie den Kopf
schütteln und dieses Wunder belächeln. Aber religiöse Menschen
werden immer, wenn sie auf den Höhepunkten ihres Innenlebens stehen,
dieses tiefe Mysterium erfahren, daß nicht der armselige Mensch betet,
sondern der unendliche Gott, der ihn zu seinem Gefäß erkoren.
4. Das innige Gebet ist für die großen Frommen Gnadengebet;
aber die Gebetsgnade wird von ihnen, nicht passiv erwartet und hin-
genommen, sondern in aktiver Arbeit ,unterstützt' ; das Gebet wird
absichtlich und bewußt gesucht, gepflegt, geübt. Wohl bricht auf
den Gipfelpunkten der religiösen Erfahrung das Gebet unbewußt und
ungewollt aus tiefen inneren Erregungen hervor. Aber die großen
Beter haben nicht nur unter dem Zwang übermächtiger Gotterlebnisse
zum Gebet gegriffen, sondern gerade auch in Stunden geistiger , Dürre',
da das warme Gefühlsleben ausgetrocknet schien, sich absichtlich und
willentlich zur Andacht und zum Gebet gesammelt und durch die Betrach-
timg religiöser Wahrheiten oder durch die Erwägung inhaltsschwerer Ge-
betsformeln künstlich die Gebetsstimmung hervorgerufen. Denn man
228 F I. Das Gebet der religiösen Genien
hat nach dem Worte eines feinen Kenners des Gebetslebens „gerade
zu der Zeit das Gebet am notwendigsten, wenn man am wenigsten
dazu aufgelegt ist ; denn zu dieser Zeit ist man am aufgelegtesten zur Sünde .
Man kann sich aber auch aufgelegt zum Gebet machen; wenn man
einige Zeit sich dazu anstrengt, so wird man allmählich innerlich er-
wärmt" (Alban Stolz) 61. Alle tiefen religiösen Naturen haben mit
beharrlichem Eifer sich im Gebet geübt; die meisten Mystiker haben
die Gebetsschulung sogar methodisch und systematisch betrieben,
manche von ihnen eine raffinierte Gebetstechnik ausgebildet und in
ihren Gebetsanweisungen das psychologische Rezept eines Gebets-
trainings gegeben. Diese bewußte und dauernde Gebetspflege ist
ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zwischen primitiver und per-
sönlicher Frömmigkeit.
5. In der primitiven Religion dient das Gebet zur Erreichung eudä-
monistischer Zwecke; der Beter sucht Rettung des Lebens, Befreiung
aus der Not, Erlangung von Reichtum, Schädigung seiner Feinde.
In der persönlichen Frömmigkeit dient das Gebet nicht zur Erlangung
von Glücksgütern; was die großen Beter im Gebet suchten, ist nicht
irdisches Glück, sondern Gott und das Heil der Seele. „Sprich zu
meiner Seele: ,Dein Heil bin ich' {salus tua sum e<?o)", in diesem Psalm-
worte faßte Augustinus alle seine Gebetswünsche zusammen 62. Pascal
will um nichts anderes beten als um Gott selber. „Alles, was nicht
Gott ist, kann meine Sehnsucht nicht erfüllen. Gott selbst ist es,
um den ich bitte und den ich suche; und an dich allein, mein Gott,
wende ich mich, um dich zu erlangen." 63 Luther umschreibt diesen
Gegensatz zwischen der niederen und höheren Gebetsfrömmigkeit sehr
treffend, indem er sich der mystischen Terminologie bedient: „Wer
nur an ein uti Deo (,Gott benützen') ohne ein frui Deo (,Gott genießen')
denkt, der weiß nichts von der Freude, welche Christus dem Beter
verheißt." 64 Der naive Alltagsmensch hat Freude an Leben und
Glück und sucht diese Güter dadurch zu erlangen, daß er Gott als
Helfer anruft; der wahre Beter hingegen hat „an Gott selbst Freude"
(Wilhelm Herrmann); 65 er pflegt das Gebet um des Gebetes willen;
er sucht in ihm Gottes lebendige Nähe und unmittelbare Berührung,
den trauten Umgang und herzlichen Verkehr mit dem Ewigen; er
verlangt nach den wunderbaren seelischen Wirkungen, die der frommen
Seele im gläubigen Gebet zuteil werden: nach der inneren Einheit
und Ruhe, der seelischen Entlastung, Befreiung und Stärkung, der
Zuversicht, Hoffnung und Entschlossenheit, der Klarheit, Gewißheit
und Erleuchtung, der Wonne, Begeisterung und Entzückung. Immer
wieder begegnet uns in den Schriften der großen Beter die rühmende
Aufzählung der beseligenden Wirkungen des lebendigen Betens; am
sprachgewaltigsten hat sie die Magdeburger Begine Mechthild zu schildern
gewußt. „Dies Gebet hat große Kraft, das ein Mensch leistet mit aller
seiner Macht. Es machet ein sauer Herze süße, ein traurig Herze froh,
ein arm Herze reich, ein dumm Herze weise, ein blöd (zaghaft) Herze
kühn, ein krank Herze stark, ein blind Herze sehend, eine kalte Seele
brennend." 66 Wer einmal innig betend diese wunderbare Kraft des
Gebet um das Heil der Seele — Einsamkeit 229
Gebets gespürt hat, den treibt es immer von neuem mit unwiderstehlicher
Gewalt zum Gebet zurück. Das Gebet, ehedem ein Mittel im Dienste des
Lebens, wird so zum Selbstwert und Selbstzweck; es reißt sich los von
allen relativen Inhalten und wird absolut ; denn sein Gegenstand ist ein
absoluter : Gott und seine volle Herrschaft über die Welt und die Seele 67.
6. Weil das Gebet der persönlichen Frömmigkeit nicht der bloßen
Erlangung von Hilfe und Gaben dient, ist sein Hauptinhalt nicht wie
der des primitiven Gebets die Bitte und Überredung; das Gebet ist
vielmehr eine Aussprache alles dessen, was sich in der Seele des From-
men regt, aller lust- und unlustvollen Affekte, aller Stimmungen und
Wertgefühle, der inneren Not, des Heilsverlangens, der Erlösungs-
sehnsucht, des Sündenbewußtseins, des Kleinheitsgefühls, des Ringens
um sittliche Reinheit und Kraft, aber ebenso der anbetenden Ehrfurcht,
des Staunens und Entzückens, der Sehnsucht, Hingabe und Liebe,
der Zuversicht und des Vertrauens, der Entschlossenheit, der Er-
gebung und Gelassenheit,
,, Alles kann ich dir erzählen,
Darf mit keiner Last mich quälen;
Kann ich nicht mich selbst verstehen.
Laß ich's dich, den Nahen, sehen."
(Tersteegen). 68
Während die philosophische Gebetsnorm das Gebet auf die Bitte
um das Gute und auf die Resignation einengt, ist das Gebet der reli-
giösen Genien so tief, weit und reich wie das Seelenleben des Menschen.
Die ganze Skala der Gefühle, Stimmungen, Affekte, Wollungen und
Werturteile kehrt in ihm wieder.
7. Der primitive Mensch betet an dem Orte, an dem der Gott wohnt;
weilt dieser in weiter Ferne, so richtet er wenigstens Augen und Hände
nach seiner Wohnstätte. Das Beten der großen Frommen hingegen
ist ein ,Beten im Geist und in der Wahrheit', frei von aller örtlichen
Gebundenheit; Gott wohnt ja nicht in Naturobjekten oder in von
Menschenhänden erbauten Tempeln, sondern im Innern des Beters
selbst. Aber nur in der geräuschlosen Stille des Herzens, fern vom
Lärm der Außenwelt, erlebt der Fromme Gottes Gegenwart in ihrer
vollen, Schauer und Seligkeit weckenden Kraft. Darum flieht er,
wenn er den Drang zum Gebet spürt, in die stille Einsamkeit, um hier
allein mit seinem Gott zu sein und ihm sein Herz auszuschütten. Schon
die Jünglinge der Omaha-Indianer gehen bei der Mannbarwerdung
an einsame Plätze, um zu Wakanda zu beten. Bei einem anderen
[ndianerstamme, den Osagen, zieht sich der Beter vom Lagerplatze
oder seinen Genossen zurück 69. Was bei primitiven Völkern eine
Ausnahme ist, wird in der individuellen Frömmigkeit zur Regel.
„Wir können nur dann beten", sagt Plotin, „wenn wir als Einsame
vor den Einsamen hintreten" {[tövovg ngög fiövov) 70. Johannes Da-
mascenus nennt die Einsamkeit geradezu die ,Mutter des Gebets'. 71
Alle großen Beter, die Mystiker wie die Propheten, suchen zum Gebet
die Einsamkeit auf — sei es nun die menschenferne Bergwelt oder der
dunkle Wald, das stille Kämmerlein oder die tiefe Nacht. Auch die
buddhistischen Mönche eilen in die Waldeinsamkeit oder in die Wild-
230 F I. Das Gebet der religiösen Genien
nis, um dort in der stufenweisen Versenkung sich zu üben72. Der
Individualismus des Betens der großen Frommen äußert sich nirgends
kraftvoller als in der Einsamkeit des Betens.
„Man lockt mich in die Wüste ein.
Da Gott und ich nur sind allein.
Da Geist mit Geist umgehet.
O Einsamkeit, so weit, so weit
Von Kreatur und Ort und Zeitl
Das Liebste draußen stehet.
Nur Gott und ich, sonst keiner mehr" . . .
(Tersteegen). 7a
In der lautlosen Stille der Natur oder des verschlossenen Kämmer-
leins kann die fromme Seele sich dem Unendlichen öffnen, kann sie
dem ewigen Gott all ihr Glück und Leid ausschütten. Aber in der
Gebetseinsamkeit redet nicht nur der Mensch zu Gott, sondern Gott
antwortet auf den Ruf des Menschen, er offenbart sich ihm in stiller
und doch so vernehmlicher Rede. Beten heißt ja mit Gott umgehen
und verkehren, und dieser Gottesumgang ist nicht ein einseitiger, er
beschränkt sich nicht auf des Menschen Rufen und Flehen, sondern ist
ein wechselseitiger Austausch zwischen dem endlichen und unendlichen
Geist und schließt Gottes Gegenrede zur Seele ein. Schon die flehent-
liche Anrufung Gottes bedeutet eine Offenbarung Gottes; in jedem
Ruf ,o Gott!' ist schon Gottes Antwort ,hier bin ich' enthalten, wie
Jaläl-ed-din-Rümi in seiner Erzählung von dem zweifelnden Beter
ausführt (s. o. S. 225). Aber diese „im Gebet mitgegebene Offen-
barung schreitet mit dem Gebet fort. Aus einer Offenbarung, die in
einem ersten Gebete festgehalten ist, wächst ein reineres Gebet her-
vor und aus diesem eine höhere Offenbarung" (Auguste Sabatier) 74.
Je länger ein Frommer im innigen Flehen verharrt und je tiefer er
in die geheimnisvolle Welt des Gebets eindringt, desto deutlicher und
klarer offenbart sich ihm der unsichtbare Ewige. Das im Gebet le-
bendige Gefühl der schauervollen-wundervollen Nähe des heiligen
Gottes steigert sich zu einem geistigen Schauen des Unendlichen, zu
einem inneren Hören seines rufenden und weckenden, mahnenden
und tröstenden Wortes. In dem Gebetsleben der Mystiker überwiegt
das staunende und bebende Kontemplieren Gottes, in der Gebets-
frömmigkeit der prophetischen Geister das ehrfürchtige Lauschen und
Horchen auf seine Stimme. Dieses innere Wahrnehmen Gottes
im Gebet, das teils in optischer teils in akustischer Form erfolgt, ist
bisweilen so mächtig, daß es die Sinnesorgane mit sich fortreißt und
pseudohalluzinatorische Empfindungen hervorruft; das geistige Er-
lebnis des unmittelbaren Verkehrs mit Gott wird von visionären oder
auditiven Sinneserregungen begleitet. Die Selbstbekenntnisse der alt-
testamentlichen Propheten wie der großen außerchristlichen und christ-
lichen Mystiker sind voll von solchen wunderbaren Visionen und Au-
ditionen, in denen sich Gott offenbart und kundgibt; sie begegnen
uns auch, wenngleich viel seltener, bei den neutestamentlichen Genien.
Bisweilen treten diese eigenartigen Erlebnisse urplötzlich und über-
raschend in das Bewußtsein der Frommen, zumeist aber gehen sie aus
Gottes Offenbarung im Gebet 231
anhaltendem Gebet hervor, bilden dessen Gipfelpunkt und Krönung.
Neben diesen irregulären, gewaltsamen Formen der göttlichen Offen-
barung im Gebet steht die gewöhnliche stille und leise Einsprache
Gottes, die dem Betenden zuteil wird. Wenn der Fromme sein Herz
vor Gott ausgeschüttet und alles, was ihn quält und drängt, ihm eröffnet,
dann hält er inne mit der Bitte: „Rede, Herr, dein Diener hört." 75
„Nun kehr' ich ein;
Herr, rede du allein
Beim tiefsten Stillesein
Zu mir im Dunklen"
(Tersteegen). 7*
Und Gott redet zu der schweigenden und harrenden Seele, offenbart
ihr seinen Willen, antwortet auf ihre Fragen, löst ihre Zweifel, stillt
ihr Sehnen, tröstet ihren Schmerz. Die wunderbaren Zwiegespräche
zwischen Mensch und Gott, welche die religiöse Literatur von dem
Pentateuch bis zu den Schriftwerken der abendländischen Mystiker
enthält, sind nicht bloße Poesie und künstlerische Einkleidung tiefer
religiöser Gedanken, sondern der Widerschein des geheimnisvollen
Wechselverkehrs zwischen der betenden Seele und dem angebeteten
Gott; denn die göttliche Antwort ist keineswegs das Echo des mensch-
lichen Gebetsrufes, sondern Gottes wirkliche Selbstkundgabe und Offen-
barung. Im Gebetsleben der genialen religiösen Persönlichkeiten ge-
hören Rede zu Gott und Rede Gottes unzertrennlich zusammen, aber
dieser zweite Teil des Gebetsdramas übertrifft den ersten an Wunder-
kraft und Herrlichkeit. Luther sagt treffend über das Verhältnis beider :
,,Es gibt auch zweierlei Gespräch: eins, da wir mit Gott reden, das andere,
da er mit uns redet. Mit ihm reden, das heißt beten; welches ist auch eine große
Herrlichkeit, daß sich die hohe Majestät im Himmel gegen uns arme Würmlein
so herunterläßt, daß wir dürfen gegen ihn den Mund auf tun und er uns gerne
zuhört. Aber dies ist viel herrlicher und köstlicher, daß er mit uns redet und
wir ihm zuhören. Beides ist gut und große Wohltat Gottes, wie denn die Schrift
diese zwei heißt den Geist der Gnade und den Geist des Gebets. Denn er tut
beides, läßt uns mit ihm reden (durch das Gebet) und er redet auch mit uns (durch
den Gnadengeist), daß wir ihn hören. Aber sein Reden ist viel tröstlicher denn
unseres." „Kommt wohl oft, daß ich in einem Stück oder Bitte (des Vaterunser)
in so reiche Gedanken spazieren komme, daß ich die anderen sechs lasse alle
anstehen. Und wenn auch solche reiche gute Gedanken kommen, so soll man
die andern Gebete fahren lassen und solchen Gedanken Raum geben und mit
Stille zuhören und beileibe nicht hindern; denn da predigt der heilige Geist selber.
Und seiner Predigt ein Wort ist weit besser denn unserer Gebete tausend. Und
ich hab auch oft mehr gelernt in einem Gebet, weder ich aus viel Lesen und Dich-
ten hätte kriegen können." 77
Weil zum einsamen Beter Gott redet und ihm sein Wesen und seinen
Willen enthüllt, darum ist die Gebetseinsamkeit die Quelle aller reli-
giösen Neuschöpfung. In der Stille des Betens und Betrachtens sind
alle großen Offenbarungswahrheiten gereift, alle entscheidenden reli-
giösen Entschlüsse gefaßt; die Einsamkeit des Gebets und der Versen-
kung ist die Stätte der geheimnisvollen Ekstasen, Visionen und Ver-
zückungen, ja ist der Geburtsort der Weltreligionen und der Quell-
bezirk, dem die großen religiösen Reformationen entsprungen sind.
In der menschenfernen Bergwelt des Sinai offenbarte sich Jahwe dem
betenden Mose als der Gott Israels; in der Verborgenheit des Gottes-
232 F I. Das Gebet der religiösen Genien
Umgangs ergriff Jahwes Geist die zitternden Propheten und machte
sie zu seinen Sendboten, die vor das Volk Israel hintraten und seinen
heiligen Willen verkündeten; im stillen Gebet bei der Taufe am Jor-
dan kam dieser Geist auch über Jesus von Nazareth und offenbarte
ihm das tiefe Geheimnis seiner Gottessohnschaft und messianischen
Aufgabe (Luk. 321);im einsamen Wüstenaufenthalt errang sich der
bei Damaskus von Christus überwältigte Paulus die Kraft zum Völker-
apostolat; auf einem einsamen Berge bei Mekka ward Mohammed
zum Boten Allahs berufen; in den weltfernen Klüften des Alverner-
gebirges wurde der betende und sinnende Franz von Assisi eins mit
seinem gekreuzigten Heilande und empfing seine Wundmale; im ver-
borgenen Gebetskampf gewann Luther zu Worms jene unerschütterliche
Stärke, Sicherheit und Zuversicht, mit der er einer Welt von Feinden
trotzen konnte, als Beter wurde er zum großen Reformator, der eine
neue Epoche des Christentums heraufführte. Und selbst jener milde
und entsagende Weise Indiens, dessen Heilsbotschaft Asiens Univer-
salreligion wurde, ist durch das ,schweigende Gebet' der Versenkung
zum , Religionsstifter' geworden; nachdem er in der Einsamkeit am
Flusse Neranjarä die vier Stufen des dhykna (Betrachtung, Versenkung)
durchlaufen hatte, erfaßte er ,in schauendem Erkennen' das Welt-
und Erlösungsgeheimnis, die vier heiligen Wahrheiten vom Leid, von
der Leidensursache, ihrer Zerstörung und dem Weg zu ihrer Zerstörung.
Alles Große, Neue, Schöpferische in der Geschichte der Religion steigt
so aus den unergründlichen Tiefen des Gebets empor.
8. Alle großen Beter erblicken in der Art und Weise ihres eigenen
Gebetslebens bzw. in der Richtung, in der ihre Gebetsfrömmigkeit
verläuft, die Idealform des Gebets, das wahre, echte Gebet, dem das
Gebet des gewöhnlichen Menschen als falsches Gebet oder nur als eine
Vorstufe des idealen Betens gegen übertritt. Die Gebetsnorm, welche
die großen Propheten und Heiligen verkündet haben, ist nicht wie
die philosophische Gebetsnorm heteronom, d. h. sie entstammt nicht
einer fremden Wertsphäre, der Ethik und Metaphysik, sondern sie
ist autonom, rein religiös; sie wächst aus dem eigenen Gebetsleben
unmittelbar heraus. Fast allen schöpferischen religiösen Persönlich-
keiten verdanken wir Gebetsanloitungen, durch die sie die anderen
Menschen auf pädagogischem Wege zur Höhe des eigenen Gebets-
lebens emporziehen wollen. Bei den prophetischen Persönlichkeiten
wird die Propaganda für ihr individuelles Gebetsideal häufig zu einer
schroffen Polemik gegen die diesem widersprechenden Formen des
Gebets, gegen das naiv-eudämonistische, kultisch-mechanische und
magische Beten der Volkskreise.
9. Das Gebetsleben der großen religiösen Genien steht in einem
kontinuierlichen geschichtlichen Zusammenhang. Ein solcher Zu-
sammenhang fehlt in den primitiven wie in den antiken Religionen;
denn das mechanische Überliefern von Gebetsformeln oder die Kom-
position von Hymnen nach älteren Vorlagen kann nicht als innerer,
historischer Zusammenhang gelten. Diese geschichtliche Abhängigkeit
ist eine Eigentümlichkeit des gesamten produktiven Geisteslebens.
Die historische Kontinuität 233
Die großen Beter stehen ebenso wie die schaffenden Künstler und die
philosophischen Denker in einem mächtigen historischen Entwicklungs-
strom. In der prophetischen Religion wird dieser geschichtliche Zu-
sammenhang voll bewußt ; denn für sie ist die in der Geschichte sich voll-
ziehende , Offenbarung' Gottes — psychologisch gewendet: die reli-
giöse Erfahrung bestimmter geschichtlicher Persönlichkeiten ■ — Aus-
gangspunkt und Norm des religiösen Erlebens. In der Mystik existiert
zwar dieser Zusammenhang, aber er wird entsprechend dem zeit- und
ge schichtslosen Charakter des mystischen Erlebens niemals in seiner
Ganzheit erkannt und auch dort, wo er zum Bewußtsein kommt, nicht
als autoritative Bindung, sondern nur als literarische Abhängigkeit
betrachtet.
Die Geschichte der Religon kennt nur drei große, selbständige Ent-
wicklungsströme, die möglicherweise auf zwei sich zurückführen lassen 78.
Es führt eine ununterbrochene Kette von der Atman-Brahman-My-
stik der vedischen Upanischaden zum Vedänta des Sarikara einerseits
und über die mystische Psychotechnik des Yoga zur buddhistischen
Heilslehre andererseits. Eine ebenfalls zusammenhängende Entwick-
lungskurve führt von der orphisch-dionysischen Mystik über Plato,
Philo und die späthellenistischen Mysterienkulte zu der neuplatonischen
Unendlichkeitsmystik Plotins, welche die Quelle für die »mystische
Theologie' des Pseudodionysius Areopagita bildet. Seine Schriften
wurden zu dem „großen Schatzhaus", aus dem alle späteren christ-
lichen Mystiker „viel von ihrem literarischen Stoff entnahmen" (Frie-
drich von Hügel) 79. Nicht mit Unrecht wurde er als „Vater der christ-
lichen Mystik' bezeichnet (Hugo Koch) 80. Dionysius speist die ganze
Mystik der Ostkirche; durch Scotus Eriugena und die Victoriner der
Westkirche übermittelt, übt er auf deren Frömmigkeit wie Theologie
einen entscheidenden Einfluß aus. Ja selbst auf die Mystik des Islam
hat er nachhaltig eingewirkt. Vielleicht ist diese zweite Kette nur
eine Abzweigung der ersten, da die orphische Heilslehre und die ele-
atische Spekulation möglicherweise wesentliche Elemente von der
altindischen Mystik entlehnt haben. Dieselbe Kontinuität zeigt die
Entwicklungslinie der der Mystik polar entgegengesetzten prophetisch-
biblischen Religion, die in Moses (vielleicht schon in Abraham) ihren
Ausgangspunkt hat und über die Propheten und Psalmdichter zu Jesus
ihrem Höhepunkt führt und von Paulus und Johannes fortgesetzt
wird. In den kommenden christlichen Jahrhunderten läuft diese
Linie weiter, doch wird sie unter der Einwirkung der Mystik und des
synkretistischen Kirchentums schwächer, bis sie im Bibelchristentum
der Reformatoren wieder ihre ursprüngliche Stärke erlangt. Durch
die Kreuzung der prophetischen und mystischen Religion oder durch
die Mischung der Mystik mit der Volksfrömmigkeit entstehen neue
Frömmigkeitsformen von besonderem Gepräge. In den hellenistisch-
orientalischen Mysterien verbindet sich das geistige Erlösungssehnen
mit uralten sinnlichen Kultriten; in der hinduistischen Bhaktimystik
(Bhagavadgitä, Ramänuja, Tulsi Das, Mänikka-Väsagar) verschmelzen
die Atman-Brahman-Weisheit der Upanischaden, die akosmischo Spe-
234 P I. Das Gebet der religiösen Genien
kulation des Vedanta, die dualistische Sämkhyaphilosophie und die
Technik des Yoga mit den volkstümlichen, Kulten des Vishnu-Bha-
gavän-Krishna-Räma und des Siva. Bei Philo von Alexandrien ver-
eint sich die prophetische Offenbarungsreligion des Alten Testamentes
mit der platonischen Mystik, beeinflußt zugleich von der ägyptisch-
hellenistischen Hermesmystik 81. Dieser Verschmelzungsprozeß von
prophetischer Offenbarungsreligion und mystischer Erlösungsreligion
vollzieht sich in noch größerem Umfang in der Geschichte des Islam
und Christentums. Im arabisch-persischen Süfismus verbindet sich
der prophetische Gottesglaube des Muhammed mit hellenistischer
Gnosis und neuplatonischer Ekstase und Spekulation, aber auch mit
der Weisheit des Vedanta und der Versenkungskunst und Nirvana-
Mystik des Buddhismus 82. In das Christentum dringt die Mystik
schon in seiner schöpferischen Urzeit ein. Im Christuserlebnis des
Paulus stoßen bereits die beiden polaren Frömmigkeitstypen mit Wucht
aufeinander; ihre inneren Gegensätze und Spannungen bleiben hier
unausgeglichen. Im vierten Evangelium, das unter dem Einflüsse
Philos und der hermetischen Mystik steht, ist ihre Einigung bereits
vollzogen; eine weiche mystische Gottinnigkeit redet aus allen Worten
des johanneischen Christus. Doch kann innerhalb des Neuen Testa-
ments nur von einer „relativen Rezeption' 83 der hellenistischen Mystik
gesprochen werden, welche die spätere volle Rezeption vorbereitet. Die
Frömmigkeit der Paulus und Johannes ist prophetisch, doch mit kräf-
tigem mystischen Einschlag. In den kommenden Jahrhunderten
jedoch strömte diese antike Mystik in immer breiteren Furchen ins
Christentum ein und erzeugte eine christliche Mystik, welche Mystik
im vollen Sinn des Wortes ist, aber doch starke Spuren des biblischen
Frömmigkeitsgeistes aufweist. In ihrer ältesten Form, der Gnosis,
ist diese christliche Mystik überwuchert von mythologischer Spe-
kulation; in Clemens und Origenes klärt sie sich durch die Kraft des
philosophischen Gedankens. In Augustinus vermählt sich die neu-
platonische Unendlichkeitsmystik mit der biblischen Offenbarungs-
religion in wunderbarer Harmonie. Von seinem Geiste zehrt das per-
sönliche Frömmigkeitsleben des ganzen Mittelalters, es empfängt aber
auch von dem Areopagitischen Schrifttum Nahrung. Bei Anselm von
Oanterbury, Bernhard von Clairvaux, Albertus Magnus, Thomas von
Aquin, Franz von Assisi, Bonaventura und Thomas von Kempen über-
wiegt die augustinische Frömmigkeitsidee, bei Meister Eckhart, Tauler
und Katharina von Genua der areopagitische Gottesgedanke. In der
großen spanischen Heiligen Teresa di Jesu erlangt die von Augustinus
bestimmte mittelalterliche Mystik eine neue originale Fassung. Aus
ihrem tiefen Gotterleben schöpfen die großen quietistischen Mystiker,
Franz von Sales, Molinos, Madame Guyon, deren Einfluß hinwiederum
bis in die evangelische, zumal die reformierte Frömmigkeit sich er-
streckt. Die lutherische Mystik, welche Luthers biblische Frömmig-
keit mit Bernhardinischer Jesusmystik und Tauler'scher Unendlich-
keitsmystik verschmilzt, hat in Johann Arndt, ihren klassischen Aus-
druck gefunden 84; die reformierte Mystik, in welcher zu den mittel-
Die geschichtliche Kontinuität 235
alterlicben und reformatorischen Ideen der spanisch-französische Quie-
tismus tritt, besitzt in Tersteegen ihren genialsten Vertreter. So kreuzen,
schneiden und vereinen sich die beiden großen Entwicklungslinien
der Mystik und Offenbarungsreligion fortwährend in der Geschichte
der christlichen Frömmigkeit.
Die Frömmigkeit der großen religiösen Persönlichkeiten ist durch
den umfassenden geschichtlichen Entwicklungsgang bestimmt. Wohl
ist das Gebet die freieste und persönlichste Äußerung der Frömmigkeit;
die selbständige, schöpferische Kraft der überragenden religiösen Ge-
nien offenbart sich gerade im Gebet in aller Deutlichkeit. Dennoch
ist der Zusammenhang ihres inneren Lebens mit dem ihrer Vorgänger
auch in ihrem Beten klar erkennbar. Buddhas Betrachtungskunst
ist von der Versenkungstechnik des Yoga abhängig; in Jesu Gebets-
verkehr mit dem Vater wirkt der Gebetsgeist der alttestamentlichen
Propheten und Psalmisten fort, das Gebetsleben der Kirchenväter
und Reformatoren ist am Beten der biblischen Gottesmänner orien-
tiert; die Gebetsweise der großen mittelalterlichen Heiligen ist durch
Augustins Gotteserlebnis bestimmt. Trotz aller individuellen Eigenart
zeigt so das Beten der größten Frommen eine innere Abhängigkeit
von der Gebetsfrömmigkeit ihrer Vorgänger.
10. Für die Darstellung des Gebets in der individuellen Frömmigkeit
kommen fast ausschließlich die biblischen und christlichen Persönlich-
keiten in Betracht. Das Christentum (die alttestamentlich-prophetische
Religion inbegriffen) ist „die eigentliche Heimat des persönlichen Ge-
bets" (Söderblom) 85, „die Religion des Gebets" schlechthin (Bousset) 86,
d. h. jene Religion, in der das Gebet den Brennpunkt der persönlichen
Frömmigkeit bildet. „Das Gebet ist seine Krone und Perle" (Bousset) 86.
Christ sein heißt Beter sein. Bunyan urteilt: „Du bist kein Christ,
wenn du kein Beter bist." 87 Luther sagt in seiner volkstümlichen
Ausdrucksweise : „Wie ein Schuster einen Schuh macht und ein Schneider
einen Rock, also soll ein Christ beten. Eines Christen Handwerk ist
Beten." 88 Johann Arndt erklärt: „Das Beten ist eines Christen Kenn-
zeichen und Eigenschaft." 89 Gewiß ist das Gebet die wesentliche
Frömmigkeitsäußerung aller Religionen der Erde, ein allgemein mensch-
liches, kein ausschließlich christliches Phänomen. Aber das persönliche
Gebets leben, der freie und lebendige Gottesumgang hat im Christen-
tum wie sonst nirgends in der gesamten Geschichte der Religion seine
Heimstätte. In diesem Sinne hat Luthers Wort Gültigkeit: „Beten
ist ein seltsam Werk, das niemand tut denn Christen und doch so ge-
mein in der Welt gewesen." 90 Was die außerchristlichen Religionen
an persönlichem Gebetsleben zeigen, ist unendlich dürftig im Vergleich
zu dem Reichtum und der Differenziertheit inneren Lebens, das sich
im Beten der christlichen Genien offenbart. Die Frömmigkeit der
literarischen Hymnendichter in Indien, Babylonien, Ägypten und Peru
wie die Frömmigkeit der hellenischen Gebildeten erhebt sich nie zur
Höhe eines persönlichen Gebetslebens. Das Gebetsideal der griechischen
Philosophen ist eine blasse Abstraktion, der Schatten des lebendigen
Betens. Der kühle deistische Rationalismus und Moralismus Kon-
236 FI. Das Gebet der religiösen Genien
futses hat keinen Raum für die Leidenschaft des Gebets. Die kon-
templative Innigkeit, mit der Laotse über das Tao sinnt, erhebt sich
nie zur unmittelbaren Gebetsanrede. Der pantheistischen Unendlich-
keitsmystik der Upanischaden und des Vedänta, der mystischen Psy-
chotechnik des Yoga und dem buddhistischen Heilsstreben ist das
echte Gebet fremd, die stufenförmige Versenkung (samädhi, dhykna),
die seine Stelle vertritt, ist kein eigentliches Gebet, obgleich sie sich
mit der oratio mentalis mancher christlicher Mystiker enge berührt.
Selbst der begeisterte Eros Plotins, dieses „Fürsten der außerchrist-
lichen Mystiker" (F. v. Hügel) 91 bleibt stets ,schweigendes Gebet'
und wird nie zur persönlichen Gebetsanrufung des Unendlichen. Auch
dem kunstvollen Stufengebet seiner späteren Schüler fehlt jener Hauch
der Gottinnigkeit und Gottergebenheit, welcher das Beten der christ-
lichen Mystiker durchweht. In den großen, einer prophetischen Re-
form entsprungenen Gesetzesreligionen des talmudischen Judentums,
des persischen Mazdaismus und des orthodoxen Islam ist die feurige
Lava des prophetischen Erlebens im kultischen und ethischen Gesetz
erstarrt; sie sind nicht der Boden für die Entfaltung des spontanen
und freien Betens. (Das gesetzesstrenge Judentum stellt das formu-
lierte Pflichtgebet über die formlose Gebetsaussprache; der offizielle
Islam ordnet die salkt (das vorgeschriebene Gebet) der du'a (dem freien
Gebet) über; im Mazdaismus ist das ungebundene Gebet aus dem
Herzen sogar verpönt). Die mahäyanische Richtung des Buddhismus,
die hinduistische Bhakti-Mystik, der Urislam und der arabisch-per-
sische Süfismus sind die einzigen Strömungen der außerchristlicheh
Religionsentwicklung, in denen wir ein zartes und inniges, feuriges
und kraftvolles Gebetsleben treffen. Mohammed, die islamischen
Mystiker Bäyazid, Ferid-ed-din-Attär und Jaläl-ed din-Rümi, die in-
dischen Mystiker Mänikka-Väcagar,Yämuna Muni, Tulsi Das und Nänak
sind jene außerchristlichen Persönlichkeiten, die wir als große Beter
den israelitischen und christlichen Genien an die Seite stellen können.
IhreGebetsdokumente kommen jedoch neben den ungleich reicheren Zeug-
nissen der abendländischen Persönlichkeiten nur als Parallelen in Betracht.
Der Formenreichtum, der sich im christlichen Gebetsleben enthüllt,
beruht einmal darauf, daß die alt- und neutestamentliche Religion
eine Persönlichkeitsreligion ist, die eine freie Entfaltung des Affekt-,
Willens- und Wertlebens ermöglicht, (während die negativen Erlösungs-
religionen in Indien das Heil in einem affektlosen Seelenzustand suchen),
andererseits darauf, daß durch die Verbindung des biblischen Christen-
tums mit der hellenistischen Mystik eine Fülle von Kombinations-
möglichkeiten gegeben war. Die Geschichte der christlichen Gebets-
frömmigkeit ist der kraftvollste Beweis für die Einzigartigkeit und ,Ab-
solutheit' des Christentums unter den Religionen der Erde. Wer das
christliche Beten mit dem außerchristlichen vergleicht, wird genötigt
mit Adolf Harnack zu urteilen: „Das Christentum ist nicht eine Re-
ligion neben anderen, sondern d i e Religion." „Wer diese Religion
nicht kennt, kennt keine, und wer sie samt ihrer Geschichte kennt,
kennt alle." 92
Das Christentum als Religion des Gebets 237.
Aus der wimmelnden Menge der individuellen christlichen Beter
ragen die wenigen Größten hervor, die, welche die eigentlichen Schöpfer
des christlichen Gebetslebens sind, und diejenigen, die, auf ihren Schul-
tern stehend und ihre Frömmigkeit schöpferisch fortbildend oder er-
neuernd, das Gebetsleben der Folgezeit am nachhaltigsten beeinflußt
haben. Die letzten Wurzeln des christlichen Betens liegen in dem
prophetischen Mittlertum des Mose zwischen Israel und
Jahwe. Er ist der große Beter, der für sein Volk bei Jahwe eintritt 93;
keiner seiner Volksgenossen stand mit Jahwe in so unmittelbarem
Verkehr wie er. Er „schaut Jahwes Gestalt", „Jahwe verkehrt mit
ihm von Angesicht zu Angesicht", „er redet mit ihm von Mund zu.
Mund". 94 Der ungeheure dramatische Realismus, der dem Gebets-
verkehr der großen christlichen Persönlichkeiten eigen ist, ist die Schöp-
fung des Mose. Das Gebetsleben der älteren Fuhrer und Propheten
Israels, eines Josue, Samuel, Elias und Arnos bewegt sich in den Formen
des mosaischen Mittlertums: sie stehen zu Jahwe „in einem unmittel-
baren Verhältnis, aber nicht zu ihrem eigenen Besten, sondern zum
Besten der Gesamtheit" ; 95 sie beten zu ihm für ihr Volk und im Namen
ihres Volkes 96.
In Jeremias wurde aus diesem prophetischen Mittlertum ein
persönliches Gebetsverhältnis; „durch ihn vollzog sich
der Übergang der Prophetie zu der Religion in dem Sinne, daß sie das
Mysterium der Verbindung zwischen Mensch und Gott im Individuum
bedeutet." 97 Mit Recht wurde darum Jeremias als „der erste Beter,
den die Religionsgeschichte kennt" (Cornill) 98, als der „Vater des
wahren Gebets" bezeichnet. Mit unvergleichlichen Worten hat Well-
hausen die Entstehung, Eigenart und Bedeutung seines Gebets-
lebens gekennzeichnet.
„Jeremias wurde durch den Mißerfolg seiner Prophetie über die Prophetie
hinausgeführt. Mochte der Inhalt der Worte Jahwes, die er zu verkünden hatte,
ihm Hohn und Verfolgung zuziehen — die Tatsache, daß Jahwe zu ihm sprach,
hielt ihn aufrecht und erquickte ihn. Daß er um seinetwegen litt, war ihm Trost ;
von den Menschen abgewiesen, flüchtete er sich zurück zu ihm, der ihn zu seinem
Boten erwählt und dadurch den Zugang zu sich eröffnet hatte. Seine verschmähte
Prophetie ward ihm die Brücke zu einem inneren Verkehr mit der Gottheit;
aus seinem Mittlertum zwischen Jahwe und Israel entstand, da Israel davon
nichts wissen wollte, ein religiöses Privatverhältnis zwischen
seiner Person und Jahwe, das nicht auf enthusiastische Augenblicke beschränkt
blieb, in dem nicht bloß Jahwe sich durch ihn dem Volk offenbarte, in dem er
vielmehr selber, in all seiner Menschlichkeit, sich vor Jahwe ausschüttete. Diese
Zwiesprache, in der sich seine Seele löste, Ward sein menschliches Bedürfnis,
das Brot, von dem er zehrte. Unter Schmerzen und Wehen entstand ihm die
Gewißheit seiner persönlichen Gemeinschaft mit der Gottheit; das tiefste Wesen
der Frömmigkeit wurde bei ihm entbunden. Das bewegte Leben, welches er
lebte, machte er nun freilich nicht zum Gegenstand seiner Lehre; er verkündete
nur schroff und drohend, wie die übrigen Propheten, das göttliche Gesetz. Aber
als ob er doch die Bedeutung der Vorgänge in seinem Innern geahnt hätte, zeich-
nete er einzelne davon auf. Sein Buch enthält nicht bloß Reden und Weissagungen,
sondern mitunter auch Konfessionen über seine Leiden und Anfechtungen und
über seine verzweifelten Kämpfe, in denen er sich zwar keineswegs zur Ruhe
und Seligkeit durchrang, wohl aber zum Bewußtsein des Sieges in der Nieder-
lage. Daran hat die Folgezeit sich erbaut. Seine Erfahrung zeugte fort und
wiederholte sich in den Erfahrungen der Frommen nach ihm. Was ihn bowegte
238 F I. Das Gebet der religiösen GeDien
und was ihn hielt, hat auch die edelsten Geister des Judentums bewegt und ge-
halten: das Leiden des Gerechten, das Wirken der Kraft in den Gebeugten
und Verachteten. Er ist der Vater des wahren Gebets, in dem die arme Seele
zugleich ihr untermenschliches Elend und ihre übermenschliche Zuversicht aus-
drückt, ihr Zagen und Zweifeln und ihr unerschütterliches Vertrauen. Die Psalmen
wären ohne Jeremias nicht gedichtet. An seine Sprache lehnt sich die Sprache
der Frömmigkeit an und manche Gleichnisse der geistlichen Poesie sind aus
den Schicksalen seines I^ebens gewählt." 9*
Die Psalmen des Alten Testaments sind in ihrem innersten Wesen
nichts anderes als das in die Gebetspoesie übertragene Gebetsleben des
Jeremia. Die tiefgebeugte jüdische Gemeinde des Exils und der nach-
exilischen Zeit schüttet in diesen Gebetsliedern ihr unsagbares Leiden
aus, aber ebenso ihr im zerstörbares Vertrauen; wie Jeremia, dessen
Prophetenbuch ihr Evangelium wurde, rang sie sich im Gebete aus der
Angst und Trostlosigkeit der Gegenwart zur sieghaften Zuversicht
und Zukunftshoffnung durch. Das tiefste aller Psalmworte: „Wenn ich
nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde. Wenn mir
gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist doch du, o Gott, allezeit
meines Herzens Trost und mein Teil" — Jeremias hat es als erster
erlebt, er hat diese Zuversicht für sich selbst und dann für alle Gottes-
kinder nach ihm erkämpft 10°. Diese hebräischen Psalmen tönen fort
durch alle christlichen Jahrhunderte ; das Psalmbuch wurde „das eigent-
liche Gebetbuch der Urkirche" ; 101 bis heute ist es das Gebetbuch aller
klösterlichen Gemeinden, die tagtäglich mit den Worten der israelitischen
Sänger den Ewigen preisen und anflehen ; und auch die evangelische
Frömmigkeit schöpft aus ihm innere Kraft und Zuversicht. Die einzig-
artige Bedeutung des israelitischen Psalters hat der geistvolle jüdische
Rabbiner Felix Perles mit beredter Sprache gepriesen.
„Fragen wir uns, worin die unvergängliche Schönheit der Psalmen besteht,
wieso sie noch heute wie vor Jahrtausenden unser Herz erbeben machen von
den Schauern der Andacht, warum ihr Klang noch heute nicht nur alle Synagogen,
sondern auch alle Dome der Christenheit durchbraust, wieso die reiche Poesie
der Völker nichts Besseres und Schöneres an ihre Stelle setzen konnte, so werden
wir antworten: nirgends ist der Glaube an die Kraft des Gebetes, an seine Er-
hörung durch einen gerechten Vater aller Menschen mit so unbezwinglicher Ge-
walt zum Ausdruck gelangt, niemals ist die Natur als Quelle der Gotteserkennt-
nis, als Predigt zum Lobe ihres Schöpfers klarer erkannt und erklärt worden als
in den Psalmen. Wohl haben die Griechen, Römer und modernen Völker ge-
waltige Schöpfungen auf verschiedenen Gebieten der Dichtkunst aufzuweisen,
aber keines ihrer Werke ist so in das Bewußtsein aller Nationen übergegangen,
ist in solchem Maße Gemeingut der Menschheit geworden, hat soviel zur sitt-
lichen und ästhetischen Erziehung des Menschengeschlechts beigetragen wie
das kleine Buch der Psalmen. Der Genius des jüdischen Volkes hat nicht nur
den stumpfen Sinn der Völker für die reine Erkenntnis Gottes erschlossen, er
hat auch ihre schwere Zunge gelöst und sie das Höchste, was sie fühlten und
dachten, in Worte zu kleiden gelehrt." 10*
Die Psalmdichtung des Exils und der Makkabäerzeit ist aber nur
die eine Auswirkung des jeremianischen Gebetsgeistes. Seine zweite
Frucht ist der Gebetsindividualismus, der in der Zeit nach der Ver-
bannung zum Gemeingut des jüdischen Volkes wurde. „Die spät-
jüdische Frömmigkeit hat das Gebet recht eigentlich für die wei-
teren Kreise vom Kult und Ritus abgelöst, sie hat das Gebet
zur Substanz des frommen Laienlebens gemacht, sie hat reiche Gebets-
Israels Psalmendichter — Jesus 239
formen geschaffen." 103 Diese spät jüdischen (Je bete haben auf das
Einzel- und Gemeindegebet des frühen Christentums einen nicht minder
bedeutsamen Einfluß ausgeübt als die älteren Psalmgesänge. Sogar
das heiligste Gebet der Christenheit, das Vaterunser^ zeigt eine enge
Verwandtschaft mit den spätjüdischen Gebeten. Ebenso ist das Beten
Muhammeds durchaus von jüdischem Frömmigkeitsgeiste erfüllt.
So hat denn „Israel seit den Tagen der Psalmisten Völker beten
gelehrt." 104 Dennoch wäre es unrichtig, wollte man mit dem Rabbiner
Perles, von dem dieser Satz stammt, im israelitisch-jüdischen Beten
bereits die höchste Form alles Betens erblicken und glauben, daß „die
schönsten christlichen Gebete, vom Vaterunser angefangen bis auf
die Kirchenlieder, nur ein Widerhall jüdischer Gebete sind." 105 Für
die Innerlichkeit des Gebets beginnt vielmehr mit Jesus eine neue
Zeit; ja man kann mit Söderblom 106 sogar sagen, daß „Innerlichkeit
in persönlichem Sinn eigentlich von ihm geschaffen ist". Die
Mystik, die doch die religiöse Innerlichkeit mit erstaunlicher Virtuosität
pflegt, kennt, solange sie konsequent bleibt, nur eine unpersönliche
Innerlichkeit. Die Innerlichkeit der großen israelitischen Beter bleibt,
so tief und kraftvoll sie auch ist, stets überpersönlich; das betende
Ich der alten Propheten und der Psalmdichter ist nie die religiöse
Persönlichkeit in ihrer individuellen Besonderung, sondern immer das
Gottesvolk, die heilige Gemeinde als Gesamtheit. Nur Jeremias, der
durch die Tragik seines Prophetenberufs einsam gewordene Beter,
macht eine Ausnahme. Jesu Gottesumgang ist ganz und gar persön-
licher Herzensaustausch mit dem Vater. Obgleich er durch die Schule
des Psalmbuches und die Prophetenschriften gegangen, überragt er
in seinem Beten die Propheten und die Psalmisten um Haupteslänge;
er ist der Vollender ihrer Gebetsfrömmigkeit, ,,der gewaltigste Beter
der Geschichte" (Wernle) 107. In seinem Beten bricht das Urphänomen
des Gebets, das Kindschaftsverhältnis zum Vatergott, in seiner höchsten
Reinheit und Kraft durch. Jeremias und die exilischen Psalmdichter
rangen sich in dem Jammer des Herzens zum unerschütterlichen Ver-
trauen auf Jahwe durch ; Jesu Gebet in der Stunde der Todesnot klingt
nicht nur in einem Worte der Zuversicht, sondern in einem Worte der
Ergebung aus. „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe!" Dieses
Gebet auf dem ölberg ist der Gipfelpunkt in der Geschichte des Ge-
bets, „das tiefste religiöse Wort, das je ausgesprochen wurde", hat es
ein moderner Philosoph (Harald Höffding) genannt 108. An diesem
und den anderen kurzen Gebetsrufen, die seine Jünger treu überliefert
haben, wie an seinen kurzen Mahnreden zur Innerlichkeit und Zuver-
sicht des Betens und an der Gebetsregel des Vaterunser hat sich das
Gebetsleben der großen christlichen Persönlichkeiten immer wieder
entzündet: der Apostel und Väter, der Mönche und Mystiker, der Re-
formatoren und Theologen. Sein Gebet in Gethsemane ist von Milli-
onen Menschenkindern nachgesprochen worden; durch das Vater-
unser sind unzählige Menschen zur Höhe seines Gebetslebens empor-
geführt worden; seine Gleichnisworte vom anhaltenden, stürmischen
Gebet haben eine unbändige Gebetaznversicht in den Herzen der großen
240 F I. Das Gebet der religiösen Genien
Frommen geweckt. Das Bekenntnis des vierten Evangelisten: „Aus
seiner Fülle haben wir alle geschöpft, Gnade um Gnade" (Jo 1 16) be-
wahrheitet sich nirgends so sehr wie im Beten der christlichen Frommen.
Die unermeßliche Fern Wirkung, die von Jesu Gebetsleben ausgeht, ist der
gewaltigste Beweis für die einzigartig-schöpferische Kraft seiner Persön-
lichkeit. Nur gottmenschlichen Tiefen konnte solch Gebet entquellen.
Jesu Beten ist genau wie seine frohe Botschaft vom gnädigen Vater-
gott und von der kommenden Gottesherrschaft ein schöpferisch Neues;
aber dieses Neue ist noch eingewoben in die alten Frömmigkeitsfor-
men und religiösen Vorstellungen des jüdischen Volkes. Seine Heraus-
lösung aus ihnen ist die Tat des Völkerapostels Paulus 109. Er war
es, der die nationalen Schranken des Evangeliums durchbrach und das
Christentum aus der an das jüdische Volk gerichteten Reichgottes-
verkündigung zur universalen Weltreligion machte; er war es auch,
der auf dem von Jesus gelegten Grundstein denv-Dom der christlichen
Gebetsfrömmigkeit aufrichtete. Er ist der Schöpfer des christlichen
Gemeindegebetes. Er hat zwar keineswegs der jungen Kirche fest-
stehende liturgische Gebetsformeln gegeben, aber er hat in Anlehnung
an die synagogale Gebetsterminologie der Juden eine kraft- und klang-
volle gottesdienstliche Gebetssprache geschaffen, welche die christ-
liche Kirche durch alle Jahrhunderte als kostbares Erbe bewahrt hat
(s. u. Kap. H: das gottesdienstliche Gemeindegebet). Paulus hat
ferner das Fürbittegebet in den zentralen Kreis des christlichen Ge-
betslebens gerückt. Er selbst, der große Missionar und Seelsorger,
war ein Virtuose des fürbittenden Betens: unaufhörlich fleht er für
das Heil und Wachstum seiner Gemeinden; unaufhörlich mahnt er
sie zum Gebet für sich und für die Brüder. Die wichtigste Bedeutung
des Völkerapostels für das christliche Beten liegt jedoch darin, daß
durch ihn aller Gottesumgang eine unmittelbare Beziehung auf Jesus
Christus erhielt. Weil Paulus keinen anderen Gott kennt als den in
Christus offenbaren, kennt er kein anderes Gebet als das Gebet an
den ,Vater unseres Herrn Jesus Christus', als das Gebet ,in' und ,durch'
Christus. Und dieses Gebet ,unter Anrufung des Namens Jesu' (Kol. 3 16)
erhebt sich von selbst zur direkten Gebetsanrede Jesu. Gerade für
das individuelle christliche Gebetsleben hat Paulus besondere Be-
deutung dadurch gewonnen, daß er zum erhöhten Herrn Jesus in ein
inniges, persönliches Gebetsverhältnis trat. Schon in der palästinischen
Urgemeinde hatte man zu dem zur Rechten des Vaters thronenden
Herrn kurze Gebetsseufzer („Komm, Herr Jesu!")110 emporgesandt,
die sehr frühe in die gottesdienstliche Liturgie eindrangen. Aber das
menschliche Bild Jesu war der Erinnerung der Ur jünger zu tief ein-
gegraben, als daß sie mit dem Auferstandenen denselben Gebetsver-
kehr pflegen hätten können wie mit dem ewigen Vater im Himmel.
Paulus hingegen, der nicht zu den Ur Jüngern Jesu gehörte, dem erst
der verherrlichte Christus auf dem Wege nach Damaskus erschienen
war, wollte den Jesus „nach dem Fleische" d. h. den menschlich-ge-
schichtlichen Jesus „nicht mehr kennen", sondern nur den zur Herr-
lichkeit des Vaters erhobenen Gottessohn {2 Kor. 516); sein ganzes
Die Geschichte des individuellen GebeMehens (Paulus) 241
Denken, Wollen und Fühlen war von der Liebe zum himmlischen Herrn
und Heiland so sehr durchdrungen, daß er bekannte: „Nicht mehr ich
lebe, sondern Christus lebt in mir" (Gal. 2 22); sein ganzes Sehnen und
Verlangen richtete sich darauf „aufgelöst zu werden und mit Christus
zu sein" (Phil. 1 23). Diese enthusiastische Christusliebe und Christus-
ergriffenheit mußte sich notwendig in der persönlichen Gebetsgemein-
schaft mit Christus ausströmen ; Paulus stand mit dem erhöhten Ky-
rios Christos in ständigem, trautem Gebetsumgang (2 Kor. 12 x ff.).
Doch ist dieser Gebetsverkehr ausschließlich ein religiöses Privat-
verhältnis des Apostels zum Herrn m. Die feierlichen Gebete, die
von der Gemeinde bei der Eucharistiefeier gesprochen wurden, richteten
sich — von den formelhaften Responsorien des Maranatha oder Kyrie
eleison abgesehen — in der Urkirche wie im alten Christentum nicht
unmittelbar an Christus, sondern durch ihn und in seinem Namen an
Gott den Vater 112. Wenn Origenes das Gebet ,im Namen Jesu' for-
dert und die direkte Gebetsanrede an Jesus ablehnt 113, wenn Augu-
stinus nur ein Gebet an Gott durch Christus, nicht an Christus selbst
kennt 114, so sind sie hierin von der uralten liturgischen Tradition be-
stimmt. Die christliche Volksfrömmigkeit hingegen übte die unmittel-
bare Gebetsanrufung Christi seit den ältesten Zeiten ; diese populäre
Gewohnheit drang zuerst in die gottesdienstlichen Responsorien und
in die Hymnendichtung ein, viel später auch in das eigentliche litur-
gische Gebet. In der persönlichen Frömmigkeit des Abendlandes
erlangt der Gebetsverkehr mit Christus erst vom Frühmittelalter an
eine beherrschende Stelle. Es war zweifellos eine Berührung mit dem
paulinischen Geiste, die Anselm und vor allem Bernhard von Clairvaux
in trauten Gebetsumgang mit dem Herrn Jesus führte. Paulus ist
somit der Schöpfer der Christusmystik 115, d. h. des persönlichen Ge-
betsverhältnisses zum himmlischen Christus als dem Herrn und Heiland
der Einzelseele. Obgleich dieser Einfluß des Völkerapostels auf
das christliche Gebetsleben erst nach Jahrhunderten sich geltend
machte, so ist diese Bedeutung für die Geschichte des individuellen
christlichen Gebets keine geringe. Durch Bernhard hat Paulus die
Gebetsweise der ganzen mittelalterlichen und neueren Mystik wirksam
beeinflußt.
Fast noch tiefer als Paulus hat Augustinus das christliche
Beten bestimmt. Nach Jesus und Paulus hat keine Persönlichkeit
eine so nachhaltige Wirkung auf die christliche Frömmigkeit ausgeübt
wie dieser größte aller Kirchenväter. Sein religiöses Erleben und Denken
stellt die grandioseste Verbindung von hellenistischer Unendlichkeits-
mystik und biblisch-prophetischer Offenbarungsreligion dar. Sein
Beten vereint die tiefste Beschaulichkeit mit der lebendigsten Willens-
kraft, die Gewalt und Leidenschaft der biblischen Psalmen mit der
Reinheit und Tiefe neuplatonischer Versenkung, den aus der Tiefe
des Schuldgefühls sich emporringenden Gnaden- und Vergebungs-
glauben des Apostels Paulus mit dem himmelwärts eilenden mystischen
Eros Piatos und Plotins, die starke und unzerstörbare Zuversicht auf
den wirksamen und lebendigen Gotteswillen der Bibel mit der wonne-
Da.s Gebot 16
242 F I. Das Gebet der religiösen Genien
vollen Kontemplation des ruhenden summum bonum der Neuplatoniker,
es ist beides: Aussprache der tiefen Herzensnot und Herzensseligkeit
wie Erhebung des Geistes zum höchsten Gut, demütiges Flehen zu
Gott ,aus der Tiefe' und Erleben der Wesenseinheit mit Gott im eigenen
Innern 116. In dieser eigenartigen Verschmelzung der beiden gegen-
sätzlichen Frömmigkeitstypen hat jedoch die neuplatonische Mystik
den Vorrang ; denn das Endziel alles Betens ist für Augustinus die
Rückkehr zum unendlichen Einen, die Wesenseinigung mit dem ,höchsten
Gut'. „Den spezifisch christlichen Ideen ist weder im Denken noch
Empfinden Augustins der erste Platz zugewiesen." „Der genuine
Augustin ist der Neuplatoniker Augustin" (Scheel) 117. Dieser my-
stische Gebetsgeist des Bischofs von Hippo lebt fort durch die kommenden
christlichen Jahrhunderte. Wie die grübelnde Dogmatik so zehrt die
schlichte Herzensfrömmigkeit des ganzen Mittelalters von dem Gei-
steserbe Augustins. Anselm von Canterbury und Thomas von Aquin,
Franz von Assisi und Gertrud von Helftä, Bonaventura und Thomas
von Kempen sind ihrer kontemplativen Gebetsfrömmigkeit ganz von
der augustinischen Mystik abhängig. Aber sein Einfluß reicht weit
über die Grenzen der katholischen Kirche hinaus, bis tief in die evan-
gelische Frömmigkeit hinein. „Die religiöse Sprache, die wir sprechen,
die uns vertraut ist aus den Liedern, Gebeten und Erbauungsbüchern,
trägt den Stempel seines Geistes. Wir reden, ohne es zu wissen, noch
mit seinen Worten, und die tiefsten Empfindungen auszusprechen,
der Dialektik des Herzens Worte zu verleihen, hat er zuerst gelehrt"
(Adolf Harnack) 118.
Die mittelalterliche Gebetsfrömmigkeit ist augustinisch ; aber ihre bei-
den Komponenten : die biblisch-paulinische Vergebungsbitte und der my-
stisch-neuplatonische Flug zum höchsten Licht, verteilen sich auf die
beiden Hauptperioden der mittelalterlichen Religiosität. In der ersten
Hälfte des Mittelalters beherrscht eine schwere, herbe Bußstimmung
das ganze religiöse Leben, das Schuldbewußtsein zerwühlt die Tiefen
der Seele; der sündige Mensch erschauert vor der furchtbaren Macht
des großen Gottes, er erzittert vor der Majestät des ewigen Richters,
er bebt und bangt vor der Stunde des Todes. In seiner Angst und Furcht
fleht er um Gnade und Erbarmen, um Vergebung und Nachlaß der
Sünden, um Schutz und Hilfe wider die Anfechtungen Satans und um
eine selige Sterbestunde. Jesu Sühnetat am Kreuz und die Verdienste
der Heiligen sind die Stütze seiner Zuversicht 119. Das schauervoll-pom-
pöse Dies irae des Thomas von Celano ist der beredteste Ausdruck dieser
das Frühmittelalter durchzitternden Gebetsstimmung. In der zweiten
Hälfte des Mittelalters lebt ein anderer Gebetsgeist: der Geist des
neuplatonischen Augustinus. Das ernste Thema: Schuld — Gnade,
Sünde — Vergebung verklingt zwar nie; aber es wird übertönt von der
mystischen Sehnsucht nach seligem Einswerden mit dem unendlichen
Gott. „Die vollendete Liebe treibt die Furcht aus" (1 Jo 4 18). Die
ersten Spuren dieser mystischen Gottesliebe und Gottesschau finden
sich in den Gebeten des Anselm von Canterbury ; aber den Wendepunkt
vom Bußernst zur Liebesinnigkeit bildet Bernhard von Clairvaux,
Die Geschichte des individuellen Gebetslebens 243
bei dem die paulinische Christusmystik sich mit der neuplatonischen
augustinisch-areopagitischen Unendlichkeitsmystik vermählt. Er ist
der Vater der christlichen Passions- und Brautmystik. In der Frömmig-
keit vor ihm finden sich nur Ansätze des mystischen Passions- und
Brautmotivs. Bei Bernhard wird das paulinische ,Nachahmen' des
Leidens und Sterbens Christi zur wehmutstiefen und mitleidsschweren
Versenkung in das Schmerzensbild des Gekreuzigten. Der paulinische
Gebetsverkehr mit dem erhöhten Herrn wird zum zärtlich schwel-
genden Liebesverkehr mit dem himmlischen Bräutigam, der dem
, Hohen Lied' seine phantasievollen Bilder und anschaulichen Sym-
bole entlehnt. Das mystische Leben in der Verborgenheit der katho-
lischen Klöster nährt sich von der bernhardinischen Heilandsmystik
ebenso wie die schwärmerische Jesusliebe des evangelischen Pietismus.
Neben Bernhard von Clairvaux haben zwei einsame Nonnen des
dreizehnten Jahrhunderts das mystische Gebetsleben der Folgezeit
wirksam beeinflußt. Die Begine Mechthild von Magdeburg hat
der bräutlichen Liebe zum Heiland-Christus noch innigeren und kraft-
volleren Ausdruck gegeben als der große Cisterzienserabt. Von ihren
tiefen Gedanken ist die Äbtissin Gertrud von Helftä bestimmt.
Ihre Gebetssprache bleibt zwar an religiöser Frische und künstlerischer
Originalität hinter der Dichtersprache der Mechthild zurück, aber sie
wurde zur Normalsprache der betenden Mystiker in den kommenden
Jahrhunderten .
Eine nachhaltige Wirkung auf das mittelalterliche Beten ging von
dem liebenswürdigsten aller katholischen Heiligen aus, von Franzis-
kus. Im ,Poverello' von Assisi, dessen ganzes Streben darauf ge-
richtet war, das arme und demütige Leben seines Herrn und Meisters
nachzuahmen, erwacht etwas von der kindlich-frohen Zuversicht, die
im Beten Jesu lebte ; aber im tiefsten Grunde ist sein reines und inniges
Gebetsleben nicht evangelisch, sondern mystisch. Freilich ist diese
Mystik des heiligen Franz nicht reflektierende Mystik wie die neu-
platonische, sie entbehrt aller herben Weltfeindlichkeit, die der Fröm-
migkeit der meisten ' abendländischen und morgenländischen Mystiker
anhaftet. Seine Mystik ist vielmehr kindliche Begeisterung, naiver
Enthusiasmus, der sich beim Anblick einer jeden Kreatur neu ent-
zündet und der sich entlädt in einem steten entzückten Anbeten, ju-
belnden Lobpreisen und frohen Danksagen. ,,Er hörte nicht auf",
sagt sein Biograph, ,,in allen Elementen und Geschöpfen den Schöpfer
und Lenker des Alls zu loben und zu preisen." 12° Der Sonnengesang
ist der unvergängliche Ausdruck dieses enthusiastischen Gebetsgeistes.
Mit dieser Naturfreude und Gottbegeisterung verbindet aber Franz
eine glühende mystisch-ekstatische Jesusliebe, welche der bernhar-
dinischen Jesusmystik und der Christusminne der heiligen Nonnen
an Innigkeit und Kraft nicht nachsteht. Die wunderbare Stigmati-
sation in der Grotte des Alvernergebirges ist nur die körperliche Aus-
strahlung der mystischen Einigung mit Christus, -in der sein Gebets-
umgang mit dem Heiland gipfelt. Durch seine große Ordensfamilie
244 F I, Das Gebet der religiösen Genien
wurde seine gebetsfrohe Gottes- und Jesusliebe zum Gemeinbesitz
von vielen.
Im Gegensatz zu diesem gefühlswarmen mystischen Gebetsideal
eines Bernhard und Franz verkünden Meister Eckhart und Tau-
ler das Ideal des schweigenden mystischen Herzensgebetes, dem
alle religiöse Leidenschaft und Sehnsuchtsglut fremd ist. In S e u s e s
Beten hingegen lebt die kindlich-liebesinnige Freudigkeit des Armen
von Assisi wie der bräutliche Liebesdrang des Bernhard von Clairvaux
auf. In der Frömmigkeit des Thomas von Kempen, des Ver-
fassers der einzigartigen ,Imitatio Christi' vereinen sich die verschie-
denen Gebetsklänge der großen mittelalterlichen Frommen zu wunder-
voller Harmonie. Dieses unscheinbare Erbauungsbüchlein hat den
augustinisch-bernhardinisch-franziskanischen Gebetsgeist in den wei-
testen Kreisen, selbst außerhalb des Katholizismus eingebürgert. Eine
einzigartige Bedeutung für die nachreformatorische Mystik in der
katholischen Kirche kommt der spanischen Karmeliterin T e r e s a di
Jesu zu. Sie ist wohl die größte Mystikerin der Religionsgeschichte.
Keine mittelalterliche Heilige und Mystikerin kommt ihr an Seelen-
tiefe gleich; denn bei ihr war nach einem Worte Edvard Lehmanns
„das Mystische nicht nur treibende Kraft, sondern persönliche Geni-
alität. Und eben in dieser inneren Schöpferkraft beruht Teresas Größe.
Sie begnügt sich nicht, wie die deutschen Nonnen, fühlend zu ver-
wirklichen, was Männer ihrer Zeit denkend geschaffen. Nein, die von
Männern gedachten Gedanken erhalten erst, indem sie dieses weibliche
Gehirn passieren, Perspektive und lebendigen Ausdruck. Sie redet
viel von Gartenbewässern: sie selbst hat den Garten der Mystik reich
bewässert, alles, was in den Systemen der Männer trocken und hölzern
war, grünt und blüht unter ihrem Einfluß." m Das Ideal des ,inneren
Gebets', des , Gebets des Herzens', das sie pries, beherrscht das ganze
katholische Frömmigkeitsleben des 17. Jahrhunderts. Sie ist auch
die Schöpferin jener psychologisierenden Richtung der Mystik, welche
die Beobachtung, Beschreibung und Analyse der mystischen Erleb-
nisse und Zustände bis zur Virtuosität ausbildete. Sie hat jene einzig-
artige Stufenleiter des mystischen Gebets geschaffen, die von der ernsten
Betrachtung der großen Heilswahrheiten emporführt bis zur wonnigen
Gottberauschtheit der Ekstase. Das mystische Beten wird in Teresa
zur hohen Gebetskunst. Darin aber liegt ihre geniale Größe, daß bei
ihr durch die kunstgerechte Gebetsübung und die eindringende religiöse
Seelenforschung die Lebendigkeit und Ursprünglichkeit des mystischen
Gebetslebens nicht geschwächt oder getrübt wird. Alle die großen
mystischen Beter und Gebetslehrer des 16. und 17. Jahrhunderts,
Johann vom Kreuz und Franz von Sales, Fenelon und Tersteegen,
Madame Ghantal und Madame de la Mothe Guyon haben von dieser
spanischen Ordensfrau gelernt.
Den Gegenpol zur mystischen Gebetskunst Teresas bildet Luthers
kraftvoll-gesunde und freudig-herzliche Gebetsfrömmigkeit; sie be-
deutet den tiefsten Einschnitt in der gesamten Geschichte des christ-
lichen Gebets. Nach Jeremia, Jesus und Paulus ist wohl der deutsche
Die Geschichte des individuellen Gebetslebens 245
Reformator der gewaltigste unter den überragenden Gebetsgenien.
Die Loslösung von der dem Neuplatonismus entstammenden mittel-
alterlichen Mystik und die ausschließliche Orientierung an der bib-
lischen Religion bedingte eine schöpferische Erneuerung des prophetisch-
urchristlichen Gebetstyps. Luthers Beten ist nicht kontemplative Ver-
senkung in Gott als das unendliche Eine und ,höchste Gut', sondern
affektive Aussprache der tiefen Herzens- und Gewissensnot, die in der
frohen Aussprache der Zuversicht und Ergebung ausklingt. Die zen-
trale urchristliche Bitte um das Kommen des Gottesreiches ertönt aus
Luthers Mund in ihrem mächtigen Urklang. Der naive realistische
Glaube an die gottbezwingende Macht des anhaltenden Bittgebets
wird von keinem der großen christlichen Frommen so lebendig und kraft-
voll verkündet wie von Luther im Anschluß an Jesu Gleichnisse. Lu-
thers Gebetsleben wurzelt ganz im Beten der biblischen Persönlich-
keiten ; er ist nicht wie Augustin und Bernhard Schöpfer einer originalen
Gebetsweise; sein Beten ist der Widerhall jener Gebete, die von den
Lippen Jeremias und der Psalmsänger, Jesu und Pauli kamen, sein
Gebetsideal ist das Abbild des biblischen Urbildes. Luther hat mit
einer Sicherheit und Kühnheit, wie sie nur einem einzigartigen reli-
giösen Genius möglich ist, das neuplatonische Element, welches in das
christliche Gebetsleben eingedrungen war, entfernt und so den pro-
phetischen Gebetstyp in seiner religiösen Reinheit wiederhergestellt.
Und doch war diese Wiederherstellung keine mechanische Repristi-
nation und bloße Nachahmung, sondern eine schöpferische und origi-
nale Erneuerung. Das ist das Wunderbare in Luthers Frömmigkeit,
daß er, der durch die Schule der mittelalterlichen Mystik gegangen
war 122, ihr Kostbarstes und Wertvollstes : den grandiosen Individualis-
mus wie die herzliche Gottinnigkeit und die zarte Christusminne, in
sein Gebetsleben aufnahm, daß er die schlichte und kraftvolle prophetisch-
biblische Gebetsfrömmigkeit mit einem mystischen Element bereicherte,
ohne ihre Reinheit dadurch zu trüben oder zu entstellen. Luthers
Gebet ist echtes prophetisches Gebet, aber zeigt einen deutlichen my-
stischen Einschlag, der in seiner reformatorischen Frühzeit (bis 1525)
stärker ist als später, der aber nie ganz verschwindet 123.
Luthers Gebetsideal übte auf das Gebetsleben seiner Zeit eine ganz
erstaunliche Wirkung aus. Nicht nur die Gebetsan Weisungen der geistes-
verwandten Reformatoren, eines Melanchthon, Zwingli und Calvin,
sondern vor allem auch die Gebets- und Erbauungsbücher der ersten
Jahrzehnte des Reformations Jahrhunderts sind von der biblischen
Normierung des Gebets, wie sie durch Luther erfolgt war, bestimmt.
Ein tiefer Einfluß auf die Gebetsfrömmigkeit der reformierten Kirchen
ging von Calvins Persönlichkeit aus. Seine Gemeindegebete zeigen
zwar durchgehend eine Abhängigkeit von Luther, seine Gebetsan-
weisung in der Institutio Religionis Christianae stimmt mit der Luther-
schen bis in die Formulierung überein. Und doch hebt sich Calvins
Gebetsgeist in seiner schöpferischen, individuellen Eigenart deutlich
von Luthers Gebetsgeist ab. Aus Luthers Beten redet kindliche Ein-
falt und Herzlichkeit, in Calvins Beten offenbart sich männlicher Ernst
246 F I. Das Gebet der religiösen Genien
und herber Bußgeist; aus Luthers Beten strömt frohe religiöse Zuver-
sicht und Gottergebenheit, aus Calvins Beten opfermutige, welter-
neuernde, sittliche Tatkraft; in Luthers Beten entlädt sich ungehemmt
der tiefe Drang und die heiße Leidenschaft des Herzens; in Calvins
Beten ist die Glut des religiösen Affekts gedämpft durch den ehrfürch-
tigen Gedanken an Gottes unnahbare heilige Majestät. Luthers Beten
ist naive Aussprache der Herzens- und Gewissensnot und inbrünstiges
Flehen um Trost, Hilfe und Gnade; Calvins Beten umkreist stets das
grandiose Heilsziel : Gottes Ehre. „Wir flehen zu Gottes Ehre" (in
gloriam Dei petimus). „Wir erflehen zuerst, was allein seiner Ehre
dient, dann erst was auch unserem Wohle frommt." 124 Dieser reine
und starke Gebetsgeist Calvins, der an Großartigkeit Luthers kindliche
Gebetsfrömmigkeit überragt, aber an Gottinnigkeit weit unter ihr
bleibt, lebt wieder auf in dem englischen Baptisten prediger John B u n-
y a n , Englands größtem religiösen Genius, und in dem einsamen
frommen Grübler Blaise Pascal, der all die Zweifel des Verstandes
durch den irrationalen Trotz seines starken Gottesglaubens niederrang.
Luthers und Calvins Einfluß auf das evangelische Frömmigkeits-
leben wurde schon sehr bald durch die einströmende mittelalterlich-
katholische Mystik zurückgedrängt. Um 1550 begann die mystische
Gebetsweise aus der katholischen Gebetsliteratur ihren Einzug in
die lutherischen Erbauungsschriften, am Ende des 16. Jahrhunderts
hat sie bereits die unbestrittene Vorherrschaft in allen deutschen evan-
gelischen Gebetbüchern 125. Ihren Höhepunkt erreichte die Verbindung
der katholischen Bern hardinisch-Tauler 'sehen Mystik mit dem melanch-
thonisch gestimmten Luthertum in Johann Arndt. Das Luther'sche
Flehen um Gottes Gnade verschmilzt mit der mystischen Sehnsucht nach
wonniger Gotteinigung im Seelengrunde. Wie bei allen großen From-
men des Mittelalters hat aber in dieser Synthese von mystischem und
biblischem Gebet das mystische Element das Übergewicht; auch sind
die spezifisch evangelischen Momente stets mystisch verfärbt und
verändert 126. Die Einwirkung der Arndt'schen Mystik auf die lu-
therische Gebetsfrömmigkeit reicht bis zur Periode des Rationalismus,
welcher allen mystischen Tendenzen den Boden entzog. Die im 19.
Jahrhundert einsetzende Erweckungsbewegung brachte mit der Wieder-
belebung des lutherischen Frömmigkeitsgeistes auch eine erneute Wert-
schätzung evangelischer Mystik im Sinne Arndts. Für die reformierte
Gebetsfrömmigkeit gewann Gerhard Tersteegen eine besondere
Bedeutung, dessen Finfluß bis ins Luthertum hinein sich erstreckte.
Er ist der hervorragendste Mystiker auf evangelischem Boden, ja einer
der größten mystischen Beter und Sänger überhaupt. Seine Gebets-
lieder, von denen manche bis heute in den evangelischen Gemeinde-
gottesdiensten ertönen, offenbaren eine unsagbare Gottinnigkeit, eine
weiche Zartheit des Gemüts und stille Ruhe des Herzens. Das ehr-
fürchtige Erbeben und Verstummen der Seele vor der geheimnisvollen
Nähe Gottes, das schweigende Kontemplieren und wortlose Anbeten
des in den Tiefen der Seele gegenwärtigen Unendlichen ist selten in
so schlichten und doch so beredten Dichterworten besungen worden
Die Geschichte des individuellen Gebetslebens 247
wie von diesem gottbegnadeten Handwerker. Taulers tiefe und ruhe-
volle Unendlichkeitsmystik bildet den Grundton seiner eigenartigen
Frömmigkeit; aber all die verschiedenen Motive christlicher Mystik:
mitleidstiefe Passionsbetrachtung, bräutliche Jesusminne, innige Sehn-
sucht nach dem sakramentalen Heiland, quietistische Gelassenheit,
dazu Luthers herzliche Zuversicht zu Gottes schenkender und ver-
zeihender Gnade, klingen mit und formen zusammen mit jenem Grund-
ton einen religiösen Akkord von wundersamer Feierlichkeit und Har-
monie. Wie Thomas von Kempen in seinem Betrachtungsbüchlein
so hat Tersteegen in seinen Liedern die mannigfachen Formen des
mystischen Gebets zu einer Einheit verbunden.
Die individuelle Gebetsfrömmigkeit des christlichen Morgenlandes
bleibt an Reichtum, Mannigfaltigkeit und Ausdehnung hinter der
des Abendlandes zurück; sie beschränkt sich auf die weltabgeschiedenen
Anachoreten- und Mönchskreise. Aus der Schar einsamer kontem-
plativer Seelen ragen drei große Beter hervor, die einen bestimmenden
Einfluß auf das Gebetsleben der Mit- und Nachwelt ausgeübt haben.
Makarius der Ältere, der als erster das ruhevolle innere Gebet
als Ideal des Betens verkündet hat, N i 1 u s Sinaita, der den gott-
suchenden Anachoreten der Wüste eine mystische Gebetsanleitung
gegeben hat, und endlich S y m e o n der Neue Theologe, der klassische
Vertreter der byzantinischen Mystik. Im Gegensatz zu der Einförmigkeit
die dem mystischen Gebetsleben im Mönchtum der Ostkirche anhaftet,
enthüllen Symeons klangvolle Gebetslieder einen erstaunlichen Reich-
tum religiöser Innerlichkeit: herbe Weltverachtung und Lebensver-
neinung neben entzückter Gottbegeisterung, glühende, leidenschaft-
liche Gottsehnsucht neben zarter und ruhevoller Gottinnigkeit, stau-
nende Kontemplation des unendlichen göttlichen Lichtes und demuts-
volle Hingabe an den Gnade und Erlösung schenkenden Heiland-
Christus, geistiges Liebesverlangen nach der Lebens- und Wertfülle
des ewigen Gottes neben inniger Versenkung in das eucharistische
Mysterium, in dem der räum- und zeitlose unsinnliche Gott sich in
unscheinbarer sinnlicher Hülle dem Frommen naht. In der harmonischen
Verschmelzung dieser verschiedenartigen mystischen Stimmungen und
Ideen liegt der eigenartige Zauber, der von Symeons l'QOjTsg %(bv d-eiojv
vfivoiv ausstrahlt.
Aus dem unübersehbaren Chor christlicher Beter und Beterinnen
erklingen kraftvoll und rein die hellen Stimmen dieser großen und
größten Frommen heraus. Sie sind die Vorbeter und Vorsänger, denen
die anderen Frommen nachgebetet und nachgesungen haben, sie sind
die Lehrer und Führer, welche den anderen den Gebetspfad zu Gott
zeigten und sie unterwiesen in der geheimnisvollen Gebetszwiesprache
mit dem Ewigen. Wer auf ihre Gebetsmahnung achtet und ihrer Ge-
betsweisung folgt, wer auf ihre Gebetsworte ehrfürchtig lauscht, wer
sie demütig und sehnsuchtsvoll nachspricht, dem wird sich wie ihnen
das unergründliche Geheimnis des Göttlichen erschließen, dem wird
sich wie ihnen der Unendliche in seiner Kraft und Herrlichkeit offen-
baren.
248 F II. Mystik und prophetische Frömmigkeit
II. Allgemeine Charakteristik der beiden Haupt-
typen der persönlichen Frömmigkeit. Mystik
und prophetische Frömmigkeit.
In der individuellen Frömmigkeit der großen religiösen Geister treten
mit deutlicher Schärfe zwei Haupttypen hervor. Die religionspsycho-
logische und religionsphilosophische Forschung hat die beiden Typen
erkannt, jedoch nicht ganz richtig charakterisiert.
James stellt unter dem Gesichtspunkt des religiösen Lebensgrundgefühls
der ,,religion of healthy mindedness" die Frömmigkeit der ,,sick soul" gegenüber;
will man diese Termini mit landläufigen Schlagworten wiedergeben, so wird
man von einer heileren optimistischen und einer düsteren pessimistischen Grund-
färbung der Frömmigkeit reden. * Von einem anderen Gesichtspunkt aus unter-
scheidet James die Religion der , Einmalgeborenen' von der der , Zweimalge-
borenen'; bei jenem entwickelt sich die Frömmigkeit harmonisch und gerad-
linig, bei diesen ist sie von einem einschneidenden Bekehrungserlebnis, einer
, Wiedergeburt' bestimmt 2. Höffding spricht von einem , disharmonischen'
und einem .expansiven' Frömmigkeitstyp, einem , aktiven' und , passiven' Typ,
einem ,Kontinuitätstyp' und einem , affektiven' Typ, einem idiopathischen'
und , sympathischen' Typ3. Eucken unterscheidet zwischen universeller
Religion, d. h. dem Glauben an eine höchste, geistige Wirklichkeit, an den Sinn
und Wert des Lebens, und charakteristischer' Religion, d. h. einem verborgenen,
individuellen Fiömmigkeitsleben' 4.
Die religionswissenschaftliche Typisierung wird sich besser an den
von der vergleichenden Religionsgeschichte herausgestellten Entwick-
lungslinien orientieren (s. o. S. 233 f.). Nathan Söderblom der zuerst
diese beiden Hauptrichtungen der individuellen Religion klar und
scharf unterschieden hat, charakterisiert sie als ,persönlichkeitsver-
neinede' und ,persönlichkeitsbejahende' Mystik, ,Unendlichkeits'- und
,Persönlichkeitsmystik' , Gefühlsmystik' und ,Willens- oder Beruf ungs-
mystik', ,akosmische Erlösungsreligion' und prophetische Religion' oder
, Offenbarungsreligion' 5. (Der Terminus , Offenbarungsreligion' be-
deutet hier keine metaphysisch-religiöse Wertung, sondern eine histo-
risch-psychologische Charakteristik.) Ähnlich unterscheidet Reinhold
S e e b e r g zwischen einer ,spekulativ-kontemplierenden' und einer
,voluntaristischen' Mystik 6. Das Wort ,Mystik' wird hier im weiteren
Sinne gefaßt als der im Innersten der Seele sich abspielende Gottes-
umgang, als „eine Gewißheit, welche nicht den gewöhnlichen Weg durch
die Sinne und die Reflexion passiert hat." 7 Diese weite, die gesamte
höhere Frömmigkeit umfassende Verwendung des Begriffes ,Mystik'
empfiehlt sich aber deshalb nicht, weil sie zu verschiedenartige Phäno-
mene umspannt, sodann deshalb, weil sie der Etymologie und dem
älteren Sprachgebrauch des Wortes widerspricht.
Mystik leitet sich her von dem griechischen Wort fivelv, , verschließen', das
auch das Stammwort des bekannten Terminus fivairiQioy , Geheimlehre', , Ge-
heimkult' bildet. 8 Weil die Teilnehmer religiöser Geheimbünde, wie der eleu-
sinischen Mysterien, strengstes Stillschweigen bewahren mußten, weil sie den
Mund verschließen,' mußten, nannte man diese Riten und Lehren Mysterien.
Wie die Riten der Mysteriengenossenschaften, so sind auch die Erfahrungen
der Mystik ein verborgenes Geheimnis, das der Fromme vor der Masse verschließt
und nur einem Gleichgesinnten und aufrichtig Suchenden enthüllt. Mystik
ist also jene Religiosität, welche den Mund , verschließt', welche ihr unaussprech-
liches Geheimnis vor profanen Augen und Ohren hütet. Die spätantike Reli-
Die Strukturunterschiede der beiden Haupttypen 249
giosität, vor allem die neuplatonische, gebraucht jedoch das Wort fxvelv noch
in einem andern Sinne 8b. Nicht allein den Mund sollten die Frommen ver-
schließen, sondern die Sinne überhaupt, und nicht nur dem ,profanum volgus'
der Nichteingeweihten sollten sie sich vei schließen, sondern der äußeren Welt
überhaupt; denn in der Abwendung von den sinnlichen Dingen und in dem Rück-
zug in das eigene Innere sucht diese Religiosität Heil. Erlösung und Seligkeit.
Die geheimnisvolle Lehre von diesem seelischen Prozeß des Sichverschließens,
der Loslösung von der Welt und dem eigenen Ich, die gekrönt wird von der wun-
derbaren Gottesschau und Gotteinigung, nennt Dionysius Areopagita, ein christ-
licher Theologe des 5. Jahrhunderts, der die neuplatonische Frömmigkeit in
das Christentum überführte, die fivazixij d-soloyia, die , mystische Theologie'. Diesen
Terminus, der den Titel einer seiner Hauptwerke bildet, verwendete auch die
abendländische Frömmigkeit und Theologie als Gesamtbezeichnung für jene
eigenartigen Erfahrungen, die sich in der Tiefe der weltabgeschiedenen Seele
abspielen. In der neueren Zeit wurde von dem Terminus mystica theologia nur
das Adjektiv in substantivischem Sinne beibehalten ; so entstand das Wor t .Mystik'
als Abkürzung für , mystische Theologie'. In diesem engen und präzisen Sinne
gebraucht auch die Ritschl'sche Schule den Terminus Mystik, während die neuere
evangelische Theologie ihn in einem weiteren Sinn anwendete. Neuerdings
hat Wilhelm Koepp in seiner hochbedeutsamen Schrift ,, Johann Arndt, Eine
Untersuchung über die Mystik im Luthertum" (1911) mit Entschiedenheit jene
engere Verwendung des Wortes Mystik vertreten 9.
Wir tun gut daran, der Wesensbestimmung der Mystik die Ety-
mologie und Wortgeschichte zugrunde zu legen. Mystik ist jene Form
des Gottesumganges, bei der die Welt und das Ich radikal verneint
werden, bei der die menschliche Persönlichkeit sich auflöst, untergeht,
versmkt in dem unendlichen Einen der Gottheit. Der der Mystik
polar gegenüberstehende hohe Frömmigkeitstypus fällt nicht unter
diese Wesensbestimmung, er wird darum besser nicht als Sonderform
der Mystik, sondern als völlig selbständige Größe behandelt. Eine
eindeutige Bezeichnung dieses Typs, in der seine Wesensart klar um-
schrieben wird, ist schwierig. Am besten wird er durch die von Söder-
blom gebrauchten Termini prophetische Religion' und , Offenbarungs-
religion' charakterisiert, wobei freilich immer nur eine bestimmte
Seite — durch den ersten Terminus die religiöse Berufswirksamkeit,
durch den zweiten die Eigenart der Gottesvorstellung — beleuchtet
wird. Weil dieser Frömmigkeitstypus vor allem durch das Alte und
Neue Testament repräsentiert wird, und im Evangelium Jesu und von
Jesus seine klassische Form besitzt, kann er auch schlechthin als bib-
lische' oder ,evangelische' Religon benannt werden.
Die Mystik ist nur selten in ihrer vollen Konsequenz durchgeführt
worden, so in den Upanischaden, im Vedänta des Sankara, im hinayä-
nischen Buddhismus, bei Plotin, dem Areopagiten, bei Eckehart, Tauler,
Angelus Silesius und Molinos. Sie verliert zumeist unter dem Einfluß
der prophetischen Erfahrung oder der Volksreligion ihren unpersön-
lichen Charakter und nimmt persönlichere Farben an. Die Tcro-Mystik
Laotses, die hinduistische Bhalcti-Myxtik (wie sie in der Bhagavadgitä
und noch deutlicher bei Rämänuja, Tulsi Das und den Tamilmystikern
hervortritt), die Kultmystik der hellenistischen Mysterien religionen,
die mystische Frömmigkeit Philos des Juden, die süfistische Mystik
des Islam, die christliche Gottesmystik aller Jahrhunderte zeigen
gegenüber der Nüchternheit, Kühle und Monotonie der reinen Mystik
250 F II. Mystik und prophetische Frömmigkeit
persönliche Wärme und Innigkeit, enthusiastische Kraft und Hingabe.
Gleichwohl hebt sich auch diese persönlichere Mystik in ihrer inneren
Struktur deutlich von der reinen prophetischen Frömmigkeit ab und
stimmt mit der konsequenten Mystik im Endziel alles Heilsstrebens
überein. Die Strukturunterschiede der beiden Typen müssen zunächst
herausgearbeitet werden, damit die Verschiedenheit des mystischen
und prophetischen Betens besser verständlich wird. Hierbei ist es
auch nötig, bestimmte religiöse Grundbegriffe, die in unserer Dar-
stellung des mystischen und prophetischen Betens immer wieder-
kehren (z. B. Glaube, Liebe, Ekstase, Sünde, Heil usw.), zu klären.
l.Die historische Genesis.
Die Mystik entstand innerhalb der großen antiken Kultur-
religionenin Griechenland (Orphismus) und Indien (Upanischaden),
in China (Taoismus) und Ägypten ; doch nur der griechischen und in-
dischen Mystik war eine große geschichtliche Fortentwicklung beschieden.
Die Mystik stellt in ihrer Entstehung eine negative Reaktion gegen
die entwickelte Kulturreligion dar. — Die prophetischen Reli-
gionen des Zarathuschtra, des Mose (und in gewissem Sinne auch
Muhammeds) wuchsen unmittelbar aus der wenig entwickelten pri-
mitiven Religion nomadisierender Stämme heraus: durch schöpferi-
sche Erlebnisse, in denen diese Prophetenpersönlichkeiten von dem
sich offenbarenden Gott überwältigt wurden, schnellte die primitive
Religion auf die Höhe des individuellen, monotheistischen Gottes-
glaubens empor. Nur an die mosaische Offenbarung schließt sich eine
lange Entwicklungslinie an, während die zarathuschtrische Religion
wie der Islam sich bald zu einer gebundenen Gesetzesreligion verhärteten .
2. Das psychische Grunderlebnis
a) Mystik.
In Zeiten eines hochentwickelten, aber bereits im Niedergang be-
findlichen Kulturlebens (in der altindischen Kultur, der hellenistisch-
römischen, der germanisch-mittelalterlichen, der spanischen und fran-
zösischen Kultur des 16. und 17. Jahrhunderts) — erschlafft in fein-
fühligen und begabten Menschen das naive Lebens- und Selbstgefühl,
der gesunde Wille zum Leben erlahmt, der zukunftsfrohe Glaube an
konkrete Lebenswerte, -Ziele und -Aufgaben bricht zusammen; es
erfaßt sie ein ungestümer Ekel an der Welt und Kultur, ein brennendes
Verlangen nach einem unendlichen Wert quält sie und drängt sie mit
Gewalt zur Loslösung von Welt, Kultur und Gesellschaft. Tersteegen
hat dieses psychische Motiv der Weltflucht und Inneneinkehr in treffen-
den Worten ausgesprochen.
Ich bin so satt der fremden Dingen,
So müd der Mannigfaltigkeit;
Es kann do:h nichts als Plage bringen:
Wie enge wird mir's in der Zeit!
O Ewigkeit, ich sterbe schier,
Laß doch dem Geiste Luft in dirl
Das psychische Grunderlebnis der Mystik 251
Sollt' ich so Zeit und Kraft verzehren
In Dingen, die nicht machen satt?
Mein Geist muß sich zum Ursprung kehren.
Der ihn für sich geschaffen hat:
Weg Schein und Traum! Weg Kreatur!
Dem Einen will ich leben nur." 10
Der von der Welt und ihrer Pracht unbefriedigte Fromme fühlt sich
auf dieser Erde wie in der Fremde, er empfindet in seinem Leib eine
furchtbare Fessel, er sieht in ihr einen qualvollen Kerker, ein dunkles
Grab : oojfia-ofj^a, so lautet das Wortspiel der alten Orphiker, das Plato
sich angeeignet hat (Cratyl. 400 C) und dessen Gedanke sich hindurch-
zieht durch das mystische Schrifttum aller christlichen Jahrhunderte.
Die gefesselte Seele sehnt sich nach der Befreiung von den Banden der
Leiblichkeit, nach dem Auf f lug in die himmlischen Höhen, nach der
Rückkehr zum unendlichen Göttlichen, dem sie entsprungen. Der
Weg zur Erlösung führt allein durch des Menschen Inneres. Es gilt
sich mit Gewalt loszureißen von all den bestrickenden Reizen der Außen-
welt, die Pforten der Sinne zu ,verschließen' {(iveiv), sich ganz nach
innen zu neigen, „sich in sich selbst zurückzunehmen" (Albertus Mag-
nus) 12, hinabzutauchen in den tiefen Grund der Seele.
Es genügt aber nicht, daß der heilshungrige Fromme sich von der
äußeren Welt der Gegenstände loslößt, er muß vielmehr von seinem
eigenen Ich loskommen, von allem eigensüchtigen Begehren und Ver-
langen sich frei machen. Er muß die natürlichen seelischen Regungen,
die im Menschen Unruhe hervorrufen, vor allem die stürmischen Affekte
und drängenden Willenstendenzen unterdrücken, er muß die bunten
Phantasievorstellungen, die fortwährend aus der Tiefe des Gefühls- und
Affektlebens aufsteigen, aus der Seele verbannen 13; ja selbst von dem
auf profane Objekte sich richtende Denken und Werten muß er lassen.
Das ganze natürliche Seelenleben wird bewußt und absichtlich ge-
hemmt, unterbunden, alles frische innere Leben und Streben ,abgetan',
zur Ruhe gebracht', ,ertötet'; „die Sinne erblinden" (Mechtild von
Magdeburg) 14, der Mensch „entsinkt sich selbst und allen Dingen"
(Seuse) 15.
„Fleisch, Vernunft, Natur und Sinnen
Sollen in den Tod hinein."
„Ich möchte mich bewegen nicht.
Ja ohne Leben sein." (Tersteegen) '"
So vollzieht sich in der Seele des Mystikers ein großer negativer
Prozeß, ein „systematisches Ersterbenlassen aller Lebenstendenzen"
(K. Oesterreich) 17. Plato bezeichnet diesen Prozeß mit dem alten
orphischen Terminus als xältaQüig (Reinigung) 18, die Neuplatoniker
nennen ihn änLcooig (Vereinfachung) 19, ein Ausdruck, der auch in
die Sprache der christlichen Mystiker übergmg (simplificatio) 20; Meister
Eckhart charakterisiert ihn in wundervoller sprachlicher Plastik als ,Ent-
werden' 21, Seuse heißt ihn .Entmenschen' oder ,Entbildetwerden von
der Kreatur'22; die indische]] wie die abendländischen Mystiker be-
zeichnen ihn auch geradezu als .Vernichtung' , Zunichtewerden' {nirodha 23
annihilatio) 24. Dieser negative Prozeß führt den Mystiker aus dem
gewöhnlichen Wachzustande heraus zu überwachen Bewußtseins-
252 F II. Mystik und prophetische Frömmigkeit
zuständen, zur vollen ,Abgeschiedenheit' und , Innerlichkeit', zur er-
hebenden ,Freiheit', zum tiefen ,Frieden', zur beseligenden ,Ruhe',
zum passiven ,Nichttun' (wu-wei, Laotse 25), zur begierde losen , Ge-
lassenheit', zum ,leid- und freudlosen Gleichmut' {wpeksk, ein Lieb-
lingsausdruck der indischen Mystik 26), zur sancta indifferentia.
Diese volle , Entleerung' und , Entblößung' des Seelenlebens, diese
radikale Abstreifung alles Irdisch-Menschlichen, diese gänzliche Innen-
kehr (introversio, Albertus Magnus 27) ist nur die Vorbereitung zu der
ausschließlichen Hinwendung und Konzentration auf das Unendliche,
Göttliche, Ewige. „Die ganze Seele ist mit allen ihren Potenzen und
Kräften in ihren Herrn und Gott gesammelt, daß sie mit ihm ein Geist
wird und an nichts denkt als an Gott, nichts fühlt und erkennt als
Gott" (Albertus Magnus 28). Alle verdrängte Leidenschaft und Sehn-
sucht richtet sich auf diesen höchsten Wert, die Innenkonzentration
wird zum Flug in die höchste geistige Wirklichkeit, die entsagende
Gelassenheit zur restlosen Hingabe an das summum bonum, der tiefe Her-
zensfriede zum seligen Ruhen in Gott, die stille innere Wonne zum
enthusiastischen , Schauen' der ewigen Schönheit. Jede Mystik kennt
dieses innere Emporstreben und Sicherheben der vom Sinnlichen ge-
läuterten Seele zum ,höchsten Gut'; aber bei vielen Mystikern des
Morgen- und Abendlandes steigert sich dieses geistige Werterlebnis,
diese mystische Gottsehnsucht zur brennenden und verzehrenden
religiösen Leidenschaft; die Mystiker aller Zeiten und Länder nennen
es , Liebe' (bhakti in Indien, isk, mahabba in Persien, ?Qü)g in der grie-
chieschen Welt, amor, ,Minne' im Abendland) 28b. Und weil dieses
mystische Gotterlebnis unaussprechliche Seligkeit und Wonne ist,
darum reden die Mystiker auch gerne vom , Gottgenießen' (drcökavoig &eov
fruitio Dei29; das indische Wort bhakti umschließt die Bedeutung , Ge-
nuß'). Die radikale, unpersönliche Mystik hingegen stellt über
den affektiven Drang nach dem Unendlichen die affektlose Unbe-
rührtheit, Stille und Einheit der Seele. „Ich aber lobe die Abge-
schiedenheit vor aller Minne," sagt Meister Eckhart 30.
Die mystische Liebe ist Streben und Sehnen nach dem Höchsten,
aber noch nicht Haben und Besitzen, sie ist nur Bewegung nach dem
erhabenen Ziel, aber noch nicht das mystische Ziel selber. „Die Liebe
ruht nicht, es sei denn im Geliebten, und das geschieht dann, wenn
sie dieses in vollendetem, friedebringenden Besitz erlangt . . . Die Liebe
will eins werden mit dem Geliebten und, wenn es möglich ist, dasselbe
werden, was das Geliebte ist. Darum duldet sie kein Mittel zwischen
sich und dem geliebten Objekt, d. i. Gott, sondern trachtet nach ihm,
ruht nimmermehr, bis sie alles überschreitet und zu ihm und in ihn
selbst kommt" (Albertus Magnus 31). Die Erfüllung dieses Verlangens
ist die Ekstase; die mystische Liebe vollendet sich in ihr, sie ist
geradezu „die Mutter der Ekstase" (Dionysius Areopagita) 32. Aber
auch die kühle affektlose Mystik, der die Glut der mystischen Liebes-
leidenschaft fremd ist, kennt einen der Ekstase verwandten Höhe-
punkt: das Nirväna. Ekstase 33 und Nirväna 34 sind beide unaus-
sprechliche mystische Geheimnisse; beide sind, psychologisch ausge-
Das psychische Grunderlebnis der Mystik 253
drückt, überwache Seelenzustände, die ein völliges Aufhören des nor-
malen Bewußtseinslebens voraussetzen ; beide treten nur relativ selten
in dem mystischen Erleben auf. Beide stellen ein Einheits- und Wert-
erlebnis dar von einer Höhe, Reinheit und Seligkeit, wie es im nor-
malen Seelenleben unmöglich ist. Beide stehen sich aber trotz der
Gleicheit der inneren Struktur polar gegenüber; die Ekstase ist ein
Siedepunkt, das Nirväna ein Gefrierpunkt, die Ekstase ein positives
Höchstes, das Nirväna ein negatives Höchstes, (aber als ,Höchstes'
doch etwas Positives), die Ekstase unendliche Fülle, das Nirväna un-
endliche Leere. Die Ekstase ist höchste Äff ektivität ; obgleich die
Unterdrückung des gesunden Affektlebens ihre Voraussetzung bildet,
besitzt sie selbst affektiven Charakter und affektive Verlaufsform; sie
teilt mit dem normalen Affekterlebnis das Moment des Spontanen,
Plötzlichen, Passiven, Unwillkürlichen, Unpersönlichen, der Kürze und
nachhaltigen Wirkung 35; sie wird durchgängig als ein Gepackt-, Über-
mannt-, Überflutet-, Verschlungen-, Besessen-, Erfülltwerden geschil-
dert 36. Das Nirväna hingegen ist gänzliche Affektlosigkeit, ein an-
haltender Dauerzustand tiefster Ruhe und vollkommener Unberührt-
heit, eine Seligkeit ohne Erregung, Rausch und Sturm, nicht Besessen-
heit, sondern völliges Insichselbersein.
Das physiologische Charakteristikum der Ekstase wie des Nirväna
ist die kataleptische Starre und völlige Anästhesie, die häufig begleitet
ist von der Levitation' (Überwindung der Körperschwere, Schweben
über der Erde). Psychologisch charakterisiert sich die Ekstase — am
trefflichsten von Plotin beschrieben 37 — als das Erlebnis der restlosen
Einheit und Einfachheit des Psychischen (evajGig, äjilcoois), das Erlebnis
des reinen Ich (des ätman , Selbst' in den Upanischaden). In der Ek-
stase hat „die Einheit die Anderheit verschluckt" (Angelus Silesius) 38.
Der Ekstatiker „schaut sich selbst" (Plotin) 39, „schaut sein Ich von
Angesicht zu Angesicht" (Tschwang-tse) 40, „kostet seine eigene Sub-
stanz" (Frederic Amiel) 41. Dieses ,nackte', abstrakte, entleerte Ich,
das sich enthüllt, wenn alle konkreten seelischen Inhalte beseitigt
sind und nun die Gesamtheit der psychischen Kräfte vereinheitlicht
und in kondensierter Fülle durchbricht, wird jedoch nicht als eigenes,
sondern als fremdes Ich erlebt. „Er ist ein anderer geworden und nicht
mehr er selber," sagt Plotin 42. „Er schaut in sich sein nacktes Herz,
und dieses Herz ist nicht sein Herz," sagt ein taoistischer Mystiker 43.
Das Erlebnis des reinen Ich hat den Charakter des religiösen Wert-
erlebnisses; jenes Ich trägt die Züge des , Heiligen'; es erscheint dem
Ekstatiker (in der prägnanten Terminologie von Rudolf Otto 44 aus-
gedrückt) als das Ehrfurcht und Schauer erregende ,Numinosuml , als
das ,mysterium tremendum1 , aber ebenso als das berückende und be-
strickende Fascinosum1 . Ja dieses letztere Element des Heiligkeits-
erlebnisses überwiegt in der Erfahrung des Ekstatikers ; die ekstatischen
Bekenntnisse beschreiben übereinstimmend die Ekstase als unsagbare
Wonne, als überwältigendes Glück, als ,ewige Seligkeit', als ,ewige
Wonne ohne Tod.' Dieses ekstatische Werterlebnis unterscheidet
sich jedoch von dem normalen religiösen Werterlebnis ebensosehr
254 F II. Mystik und prophetische Frömmigkeit
wie das Erlebnis des reinen Ich von dem normalen Ichbewußtsein; es
ist im Gegensatz zu dem gewöhnlichen intentionalen Werterlebnis
beziehungslos, gänzlich in sich selbst beschlossen. Würde es sich wie
dieses auf einen gegenständlichen Wertträger (und wäre dieser selbst
das eigene Ich) beziehen, so enstünde der das normale Seelenleben be-
herrschende Gegensatz von Subjekt und Objekt, der in dem reinen
Icherlebnis aufgelöst ist.
Das ekstatische Erlebnis ist für den aus der Ekstase Erwachten un-
begreiflich und unbeschreiblich; weil das reguläre Bewußtseinsleben
unterbrochen war, vermag der in dieses zurückgekehrte Mystiker nicht
zu verkünden und zu erklären, was er wirklich erfahren hat. Aber die
wunderbare Gewalt und Größe seines Erlebnisses zwingt ihn zu einer
Deutung. Das Fremdartige, Unendliche, Höchste, Heilige, das er erlebt
hat, kann nur das Göttliche gewesen sein, mit dem seine Seele auf un-
faßbare und unsagbare Weise eins geworden ist. Für Laotse ist dieses
Höchste, das der Ekstatiker erfährt, das Tao, die ewige Weltordnung;
für die Männer der Upanischaden das Brahma, die Allgottheit; für
Plotin das ,Eine', das ,Unendliche' (rö £v, %b äneiqov), dem alle Mannig-
faltigkeit des Seienden entsrömt; für die Gottesmystiker des Orients
und Okzidents der göttliche Herr und Heiland, der sich zur frommen
Seele herabläßt. Die unbegreifliche Paradoxie, daß das kleine mensch-
liche Ich zu einem unendlichen Ich geworden ist, kann der Mystiker
nur so verstehen, daß er selbst Gott geworden ist.
„Ich bin Brahma" (brahtnä' smi), „Atman ist Brahma", ..das bist du selbst."
(tat tvam asi), heißt es immer wieder in den Upanischaden *5; „ich bin Gott"
(anä 'l-hakk) ist der Jubelruf der persischen Suft; Husain al-Halläj erlitt für
dieses ekstatische Bekenntnis den Martyrertod. ..Ich bin er. den ich liebe, und
er, den ich liebe, ist ich." 4S Plotin sagt: Der Ekstatiker „ist Gott geworden,
ja er ist sogar Gott (&eöv yeyö^eyoy ^.äXXov Sh ävta)\ 47 Montanus ruft begeistert
aus: ,,Ich bin der Vater, der Sohn und der Geist"; 48 Katharina von Genua er-
klärt jubelnd: ..Mein Ich ist Gott, und ich kenne kein anderes Ich als diesen
meinen Gott." 49 Und Angelus Silesius sagt: Der Mensch wird., zu lauter Gott."
„So wirst du Gott in Gott, Herr auf des Herren Thron." 50 Ganz ähnlich äußert
sich Madame Guyon: „Die Seele wird in Gott zu Gott." 51
Andere Mystiker wagen es nicht von der Wesensidentität der Seele
mit Gott zu reden, sondern begnügen sich mit der Immanenz Gottes
in der Seele. Schon Plato betont nachdrücklich, daß die Seele nicht
Gott (i)s6g) sei, sondern lediglich ,gottgestaltig' (d-eoeidijs), ,gottver-
wandt' {^vyyevrjg tcj} d-eicp), göttlich (d-elog).52 Viele christliche
Mystiker bezeichnen in ihrer Demut die ekstatische Gotteinigung
nicht als Wesenseinigung (unio substantialis) , sondern als bräut-
liche Liebeseinigung {unio sponsalis); die Seele geht nicht in Gott
unter, sondern verschmilzt mit ihm zu innigster Einheit. „Gott ist
in mir und ich in ihm. Er ist mein und ich bin sein" (Else
von Neustedt).53 Aber trotz dieser milderen und schwächeren Formel,
welche dem personalen Theismus sich anpaßt, ist der psychologische
Grundcharakter des ekstatischen Erlebnisses hier wie dort derselbe:
„Die inwendig gekehrte Seele des Mystikers erlebt ihren Gott a n s i c h
selbst, an ihrem eigentlichsten Wesen und ihrem innigsten Grund"
(Koepp)54. Seele und Gott verbinden sich in unzertrennlicher Einheit.
Das psychische Grunderlebnis der prophetischen Religion 255
Das buddhistische Nirväna ist wie die Ekstase das Erleben der völligen
psychischen Einfachheit, die Erfahrung eines unendlich Wertvollen; aber es
fehlt ihm im Gegensatz zur Ekstase alle aufwühlende Gewaltsamkeit. Eben
darin ist es begründet, daß der Buddhismus auf jede Deutung dieses höchsten
mystischen Zustandes verzichtet. Das Nirväna wird nicht als Einswerden mit
der unendlichen Gottheit, sondern lediglich als die beseligende Ruhe in den
vorwiegend angewendeten Termini umschrieben; es ist ,,das Ruhevolle, Hoch-
erhabene, die Aufhebung aller (unterbewußten, dispositionellen) Bildekräfte, die
Auflösung aller Substrate (der Individualität), die Vernichtung des Durstes, die
Leidenschaftslosigkeit, die Zerstörung, das Verwehen." 55
b) Prophetische Religion.
Das psychische Grunderlebnis der Mystik ist die aus der Lebens-
sattheit geborene Verneinung des normalen Lebensdranges, das völlige
Entwerden, die ausschließliche Hingabe an das Unendliche, deren
Gipfel und Krone die Ekstase bildet. Das psychische Grunderlebnis
in der prophetischen Religion ist ein unbändiger Wille zum
Leben, ein steter Drang nach Behauptung, Kräftigung und Erhöhung
des Lebensgefühls, ein Überwältigt- und Ergriffensein von Werten und
Aufgaben, ein leidenschaftliches Streben nach Verwirklichung dieser
Ideale und Ziele; von einem „Getriebenwerden vom Geiste", „Sieden
im Geiste", von der „Gewalt des Geistes" spricht Paulus (Roe 814;
12n; 15 13). Die Mystik ist passiv, quietistisch, resigniert, kontemplativ
— die prophetische Frömmigkeit aktiv, fordernd und verlangend,
ethisch. Der -Mystiker strebt nach dem Erlöschen des Affekt- und
Willenslebens (änd&Eia, viräga), denn die Seligkeit der Ekstase
oder des Nirväna läßt sich nur um den Preis der Ertötung des Lebens-
willens erkaufen. Im prophetischen Erleben flammen die Affekte auf,
der Wille56 zum Leben behauptet sich, siegt und triumphiert auch
in der äußeren Niederlage, er trotzt dem Tod und der Vernichtung.
Aus tiefster Not und Verzweiflung bricht schließlich, aus dem zähen
Lebenswillen geboren, der Glaube, die unerschütterliche Zuversicht,
das felsenfeste Bauen und Vertrauen, die kühne, wagende Hoffnung
durch. Der Mystiker ist ein Verzichtender, Entsagender, Ruhender,
der Prophet ein Kämpfer, der sich stets aus dem Zweifel zur Gewißheit,
aus der quälenden Unsicherheit zur absoluten Lebenssicherheit, aus
der Verzagtheit zum frischen Lebensmut, aus der Furcht zur Hoffnung,
aus dem niederdrückenden Sündengefühl zum seligen Gnaden- und
Heilsbewußtsein emporringt. Er ist kein beatus possidens, sondern
muß seine Lebenszuversicht immer wieder in einem schöpferischen Akt,
in einer freien sittlichen Tat setzen, „wider alle Hoffnung hoffen und
glauben" (Roe 4 18), „sich selbst wider die Verzweiflung aufwecken"
(Luther) 57. Den steten Durchbruch der Zuversicht und Kraft aus der Angst
und Not hat niemand in so lapidarer Worten ausgesprochen wie Paulns.
„Wenn auch unser äußerer Mensch sich verzehrt, so ersteht doch der innere
Tag für Tag in erneuter Kraft" (2 K<>r. 4 18). „Wir sterben — und doch leben
wir: wir werden gezüchtigt — und doch werden wir nicht getötet ; wir sind be-
trübt — und doch sind wir allezeit flöhlieb ; wir sind Bett ler — und doch inachen
wir viele reich; wir haben nichts — und doch haben wir alles" (2 Kor. ti 9 f.).
..Wir rühmen uns in den Noten.. (Roe 5 3). „Ich bin reich an Trost, überreich
an Freude in all meiner Trübsal" {2 Kor. 7 «).
256 F II. My&tik und prophetische Frömmigkeit
Das Gefühl absoluter Sicherheit trotz aller äußeren Unsicherheit,
zu dem der Fromme sich emporringt, haben am wundervollsten die
Psalmdichter beschrieben.
„Auch wenn irh mitten im Todesar hatten wandern muß, fürchte ich kein
Unglück; denn du bist hei mir: dein Stecken und dein Stab — die trösten mich"
(23, 4). ,.Mit seinen Fittichen bedeckt er dich, unter seinen Flügeln birgst du
dich: seine Treue ist Schild und Schirm .... Seine Engel wird er für die h ent-
bieten, daß sie dich auf allen deinen Wegen behüten. Auf den Händen werden
sie dich tragen, daß du mit deinem Fuß nicht an einen Stein stoßest" (91, 4. 11).
So ist der Glaube das Grunderlebnis der prophetischen Frömmigkeit,
freilich nichts im intellektualis tischen Sinne des Fürwahrhaltens, sondern
im Sinne des zuversichtlichen Lebensgrundgefühls. Glaube ist nach
Luthers unvergleichlichen Worten nicht „ein Gedanke an Gott", sondern
eine „lebendige, erwegene Zuversicht auf Gott, so gewiß, daß er tausend-
mal darüber stürbe. Und solche Zuversicht und Erkenntnis göttlicher
Gnade macht fröhlich, trotzig und lustig gegen alle Kreatur". „Glauben
heißt ein solch Herz gewinnen, das da groß und unverzagt wird über
alles, das der Teufel und Welt vermag, Armut, Unglück, Schande und
Sünde dazu." 58 Weil dieser Glaube nichts ist als feste und unerschütter-
liche Lebenszuversicht, ist er kein bloßes Hoffen und Suchen, sondern
ein unerschütterliches Haben und Besitzen. ,,Ut credo, ita habeo"
(Luther) 59. Ja, er verleiht bereits mitten in der Zeitlichkeit und End-
lichkeit ewiges Leben und unendliche Seligkeit. „Wer da glaubt, der
hat das ewige Leben", „er ist hinübergeschritten aus dem Tod ins
Leben" (Jo. 5, 24; 647). „So du Christo glaubest und an ihn dich hängen
kannst, so bist du erlösest vom leiblichen und geistlichen Tod und
hast schon das ewige Leben" (Luther) 60. Diese Leben weckende
und Seligkeit schenkende Glaubenszuversicht kann aber nicht durch
eigene Willensanstrengungen erlangt werden, alle ethischen und aske-
tischen Leistungen, selbst die höchste moralische Vollkommenheit,
sind nicht imstande, diese rein religiöse Gewißheit zu erzeugen. Sie
muß vielmehr mit ursprünglicher Frische und Gewalt aus den Tiefen
der Seele aufquellen; sie ist ein Wunder, lauter Gottesgnade, „ein
göttlich Werk in uns" (Luther) 61, eine Wirkung des Gottesgeistes in
der Seele. Diese Glaubenszuversicht wird nicht wie die ekstatische
Wonne der Mystik jenseits des wachen Bewußtseins erlebt, sie hat keine
Entleerung und Sublimierung des natürlichen Seelenlebens zur Voraus-
setzung, sie wird vielmehr allezeit, selbst mitten im Getriebe des Alltags,
ohne alle künstliche Steigerung des Gefühlslebens erfahren.
„Glaube', ,Zu versieht', , Vertrauen' — das ist das Leitmotiv, das
hindurchklingt durch das ganze Schrifttum des Alten und Neuen Testa-
ments und wieder neu ertönt in den Schriften der Reformatoren. Sind
,Liebe' und , Einigung' die Zentralbegriffe der Mystik, so ist , Glaube'
Lamuna, niGrig, fides, fiducia) das Schlagwort der prophetischen
Religion. Glauben ist jene religiöse Kraft, welche die ältesten israe-
litischen Geschichtsbücher schon den Erzvätern nachrühmen. „Und
Abraham glaubte Jahwe und das rechnete er ihm zu als Gerechtigkeit"
(Gen. 1516). Vertrauenden Glauben auf Jahwe fordern immer wieder
die großen israelitischen Gottesmänner von ihrem Volke; Jesaja ist
Das psychische Grunderlebnis der prophetischen Religion 257
geradezu der Prophet des Glaubens. „Glaubet ihr nicht, so bleibet ihr
nicht", hat er in einem (von Luther treffend wiedergegebenen) Wort-
spiel dem zweifelnden Achaz zugerufen (79) „Vertrauet immerdar auf
Jahwe, denn Jahwe ist ein ewiger Fels" (26 4). „Im Stillesein und
Vertrauen liegt eure Heldenkraft" (30 15), mahnt er sein Volk. Kühne
Zuversicht ist jene hehre Stimmung, zu der sich die großen israelitischen
Beter, Jeremia und die exilischen und nachexilischen Psalmsänger in
hartem innerem Kampfe durchrangen. Die gewaltigsten und para-
doxesten Worte über das Glauben sind von Jesus gesprochen worden:
„Alles ist möglich dem Glaubenden". „Habt Vertrauen zu Gott!
Wahrlich ich sage euch, ein jeder, der zu diesem Berge sagt: hebe dich
und wirf dich ins Meer, und zweifelt nicht in seinem Herzen, sondern
glaubt, daß, was er sagt, geschieht, dem wird so sein" (Mk 9 23; 11 23).
Das schlichte Gottvertrauen erhebt sich hier zum kühnsten Wunder-
glauben. Im zuversichtlichen Glauben an den gütigen Vatergott, der um
Jesu willen Gnade, Heil und Vergebung schenkt, fand Pauli sünden-
gequälter und heilsdürstender Geist Ruhe; die „Gerechtigkeit aus dem
Glauben" (Roe 1 17) ist darum die Zentralidee, um die das ganze Denken
und Fühlen des Völkerapostels kreist. Im Glauben an Christus ergreift
der vierte Evangelist ewiges Licht und Leben. „Wer glaubt, hat das
ewige Leben" (6 47), dieses Wort, nicht die philonische Logosidee ist
das Leitmotiv des Johannesevangeliums. Im frohen Glauben an Gottes
sün de vergebende Gnade fand Luther den Herzensfrieden, nachdem er
jahrelang vergeblich nach dem Heil durch Gesetzeswerke gerungen
hatte. Die reformatorische Lehre von der sola fides ist nur die schärfste
und konsequenteste Formulierung für das Grundgefühl der gesamten
biblischen Religiosität.
Der Gegensatz dieses prophetischen Lebensgefühls zum mystischen
ist so schneidend wie möglich. Die Mystik flieht und vernichtet das
naive Leben und Lebenwollen, um jenseits desselben ein Unendliches
zu erfahren; die prophetische Frömmigkeit hingegen glaubt an das
Leben und bejaht das Leben, wirft sich entschlossen und froh dem
Leben in die Arme; dort herbe Lebensverneinung — hier unerschütter-
liche Lebenszuversicht.
3. Weitere psychologische Charakteristika.
a) Den Höhepunkt des mystischen Frömmigkeitslebens bilden außer-
ordentliche Erlebnisse, die sich jenseits des normalen Bewußtseins
abspielen: die Ekstasen, daneben exstatoide Visionen und Auditionen,
in denen sich mit rein geistigen Erfahrungen Sinneserregungen ver-
binden. Auch in der prophetischen Erfahrung sind die entscheidenden
Erlebnisse, die Beruf ungs- und Offenbarungserlebnisse, häufig von Ver-
zückungen, Visionen und Auditionen begleitet, aber sie treten viel
seltener auf wie bei den Mystikern — von Jesus werden nur zwei visionäre
Zustände überliefert — oder fehlen gänzlich. Für das eigentliche Fröm-
migkeitsleben, den in Gebet, Glaube und sittlichem Tun sich voll-
ziehenden Verkehr mit Gott besitzen im Gegensatz zur Mystik alle
außerordentlichen ekstatischen Erfahrungen keine Bedeutung. Nicht
Das Oebol 17
258 P II. Mystik und prophetische Frömmigkeit
die ekstatische Glossolalie, sondern das Glauben, Hoffen und Lieben
hat Paulus als die höchsten Charismen bezeichnet (1 Kor 13). Luther
zeigt sogar eine starke Geringschätzung alles Visionären. „So es in
meiner Gewalt allein wäre, wollte ich nicht, daß Gott mit mir vom
Himmel herab reden oder mir erscheinen sollte." Alle Erscheinungen
sind „nichts gegen unsere Taufe und Sakrament, ja auch gegen einem
jeden christlichen Gespräch, das ich mit einem jeden christlichen und
gottesfürchtigen Bruder haben kann." 62
b) Das mystische Erleben ist nie vollkommen naiv, sondern immer
mit einem Hang zur Reflexion verbunden — bei den einen zur philo-
sophisch-spekulativen Gedankenarbeit (Upanischaden, Plotin, Eckhart),
bei den anderen zur sorgsamen psychologischen Selbstanalyse ( Yoga,
Buddhismus, Teresa, Quietisten des 17. Jahrhunderts). Das Erleben
der prophetischen Persönlichkeiten hingegen ist völlig naiv und un-
reflektiert, über dem spekulativen Denken erhaben und frei von allem
Psychologisieren. Da ist ebensowenig ein Grübeln über Gottes Wesen
wie eine peinliche Selbsterforschung und eindringende Selbstzergliede-
rung; da ist nur Glaube, Hoffnung und Liebe.
c) Die Mystik offenbart bewußte Absichtlichkeit; nur dadurch ge-
lingt es, das natürliche Affekt- und Willensleben zu mortifizieren. Sie
hat raffinierte Methoden der Askese und Meditation ersonnen, um das
Eintreten der mystischen Zustände herbeizuführen bzw. zu begünstigen.
Das stete Streben nach der künstlichen ,Vereinfachung' des natürlichen
psychischen Lebens bedingt eine Uniformierung des Erlebens, eine
Bindung des Individuellen, Persönlichen, Spontanen. Die Mystik
zeigt darum eine gewisse Gleichförmigkeit und Monotonie. Im Grunde
sagen alle Mystiker dasselbe. Es ist lediglich die Berührung mit prophe-
tischer Frömmigkeit, die der christlichen und süf istischen Mystik ein
individuelles Gepräge verleiht. Nirgends tritt die Einförmigkeit der
Mystik stärker zutage, als in den Begriffsschemen des buddhistischen
Kanons wie in den Schriften der quietis tischen Mystiker des 17. Jahr-
hunderts. Demgegenüber zeichnet sich die prophetische Frömmigkeit
durch Absichtslosigkeit, unbewußte Spontaneität, freie Entfaltung der
individuellen Anlagen aus. Sie verschmäht alle Systematik und Methodik,
alle Psychotechnik, jeden Jraining of souV. So ergibt sich die über-
raschende Tatsache, daß das religiöse Innenleben der prophetischen
Geister reicher, vielgestaltiger und mannigfaltiger ist als das der Mystiker,
die doch ganz in der Innerlichkeit aufgehen.
d) Die Mystik ist die Religion der weiblichen Naturen ; schwärmerische
Hingabe, differenzierte Fühlfähigkeit, weiche Passivität sind für sie
charakteristisch. Im weiblichen Geschlecht hat die Mystik unzählige
hervorragende Vertreter (Räbia, Mechthild, Gertrud, die zwei Katherinen,
Teresa, Guyon usw.). Die mystische Seele spielt im Gottesumgang
die Rolle des Weibes. ,Weib' ist nach Meister Eckharts Urteil der
edelste Name der Seele. 63 „Ein Weib muß der Mensch werden, der
Früchte des ewigen Lebens will gebären"; sagt Staupitz. 64 Die prophe-
tische Religion hingegen trägt unverkennbar männlichen Charakter:
ethische Herbheit und Härte, kühne Entschlossenheit und Rücksichts-
Gottesvorstellung 259
losigkeit, kraftvolle Aktivität. „Stehet fest im Glauben, seid mann-
haft, seid stark!" (1 Kor 16 13). „Gott fordert von uns gar tapfere
männliche Dinge, daß wir ihm allein anhangen, allen Trost in ihm
haben und allein auf seinen Willen hören" (Zwingli) 65.
4. Die Gottesvorstellung,
a) Mystik.
Der Gottesbegriff der radikalen Unendlichkeitsmystik ist lediglich
die spekulative Deutung, die metaphysische Projektion des ekstatischen
Erlebnisses 66. In der Ekstase erlebt sich der Mystiker als gänzliche
Einheit — auch der Gott der Mystik ist die unterschiedslose Einheit,
das Ureine (tö £V, fiövov Numenios, Clemens Alexandrinus, Plotin) 67,
das , Einfache', ,Einfachste' {unlovv, änlovoxaxov Plotin 68, obiec-
tum simplicissimum, Albertus Magnus 69), das „Eine ohne ein
Zweites" (ekam advitiyam, Upanischaden 70), „ein lauter, pur, klar
Ein, gesondert von aller Zweiheit" (Meister Eckhart)71, „ein einziges
Eins in einfacher Nacktheit" (Seuse) 72. In der Ekstase hört alle Mannig-
faltigkeit des seelischen Erlebens wie der Außenwelt auf — für den
Mystiker, der aus der Seligkeit der Ekstase, aus dem Erlebnis der Ein-
heit zum normalen Bewußtseinsleben erwacht, ist darum die gegen-
ständliche Welt in ihrer Mannigfaltigkeit Trug und Illusion (mäyd des
Vedänta) oder doch der trübe Ausfluß oder dunkle Schatten der allein
wahren Wirklichkeit. Die Ekstase ist der Endpunkt der im mystischen
Leben sich vollziehenden Entpersönlichung — der Gott der spekulativen
Mystik ist gänzlich unpersönlich, aller anthropomorphen Züge bar; er
ist „ein Nichtgott, ein Nichtgeist, ein Nichtpersone" (Meister Eck-
hart) 73. In der Ekstase ist Denken, Wollen und Selbstbewußtsein
erloschen — auch ,das Eine' ist weder denkend (inexeiva vov y.al yvdioeoJs
Plotin 74) noch wollend, ,ohne Selbstbewußtsein' (ävaioi^rjTOV eav-
tov 75) Plotin). Der ekstatische Zustand ist völlige Leere von
allen konkreten Inhalten, „vollkommene Leere", „unbedingtes
Nein" (Tschwang-tse) 76 — auch die unendliche Einheit ist völlig
qualitätlos, „sonder Weise" (unbekannter deutscher Mystiker) 77, man
kann von ihr nichts behaupten, sie ist das „Nein, Nein" {na iti na iti),
wie es in den Upanischaden heißt 78, „erhaben selbst über das Sein"
{irtexeiva xov övrog)19 wie Plotin sagt, „ein lauter Nichts", wie Angelus Si-
lesius sich ausdrückt 80. „Die Gottheit ist so arm und so bloß und so ledig,
als ob sie nicht wäre, sie hat nicht, sie will nicht, sie bedarf nicht" (Meister
Eckhart) 81. Die Ekstase ist ein verborgenes, unbegreifliches Geheimnis,
sie läßt sich, weil jenseits des bewußten Erlebens stehend, nie in Ge-
danken fassen und in Worten beschreiben — auch das Göttliche ist
erhaben über alle Rede, unnennbar und unaussprechlich {ä^rjrov
Philo, 82 Plotin) 83, der ,Abgrund' (ßvöog), das , Schweigen' {oiyij) 84,
wie die Gnostiker sagen; „es ist etwas Verborgenes, mit keinem Namen
zu Bezeichnendes, ein Namenloses, ein Unergründliches, ja das schlecht-
hin Unbegreifliche" (Laotse) 85; „es ist die Verborgenheit und ist unbe-
kannt und ward nie bekannt und wird nimmer bekannt. Gott bleibet
da in ihm selber unbekannt" (Eckhart) 86. Der Ekstatikor „steht in
260 F. II. Mystik und prophetische Frömmigkeit
einsamer Ruhe und wandellosem Beharren, gänzlich feststehend und
gleichsam Stillstand geworden" (Plotin) 87 — auch der Gott der Mystik
ist einsam stillstehend (koxoyg, Philo 88, Numenios 89), „tatenlos",
„jenseits des Wirkens" (ävEQyrjzov, inixeiva iveQytiag Plotin) 90,
„das wandellose Licht" (lux incommutabilis, Augustinus) 91, „ruhend
alles beruhigend" (tranquillus tranquillans omnia, Bernhard von
Clairvaux) 92, „die ew'ge Ruh'" (Angelus Silesius) 93, „ein stilles
Wesen" (Tersteegen) 94. Der Gottesbegriff der Mystik ist also durchaus
statisch. Der in die Ekstase Versunkene steht jenseits aller Werte,
„er hat das Schöne hinter sich gelassen, wie er über den Reigen der
Tugenden hinweggeschritten ist" (Plotin) 95 — der Gott der radikalen
Mystik besitzt weder ethische noch ästhetische Wertprädikate, er ist
„höher (xqeiztcjv) als die Tugend und höher als das Gute und
höher als das Schöne" (Philo) 96, er ist der ,Übergute' (vnEQayadog)
und ,Überschöne' (i>7iEQxalog, Plotin) 97. Der Ekstatiker erlebt
einen unendlichen Wert, die höchste Seligkeit — der Gott der Mystik
ist darum „das höchste Gut" (tö äqioxov äya&ov98, tö äxQcog xalöv",
summum bonum 10°), ein Terminus, der von Plotin im Anschluß an
Plato geprägt und durch Augustinus zur häufigst gebrauchten Gottes-
bezeichnung der christlichen Mystik wurde 101 ; er begegnet uns auch
im Hohen Lied der indischen Mystik, in der Bhagavadgitä (pararn
sreyas, param nidhänam 102), ja selbst im Tao-teh-king des weisen
Laotse 103.
Der alte Buddhismus lehnt, seinem negativ-agnostischen Prinzip seiner ,anti-
pathie pour le finalisme' (Oltramare) 10* entsprechend, jede metaphysische Deu-
tung des Nirväna-Zustandes ab. Eben deshalb redet er nie von einem ,höchsten
Gut', von einem .Absoluten', vom .Einen' und »Unendlichen', so wenig wie von
einer beharrenden , Seelensubstanz', einem göttlichen .Seelengrund'. Er macht
mit dem .Nein-Nein' der Upanischaden vollen Ernst und schweigt über sein höch-
stes Erlösungsziel, aber eben dieses Schweigen ist die beredteste Sprache, die
eigentliche Sprache der Mystik. An jener Stelle, da die großen spekulativen
Geister der Mystik ihren kühnen theologischen Gottesbegiiff errichteten, setzt
der Buddhismus „den leeren Gedankenstrich" (Beckh 106). Aber trotz dieses
Schweigens und Verneinens ist Nirväna nicht ein Negatives, sondern ein Positives
ein äggyrov, ein übesrchwengliches Heilsgut, ein beseligendes Eilösungsziel,
ein Heiliges, Ewiges, Unendliches, nichts anderes als das summum bonum der
Mystiker 10«.
Konkreter und anschaulicher ist die Gottesvorstellung in der perso-
nalistischen Mystik, die das mystisch-ekstatische Erleben nicht theo-
retisch-spekulativ, sondern naiv-phantasiemäßig deutet. Gott ist nicht
die jenseits der Wirklichkeit und der Werte stehende unpersönliche,
qualitätslose Einheit, sondern der als Persönlichkeit gedachte höchste
Wert; er ist der lebendige „Herr' (xvQiog, dominus, in Indien isvara),
und liebevolle ,Heiland', der sich zur kleinen Menschenseele herabläßt
um sie zu sich emporzuheben. Er ist „der wahre Freund in den Nöten,
der niemand verlassen mag noch will. Er ist die süße Luft, die uns
ziehet in die Wahrheit, und ist die lautere Minne, die uns lehret die
Wahrheit, und ist die grundlose Güte, die uns behütet in der Wahrheit"
(Margaretha Ebner) 107. Das Unendliche nimmt irdische Gestalt an,
das summum bonum' wird zum menschlichen Erlösergott (Vishnu-
Gottesvorstellung 26 1
Krishna-Räma in der indischen Bhakti-Frömmigkeit, Jesus Christus
in der abendländischen Mystik, zumal seit Bernhard von Clairvaux).
Ja, so tief ist die Herablassung des himmlischen Heilandgottes, daß
er als liebender Bräutigam der sehnsüchtigen Seele naht, sie mit seiner
Liebe umwirbt und in zärtlicher Umarmung mit ihr sich eint. Weil
hier die anthromorph-persönlichen Züge der naiven Gottesvorstellung
lebendig werden, nennen wir diese Mystik mit einem von Rudolf Otto
geprägten Terminus personale , Gottesmystik' 108 im Gegensatz zu der
impersonalen ,Unendlichkeitsmystik'. Aber auch in dieser persönlichen
Mystik ist Gott nicht der lebendig wirksame Wille, sondern die wandel-
lose, ruhende Majestät, das statisch gedachte vollendete Ideal, sanc-
torum aeterno, requies (Nachfolge Christi) 109.
b) Prophetische Religion.
Wie der Gottesbegriff der Mystik die Hypostasierung der Ekstase
darstellt, so ist die Gottesvorstellung der biblisch-prophetischen Religion
der Reflex des voluntaristischen Glaubenserlebnisses. „Fides est creatrix
deitatis" (,,der Glaube ist der Schöpfer der Gottheit"), sagt Luther
in paradoxer, aber treffender Ausdrucksweise no. Gott ist nicht die
unbewegliche, unendliche Einheit, sondern lebendige Willensmacht U1,
nicht ruhende Stille, sondern wirksame Tätigkeit, nicht semper quietus
(immer ruhig), sondern semper agens (immer handelnd), nicht summe
esse (höchstes Sein), sondern summe vivere (höchstes Leben), wie die
kontrastierende Terminologie Augustins lautet 112. „Mein Vater wirket
bis heute" spricht der johanneische Christus (Jo 5 17). Luther sagt:
„In allen und durch alle und über allen wirket nichts denn seine Macht . . .
Das Wörtlein ,mächtig' soll hier nicht heißen eine stille, ruhende Macht,
sondern eine wirkende Macht und stetige Tätigkeit, die ohne Unterlaß
geht im Schwang und wirkt; denn Gott ruht nicht, wirkt ohne Unter-
laß" 113. Das Erlebnis der gewaltigen Macht Gottes wird in den prophe-
tischen Geistern zum ängstigen Erschauern vor der unentrinnbaren
bqyri des lebendigen Gottes 114. „Jahwe ist wahrhaftiger Gott, er
ist lebendiger Gott und ewiger König, vor dessen Zorn die Erde bebt"
(Jeremia 10 10). „Ein eifersüchtiger Gott und ein Rächer ist Jahwe,
ein Rächer ist Jahwe und voller Grimm" (Nahum 1 2). „Gott ist ein
Feuer, das verzehret, f risset und eifert" (Luther) 115. Von der Macht
dieses lebendigen Gottes wissen sich die prophetischen Frommen
schlechthin abhängig'; in seiner Hand ruhen Glück und Unglück,
Segen und Fluch, Leben und Tod. „Ganz wie der Ton in der Hand des
Töpfers, so seid ihr in meiner Hand, ihr vom Hause Israel" (Jeremia
18 6). Er ist allursächlich: „Kein Unglück geschieht, ohne daß es Jahwe
verursacht hätte" (Arnos 3 6). Ohne seinen Willen fällt kein Sperling
vom Dache, kein Haar vom Haupt des Menschen (Mt 10 29 f.). Aber
der vertrauende Glaube, die unerschütterliche Zuversicht erzeugt das
wunderbare Paradoxon, daß der zürnende und eifernde, der fordernde
und richtende Gott zugleich der Schenkende und Verzeihende ist, der
Helfende und Rettende, daß die ,hohe allmächtige Gewalt' in ihrem
innersten Wesen nichts ist als Weisheit, Barmherzigkeit und Güte.
262 F II. Mystik und prophetische Frömmigkeit
„Jahwe ist gütig, ewig währt seine Gnade" (Ps 136 1). Gott ist „der
Vater der Erbarmungen und der Gott aller Tröstung, der uns tröstet
in all unser Trübsal" (2 Kor 1 3); „Gott ist die Liebe" (1 Jo 4 8). Gott
ist „eitel lauter Liebe", der „Tröster und Lebendigmacher", der „gütige,
gnädige Vater", dessen Natur „lauter Wohltätigkeit" ist, der , Nothelfer'
und , Gebetserhörer'. Gott glauben heißt „ihn für den einigen allein
erkennen, der alles und allerlei Gutes allem schaffet und gibt", „für
einen Gott, der sich unser annehme, unser Gebet erhöre, sich unser
erbarme und aus aller Not helfe" (Luther) 116.
Der Mystiker erlebt im lautlosen Schweigen die Gegenwart des Un-
endlichen und atmet im tiefsten inneren Frieden Gottes sanften Hauch.
Das prophetische Gefühl von der Gegenwart Gottes ist ein Erleben der
Wirksamkeit Gottes und besitzt eine ungleich höhere Dynamik:
überall und jederzeit spürt er seine lebendige Nähe und verzehrende
Kraft, nicht einmal in der Unterwelt könnte er ihr entrinnen (Ps 139 7 ff.).
Die konsequente Mystik entkleidet die Gottesvorstellung aller per-
sönlichen Attribute, bis sie beim ,bloßen' und ,reinen' Unendlichen
angelangt ist. Der Gott der prophetischen Geister hingegen trägt un-
verkennbar die Züge der menschlichen Persönlichkeit; der primitive
Anthropomorphismus lebt in ihr, vergeistigt zwar, aber in seiner ganzen
urwüchsigen Kraft fort; Gott ist Herr, König und Richte^ und wenn
die Zuversicht alle Furcht verdrängt hat, der Vater.
5. Die Wertung der Geschichte 117.
a) Mystik.
Der ruhende Gott, mit dem der Mystiker in der Ekstase ganz eins
wird, ist jenseits von Raum und Zeit, ohne innere Beziehung zur Welt
und Geschichte. Die Idee einer Offenbarung Gottes in der Geschichte
ist der Mystik innerlich fremd, sie ist eine rein übergeschichtliche Fröm-
migkeit. Der aristotelische Terminus der dviOTOQt]ola findet auf
die Mystik die treffendste Anwendung. Die christliche Mystik mußte
darum wie die jüdisch-philonische und die islamisch-suf istische Mystik
den biblischen Glauben an die geschichtliche Offenbarung Gottes um-
deuten und die Heilsgeschichte zu einem bloßen Vorbereitungs- und
Anschauungsmittel der mystischen Erlebnisse herabdrücken. Die
heilsgeschichtlichen Fakta der biblischen Religion verblassen zu trans-
parenten Symbolen überzeitlicher Wahrheiten; sie werden psychologi-
siert, der Einmaligkeit enthoben, aus dem äußeren Weltverlauf in die
Tiefen der frommen Seele verlegt. „Was immer am Kreuz Christi, im
Grab, in der Auferstehung am dritten Tage, beim Sitzen zur Rechten
des Vaters sich abspielte, spielte sich so ab, daß durch diese Dinge
nicht nur in mystischen Worten, sondern auch in dramatischen Hand-
lungen das christliche Leben bildlich dargestellt wurde (configuraretur),
das sich hier vollzieht" (Augustinus) 118. Wohl hat die mittelalterliche
Mystik, von augustinischen Gedanken angeregt, eine zarte und feine
Heilandsmystik reifen lassen, deren Gedanken und Stimmungen stets
um die biblischen Bilder des Mensch gewordenen Gottessohnes, seiner
Geburt und Kindheit, seines Leidens und Sterbens kreisen. Das mystisch
Wertung der Geschichte 263
retouchierte menschliche Jesusbild wird zum Muster der mystischen
Jesusnachfolge. Das arme Leben Jesu, seine passiv-quietistischen
Tugenden der humilitas, Caritas und oboedientia soll der Mystiker in
seinem eigenen Leben verwirklichen 119. Aber diese imitatio Christi,
die seit Bernhard von Clairvaux dem mittelalterlichen, zumal dem
franziskanischen Frömmigkeitsideal so charakteristische Züge verleiht,
ist im Grunde nur das Gegenbild des mystischen Heilsprozesses, eine
Veranschaulichung des mystischen ,Entwerdens' in biblischen Bildern.
Sie ist nur etwas Vorläufiges, die via purgativa (Weg der Reinigung),
der die höheren Stufen des Heilspfades folgen. Das mystisch zurecht-
geformte Jesusbild des Neuen Testaments hat aber noch eine weitere
Bedeutung als ,Materie' der mystischen Meditation, mit welcher die
nächste Stufe des vollkommenen Lebens anhebt. Aus den starken
Gefühlsreizen, welches dieses farbige Phantasiebild ausstrahlt, nährt
sich das mystische Gebetsleben, aus ihnen saugt es seine Kraft und
Innigkeit. Aber auf den kontemplativ-ekstatischen Gipfeln des mysti-
schen Lebens muß der Fromme alle diese gefühlsgesättigten Bilder vom
Heiland und seiner Passion auslöschen, er muß, wie die deutschen
Mystiker sagen, ,von Bildern kommen'. In dem Augenblick, da die
Seele das höchste Gut schaut und genießt und sich mit ihm völlig ver-
eint, sind alle Gedanken an den menschlich-geschichtlichen Christus
völlig entschwunden 12°. Das auf die alexandrinische Theologie zurück-
gehende Axiom Augustins: „Per hominem Christum tendis ad Deum
Christum1''' („über den Menschen Christus schreitest du hinaus zum
Gott Christus") m kehrt bei den mittelalterlichen Mystikern immer
wieder 122. ,,Du sollst," sagt Christus bei Seuse, „den Durchbruch
nehmen durch meine leidende Menschheit willst du wahrlich kommen zu
meiner bloßen Gottheit." 123 So ist der menschgewordene Gottessohn
und Erlöser nicht der geschichtliche Offenbarer des ewigen Gotteswillens,
sondern das anschauliche Symbol des räum- und zeitlosen summum
bonum, der unendlichen Gottheit. Will der Fromme zu dieser gelangen,
so muß er über den geschichtlichen Christus hinausschreiten; er muß
von ihm ebenso ,entbildet' werden wie von aller Kreatur.
b) Prophetische Religion.
Für die Mystik ist Gott der in sich Ruhende, der sich selbst Ge-
nügende, der Schweigende, der deus absconditus. Für die prophetische
Religion ist Gott der Schaffende und Wirkende, der Redende, der deus
revelatus, dessen Wesen Offenbarung ist, der in der Natur wie
im Schicksalslauf des Einzelnen und der Völker seinen Willen kundgibt.
Die Geschichte ist das eigentliche Bereich seiner Offenbarung, sie bildet
die Basis der Gemeinschaft mit ihm, den festen Grund aller Glaubens-
zuversicht. „Die Israeliten verstanden es wie kein anderes Volk, die
Religion als Geschichte zu erleben und zu betrachten." 124 Die Aus-
wanderung der Terahiden aus Chaldäa, der Auszug Israels aus Ägypten,
die Wüsten Wanderung und Eroberung Kanaans, die Siege über die
Nachbarstämme sind Jahwes Werk und Wille, auf die die prophetische
Verkündigung stets verweist (vgl. Am 2 9 ff.). Der Auszug, die Gesetz-
264 F II. Mystik und prophetische Frömmigkeit
gebung und der Bundesschluß am Sinai sind für die alttestamentliche
Frömmigkeit die Heilstatsachen, an die sich alle Zuversicht
und Zukunftshoffnung in den Zeiten der Erniedrigung klammert. Aber
zu einer noch tieferen religiösen Geschichtsauffassung rangen sich die
Propheten empor. Nicht nur in den Eroberungen und Siegen, sondern
auch in den Leiden und Drangsalen des Volkes erlebten sie Gottes
Willen und Offenbarung: Israels Erniedrigung ist Jahwes Strafgericht,
die fremden Könige sind seine ,Werkzeuge'. Ja, im Liede des Deutero-
jesaia vom leidenden Gerechten schwingt sich der Glaube an den Offen-
barungscharakter der Geschichte zu der kühnen Überzeugung empor,
daß Israel in stellvertretendem Leiden für die Völker sich opfere ( Jes 53).
In der urchristlichen Erfahrung tritt an die Stelle der äußeren geschicht-
lichen Ereignisse und der vielen prophetischen Einzelpersönlichkeiten,
welche Träger der Offenbarung Jahwes sind, eine einzigartige geschicht-
liche Persönlichkeit, der Gottessohn als höchste Offenbarung. „Als die
Fülle der Zeit anbrach, sandte Gott seinen Sohn" (Gal 4 4). „Auf
vielerlei Art und mannigfache Weise hat ehedem Gott zu den Vätern
und Propheten geredet, zuletzt in diesen Tagen hat er zu uns durch
seinen Sohn geredet." (Hebr. 1 1). Der persönliche Gott denkt, redet
und handelt in und durch Christus; das christliche Gotteserlebnis wird
unlöslich mit der geschichtlichen Persönlichkeit Jesu verbunden.
„Niemand kommt zum Vater denn durch mich" ( Jo 14 7). Die neu-
testamentliche Religion ist streng christozentrisch ; sie kennt keinen
Verkehr des Menschen mit Gott außer in und durch den xvqios
'Iiyoovg XQiorög, den Offenbarer und Mittler; sie kennt kein Gebet
außer ,im Namen Jesu' an den , Vater unseres Herrn Jesu Christi'.
Menschwerdung, Opfertod und Auferstehung des Gottessohnes sind
die großen christlichen ,Heilstatsachen', auf die sich der tröstliche Glaube
an Gottes erlösende und sündenvergebende Gnade stützt. Dieser christ-
liche Glaube an die geschichtliche Grundlegung des Heils hat seinen
kraftvollsten Ausdruck im apostolischen Symbolum, wo das ganze
göttliche Heilsdrama in lapidarer Kürze zusammengefaßt ist. Die ins
Überzeitliche, Unendliche strebende Mystik hat diese heilsgeschichtliche,
christozentrische Form des Gotterlebnisses preisgegeben oder doch
gänzlich umgeformt. Die Wiederbelebung der prophetisch-evangelischen
Religion durch die Reformatoren bedingte eine Erneuerung der geschicht-
lichen Offenbarungsidee. „Gott ist," sagt Luther, „nicht ein ungewisser
Gott, sondern ein solcher Gott, der sich selbst geoffenbaret an einem
gewissen Orte und durch sein eigen Wort und durch gewisse Zeichen
und Wunderwerke abgemalet und gleichsam versiegelt und verbriefet
und verpetschieret hat, dadurch man ihn gewißlich erkennen und er-
greifen möge" 1?5. Die christozentrische Position ist von niemand
kraftvoller und schroffer vertreten worden wie von Luther. „Ich soll
und will von keinem anderen Gott wissen denn in meinem Herrn Christo."
„Gott ist sonst auf alle Art und Weise unbegreiflich, aber in dem Fleisch
Christi ist er begreiflich." Man muß „Christum und den Vater fest
ineinander binden und heften, auf daß man lerne von Gott nichts zu
denken denn in Christo." „Mein Hauptstück soll sein, daß ich mich
Wertung der Geschichte 265
an Christus halten will und daß durch ihn mir das Leben geschenkt
werde." 126 Diesen evangelischen Grundgedanken der Offenbarung Gottes
in Christus hat Kierkegaard in seiner vollen irrationalen Wucht und
Tiefe ausgesprochen. „Das Absolute ist geoffenbart in der Geschichte,
und zwar in einer so anstößigen Gestalt wie der des Gekreuzigten." 127
Der Gegensatz der prophetisch-evangelischen Frömmigkeit zur Mystik
tritt gerade in der Wertung der Geschichte in voller Schärfe hervor:
dort das Hin ausschreiten über Raum und Zeit in die unendliche Weite,
des Göttlichen, hier das feste Sichklammern an die in Raum und Zeit
gegebene Gottesoffenbarung; dort die absolute Freiheit von allen
objektiven Geschichtstatsachen, hier die strenge Bindung der Heils-
erfahrung an die objektive Geschichte; dort ein kühnes Sicherheben
über den geschichtlichen Christus, hier ein demütiges Haften und Hängen
an dem geschichtlichen Offenbarer und Heilsmittler; dort unmittel-
bare und wesenhafte Gotteinigung, hier Gemeinschaft mit Gott in und
durch Christus: „Panchristismus" (Friedrich von Hügel)128.
6. Die Stellung zur Autorität.
Mit der Stellung zur Geschichte hängt enge zusammen die Stellung
zur religiösen Autorität. Die Mystiker reden zwar von , Offenbarungen
Gottes im Sinne der mystischen Inspirationen, Visionen , Ekstasen; aber
diese sind nicht die Prärogative gottgesandter Männer, sondern können
prinzipiell jedem Frommen zuteil werden, der den mystischen Heilspfad
beschreitet; sie haben auch nur für die individuelle Heilserfahrung der
Frommen, die von ihnen begnadet werden, Bedeutung, besitzen aber
keine alle Menschen bindende Normkraft. Die Mystik kennt nur eine
subjektive, innere Offenbarung; die Offenbarung tritt nicht von außen
als objektive, geschichtliche Tatsache an den Menschen heran, sie ist
nicht lehr- und mitteilbar; Gott muß sich vielmehr mit dem Menschen
in der innersten Seele berühren, sich selbst ihm hier kundtun. Darin
liegt begründet, daß die Mystik letzten Endes erhaben ist über jede
religiöse Autorität. Auch die christliche Mystik zeigt (ebenso wie die
jüdisch-philonische und die islamisch-sufistische Mystik) trotz der
aufrichtigen Unterwerfung unter die religiöse Tradition und das kirch-
liche Dogma und Lebensgesetz eine souveräne innere Freiheit von allem
Dogmatisch-Autoritativen und Kirchlich-Statutarischen. Selbst Jesu
Persönlichkeit besitzt in der mystischen Frömmigkeit nicht autoritative
Bedeutung; das mystisch retouchierte biblische Jesusbild, das für die
Mystiker Objekt der Nachahmung und Nachfolge ist, entbehrt des ethisch-
normativen Charakters. Daß die Mystiker sich dennoch den kirchlichen
Autoritäten willig sich fügen, liegt in dem passiven, quietistischen
Charakter aller Mystik begründet. Die Mystik braucht das schützende
Kirchendach, damit sie ungestört ihr stilles kontemplatives Leben
führen kann, sie braucht die harten Hülsen und Krusten des Kirchen-
tums, damit ihre zarte und empfindsame Herzensfrömmigkeit nicht
Schaden leidet. Alle großen katholischen Mystiker waren streng kirchlich,
so kirchentreu und kirchenergeben, daß sie seihst das sarrificium intel-
lectus ohne Murren brachten. Teresa bekannte am Sterbebett immer
266 F II. Mystik und prophetische Frömmigkeit
wieder: „Ich bin eine Tochter der Kirche."129 Meister Eckhart und
Madame Guyon haben, von der Kirchenbehörde angefochten, ihre
strenge Kirchlichkeit und Rechtgläubigkeit beteuert, trotzdem
sie in ihrer mystischen Gotteserfahrung meilenweit vom kirchlichen
Dogma entfernt waren; Molinos hat seiner quietistischen Mystik sogar
feierlich abgeschworen. Und sie konnten das mit gutem Gewissen tun,
denn dieser Verzicht auf die persönliche Freiheit, der demütige Autoritäts-
gehorsam ist für sie nur ein Stück des mystischen Entwerdens, der
asketischen Selbstertötung und Selbstvernichtung. Auf den einsamen
Höhen der Gottesschau und Gotteinigung wird ja der Mystiker völlig
frei von aller kirchlichen Autorität, von aller dogmatischen Bindung,
wie von aller geschichtlichen Offenbarung, denn er ist selbst zu Gott
geworden.
Die individuelle Berührung und Einigung des Mystikers mit dem
Göttlichen ist nicht eine ,Offenbarung' Gottes im eigentlichen Sinn
des Wortes ; von dieser kann allein die prophetische Religion
reden. In ihr ist Offenbarung eine objektive, geschichtliche Tatsache,
eine allgemein verbindliche göttliche Willenskundgebung. Träger dieser
Offenbarung sind nur wenige, „vom Mutterleib auserkorene" (Jer 1 5),
besonders ausgerüstete Persönlichkeiten. Auf der Verkündigung der
göttlichen Offenbarung gründet die Heilserfahrung; „der Glaube kommt
aus dem Anhören, das Anhören aus dem Wort Christi" (Roe 10 17).
„Gott hat beschlossen, daß niemand soll und kann glauben noch den
heiligen Geist empfahen ohne das Evangelium, so mündlich gepredigt
oder gelehret wird" (Luther) 130. Im Offenbarungscharakter der propheti-
schen Religion wurzelt der Autoritätsgedanke. In den schöpferischen
Erlebnissen der Propheten tut Gott seinen Willen kund, er ,redet' durch
ihren Mund, ihr Wort ist darum für Mit- und Nachwelt bindend. Die
Hochschätzung und Verehrung, welche die großen Mystiker im Kreise
ihrer Jünger besitzen, läßt sich nicht annähernd mit der zentralen
Stellung und persönlichen Autorität vergleichen, die Moses und die
Propheten in der israelitischen Religion (auch für Jesus), Muhammed
im Islam, Jesus und Paulus für das Urchristentum und für die Refor-
matoren besitzen. Es handelt sich hier nicht um ein bloßes Sichangezogen-
f ühlen undAngeregtwerden von geistesverwandten großenPersönlichkeiten
wie in der Mystik, sondern um eine völlige Determinierung der eigenen
Erfahrung durch die Erfahrung der schöpferischen Persönlichkeiten.
Diese Autorität ist jedoch nicht eine unpersönliche, sachliche, wie das
kirchliche Lehramt, dem die Mystiker sich unterwerfen, sondern die
lebendige religiöse Persönlichkeit. Auch hinter dem Schriftwort, auf das
Luther pocht und schwört, steht die persönliche Autorität der biblischen
Genien, die Träger der geschichtlichen Offenbarung Gottes sind. Weil
die prophetisch-evangelische Religion keiner institutionellen, kirchlichen
Autorität sich beugt, sondern nur der persönlichen Autorität über-
ragender Gottesmänner, darum kennt sie auch keine bloße Zustimmung
zu statutarisch und autoritativ vermittelten Glaubenslehren, sondern
nur die freie schöpferische Aneignung des tiefsten religiösen Erlebens,
das mächtig in jenen großen Frommen flutet. Während also in der
Sünde und Heil 267
Mystik fügsamster Autoritätsgehorsam und radikalste Emanzipation
von aller Autorität unausgeglichen nebeneinander stehen, vereinen sich
in der prophetischen Religion die Beugung unter die Autorität des sich
offenbarenden Gottes mit der persönlichsten und lebendigsten Freiheit
in voller Harmonie.
7. Sünde und Heil.
Sünde ist im Sinne der Mystik nicht die Negation ethischer Werte und
Normen, sondern das ungebrochene Ausleben des natürlichen Affekt-
und Trieblebens, die naive Lebensbejahung, Lebenslust, Weltfreude und
das dadurch bedingte Verharren in der Besonderung des individuellen
Daseins. Sünde ist für die Buddhisten der ,Daseinsdurst' (bhavatanha),
für Augustinus die ,Konkupiszenz', die ungehemmte Lebensbegierde 130b,
für den Verfasser der ,Deutschen Theologie' der , Eigenwille' m. Weil
Lebensdrang und Daseinsgier durch die Eindrücke der Sinnenwelt und
die Beschaffenheit des menschlichen Körpers genährt werden, identifiziert
die Mystik , Sinnlichkeit', ,Welt' und ,Fleisch' mit Sünde. Eben deshalb,
weil die Sündhaftigkeit als etwas Äußeres, Naturhaftes betrachtet wird,
ist sie für den Mystiker nur ein metaphysisches Verhängnis, ein Schick-
sal, das den innersten Kern des Menschen, den Seelengrund, nicht
berührt. Sünde ist darum ein ,Nichtseiendes' (firj öv), wie der Areo-
pagite sagt 132, ein ,Fernsein von Gott' (longe a Deo esse) nach einem
augustinischen Terminus 133, nur , Beraubung' (privatio), , Mangel'
(defectus), ,Abwesenheit' (absentia), wie Meister Eckhart sich aus-
drückt 134.
Für die prophetische Frömmigkeit hingegen liegt die Sünde im Bruch
mit der gottgesetzten ethischen Wertordnung, im Abfall von Gottes
heiligem Willen. ,,An dir allein habe ich gesündigt" (Ps 51 6). Das
Sündengefühl besteht in der Verurteilung des Ich als Trägers eines
sittlich-religiösen Unwertes, im Gefühl der völligen Profanität und
Unheiligkeit, im Erlebnis des Zwiespaltes zwischen dem gottgewollten
ethischen Ideal und der eigenen sittlichen Ohnmacht. Die Distanz
zwischen Mensch und Gott ist keine metaphysische, sondern eine ethische .
Sünde — Gnade, Schuld — Rechtfertigung, Verdammung — Ver-
zeihung: das ist das große Problem der biblischen Frömmigkeit, das
sich hindurchzieht durch das ganze alt- und neutestamentliche Schrift-
tum, das nie in der Geschichte der christlichen Frömmigkeit in Ver-
gessenheit geriet, das aber erst in den Reformatoren mit ursprünglicher
Kraft wieder lebendig wird. Das Schuldgefühl erlangt in der prophe-
tischen Religion eine niederschmetternde Gewalt, die der eigentlichen
Mystik fremd ist; die Sünde ist die furchtbarste Realität, so furchtbar
und ungeheuer, daß sie nur als Ausfluß einer widergöttlichen persön-
lichen Macht, des Satan, verständlich wird.
Die Mystik sucht das Heil in der Loslösung von der Welt und Kreatur,
von allem Nichtsein, und will so zum allein wahren Sein kommen. Der
Mensch soll ,entwerden' und so die Hüllen der Endlichkeit abwerfen,
den Abstand zwischen Endlichem und Unendlichem aufheben; dann
wird er eins mit dem Göttlichen. Die ekstatische .Einigung' mit Gott
268 F II. Mystik und prophetische Frömmigkeit
(aikyam in der indischen Mystik, tauhid in der islamischen, 'achduth
in der jüdischen, evcootg in der griechischen, ,unio1' in der roma-
nischen) ist das eigentliche Heilsideal der Mystik. Der Weg zu
diesem hehren Erlösungsziel ist jedoch ein gar schwieriger und steiler;
nur schrittweise vermag der Heilshungrige sich dem unendlichen Ideal
zu nähern, Staffel für Staffel muß er die Heilsskala hinaufklettern, die
zur schwindelnden Höhe der ekstatischen Gotteinigung emporführt.
Die wichtigsten Abschnitte dieses Heilspfades sind nach der neuplatoni-
schen Formel, die durch Dionysius Areopagita zum Gemeingut der
christlichen Mystiker wurde: 135 , Reinigung' (xd&aQOig, via pur-
gativa), d. h. Askese, ,Erleuchtung' (elXafiipig, via illuminativa)
d. h. Meditation und Gebet und , Einigung' (evcooig, via unitiva)
d. h. Kontemplation und Ekstase. Mit dieser mystischen Stufen-
leiter deckt sich der buddhistische Heilsweg : Askese oder Sittlichkeit
(sila), Versenkung (samddhi), Erkenntnis (pahhä); die Buddhisten
fügen nur noch als letzte Stufe die Befreiung (vimutti) d. i. das Nirväna
an 136. Dieser Erlösungsprozeß ist ein mühevolles Sichhinaufarbeiten
in eine höhere Sphäre ; aber mit der eigenen Kraftanstrengung muß sich
die unterstützende Gottesgnade vereinen, damit der Fromme zu diesem
Ziele kommt. Die' höheren mystischen Zustände können wohl durch
unablässiges Bemühen vorbereitet werden, aber ihr Auftreten in der
Seele ist nicht Menschen werk, sondern Gottesgnade. „Nur wen e r
wählt, ist fähig ihn zu fassen" (Käthaka-Upanishad II 23). Selbst der
Buddhismus, der doch das autosoterische Prinzip mit aller Entschieden-
heit durchführt, betrachtet die befreiende , Erleuchtung' und das erlösende
Nirväna als etwas Wunderbares, Gnadenvolles, als ein , Gottesgeschenk
ohne Schenker' 137.
Im Gegensatz zu dem komplizierten mystischen Heilspfad ist das
Heilserlebnis der prophetisch-biblischen Religion etwas unendlich Ein-
faches. „Zum Vater kommen" ist nicht wie bei den Mystikern „mit
Flügeln gen Himmel steigen, sondern mit herzlicher Zuversicht auf ihn
sich verlassen als auf einen gnädigen Vater" (Luther) 138. Das Heil
(aojTtjQla) liegt in der Wiederherstellung der durch die Sünde ge-
lösten Gemeinschaft mit Gott, in der Überbrückung der Kluft zwischen
dem Unwert des eigenen Ich und dem gottgewollten sittlichen Wert;
diese kann nur von Gott durch , Rettung', ,Vergebung', Rechtfertigung'
vollzogen werden. Die Erlösung kann nicht durch Eigentätigkeit vom
Menschen erlangt werden, auch nicht durch die größten Werke der
Askese, sie ist vielmehr ein freier Akt der göttlichen Gnade; denn der
Mensch, der sich innerlich selbst verurteilt, seinen eigenen Unwert
erlebt, ist nicht imstande, aus eigener Kraft das „fröhliche Gewissen"
(Luther) 139, das zuversichtliche Lebensgefühl zu erlangen oder zu
erneuern; es muß spontan aus der Seele herausquellen. Auf Seite des
Menschen bedarf es nur einerseits des sittlichen Aktes der Sinnes-
änderung, der seelischen Umwandlung (fietdvoia), der Selbstver-
urteilung, des radikalen Bruches mit der Vergangenheit, anderer-
seits der vertrauensvollen Hinwendung zu Gott, der schlichten und
kindlichen, demütigen und freudigen Zuversicht zu dem gnädigen und
Sünde und Heil 269
barmherzigen Gott. , Rückkehr zu Jahwe' ist das, was die israelitischen
Propheten von dem sündigen Israel fordern 140. Durch das schlichte
Bekenntnis: „Vater, ich habe gesündigt, ich bin nicht wert, dein Sohn
zu heißen," erlangt nach der Parabel Jesu der verlorene Sohn Vergebung
und Wiederaufnahme im Vaterhause (Luk 15 2i)' durch die demütige
Bitte: „Gott, sei mir Sünder gnädig!" wird dem Zöllner Vergebung und
Rechtfertigung zuteil (Luk 18 13). Im Glauben an den gnädigen Vater-
gott liegt nach Paulus allein Heil und Sündenvergebung. Luther hat
diesen biblischen Heilsbsgriff, zu dem Augustin, der ehemalige Neu-
platoniker, nie ganz vordringen konnte, wieder erneuert. Der Glaube
ist es, der Heil und Erlösung schenkt, und er allein: sola jides. Der
Mensch kann nichts für sein Heil tun und wirken, sondern nur glauben
und vertrauen, empfangen und danken. „Mit keinem andern Werk
mag man Gott erlangen oder verlieren denn allein mit Glauben oder
Unglauben, mit Trauen oder Zweifeln." „Es ist nicht von nöten, daß du
dies oder jenes tuest. Tu unserm Herr Gott nur soviel Ehre und nimm es
an, was er dir gibt und glaube, was er dir zusagt." „Der rechte Glaube
ist ein lauter Gottes Werk, ohn alles unser Zutun in uns" 141. Paulus,
Luther und all die Frommen, die den Konflikt zwischen Sündenbewußt-
sein und Gnadensehnsucht durchkämpften, klammern sich in ihrem
Heilsglauben und Vergebungstrost an eine geschichtliche Heilstatsache,
den Sühnetod Jesu am Kreuze, der ihnen eine objektive Garantie der
vergebenden und rechtfertigenden Gottesgnade bietet. Im japanischen
Sola- fide-3uddhisinus ist die Heilstatsache Amida Buddhas großes
vorzeitliches Gelübde (pürvanidhäna), nicht eher ins Nirväna einzugehen,
als alle Wesen erlöst seien. 142 Die psychologische Eigenart des Heils-
erlebnisses wird durch diese objektive Stütze nicht verändert. Immer
ist es der innere Zwiespalt zwischen der Majestät des sittlichen Ideals
und der eigenen sittlichen Unwürdigkeit und Ohnmacht, der durch
einen schöpferischen Akt der Zuversicht überwunden wird.
Der Unterschied zwischen dem mystischen und prophetischen Heils-
glauben ist so deutlich wie möglich. Dort ein komplizierter „Heilsweg",
eine schwierige, zu schwindelnden Höhen emporführende Heilsskala —
hier ein spontaner religiös-ethischer Akt der Selbstverurteilung, des
Willens zum Guten und des Vertrauens, der Freiheit, Kraft und Selig-
keit verleiht; dort eine mühevolle Selbstpräparation und kunstvolle
Psychotechnik — hier ein freies Leben und Wirken aus der Kraft des
Geistes: „der Geist weht, wo er will" (Jo 38); dort ein langwieriger
Prozeß des ,Entwerdens', der sukzessiven Selbstvernichtung ■ — ■ hier
eine radikale innere Umgestaltung, eine „Wiedergeburt", eine Neu-
schöpfung. „Wenn einer in Christus ist," bekennt Paulus, „dann ist er
ein neues Geschöpf. Das Alte ist vergangen, siehe alles ist neu ge-
worden" (2 Kor 5 17).
8. Die Stellung zur Ethik.
Das sittliche Tun gilt der Mystik nicht als Eigenwert, Selbstzweck
d. h. als Verwirklichung von Werten im persönlichen und sozialen
Leben, sondern als Mittel zur Ertötung der Sinne und Verdrängung der
270 F II. Mystik und prophetische Frömmigkeit
Affekte. Die Sittlichkeit der Mystik ist Askese, Läuterung des
Seelenlebens {xäü-ctQOig); sie besitzt eine negative, außerethische
Bedeutung als die entferntere, freilich unumgängliche Vorbereitung
zur Vereinigung mit Gott 143; die nähere Vorbereitung bilden Betrachtung,
Gebet und Versenkung. Auch der grandiose Heroismus und die opfer-
starke Caritas mancher christlicher Mystiker, wie einer Katharina von
Genua, dienen nur der Reinigung, der Selbsthingabe und Selbstertötung
und sollen der ekstatischen Gotteinigung die Wege ebnen. Wie in dem
Heilspfade der neuplatonischen und christlichen Mystik, so bildet auch
in der buddhistischen Erlösungsskala das sittliche Tun nur die Vor-
stufe zur ,Versenkung' und , Erkenntnis' (s. o. S. 268).
Die erste Bedeutung des Sittlichen für das mystische Frömmigkeits-
leben liegt darin, daß es die psychologische Vorbereitung für die höheren
mystischen Gotteserfahrungen bildet. Eine zweite Bedeutung besitzt
das ethische Wollen und Handeln als Kriterium für die Gesundheit der
mystisch-ekstatischen Erlebnisse. Nach Teresas Urteil ist vollkommen
in der Gottesliebe „nicht diejenige Seele, welche die meisten Süßig-
keiten und Tröstungen verkostet, sondern diejenige, welche am festesten
entschlossen ist, Gott nicht mehr zu beleidigen und Gottes Willen zu
erfüllen." 144
Diese positivere Wertschätzung des Ethischen, die uns bei vielen christ-
lichen Mystikern begegnet, beruht auf biblisch-evangelischen Ein-
flüssen. Die konsequente Mystik hingegen erkennt der Ethik nur eine
provisorische, pädagogische Bedeutung zu. Weil für sie das Sittliche
nur etwas Vorläufiges, Vorbereitendes ist, darum muß der nach dem
Höchsten strebende Fromme das Reich der sittlichen Ideale hinter sich
zurücklassen; er muß das auf konkrete ethische Werte und Aufgaben
gerichtete Wollen ebenso überwinden wie das triebhafte Streben; er
muß die heiligen Werke der Selbstzucht und Nächstenliebe ebenso
aufgeben wie das irdische Tun und Lassen. Schon der weise Atman-
Seher Yajnavalkya sagt: „Über das böse Tun und über das gute Tun,
über beides schreitet der Unsterbliche hinaus" 145, ein Satz, den das
buddhistische Dhammapada wie die Bhagavadgitä wiederholten146.
In gleicher Weise urteilt Plotin: „Die Seele darf« weder Böses noch
Gutes an sich haben, damit sie als Einsame das Einsame aufnehme." 147
Mechthild von Magdeburg meint: „Die Minne ohne Mutter der Demut
und ohne Vater der Furcht, die ist an allen Tugenden verwaist." 148
Pere Lacombe sagt: „Es ist schwerer den Tugenden abzusterben als
den Lastern; und dennoch ist das eine so notwendig wie das andere,
um zur vollkommenen Einigung zu gelangen." 149 Gerade die tätige
Caritas muß überwunden werden, weil sie die innere Unberührtheit
und Einheit stört. Meister Eckhart sagt: „Ich lobe auch die Abge-
schiedenheit vor aller Barmherzigkeit, denn Barmherzigkeit ist nichts
anderes, denn daß der Mensch aus sich selber geht auf seines Eben-
menschen Gebresten und davon sein Herz betrübet wird. Dessen steht
die Abgeschiedenheit ledig und bleibt in sich selber und läßt sich durch
kein Ding betrüben." 150 Auf der Höhe der mystischen Abgeschieden-
heit und Gottesschau ist das Reich der sittlichen Werte untergegangen.
Stellung zur Ethik 271
Der Vollendete steht „jenseits von Gut und Bös" (anyatra dharmäd
anyatra adharmdd, Kathaka-Upanishad II 14), „Gut und Bös hat
für ihn aufgehört zu existieren" (Dhammapada 39). „Wo die Liebe ist,
sind Gut und Bös verschwunden" (Ferid-ed-din-Attär 151).
Für die prophetische Religion ist das sittliche Wollen und
Handeln kein Provisorium, nicht bloße Vorbereitung für die Einigung
mit Gott, sondern ein ,Tun des Willens Gottes', wie es in der Ver-
kündigung Jesu immer wieder heißt. Das Sittliche wird vom Religiösen
nicht getrennt; die Religion löst sich auch nicht in Sittlichkeit auf wie
in der philosophischen Reformreligion, sondern steht mit ihr in innerem
organischen Zusammenhang. Diese Verbindung von Religion und Ethik
wurde schon von den beiden Schöpfern der Offenbarungsreligionen,
Mose 152 und Zarathuschtra, vollzogen ; sie wird vollendet von den alt-
testamentlichen Propheten und von Jesus. Gott ist nicht der , Übergute',
sondern der Inbegriff und Quelle aller sittlichen Werte, der heilige
Wille, der souveräne Gesetzgeber und Richter, der fordert und gebietet,
rächt und verdammt. Die Erfüllung seiner sittlichen Forderung im
individuellen und sozialen Leben, in der Herzensreinheit und Selbst-
zucht, in der Bruderliebe und Opferhingabe ist genau so Gottesdienst
und Gottesumgang wie Gottesglaube, Gottesliebe und Gebet. Mispät
(.Recht') und sedalcd (.Gerechtigkeit') machen im Alten Testament das
Wesen der praktischen Religion aus 153. Paulus stellt die tätige Liebe
über alle wunderbaren Gottesgnaden, über den Enthusiasmus des
Zungenredens und die anderen Charismen, ja selbst über Glaube und
Hoffnung (1 Kor 13). Die lebendige Gotteserfahrung drängt von selbst
zur sittlichen Aktivität, der frohe Gottesglaube offenbart sich spontan
im sittlichen Handeln. „Der Glaube wirkt sich aus in der Liebe" (Gal 5 6).
Der Glaube „wird ohne Zwang willig und lustig, jedermann Gutes
zu tun, jedermann zu dienen, allerlei zu leiden, Gott zu Lieb und Lob,
der ihm solche Gnade erzeiget hat, also daß unmöglich ist, Werk vom
Glauben scheiden, ja so unmöglich als Brennen und Leuchten vom
Feuer mag geschieden sein" (Luther) 154.
So ist das sittliche Tun in der Mystik nur Vorstufe der Einigung
mit Gott, in der prophetischen Frömmigkeit hingegen selbst Gemein-
schaft mit Gott. Die mystische Ethik hat ausschließlich negative Be-
deutung, sie will ein Hindernis des Heils wegschaffen, das natürliche
Affektleben binden. Die prophetische Ethik hingegen hat positive
Bedeutung; sie will gottgewollte Ideale realisieren, die in sich selbst
wertvoll sind, nicht erst im Hinblick auf ein religiöses Ideal. Die mystische
Ethik ist durchaus individualistisch und asozial: der Einzelne soll
durch die unermüdliche Arbeit an sich selbst zur affektlosen inneren
Einheit gelangen. Die prophetische Frömmigkeit trachtet ebenso nach
einem Persönlichkeitsideal wie nach einem Gemeinschaftsideal. Sie
fordert ebenso Herzensreinheit und Wahrhaftigkeit wie schenkende
und verzeihende Bruderliebe, sie kennt keine Sittlichkeit, die nicht
zugleich sozial ist; ja die soziale Seite im sittlichen Wirken ist für sie
noch wichtiger wie die individuelle. Für Paulus und Johannes wird die
.Bruderliebe' (dydTtrj) zur christlichen Sittlichkeit schlechthin (1 Kor
272 F II. Mystik und prophetische Frömmigkeit
13; Jo 15 12; 1 Jo 3 n). Für Luther ist der aus der Kraft und Seligkeit
des Glaubenserlebnisses strömende Gottesdienst Dienst am Nächsten.
„Gott bedarf nicht unser Werk und Wohltat, sondern hat uns damit
zu seinem Nächsten geweiset, daß wir demselben tun, was wir ihm tun
wollten." Im Nächsten ,,da soll man Gott finden und lieben, da soll
man ihm dienen und Guts tun, wer ihm Gutes tun und dienen will; daß
also das Gebot von der Liebe Gottes ganz und gar herunter in die
Liebe des Nächsten gezogen ist155."
9. Die Stellung zur sozialen Gemeinschaft 156.
a) Die reine Mystik ist extrem individualistisch, asozial ;
sie kennt nichts anderes als „Gott und die Seele" (Augustinus) 157.
„Die fromme Seele muß so mit Gott geeint sein, als gäbe es nichts
außer allein Gott und die Seele selbst" (Albertus Magnus) 158. „Lebe
mit Gott in deinem Inwendigen, als ob er und du allein in der Welt
vorhanden wäre" (Pere Lacombe) 159. Die Flucht vor der Gesellschaft,
das Leben in der Einsamkeit ist die Vorbedingung der mystischen Heils-
erfahrung. In völliger Vereinsamung, isoliert von allen anderen Men-
schen, steht der Mystiker sich selbst und seinem Gott gegenüber. Das
Selbstbewußtsein, das auf das eigene Ich sich richtende
Wertgefühl — das allen produktiven Persönlichkeiten, den religiös wie
den philosophisch und künstlerisch schöpferischen Menschen eigen ist —
entbehrt bei dem Mystiker jedes sozialen Einschlages; es besteht in
der Gewißheit des individuellen Erwählt-, Begnadet-, Erleuchtet-,
Beseligt-, Vergottetseins. Wo dieses Selbstbewußtsein in konkreten,
sinnlichen Symbolen sich aussprechen will, da stellt sich die mystische
Brautvorstellung ein. Die gottinnige Seele weiß sich als Gottesbraut
erwählt und beglückt von des himmlischen Bräutigams zarter Minne.
Die prophetische Religion hingegen ist durchaus sozial; „wir
viele sind nur ein Leib," bekennt Paulus (1 Kor 10 16). Zwar steht auch
der Prophet im Verkehr mit Gott diesem als individuellePersönlichkeit
gegenüber, als ein Einzelner, aber niemals isoliert von den auderen
Menschen. Die Not, die ihn quält, ist nicht bloß seine eigene, sondern
ebenso die Not seiner Brüder; das Heil, nach dem er verlangt, ist auch
das Heil seines Volkes, seiner Glaubensgenossen, der ganzen Menschheit;
die Werte, Normen und Aufgaben, die in erschütternden Erlebnissen
als unentrinnbare Notwendigkeit ihm aufgehen, gelten nicht bloß ihm,
sondern allen. Darum trägt das prophetische Selbstbewußtsein einen
aktiven, sozialen Charakter, der dem Selbstbewußtsein des Mystikers
mangelt. Auch die prophetischen Persönlichkeiten wissen sich von
Gott erwählt — ■ aber nicht zum ekstatischen Gottesgenuß und zur
bräutlichen Liebeswonne, sondern zu konkreten, positiven Aufgaben,
zur Verkündigung des göttlichen Willens, zur Arbeit am Gottesreich.
Arnos bekennt: „Jahwe hat mich von der Herde weggeholt und sprach
zu mir: Gehe hin und tritt gegen mein Volk Israel auf" (7 14). Die alt-
testamentlichen Propheten wissen sich als Sendboten Jahwes, berufen,
ihrem Volk Gericht und Heil zu verkünden. Jesus weiß sich , ausgesandt'
zur Verkündigung der nahen Gottesherrschaft; aber sein Beruf ist nicht
Stellung zur Gemeinschaft 273
nur ein prophetischer, sondern ebenso ein eschatologischer ; als Messias
und Gottessohn ist er bestimmt, Satans Macht in der Welt zu brechen,
Gericht zu halten über Israel und das ewige Reich der Gerechtigkeit
und Seligkeit auf Erden aufzurichten. Paulus weiß sich durch Gott
,vom Mutterleib auserkoren' und .berufen' zum ,Völkerapostel', ,aus-
gesondert zu predigen das Evangelium Gottes' (Roe 1 x; 11 13; Gal 1 15).
Mohammed nennt sich stolz den , Gesandten Gottes' {rasül Allah). Das
prophetische Selbstbewußtsein ist also Berufungs- und S e n -
dungs bewußtsein gegenüber dem Begnadungsbewußtsein der Mystiker
b) Das mystische Erleben verzehrt den Frommen, hält ihn im eigenen
Seelenleben gefangen ; es gehen darum von ihm keine Impulse zur Ver-
kündigung, zur Missionspropaganda, zur reformatorischen Umgestaltung
der Menschen und der Verhältnisse aus. Die Mystik ist, wie schon der
Name sagt (s. o. S. 248) eine esoterische Religion, bestimmt nur
für wenige begnadete Menschen, die abseits von der Heeresstraße auf ein-
samem Pfade zu Gott pilgern. Die Mystiker gehen nicht auf die Gasse,
um der Menge den kostbaren Schatz zu zeigen, den sie nach langem
Suchen und Ringen gefunden haben, sie predigen nicht den Massen und
machen keine Proselyten. „Die Seele, welche eingeweiht {fivötis)
ist in die heiligen Schauspiele (zeXeTcd), darf niemanden leichtsinnig
die göttlichen Geheimnisse aussagen, sondern muß sie bewahren, ver-
schweigen und hüten in der Unaussprechlichkeit" (Philo) 16°. Nur
den wenigen Gleichgesinnten und Heilsdürstenden erzählen die Mystiker
von den Geheimnissen, die ihnen in der Verborgenheit enthüllt wurden;
den Vertrauten schildern sie ihre Erlebnisse, für die unbekannten, zer-
streuten Geistesverwandten verfassen sie Anweisungen zum geistlichen
Leben. Der Gedankenaustausch der Mystiker vollzieht sich in der
individuellen mündlichen Unterweisung eines nach Vollkommenheit
Strebenden durch einen Eingeweihten, einen Meister, den guru in
Indien, den seich im Sufismus 161, den geistlichen Vater' {TXVEV^axixbg
TictTfjQ) im Mönchtum der Ostkirche. 162. Daneben aber erfolgt
die Einführung in die Geheimnisse des mystischen Innenlebens auf
Uterarischem Wege in der Form des Selbstbekenntnisses, der brieflichen
Seelenführung, der Heilsanweisung durch das Buch. Das literarische
Schaffen ist ein Charakteristikum aller Mystiker. Ungemein häufig
findet sich der vorwiegend schriftlich sich vollziehende intime religiöse
Austausch von Seele zu Seele. Berühmte Mystiker und Mystikerinnen
standen miteinander in einem trauten Freundschaftsverhältnis, so
Räbia und Hasan Basri, Hildegard von Bingen und Bernhard von
Clairvaux, Margaretha Ebner und Heinrich von Nördlingen, Elsbeth
Stagel und Seuse, Katherina von Genua und Marabotto, Teresa und
Johann v. Kreuz, Madame Chantal und Franz von Sales, Madame
Guyon und Pere Lacombe. Aber auch die weitverbreiteten mystischen
Erbauungsbücher tragen keine universalistische Bestimmung, sondern
sind immer nur für emzelne Seelen oder enge Kreise bestimmt. Das
Wort upanishad bedeutet , vertraute Mitteilung', die ,Imitatio Christi'
ist ein Betrachtungsbuch für die Klosterzelle; Madame Guyon erklärte
dem Bischof Bossuet, sie habe ihre mystischen Schriften nur für die
Das Gebot 18
274 F II. Mystik und prophetische Frömmigkeit
wenigen Seelen geschrieben, die in ihrem Sinne das ,innere Gebet1,
pflegten 163.
Auch die prophetischen Persönlichkeiten kennen die Seligkeit, die
der traute Umgang mit Gott in der Gebetseinsamkeit gewährt; aber
sie verharren nicht darin wie die Mystiker, der göttliche Auftrag, den
sie empfangen haben, treibt sie hinaus in die Welt. Der Prophet muß
reden, die ,Kraft Gottes' zwingt ihn dazu vor aller Welt Gottes Wort
zu verkünden , auch wenn er sich innerlich dagegen sträubt. Schon
die Etymologie des hebräischen Wortes ndbi (Sprecher) wie des grie-
chischen Wortes 7iQ0(pi}T7]S (der an Stelle eines anderen Redende)
weist auf die Aufgabe der Verkündigung hin. Der Prophet muß ver-
künden und drohen, trösten und strafen, bekennen und ermahnen,
kämpfen und wecken. Er wendet sich nie bloß an Einzelne, an Jünger
und Vertraute, sondern an das Volk, an die Öffentlichkeit, an die Massen.
,, Jahwe sprach zu Jeremia: Verkünde alle diese Worte in den Städten
Judas und auf den Gassen Jerusalems" (Jer 11 6). „Weh mir, wenn
ich nicht das Evangelium verkündete!" ruft Paulus aus (l^Kor 9 16).
In den Propheten, Aposteln, Missionaren, Reformatoren lebt ein un-
bändiger Eroberungs wille, ein leidenschaftlicher Bekehrungs- und
Heiligungseifer. Sie wollen nicht bloß einsamen Geistesfreunden den
Weg zum Ewigen weisen, sie wollen alle Menschen für Gott und sein
Reich gewinnen, sie wollen alle Seelen für die Ewigkeit retten; sie wollen
,, allen alles werden" (1 Kor. 9 22). Die großen missionierenden Welt-
religionen (Diasporajudentum, Islam, Christentum) sind aus diesem
universellen Drang des Prophetismus hervorgegangen.
Auch in der Missionspredigt des Buddha und seiner Bettelmönche lebt etwas
vod der Kraft der prophetischen Religion; der mystische Grundgedanke wird
hier durch das Mitleidsmotiv durchbrochen. Buddha tat nach der Legende das
Gelübde, nicht eher ins Nirväna einzugehen, ehe alle Wesen erlöst seien 164. Die
mahayänische Richtung des Buddhismus stellt über das Ideal des arhat. der
nur für sich das Nirväna sucht, das des barmherzigen bodhisattva, der, alle Nir-
vänasehnsucht vergessend, allen Menschen die Erlösung vom Leid bringen will,
der lebt und wirkt ,.zum Heile vieler Menschen, zum Glück vieler Menschen,
aus Mitleid mit der Welt, zum Wohle, zum Heile, zum Glücke der Götter und
Menschen" .16S
c) Die Erkenntnis, daß zum geistlichen Leben', zur ,Vollkommenheit'
nicht alle berufen sind, macht die Mystiker tolerant gegen fremde
Religionen wie gegen die traditionelle kultische Volksfrömmigkeit.
Auch in dem rohesten Kultakt sieht der Mystiker eine Ahnung des
sublimen mystischen Erlebnisses. Die einer niederen Entwicklungsstufe
entstammenden Formen der Frömmigkeit fügt er als Vorstufe oder als
pädagogisch wertvolles Hilfsmittel seinem Heilsweg ein ; der ,esoterischen'
tiefen Frömmigkeit, zu der nur die wenigen Auserwählten und Be-
gnadeten fähig sind, stellt er die ,exoterische' Religion gegenüber, in
der den Durchschnittsfrommen in groben Hüllen und äußeren Symbolen
die tiefen Geheimnisse des mystischen Erlebens dargeboten werden.
In ihrer Toleranz und Fügsamkeit besitzt die Mystik nicht die Kraft,
den Kampf gegen das traditionelle Religionswesen, das sie innerlich
überwunden hat, aufzunehmen. Sie schmiegt sich diesem an, wie groß
auch die innere Kluft sein mag, die sie von ihm trennt. In ihrer weichen ,
Stellung zur Gemeinschaf t 275
passiven Fügsamkeit hat sich die sufistische Mystik der starren Gesetzes-
religion des Islam, die mittelalterliche und die quietistische Mystik der
engen und harten Hierarchenkirche anzupassen vermocht.
Im Gegensatz zur Mystik ist die prophetische Religion wesentlich
intolerant. Die Absolutheit der Norm, die Gültigkeit des religiös-
sittlichen Ideals duldet kein Kompromiß. Die prophetischen Bewegungen
stellen stets eine schroffe Opposition gegen die Volksreligion dar, gegen
alles Kult- und Frömmigkeitswesen, das unter dem Niveau des prophe-
tischen Ideals liegt. Die prophetische Religion drängt zu einem gewalt-
samen Bruch mit der traditionellen und konventionellen Religion; sie
ist revolutionär. Aus den prophetischen Erlebnissen sind die
großen Umwälzungen in der Religionsgeschichte geboren . Die Propheten
sind stets Reformatoren, Schöpfer und Herolde emer reineren und
höheren Frömmigkeit. Der prophetischen Verkündigung eignet eine
Schroffheit, Herbheit und Härte, ein sittliches Pathos. Der prophetische
Mazdaismus fordert von seinen Bekennern unversöhnlichen Kampf
gegen seine Feinde, die Anhänger der Drukhs. Die Lügendiener „unter-
weise man mit dem Schwert !" 166 Der Islam predigt dschihäd, den heiligen
Krieg, durch den die Völker zur Anerkennung der Herrschaft Allahs
und seines Propheten gezwungen werden sollen. Die alttestamentlichen
Propheten „eifern für Jahwe" (1 Kg 19) 14; sie führen einen unerbitt-
lichen Kampf gegen die polytheistischen Tendenzen der kanaanäischen
Volksreligion — ein „Huren" mit den Baalen und Götzenbildern nennen
sie die kanaanäischen Kulte 167 — , einen Kampf für die ethische Gottes-
verehrung gegen den Opferkult. Jesus ruft ein furchtbares Wehe über
die Städte Israels, die auf die Reichgottesverkündigung nicht gehört,
und sich nicht bekehrt haben (Mt 11 20 ff.), ein Wehe über die Pharisäer,
die mit ihrer äußerlichen Gesetzesreligion den Weg zum Gottesreich
versperren (Mt 23). Die herbe Polemik und der unerschrockene Kampf
der alttestamentlichen Propheten setzt sich in Jesu ganzem öffentlichen
Wirken fort. „Glaubet nicht, daß ich gekommen sei, den Frieden zu
bringen, ich bin nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das
Schwert" (Mt 10 35). Die leidenschaftliche Intoleranz des prophetischen
Geistes offenbart sich nicht minder beim Völkerapostel. „Wenn jemand
nicht liebt den Herrn, der sei verflucht!" „Wenn jemand ein anderes
Evangelium verkündet als das, welches ihr empfangen habt, der sei
verflucht!" (1 Kor 16 22; Gal 1 9). Im Gegensatz zu der tiefen Ruhe
und innigen Milde der Mystiker lebt der revolutionäre prophetische
Kampfgeist in den Reformatoren machtvoll auf. „Kann denn die Sache
des Evangeliums getrieben werden ohne Tumult, Ärgernis, Aufruhr ?
Du wirst aus dem Schwert keine Feder machen noch Frieden aus dem
Krieg. Das Wort Gottes ist Schwert, ist Krieg, ist Zusammensturz
und Verderben, ist Gift und, wie Arnos sagt, wie ein Bär am Weg und
eine Löwin im Wald so fährt es her über die Kinder Ephraims" (Luther)168
d) Die Mystik besitzt keine gesellschaftbildende Kraft, „sie kann ihrem
Wesen nach nicht wohl Religion einer Gemeinde werden" (Rohde) 169.
Fast nie bilden mystische Persönlichkeiten das Zentrum eines kräftigen
Gemeinschaftslebens, wie es sich innerhalb der Sekte und Ordens-
276 P II. Mystik und prophetische Frömmigkeit
gemeinde abspielt. Wenn den Mystikern eine religiöse Gemeinschaft
vorschwebt, so ist es nur die unsichtbare Kirche, die rein geistige
Gemeinschaft aller gottinnigen Gemüter, die sich unsinnlich, ohne alle
äußeren Zeichen, über Raum und Zeit, über alle Verschiedenheit der
Rasse und Religion hinweg erstreckt. Alle freien, losen und fließenden
Gruppenbildungen um mystische Seelenführer, alle der individuellen
Erbauung dienenden mystischen Konventikel und Geheimbünde sind
nicht religiöse Gemeinschaften im strengen Sinn des Wortes; sie er-
mangeln jeder inneren Geschlossenheit und organisatorischen Festigkeit ;
sie wollen in keiner Weise die große unsichtbare Geistergemeinschaft
ersetzen; sie stellen letzten Endes nur einen zufälligen ,, Parallelismus
religiöser Spontaneitäten" (Troeltsch) dar 17°.
Auch der Buddhismus ist kein Argument gegen den gemeinschaftslosen Cha-
rakter der Mystik. Die Inkonsequenz, die Buddha in der Stunde der Erleuchtung
beging, indem er sich nach hartem innerem Kampfe dafür entschied die ^geheim-
nisvolle, tiefe, dem groben Sinn verborgne" Heilslehre aller Welt zu predigen,
diese Inkonsequenz ist der Grund dafür, daß der Buddhismus aus einer sublimen
mystischen Erlösungsweisheit zu einer umfassenden Weltreligion mit ausge-
dehnten Gemeinden wurde. Aber dieser Übergang von der esoterischen Geheim-
lehre zur missionierenden und organisierenden Weltieligion führte \on selbst
einen religiösen Synkretismus und damit eine Umgestaltung und Entartung der
ursprünglichen Nirväna -Mystik Buddhas herbei. Der Buddhismus ist ein lehr-
reiches Beispiel dafür, daß die Mystik nur dann gemeinschaftbildende Kraft
entfaltet, wenn sie ihrem innersten Wesen untreu wird und aufhört, Religion
der , Einsamen', .Abgeschiedenen' zu sein. in
Die prophetische Wirksamkeit ist an eine Gemeinschaft innerlich
gekettet. Die alttestamentlichen Propheten und Jesus wirken innerhalb
der religiösen Gemeinschaft ihres Volkes. Zumeist aber sprengt die
prophetische Persönlichkeit die traditionelle religiöse Gemeinschaft und
wird zum Zentrum eines neuen, größeren oder kleineren soziologischen
Kreises : die prophetischen Persönlichkeiten besitzen gemein -
schaftsbildende Kraft. Jesu Jüngerschaft verselbständigt
sich allmählich im Kampf mit der Synagoge; Paulus ist der große Ge-
meindeorganisator, der Schöpfer der christlichen Kirche. Willensstarke
Persönlichkeiten bilden den Mittelpunkt neuer engerer religiöser Ver-
bände, die teils den Zusammenhang mit der umfassenden Gemeinschaft
der Kirche im Streben eine , Gemeinde der Heiligen' zu bilden, bewahren
(so die Orden) oder pietätvoll lösen (so die Sekten). Die Reformatoren
gaben den Anstoß zum Entstehen größerer Gemeinschaften, die, von
der katholischen Großkirche getrennt, sich an die politisch-nationalen
Verbände anschlössen, jedoch der festen Struktur und des engen Zu-
sammenschlusses der Sekten entbehrten. Nur Calvins Gottesstaat be-
wahrt den Sektentypus.
10. Die Stellung zur Kultur und Welt.
Die konsequente Mystik ist gleichgültig gegen alle Werte des Kultur-
lebens ; sie kann nur in der Isolierung von der Kultur leben, sie scheut
die Aktivität des Kulturschaffens, sie verträgt nicht die Berührung
mit der Welt und der Materie ; die Arbeit ist ihr wie das sittliche Handeln
nur Askese. Gewiß sind von der Mystik zuweilen gewaltige kulturelle
Stellung zur Kultur und Welt 277
Wirkungen ausgegangen, so vom Buddhismus und von der mittel-
alterlichen Mystik. Die bildende Kunst hat von der mystischen Frömmig-
keit wertvolle Impulse empfangen. Die Mystiker selbst haben auf
literarischem und poetischem Gebiete hohe ästhetische Werte geschaffen ;
man denke an die religiösen Dichtwerke der Buddhisten, an die Poesie
der persischen Süfi und christlichen Mystiker. Die Geschichte
der Philosophie zählt nicht wenige Mystiker zu ihren Größten.
Und doch ist das künstlerische Schaffen und das wissenschaftliche
Forschen im Grunde der Mystik ebenso fremd wie die Gestaltung des
politischen und sozialen Lebens. Alle Kultur und alle Arbeit an ihr
gehört zur ,Welt' und ist eine Gefahr für das Heil, für die volle Abge-
schiedenheit und Einheit der Seele. Darum muß der Fromme der
Kultur ebenso absterben wie seinen Affekten und Trieben. Die kon-
sequente Mystik ist gegen alle Kultur gleichgültig, ja feindlich. Wer
das Glück der Ekstase gekostet, dem erscheinen alle Werte des Lebens
nichtig. „Die Ekstase," sagt Teresa, „hat zur Folge eine merkwürdige
Lostrennung von der Welt, so tief, so gründlich, wie ich es gar nicht
beschreiben kann. Sie bewirkt eine so namenlose Entfremdung von
allem Irdischen, daß das Leben eine unerhörte Qual wird." 172 Alle
großen Mystiker predigen darum die Weltverachtung und Weltflucht.
„Wir müssen," urteilt Plotin, „eilen aus dieser Welt hinauszukommen,
wir müssen Trauer empfinden darüber, daß wir noch an ein Fremdes
gefesselt sind."173 Und die Nachfolge Christi mahnt: „Das ist die
höchste Weisheit, durch die Verachtung der Welt nach dem Himmelreich
zu trachten" (I 1, 3).
Das eigentliche Lebensideal der Mystik ist im Orient wie Okzident
das Mönchtum und Anachore tentum . Dieser Mönchsmystik tritt aber
in Indien wie im christlichen Abendlande eine freiere, weltförmige
Mystik gegenüber. In Indien ist es die Bhagavadgitä, im Christentum
die deutsche mittelalterliche und französische quietistische Mystik,
welche die äußere Weltflucht und Weltabsonderung verwirft, aber um
so entschiedener die innere Weltabgeschiedenheit und Weltfreiheit
fordert. Der Fromme sollte in der Welt absterben, in der Welt ein
verborgenes Leben mit Gott leben. „Solches mag der Mensch nicht
lernen mit Fliehen, daß er die Dinge fliehet und sich in die Einöde
kehret von der Auswendigkeit, sondern er muß eine innerliche Einöde
lernen, wo oder bei wem er ist." „Darum so lerne der Mensch seinen
Gott haben in allen Dingen und ungehindert bleiben in allen Werken
und Stätten" (Meister Eckhart) 174. Eine positive Schätzung der Kultur-
ideale ist aber in dieser weltoffenen Mystik ebenso ausgeschlossen wie
in der radikalen weltverneinenden Mystik.
Besonders deutlich wird die Stellung der mystischen Frömmigkeit zur Welt
und Gesellschaft in ihrer Wertung der Ehe und Familie. Das zölibatäie Leben
ist für den Mystiker eine innerlich notwendige Bedingung für das höhere religiöse
Leben. Die Ehe ist eine Fessel, welche die reine Hingabe an das eine höchste
Gut hemmt. Die indischen, hellenistischen und persischen Mystiker haben
ebenso wie die christlichen Mystiker der Ost- und Westkirche die Ehelosigkeit
• tls das allein , vollkommene' Keuschheitsideal gepriesen. Das tridentinische
Konzil hat diese mystische Auffassung feierlich sanktioniert, indem es den mit
dem Anathem belegt, der die Ehe über die Jungfräulichkeit stellt.
278 F II. Mystik und prophetische Frömmigkeit
Der prophetischen Religion fehlt jede prinzipielle Kulturfeindlichkeit
(nur wo sie ein enges Sektendasein zu führen gezwungen ist, wird sie
mit Notwendigkeit zu einer gewissen Absperrung gegen Welt und Kultur
gedrängt) ; es eignet ihr vielmehr eine — ausdrückliche oder stillschwei-
gende — positive Wertung des Kulturlebens oder doch die Fähigkeit
einer Harmonisierung des religiösen Wertbesitzes mit den Kulturidealen .
Die entschiedenste Betonung hat der Kulturgedanke im zarathuschtri-
schen Mazdaismus gefunden: trotz des eschatologischen Gedankens ist
der Zoroastrismus die Religion des Kulturoptimismus. Zarathuschtra
nahm in sein prophetisch-religiöses Programm auch wirtschaftliche
Reformen auf. Schon in den Gäthas des Awesta sind der tüchtige Vieh-
züchter, der fleißige Ackerbauer, der gerechte Hausherr und der wahre
Fromme synonyme Begriffe. Wer nicht eifrig die Erde bebaut und durch
Förderung des seßhaften Lebens das Gebiet Mazdas ausbreitet, ist
sein wahrer Verehrer nicht 175. In der prophetisch-israelitischen Religion
schlössen das Fehlen des Jenseitsgedankens und das Verwachsensein
des religiösen Glaubens mit den nationalen Schicksalen jede Kultur-
und Weltfeindlichkeit aus. Im Thora- Judentum und im Islam hat sich
diese Weltfreudigkeit fortgeerbt.
Die Reichgotteshoffnung des israelitischen Prophetismus zielte ur-
sprünglich auf ein nationales Zukunftsideal mit stark eudämonistisc hem
Einschlag ab : die Herrschaft Israels über die Völker, Glück und Wohl-
stand im Lande, eine nationale Vollkultur. Als aber all diese nationalen
Hoffnungen grausam zerbrochen waren, trat in der spät jüdischen
Apokalyptik an die Stelle des irdisch-politischen ein himmlisch-transzen-
dentes Reich, dessen Eintritt den Zusammenbruch der Welt voraussetzte.
In diesem transzendenten Sinne wurde die eschatologische Erwartung
— religiös verlebendigt und sittlich vertieft — der zentrale Inhalt
der urchristlichen Verkündigung und eine treibende Kraft aller aus
der Berührung mit urchristlichen Ideen hervorgegangenen Bewegungen.
Alle großen prophetischen und von der prophetischen Frömmigkeit
beeinflußten Persönlichkeiten des Christentums haben im Glauben an
die Nähe der Vollendung (Jesus, Paulus, Tertullian, Irenäus, Luther),
in kühnen Reichgottesideen (Augustin, Ignatius von Loyola, Calvin)
oder doch in eschatologischer Stimmung (Franziskus) gelebt. Eine
positive Wertung der Kulturarbeit scheint durch die eschatologischen
Erwartungen ausgeschlossen ; dennoch fehlt alle prinzipielle Verneinung
der Kultur, die der konsequenten Mystik wesentlich ist. Die eschato-
logische Hoffnung ist ja selbst der stärkste Ausdruck des Glaubens an
dasLeben und an die unbedingte Gültigkeit des Wertvollen und Idealen176.
Der Wille zum Leben, der Glaube an das Ideal ist in den prophetischen
Naturen so stark, daß ihnen die totale Umgestaltung der wertwidrigen
Wirklichkeit in eine ideale Wirklichkeit — das ,Reich Gottes' — eine
religiöse Notwendigkeit ist, ja noch mehr, daß sie die volle Herrschaft
des Willens Gottes, nicht in unendlicher Ferne, sondern in unmittelbarer
Nähe erhoffen, daß sie dieselbe nicht von menschlichem Schaffen und
Ringen, sondern von einem umstürzenden Eingreifen Gottes erwarten.
Die israelitisch-prophetische Hochschätzung des Kulturschaffens, die
Stellung zur Kultur und Welt 279
im Urchristentum durch die eschatologische Hoffnung verdrängt, aber
nicht schlechthin verneint war, trat in den späteren christlichen Jahr-
hunderten wieder hervor. Im abendländischen Mönchtum erfuhr die
Kulturarbeit eine positive Wertung im Gegensatz zu dem asketisch-
hesychiastischen Mönchtum des Ostens. Dem Mönchsimperativ des
Arsenius: „Weine, schweige, fliehe!"177 steht konträr gegenüber die
Devise desBenediktinerordens : ,,Ora et labora" ; ,,ut in omnibus glorificetur
dominusl" 178 Daß alle treue Berufsarbeit ein wahrer Gottesdienst sei,
wurde von keinem der abendländischen Frommen so entschieden ver-
fochten wie von Luther. Mit seinen warmherzigen Worten über die
Weihe und den Wert des hingebenden Berufslebens (die in gewissen
Äußerungen Eckharts, Taulers und Birgittas von Schweden ihre Vor-
läufer haben) 179 hat er eine neue Periode in der Beziehung von Religion
und Kultur eröffnet. Doch hat auch er sich von dem der spätmittel-
alterlichen Mystik entstammenden Gedanken der Berufsarbeit als
einer ,innerweltlichen Askese' nicht ganz losmachen können. Erst der
neuere Protestantismus (Lessing, Hegel, Carlyle, Ritschi) zeitigte die
Anschauung, daß das berufliche Wirken und kulturelle Schaffen nicht
nur ein Gottesdienst sei, sondern ein Arbeiten an der Aufrichtung des
Gottesreiches, ein Mithelfen an der Verwirklichung des göttlichen
Weltplanes 180.
Die Stellung der prophetischen Religion zum Kultur- und Gesellschaftsleben
wird wie bei der Mystik durch die Einschätzung des Ehe- und Familienlebens
erhellt. Der soziale und ethische Charakter der prophetischen Frömmigkeit
verträgt keine Überordnung des Virgiritätsideals über die Ehe. Die zoroa-
strisehe Religion stellt den Verheirateten und Hausvater hoch über den Ehe-
und Kinderlosen; sie verurteilt die Ehelosigkeit ebenso wie die freiwillige Ar-
mut und Selbstkasteiung 181. Der Lobpreis des wahren Ehe- und Familien-
lebens redet aus allen Büchern des alten Testamentes, denen das religiöse Jung-
fräulichkeitsideal völlig ferne steht. Jesu strenge Forderung der unbedingten
Heilighaltung der Ehe ist ein Beweis dafür, daß diese ihm etwas Hohes und Wert-
volles war. (Worte wie Matth. 5 27 — 32 hätte ein Mystiker nicht gesprochen.)
Nur von den wenigen, die ihm nachfolgend allein der Verkündigung der Gottes-
herrschaft leben, fordert er, daß sie auf alles verzichten, auf Hab und Gut, auf
Ehe und Familie (Mk. 10 21; Mt. 19 w; Lk. 10 «0). Die urchristliche Schätzung
der Virginität (1 Kor. 7) entspringt einem ganz anderen Motiv wie die mystische 1M;
sie beruht auf dem Glauben an die unmittelbare Nähe des Weltendes und Gottes-
reiches. Die Erneueiung der biblisch-prophetischen Religion durch die Refor-
matoren bedingte die Abkehr von dem das alte und mittelalterliche Christen-
tum beherrschenden Cölibatsideal.
11. Jenseitshoffnung.183
Wie in der Gottesvorstellung so spiegelt sich auch in der Jenseits-
vorstellung das zentrale seelische Erlebnis jedes Religionstypus wider.
Das Ziel aller heißen Jenseitshoffnung ist ja kein anderes als das hehre
Heilsgut und Erlösungsideal, das schon im gegenwärtigen endlichen
Leben gesucht und erstrebt wird. Diesseits und Jenseits fallen in der
höheren Frömmigkeit nicht als Gegensätze auseinander, sondern schließen
sich in der inneren Gotteserfahrung zu einer Einheit zusammen. Was
der Fromme auf den Höhepunkten seines Innenlebens erfährt, dies
bildet auch den Inhalt des jenseitigen Lebens, das seiner nach dem
leiblichen Tode harrt. Derselbe Gott, der ihn im Innersten des Herzens
280 F II. Mystik und prophetische Frömmigkeit
ergreift und beseligt, ist auch der Gott des ewigen Lebens, er ist das
ewige Leben: deus ipse vita aeterno, est (Augustinus). „Gott und Un-
sterblichkeit sind identisch; der Begriff Gottes ist an sich schon der
Begriff der Unsterblichkeit" (Feuerbach) 184.
In der Jenseitsvorstellung der Mystik äußert sich deren individua-
listischer, gemeinschaftsloser Charakter. , Ewige Erlöstheit' und ,ewige
Seligkeit' ist für die Mystik nichts anderes wie die ewige Dauer jenes
höchsten mystischen Erlebnisses, das sie schon in dieser Welt ersehnt
und erstrebt: der mystisch-ekstatischen Gottesschau und Gotteinigung
bzw. des erlösenden und beseligenden Nirvana. Durch den Tod von den
niederdrückenden Leibesfesseln für immer befreit, vermag die gott-
innige Seele in alle Ewigkeit in jenem höchsten mystischen Zustand zu
verharren. Sie versinkt in der unendlichen Ruhe, im tiefsten Frieden,
oder sie schaut in enthusiastischem Staunen und Entzücken die unaus-
sprechliche Schönheit, das ,höchste Gut' und vereint sich mit dem
unendlichen Einen in grenzenloser Wonne. Der jenseitige Vollendungs-
zustand ist wesentlich identisch mit der diesseitigen mystischen Gottes-
erfahrung; er wird darum von den Mystikern mit denselben Bildern
und Begriffen umschrieben wie diese. Das ,ewige Leben' der Mystik
ist die ewige , Gottesschau' und , Gotteinigung', die permanente Ekstase,
in der unpersönlichen Mystik Indiens das ,vollkommene Nirvana';
die diesseitige Ekstase und das »diesseitige Nirvana' (dittha-dhamma-
nibbäna) 185 sind eine Antizipation, ein , Vorgeschmack' der himm-
lischen Ekstase und des jenseitigen Nirvana.
„Glückselig ist, wer steht auf der Beschauer Bahn,
Er fähet schon allhier das sel'ge Lehen an" (Ange'.us Silesius). l86
Die Jenseitshoffnung der prophetischen Religion ist im Unterschied
von der mystischen Jenseitshoffnung zugleich individuell und über-
individuell. Wie die Mystiker in der ekstatischen Wonne das ,ewige
Leben' suchten, so die prophetischen Geister in dem trostvoll seligen
Behütet- und Geborgensein unter Gottes schützender Hand. Der Fromme
der in unerschütterlicher, fester und froher Zuversicht auf den helfenden
und rettenden Gott baut und traut, der mit ihm in innigster Lebens-
gemeinschaft steht, hat den Tod und die Vernichtung überwunden ;
ssine Gottesgemeinschaft währet fort in alle Ewigkeit.
„Der Fromme wird durch seinen Glauben am Leben bleiben" (Hab. 24) „Ich
oleibe stets bei dir; du hältst mich bei meiner rechten Hand . . . Wenn ich nur
dich habe, so frage ich nicht nach Himmel und Erde. Wenn mir gleich Leib
und Seele verschmachten, so bist du doch, Gott, allzeit meines Herzens Trost
und mein Teil (Ps. 73 2S ff. ) „Ob wir nun leben oder sterben, wir sind des Herrn"
(Roe 14 9). „Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Herrschaften, weder
Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Höhe noch Tiefe noch irgend eine Kre-
atur wird uns zu scheiden vermögen von der Liebe Gottes, die da ist in Christus
Jesus unserm Herrn" (Roe 8 ,g. ff.) „Wer da glaubt an den, der mich gesandt,
der hat das ewige Leben und kommt nicht zum Gericht, sondern ist hinüber-
geschritten vom Tod ins Leben" (Joh. 5 24). „Es ist kein Unterschied unter
der Stunde, wenn du anhebst zu glauben, und dem jüngsten Tag, allein, daß
man's noch nicht siehet" (Luther) 187.
Zu dieser persönlichen, aus dem prophetisch-evangelischen Grund-
erlebnis des Glaubens hervorquellenden Gewißheit vom ewigen Leben
Jenseitshof fnung 28 1
tritt in der biblischen Offenbarungsreligion die überpersönliche eschato-
logische Hoffnung. Nicht auf die Seligkeit der Einzelseele richtet sich
dieser prophetische Zukunftsglaube, sondern auf die , Vollendung der
Welt' (apema anheus urvaese in den zarathustrischen Gäthas 188,
avvrikeia xov aiävog Mt 13 49), auf das Kommen des großen Tages
Gottes (jöm Jahwe, fjfiiga xov xvqiov, Ksathra vairya im zoroastri-
schen Mazdaismus). Das Seligkeitsverlangen des Einzelnen tritt
ganz zurück hinter der Hoffnung auf den Endsieg des Guten.
Diese Erde, auf der Sünde und Leid, Tod und Teufel herrschen,
wird in furchtbaren Katastrophen zu Trümmern gehen und an ihre
Stelle wird eine neue Welt treten, in der alle Mächte des Bösen
auf immer vernichtet sind, „ein neuer Himmel und eine neue Erde,
in denen die Gerechtigkeit wohnt" (1 Petr 3 13). Die große göttliche
Heilsgeschichte wird herrlich vollendet werden, alle Sünde und Bosheit
wird ausgerottet, alle Tränen getrocknet, aller Hunger gestillt werden.
Gott wird über seine Feinde triumphieren, er allein wird herrschen
und König sein, „Gott alles in allem" (1 Kor 15 28). Aber nicht in
unendlich weiter Ferne erwartet der spät jüdische und urchristliche
Glaube den Anbruch der Gottesherrschaft, sondern in unmittelbarer
Nähe: „Das Gottesreich ist nahe herbeigekommen." (Mk 1 15) Jesus,
die Urgemeinde und Paulus sind unerschütterlich davon überzeugt, daß
in kürzester Frist diese Welt vergehen und Gottes ewige Herrschaft
anbrechen werde. Ihr Glaube an die Verwirklichung des Ideals, an
den Triumph des Göttlichen über das Dämonische, an den Sieg des
Guten über das Böse ist so gewaltig und stürmisch, daß er die Jahr-
hunderte und Jahrtausende überfliegt und das in nächster Nähe sieht
und greift, was die spätere Christenheit erst in einer fernen Endzeit
erwartete. Aber immer wieder standen in der Geschichte der christ-
lichen Religion Männer und Gemeinden auf, die mit der Glut der Be-
geisterung die Nähe des Weltendes und Gottesreiches erhofften und
verkündeten (vgl. o. S. 278). Ja selbst außerchristliche Propheten wie
Mohammed waren vom Glauben an den baldigen Anbruch der Voll-
endung erfüllt. Dennoch ist für alle großen prophetischen Geister die
Gottesherrschaft nicht eine ausschließliche Zukunftsgröße, sondern
bereits etwas Gegenwärtiges. Schon in der Jetztzeit hebt sie an: in
der Verkündigung, in den Wundern und Krafttaten, im charismatischen
Enthusiasmus, im Glauben an das in Christus erschienene Heil wie im
sittlichen Leben beginnt das Gottesreich sich zu verwirklichen; „Gottes
Reich wird hier angefangen und nimmt zu, es wird aber in jenem Leben
vollbracht" (Luther) 189.
12. Monismus der Mystik — Dualismus der prophe-
tischen Religion.
Das mystische Erleben besteht in der Vereinheitlichung und Verein-
fachung des gesamten psychischen Geschehens, die durch Isolierung
von der gegenständlichen Welt und die Unterbindung des emotionellen
Labens möglich wird. Die Schranken zwischen Gott und Mensch fallen
im ekstatischen Erleben : der Mensch geht in Gott auf, verliert sich in
282 P II. Mystik und proi hetische Frömmigkeit
ihm oder verschmilzt mit ihm zur völligen Einheit. Alle Gegensätze,
alle Mannigfaltigkeit, aller Dualismus löst sich in der mystischen Er-
fahrung auf. „Vorbei ist alle Zweiheit" (Ferid-ed-din Attär) 190. Die
Unterschiede von Gott und Welt, Diesseits und Jenseits, Gegenwart
und Zukunft hören auf, alle Seins- und Wertunterschiede werden auf-
gehoben, der Gegensatz von Gut und Böse ist dem Ekstatiker fremd.
Der philosophische Monismus eines Sankara (advaita, ,Nichtzweiheit')
und Eckhart ist nur die konsequente metaphysische Fortbildung und
Ausdeutung des aller dualistischen Spannung und Gegensätzlichkeit
entbehrenden ekstatischen Erlebnisses.
Das prophetische Erleben hingegen offenbart einen Antagonis-
mus von Gegensätzen, dramatische Spannung, dualistische Kraft.
Furcht und Hoffnung, Angst und Zuversicht, Zweifel und Glaube ringen
miteinander: der Gegensatz von sittlichem Wert und Unwert ist in
dem prophetischen Bewußtsein stets lebendig. Durch die ganze Vor-
stellungswelt der prophetischen Religion zieht sich dieser mächtige
Dualismus. Gott und Mensch vermischen sich niemals; der primitive
Glaube an die Distanz von Gott und Mensch lebt hier, ethisch vertieft,
fort. „Gott ist im Himmel und du auf der Erde" (Ko 5 ,). Voll Demut
naht sich der Sünder dem heiligen Gott. Auch die kindliche Zuversicht
Jesu zum Vatergott bleibt stets eine persönliche Gemeinschaft; sie
bildet sich nie zur mystischen „Vereinigung" fort. Der kosmische
Dualismus von Materie (Fleisch) und Geist, Leib und Seele, Mannig-
faltigkeit und Einheit spielt auch in der Mystik eine Rolle. Aber der
prophetische Dualismus ist universell, ethisch, persönlich erlebt, von
aller Spekulation unbeeinflußt. Jahwe und die Ba'alim, Ahura Mazda
und Angra Mainyu, Gott und Satan, Engel und Teufel, Licht und
Finsternis, Gottesreich und Satansreich, ,dieserÄon' und ,der kommende
Äon', Gut und Böse, Rein und Unrein, Sünde und Gnade, Erlösung
und Verdammung, Tod und Leben, Himmel und Hölle — der ganze
Vorstellungsschatz der prophetischen Religion offenbart in der anti-
thetischen Paarung der Begriffe die dualistische Lebendigkeit dieses
Frömmigkeitstyps. „Gottes Reich ficht mit des Teufels Reich ohn
Unterlaß" (Luther) 191.
13. Schlußcharakteristik.
Die Mystik ist weder christlicher Herkunft noch eine Eigentümlichkeit
des Christentums, obschon sie durch das Christentum die feinste Aus-
gestaltung und schönste Formung erfahren hat. Die Mystik ist vielmehr
die höchste religiöse Schöpfung, die sich in der außerchristlichen Religion
vollzog und für die eigentlich nur außerhalb des Christentums eine
konsequente Durchbildung und reine Ausprägung möglich ist. In das
Christentum ist sie (wie in das Judentum und in den Islam) erst von
außen her eingedrungen : aus dem synkretistischen Mysterienwesen und
der spätantiken religiösen Philosophie, zumal aus dem Neuplatonismus192.
Die Gnostiker und Alexandriner, vor allem aber Augustinus und der
Areopagite waren die Einfallstore. Durch die Kreuzung mit der prophe-
tisch-evangelischen Frömmigkeit hat die Mystik zwar ihre Reinheit
Schlußcharakteristik 283
und Konsequenz eingebüßt, aber an Tiefe und Wärme, Innigkeit und
Kraft gewonnen. Ein Werturteil ist durch die Aufdeckung des äußer-
christlichen Ursprungs der Mystik in keiner Weise gefällt. Es gilt nur
in einer Zeit, da man den Wert der Mystik neu entdeckte, da man darum
in ihr das Wesen des Christentums erblickte und die großen biblischen
und christlichen Persönlichkeiten: die Propheten und Jesus, Paulus
und Johannes, Luther und Kierkegaard zu Mystikern stempelt und
umgekehrt die großen Mystiker: Seuse und Eckhart, Katherina von
Genua und Teresa als genuin christliche Persönlichkeiten preist, diese
beiden religiösen Lebensmächte: Mystik und prophetisch-biblische
Religion klar und scharf auseinanderzuhalten. Gewiß ist die letzte
psychologische Wurzel und die letzte ideelle Vorstellung beiden Typen
gemeinsam: das Streben nach reinem Leben, nach Liebe und Seligkeit
und der Glaube an ein Höchstes, Absolutes, Transzendentes, in dem
dieses Sehnen zur Ruhe kommt. Gewiß sind die Gegensätze unzählige-
male in der Geschichte überbrückt und gemildert worden, am groß-
artigsten in Augustinus und Franziskus, aber sie lassen sich nicht aus
der Welt schaffen. Persönlichkeitbejahende und persönlichkeitver-
neinende Religion, geschichtliche und geschichtslose Gotteserfahrung,
Offenbarung und Ekstase, Prophetismus und Klosterwesen, Welt-
umgestaltung und Weltflucht, Evangelium und Beschaulichkeit — die
inneren Gegensätze sind zu gewaltig, als daß wir ein Recht hätten, eine
Wesensidentität beider Typen zu behaupten. Mystik und Offen-
barungsreligion sind die beiden Gegenpole der höheren Frömmigkeit,
die sich in der Geschichte der Religion fliehen und doch immer wieder
anziehen .
III. Das Gebet in der Mystik.
1. Vorbemerkungen.
Die Darstellung des mystischen Gebetstyps ist mit großen Schwierig-
keiten verbunden, da er fast stets von der schlichten Volksreligion oder
dem prophetischen Typ irgendwie beeinflußt ist oder das naive Beten
und Bitten, wie es der primitiven Frömmigkeit ebenso wie der prophe-
tisch-schöpferischen eigen ist, neben der spezifisch-mystischen Gebets-
weise einherläuft. In dem Beten der christlichen (wie der sufistisch-
i slamischen) Mystiker tritt die prophetisch-biblische Gebetsweise bald
stärker, bald schwächer hervor. Die christlichen Mystiker bedienen
sich gerne des biblischen Wortschatzes und der biblischen Gebets-
terminologie, die dem entgegengesetzten Frömmigkeitstyp entstammen.
Die mystischen Gedanken werden so durch fremde Kleider verhüllt.
Aber nicht nur die Gebetssprache, sondern auch die Gebetserlebnisse
der christlichen (und der islamischen) Mystiker sind von dem propheti-
schen Frömmigkeitstyp beeinflußt; die eigentümlichen mystischen
Erlebnisse der inneren Einheit und Ruhe, der Gelassenheit, der Indif-
ferenz, der Liebe, der Sehnsucht nach dem Höchsten vermischen sich
mit den prophetischen Grundgefühlen des Glaubens, Vertrauens, der
Zuversicht und Tröstung; die prophetische Affektivität haucht der
mystischen Affektlosigkeit Kraft und Wärme ein. Die mystischen
Gebetsklänge verschmelzen mit den biblischen zu eigenartigen Akkorden
und Harmonien. Aber der mystische Unterton ist stets kräftig genug,
um von einem feinen Gehör deutlich wahrgenommen zu werden.
Mit dieser ersten Schwierigkeit hängt enge eine zweite zusammen.
Die Kreuzung der mystischen Frömmigkeit mit der primitiv-volks-
tümlichen und der prophetischen Frömmigkeit bedingt das Entstehen
einer Mannigfaltigkeit mystischer Richtungen, die gerade in der Gebets-
weise erkennbar ist : wir treffen eine ekstatisch-visionäre Mystik (Upani-
schaden, Yoga, Manikka-Väsagar, Plotin, Süfis, Bernhard, Franz
von Assisi, Seuse, Katherina von Genua, Teresa) und eine harmonische
Mystik, in der alle irregulären Erlebnisse fehlen (Augustin, Thomas
von Aquin, Eckhart, Tauler, Imitatio Christi, die Quietisten); eine
warme affektive Mystik (die indischen Bhaktas, die Süfis, Plotin,
Augüstin, die meisten mittelalterlichen Mystiker, die Pietisten) und
eine kühle affektlose Mystik (Upanischaden, Buddhismus, Eckhart,
Angelus Silesius, die Quietisten); eine naive phantasiemäßige, dichtende
Mystik (Süfis, Manikka-Väsagar, Bernhard, Franz von Assisi, Mechthild
von Magdeburg, Seuse, Symeon der Neue Theologe) und eine reflek-
tierende, verstandesmäßige, theoretisierende Mystik, welche entweder
durch philosophische Spekulation (Upanischaden, Sarikara, Rämänuja,
1. Vorbemerkungen 285
Plotin, Augustin, der Areopagite, Eckhart) oder durch psychologische
Analyse ( Yoga, Buddhismus, Teresa, die Quietisten) das mystische
Erlebnis zu bewältigen sucht; eine glühende erotische Mystik (die
indische Krishna-Mystik, die Süfis, Bernhard, die mystischen Nonnen,
die Herrenhuter Pietisten) und eine abgeklärte, geistige Mystik, deren
Gottesliebe jeder Erotik ferne steht (Mänikka-Väsagar, Augustin,
Thomas von Aquin, Franz von Assisi, Tauler, Tersteegen); eine per-
sonalistisch-theistische Mystik, in der der Fromme zu Gott in ein trautes
persönliches Verhältnis tritt (die indischen Bhaktas, die Süfis, die
Mehrzahl der christlichen Mystiker) und eine impersonalistisch-monistische
Mystik, in der die Einzelseele in der unendlichen, unpersönlichen Gottheit
sich auflöst (Upanischaden, Sankara, Plotin, der Areopagite, Eckhart,
Angelus Silesius); eine innige Gebetsmystik, in der der Verkehr mit
Gott sich vorwiegend in dem schlichten Gebetsgespräch vollzieht (die
Bhaktas, Süfis und meisten christlichen Mystiker) und eine reine Ver-
senkungsmystik, der die lebendige Dramatik des Gebetslebens fremd ist
(Upanischaden, Yoga, Buddhismus, Plotin, Tauler, Angelus Silesius,
die Quietisten); eine kultische Mystik, deren anbetende Kontemplation
an einem äußeren Kultobjekt sich entzündet (die indische Bhakti-
Mystik, die synkretistischen Mysterienreligionen, die eucharistische
Mystik des Mittelalters) und eine kultlose, unsinnliche Mystik, in welcher
die mystische Gottesschau jeder äußeren Stütze entbehrt (Upanischaden,
Plotin, Augustin, die evangelischen Spiritualisten, die Quietisten).
Diese bunte Mannigfaltigkeit mystischer Erlebnisformen scheint eine
einheitliche Darstellung des mystischen Betens auszuschließen. Und
doch lehrt der Vergleich mit dem prophetischen Frömmigkeitsleben,
daß hinter dieser Mannigfaltigkeit ein Gemeinsames steckt, daß das
mystische Beten trotz seines Formenreichtums einen einheitlichen
Typus bildet, der von dem prophetischen Gebetstyp sich scharf abhebt.
Wir versuchen darum eine Gesamtdarstellung der mystischen Gebets-
weise, die in erster Linie sich auf die Dokumente einer abgeklärten,
personalistischen Gottesmystik stützt, aber auch die anderen Aus-
prägungen des mystischen Gedankens berücksichtigt. Hierauf soll
gezeigt werden, wie in den von diesem Normaltypus abweichenden
Formen der mystischen Frömmigkeit bestimmte in aller Mystik auf-
zuweisende Momente hervortreten.
2. Motiv und Zweck des Gebets.
Das Ziel, dem die Mystik nachtrachtet, ist die Isolierung und Ver-
einheitlichung des inneren Lebens: Abkehr von der Welt und Ver-
einigung mit Gott. Der Abwendung von der Sinnenwelt dient die Askese
{via purgativa) ; sittliche und asketische Übungen ertöten die Sinnlichkeit.
Die Vereinheitlichung des seelischen Lebens vollzieht sich im Gebet
und in der das Gebet erzeugenden und nährenden Betrachtung, der
Meditation {via illuminativa) . Das Gebet bildet so die unmittelbare
Vorstufe der vollen inneren Einheit, die als Einheit mit Gott erlebt
wird {via unitiva). Die Askese ist das entferntere, das Gebet bzw. die
Versenkung das nähere Mittel zur Erreichung dieses Zieles. Proclus,
286 F III. Das Gebet in der Mystik
der neuplatonische Gebetstheoretiker sagt: „Das ist das eigentliche
Ziel des Gebets, daß es die Vereinigung mit dem Ruhepunkte
herstelle, alles, was aus der göttlichen Einheit entsprungen ist, wieder
in das Eine hineinsetze." * Er definiert das Gebet geradezu als xcov
(ievxEQoiv kvonoibs TiQÖg jiqözequ 2. Nach einem Wort Bonaven-
turas ist „der Zweck des Gebets die Vereinigung mit Gott" 3.
Meister Eckhart sagt: „Also kräftiglich soll man beten, daß alle
die Glieder des Menschen und Kräfte, beide, Augen und Ohren,
Herz, Mund und alle Sinne dazu gekehrt wären, und nicht soll man
aufhören, man finde denn, daß man sich wolle vereinen mit dem, den
man gegenwärtig hat und bittet, das ist Gott." 4
Als Mittel zur Vereinigung mit Gott ist das mystische Gebet genau
so wie die Askese und sittliche Arbeit nur ein Vorläufiges, Vorbereitendes,
nicht ein Endgültiges; es ist nur eine Etappe auf dem Heilswege, wenn
auch die letzte vor dem Ziele, es ist nur „eine goldene Leiter, die an
den Himmel rührt, auf der man zu Gott emporsteigt" 5. Die Krone
des Gebets ist die ekstatische Vereinigung, in der die Seele in der unermeß-
lichen Fülle Gottes untergeht. Dieser Höhe- und Schlußpunkt alles
mystischen Lebens wird von den Mystikern gerne als das höchste Gebet
bezeichnet. Algazali sagt: „Das ist das beste Gebet, wenn der Beter
im göttlichen Wesen aufgegangen ist, so daß das Gebet wie ein Schleier
zwischen ihm und Gott erscheint." 6 Der Mönchsvater Antonius meint:
„Es ist kein vollkommenes Gebet, solange der Mönch noch ein Bewußt-
sein von sich und dem Gegenstand seines Betens hat." 7 Ähnlich urteilt
Petrus von Alcantara: „Das innere Gebet ist erst dann ganz,
wie es sein soll, wenn der Betende nicht einmal gewahrt, daß er im
inneren Gebet vor Gott steht." 8 Angelus Silesius singt:
„Das edelste Gebet ist, wenn der Beter sich
In das, vor dem er kniet, verwandelt inniglich." '
Diese Bezeichnung der ekstatischen Vereinigung mit Gott als Gebet ist
jedoch nur ungenau und metaphorisch. In der Ekstase selbst hört das
allem Beten wesentliche Bewußtsein der Verschiedenheit eines Ich und
Du auf, wie auch die erwähnten Äußerungen andeuten; ein wirkliches
Beten — und sei es nur ein wortloses Kontemplieren und Anbeten —
ist hier unmöglich. JJdvxa eü%ercu n/Lrjv zov Tzgcbrov („alles betet
außer dem Ersten"), lautet ein bedeutungsvoller Ausspruch des
,großen' Theodor, auf den Proclus sich beruft 10. Wenn darum die
Seele eins geworden ist mit dem ,Ersten', hört auch sie zu beten auf u.
Die mystische Grundtendenz nach der völligen ünloiöii; und evcjoic;
der Seele, wie diese in der Ekstase erreicht wird, ist das tiefste Motiv
alles mystischen Betens und Sichversenkens. In der personalistischen
Gottesmystik gewinnt diese Tendenz affektive Wärme und Kraft: das
Streben nach der Einheit mit dem Unendlichen wird hier zur leiden-
schaftlichen Gottesliebe, zur verzehrenden Sehnsucht nach dem summum
bonum, die sich zu einem entzückten Schauen und seligen Genießen
des höchsten Gutes steigert. Dieses affektive Erleben des höchsten
und einzigen Wertes, das durch das Kontrasterlebnis des eigenen Un-
wertes in seiner Intensität noch erhöht wird, kann in sich selbst be-
2. Motiv und. Zweck des Gebets 287
schlössen bleiben — in schweigender Kontemplation ist der Fromme
an sein höchstes Gut hingegeben ; häufig aber drängt der übermächtige
Affekt zur Entladung durch die Aussprache. „Meine Seele ist ver-
wundet," bekennt Symeon der Neue Theologe, „mein Inneres ist
entflammt, ich verlange mit dir zu reden, o mein Gott." 12 Der von
Gottes unendlicher Schönheit ergriffene Mystiker gießt seine Liebe
und Sehnsucht, seine Begeisterung und Hingabe, sein Staunen und
Entzücken, seine Seligkeit und Wonne in lauten Gebetsrufen oder in
stillem Gebetsgespräch vor Gott aus. Hier liegt echtes naives Beten
vor, das ja in seiner ursprünglichen Form eine spontane Affektäußerung,
ein ,Ausschütten des Herzens' bedeutet. Der reinen, unpersönlichen
Mystik ist dieses ungehemmte Reden und Rufen aus der Leidenschaft
des Herzens fremd. Ihr Beten ist nur ein affekt- und lautloses Ein-
sinken in die unermeßliche Flut des Einen, Göttlichen.
Die das Gebet auslösende Leidenschaft der Gottesmystiker quillt bis-
weilen spontan aus unterbewußten Tiefen, zumeist aber saugt sie ihre
affektive Innigkeit und Kraft aus der religiösen Meditation; auch die
tiefe Versunkenheit der Unendlichkeitsmystiker kann der vorbereitenden
Betrachtung nicht entraten. Alles mystische Beten und Kontemplieren
nährt sich aus der absichtlich gepflegten und geübten Meditation. Diese
besteht einmal in der , Sammlung', der straffen Konzentration der Auf-
merksamkeit auf ein Objekt, sodann in der eingehenden ,Erwägung' und
Betrachtung' einer religiösen Vorstellung, die meist durch die Lektüre
eines erbaulichen Textes oder die Rezitation einer Gebetsformel ange-
regt wird. Die Betrachtung hat bisweilen logisch-diskursiven, viel
häufiger aber phantasiemäßig-intuitiven Charakter; der Meditierende
vergegenwärtigt sich möglichst anschaulich die religiösen Wahrheiten,
über die er nachsinnt. Den Gegenstand der Betrachtung 13 bilden
religiöse Ideen, von denen starke Gefühlsreize ausgehen: die Furcht-
barkeit der Sünde, die Kürze, Unbeständigkeit, Nichtigkeit und Arm-
seligkeit des Lebens 14, der Tod, das letzte Gericht, die Strafen der
Hölle und die Glorie des Himmels, die Größe, Güte und Schönheit
Gottes; die mittelalterliche Jesus-Mystik fügt hiezu eine Fülle neuer
Meditationsthemen: das Leben, Leiden und Sterben des Heilandes,
das Kindlein in der Krippe, Jesu Sanftmut, seine Todesangst, Geißelung,
Dornenkrönung, Kreuztragung und Kreuzigung, sein . Blut und seine
Wunden. Die angespannte Beschäftigung mit diesen gefühlsbetonten
Vorstellungen löst in der Seele des Betrachtenden intensive Stimmungen
und Wertgefühle aus, die nicht selten affektive Höhe erlangen: tiefe
Erschütterung und bebende Angst, herbe Welt- und Selbstverachtung
und bittere Reue, wehmutsvolles Mitgefühl und lustvoll-unlustvolle
Rührung, frohe Dankbarkeit und herzliche Zuversicht, brennende
Sehnsucht und schmelzende Liebeshingabe. Diese mannigfachen Gefühle,
Stimmungen und Affekte legen dem Meditierenden von selbst Gebets-
worte und Gebetsrufe auf die Lippen. ,,Du kannst," sagt Johann Arndt,
„nimmer inbrünstiger und andächtiger beten, du setzest dir denn den
Spiegel des demütigen, sanftmütigen Lebens Christi vor deine Augen,
seine Armut, Verachtimg, Schmerzen und seinen schmählichen Tod.
288 F III. Das Gebet in der Mystik
Wenn du in dies Gebetbüchlein siehst, so wird dein Herz und Gemüt
angezündet werden mit inniglichem, brünstigem, feurigem Seufzen." 15
So strömt aus der Betrachtung spontan das mystische Gebet hervor.
Und doch ist dieses Gebet ebenso bewußt, absichtlich wie naiv, selbst-
verständlich; denn die Gebetsstimmung ist willkürlich und künstlich
durch die Betrachtung hervorgerufen. Die mystische Meditation ist
somit nichts anderes als die methodische Vorbereitung zum Gebet;
der methodisch-technische Charakter dieser Gebetsvorbereitung wird
treffend durch den Ausdruck ,geistige Übung' (exercitia spiritualia)
bezeichnet, der uns zuerst bei Albertus Magnus und Gertrud von Helfta
begegnet. 16 Die systematischen Meditationsschemata eines Bonaventura,
Petrus von Alcantara, Ignatius von Loyola, Franz von Sales, Alfons
von Liguori 17 stimmen alle darin überein, daß sie die andächtigen Er-
wägungen in den frommen ,Herzensergüssen', im trauten Gebetsgespräch
(colloquium), im Dank-, Bitt- und Aufopferungsgebet münden lassen.
3. Form des Gebets.
Das Gebet der Mystiker ist häufig — mag es nun bewußte Konzen-
tration auf Gott oder spontane Aussprache des Ergriffenseins von Gott
sein — ein freies, ungebundenes Reden mit Gott; die Wahl der Worte
ist ein Werk des Augenblicks. Wo das Gebet bewußt und absichtlich
als Mittel zur Sammlung und Betrachtung angewandt wird, ist auch
die mit voller Aufmerksamkeit und gefühlsmäßiger Anteilnahme ge-
schehende Aussprache einer bestimmten Gebetsformel gebräuchlich.
Seuse benützte bei seinen Gebeten vielfach stehende Gebetsformulare
und Hymnen wie das 0 crux ave spes unica oder das Salve regina 18.
Margarethe Ebner sprach bei jedem Gebet den Hymnus Jesu, via veri-
tatis 19. Beliebt sind bei den Mystikern die kurzen, formelhaften Gebete,
die bei der Betrachtung wie im alltäglichen Leben immer wieder ge-
braucht werden; sie waren schon bei den ägyptischen Mönchen in
Übung; Augustin hat ihnen den Namen , Stoßgebete' gegeben 20. Eine
mehr autohypnotische Bedeutung hat die Gebetsformel bei den griechi-
schen Athosmönchen, die sich auf die Ekstase trainieren und unzählige
Male die fiovoXöyiOTOs evxrj wiederholen: „Herr Jesu Christe,
Sohn Gottes, erbarme dich unser." 21 Denselben Zweck verfolgen die
den dhikr (d. h. das , Gottgedenken') übenden islamischen Süfi, die
ohne Unterlaß die Formeln hersagen: ,, Allah! Allah!" ,,Ruhm sei
Allah!" „Es ist kein Gott außer Allah."22 Aber dieses formelhafte,
mündliche Gebet ist nur ein pädagogisches Hilfsmittel, eine Vorbereitung
zum eigentlichen mystischen Gebet. Tauler sagt: „Also dienet alles
Gebet des Mundes zu dem wahren Gebet, es ist aber nicht das wahre
Gebet." 23 David von Augsburg mahnt: „Man soll tun als der Eichhorn.
Der kauet die Schal an der Nuß und er kommt an den Kern. Also soll
man die Wort mit dem Zahn des Verstandes kauen. Sobald man kommet
in die Nießung der göttlichen Heimlichkeit, so soll man die Wort lassen.
Wer den Honig will essen, der muß ihn aus dem Wachs nehmen, also
muß man aus den Worten ziehen die göttliche Süße und die göttliche
honigsüße Gnade." 24
3. Form des mystischen Gebets 289
Die Mystik schließt den Menschen von der Außenwelt ab und zwingt
ihn in sein Inneres, sie lähmt die körperlichen Ausdrucksmittel, auf
daß die Seele in sich gekehrt bleibe und ihre Abgeschiedenheit und
Geistigkeit bewahre. Die Worte stören die innere Einheit und Ruhe, die
Aussprache bedeutet ein Heraustreten aus der tiefen Versunke nheit.
„Wo die Sammlung tief ist," sagt Teresa, „wird das Sprechen schwer." 25
Alles mystische Beten zeigt darum die Tendenz aus dem Gebet in (laut
gesprochenen oder innerlich artikulierten) Worten in das wortlose
Gebet überzugehen, aus dem Reden mit Gott in ein stummes Betrachten
und Kontemplieren Gottes, aus der Aussprache von Affekten in das
schweigende Dahingleiten in gleichmäßigen, lange dauernden Stim-
mungen. Schon Plotin sagt: „Wir sollen Gott anrufen nicht mit lautem
Wort, sondern indem wir mit der Seele uns im Gebet zu ihm erheben." 26
Die alten griechischen Mönchsmystiker, allen voran Makarios, werden
nicht müde, das bild- und wortlose innere Gebet ihren Jüngern zu
empfehlen. 27 Johannes Cassianus redet von „jenem höheren Gebets-
zustand, jenem feurigen, nur wenigen bekannten und von wenigen
erlebten, ja unaussprechlichen Gebet", „das jedes menschliche Ver-
ständnis übersteigt, das nichts zu tun hat mit dem Klang der Stimme
oder der Bewegung der Zunge, ja nicht einmal mit einer inneren Aus-
sprache von Worten, das der durch die Eingießung jenes himmlischen
Lichtes erleuchtete Geist nicht mit den engen menschlichen Rede-
mitteln ausdrückt, sondern bei gebundenen Sinnen wie aus einem
sprudelnden Quell ausgießt und auf unsagbare Weise vor Gott aus-
schüttet, indem er in einem kürzesten Augenblick soviel zusammen-
greift als er weder aussprechen noch innerlich durchdenken könnte." 28
Dieses wortlose Gebet ist ein Gebets zustand, kein Gebetsakt.
Madame Guyon sagt: „Das Herzensgebet ist kein einzelner Akt oder
ein Verlauf von Akten, den die Seele vornimmt, sondern der wesent-
liche Zustand, in dem sie lebt." *29
Die Mystiker bringen die Höherwertung des wortlosen Gebets dadurch
zum Ausdruck, daß sie dem gewöhnlichen ,mündlichen' oder aus-
wendigen' Gebet das , innere' 30, ,innwendige' 31, ,betrachtende' 32 Gebet,
die oratio spiritalis quae fit in intimis cordis, oratio interior (Augustin) 33,
oratio mentalis, 34 die ,oraison de Vesprit et du coeur1, 35 die nQOoevxi]
nvEVfiaiixri 36, voeqü oder xagdiaxt) 37 gegenüberstellen. Tauler sagt:
„So klein ein Heller gegen 100 000 Mark Goldes ist, ist alles
auswendige Gebet gegen das inwendige Gebet, das da ist und heißt
wahre Einigung mit Gott, des geschaffenen Geistes Versinken und
Verschmelzen in den ungeschaffenen. Alles Gebet des Mundes ist recht
wie Streu und Stroh gegen edlen Weizen." 38 Uralt ist der Gedanke,
daß das Schweigen das wahre Beten, der echte Gottesdienst sei: er
findet sich schon in der spätägyptischen Religion 39 und in den syn-
kretistischen Mysterien 40 und erlangt im Neupythagoreismus 41 und
Neuplatonismus 42 normative Bedeutung ; er kehrt immer wieder in
der christlichen und islamischen43 Mystik. Angelus Silesius singt:
„Geschäftig sein ist gut, viel besser aber beten.
Noch besser aber stumm und still vor Gott den Herren treten."
Dae Gebet 19
290 F HL Das Gebet in der Mystik
„Gott ist so über all's, daß man nichts sprechen kann.
Drum betest du ihn auch mit Schweigen besser an."
,,Die heil'ge Majestät (willst du ihr Ehr' erzeigen)
Wird allermeist geehrt mit heil'gem Stilleschweigen. " 44
Noch feiner und inniger beschreibt Tersteegen im frommen Liede
das unaussprechliche Gebet des Schweigens:
,,Ich bin im dunklen Heiligtum,
Ich bete an und bleibe stumm,
O ehrfurchtsvolles Schweigen!
Der beste Redner sagt mir's nicht,
Was man hier ohne Reden spricht
Durch Lieben und durch Beugen.
Ich bet' zwar stets, doch ohne Mund,
Es macht der Friedenszug im Grund
Die müden Lippen schließen.
Auch weiß ich nichts zu beten mehr,
Ich hab's erlangt, was ich begehr,
Mein Beten ist Genießen." 45
Franz von Sales bezeichnet das mystische Gebet als das „Gespräch des Schwei-
gens" (colloque de silence); denn es geschieht in gar heimlichen „Aspirationen" und
..Inspirationen"; „die Augen reden mit den Augen, das Herz mit dem Herzen
und niemand versteht, was gesprochen wird als die heiligen Liebenden, die da
reden." *• Das schweigende Gebet wird gerne auch mit dem Bilde des Atmens
veranschaulicht. Mechtild von Magdeburg bekennt: „Herr, himmlischer Vater,
zwischen dir und mir geht immerfort ein unbegreifliches Atmen, worin ich viele
Wunder und unaussprechliche Dinge erkenne und sehe." 47 Unzählige Male finden
wir dieses Bild bei den quietistischen Mystikern des 16. und 17. Jahrhunderts.
Franz von Sales sagt vom mystischen Gebet in einem Wortspiel: ,,Nous aspirons
ä lux et respirons en lui." 48 Madame Chantal definiert das Gebet als ein „wort-
loses Atmen der Liebe in der unmittelbaren Gegenwart Gottes." 49
Der Gegensatz des mystischen Gebets zum naiven, primitiven Beten
tritt hier unverhüllt hervor: das naive Beten ist ein schlichtes Reden
und Rufen aus der Fülle des Herzens, das ,innere' Gebet des Mystikers
ein Insichge wandt- und Versunkensein, ein Schweigen, ein Schauen,
ein Atmen; dort der gewaltsame Durchbruch des Affekts — hier die
Gebundenheit aller seelischen Kräfte.
4. Wesen und Inhalt des mystischen Gebets.
Der wesentliche Inhalt des mystischen Gebets ist nicht der des naiven
Betens, die Aussprache der Not und die Bitte, obgleich es sich oft seiner
äußeren Form nach als Bitte charakterisiert. „Gott und die Seele" —
Gott der höchste und einzige Wert und der Unwert des eigenen Ich —
das ist der Kern des mystischen Gebets, mag es auch in seiner zufälligen
Hülle als Bitte erscheinen. Nach der klassischen Definition der Mystik
ist das Gebet die elevatio (ascensus) mentis ad deum, der „Aufstieg des
Gemütes zu Gott". Schon Origenes deutet diese Definition an, wenn
er im Anschluß an das Psalm wort: „zu dir habe ich meine Seele
erhoben" das Gebet als „Erhebung der Seele" bezeichnet 50. Ein
Augustinus zugeschriebener Sermo sagt: „Das Gebet ist ein Auf-
steigen der Seele vom Irdischen zum Himmlischen, ein Emporstreben
zu dem, was oben ist, ein Verlangen nach dem Unsichtbaren" 51.
4. Inhalt des mystischen Gebets — Konzentration und Kontemplation 291
Nilus Sinaita 52 und Joannes Damascenus 53 definieren das Gebet als
dväßaaig vov tiqoq &eöv. Diese Definition ist zur Normaldefinition
der katholischen Theologie geworden. Die mehr impersonali-
stische Mystik, deren Ziel die Auflösung der Individualität in Gott ist,
nuancsiert leise diese Wesensbestimmung des mystischen Gebets, wenn
sie dieses weniger als ein Emporsteigen z u dem über dem Geiste
stehenden Gott, denn vielmehr als ein Eingehen i n den i n der Seele
gegenwärtigen Gott, weniger als eine ,Erhebung' denn als eine Ver-
senkung' bezeichnet. So nennt Tauler das Gebet ,,ein unmitteliches
Gehen des Geistes in Gott", „ein Versenken des Geistes in Gottes
Geist" 54, Tersteegen bezeichnet es als „ein Sich-einwärts-neigen m
den Grund der Seele zu der Gegenwart Gottes" 55.
Die theologische Formel von der elevatio mentis ad deum bestimmt in
der Tat treffend die Eigenart des mystischen Gebets. Das Gebet der
Mystik ist nichts anderes als die Hinwendung des Geistes zum einen,
,höchsten Gut'. Diese Hinwendung kann affektiv oder affektlos sein;
sie kann die Stimmungsfarbe der Lust oder Unlust oder beider zugleich
tragen; sie kann als Aufstieg, als Flug zur höchsten Höhe oder als Ver-
sinken in den tiefsten ,Abgrund' erlebt werden; sie kann sich in die
äußere Form der Betrachtung, Bitte, Anbetung oder Ergebung kleiden.
Das eigentliche Wesen des mystischen Gebets wird durch die Ver-
schiedenheit der Erlebnisweise, der Gefühlsintensität und Stimmungs-
farbe wie durch die Verschiedenheit der äußeren Gebetsformen nicht
verändert. Das Thema aller mystischen Gebete ist nur eines: Gott,
das summum bonum, und die Seele, die zur Gottesschau und Gottes-
einigung gelangen soll. Eben deshalb zeigen die Gebete der Mystiker
eine Einförmigkeit und Gleichmäßigkeit gegenüber dem Formenreichtum
des naiven, primitiven Betens, in dem ein bewegtes und mannigfaltiges
Leben sich offenbart. Den gleichförmig auf- und abwogenden Rhythmus
des mystischen Betens gibt in wundervoller Weise der Hymnus ^Adoro
te devote des Thomas von Aquino wieder.
Alles Beten der Mystiker ist ein Sichhin wenden zum höchsten Gut.
Dennoch zeigt sein Inhalt einen inneren Fortschritt ; schon der Terminus
der klassischen Definition: elevatio, ,Aufstieg' der Seele zu Gott deutet
an, daß im mystischen Gebet eine immanente Aufwärtsbewegung statt-
findet. Der Beter schreitet von der Konzentration zur Kontemplation
fort, von dem sehnsüchtigen Gottverlangen zum seligen Gottesbesitz
und Gottesgenuß. In der Konzentration trägt das Erleben des höchsten
Wertes den Charakter der Spannung, in der Kontemplation den der
Lösung. In der Konzentration ist der Beter noch selbsttätig, strebend
und wollend, in der Kontemplation hört alle absichtliche Eigen tätigkeit
auf, in passiver Ergriffenheit schaut er das höchste Gut, die Hinwendung
ist zum Hingewandtsein, die Versenkung zur Versunkenheit geworden.
/. Konzentration.
Der betende Mystiker wendet sich ab von der äußeren Wirklichkeit,
unterdrückt willensmäßig alle auf diese abzielenden Vorstellungen und
Regungen und richtet seine ganze geistige Aufmerksamkeit auf die
292 F III. Das Gebet in der Mystik
höchste geistige Wirklichkeit, auf Gott. Tauler sagt: „Kehre dich in
der Wahrheit von dir selber und von allen geschaffenen Dingen und
richte dein Gemüt ganz in Gott auf."56 Makarios mahnt: ,,Gott ist
das höchste Gut, auf ihn mußt du deine Gedanken sammeln, nur auf
ihn mußt du harren und schauen." 57 Mit unverrücktem inneren Blick
schaut der weitabgewandte Beter auf das jenseits der Welt stehende
summum bonum, vergegenwärtigt es sich, betrachtet es, versenkt sich
darein, bis er schließlich in ihm aufgeht, von ihm erfüllt, fortgerissen,
verzehrt wird. „Unablässig harre des Herrn in deinem Innern, suche
ihn mit deinen Gedanken, zwinge und nötige deinen eigenen Willen
und Entschluß zur steten Richtung auf ihn." „Aufmerksamen Sinnes
mußt du Gott erwarten, bis er kommt und deine Seele heimsucht"
(Makarios) 58.
Die Konzentration auf das summum bonum hüllt sich zumeist in die
Form der Bitte, seltener in die Form der sehnsüchtigen Klage und Frage ;
doch wird die Bitte oder Frage ständig von der reinen Betrachtung
unterbrochen. Den Gegenstand der Bitte bildet das Heil der Seele in
Gott ; der Mystiker erfleht von Gott jenen Seelenzustand, den er erstrebt :
die Isolierung des Seelenlebens von der gegenständlichen Welt, die Ver-
drängung der Affekte, triebhaften Regungen und Willenstendenzen,
die innere Ruhe und Einheit, die enthusiastische Hingabe an das höchste
Gut, die Ekstase. Der ganze Stufengang des mystischen Heilsprozesses
von der ,Reinigung' über die ,Erleuchtung' zur , Einigung' spiegelt
sich im Inhalt der mystischen Gebetsbitten wider.
1. Via purgatlva.
a) Loslös ungvonder Welt: „Pflanze Furcht vor dir in mein Herz, auf
daß ich die Welt fliehe nach deinen Geboten und Haß gegen sie hege und mich
weise vor ihr absperre. Laß mich nicht, o Christus, in ihrer Mitte umherirren"
(Symeon der Neue Theologe) 59. „Eija, Herr, ich bitte dich, daß du mich vof
allen irdischen Dingen bewahrtest un vermenget; denn wie heilig sie auch sein
mögen, sie verrücken mich doch aus dem höchsten Bund mit dir" (Mechthild von
Magdeburg) 60. ,,Ich bitte dich, daß du uns gebest ein wahres Abscheiden von
aller dieser Welt und ein völliges Verzichten unser selbst" (Margaretha Ebner) 81.
„Da mihi omnibus mori, quae in mundo sunt et propter te amare contemni et
nesciri in hoc saeculo." „Rape me et eripe me ab omni creaturarum indurabili
consolatione, quia nulla res creata appetitum meum valet plenarie quietare et
consolari." „Veite mihi omnia terrena in amaritudinem, omnia infima et creata
in contemptum et oblivionem. Erige cor meum ad te in coelum, et ne dimittas
me vagari super terram." (Nachfolge Christi) 6i!. „Zeuch mich aus aller Kreatur
(Tersteegen)". „Mache uns frei von der unordentlichen Kreaturliebe" 63. „Leere
uns aus von aller sündigen Kreaturliebe". „Bewahre uns, daß wir unsere Herzen
mit der Kreatur nicht beschweren". „Laß eine Geringschätzung aller zeitlichen
und vergänglichen Dinge entstehen". „Reiße unsere Herzen los von allen irdischen
Dingen dieser Welt, damit das Himmlische unser Ziel allein bleibe, darnach wir
ohne Unterlaß trachten". „Laß uns alles Irdische verleugnen und nicht trachten
nach dem, was auf Erden ist" (Johann Arndt). 64
b) Loslösung vom eigenen Ich, Affekt- und Begierde-
losigkeit: „Si quid est in me superflui alicuius appetitio, tu ipse me munda
et fac idoneum ad videndum te" (Augustinus) 66. „Laß mich abwerfen die Schlech-
tigkeit der Seele, welche Aufblähung und törichte Erhebung zerdrücken und
zermalmen. Ach gib mir Demut, reich mir deine hilfreiche Hand und säubere den
Schmutz meiner Seele." ..Sänftige die Bewegungen meines Gemüts, mach mich
4. Inhalt des mystischen Gebets (via purgativa) 293
fähig, alle Anfechtung und alles Leid des Lebens hochgemut zu tragen" (Symeon
der Neue Theologe) 66. ,,Libera me a passionibus malis et sana cor meum ab
omnibus affectionibus inordinatis, ut intus sanatus et bene purgatus aptus efficiar
ad amandum, fortis ad patiendum, stabilis ad perseverandunx " „Educ de habi-
taculod coris mei tenebras universas. Oohibe evagationes multas et vim facientes
elide tentationes. Pugna fortiter pro me et expugna malas bestias, coneupiscentias
dico illecebrosas". ,,Impera ventis et tempestatibus (d. h. den Affekten), die mari:
quiesce! die aquiloni: ne flaveris, et erit tranquillitas magna." ,,Da mihi cor meum
ab omni inutili sollicitudine et angore evacuare nee variis desideriis trahi cuiusque
rei vilis aut pretiosae, sed omnia inspioere sicut transeuntia et me pariter cum
Ulis transiturum" (Nachfolge Christi) 67. „Gib, daß wir uns täglich selbst ver-
leugnen, unserer sündlichen Ehrsucht absterben und in unserem ganzen Leben
deine Ehre den einzigen Zweck alles unseres Tuns und Lassens sein lassen". „Laß uns
uns selber und unseren sündlichen Neigungen absterben". ,,Töte in uns alle
unordent liehe Begierden unserer Seelen und laß uns in dir allein unsere Gemütsruhe
suchen und finden" (Johann Arndt) 68. ,,Mach mich von meiner Selbstheit bloß".
..Besänftige die bitteren Kräfte unserer Natur durch die Balsamsäfte deiner Liebe.
Laß unseren unruhigen Eigensinn und Eigenwillen in sanfter Stille zu deinen
Füßen hinsinken, unsere ungestümen Gemütsbewegungen befriedigt und unsere
zerstreuten Begierden und Gedanken in ein stilles Nun und Augenblick gesammelt
werden" (Tersteegen) ". „Reinige mein Herz von allem, was irdisch, was stolz
iuid sinnlich, hart und grausam ist. von aller Verkehrtheit, aller Unordnung,
aller Starrheit" (Newnian) 70.
e) Bußgeist und Reue sehmerz: „Gewähre mir Tränen der Buße»
Tränen der Sehnsucht, Tränen des Heils, Tränen, die die Hefe meines Geistes
reinigen und mich lauter machen von oben her" (Symeon) 71. „Reinige, Herr,
heute mein Herz von aller irdischen Liebe und gieß hernieder deine Himmelsflut
in meine dürre Seele, daß ich beweine deine Erniedrigung und meiner Sünden
Jammer" (Mechthild von Magdeburg) 7a. „Ich bitte dich, daß mir gebest süßes
Minneweinen um alle meine Sünde" (Adelheid Langmann) 7S. „Da mihi perfectum
peceatorum meorum habere contritionern, ut dolore cordis intrinsecus compunetus
amarissime flere valeam et scelera mea et delieta universa, digna castigatione
extorquere eaque sacro poenitentiae lavacro abluere possirn et purgare" (Thomas
von Kempen) 74. „Zerschlag, zermalme, zerknirsche unsere steinharten Herzen,
bringe uns zum schmerzhaften Gefühl unseres großen Elends und gib uns den
Sinn, daß wir alle Sünden als die Ursache unserer Unseligkeit hassen und ver-
abscheuen" (Arndt) 76.
2. Via illuminativa.
a) Ruhe und Friede in Gott: „Da mihi super omnia desiderata in te
requiseere et cor meum in te paeificare. Tu vera pax cordis, tu sola requies, extra
te dura sunt omnia et inquieta. In hae pace in idipsum, hoc est in te u n o et
summo aeterno bono dormiam et requieseam." „Non potest cor meum
veraciter requieseere nee totaliter contentari, nisi in te requiescat et omnia dona
omnemque ereaturam transcendat" (Nachfolge Christi) 78.
„Stilles Gotteswesen du.
Einig meines Geistes Ruh,
Ach, wann wird mein Geist auf Erden
Recht in dir gestillet werden ?
Laß mich nicht so jämmerlich
In der Unruh quälen mich.
O du stille Ewigkeit,
Süßes Reich der Seligkeit,
Nimm mich ein in deinen Frieden.
Mach mich iiuiig, abgeschieden:
Ach, ich bin noch so verirrt,
Sammle mich, du guter Hirt ....
294 F III. Das Gebet in der Mystik
In der Welt und Kreatur
Wird mein Geist geängstigt nur;
Könnt' ich allem mich verschließen.
Deinen Frieden zu genießen,
Los und bloß und ungestört,
Jesu, ganz in dich gekehrt."
„Wie die zarten Blumen,
Willig sich entfalten
Und der Sonne stille halten.
Laß mich so,
Still und froh
Deine Strahlen fassen
Und dich wirken lassen" (Tersteegen) 77.
„Laß mich nicht außer dir suchen, was ich nur in dir finden kann, o Herr, Ruhe
und Freude und Seligkeit, welche nur bleiben in deiner bleibenden Freude 1 Erhebe
meine Seele von dem ruhelosen Kreislauf ermattender Gedanken zu deinem ewigen
Frieden! Erhebe meine Seele zu der reinen, glänzenden, erhabenen, strahlenden
Atmosphäre deiner Gegenwart, daß ich hier frei atme, hier in deiner Liebe ruhe,
hier Ruhe finde vor mir selber und vor allen Dingen, die mich beunruhigen, und
dann, mit deinem Frieden bekleidet, zurückkehre, um zu tun und zu tragen,
was dir gefällt" (Pusey) 78.
b) Gleichförmigkeit des eigenenWillens mit demWillen
Gottes: „Ich bitte dich, mein Herr Jesu Christe, daß du uns helfest, daß wir
nach allem deinen Willen gezogen werden, es geschehe uns mit Lieb oder mit
Leid, daß uns deine starke Gewalt dazu binde und deine süße Minne dazu zwinge,
daß wir kein natürlich Leben an uns haben, denn das du, Jesus Christus, in uns
lebest mit aller deiner Gnade" (Margaretha Ebner). 79 „Das will ich, das ver-
lange ich, darnach sehne ich mich aus tiefstem Herzen, daß in mir und von mir
und durch mich nicht mein, sondern dein Wille geschehe. Möge ich künftig nicht
mehr meiner Neigung folgen, noch meinen eigenen Vorteil suchen, noch nach
der Zuneigung der Freunde verlangen, sondern allein dahin streben in allen Dingen
deinem Wohlgefallen gemäß zu tun. Möge ich nicht darauf achten, was bitter
oder süß, was schwer oder leicht, was widrig oder angenehm sei, sondern mit
innigem, heißem Verlangen und peinlicher Sorgfalt das zu vollführen trachten,
was deinem Willen wohlgefällt" (Bonaventura) 80. „Da mihi hoc semper desiderare
et velle, quod tibi magis acceptum est et carius placet. Tua voluntas mea sit
et mea voluntas tuam semper sequatur et optime ei concordet. Sit mihi unum
velle et nolle tecum nee aliud posse velle aut nolle, nisi quod tu vis aut nolis'
(Imitatio) 81. „Da, quod iubes, et iube, quod vis!" (Augustinus) 82.
„Gib, daß mein Will in allen Nöten
In deinem Willen sich verlier'."
„Den eignen Willen brich entzwei.
Wie sehr er steckt verborgen."
„In Kreuz und Trübsal gleichermaßen
Mach mich gelassen." (Tersteegen) ".
c) Die ausschließliche Hinwendung z.um höchsten Gut: „Fac me,
pater, quaerere te; quaerenti te mihi nihil aliud pro te oecurrat." „Oro excellen-
tissimam clementiam tuam, ut me penitus ad te convertas nihilque mihi repugnare
facias tendenti ad te." „Ad te ambio, et quibus rebus ad te ambiatur, a te rursuin
peto" (Augustinus). 8* „Nihil, quaeso, sine te mihi dulcescat, nihil complaceat,
nihil pretiosum, nihil praeter te mihi arrideat speciosum; vilescant, obsecro,
absque te mihi omnia, sordeant universa. Quod tibi adversum est, sit mihi
molestum, et beneplacitum tuum mihi indeficiens desiderium; taedeat me gaudere
sine te et delectet me tristari pro te" (Anselm von Canterbury). 85 „Da mihi,
Domine coelestem sapientiam, ut discam te super omnia quaerere et
invenire, super omnia sapere et diligere" (Nachfolge Christi). 8S „Te coneupiseat
anima mea, te semper esuriat, te semper sitiat, te semper ambiat, et quaerat,
te inveniat, ad te tendat, ad te perveniat, te meditetur, te loquatur et omnia
operetur in laudem et gloriam nominis tui" (Bonaventura). 87 „Ziehe uns kräftig
4. Inhalt des mystischen Gebets (via illuminativa) 295
zu dir hin. Gib uns in dir ein gesammeltes Herz und laß das unendliche Verlangen
unserer Seele zu dir beständig hingerichtet sein" (Arndt). 88
„Mein Gott, nur du,
Mein Trost, mein Teil und Ruh,
Du sollst es sein,
Den ich hier such und mein:
Ach, nimm mich hin und mich in dich verschließe.
Entwöhne mich, daß ich nur dich genieße.
Dies laß allein
Mein Werk auf Erden sein.
Zu sterben mir
Und nur zu leben dir,
Stets eingewandt im Geist in dir zu stehen,
Zu lieben dich und dich nur anzusehen" (Tersteegen). 89
d) Glaube, Hoffnung und Liebe: ,,Si fide te inveniunt, qui ad te
refugiunt, f idem da ; si virtute, virtutem ; si scientia, scientiam. Auge in me f idem,
äuge spem, äuge caritatem" (Augustinus). 90 ,,Fac me tibi magis credere, in
te spem habere, te diligere" (Thomas von Aquin). 91 „Wenn ich dich bitte um
Inbrunst, so bitte ich um Glaube, Hoffnung und Liebe" (Kardinal Newman). M
e) Glut der Gottesliebe: „O amor, qui semper ardes et numquam exstin-
queris, Caritas, Deus meus, accende me" (Augustinus). 93 ,,0 edler Aar, o süßes
Lamm, o Feuerglut, entzünde mich. Wie lange soll ich also dürre sein?"
(Mechthild). 94 „Ich bitte dich, daß du meine Seele markreich machest mit der
Süße deines Markes und durchleuchtest und durchgeistigst und feurig machest
mit dem Feuer deiner Gottheit." „Ich bitte dich, daß du mein Herz entzündest
mit dem Feuer deiner göttlichen Liebe, daß diese allezeit sei beweglich, stetiglich,
hitzig, spitz, flüssig, überwillig, die mich verwunde, zu dir binde, nach dir allezeit
seufzend und verlangend mache, mich von mir scheide und mich in dich lieblich
verzücke" (Pseudo- Eckhart) 95. „Fülle meine Seele mit deiner Fülle, hauche mich
an mit deinem Atem, der Kraft und milde Glut eingießt . . . Herr, wenn ich
dich um Glut bitte, bitte ich um dich selbst, um nichts Geringeres als dich, o mein
Gott. Komm in mein Herz und erfülle es mit Glut, indem du es mit dir erfüllst"
(Newman). 96 „Gib Gnade, daß ich dich unaufhörlich liebe" (Mänikka-
Vaäagar). 97 „Arno te, Deus meus, amore magno magisque te amare cupio. Da
mihi, ut amem te semper quantum volo et quantum debeo, ut tu solus sis tota
intentio mea et omnis meditatio mea" (Anselm von Canterbury). 98 „Transfige
medullas et viscera animae meae suavissimo amoris tui vulnere, ut lanqueat et
liquefiat anima mea solo semper amore et desiderio tui" (Bonaventura). 99
„Dilata me in amore, ut discam in interiori cordis ore degustare, quam suave sit
amare et in amore liquefieri et natare. Tenear amore, vadens supra me, prae
nimio fervore et stupore. Cantem amoris canticum, sequar te dilectum meum,
deficiat in laude tua anima mea iubilans ex amore". „O Jesu, tribue mihi ex
amore conteri, ex amore vulnerari, ex amore mori" (Thomas von Kempen). 10°
„Laß deine inbrünstige Liebe ein Feuer der göttlichen und reinen Liebe in uns
anzünden, daß wir dich unsern liebreichen Vater von ganzem Herzen lieb ge-
winnen, dir allein anhängen, und an deiner Herrlichkeit uns vergnügen" (Arndt). 101
„Reiß unsere Liebe und Herzensandacht ganz zu dir, daß wir aller Orten und zu
aller Zeit und in allen Dingen nur dich sehen und nur dich lieben, der du unseres
Herzens eigentlicher Vorwurf und ewig genug bist" (Tersteegen) 102. „Gib mir,
Herr, und nimm mir, Herr, alles, was du willst, nur laß mir ja diesen Willen,
daß ich sterben müsse von Minne in der Minne" (Mechthild) 103.
3. Via unitiva.
a) Erleben der Gegenwart Gottes, Gottschauen: „Zu dir, Vater,
möge ich gelangen, möge ich bei dir wohnen!" (Mänikka-Väsagar). 1M „Schlage
dein Zelt auf ir> mir und wohne da und bleib da unaufhörlich" (Symeon). los
„Bereite dir, o Gott, in mir ein glänzendes Gemach, daß du nach deiner Ver-
heißung in mir wohnest und dort eine Stätte dir errichtest" (Petrus von Alcantara. l0S
296 F III. Das Gebet in der Mystik
.,Ich bitte dich, mein Herr, daß wir inne werden deiner Gegenwart auf sichtbare
und unsichtbare Weise mit einer süßen Berührung" (Margaretha Ebner). 107
..Dreieiniger Gott, wohne in uns, daß wir deine Liebe schmecken, deine Kraft
erfahren und deinen Trost empfinden" (Arndt) 108.
,,Herr, komme in mir wohnen.
Laß meinen Geist auf Erden
Dir ein Heiligtum noch werden".
..Ach wohn' in mir, du Gottessonn1.
Mein Geist dein Himmel werd.
Daß ich, o reine Seelenwonn'.
Werd ganz in dich verklärt" (Tersteegen). 10B
,.Quis mihi dabit, ut venias in cor meum et inebries illud, ut obliviscar
mala mea et unum bonum meum amplectar in te ?" (Augustinus) uo ,,0 König,
Herr, komm zu mir, zu mir" (Mänikka-Väsagar). 1J1 „Veni, venu quia
sine te nulla erit laeta dies aut hora, quia tu laetitia mea et sine te vaeua est
mens mea. Miser sum et quomodo incarceratus et compedibus gravatus, donee
luce praesentiae tuae nie reficias vultumque ami -abilem demonstres" (Nachfolge
Christi). m „Komm, wahres Licht; komm, ewiges Leben; komm, verborgenes
Geheimnis; komm, unsagbarer Schatz; komm, unaussprechliche Tat; komm,
unvorstellbares Antlitz; komm, unsichtbare Wonne; komm, Licht ohne Abend;
komm, wahre Hoffnung aller Heilsbeflissenen; komm, Aufrichtung der Darnieder-
liegenden; komm, Auferstehung der Toten; komm, Mächtiger, der alles schafft
und umschafft und wandelt durch seinen Willen; komm. Unsichtbarer, ganz
Untastbarer und Unberührbarer . . . Komm, ewiges Leben; komm, unverwelk-
licher Kranz; komm, Purpur des großen Gottes, unseres Königs; komm, kristall-
gleicher, demantgeschmückter Gürtel . . . Komm, nach dem meine arme Seele
sich gesehnt hat und sehnt; komm. Einsamer zum Einsamen, denn einsam bin
ich, wie du siehst; komm, der du mich losgelöst und vereinsamt hast auf dieser
Welt; komm, der du meine Sehnsucht geworden bist und der du gemacht hast,
daß ich dich ersehne, den ganz Unzugänglichen. Komm, mein Atem und Leben;
komm Trost meiner niedrigen Seele; komm, meine Freude, mein Ruhm, mein
stetes Ergötzen" (Synieon) 113. ,,Ich bitte dich, daß du mich erhörest, du reicher
Gott, du gewaltiger Gott, du minniglicher Gott, du getreuer Gott, du barmherziger
Gott, und daß du kommst in mein Herz und daß du mich erfüllst mit aller deiner
Minne und aller deiner Gnade" (Adelheid Langmann). 114
„Da mihi, quae attendam, ut adspiciam te" (Augustinus). 115 ..Komm,
höchstes Licht, das stets neu entstehend meine Seele erfüllt, gib mir die Gnade,
dich zu s c h a u e n , wie du bist." „Auf Erden, im Himmel oder dann, wenn all
dies vergangen ist, wann werde ich dein Antlitz schauen?" (Mänikka-Vägagar) 116.
„Zeige mir deutlich das Antlitz deiner Gottheit und erscheine mir ganz auf un-
sinnliche Weise" (Symeon). 117 „Zeige mir dein Antlitz und laß mich schauen
deine Gestalt. Siehe, dein Antlitz ist lieblich und schön" (Gertrud von Helftä). 1X*
„O veritas mea et misericordia mea, da mihi te videre sine forma corporea, sine
specie imaginaria et sine omni luce creata" (Thomas von Kempen) 119. „Du,
unser Gott und unser Alles ! Du ewig belustigendes und völlig beruhigendes Liebes-
wesen! Dieses Eine, dich zu finden und dich so zu schauen, ist es, welches ich
in Demut von dir erbitte." „Laß uns der Zeit und Ort entfallen, damit wir dich
mögen schauen und unser so lang umgetriebener, bald verschmachteter Geist
wiederum in deinen ursprünglichen Vatersarmen ausruhen möge" (Tersteegen). 12°
b) Volle E i n i g u n g mit Gott, Aufgehen in Gott, Ekstase: „Ich
bitte dich, mein Herr, daß du uns in deiner lauteren Minne gebest eine sichere
Vereinigung mit dem innersten Gut, das du, Gott, selber bist" (Margaretha Ebner). 1J1
„Herr Jesu Christe, ich bitte dich von Liebe, daß du mich dir und dich mir nahest,
vereinigest, heimlichest, innerest, einschmelzest, einatmest, einschließest, ein-
tuest, einzweigest, einliebest, einnaturest, einvergottest. Und ich bitte dich,
daß du mich verbergest in die feurige Flamme deiner Gottheit, daß ich also feurig
und also flammend und einfließend und aufwallend werde in dem Feuer deiner
Gottheit, daß man darin keinen Unterschied kiese, so viel es möglich ist." „Ewiger
Vater, ich bitte dich von Grund meines Herzens und aus allen Kräften meiner
4. Inhalt des mystischen Gebets (via unitiva) 297
Seele, daß du mir gebest in der innersten, tiefsten und verborgensten Heimlichkeit
des Grundes deines väterlichen Herzens ein stetes in nebleibendes Wesen. Leben»
Sehen, Lieben, Sprechen, Wirken . . . ; daß ich allezeit in dir beschlossen sei
und bleibe, ein durchleuchtend Bild nach deinem innersten verborgenen Willen
vor den Augen deiner Majestät, in dem du allezeit ohne Widerstand hellglänzend dich
spiegelst und ersiehst den Adel deiner göttlichen Natur" (Pseudo- Eckhart). 122
..Gib mir dich jetzt so, daß ich mich an dir sättige, daß ich küsse und umfange
deine unsagbare Herrlichkeit, das Licht deines Antlitzes und verwandelt, ganz
verherrlicht zu dir komme, und selbst Licht geworden von deinem Lichte, zu
dir trete" (Symeon) 123. „Senke dich in mich und verwandle mich in dich, denn
sonst mag noch will ich nimmer getröstet werden" (David von Augsburg). 124
,,Eija, mein einiges Gut, nun hilf mir, daß ich unbefleckt möge fließen in dich"
(Mechthild). 126 „Ich komme zu dir um Hilfe, verlangend nach Fülle des Glücks,
Zerstörung meines Ich, Aufgehen in dir" (Vischnu-Puräna). 126 „Ich bitte dich,
laß meine Seele in mir schmelzen, mach mich dein" (Mänikka-Vääagar). 127 „O
quando ad plenum dabitur mihi vacare et videre, quam suavis es, Domine Deus
meus ! Quando ad plenum me recolligam in te, ut prae amore tuo non sentiam
me, sed te solum, supra omnem sensum et modum" (Nachfolge Christi). 128 „Wann
werde ich ganz dein sein ? Wann werde ich aufhören, mein zu sein ? Wann wirst
du mich mit dir vollkommen vereinigen, mich in dir aufnehmen und umwandeln ?"
(Petrus von Alcantara). 129 „Wie lange noch wird es zwischen mir und dir das
Ich und Du geben ? Hebe zwischen uns mein Ich auf, daß ich ganz in dich eingehe,
daß ich nichts werde" ( Bäyazld). 130 „Gib, daß ich anfange in Wahrheit mir selbst
zu entfallen und in dir, meine süße Minne, außer mir gerate. Hier, hier laß mich
mich selbst in dir verlieren, mich selbst in dir so völlig verlassen, daß von mir in
mir keine Spur mehr bleibt .... Eija, ei ja verwandle mich so ganz in die Leiden-
schaft deiner Liebe, daß in dir zunichte werde all meine Unvollkommenheit und
ich außer dir keinen Geist mehr habe." „Möge ich hinabsinken in den Abgrund
des Meeres deiner gütigsten Milde ! Möge ich untergehen in der Flut deiner leben-
digen Minne, wie der Tropfen des Meeres untergeht in der Tiefe seiner Füllet
Möge ich sterben, ja sterben in der Flut deiner unermeßlichen Erbarmung, wie
der Funke des Feuers stirbt in des Stromes gewaltigem Ansturm!" „Siehe, ich
komme zu dir, o verzehrendes Feuer, mein Gott. Eija in der feurigen Gewalt
deiner Minne mich verschlingend, vernichte und verzehre mich ganz in dir"
(Gertrud). 131
„Zerstör den Grund der Eigenheit,
Der uns noch hält geschieden ....
Zeuch mich aus mir und allem hin.
Bis ich mit dir ganz eines bin
Und du in mir nur lebest."
„Verbrenne, Liebster, was uns trennt,
Bis wir in eins zerfließen."
„Laß mich ganz verschwinden
Dich nur seh'n und finden." (Tersteegen). 13a
c)Ewige Gottesschau undGottvereinigung im Jenseits:
„Gib mir vor lauter Minne ein ewiges Genießen, mein Herr, da du allein ein Herr
bist und niemand mehr, da deine Ebre unsere ewige Nahrung ist und deine Gewalt
unsere ewige Freude, da dein Anblick unsere ewige Speise ist, da alle Traurigkeit
ein Ende hat und alle Freude versichert ist in dem Ursprung des lebendigen
Brunnens" (Margaretha Ebner). ,33 „Du siehst, keine Freude hab' ich auf dieser
meerumgürteten Erde, sei gnädig, laß mich zu dir kommen." „Du siehst, mein
Herz ist verzagt, ich habe keine Freude im Leben, sei gnädig, laß mich zu dir
kommen" (Mänikka-Väfitigar). 134 „O Minne, Minne, wann wirst du aus dem
Kerker meine Seele herausführen ? O wann, wann wirst du sie, die Einsame, lösen
von der Fessel des Leibes ? O wann, wann wirst du mich einführen in das Gemach
meines Bräutigams, daß ich ihm vermählt werde in ewigem Genuß ? Eija, o Liebe,
beeile meine Hochzeit; denn ich wollte ja tausendmal sterben um solche Wonne
zu kosten" (Gertrud). 13s „O weh, meine auserwählte Weisheit, wann soll der
lichte Tag aufgehen, wann soll die fröhliche Stunde kommen, da ich vollkommen
298 F III. Das Gebet in der Mystik
bereit hinscheide von diesem Elend zu meinem Geliebten, o weh, damit ich dich
leiblich schaue und lobe? Wahrlich, mich beginnt so schmerzlich zu sehnen,
mich beginnt so innig zu verlangen nach meines Herzens einziger Wonne. . . .
Ach, wie zieht es sich in die Länge, wie verspätet es sich, daß ich meines Herzens
Augenweide von Angesicht zu Angesicht ansehe und ich deiner nach meiner
Herzenslust genieße" (Seuse) 13S. ,,Quando ad plenum laetabor in te? Quando
erit pax solida, pax imperturbabilis et secura, pax intus et foris, pax ex omni
parte firma ? Jesu bone, quando stabo ad videndum te ? Quando contemplabor
gloriam regni tui ? Quando eris mihi omnia in omnibus ? O quando ero tecum in
regno tuo, quod praeparasti dilectis tuis ab aeterno?" „Quamdiu in terra vivo
et te nondum video, triste est mihi omne, quod eerno." ,,Veni, Domine Jesu,
veni et noli tardare, relaxa facinora mea, solve vincula; educ vinctum de domo
carceris, de lacu miseriae et de luto faecis . . . Noli me apud saeculum diutius
relinquere. Satis sit, quod hucusque certavi, quod tanto tempore exulavi . . .
Nunc optato concede perfrui gaudio, quod nullo finitur termino nee ullo obnubilatur
taedio. Ostende mihi faciem tuam, quam angeli semper vident . . . Veni, Domine
Jesu, et tolle me de terra aliena ; revoca abiectum ad patriam . . . Veni, redemptor
bone, fac me partieipem aeternae tuae gloriae. Tempus est, ut revertar ad te . . .
Taedet me vitae temporalis, sola me delectat dies aeternae claritatis" (Thomas
von Kempen). 137
,, Erlöse mich von diesem Tode,
Gib Leben meinem heißen Fleh'n!
Mein Gott, o halte mich verbannt
Nicht mehr in diesen starken Banden.
Sieh, wie ich glühe, dich zu seh'n,
Ganz muß in Schmerzen ich verderben.
Ich sterbe, weil ich nicht kann sterben"
(Johann von Kreuz). 138
77. Kontemplation.
Das mystische Beten zeigt einen inneren Fortschritt ; der Beter schreitet
von der Gottessehnsucht zum Gottesbesitz fort. Erst flehte er, von
allen Affekten und Wünschen ,gereinigt' und ganz von dem Erlebnis
des einzigen und höchsten Wertes beherrscht zu werden; jetzt ist er
von diesem einen, unendlichen Wert ergriffen. Erst flehte er, zu Gott
zu gelangen, ihn zu schauen, mit ihm sich zu vereinen, jetzt atmet er
in seiner unmittelbaren Gegenwart. Er bittet nicht mehr, er konzentriert
sich nicht mehr, er kontempliert nur die unendliche Größe, Güte und
Schönheit seines Gottes. „Der Geist," sagt Plotin, „verharrt unbeweg-
lich, ins Schauen versunken; er blickt auf nichts anderes als auf das
absolut Schöne, ihm wendet er sich ganz zu und gibt sich ihm ganz hin,
stillestehend und gleichsam mit Kraft erfüllt." 139 Schauer, Ehrfurcht,
Bewunderung, Staunen und Entzücken packen ihn, unendliche Wonne
durchströmt ihn. Mit unvergleichlichen Worten hat Plotin dieses
wunderbare Erlebnis der mystischen Kontemplation beschrieben.
„Wer es (d. h. das höchste Gut) schaut, welche Liebesglut wird ihn durch-
flammen, welche Sehnsucht ihn durchglühen, mit ihm ganz zu verschmelzen,
welch Wonneschauer ihn durchzittern 1 Wer es noch nicht geschaut hat, verlangt
sehnsüchtig nach ihm als dem absolut Guten, wer es schon geschaut hat, staunt
über seine Schönheit, wird von seliger Bewunderung erfüllt, wird erschüttert
ohne versehrt zu werden, er liebt mit wahrer Liebe und heftiger Sehnsucht, er
verlacht jede andere Liebe, er verachtet alles, was er bisher für schön hielt. Etwas
ähnliches erleben jene, denen eine Götter- oder Geistesvision zuteil geworden
und die nun unempfänglich sind für die Schönheit anderer Körper. Wieviel mehr
wird dann erst der, welcher das absolut Schöne selbst in seiner wesenhaften Reinheit
4. Inhalt des mystischen Gebets (Die reine ästhetische Betrachtung 299
geschaut hat, frei sein von Verlangen nach fleischlicher oder körperlicher Schönheit .
sei sie nun irdisch oder himmlisch, damit das Unschöne rein bleibe." 14°
Die kontemplative Versunkenheit ist meist stumm; die entzückte
Schau des summum bonum ist sprach- und wortlos (s. o. S. 289f .). „Alles
in uns schweige und sich innigst vor ihm beuge!" (Tersteegen). 141
Bisweilen ist aber der das reine Werterlebnis begleitende Affekt so
gewaltig, daß er sich in der Rede nach außen entlädt. Der kontem-
plierende Mystiker stößt kurze, in rhythmischem Schwung einander
folgende Gebetsrufe aus.
1. Die reine ästhetische Betrachtung,
Der Beter betrachtet Gott als einzigen, höchsten und unendlichen Wert,
als die Quelle aller intellektuellen, ethischen und ästhetischen Werte,
als Ursache aller Wonne und Seligkeit, als einziges und höchstes Ziel alles
menschlichen Strebens.
,,Tu es summum bonum". „Summe, optime, potentissime, misericor-
dissime et iustissime, pulcherrime et fortissime!" ,,Deus pater veritatis, pater
sapientiae, pater verae summaeque vitae, pater beatitudinis, pater boni et pulchri,
pater intelligibilis lucis!" ,,Te invoco, Deus veritas, in quo et a quo et per quem
vera sunt, quae vera sunt omnia. Deus sapientia, in quo et a quo et per quem
sapiunt, quae sapiunt omnia. Deus vera et summa vita, in quo et a quo et per
quem vivunt, quae vere summeque vivunt omnia. Deus beatitudo, in quo et
a quo et per quem beata sunt, quae beata sunt omnia. Deus bonum et pul-
chrum, in quo et a quo et per quem bona et pulchra sunt, quae bona et
pulchra sunt omnia. Deus intelligibilis lux, in quo et a quo et per quem intel-
ligibiliter lucent, quae intelligibiliter lucent omnia." „Deus supra quem nihil,
extra quem nihil, sine quo nihil est. Deus, sub quo tot um est, in quo totum est,
cum quo totum est." „Deus meus, Domine meus, rex meus, pater meus, causa
mea, spes mea, res mea, honor meus, domus mea, patria mea, salus mea, lux
mea, vita mea" (Augustinus) 142. „Dulcissime, benignissime, amantissime, carissime,
potentissime, desideratissime, pretiosissime, amabilissime, pulcherrime, tu melle
dulcior, lacte et nive candidior, nectare suavior, gemmis et auro pretiosior,
cunctisque terrarum divitiis et honoribus mihi carior" (Anselm von Canter-
bury). 143 Franz von Assisi bricht nach der Stigmatisierung in den Jubelruf aus:
,,Tu es sanctus Dominus Deus solus, qui facis mirabilia. Tu es fortis. Tu es magnus.
Tu es altissimus. Tu es rex omnipotens, tu Pater sancte, Rex coeli et terrae.
Tu es trinus Dominus Deus, omne bonum. Tu es bonum, omnebonum,
summumbonum, Domine Deus vivus et verus. Tu es Caritas, amor. Tu es
sapientia. Tu es humilitas. Tu es patientia. Tu es securitas. Tu es quietas. Tu
es gaudium et laetitia. Tu es iustitia et temperantia. Tu es omnis divitia ad
sufficientiam". U4 Der vom Enthusiasmus überwältigte Troubadour der Gottes-
liebe reiht hier viele kurze Rufe aneinander; ein andermal wiederholte er die
ganze Nacht hindurch das eine Gebet: „Deus meus et omnia". 14S Mit demselben
Ruf leitet Thomas von Kempen eines seiner innigen Gebete ein. 14S „Du allein
bist meine ganze und wahre Liebe. Du bist mein teuerstes Heil. Du bist meine
ganze Hoffnung und Freude. Du bist das höchste und beste Gut. Du
bist der Durst meines Herzens. Du bist das ganze Genügen meines Geistes."
„Du bist das Leben meiner Seele. Du der Jubel meines Herzens . . . Du bist
Anfang und Vollendung alles Guten. Du bist das Lob meines Herzens und Mundes."
„Du allein bist wunderbar und herrlich. Du allein bist groß und lobwürdig, allein
fcüß und liebenswert, allein schön und anmutig, allein Wohlgestalten und wonnig-
lich, allein so groß und so beschaffen, daß in aller Herrlichkeit Himmels und der
Erde dir keiner gleich ist." „Du bist die Anmut aller Farben, die Süßigkeit aller
Geschmäcke, der Duft aller Gerüche, das Ergötzen aller Töne, die liebliche Wonne
aller heimlichsten Umarmungen. In dir ist wonnigliche Lust, aus dir strömt
reicher Überfluß, zu dir führt anmutige Verlockung, durch dich geschieht im-
300 P III. Das Gebet in der Mystik
widerst ehlicher Einfluß. Du bist der überströmende Abgrund der Gottheit.
O wertester König der Könige, erhabenster Kaiser, erlauchtester Fürst, mildester
Herrscher, mächtigster Schirmherr! . . . Kunstfertigster Werkmeister, mildester
.Lehrmeister, weisester Ratgeber, gütigster Helfer, treuester Freund! ... O
zartester Schmeichler, sanftester Koser, glühendster Liebhaber, süßester Bräuti-
gam, keuschester Eiferer! ... Lieblichster Bruder, blühendster Jüngling, ange-
nehmster Begleiter, freigebigster Gastfreund, höflichster Diener!" (Gertrud von
Helftä). 14T „Du bist der Abgrund der unerschaffenen Weisheit; du bist der Hort
der ungemessenen Gewalt, du bist der reiche Schatz, dessen Gut niemand voll
achten mag, du bist das oberste und vollkommenste Gut, das nie-
mand wünschen kann; denn was gut sein mag und besser und allerbeste, das bist
du in der allerbesten Weise." (David von Augsburg). 148 ,,Tu Domine, Deus
meus, super omnia optimus es. Tu solus altissimus, tu solus potentissimus, tu
solus sufficientissimus et plenissimus, tu solus suavissimus et solationissimus.
Tu solus pulcherrimus et amantissimus, tu solus nobilissimus et gloriosissimus
super omnia, in quo cuncta bona simul et perfecta sunt et semper fuerunt et erunt."
,,Tu refugium meum et domus mea, tu civitas mea, tu habitatio mea, tu cibus
meus, tu potus meus, tu requies et refectio, tu socius dilectus, tu intimus amicus,
tu cognatus et proximus, tu f rater et soror, tu pater et patronus, tu pastor et
custos totius vitae, cui me et omnia mea fideliter commendo, quia non est salus
extra te nee tuta vita absque te" (Thomas von Kempen) 149. ,,0 meine Hoffnung,
o du mein vollkommener Ruhm, o meine Zuflucht und mein Trost, o Süßigkeit
meines Herzens, o Leben meiner Seele, o Freude meines Geistes, o herrlicher Tag
der Ewigkeit, hellstes Licht meines innersten Wesens, himmlisches Paradies
meines Herzens, o mein süßer Ursprung und mein und aller Dinge erster Anfang,
o meine höchste, übergroße Ruhe und mein einzig genügender Besitz" (Petrus
von Alcantara). 1S0 ,,0 höchster Herr, o du mein König, o erhabene Macht, unend-
liche Güte, ewige Weisheit, ohne Anfang und ohne Ende, unergründliche Tiefe
der Wunder, Quelle aller Schönheit und Kraft" (Teresa di Jesu). 151 Auch die
byzantinische Mystik kennt dieses rein kontemplative Beten. Symeon betet:
,,Du bist das Himmelreich, du das Land der Sanftmütigen, o Christus. Du bist
das grünende Paradies, du das göttliche Brautgemach, du die unaussprechliche
Ehekammer, du der Tisch aller. Du bist das Lebensbrot, du der frischeste Trank,
du der Mischkrug, du das Lebenswasser. Du bist die unauslöschliche Fackel den
Heiligen. Du bist das Kleid, der Kranz und der Verteiler der Kränze. Du bist
die Freude und Erquickung, die Seligkeit und Herrlichkeit. Du bist das Jauchzen
und die Wonne". 168 Ebenso bildhafte und farbenreiche Formen hat das kon-
templative Gebet bei Mechthild von Magdeburg. „O du brennender Berg, o du
auserwählte Sonne, o du voller Mond, o du grundloser Brunnen, o du unerreich-
bare Höhe, o du Klarheit ohne Maß, o Weisheit ohne Grund, o Barmherzigkeit
ohne Hinderung, o Stärke ohne Widersetzung, o Krone aller Ehren." ,,0 Kaiser
aller Ehren, o Krone aller Fürsten, o Weisheit aller Meister, o Geber aller Gabe,
o Löser aller Gefängnisse." „Du bist die Sonne aller Augen, du bist die Lust
aller Ohren, du bist die Stimme aller Worte, du bist die Kraft aller Frömmigkeit,
du bist die Lehre aller Weisheit, du bist das Leben in allem Lebenden, du bist die
Ordnung alles Seienden,." „Du bist mein Spiegelberg, eine Augenweide, ein
Verlust meiner selbst, ein Sturm meines Herzens, meine höchste Sicherheit". 188
In Stimmung und Stil klingt an Mechthilds dichterisches Gebet ein Hymnus
des Mänikka-Väsagar an: ,,0 unbefleckter Glanz, Schimmer einer voll erblühten
Blume, o Lehrer, honigsüße Götterspeise, du Hochgeehrter, Beschützer, Löser
der Fesseln, großer Strom von überschwänglicher Zartheit und unaufhörlicher
Flut! Großes Licht, das niemand schauen kann, Flut des Entzückens, Vater,
Licht aller vergänglichen Strahlen, die scheinen, unsagbar feiner Intellekt! Volle
Gewißheit, köstliche Götterspeise, aufströmender Quell, du mein Herr". 16<
Die Kontemplation von Gottes Unendlichkeit und Seinsfülle wird
bisweilen zu einer in prachtvollen Paradoxien sich bewegenden Be-
trachtung Gottes als der eoineidentia oppositorum.
Augustinus ruft aus: „Misericordissime et iustissime, secretissime et praesen-
tissime, stabilis et incomprehensibilis, immutabilis et mutans omnia, nunquara
4. Inhalt des mystischen Gebets (Lobpieis und Dank) 301
novus, nunquam vetus, semper agens semper quietus". 155 Ähnlich betet Symeon
der Neue Theologe: ..Du bist ganz unbeweglich und bewegst dich doch ständig,
du bist ganz außer der Kreatur und bist doch in aller Kreatur, du erfüllst ganz
das All und bist doch ganz außer dem All." 156 David von Augsburg ruft: „Du
bist an allen Dingen, an allen Seiten, zu allen Zeiten .... Du bist ober allen
Dingen mit königlicher Gewalt und mit deiner natürlichen Würdigkeit. Du bist
unter allen Dingen, alle Dinge auf dich gegrundfestet sind .... Du bist zu
innerst aller Dinge, wann du bist aller Dinge innerster Kern und verborgene Kraft
und du ihnen ihr Wesen gibst. Du bist außerhalb der Dinge, wann dich kein Ding
begreifen kann noch keine Kreatur beschließen ; in dir sind alle Dinge beschlossen,
wann du bist aller Dinge Urbild und lebendiger Bildner, in dem je lebte alles,
was ist oder war oder wird." „Du bist ihr Herre, du bist ihr Diener, du bist ihr
Vater, du bist ihre Mutter, du bist ihr Kind, du bist ihr Bruder, du bist ihr aller-
keuschester und süßester minnender Gemahl. Du bist der Wirt, du bist die Wirt-
schaft." 157 In einem mystischen Gebet des Vishnu-Puräna heißt es: „Du, dessen
Form eine ist und doch mannigfaltig, dessen Wesen eines ist und doch verschieden,
zart und doch weit, erkennbar und doch unerkennbar, Wurzel der Welt und doch
aus der Welt bestehend, Stütze des Alls und doch kleiner als der Erde kleinster
Teil, wohnend in jeder Kreatur und doch ohne Beengung" 158.
Die Betrachtung der in Gottes Wesen beschlossenen Gegensätze läßt
nicht selten den pantheistischen Gedanken des $v xcu näv aufsteigen.
Ein Gebet des Maiträyanja-Upanischad (5, 1) beginnt mit den Worten: „Du
bist Brahman, du Vischnu, du Budra, du Prajäpati. du Agni, Varuna, Väyu,
du Indra, du das Licht der Nacht, du bist der Nahrungsgeist, der Tod, die Erde,
d a s A 1 1 ; vielfältig ruht in dir. was ist". 159 Mänikka Vägagar ruft: „Du bist der
Himmel, du bist die Erde; du bist der Wind, du bist das Licht, der Leib bist du,
die Seele du, Sein und Nichtsein bist du". 160 Magdalena von Pazzi betet: „O
Liebe, du durchdringst und durchbohrst, du zerreißest und bindest, du regierst
alle Dinge, du bist Himmel und Erde, Feuer und Luft, Blut und Wasser, du bist
Gott und Mensch" *«.
Diese reine, völlig selbstlose, von allem Verlangen freie, ästhetische
Betrachtung des summum bonum und ev xai näv, die anbetende,
feierliche Versenkung in Gottes Wesens- und Wertfülle bildet den Haupt-
teil des mystischen Betens; sie schiebt sich auch ständig in die Bitte
und Ergebung ein; aber auf den Höhepunkten des Gebets löst sie sich
von allen anderen Gebetsformen ab.
2. Lobpreis und Dank.
Die Betrachtung der Größe, Güte, Heiligkeit und Schönheit Gottes
geht häufig in ein entzücktes Jubeln, Preisen, Loben und Danken über.
„Te laudet anima mea, ut amet te et confiteatur tibi miserationes tuas, ut
laudet te. Non cessat nee tatet laudes tuas universa creatura tua, nee spiritus
omnis hominis per os conversum ad te nee animalia nee corporalia per os eonsi-
derantium ea, ut exsurgat in te a lassitudine anima nostra innitens eis, quae
fecisti, et transiens ad te" (Augustinus). 162 ..Ttinam possem talia dieere qualia
illi hymnidiei angelorum chori! O quam libenter me in tuis laudibus totum
effunderem! O quam devotissime illa coelestis melodiae cantica ad laudem et.
gloriam nominis tui in medio eeelesiao infatigabilis perorarem .... Te decet
laus, te decet hymnus tibique debetur omnis honor" (Anselm von Canterbury) 1M
„Omnipotens, sanetissime, altissime et summe, totum bonum. qui solus es bonus.
tibi reddamus omnem laudem. omnem gloriam, omnem gratiam. omnem honorem,
omnem benedietionem, et omnia bona. Fiat, Fiat! Amen." „Omnipotens, altis-
sime, sanetissime et summ»1 Dens. Rex coeli et terrae, piopter temetipsum gratiam
agimus tibi" (Franziskus). lM „Laudetui uomen tuum, mm meum; magnificetur
opus tuum, non meum; benedicatur nomen sanetum tuum, nihil mihi attribuatur
de laudibus hominum. Tu gloria mea, tu exultatio cordis mei. In te gloriabor
302 F III. Das Gebet in der Mystik
et exultabo tota die" (Nachfolge Christi). 165 „Ich lobe dich und ehre deine uner-
gründliche Tiefe; deine wonnesame «Schönheit, wie du bist in deiner Schönheit.
Ich lobe deine unermeßliche Güte, wie du bist in deiner Güte. leb lobe deinen
ewigen Reichtum, wie du bist in deinen ewigen Reichtümern .... Herr Vater,
ich lobe und ehre dich in deinem unbegreiflichen, unermeßlichen Wesen" (Adelheid
von Hiltharthausen). 186 „Vater, ich preise dich; Meister, ich preise dich;
Ewiger, ich preise dich ; Reiner, ich preise dich ; Bruder, ich preise dich ;
Seiender, ich preise dich; du Großer, ich preise dich; du Herr, ich preise
dich; du Einziger, ich preise dich; Leben, ich preise dich; Herrlichkeit, ich preise
dich; Wonne, ich preise dich; Bräutigam ich preise dich" (Mänikka-VäSagar) 1".
.,0 Herr des Weltalls, möchten alle Geschöpfe dich preisen! O, wer kann es laut
i_r<'nug verkünden, wie treu du deinen Freunden bist! Hätte ich doch Verstand
und Wissenschaft und ganz neue Worte um die Wunder deiner Liebe so zu ver-
herrlichen, wie meine Seele es empfindet" (Teresa). 168 ,,Es preise dich das ganze
Mark und die ganze Kraft meines Geistes ! Es preise dich das ganze Wesen meines
Leibes und meiner Seele! Es möge dich verherrlichen mein ganzes Inneres! Es
mögen dir zujubeln all meine Wünsche, denn du allein bist lobwürdig und glor-
reich in Ewigkeit .... Es mögen dich preisen, rühmen und verherrlichen an
meiner Statt all deine wunderbaren Werke und all deine herrlichen Gaben, die
ich von dir habe, o Gott meines Lebens!" , .Deine vorzüglichste Gottheit rühme
und preise dich, denn du bist der Ursprung des steten Lichts und der Quell des
Lebens. Fürwahr keine Kreatur vermag dich würdig zu loben. Du allein genügst
dir .... Es preise dich an meiner Stelle dein glorwürdiges und wunderbares
licht, mein Gott, und es lobe dich die kaiserliche Zier deiner höchsten Majestät!"
(Gertrud von Helftä). 1S8 .,0 hochheilige Dreieinigkeit, ein Gott und mein höchstes,
einziges Gut! Könnte ich allein dich so sehr lieben und loben als alle seligen
Geister dich lieben und loben . . . Du allein kannst dich selbst würdig lieben
und loben, weil niemand als du selbst deine unbegreifliche Güte mit dem Verstand
erfassen kann und eben darum sie so, wie sie es verdient, zu loben vermag" (Petrus
von Alcantara) 17°. „Du erhabener Herr, ich weiß, du bist rein von allem Lobe
der Lobenden und allem Preise der Preisenden und allen Gedanken der Denkenden.
Mein Gott. ! Du weißt, daß ich die Pflichten deines Lobes nicht zu erfüllen ver-
mag. Lobe dich selber an meiner Statt, das ist das wahre Lob" (Husain al-Hal-
lädsch) l".
3. Hingabe und Ergebung.
Die Ergriffenheit von dem Unendlichkeitswert bedingt eine völlige
innere Hingabe an ihn; der Beter kennt keinen anderen Wert, er ver-
zichtet in grandiosem Heroismus am0 allen Eigenwillen und schenkt
sich ganz seinem Gott. An die Kontemplation Gottes reiht sich so die
völlige Liebeshingabe an ihn.
,, Jam te solum amo, te solum sequor, te solum quaero, tibi soli servire paratus
sum; quia tu solus iuste dominaris, tui iuris esse cupio." „Non dubia sed certa
conscientia amo te, Domine. Percussisti cor meum verbo tuo et amavi te"
(Augustinus). "* „Domine ego non habeo nee amo nee volonisite" (Franziskus). 173
„Ich will nichts als dich und dich ganz" (Katharina v. Genua). 17* „Siehe, selbst
imHimmel will ich nichts als dich: dich allein liebeich, dich ersehne ich, dich minne
ich, dich begehre ich, nach dir dürste ich. In dir vergehe ich ganz, mein Ge-
liebter." (Gertrud). 176 „Ich will mich nie begnügen dich Liebe zu nennen; dich
allein will ich lieben und keine andere Liebe" (Magdalena de' Pazzi). 17Ä
Die Liebe zu Gott bedingt einen völligen Verzicht auf alles Eigen-
wünschen und Eigen wollen, eine restlose Selbsthingabe an das höchste
Gut, eine heroische Ergebung in den souveränen Willen Gottes.
,, Jube, quaeso, atque impera, quidquid vis" (Augustin). 177 „Domine, dummodo
voluntas mea reeta et firma ad te permaneat, fac de me. quidquid tibi placuerit.
Non enim potest esse nisi bonum, quidquid de me feceris. Si me vis esse in tenebris,
sis benedictus, et si me vis esse in luce, sis iterum benedictus. Si me dignaris
consolari, sis benedictus, et si me vis tribulari. sis aeque semper benedictus. Domine,
4. Inhalt des mystischen Gebets (Hingabe und Ergebung 303
libenter patiar pro te, quidquid volueris venire super me. Indifferenter volo de
manu tua bonum et malum, dulce et amarum, laetum et triste suscipere, et pro
omnibus mihi contingentibus gratias agere" (Nachfolge Caristi). 178 „Suscipe,
Domine, universam meam libertatem. Accipe memoriam, intellectum atque
voluntatem omnem. Quidquid habeo vel possideo, mihi largitus es ; id tibi totum
restituo ac tuae prorsus voluntati trado gubernandum. Amorem tui solum cum
gratia tua mihi dones, et dives sum satis nee aliud quidquam ultra posco" (Ignatius
von Loyola). 179 ,,Hier ist mein Leben, mein Wille, meine Ehre; alles ist dein,
alles gebe ich dir, verfahre damit nach deinem Wohlgefallen." „Dein Wille
geschehe an mir in aller Weise und jeder Art, wie du, o mein Herr, es willst; wenn
es soll unter Trübsalen geschehen, so gib mir Kraft, dann mögen sie kommen.
Sind mir Verfolgungen, Krankheiten, Ehrenkränkungen und Not zugedacht,
hier bin ich; ich werde mein Gesicht nicht abwenden . . . Verfüge über mich,
wie du willst" (Teresa). 180 „Herr, ich bin dein, ganz und auf ewig, es geschehe
mir nach deinem Wohlgefallen! Dich will ich loben und verherrlichen, es gehe,
wie es immer wolle, denn du bist es wert, o du seliges und seligmachendes Gut."
„Weil es dein gnädigstes Wohlgefallen ist, daß du mich ganz haben willst, so
geb' ich mich denn hin, mit geschlossenen Augen, auf Gnade und Ungnade. Nimm
mich der Welt und mir selbst, nimm mich ganz und auf ewig dir allein, Herz,
Wille, Verstand, Leib, Seel' und Geist; nimm es alles bloß für dich und zu deinem
Eigentum" (Tersteegen). 181 „O Herr, ich gebe mich dir, ich vertraue dir ganz.
Erfülle an mir deinen hohen Ratschluß, was immer er sein mag, wirke in nur und
durch mich. Laß mich dein blindes Werkzeug sein. Ich verlange nicht zu sehen,
ich verlange nicht zu wissen, ich verlange nichts als daß du mich gebrauchst"
(Newman) 182. „Beherrsche, gebrauche, verkaufe, verpfände mich." „Tue mit
mir, was gut ist oder was böse, bereit zu allem bin ich, dein bin ich, ganz dein"
(Mänikka Väsagar). 183 „Gebiete über deinen Sklaven deinen Leibeigenen. Dein
allein ist Tulasf. O Gott des Erbarmens, tue mit ihm nach deinem Ermessen"
(Tulsi Das). 184
„Wer, was, wie immer auch an Leib und Geist
Und Eigenschaften ich befunden werde;
Was ich auch sei, ich nehm' es heut zu Häuf
Und leg es nieder, Herr, zu deinen Füßen
Was mein ist, Herr, und was ich selber bin,
All das soll dir, o Mädhava, gehören" ( Yämuna-Muni ). 186
„Da liegt unser Wille,
Seele, Leib und Leben,
Dir zum Eigentum ergeben."
„Sollt ich dir nicht schenken wieder
Alles, was ich hab und bin?
Ich bin deine,
Ganz alleine.
Dir verschreib ich Herz und Sinn."
„Gleichwie ein Ton mein Herze sich
In deine Hand hinlegt,
Gebrauche wie ein Werkzeug mich,
Das sich durch dich nur regt" (Tersteegen). I86
„Herr Jesu, mein Hort,
Ich gebe hinfort
Mit allem, was mein,
Mich in deine sel'ge Führung hinein.
Hier hast du mich gar,
Nicht nur, wie ich war,
Nein, so wie ich bin,
Und ewiglich bleiben will, nimm mich nur hin ....
So führ' mich hinfort,
304 F III. Das Gebet in der Mystik
Mein ewiger Hort,
Du König des Lichts,
O mach mich zum Stäublein, zum Pünktlein, zum Nichts"
(Zinzendorf). 187
Diese restlose Hingabe alles persönlichen Wollens an das Göttliche,
diesen vollkommenen Verzicht auf das eigene Ich bezeichnen die Mystiker
gerne als , Opfer'.
,,Ich bringe dir dich in mir und mich in dir als Lobopfer dar; nichts habe ich
mehr; das, was ich in dir bin und lebe, das alles gebe ich dir" (Gertrud). 188
..Desidero me ipsum tibi spontaneam oblationem offerre et tuus perpetuo per-
manere. Domine, in simplicitate cordis mei offero me ipsum tibi hodie in servum
tuum sempiternum, in obsequium et in sacrificium laudis perpetuae" (Imitatio
Christi). 189 ,,Dein Sklave opfert sich dir mit freiem Herzen" (Nanak). 19° ..Ich
bin nur eine Opferspende, vor deine Füße geworfen" (Tulsi Das). 191
,,Was ich denke und verrichte,
Ist vor deinem Angesichte:
Tun und Lassen, Freud und Pein,
Soll dir aufgeopfert sein.
Was ich bin von auß- und innen,
Was nur vorkommt meinen Sinnen,
War' die Sache noch so klein,
Alles soll dein Opfer sein" (Tersteegen). 192
Die Ergebungsgebete der Mystiker stimmen mehrfach im Wortlaut
mit Epiktets Gebet überein (s. o. S. 206). Trotz der auffälligen Ähnlich-
keit ist jedoch an einen literarischen Zusammenhang der christlichen
Mystiker mit dem stoischen Philosophen nicht zu denken. Dieselben
Gebetsworte sind der Ausfluß grundverschiedener seelischer Stimmungen.
Das stoische Resignationsgebet ist der Ausdruck eines mutigen und
hoheitsvollen sittlichen Willens, der jedes Geschick zu tragen ent-
schlossen ist, das mystische Ergebungsgebet strömt aus der enthusia-
stischen Liebeshingabe an das höchste Gut, die alles Eigen wollen und
Eigenwünschen verstummen läßt.
4. Die Betrachtung des eigenen Unwertes und des göttlichen
Gnadenwunders .
Mit der Betrachtung Gottes als des einzigen Wertes verbindet sich
häufig die Betrachtung des eigenen Unwertes, die sich nicht selten
zur völligen Selbsten twürdigung und Selbstent Wertung steigert. „Der
Mensch versinkt und verschmilzt in sein eigenes Nichts und seine Klein-
heit; je klarer und bloßer ihm die Größe Gottes einleuchtet, um so
kenntlicher wird ihm seine Kleinheit" (Unbekannter Dominikaner-
mystiker) 193. Die Mahnung der Magdeburger Begine Mechthild: „Also
du betest, so sollst du dich kleine machen mit großer Demütigkeit", 194
haben alle Mystiker im Übermaße erfüllt. Wie bei der Betrachtung des
höchsten Gutes, so redet auch bei der Betrachtung des eigenen Unwertes
der Mystiker nur in Superlativen. Mechthild von Magdeburg nennt sich
die „allermindeste, allerschnödeste, allerunwürdigste unter allen Men-
schen". 195 Symeon der Neue Theologe gesteht: „Ich weiß, Herr, daß
kein anderer dich so verspottet hat wie ich und solche Taten getan, die
ich Elender getan habe, der ich noch anderen zum Urheber des Ver-
4. Inhalt des Gebets (Eigener Unwert und göttliches Gnadenwunder) 305
derbens geworden bin." „Alle Glieder meines Leibes und meiner Seele
habe ich befleckt von Geburt an; ich bin ganz Sünde." 196 Ähnliche
Sündenbekenntnisse und ähnliche Worte rücksichtsloser Selbsterniedri-
gung kann man in den Schriften aller Mystiker unzähligemale lesen.
Aber die unmittelbare Verbindung der Kontemplation des höchsten
Gutes mit der Betrachtung der eigenen Nichtigkeit erzeugt ein Kontrast-
erlebnis von wundersamer Paradoxie. Die innere Blickrichtung des
Betenden zielt auf ein doppeltes Objekt : Gottes Unendlichkeit, Heiligkeit,
Schönheit und Liebe — des eigenen Ichs Kleinheit, Sündigkeit, Häßlich-
keit und Verworfenheit. Liebe und Haß, Ehrfurcht und Verachtung,
Anbetung und Verdammung, Entzücken und Erschauern, Angst und
Zuversicht, Qual und Wonne — - all die konträren Affekte und Wert-
gefühle vereinigen sich in Kontrastharmonie zu einem überwältigenden
Gesamterlebnis, das im Gebet durchbricht. Die inneren Gegensätze,
die dieses Erlebnis umspannt, kommen in den schlichten Gebetsworten
treffend zum Ausdruck.
..Inops et pauper sum ego. tu dives in omnes invocantes te." „Nunc autem,
quod gemitus meus testis est, displicere me mihi, tu refulges et places et amaris
et desideraris, ut erubescam de me et abiiciam me atque eligam te et nee tibi
nee mihi placeam nisi de te" (Augustinus). 197 „Quid es tu, dulcissime Deus
meus, et quid sum ego vermiculus et parvus servus tuus?" (Franziskus).198
„Domine Deus meus, omnia bona mea tu es. Et quis ego sum, ut audeam ad te
loqui ? Ego sum pauperrimus servulus tuus et abjeetus vermiculus, multo pauperior
et contemptibilior quam scio et dicere audeo. Memento, Domine, quia nihil sum,
nihil habeo nihilque valeo. Tu solus bonus, iustus et sanetus, tu omnia potes,
omnia praestas, omnia imples" (Thomas von Kempen) 199. „Was bin ich, mein
Gott, du Liebe meines Herzens ? Wehe, wehe! Wie unähnlich bin ich dir! Siehe
ich bin das kleinste Tröpflein von deiner Güte — und du bist das volle Meer der
ganzen Süßigkeit" (Gertrud). 200
Die Paradoxie des mystischen Kontrasterlebnisses steigert sich noch
durch den Gedanken, daß der unendliche Gott sich zum kleinen, sün-
digen Menschen herabneigt, sich ihm schenkt und mit ihm sich ver-
einigt. Der Mystiker schwelgt in der Betrachtung dieses unfaßlichen
Gnadenwunders; er wagt kaum aufzublicken, er bebt und zittert vor
Entzückung und Seligkeit.
„Wie darf ich, befleckt am Leib und beschmutzt an der Seele, vor dir er-
scheinen ? wie darf ich dich schauen ? wie darf ich Elender vor deinem Angesicht
stehen ? wie muß ich nicht fliehen vor deiner Herrlichkeit und dem blitzenden
Licht deines heiligen Geistes?" (Symeon der Neue Theologe). 201 „Mich, den
Geringsten, hast du beachtet wie ein kostbar Ding!" „Mich Hund und noch
Geringeren als ein Hund hast du voll Liebe zu deinem Eigentum gemacht!"
(Manikka-Väsagar). 202 „Mein Gott, daß ich dich liebe, ist nicht erstaunlich,
denn ich bin dein Diener, schwach, ohnmächtig, bedürftig, aber seltsam ist, daß
du mich liebst, du, der König der Könige" (Bäyazid). 203 „Herr, daß du eine
Verbindung eingehst mit Seelen, die dich so oft beleidigt, daß du eine Seele wie
die meinige, so hoch begnadest — das überwältigt meinen Geist" (Teresa). 204
„Du Hoher und Erhabener,
Du Großer, ja du (irößester.
Kein Geist erreicht dein hohes Denken.
Ein Stäublein ist dir alle Welt,
Das deine Hand formiert und hält ;
Wie tief muß denn Ich Wurm mich senken!
Und doch ist Kleinheit groß bei dir,
Du suchst sie und du wohnst in ihr" (Tersteegen). 20S
Doh Gebet 20
306 F III. Des Gebet in der Mystik
Die Kontemplation des höchsten Gutes und der eigenen Nichtigkeit
geht so in die Betrachtung des göttlichen Gnadenwunders der mystischen
Einigung über. Oft ist das Beten nur ein Staunen über das Große,
Unbegreifliche, das sich in der gottbegnadeten Seele vollzieht.
,, Woher kommst du? Wie kommst du in meine rings umschlossene Zelle?
Seltsam ist das fürwahr, es übersteigt Rede und Verstand. Daß du plötzlich in
meinem Innern Platz nimmst und aufleuchtest und lichtförmig erscheinst wie
der hellblinkende Vollmond, das macht mich sinnlos und sprachlos, mein Gott.
Ich weiß, daß es du bist, der gekommen ist, um zu erleuchten, die in der Finsternis
sitzen, ich gerate außer mir und verliere Verstand und Worte, weil ich schaue
das fremde Wunder, das alle Kreatur, alle Natur, alle Rede übersteigt" (Symeon
der Neue Theologe). 208 „Wer schaut wie du, mein Herr Jesu Christe, meine
süße Liebe, hoch erhaben und unermeßlich, herab auf das Niedrige? Wer ist
dir gleich unter den Starken, mein Herr, der du das Niederste in der Welt erwählst ?
Wer ist wie du, der du Himmel und Erde gegründet hast, dem Throne und Herr-
schaften dienen und der du doch deine Wonne unter den Menschenkindern suchst ?
Wie groß bist dxi, König der Könige und Herr der Herrscher, der du denSternen
gebietest und dem Menschen dein Herz schenkst ? Wer bist du, in dessen Rechten
Reichtum und Ruhm ? Du bist voll von Wonne und hast eine Braut von der
Erde? O Liebe, wohin neigst du deine Majestät? Eija, o Liebe, wohin lenkst
du den Quell der Weisheit? Purwahr bis zum Abgrund des Elends" (Gertrud). 20T
III. Ekstase.
Die schauervoll-wonnevolle Kontemplation der /unaussprechlichen
göttlichen Schönheit' ist noch nicht das Endziel mystischen Betens
und Betrachtens. Das höchste und heiligste Gebet des Mystikers ist
das ekstatische , Gebet', das kein Gebet im gewöhnlichen Sinne mehr ist.
In der entzückenden Gottesschau ist der Unterschied zwischen Seele
und Gott, zwischen endlicher Kreatur und unendlichem Geist, zwischen
dem kleinen, armseligen Ich und dem großen, reichen Du entschieden
gewahrt. Aber in der ekstatischen Gotteinigung sind alle Unterschiede
aufgehoben: Beter und Angebeteter, Ich und Du sind in unzertrenn-
licher Einheit zusammengeflossen. Alle Gebetsrede, ja alle Gebets-
• hinwendung hat aufgehört; es sind nicht mehr zwei, sondern Eines;
das Endliche ist verschlungen vom Unendlichen. Diese ekstatische
unio substantialis ist unaussprechlich, weil sie jenseits des wachen
Bewußtseins sich vollzieht. Aber wenn der Mystiker aus der ekstatischen
Gottrunkenheit erwacht, versucht er das Unaussprechliche in einem
Gebetsworte zu stammeln; er kann sein Glück nur in der Formel aus-
drücken: „Ich bin du und du bist ich." Von den Lippen der indischen
und persischen, der hellenistischen und christlichen Mystiker tönt
dieses Ekstatikergebet uns entgegen. 208
„Du bin ich, hohe Gottheit, ich bist du, hohe Gottheit," ruft der indische
Mystiker Nimbäditya 209. Immer wieder kehrt dieser Ruf bei den hellenistischen
Mystikern, in der Poimandresliteratur wie in den Schriften der Gnostiker: ab
yaQ iyo) xal iydi csv. 210 Am häufigsten aber begegnet uns diese Identitätsformel
bei den persischen Süfi. Jaläl ed-din Rüml ruft begeistert: „Ich bin
du und du ich" m. Und in einem längeren Gebet sagt er: „Es hat zwischen
uns aufgehört das Ich und Du. Ich bin nicht ich, du bist nicht du, auch bist du
nicht ich. Ich bin zugleich ich und du, du bist zugleich du und ich. Ich bin in
Verwirrung darüber, ob du ich oder ich du seiest". ili Schon vor Jaläl hatte
Husain al-Hallädsch diese Wesenseinigung mit den Worten ausgesprochen:
„Dein Geist vermengt sich mit meinem Geist so wie Wein sich mengt mit reinem
4. Inhalt des Gebets (Ekstase) 307
Wasser." „Wenn irgend etwas dich berührt, berührt es mich. Siehe, in jedem
Falle bist du ich.". 213 Ja, auch aus dem Munde christlicher Mystiker vernehmen wir
diesen ekstatischen Jubelruf: „Du bist ich und ich bin du," betet Angela von
Foligno 214. Zumeist freilich formulieren die christlichen Mystiker die Erfahrung
der unio myslica milder ; häufiger als die ,reziproke Identitäts forme1 *
(Weinreich)215 begegnet uns bei ihnen die , reziproke Immanenzformel'.
Mechthild von Magdeburg spricht betend:
„Ich bin in dir und du bist in mir,
wir mögen nit naher sin,
wan wir zwöi sind in ein gevlossen
und sind in eine form gegossen,
also son wir bliben eweklich unverdrossen". 216
Und Gerhard Tersteegen singt:
„Ich senk mich in dich hinunter:
Ich in dir, du in mir" 217.
Diese ,reziproke Identitätsforinel' ist das höchste mystische Gebet.
Erst wenn er dieses Gebet sprechen kann, hat er seinen Gott ganz ge-
funden, bleibt er eins mit ihm in Ewigkeit. Jaläl-ed-din-Rümi, der
Klassiker der islamischen Mystik, hat diesen Gedanken in ein wunder-
volles Gleichnis gehüllt.
Ein Liebender kam einst des Nachts vor die Türe seiner Liebsten und pochte
an. Da rief sie: „Wer klopfet hier ?" Und er antwortete: „Ichbine s." < Sie
aber öffnete nicht, sondern sagte barsch: „Fort mit dir!" Da ging der Jüngling
in die Ferne und wanderte durch die Welt, bis die Liebe ihn mit unwiderstehlicher
Macht zurücktrieb zu der Geliebten Behausung. Und er pochte abermals mit
dem Ring an die Pforte, leise und zaghaft, in schüchterner Hoffnung. Und wieder
ertönte die Frage der Geliebten: „Wer klopfet hier?" und er antwortet: „Du
b i s t e s , du stehst noch einmal vor der Türe." Da öffnete ihm die Angebetete
mit den Worten:
„O Liebster, komm herein,
Zweie faßt zwar nicht mein enges Kämmerlein;
Da indes auch du nichts mehr als ich nur bist.
Im Gemach und auch am Tische Raum noch ist". 218
Der Grundgedanke der Mystik ist in dieser Erzählung klar ausge-
sprochen : des Menschen Identität mit dem Göttlichen . Durch das
mystische Schrifttum des Orients und Okzidents klingt wie als Leit-
motiv jene ekstatische Identitätsformel hindurch. Die Mystiker bilden
eine unsichtbare Brüdergemeinde, die sich über alle Länder und Zeiten
erstreckt; durch Meilenweite und Jahrhundertferne getrennt, reichen
sie sich die Hände und stimmen in das Lied: Gott und Mensch sind
nur durch äußeren Schein getrennt, beide sind eins in unauflöslicher
Einheit. Und in trunkener Begeisterung sprechen sie das große mystische
Gebet: „Ich bin du und du bist ich."
IV. Die Verwerfung des Bittens um irdische Güter.
Das naive Bitten um äußere Dinge ist mit der mystischen Grund-
tendenz unvereinbar. Wo es sich (meist als Fürbitte für andere) bei
Mystikern findet, spielt es eine durchaus sekundäre Rolle und läuft
als etwas Selbständiges neben dem mystischen ausschließlich auf Gott
und das Heil abzielenden Gebet einher. Die echte Mystik verwirft
genau so wie die philosophische Kritik das Bitten um Irdisches als
irreligiös. Der Gegenstand des Gebets ist ausschließlich „Gott und
308 Pill. Das Gebet in der Mystik
die Seele" — Gott das unum bonum, das summum bonum, und der Seele
Heil und Seligkeit in diesem höchsten Gut. Augustin gibt die Gebets-
anweisung: „Nolite aliquid a Deo quaerere nisi Deum." ,,0ra beatam
vitam" — und beata vita ist für ihn vita aeterna, das contemplari Domini
delectationem in aeternum. Das Bitten um äußere Glücksgüter ist ihm
ein ,carnaliter orare1; den im Geiste Wiedergeborenen geziemt nur ein
,spiritaliter orarei.219 Mit derselben Begründung weist der persische
Mystiker Sa'adi das Bitten um äußere Gnadengaben ab.
,,. . Ein wahret- Diener seines Herrn nur jener ist,
Der nicht ob des Herren Gnade seinen Herren selbst vergißt.
Also wandelt auch nur jener treu auf seines Gottes Pfad,
Der von (iotl sich nur ihn selber als Geschenk erbeten hat.
Blickst du nur auf Gottes Gaben und nicht auf ihn selber hin.
Fesseil dich nicht seine Liebe, fesselt dich dein eigner Sinn,
öffnet sich dein Mund zum Beten nur aus Gierde nach der Gab',
Nimmer strömt dann das Geheimnis seiner Liebe dir herab". 220
Das Bitten um die Erfüllung selbstsüchtiger Wünsche widerspricht
auch dem mystischen Ideal der absoluten Gleichförmigkeit mit Gottes
Willen.
., Beten: Ach. Herr, wende dies Verhängnis ab,
Fürwahr Sünde gegen den ist, der es gab."
(Jaläl-ed-din Rümi).221
Schließlich macht die Nichtigkeit und Wertlosigkeit alles Irdischen
das Beten um vergängliche Güter zur Torheit. Meister Eckhart kleidet
die Ablehnung alles irdisch-selbstsüchtigen Bittens in ein reizvolles
Gleichnis :
,,Man fragte einen siechen Menschen, warum er Gott nicht darum bäte, daß
er ihn gesund machte. Da sagte der Mensch, das wollte er ungern tun aus drei
Gründen. Der eine war, er wollte das wissen und dessen gewiß sein, daß der
minnigliche Gott nimmer möchte das leiden, daß er siech wäre, denn zu seinem
Allerbesten. Ein anderer Grund war der: Wenn der Mensch gut ist, so will er
alles, was Gott will und nicht, daß Gott wolle, was der Mensch will, denn das
wäre gar unrecht. Und darum so will er, daß ich siech sei; denn wollte er es
nicht, so wäre ich es auch nicht; so soll ich auch nicht wünschen gesund zu sein.
Sonder Zweifel, möchte das sein, daß mich Gott gesund machte sonder seinen
Willen, mir wäre unwert und ungenehm, daß er mich gesund machte Leiden
wollen kommt von Minne, nicht wollen kommt von Unminne. Viel lieber, besser
und nützer ist mir. daß mich Gott minne und ich auch siech sei. denn daß ich
gesund an dem Leibe wäre und mich Gott nicht minnet. Was Gott minnet, das
isl etwas, was Gott nicht minnet, das ist nichts .... Die dritte Sache, warum
mir unwert und ungenehm wäre, daß ich Gott wollte bitten darum, daß er mich
gesund mache, ist die: Ich will und soll den reichen, minniglichen Gott nicht
um solche Kleinigkeiten bitten. Gesetzt, daß ich zu dem milden Papste käme
hundert oder zweihundert Meilen, und so ich käme vor ihn und spräche: ,0 Herr,
heiliger Vater, ich bin gekommen wohl zweihundert Meilen schweren Weges
mit großen Kosten und bitte euch, warum ich auch her zu euch gekommen bin.
daß ihr mir gebet eine Bohne'. Wahrlich er selber und auch wer das vernähme,
spräche mit Recht, daß ich ein großer Tor wäre. Nun ist das Eine gewisse
Wahrheit, die ich spreche, daß alles Gut, auch alle Kreatur gegen Gott ist minder
denn eine Bohne. Darum verschmähe ich billigerweise, wenn ich ein weiser und
guter Mensch bin. daß ich wollte beten darum, daß ich gesund würde". 222
Die konsequente Mystik verwirft nicht nur das Bitten um Irdisches,
sondern das Bitten überhaupt. Die Bitte ist Ausdruck des Wunsches
und Willens - das mystische Ideal hingegen ist die völlige Wunsch-
4. Inhalt des Gebets (Verwerfung des Bittens um irdische Güter) 309
und Willenlosigkeit, die ,Ledigkeit' und , Gelassenheit'. Darum schreiten
Meister Eckhart und Katharina von Genua ebenso wie die quietistischen
Mystiker des 17. Jahrhunderts zur Ablehnung jeder Bitte, auch der
Bitte um religiöse und sittliche Werte, fort und beschränken das Gebet
auf die Aussprache der Indifferenzstimmung. Meister Eckhart sagt:
„In wahrem Gehorsam soll nicht erfunden werden: ,ich will also oder also,
dies oder das', sondern ein lauter Verzicht auf das Deine. Und darum auch in
dem allerbesten Gebet, das der Mensch mag beten, soll es nicht heißen: ,gib mir
die Tugend oder die Weise' oder .ja, Herr, ,gib mir dich selber oder ewiges Leben'
[gegen Augustins obigen Ausspruch], sondern allein: ,Herr, gib mir nichts, denn
was d u willst, und tue, Herr, was und wie d u willst in aller Weise.' Das über-
triffet das erste wie der Himmel die Erde. Dann zumal ist der Mensch aus-
gegangen in Gott in wahrem Gehorsam." „Das kräftigste Gebet ... ist das, das
da geht aus einem ledigen Gemüt . . . Was ist ein ledig Gemüt ? Das mit nichts
beladen ist oder verworren und an nichts gebunden noch das Seine sucht in den
Dingen, sondern allzumal in den liebsten Willen Gottes versenket ist und aus-
gegangen aus dem eigenen". a23
Katharina von Genua empfing von Christus die Mahnung: „Sage niemals:
ich will oder ich will nicht. Sage niemals mein, sondern immer unser. Wenn du
das Vaterunser betest, so nimm dir als Grundlage daraus die Worte: Fiat voluntas
1ua, d. h. es geschehe dein Wille in jeder Sache, in der Seele, im Leibe, in den
Kindern, in den Verwandten, in den Freunden, in Hab und Gut und in jeder
anderen Sache, die dir begegnen möge, sei es zum Wohl oder Weh." Katharina
hat diese Mahnung buchstäblich befolgt; so konnte sie in ihren späteren Jahren
betend ihrem Gott bekennen: ..Schon sind es etwa 35 Jahre, daß ich dich, o mein
Herr, niemals mehr um irgend etwas für mich gebeten habe". 224
5. Die psychologischen Stadien des Gebets bzw.
der Versenkung.
Die mystische Konzentration auf den höchsten Wert kann entweder
ein bewußtes, absichtliches, willkürliches Sichhinwenden zu Gott sein
oder ein unbewußtes, unwillkürliches, spontanes Ergriffen-, Hingerissen-
sein von Gott. Die spontane Kontemplation wächst meist von selbst
aus der willentlichen Meditation und Konzentration heraus; oder man
sucht durch die absichtliche Konzentration die in der spontanen An-
betung früher erlebte Gebetsstimmung neu zu erzeugen. Die Konzen-
tration, das Hinschauen auf ein einziges Objekt bedingt eine Verein-
heitlichung des gesamten psychischen Geschehens, eine Absorption aller
auf andere Gegenstände sich richtenden Vorstellungen, Willenstendenzen
und Wertungen wie eine Unterbindung der natürlichen Affekte. Die
Gebetssammlung und Gebetsbetrachtung führen so von selbst in die
von den Mystikern ersehnten überwachen Bewußtseinszustände (Friede,
Entzücken) hinüber, bisweilen sogar in die ekstatische Bewußtseins-
trübung. Diese beiden Momente — der Unterschied von naivem und
absichtlichem Beten wie die Annäherung an die Ekstase — veranlassen
eine Klassifikation von Gebetsstufen unter dem Gesichtspunkt der
fortschreitenden Vereinfachung des psychischen Zustandes, der Reduk-
tion des Bewußtseinsumfanges und der Steigerung der Bewußtseins-
intensität. Die neuplatonischen Mystiker reden von , Ideen' (eidy)
oder , Begriffen' (öqoi) 225 des Gebets, die christlichen von , Stufen'
oder , Staffeln', ein islamischer Mystiker (Algazäli) 226 spricht sehr fein
von , Hüllen' des Gebets — der Fortgang ist hier nicht von unten nach
310 Pill. Das Gebet in der Mystik
oben, sondern von außen nach innen gedacht. Bei all diesen Klassifi-
kationen ist unter , Gebet' nicht das aktuelle Gebet, die Gebetsaussprache
gemeint, da das Beten in Worten und Vorstellungen mit der fortschreiten-
den Vertiefung aufhört, sondern das habituelle Gebet, der mystische
, Gebetszustand' (etat d'oraison). Franz von Sales sagt: ,,L'oraison
et la theologie mystique ne sont qu' une meme chose." 227
Die Konstruktion einer zur Ekstase führenden „Gebetsleiter", die
eine hohe psychologisch-analytische Begabung voraussetzt, erfüllt
eine dreifache Funktion : 1 . eine axiologische : die einzelnen psychischen
Zustände werden unter dem Gesichtspunkt der Vollendung des mystischen
Erlebens, der Ekstase gewertet; 2. eine psychologische: durch die Be-
schreibung und Analyse der einzelnen Gebetszustände sucht der Mystiker
sich Klarheit über das eigene Erleben zu schaffen; 3. eine pädagogische:
die detaillierte Schilderung der psychischen Erlebnisse soll anderen
Menschen die Möglichkeit geben, selbst diese Erlebnisse zu haben und
auf den Gebetsstaffeln zur vollen Einheit mit Gott zu gelangen.
Obwohl die Bezeichnungen der Gebetsstufen, ihre Zahl und ihre
Merkmale wechseln, besteht im wesentlichen kein Unterschied zwischen
den Gebetsstufen der neuplatonischen 228,süf istischen, 229hinduistischen230
und christlichen 231 Mystiker ; ihr psychologischer Grundcharakter deckt
sich sogar mit den Versenkungsstufen des Yoga 232 und Buddhismus 233,
obgleich in letzteren jeder Gedanke an ein Gebet, d. h. einen Verkehr
mit Gott, ausgeschlossen ist. Die feinste psychologische Durchbildung
zeigen die Gebetsskala der heiligen Teresa und die buddhistische Ver-
senkungsskala.
Die Bezeichnung der einzelnen Gebetsstufen gibt meist eine Charak-
teristik des psychischen Erlebnisses bzw. Zustandes (Sammlung, Medi-
tation, Kontemplation, Ruhe, Einigung, Ekstase). Die Gebetsskala
der hinduistischen Mystiker (die fünf ,Geschmäcke' des Caitanya) charak-
terisiert die psychische Stimmung der einzelnen Gebetszustände sehr
glücklich durch die verschiedenen sozialen Verhältnisse: vom Sklaven-
verhältnis erhebt sich der Fromme zur Freundschaft mit der Gottheit,
sodann zur Kindesliebe, bis er schließlich beim Brautverhältnis, dem
Liebesrausch angelangt ist. Derselbe Stufengang begegnet uns auch
in der abendländischen Mystik (Bernhard von Clairvaux, 234 Thomas
von Celano 235, Angelus Silesius. 236) Doch entbehrt diese Skala des
geistlichen Lebens ebenso des theoretisch-psychologischen Charakters
wie der ausschließlichen Beziehung auf das Gebetsleben bzw. die Ver-
senkung.
Verschiedene Gebetsskalen (Algazäli. Johann von Kreuz usw.) bezeichnen als
erste Stufe das ,mündliche' Gebet; es handelt sich jedoch hier mehr um eine
Vorstufe. Die klassische Gebetsleiter der hl. Teresa enthält diese Stufe nicht.
a) Die eigentliche Gebetsskala 237 beginnt stets mit der bewußten und will-
kürlichen Konzentration der Aufmerksamkeit auf Gott bzw. eine religiöse
Vorstellung. Pseudo- Jamblich bezeichnet die erste Stufe als Gebet der .Samm-
lung', ebenso Johann vom Kreuz: Algazäli als .energische Konzentration'; Proclus
charakterisiert sie als yv&aig, die meisten christlichen Mystiker nennen
sie schlechthin .Meditation' oder Gebet der Meditation, Teresa redet von
der ,oracion de recogimento' . Die buddhistische Foimel von den vier jhäna be-
zeichnet die erste Versenkungsstufe als ,,mit Überlegen und Etwägen" verbunden
5. Die psychologischen Stadien des Gebets 311
(savitakka, savicära); dieselben Termini kehren in der Vensenkungsskala des
Yogasütra wieder, in welcher jedoch die Meditation in zwei Etappen zerspalten
ist. Auf der ersten Gebetsstufe ist nach der hl. Teresa und anderen Mystikern
der Mensch selbst tätig, während die seelischen Zustände des höheren Gebets
spontan entstehen und durch die bewußte Konzentration und Meditation nicht
direkt erzeugt, sondern nur vorbereitet und begünstigt werden können, also ein
Werk der göttlichen Gnade sind.
Der Beter sucht die Einsamkeit auf. In einem Willensakt wendet er seine
Aufmerksamkeit von der Außenwelt ab, er „sammelt die Sinne", ,, zieht sie von
allem Sehen und Hören ab" (Madame Guyon); 238 er löst sich los von der zer-
streuenden Mannigfaltigkeit seelischer Inhalte, unterdrückt die in seinem Innern
sich tummelnden Gefühle und Vorstellungen. „Von aufsteigenden schlechten
Gedanken unbehindert, wendet er sich den göttlichen Dingen zu" (Algazäll); 239
er konzentriert seine Aufmerksamkeit in willkürlicher Wahl auf eine bestimmte
religiöse Vorstellung. (Über den Gegenstand der Meditation s. o. S. 2S7. ) Dieses
Betrachten hat teils eine intellektuelle, teils eine emotionelle Färbung; es besteht
bisweilen in einem Überlegen, Erwägen, also in diskursiven Denkoperationen
{Begründen, Vergleichen, Schließen). Proclus redet von einer yvüoig, Petrus
von Alcantara von „Vernunftschlüssen und Verstandesgrübeleien", 240 Johann
vom Kreuz von einem „Betrachten und Nachdenken mit dem Verstand"; der
Fromme macht sich über die Meditationsgegenstände „seine Gedanken, zieht
Schlüsse, vergleicht sie miteinander und bezieht sie auf sich selbst". 241 Noch
häufiger aber besteht die Meditation in einem phantasiemäßigen Sichvergegen-
wärtigen, Sicheinfühlen, Sichvertiefen in den kontemplierten Gegenstand. Teresa
empfiehlt „sich nicht damit zu ermüden, immer neue Erwägungen anzustellen",
sondern „die Verstandestätigkeit ruhen zu lassen" und sich „recht lebendig in
der Gegenwart des Herrn zu lassen". 242
Die durch die straffe Konzentration vollzogene Loslösung von der äußeren
Welt und die Unterbindung der ungestümen Affekte und Begierden bewirkt ein
tiefes Gefühl der vollen Abgeschiedenheit und inneren Freiheit. Die aufmerk-
same Betrachtung gefühlsbetonter Vorstellungen erzeugt eine nachhaltige, breite,
von sanfter Lust gesättigte Stimmung. „Die Arbeit des Gebets," sagt David
von Augsburg, „wird verkehrt in die süße Lust der Andacht"; den Betrachtenden
überkommt „geistliche Freude". Die buddhistischen Texte nennen das erste
„mit Erwägung und Überlegung verbundene" jhäna das „freudenreiche, lust-
volle" (piti-sukham). Die Tiefe, Resonanz und Nachhaltigkeit dieser aus der
Betrachtung herauswachsenden Luststimmung wird an einer Stelle des Langen
Kanons durch anschauliche Bilder verdeutlicht. „Er (der betrachtende Bettel-
mönch) tränkt diesen seinen Leib, überschüttet, erfüllt und durchdringt ihn mit
dem aus der Loslösung geborenen tiefen Lustgefühl, so daß kein einziges Winkelchen
von der Freude und dem Glück unberührt bleibt." Die weiche, lustgesättigte
Meditationsstimmung hat häufig einen Einschlag von Unlustgefühlen. Teresa
redet bei der Beschreibung der ersten Gebetsstufe von „fühlbaren, süßen Schmer-
zen". 243 In dieser sanften und eindringlichen Stimmung erlebt der christliche
Mystiker die unmittelbare Gegenwart Gottes. Madame Guyon spricht von einem
,,goüt experimental de la presence de Dieu" 244, welchen die Seele durch die Meditation
gewinnt.
Die folgenden Gebetsstufen offenbaren den mystischen Prozeß der änXcooig,
der fortschreitenden Reduktion und Vereinheitlichung des Psychischen, die teils
eine stete Intensitätszunahme des Erlebens bedingt und in der Ekstase gipfelt
oder eine Intensitätsminderung mit sirh bringt und im Nirväna. im .mystischen
Tod' endet. Diese höheren Gebetszustände werden von den du ist Liehen Mysrt ikern
als .übernat in lieh', als ,Gabe Gottes' erlebt (vgl.S. 224 ), während die buddhistischen
Mönche sie als religiöse Eigenleistung betrachten.
b) Auf der zweiten Gebetsstufe verschwindet die für die erste Stufe charak-
teristische willentliche Aufmerksamkeitsspannung; die diskursive Denktätigkeit
erlahmt; das re^e Spiel der konkreten Phantasievorstellungen endet, es wird
ganz stille in der Seele des Betrachtenden. I>ie sanfte Luststimmung, die aus
der Erhebung über das Getriebe der äußeren Well und der eigenen Seele und aus
der Vertiefung in das Reich der religiösen Werte hervorgegangen war, erlangt
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314 FIII. Das Gebet in der Mystik
die Alleinherrschaft ; die erhebende und befreiende Meditation weicht dem hehren
Zustand innerer Einheit, seligen Fiiedens, wonnevoller Ruhe, entzückender
Klarheit. „Die Seele," sagt Teresa, „ruht tief befriedigt in Gott; er gewährt ihr
einen unaussprechlich süßen, friedlichen Genuß, der alle ihre Kräfte mit tiefster
Befriedigung, mit dem reinsten Wonnegefühl erfüllt". 245 Johann vom Kreuz
sagt: „Die Seele hört auf, an etwas zu denken und stellt die Ruhe in Gott her". 249
Die stereotype Deskription der zweiten buddhistischen Versenkungsstufe lautet:
„Nach dem Zurrubekommen von Konzentration und Meditation erlangt der
Mönch die tiefe innere Ruhe, das Einswerden des Geistes, die von Konzentration
und Meditation freie, aus der Versenkung geborene, freudenreiche, lustvolle zweite
Stufe des jhäna und verweilt auf ihr." Die konkreten Objekte, die den Frommen
auf der ersten Gebetsstufe angestrengt beschäftigt haben, sind ihm in der Ruhe
und Seligkeit der zweiten Stufe ganz entschwunden oder sie stehen nur als dunkle
Erinnerungsbilder im Hintergrund des geistigen Blickfeldes. 247
Bei den christlichen Mystikern ist diese Stimmung der wonnevollen Ruhe nicht
völlig gegenstandslos, sondern wiid getragen von der Liebe zu Gott, von dem
reinen und geistigen Erlebnis des höchsten Wertes, einem „Akt des Willens",
wie Johann vom Kreuz in der scholastischen Terminologie sich ausdrückt. „Die
Seele ruht, von Liebe ganz erfüllt, in Gott und vereinigt sich auf die lieblichste
Weise in Wonne und Bewunderung und mit der Allgemalt der Liebe mit ihm; sie
vergißt alle Geschöpfe und richtet ihren Blick allein auf sein unendliches Sein,
seine Güte, seine Schönheit und verweilt dabei liebend in unaussprechlicher
Seligkeit, Freude, Ruhe und Frieden". "8 Ähnlich sagt Teresa von dieser Gebets-
stufe: „Die Seele genießt ihr höchstes Gut". 249 In der buddhistischen Ver-
senkung hingegen ist der Ruhepunkt nicht ein summum. bonum, dem der Fromme
sich ganz übergibt; das Erlebnis der Ruhe und Seligkeit ist hier gegenstandslos,
rein subjektiv; der Betrachtende ist ganz in sich gewendet, in sich versunken,
ruht in sich selbst.
Die psychologische Charakteristik und terminologische Bezeichnung dieser
Gebetsstufe ist verschieden. David von Augsburg, Johann vom Kreuz, Teresa
und Alphons von Liguori nennen sie das Gebet der ,Ruhe'; die Eigenart des
Erlebens wird hier am treffendsten umschrieben. Pere Lacombe heißt sie ,oraison
d'affection' , um die Gefühlssteigerung zu betonen. Johann vom Kreuz spricht
auch vom Gebet des Schweigens, weil ebenso die Zunge wie die Vorstellungs-
tätigkeit schweigt. Die Charakterisierung dieser Gebetsstaffel durch Proclus
(oly.£iu)(7tg xaiarijV nQogzö &eiov öfioitüOtv ij/ucöi' avfxndarjg xa&ctQÖzrjiog) hebt die innere
Reinheit, d. h. die Freiheit von den Affekten und Phantasievorstellungen her-
vor, durch die der Mystiker dem Göttlichen ähnlich wird. Algazäli betont die
Tiefe der Versunkenheit, die es schwer macht, sich von dem betrachteten Gött-
lichen abzuwenden. Die Bezeichnung des Pseudo- Jamblich eWog v.oivoiviag ö/jo-
roTjTixrjg ovvdetiY.öv weist darauf hin, daß der Betrachtende in enge Verbindung
und Gemeinschaft mit Gott tritt.
c) Die dritte Gebetsstufe (ebenso auch die vierte, wo fünf oder mehr Staffeln
unterschieden werden) bedeutet gegenüber der vorhergehenden Stufe keinen Art-
oder Wesensunterschied, sondern nur einen Grad- und Intensitätsunterschied.
Die Reduktion und Bindung des normalen Seelenlebens schreitet weiter fort,
die seelische Aktivität nimmt weiter ab; einen „Schlummer der Seelenkräfte"
nennt Teresa diesen Zustand, von dem „Schlaf in der inneren Ruhe" redet
David von Augsburg. Die Intensität der Wonne steigert sich. „Die Seele genießt
unvergleichlich mehr Freude, Wonne und Entzücken als vorher. Sie genießt
ein namenloses Entzücken. Sie ist in einen himmlischen Rausch, eine himmlische
Torheit versunken, sie schwimmt in den reinsten und höchsten Wonnen. Sie
möchte sich ausströmen im Preise der göttlichen Liebe". Die kontemplierende
Seele verliert sich in völliger Passivität an ihr höchstes Gut. „Sie verlangt nur
Gott, gehört nicht mehr sich selbst, sondern nur ihm." „In diesem Zustand muß
sich die Seele ganz in die Arme Gottes werfen; will er sie in den Himmel erheben,
so gehe sie getrost, will er sie in die Hölle stürzen, so fürchte sie nichts, denn ihr
höchstes Gut ist bei ihr. Soll ihre Liebe erlöschen — sie ist zufrieden. Soll sie
tausend Jahre leben — es ist recht! Der göttliche König verfahre mit ihr ganz
5. Die psychologischen Stadien des Gebet 315
wie mit seinem Eigentum. Denn nicht mehr sich selbst — ihm gehört sie an"
(Teresa). 25°
Die Bezeichnungen dieser Gebetsstufe sind verschieden. Teresa und Johann
vom Kreuz reden nicht ganz glücklich vom Gebet der , Einigung' — ein Terminus,
der von vielen Mystikern nur auf die Ekstase, den Schlußpunkt der Gebetsskala
angewendet wird. Alphons von Liguori unterscheidet diese niederste Form der
Gotteinigung von höheren durch den Terminus ,unio simplez'. Äußerst zutreffend
sind die Termini des Proclus für die beiden der Endstufe vorangehenden Gebets-
staffeln: 7j a v v acpri , xad-' ^\v iqjanzö/UE&a zijg d-eiag otialag zip äxoozdzqy zfjg
xpv%f}g xal ovvvevojuev izQog aöz-^v, ?] ijujzekaaig juei£a> zr\v xoiv<aviav ijfilv naQE^ofxivri
xal zQaveazeoav zijv tuszovaCav zov zöjv d-süv (fcozög. Der psychologischen Eigenart
dieser Stufe wird am besten der Ausdruck »Kontemplation' (Bernhard, Lacombe)
gerecht; er findet sich auch in dem deutschen Traktat über die sieben Staffeln
des Gebets („die unsihtigen und die goetlichen schoene zu schouwen"); hier folgt
auf diese Stufe noch eine weitere, nur künstlich von ihr unterschiedene, als deren
Merkmale tiefe Versunkenheit (,,in gezogen") und Passivität (,,släf der inneren
ruowe") genannt werden.
In der buddhistischen Mystik wie bei den christlichen Quietisten folgt auf die
friedvolle Wonnestimmung nicht die entzückte Kontemplation und enthtisiastische
Trunkenheit, sondern die sancta indifferentia, der stille Gleichmut, die
kühle Affektlosigkeit. Das dritte buddhistische jkänani bildet den Übergang von
der tiefen Seligkeit zur reinen Indifferenz. ,,Wenn dann der Bhikkhu", sagt die
Formel, „nach dem Verschwinden der Freude im Gleichmut verharrt, einsichtig
und vollbewußt, und im Körper Lust empfindet — jener Zustand, den die HeiligeD
meinen, wenn sie sagen: , gleichmütig, ernst besonnen, im Glücke weilend', dann
erlangt er die dritte Stufe der Versenkung und verweilt auf ihr." Die Intensität
des Wonnegefühls sinkt mehr und mehr, die Lust Stimmung verblaßt, wird vage
und unbestimmt, das Seligkeitsgefühl geht über in den heiteren Gleichmut. Die
stille Indifferenzstimmung zeigt nur eine matte Lustfärbung; das Lustgefühl
wird nicht mehr als tiefe seelische Befriedigung, sondersn als dumpfes physisches
Wohlbehagen erlebt. Schließlich beseitigt der Fromme jeden Einschlag von Lust
in der Indifferenzstimmung und erhebt sich zum reinen, heiligen Gleichmut.
„Hierauf erlangt der Bhikkhu nach dem Freiwerden vom Glück, nach dem Frei-
werden vom Leid, nach dem Untergang aller früheren Lust- und Unlustgefühle
die leidlose, freudlose, in Gleichmut (upekkhä) und Besonnenheit vollendete
vierte Stufe der Versenkung und verweilt auf ihr." Dieses vierte Jhäna ist ein
Zustand emotioneller Erstorbenheit, völliger Gefühl-, Affekt- und Wunschlosigkeit ;
das bunte Spiel des natürlichen Seelenlebens hat aufgehört, ist der gänzlichen
inneren Leere, Einförmigkeit und Reinheit gewichen. „Wie wenn jemand vom
Kopf bis zu den Füßen weiß gekleidet dasitzt, so daß keine einzige Stelle seines
Körpers nicht weiß umhüllt wäre, geradeso sitzt ein solcher Bhikku da, diesen
seinen leiblichen Körper mit Geistesläuterung und -reinigung durchdringend,
so daß nicht das kleinste Winkelchen desselben undurchdrungen bleibt." Über
Lust und Leid erhaben, frei von Liebe und Haß, gleichgültig gegen Menschen
und Götter, gegen die Welt und sich selbst, weilt er auf der Höhe vollkommener
Gelassenheit, an der Schwelle des Nirväna.
Wie die buddhistische Versenkungsleiter, so führt auch die Gebetsskala der
christlichen Quietisten von der aus der Meditation strömenden Seligkeitsstimmung
zu der radikalen Indifferenzst inmiung. Franz von Sales bezeichnet .quietude'
und ,union' als die niederen, ,soumissionl und ,confortnite' als die höheren Stufen
der die Meditation ablösenden Kontemplation. Bei Madame Guyon (welche die
sanfte Luststimmung nur als Phase der Meditation, der ersten Gebetsstufe, be-
trachtet), setzt die Indifferenzstimmung schon auf der zweiten (iebetssprosse
ein. Die als ..oraison de simplicite, oraison de simple presence de Dieu, oraismi
infuse" bezeichneten (iebetsstufen unterscheiden sich nur durch den Grad und
die Reinheit der mystischen Gelassenheit. Im Grunde ist es dieselbe Indifferenz-
stimmung, die in d<r oraison de simplicite beginnt und im „mystischen Tod"
sich vollendet. Madame Guyon charakterisiert sie in ihrer prägnanten Terminologie
als „abandon". ..depouillemenl de (mit soin de nous-memes pour qous laisser
316 Pill. Das Gebet in der Mystik
entierement ä la conduite de Dieu," „delaissement total entre les raains de
Dieu," ,,donation de tout soi-meme ä Dieu," „perdresans cesse toute volonte propre
dans la volonte de Dieu, renoncer ä toutes inelinations particulieres," ,,se mettre
dans l'indifferenee et ne vouloir que ce que Dieu a voulu de son eternite, etre
indifferent ä toutes choses soit pour le eorps, soit pour l'äme, pour les biens tem-
poreis et eternels". 261 In der Stimmungsfarbe gleicht diese sainte indifference der
christlichen Quietisten völlig der upekkkd der buddhistischen Bettelmönche. Und
doch besteht ein fundamentaler innerer Unterschied zwischen beiden psychologisch
identischen Zuständen. Die Indifferenzstimmung der christlichen Mystiker ist
getragen und durchdrungen von der Hingabe an Gott als das höchste Gut. Die
Gleichgültigkeit gegen Lust und Leid, der Verzicht auf alles eigene Wünschen
und Wollen wird hier zur restlosen Ergebung in Gottes souveränen Willen. Zwar
ist auch die buddhistische upekkhü- Stimmung nicht gegenstandslos; in schauen-
dem Erkennen' (näna-dassanam) richtet der Mönch seinen Blick auf die „Ver-
gänglichkeit, Wesenlosigkeit und das Leid" alles Daseins, er dringt ein in den
verborgenen Ursachenzusammenhang, das Gesetz der ewigen Wiedergeburt. Aber
das Objekt seines Erkennens und Wertens ist nicht ein höchster Wert, sondern
ein höchster Unwert, nicht der unendliche Gott, dem er sich unbedingt hingibt,
sondern der unpersönliche Kausalzusammenhang, der leidvolle Kreislauf der
Geburten, dem er entflohen ist.
d) Die letzte und höchste Staffel der Gebetsleiter, der ,,Kern" des Gebets,
wie Algazäli mit einem andersartigen Bildwort sagt, das vollkommenste Gebet
ist die Ekstase, in der die Seele eins wird mit Gott. (Über die psychologische
Eigenart der Ekstase s. o. S. 253 f. 306 f. ) Sie ist zweifellos kein echtes Gebet, auch
nicht eine oratio mentalis; das wesentliche Merkmal alles Betens, das Gegenüber-
stehen eines Ich und eines Du, der Dualismus zwischen dem betenden Menschen
und dem gegenwärtigen angebeteten Gotte fehlt in der Ekstase. Algazäli betont
ausdrücklich, daß ..das Gebet, ja das Ichbewußtsein aufhört, so daß jeder Gedanke
an das Gebet wie ein hindernder Schleier erscheint". Gleichwohl lieben es die
abendländischen Mystiker, auch diesen jenseits des Bewußtseins liegenden seelischen
Zustand als Gebet zu bezeichnen. Und sie haben dazu ein gewisses Recht, denn
das ekstatische Erlebnis hängt innerlich mit dem mystischen Gebet zusammen,
wächst aus ihm heraus, ist seine notwendige Vollendung. Das im Beter lebendige
Bewußtsein der Gegenwart Gottes im Seelengrunde und die Hingabe an das
höchste Gut steigert sich soweit, daß das Bewußtsein des eigenen Ich getrübt
wird oder völlig entschwindet.
Diese letzte Gebetsstaffel wird meist mit jenem Terminus gekennzeichnet,
der für das ekstatische Erlebnis gebraucht wird: ,Einigung'. Pseudo- Jamblich
nennt sie die ä(>o>jiog Zvwaig, Proclus Jj Zvcaaig avzip tu> ivl iw d-eüv xb 2v zrjg
\pvyjfi ivitfQvovoa. David von Augsburg sagt: „Der Mensch wird mit Gott ein
Ding." (Die von ihm vorgenommene Unterscheidung eines höheren Grades der
Ekstase, der vollkommenen Gottgleichheit, von der bloßen Einigung ist künst-
lich.) Teresa, die schon die vorhergehende Gebetsstufe als , Einigung' charak-
terisiert, bezeichnet den ekstatischen Endpunkt der Gebetsklimax als ,oracion
di arrobiamento' , ein Ausdruck, der die ekstatische Bewußtseinsunterbrechung
gut veranschaulicht.
Die buddhistische Versenkungsleiter gipfelt nicht im Sturm und Rausch der
Ekstase, der Gottbesessenheit, sondern in der affektlosen Stille des Nirväna,
in der Erloschenheit und Erstorbenheit jeder Lebenstendenz, im Zustand der
Vernichtung (nirodha) des gewöhnlichen Seelenlebens. (Über die Eigenart des Nir-
vänazustandes im Gegensatz zur Ekstase s. o. S. 255. 260). Von dem vierten Jhäna,
dem leid- und freudlosen Gleichmut, erhebt sich der Heilige zu der hehren Freiheit,
Ruhe und Seligkeit des Nirväna ; aus ihm ging dei sterbende Buddha unmittelbar
ins ewige, vollkommene Nirväna ein. Die vierte Meditationsstufe wird in einem
hübschen Gleichnis mit der sich öffnenden Blüte des Paradiesbaumes verglichen,
das Nirväna mit der voll entfalteten Blütenpracht 252.
Der aus der radikalen Indifferenzstimmung hervorwachsende Nirvänazustand
ist auch von den christlichen Quietisten erlebt worden; sie nennen ihn den
,mystischen Tod' oder mit einem dem Yoga und Buddhismus so geläufigen Terminus
den Zustand der , Vernichtung'. Madame Guyon beschreibt ihn mit der ihr eigenen
6. Die dein Gebet zugrunde liegende Gottesvorstellung 31'
psychologischen Treffsicherheit: „Der Verstand verfinstert sich, die Erinnerung
verblaßt, der Wille verliert alle Spannkraft; die leiseste Lebensregung der Selbst-
heit erlischt. Wunsch, Neigung, Begierde, Widerwille, Abneigung, alles ist dahin.
Die Seele tritt in den dunklen, schauervollen Zustand des mystischen Todes,
indem sie in den Zustand gänzlicher Gefühllosigkeit übergegangen ist; denn sie
ist gleichgültig geworden gegen die Welt, gegen sich, gegen Gott. Sie liebt nicht
mehr und haßt nicht mehr; sie leidet nicht und freut sich nicht; sie tut, nichts
Gutes und tut nichts Böses, sie tut gar nichts. Die Seele hat nichts, will nichts.
Ist nichts; sie steht im Stande der Vernichtung". 253 Wie im buddhistischen
Nirväna, so fehlt im , mystischen Tod' der christlichen Quietisten der Gottes-
gedanke ebenso wie das Bewußtsein. Dennoch besteht trotz der frappierenden
Übereinstimmung ein unverkennbarer Unterschied. Das buddhistische Nirväna
ist ein Letztes, Höchstes, das Ziel alles Heilstrebens, die Erlösung. Der , mystische
Tod' der christlichen Mystiker ist kein Endgültiges, sondern nur ein Durchgangs-
stadium; dem Tod folgt die Auferstehung, der Vernichtung die beseligende
Einigung mit Gott.
6. Die dem Gebet zugrunde liegende Gottesvor-
stellung.
Der Gott, den der Mystiker anbetet, ist durchaus statisch gedacht;
die geistige Wirklichkeit, in die er kontemplierend sich versenkt, ist
ein ruhendes Ideal; das Objekt der Konzentration und Kontemplation
kann nur ein Letztes, Vollendetes, ein Endgültigkeitswert sein (vgl.
o. S. 298 ff.). Die dem primitiven Gebet zugrunde liegende Vorstellung
der wirkenden Schicksalsmacht Gottes fehlt im Gebetserlebnis des
Mystikers fast völlig.
Der Gott der mystischen Kontemplation besitzt nicht den ausge-
prägten Persönlichkeitscharakter, der der Gottes Vorstellung des naiven
Beters eigen ist. Es ist bedeutsam, daß Gott in den mystischen Gebeten
so oft mit einem neutrischen Ausdruck als summum bonum angeredet
wird. Eine völlige Entpersönlichung Gottes, wie sie die philosophische
Spekulation eines Plotin, Eckhart, Sankara vollzieht, ist freilich so
lange nicht möglich, als eine Gebetsanrede oder doch eine innere Gebets-
hinwendung an Gott vorhanden ist. Die meisten mystischen Beter
reden Gott auch mit dem anthropomorphen Terminus der primitiven
Gebetssprache ,Herr' an. Aber dort, wo an die Stelle des trauten Gebets-
umgangs die ästhetische Intuition und feierliche Anbetung des höchsten
Wertes tritt, ist ein Verblassen der Persönlichkeitszüge Gottes innerlich
notwendig. Der Kontemplierende verliert sogar in dem völligen Hin-
gegebensein an den unendlichen Wert nicht bloß das eigene Selbst-
bewußtsein, sondern das Bewußtsein der gegenständlichen Voraus-
setzung seines Werterlebnisses. „Ich bin verliebt und weiß nicht, in
wen," sagt der Süfi Ferid-ed-din-Attär. 254
Die mystische Tendenz der Entanthropomorphisierung des Gottes-
bildes ist weniger wirksam in der naiven, erotisch gefärbten Mystik,
in der das Gebet nicht exklusive Konzentration und Kontemplation
ist, sondern ein herzliches Liebesgespräch und einen vertrauten Liebes-
verkehr zwischen Seele und Gott darstellt. Hier ist Gott der sich zum
Menschen liebevoll herabneigende Heiland, der traute Freund, der
leidenschaftliche Bräutigam und Geliebte. Die das naive Beten des
primitiven Menschen bestimmende anthropomorphe Gottesvorstellung
318 F III. Das Gebet in der Mystik
offenbart im Gebet der Liebesmystik ihre ursprüngliche Kraft und An-
schaulichkeit. Die Gebete der christlichen Brautmystiker richten sich
ungleich seltener an den unendlichen Gott, den ewigen Vater als an
den ,süßesten Jesus', dessen menschlicher Charakter der mystischen
Grottesvorstellung des summum bonum persönliche Lebendigkeit und
sinnliche Anschaulichkeit verleiht. Seuse sagt treffend: „Da die Seele
wegen der Schwachheit des schweren Leibes dem lauteren Gute in
bildloser Weise nackt nicht allezeit anhaften kann, so muß sie etwas
Bildliches haben, das sie dahin leite. Und das Beste dazu ist das lieb-
reiche Bild Jesu Christi; denn da findet man Leben, das ist der höchste
Lohn und der oberste Nutzen." 255
7. Die Erfahrung der Präsenz Gottes im Gebet.
Alles mystische Beten ist durchdrungen von der unzweifelhaften
Gewißheit der unmittelbaren, realen Gegenwart Gottes. Im Gebet ,,hat
man Gott sich gegenüber", sagt Meister Eckhart. 256 Beten heißt für
Teresa ,,in der Gegenwart Gottes verharren." „Wir stellen uns in
seine Gegenwart und denken daran, daß wir von ihm gesehen werden."
„Die Seele, die sich ins Gebet begibt, scheint jemand zu finden, mit
dem sie sprechen kann. Sie begreift, daß man ihr zuhöre." 257 Madame
Guyon sagt: „Gott ist mehr in uns als wir selbst; wir haben ihn und
schmecken ihn." 258 In der affektlosen inneren Einheit und Ruhe,
in der tiefen, sanften Wonnestimmung glaubt der Betende und Sich-
versenkende die Gegenwart des unendlichen Gottes zu spüren; denn
Gott wohnt, wie Augustinus sagt, „in ipsis rationalis animae secretis,
qui homo interior vocatur" 259, oder wie Tauler sagt, „im innerlichsten
Grund, wo wahre Einigkeit allein ist" 26°. Die bewußte Meditation und
Konzentration zielt besonders darauf ab, durch die Schaffung einer
einheitlichen Seelenstimmung die gefühlsmäßige Erfahrung der Präsenz
Gottes zu ermöglichen. Nach Teresa hat das Betrachten auf der ersten
Gebetsstufe den Zweck, sich in Gottes Nähe und Gegenwart zu ver-
setzen und dort zu verweilen 261. Madame Guyon sagt: ,,L' exercice
principal (de la meditation) doit etre la presence de Dieu." 262 Einen
ganz anderen psychologischen Charakter hat die Gebetserfahrung der
Präsenz Gottes in der Kontemplation des summum bonum. Was der
Beter hier erlebt, ist nicht eine sanft dahingleitende Stimmung, sondern
eine aufwühlende affektive Erregung. Das Erleben von Gottes Gegen-
wart ist nicht innen-, sondern außenkonzentriert, kein inneres , Spüren'
und , Schmecken', sondern ein geistiges , Schauen' Gottes — ö()a avzöv
voEQOtg öcpü-ak/ioig, sagt Symeon der Neue Theologe vom Betenden. 263
In wundervoller Weise hat Gerhard Tersteegen das im mystischen Beter lebendige
Gefühl der Gottesnähe besungen:
„Großer Gott, in dem ich schwebe,
Menschenfreund, vor dem ich lebe,
Höchstes Gut und Herr allein,
Ich bet an dein Nahesein.
Den die Engel bückend sehen
Und mit tausend Lob erhöhen,
Da du sitzest auf dem Thron,
Du bist hier auch nahe schon."
7. Präsenz Gottes — 8. Verhältnis von Mensch und Gott 319
, ,Du höchst vergnügend Wesen du ,
Mein Seelenfreund und ein'ge Ruh',
Den ich in mir gefunden:
Wie bist du mir so innig nah !
Kehr ich hinein, so bist du da ;
Du hältst mein Herz gebunden". 2<u
Das Bewußtsein von Gottes Präsenz gehört zur Wesensstruktur des
Gebets ; es ist ein sicheres Kriterium dafür, ob die mystische Betrachtung
und Versenkung als Gebet bezeichnet werden darf. In der buddhistischen
Versenkung fehlt dieses Erlebnis völlig. Das , Verweilen' — diesen
Terminus hat die Beschreibung der Jhäna-Stxden mit der Gebets-
terminologie der christlichen Mystik gemeinsam — ist hier nicht ein
Verweilen in Gottes Gegenwart, sondern ein Weilen bei sich und in
sich selbst.
8. Das im Gebet sich äußernde Verhältnis von
Mensch und Gott.
Das Gebet des Mystikers ist kein bloßes Denken an Gott, kein gedank-
liches Sichvergegenwärtigen einer metaphysischen Realität, in das es
meist die philosophische Kritik auflöst, sondern eine wirkliche Berührung,
ein realer Verkehr, Umgang, Austausch mit dem als gegenwärtig erlebten
Gott, eine Gemeinschaft mit ihm, die schließlich zur vollen Einigung
mit ihm, zum Auf- und Untergehen der Seele in ihm führt. Proclus
definiert das Gebet als avvayajyög xal ovvdETixi] t&v xpv-^Giv TiQÖg xovg
Seovg. 265 Das Gebet macht uns nach Pseudo-Jamblich zu öfitXrjräg
ö-sov.;266 Proclus nennt das Beten auch ein nQoaouilsiv Ö-eots267.
Diese neuplatonische Gebetscharakteristik kehrt in der christlichen
Gottesmystik immer wieder. Nilus Sinaita definiert das Gebet als die
öfiilia vov TCQÖg &eov. 268 Symeon der Theologe sagt vom Betenden :
TiQooofiilel t(j) d-eü TiQOG(brroj nQÖg tiqögcütiov. 269 Die Imitatio spricht
oft von dem Jamiliariter cum Jesu conversari\ 27° Teresa vom ,innigen
Umgang', fraulichen Verkehr', der ,Liebesgemeinschaft mit Gott', der
,heiligen Gesellschaft des Herrn';271 Franz von Sales definiert das
Gebet als ,entretien et conversation de Väme avec Dieu1 272, Tersteegen
als „familiären Umgang mit Gott". 273 In der Einsamkeit, losgelöst
von aller Welt und von allen Menschen redet der Beter zu seinem Gott
— ftövog Ttgbg fiövov; 274 auch diese neuplatonische Gebetscharakte-
ristik kehrt in der christlichen Mystik wieder. 275 Beten heißt
als isoliertes Individuum mit Gott zusammen sein, als Einsamer in
seiner , Gesellschaft' weilen. Tersteegen singt:
„Du, vollkomm'ner Gott, warst einsam
In dir selbst vor aller Zeit:
Selig, wer mit dir gemeinsam
Lebt in deiner Ewigkeit !
In die Wüste lock mich ein,
Einsam so in dir zu sein."
„O schönes Einsam!
O süß Gemeinsam!
Mit Gott allein!"
..Du und ich allein
Sollen sein gemein". 2TS
320 F III. Das Gebet in der Mystik
Die selbstverlorene Hingabe an Gott als den einzigen und höchsten
Wert schließt den primitiven Gedanken an die im Gebet zu erzielende
reale Einwirkung auf Gott, Unistimmung seines Willens aus (nur in der
naiven Brautmystik spielt er eine bestimmte Rolle). Die exklusive
Einstellung auf Gott und die hiedurch bedingte völlige Wunschlosigkeit
macht ein naives Gott-beeinf lussen-wollen im Sinne der eigenen Wünsche
unmöglich. Der Glaube an einen wirklichen Verkehr, ein Inbeziehung-
treten zu Gott ist für die Mystik nicht identisch mit einer tatsächlichen
Einwirkung auf Gott. Augustinus betont immer wieder, daß im Gebet
keinerlei Einwirkung auf Gott erfolge. Der Mensch betet zu Gott, ,,ut
ipse construatur, non ut Deus instruatur" 277. Das Bitten ist nicht dazu
bestimmt, Gott zur Erfüllung unserer Wünsche zu bewegen, sondern
dazu, in uns die Sehnsucht nach Gott zu wecken und uns zu Gott zu
erheben. 278 Der Areopagite verdeutlicht in zwei hübschen Gleichnissen
den mystischen Gedanken, daß das Gebet eine Erhebung des Menschen
zu Gott, nicht eine Gewinnung Gottes für die Zwecke des Menschen ist.
„ Wir schwingen uns durch Gebet zum höheren Anblick der göttlichen und
gütigen Strahlen auf, wie wenn wir an einer lichtvollen, an der Höhe des Himmels
befestigten und bis herabhängenden Kette abwechselnd mit den Händen vor-
wärt sgreifend, dieselbe scheinbar herabzögen, tatsächlich aber nicht herab-
bi ächten, sondern uns selbst hinaufbrächten zu den höheren Glanzpunkten der
lichtvollen Strahlen." „Wer in einem Schiffe stehend ein von einem Felsen aus
ihm zugeworfenes Tau ergreift und an demselben zieht, der zieht nicht den Felsen
zu sich her, sondern er bringt sich und das Schiff dem Felsen näher". 279
In der rein kontemplativen Mystik ist der Gebetsumgang mit Gott
nicht ein deutlicher Reflex menschlich-sozialer Verkehrsbeziehungen;
Gott, das summum bonum ist zu groß, zu geistig, zu heilig, als daß man
bei aller Innigkeit, Sehnsucht, Liebe und Begeisterung mit ihm so ver-
kehren könnte wie mit Menschen. Nur in der naiven, phantasiemäßigen,
von philosophischer Problematik unberührten Mystik reflektiert das
Verhältnis des Frommen zu Gott deutlich soziologische Beziehungen:
das Diener-, Freundes-, Kindes- und Brautverhältnis; diese Verhält-
nisse sind jedoch nicht gleichwertig, sondern ordnen sich — was echt
mystisch ist — als aufsteigende Skala an. „Die Liebe," heißt es in der
hinduistischen Vischnusekte, „offenbart sich in der Beziehung eines
Dieners zu seinem Herrn, der eines Freundes zu seinem Freund, der
eines Kindes zu seinen Eltern und der eines Weibes zu seinem Gatten.
Die höchste Stufe der Liebe ist erreicht, wenn die Menschenseele Gott
lieben kann wie ein Weib seinen Gatten liebt." 280 (Vgl. o. S. 310.) Der
Gebetsverkehr der Seele mit Gott spielt sich in der naiven Mystik zumeist
in den Formen und Symbolen des Brautverhältnisses ab, wie das schon
aus» der Gebetsanrede hervorgeht. Selbst Angelus Silesius singt :
„Du magst Gott, wie du willst, für deinen Herrn erkennen,
Ich will ihn anders nicht als meinen Bräut'gam nennen."
„Wer meiner Seele will den größten Titel geben,
Der nenn' sie Gottes Braut, sein Herze, Schatz und Leben". 281
9. Gebetsanweisung.
Die Gebetsanweisung der Mystiker ist nur an die wenigen mystisch
begabten und interessierten, nach Vollkommenheit strebenden Seelen
Die mystische Gebetsanweisung 321
gerichtet (vgl. o. S. 273). Typische Beispiele sind das ,goldene Büchlein
über die Betrachtimg' von Petrus von Alcantara und das ,Moyen court
et tres facile de faire oraison' der Madame Guyon. Die mystische Gebets-
anweisung ist ein psychologisches Rezept; sie besteht in der psycho-
logischen Deskription und Analyse der Erlebnisse, die dem betenden
Mystiker auf den verschiedenen Stufen des geistlichen Lebens zuteil
werden. Sie gibt detaillierte — bisweilen raffiniert-künstliche — Regeln
und Methoden an, nach denen die Konzentration und Meditation durch-
geführt und durch deren Anwendung die Disposition für die höheren
Gebetszustände geschaffen werden soll. Die mystische Gebetsan Weisung
enthält aber nicht nur formale, sondern auch inhaltliche Gesichtspunkte
für die Meditation, sie bietet dem Betrachtenden die rnateria meditandi
dar (s. o. S. 287). Solche methodische Gebets- und Betrachtungs-
anleitungen haben die meisten christlichen Mystiker gegeben, Bonaven-
tura, Petrus von Alcantara, Teresa usw. Die straffste Gliederung und
konsequenteste Durchführung im Detail zeigen die exercitia spiritucdia
des Ignatius von Loyola. Aus den knappen und schematischen Medi-
tationsrezepten der großen Heiligen ist die Flut religiöser Betrachtungs-
bücher hervorgegangen, die dem Durchschnittsfrommen vollständige
Meditations- und Gebetstexte an die Hand geben. Die methodologische
Gebetseinführung der Mystiker beschränkt sich jedoch nicht auf die
bewußte und willkürliche Meditationsübung, sondern gibt dem Beter
auch Winke, wie er sich bei den passiv erlebten und als übernatürliche
Gnadeneingießung gedeuteten Gebetszuständen zu verhalten habe, um
sie nicht aufzulösen und um ihre Intensität zu steigern.
Die mystische Gebetsan Weisung entbehrt des normativ-gültigen,
kritisch-ethischen Akzentes, der dem philosophischen und prophetischen
Gebetsideal eigen ist: der Mystiker fällt wohl Werturteile über die ver-
schiedenen Gebetsarten, aber er verurteilt und bekämpft nicht die
unter dem Niveau des mystischen Ideals liegenden Gebetsformen. Die
mystische Gebetspädagogik wird nie zur Gebetspolemik. Das pflicht-
mäßige, formelhafte Beten in Worten betrachtet sie als Vorstufe des
,inneren' Gebets, nicht als Widerspruch gegen dieses.
Das Gebet 21
Die Varianten des mystischen Gebets.
Das mystische Beten stellt einen einheitlichen Gebetstypus dar; es
variiert jedoch je nach dem Hervortreten bestimmter Elemente, die
irgendwie in allem mystischen Beten stecken. Die verschiedenen
Varianten kombinieren sich häufig. So vereint z. B. die Mystik der
Nachfolge Christi in harmonischer Weise das Kultmotiv mit dem Braut-
motiv und dem quietistischen. Bisweilen aber dominiert eines dieser
Motive, so daß ganz selbständige Ausprägungen des mystischen Ge-
dankens entstehen, die sich scharf voneinander abheben. Die Mystik
der synkretistischen Mysterienreligionen ist reine Kultmystik, die
Mystik Laotses und der indischen Atman-Seher ist reine Unendlichkeits-
mystik, die Mystik des Molinos und der Madame Guyon rein quietistisch,
die Mystik der Schwester Mechthild von Magdeburg und vieler Nonnen
reine Brautmystik.
a) Die kultisch-sakramentale Mystik.
Der Wurzelboden, aus dem alles mystische Beten und Sichversenken
seine Nahrung und Kraft saugt, ist die Meditation. Diese nimmt ihren
Ausgangspunkt stets bei einem Konkretum, meist bei einer anschaulichen
Phantasievorstellung, häufig auch bei einem wahrnehmbaren äußeren
Objekt. So knüpfen die buddhistischen Bettelmönche ihre Betrachtung
über die Vergänglichkeit alles Irdischen bisweilen an den Anblick eines
dahineilenden Stromes oder gar eines verwesenden Leichnams. Wenn
die christlichen Mystiker über die Nichtigkeit des Lebens sinnen, schauen
sie nicht selten auf einen grinsenden Totenschädel, wenn sie ihr Sünden-
elend beweinen und das große Erlösungsgeheimnis erwägen, versenken
sie sich in das Bild des gekreuzigten Heilands.
Neben profanen Objekten und Darstellungen der religiösen Kunst
bilden in der außerchristlichen und christlichen Mystik spezifische Kult-
objekte, ,heilige' Gegenstände den Stützpunkt des Meditierens und
Betens. Aber das heilige Objekt ist dem Mystiker mehr als eine bloße
Anregung zu frommen Gedanken und Gefühlen; an seinem Anblick
entzündet sich vielmehr das Erlebnis der realen Gegenwart Gottes.
Gott weilt in geheimnisvoller sinnlich-übersinnlicher Weise in dem Kult-
gegenstand. Wohl ist der Gott der Mystiker unsinnlich, geistig, unend-
lich, Himmel und Erde können ihn nicht fassen, wieviel weniger vermag
ein kleines, materielles Objekt ihn zu umschließen. Und dennoch ist
für den Mystiker Gottes Präsenz im heiligen Objekt eine ebenso un-
zweifelhafte Gewißheit wie für den primitiven Menschen. Freilich ist
für ihn das Sinnlich-Dingliche nicht identisch mit dem Übersinnlich-
Geistigen, das Sichtbar- Greifbare ist nur Zeichen und Unterpfand des
Unsichtbar-Göttlichen, aber doch kein bloßer Schatten einer höheren
Die kultisch-sakramentale Mystik 323
Realität, sondern selbst Realität. Symoolismus und Realismus, Sinnlich-
keit und Geistigkeit, Natur und Übernatur vermählen sich in voller
Harmonie.
Irgendwelche Beziehungen zum Kult weist fast jede Mystik auf. Selbst
bei Plotin, einem der grandiosesten Unendlichkeitsmystiker, lassen sich
Spuren der sakramentalen Mystik aufweisen; die seltsamen Riten der
Mysterienkulte sind ihm anschauliche Bilder und Symbole der sublimen
mystischen Erlebnisse 1. Die Upanischaden des Veda sind unmittelbar
aus dem komplizierten vedischen Ritualwesen herausgewachsen. Nach
einer neueren Deutung bedeutete wpanishad ursprünglich nichts anderes
als die kontemplative Adoration eines heiligen Gegenstandes 2. Nur der
alte Buddhismus, der in seinem eigenartigen Radikalismus den mystischen
Gedanken bis in seine letzte Konsequenzen fortgebildet hat, verwirft
jeden Zusammenhang der mystischen Versenkung mit dem Kultischen.
Eine bedeutsame Rolle spielt das Kultmotiv in der hinduistischen
Bhakti-Mystik, in der eine zarte mystische Frömmigkeit mit den volks-
tümlichen Götterkulten verschmilzt. Die mystische Anbetung des
göttlichen .Herrn' (isvara) und Heilands, des Vischnu oder Schiva, ent-
zündet sich beim Anblick seines Gottesbildes, der arcä. Der Gott ist in
der Statue, die durch eine bestimmte Zeremonie (avdhanam) konsekriert
ist, wirklich und wesentlich gegenwärtig, das Götterbild ist ein avatdra,
d. h. eine Inkarnation, Verkörperung des über Raum und Zeit erhabenen
Gottes 3. Wenn der Fromme die vom matten Glanz flimmernder Lampen
erleuchtete und von den Wolkenschleiern des aufsteigenden Weihrauchs
verhüllte Statue seines Gottes schaut, dann sinkt er, von Staunen und
Entzücken ergriffen, nieder und versenkt sich anbetend in die Größe,
Schönheit und Liebe des ihm so nahen Gottes. Die innigen und leiden-
schaftlichen Gebetslieder des großen Tamilmystikers Mänikka-Väsagar
sind alle in den Schiva-Tempeln gedichtet oder doch konzipiert worden,
sie sind geboren aus der Kontemplation des heiligen Gottesbildes; im
Tempel, im Anblick der Statue werden sie noch jetzt Tag für Tag von
den frommen Gläubigen rezitiert.
Die Mysterienkulte des orientalisch-hellenistischen Synkretismus zeigen
alle die mystische Grundtendenz — nicht umsonst hat die Mystik ihren
Namen von demselben Stammwort, von dem die Mysterien ihre Bezeich-
nung haben (fivslv). Uralte barbarische Riten, prunkvolle Zeremo-
nien, geheimnisvolle Weihehandlungen treten in den Dienst des my-
stischen Heilsstrebens ; sie sollen auf sinnlich-übersinnliche, zauberhafte
Weise den Mysten zum Heilsziel, zur beseligenden evcjoig führen.
Dieterich sagt von der bekannten Mithrasliturgie : . ,Die Vereinigung mit
dem Gotte ist das Ziel der ganzen Aktion, darauf ist alles gerichtet." 4
Am unmittelbarsten und innigsten wird diese Vereinigung mit der Gott-
heit durch das Essen von der heiligen Speise und das Trinken vom
göttlichen Tranke hergestellt. Ein anderer Weg zur ekstatischen Emigung,
wie wir ihn vor allem im ägyptisch-hellenistischen Mysterienkult treffen ,
ist die kontemplative Adoration der Götterbilder. Nach dem Zeugnisse
des Porphyr brachten die ägyptischen Priester ihr ganzes Leben in der
Betrachtung und Kontemplation der Götter {zfj tdv d-scov öecogia
324 F III. Das Gebet in der Mystik
■aal Öedoei) zu 5. „Ägypten ist das Land, aus dem die kontemplative
Frömmigkeit nach Europa gelangt ist." 6 Im römischen Isiskult waren
die Bilder der Götter vom frühen Morgen bis zum späten Nachmittag
der stillen Adoration durch die Eingeweihten .ausgesetzt' (um in der
Sprache der katholischen Liturgie zu reden) 6. Apulejus erzählt von
der unsagbaren Wonne (inexplicabiliis voluptas), die ihn beim Anblick
des Götterbildes überkam 7. Ein im Papyrus Mimaut erhaltenes mysti-
sches Gebet enthält die Dankes- und Bittworte eines Mysten, dem der
beglückende Anblick des Gottesbildes zuteil geworden.
,,Wir freuen uns, daß du dich uns gezeigt hast, wir freuen uns, daß du uns,
da wir noch im Leibe sind, vergottet hast durch deinen Anblick
(äne&ecjaag zft aeavtov 3-ea). Der Mensch dankt dir dafür, daß er deine Größe
erkannt hat. Wir haben dich erkannt, du Leben des menschlichen Lebens, dich
erkannt, du Licht aller Erkenntnis, dich erkannt, o Mutter, schwanger vom
Hamen des Vaters, du ewige Stätte des Lebenskeimes. Indem wir dich so an-
beten, richten wir an dich keine andere Bitte, als daß du uns gnädig bewahrest
in deiner Erkenntnis" 8.
Die Kultmystik der hinduistischen Sekten und der synkretistischen
Mysterien liegt bei aller Innigkeit und allen ästhetischen Reizen ganz in
den Fesseln primitiver Idololatrie. Die christliche Mystik hingegen hat
sich mit dem Kult vermählt, ohne daß ihre Geistigkeit und Reinheit
durch niedere Vorstellungen getrübt wurde. Nicht ein Fetisch oder
Götterbild, sondern das eucharistische Mysterium, der in der sinnlichen
Hülle des Brotes sich bergende Leib des Herrn ist für die christlichen
Mystiker die äußere Stütze des Erlebnisses von Gottes unmittelbarer
Präsenz. Die Eucharistie hatte seit urchristlichen Zeiten mystischen
Charakter und mystische Bedeutung genau so wie die Riten und Sakra-
mente der synkretistischen Heilsgenossenschaften. Durch den Genuß
der heiligen Elemente trat die christliche Gemeinde in die innigste
Gemeinschaft (xoivayvia) mit dem erhöhten Herrn (1 Kor. 10, 16)
und nahm göttliches Leben, himmlische Kräfte in sich auf. Mit dem
fortschreitenden Eindringen spätantiker mystischer Motive in die christ-
liche Kirche verbanden sich die Grundgedanken der mystischen evcnoig
und äno&£ü)oig immer enger mit der altchristlichen Eucharistie-
auffassung 9. Von einer eucharistischen Mystik im eigentlichen Sinne
des Wortes können wir aber erst in der Blütezeit der christlichen Mystik,
in der mittelalterlichen Mystik der Ost- und Westkirche reden. Thomas
von Aquin, der Verfasser der Imitatio und Symeon der Neue Theologe
sind die klassischen Vertreter der christlichen Sakramentsmystik. Die
mittelalterliche Mystik hat die altchristliehe Auffassung von dem Sakra-
ment der Sakramente in erstaunlicher Weise individualisiert und eben
dadurch vertieft und verinnerlicht. Im alten Christentuum ist die
Eucharistie ein Gemeinschaftsmahl — das ,Herrenmahl' nennt sie der
Apostel (1 Kor. 11, 20) — eine Tischgemeinschaft der versammelten
christlichen Gläubigen mit dem erhöhten Herrn; für die Mystik ist
der Empfang der Eucharistie die Vereinigung der Einzelseele mit ihrem
himmlischen Herrn und Heiland. Für die alte Kirche bedeutete der
Genuß vom Segensbrot und Segenskelch eine Gemeinschaft
{xoiva>via, communio) mit Christus, für die Mystiker ist der Emp-
Der Eucharistiekult 325
fang der Eucharistie eine geheimnisvolle Vereinigung (evoioig,
unio) mit ihrem himmlischen Heiland und Geliebten 10. Unzähligemale
ist ihnen an der Kommunionbank die Ekstase oder ein der Ekstase
nahekommendes Erlebnis zuteil geworden. Mechthild von Magdeburg
sagt : „Wenn wir Gottes Leichnam empfahen, se vereinet sich die Gottheit
mit unserer unschuldigen Seele und mischet sich Gottes Menschheit
mit unserem Leibe." n In dieser Erfahrung wurzelt die Hochschätzung
des häufigen Sakramentsempfanges durch die mystische Frömmigkeit. 12
Die Entfaltung des latreutischen Eucharistiekultes, die in der abend-
ländischen Christenheit im 13. Jahrhundert einsetzte, bedingte eine
Erweiterung der sakramentalen Mystik über den Rahmen der altchrist-
lichen Eucharistie liturgie hinaus. Nicht nur in der Messe und Kom-
munion, sondern auch außerhalb derselben konzentrierte sich die my-
stische Gebetsfrömmigkeit immer mehr auf den eucharistischen Heiland.
Auf dem lichterumstrahlten Altar oder in der Hand des Priesters durfte
die Schar anbetender Gläubigen den in Brotsgestalt gegenwärtigen
Heiland schauen, unverhüllt, in der kunstvollen ,Monstranz' geborgen.
Bei minder feierlichen Anlässen durfte sie ihn verhüllt kontemplieren ,
verborgen im heiligen Speisekelch (Pyxis oder Ciborium). Aber auch
außerhalb des allgemeinen Gottesdienstes eilten die Frommen an die
Stätte, wo der sakramentale Heiland weilte, zum Sakramentshäuschen
oder zum Tabernakel. Für die ältere christliche Mystik war die abge-
schlossene Klosterzelle der vornehmliche Ort des stillen Betens und
Betrachtens, in der neueren katholischen Mystik des Abendlandes wird
die Kirche oder Kapelle mit dem Tabernakel die vorzüglichste Stätte des
mystischen Gebets. Magdalena von Pazzi sagt: „Übe das Gebet lieber
vor dem heiligen Sakrament als an jedem anderen Orte ; denn wie Gott
im Himmel weilt, so ist hier auf Erden der Tabernakel seine Woh-
nung." 13 Man kann geradezu von einer ,Tabernakelmystik' sprechen.
Mit dem wuchtigen Glaubensgedanken, daß Gott im Altarsakramente
„wahrhaft, wirklich und wesentlich" gegenwärtig ist, verschmelzen noch
starke ästhetische Reize: die lautlose Stille, das durch die buntbemalten
Glasfenster abgedämpfte Sonnenlicht oder das nächtliche Dunkel, das
ruhelos flimmernde und zitternde ,ewige Licht' vor dem Tabernakel,
der das Gotteshaus durchströmende süßliche Duft. All diese ästhetischen
Erlebnisse vereinigen sich in einer eigenartigen, weichen, wonnigen
Stimmung, die dem Glauben an Gottes sinnenfällige Präsenz gefühls-
mäßige Tiefe und Wärme verleiht. Die Tabernakelmystik gehört zu den
wundervollsten Phänomenen, welche die Religionsgeschichte kennt; sie
ist eine der verborgenen, unversiegbaren Quelladern der katholischen
Frömmigkeit.
Die alte und frühmittelalterliche Kirche kennt keine private Adoration der
Eucharistie außerhalb des liturgischen Gottesdienstes oder des Kommunion-
empfanges. Die konsekrierten Elemente wurden nur zum Zwecke des Viatikums
(der Kommunion der Sterbenden) aufbewahrt, und zwar von den Priestern in
ihren Häusern, später' in den Kirchen bzw. ihren Nebenräumen (Diaconarium,
Se;retarium, Sakristei). In den ersten Jahrhunderte]] kam es auch häufig vor,
daß Laien die Eucharistie nach Hause nahmen und in S hiänk hcn verwahrten
um sie dann zu empfangen, wenn ihnen die Teilnahme an der gottesdienstlichen
326 F III. Das Gebet in der Mystik
Versammlung nicht möglich war. Im Mittelalter wurde der Leib des Herrn zumeist
in der Kirche selbst aufbewahrt, und zwar auf die verschiedenste Weise: auf
dem Altar in einer Büchse (pyxis, capsa) oder einer Art Reliquienkästchen
(.Truchlin'), über dem Altar in einer Taube (columba) oder einem turmartigen
Behälter (turris, turricula), der von dem den Altar überschattenden Baldachin
oder dem Altarkreuz herabhing, neben oder hinter dem Altar in einer Wand-
nische oder einem Wandschrank (arca. armarium). Aus dem Wandschrank wuchs
bei Beginn des 14. Jahrhunderts, im Zeitalter der Gotik, das kunstvolle Sakra-
ments- oder Herrgottshäuschen heraus, teils freistehend, teils mit der Wand
verbunden. Im 16. Jahrhundert wurde (zuerst von dem Veroneser Bischof Giberti)
das Sakramentshäuschen auf den Altar (meist Hochaltar) übertragen; so entstand
der heutige Tabernakel. 14 Im 13. Jahrhundert wurde die aufbewahrte Eucharistie
in den Kreis der mystischen Gebetsfrömmigkeit einbezogen ; die den Fronleichnam
des Herrn bergende Pyxis oder Turricula wurde zum Objekt der mystischen
Adoration und Kontemplation. Bei Bernhard von Clairvaux suchen wir noch
vergebens nach einer inneren Beziehung des mystischen Lebens auf das euchari-
stische Mysterium. Es waren mystisch begabte Nonnen, welche die latreutische
Sakramentsmystik ins Leben riefen. Nicht genug, daß sie häufig die Eucharistie
empfingen und auf den Empfang sich mit allem Eifer vorbereiteten, sie pflegten
auch mit Vorliebe vor dem Sakrament zu beten. Die Rekluse Wilbrigis von
Neuburg nahm während der Adventszeit die Eucharistie in ihre Zelle, um stet»
in der unmittelbaren Gegenwart des Herrn zu weilen 1S. Marie von Oignies war
gewohnt, in der Kirche vor der Pyxis 16 zu beten. Juliana von Lüttich, die den
Anstoß zur Einführung des Fronleichnamsfestes gab, baute ein Schwestern-
oratorium, in dem das Sanctissimum aufbewahrt wurde. Wenn sie eine Kirche
betrat, fühlte sie instinktiv, ob in ihr der Leib des Herrn aufbewahrt war oder
nicht. 17 Eine besondere Pflege fand die mystische Adoration des Sanctissimums
in den Dominikanerinnenklöstern, wo der Fronleichnam des Herrn im Nonnen-
chor aufbewahrt wurde. 18 Die Schwestern des Klosters Englthal hielten nachts
vor und nach der Mette eine Art Ehrenwache vor dem , Fronaltar'. 19 In der
Not eilten die Nonnen von Adelshausen zum .Fronaltar', um dem eucharistischen
Heiland ihr Herz auszuschütten. 20 Margaretha Ebner, Nonne des Klosters
Medingen bei Dillingen, erzählt in ihrer Autobiographie, daß sie oft und lange
,,im Chor" ,.vor dem Altar" oder ,,vor dem Sarg", d. i. dem Behältnis des Leibes
Christi betete. Auch ,, küßte sie mit großem Glauben und Begierde den Sarg"
und begehrte, daß er ihr „Kraft aus ihm gebe"; und sie „empfing wirkliche Kraft
daraus". Das Bewußtsein der Gegenwart des Herrn im Sakrament brachte ihr
eine wunderbare seelische Erleichterung. ,,Mir lag kein Ding auf, wenn ich kam
zu dem Sarg, es wurd' mir geringer oder gar benommen". 21 (Was unter dem
„Sarg" im Chor des näheren zu verstehen ist, die auf dem Altar stehende Pyxis
oder Truhe oder die hängende Turricula, der Wandschrank oder schon ein Sakra-
mentshäuschen, ist nicht ersichtlich. Derselbe Ausdruck begegnet uns als Be-
zeichnung des Aufbewahrungsortes der Eucharistie in der „Nonne von Engeltal
Büchlein von der Gnaden Überlast". 22) Mit welcher Jnnigkeit die Nonnen am
mystischen Sakramentskult hingen, lehrt eine Geschichte, welche Elsbeth Stagel
in ihrer Vitensammlung des Nonnenklosters zu Töß berichtet. Als Margaretha
Will vernahm, daß man den Herrn im Sakrament aus dem Nonnenkloster in die
Kirche übertragen wollte, damit er immer da bliebe, war ihr Jammer so groß,
„daß sie tat, als ob ihr das Herz im Leibe wollte brechen, und daß die Schwestern
vor ihrer großen Klage herzlich weinend wurden". 23
Die von den mystischen Nonnen des Mittelalters ins Leben gerufene eucha-
ristische Gebetsfrömmigkeit, die nach und nach zum Gemeingut aller frommen
Katholiken geworden ist, offenbart einen bedeutsamen Fortschritt der Eucharistie-
auffassung. In der alten Kirche ist der Leib des Herrn die heilige Mysterienspeise,
durch welche die „Eingeweihten" auf sinnlich-übersinnlicher Weise göttliches
Leben und göttliche Kraft in sich aufnehmen, ja selbst vergottet werden; er ist
das <ja.Qnay.ov äd-avaalag (Ign. ad Eph. 20 2) die Tooipr} eig Carjv alüviov (Chry-
sostomus), 24 das Unterpfand der Auferstehung. Im eucharistischen Kult
des alten Christentums weht jene tiefe Jenseitsstimmung, die in allen helle-
nistisch-synkretistischen Mysterienliturgien uns entgegentritt. Die mittelalter-
Das Eucharistiegebet. 327
liehe Mystik ist viel mehr Gegenwartsfrömmigkeit. Sie suchte das be-
glückende Erlebnis der unmittelbaren Gegenwart Gottes, die beseligende
Einigung mit dem Herrn schon auf dieser Erde. Und sie fand das Ziel ihrer reli-
giösen Sehnsucht in der Eucharistie. Der Kommunionempfang bedeutete für
sie die unio mystica mit dem Herrn, der das Allerheiligste bergende Tabernakel
wurde für sie das äußere Zeichen der gnadenvollen Gegenwart Christi. Christus
selbst sprach zu Margaretha Ebner: ,,Geh an den Sarg in dem Chor, da findest
du meinen heiligen Fronleichnam also wahrlich wie in dem Himmel und sonst
an keiner Stätte". 2S Seuse empfing von Christus die Belehrung: „Du hast mich
im Sakrament vor dir und bei dir ebenso wahrlich und eigentlich als Gott und
Mensch, nach Seel und Leib, mit Fleisch und Blut, als wahrlich mich meine reine
Mutter trug auf ihrem Arm und als wahrlich ich bin im Himmel in vollkommener
Klarheit". 26 Tauler mahnt in einer Predigt: „Betrage dich in der Kirche und
im Chore mit großer Ehrerbietigkeit, denn des Herrn Leichnam ist da in der
Wahrheit gegenwärtig. Stehe mit niedergeschlagenen Augen und mit zugekehrtem
Gemüte vor des ewigen Königs Gegenwart und Angesicht". 27 Der bekannte
dogmatische Kanon des Konzils von Trient, nach dem Christus im Sakrament
des Altars „wahrhaft, wirklich und wesentlich gegenwärtig" ist, trägt unver-
kennbar die Spur dieser mittelalterlichen Sakramentsmystik an sich. Gewiß
liegt der mittelalterlichen Mystik der reine Symbolismus ebenso ferne wie der
alten Kirche; ihre Eucharistieauffassung ist ebenso entschieden realistisch wie
die altkirchliche (nur die großen Theologen Origenes, Clemens und Augustinus
dachten symbolistisch-spiritualistisch unter dem Einfluß philosophischer Motive.)
Der Unterschied liegt darin, daß für die alte Kirche die Eucharistie etwas Un-
persönliches ist, ein heiliges Objekt, voll von Wunder- und Lebenskräften, ,d a s
Allerheiligste' ; für die mittelalterlichen Mystiker hingegen ist das Altarsakrament
etwas durchaus Persönliches; im Sakrament schauen sie ihren Heilandgott in
sinüenfälliger Gestalt, in ihm werden sie seiner Güte und Liebe zu den Menschen-
kindern inne. Das zentrale mystische Erlebnis der Präsenz Gottes im Seelen-
grund hat in dem Glauben an Gottes Gegenwart im Sakrament eine sinnliche
Stütze gefunden. Daß aber in frommen Seelen bisweilen eine innere Spannung
zwischen dem rein geistigen und dem sinnlich-sakramentalen Erlebnis der un-
mittelbaren Gegenwart Gottes entstand, lehrt das Gebetswort einer Nonne.
Mechthild Tuschelin betete einmal vor dem Tabernakel: „Herr, mich hast du
dazu erschaffen, daß du i n m i r wohnen solltest, eher denn in dieser Büchse".
Da empfing sie von Christus die Antwort: „Wenn du so inhaltlos und leer wirst
wie diese Büchse ledig ist aller Dinge außer Gott, so will ich in dir wohnen wie
in dieser Büchse." 28
Das mystische Gebet wird in seinem Inhalt und Wesen durch das
sakramentale Motiv nicht verändert. Es wird nur auf die Gegenwart
des Herrn in der Eucharistie und auf die mystische Vereinigung bei
ihrem Empfang ausdrücklich Bezug genommen. Eben dadurch bekom-
men gerade die mystischen Komminiongebete eine eigentümliche
Färbung. Das reifste und innigste aller Eucharistiegebete ist der Hymnus
Adoro te devote des Thomas von Aquino, eines der schönsten mystischen
Gebetslieder, die je gedichtet worden sind. Als Kommuniongebet ist das
mystische Gebet in weite Kreise getragen worden; es waren in erster
Linie die aus der mittelalterlichen Mystik entsprungenen Kommunion-
gebete, die der katholischen Durchschnittsfrömmigkeit eine kräftige
mystische Prägung verliehen haben. Auch die Eucharistiegebete lassen
in ihrem Inhalt den eigenartigen Fortschritt des mystischen Betens
erkennen (vgl. o. S. 291 ff.). In den Gebeten vor der Kommunion über-
wiegen Bitte und Sehnsucht, in den Gebeten nach der Kommunion Be-
trachtung, Lobpreis und Dank. Eine strenge inhaltliche Scheidung ist
jedoch undurchführbar.
328 F III. Das Gebet in der Mystik
I. Konzentration.
]. Via purgaliva.
Reinigung von Leidenschaft und Sünde: „Lieber Herre Jesu Christe,
erhitze und erglühe mein sehniges Herze nach dir mit deinem minneheißen Blute,
das von deinem brennenden Herze floß an dem hehren Kreuze . . . Herzenslieber
Herre, nun begieß mit deinem minneheißen Blute die Dürre meines Herzens,
daß es tugendfruchtbar werde und erquicke und erwärme meine erloschene Be-
gierde und heile und sänftige meine wunde Seele und meine tödlichen Schmerzen,
daß sie von der Sänfte dieser Salben schmecke und erfinde die Süße und Sänfte
deines Herzens, und speise und tränke mein dürres Berze mit dir, lebendige
Speise, daß ich in allem Ungemache und Widermute dieser Welt unverzagt und
kräftig und mächtig nach dir laufe, wo du gehst, bis ich dahin komme, da du
ruhest zu deines Vaters Rechten, da du unser wartest" (David von Augsburg) 29.
.,Rogo immensae largitatis tuae abundantiam, quatenus meam curare digneris
infirmitatem, lavare foeditatem, illuminare caecitatem, ditare paupertatem,
vestire nuditatem : ut panem angelorum, regem regum et dominum dominantium
tanta suscipiam reverentia et humilitate, tanta contritione et devotione, tali
proposito et intentione, sicut expedit saluti animae meae." ,,Haec sancta com-
rnunio sit vitiorum meorum evacuatio, concupiscentiae et libidinis exterminatio,
caritatis et patientiae, humilitatis et obedientiae omniumque virtutum aug-
mentatio, . . . motuum meorum tarn carnalium quam spiritualium perfecta
quietatio, in te uno ac vero Deo firma adhaesio" (Thomas von Aquino ) 30.
Pie pellicane Jesu Domine
Me immundum m u n d a tuo sanguine,
Cuius una stilla salvum facere
Totum mundum quit ab omni scelere (Ds. ). 31
.,Eija, unergründliches Gut, das da Himmelreich und Erdreich erfüllt, neige
dich heute zu mir und verschmähe nicht deine arme Kreatur. Herr, bin ich deiner
auch nicht würdig, so bin ich deiner doch bedürftig. Herr, mit einem einzigen
Worte kannst du meine sieche Seele gesund machen. Nun komm
heute so kräftig in meine Seele, daß du alle meine Feinde vertreibst, meine Ge-
brechen schmelzest und alle meine Sünde vergibst" (Seuse). 32
2. Via illuminaliva.
a) Erleuchtung: „Illumina oculos meos ad intuendum tantum mysterium
et ad credendum illud indubitata fide me robora." „Illumina caecitatem meam
'laritate praesentiae tuae" (Imitatio) 33.
b) Glaube, Hoffnung und Liebe: „Erleuchte mein Verständnis mit
dem Lichte des wahren Glaubens an dich, entzünde meinen Willen mit deiner
süßen Liebe, kläre mein Gedächtnis mit deiner fröhlichen Gegenwart, gib allen
meinen Kräften Tugend und Vollkommenheit" (Seuse). 3* „Concede pauperi
mendico tuo vel interdum modicum de cordiali affectu amoris tui in sacra com-
munione sentire, ut fides mea magis convalescat, spes in bonitate tua proficiat
vi caritas semel perfecta accensa et coeleste manna experta nun quam deficiat".
(Imitatio) 36
c) Liebesglut und Sehnsucht: „Herr, ich wollte, daß alle meine
Glieder und alles, was ich bin und kann, in eine unergründliche Liebe -verwandelt
würde um dieses liebreichen Liebeszeichens willen" (Seuse). 38 „Vis ergo, ut te
suscipiam et me ipsum tibi in caritate uniam. Unde tuam precor clementiam
ei specialem ad hoc imploro mihi donari gratiam, ut totus in te liquefiam et amore
pereffluam atque de nulla aliena consolatione amplius me intromittam. " „Accende
frigiditatem meam igne amoris tui." „O Deus meus, amor aeternus, totum bonum
meum, felicitas interminabilis, cupio te suscipere cum vehementissimo desiderio
et dignissima reverentia, quam aliquis sanctorum unquam habuit et sentire
potuit" (Imitatio). 3' „Da, ut anima mea te esuriat, panem angelorum, refectionem
animarum sanctarimi, panem nostrum quotidianum, supersubstantialem, habentem
omnem dulcedinem et saporem et omne delectamentum suavitatis; te, in quem
desiderant angeli prospicere, semper esuriat et comedat cor meum; te semper
sitiat fontem vitae, fontemsapientiae et scientiae, fontem aeterni luminis, torrentem
Das Eucharistiegebet. 329
voluptatis, ubertatem dornus Dei" (Bonaventura) 38. ,,Gib uns, mein Herr,
eine innere süße Lust aus einem reinen Herzen nach dieser lebendigen Speise
deines heiligen Leibes und einen minnenden Durst, in dem wir dich dürfen emp-
fangen" (Margaretha Ebner). 39
3. Via unitiva.
a) Die volle Einigung im Kommunionemp fang: ,,Utinam me
totaliter ex tua praesentia accendas, comburas et in te transmutes, ut unus tecum
efficiar spiritus per gratiam internae unionis et liquefactionem ardentis amoris."
..Anima mea corpus tuum concupiscit, cor meum tecum uniri desiderat. Trade
te mihi et sufficit; nam praeter te nulla consolatio valet. Sine te esse nequeo et
sine visitatione tua vivere non valeo.' „Hoc oro, hoc desidero, ut tibi totus uniar.
Ah, Domine Deus, quando ero tecum totus unitus et absorptus meique totaliter
oblitus ? Tu in me et ego in te; et sie nos pariter in unum manere concede"
(Imitatio). 40
b) Die ewige Einigung und Gottanschauung im Jenseits:
..Precor te, ut ad illud ineffabile convivium me peccatorem perducere digneris,
ubi tu sanetis tuis es lux vera, satietas plena, gaudium sempiternum, iueunditas
(•onsummata et felicitas perfecta" (Thomas von Aquin). 41 „Des hilf mir, daß
ich zu dir komme, da du mich minniglich und reichlich empfangest und setzest in
die ewige Freude und da du mich führest in die innerste Heimlichkeit, die du mit
deinem ewigen Vater hast in dem ewigen Geiste, mit dem du lebest und regierest
allen deinen Erwählten zu Ehren und zu Freuden ohne Ende" (David von Augs-
burg). *2
„Jesu, quem velatum nunc aspicio,
Oro. fiat illud, quod tarn sitio,
Ut te revelata cernens facie,
Visu sim beatus tuae gloriae".
(Thomas von Aquin, Hymnus Adoro. )
II. Kontemplation.
a) Des unendlichen Gottes Gegenwart: „Wo das Brot vorgesetzt und der
Wein geleert wird, das Brot als Fleisch, der Wein als Blut, da bist du selbst,
mein Gott und Logos; und diese Elemente werden fürwahr zu Fleisch und Blut
durch des Geistes Herabkunft und des Höchsten Überschattung; und wir dürfen
es wagen den unzugänglichen Gott zu berühren, der im unzugänglichen Lichte
wohnt, unzugänglich nicht nur dieser vergänglichen und sterblichen Natur, sondern
selbst allen geistigen Engelscharen" (Symeon). 43 „Ecce tu praesens es hie apud
me in altari, Deus meus, sanetus sanetorum, creator hominum et dominus ange-
lorum." „Habeo enim te in sacramento vere praesentem, quamvis aliena specie
oecultatum" (Imitatio). **
„Adoro te devote, latens deitas,
Quae sub his figuris vere latitas,
Tibi se cor meum totum subicit,
Quia te contemplans totum deficit.
Visus, gustus, tactus in te fallitur,
Sed auditu solo tuto creditur,
Credo, quidquid dixit Dei filius,
Nil hoc verbo veritatis verius.
In cruce latebat sola deitas,
At hie latet simul et humanitas,
Ambo tarnen credens atque confitens,
Peto, quod petivitatro poenitens.
Piagas sicut Thomas non intueor
Tarnen Deum meum te confiteor . . . ." (Thomas v. Aquin)
b) Summum bonum: „Tu Bolus eibua et potus meus, amoi meus et
330 Pill. Das Gebot in der Mystik
gaudium meum, dulcedo mea et totum bonum meum." ..Ecce in te est totum,
quod desiderare possum et debeo; tu salus mea et redemptio, spes et fortitudo,
decus et gloria" (Imitatio). *5 ..Tu sis solus semper spes mea, tota fiducia mea,
iucunditas mea, gaudium meum, quies et tranquillitas mea, pax mea, suavitas
mea, ardor meus, dulcedo mea, cibus meus, refectio mea. refugium meum, auxilium
meum, sapientia mea. portio mea, possessio mea, thesaurus meus" (Bonaventura). 46
c)Lobpreis und Dank: ..O invisibilis conditor mundi Deus, quam mira-
biliter agis nobiscum, quam suaviter et gratiose cum electis tuis disponis, quibus
temet ipsum in sacramento sumendum proponis." ..O dulcissime et benignissime
Jesu, quanta tibi reverentia et gratiarum actio cum perpetua laude pro susceptione
sacri corporis tui debetur, cuius dignitatem nullus hominum explicare potens
invenitur. Laudo te, Deus meus, et exalto in aeternum" (Imitatio). 47
d) Hingabe: ,.Suscipe me in laudem et gloriam nominis tui, qui corpus
tuum et sanguinem in cibum et potum mihi parasti" (Imitatio). 48
e) Der Kontrast zwischen Gottes Größe und der eigenenNichtig-
keit. ,,Omnipotens sempiterne Deus, ecce accedo ad sacramentum unigeniti
filii tui Domini nostri Jesu Christi: accedo tamquam infirmus ad medicum vitae.
immundus ad fontem misericordiae, caecus ad lumen claritatis aeternae, pauper
et egenus ad dominum coeli et terrae" (Thomas von Aquino). 49 , .Accedo aeger
ad salvatorem, esuriens et sitiens ad fontem vitae, egenus ad regem coeli, servus
ad dominum, creatura ad creatorem, desolatus ad meum pium consolatorem.
Sed unde hoc mihi, ut venias ad me ? Quis e g o sum, ut praestes mihi te ipsum ?
Quomodo audet peccator coram te apparere ? Et tu quomodo dignaris ad pec-
catorem venire? Ecce tu sanctus sanctorum, et ego sordes peccatorum. Ecce,
tu inclinas te ad me, qui non sum dignus ad te respicere" (Imitatio). 50 „Wie
unermeßlich ist deine Barmherzigkeit, Erlöser ? Wie, du hast mich gewürdigt,
dein Glied zu werden? Den Unreinen, den Ausschweifenden, den Buhlen? Wie,
du hast mich mit dem glänzenden Kleid umhüllt, das blitzt vom Glanz der Un-
sterblichkeit, das alle meine Glieder durchleuchtet ? Dein unbefleckter, göttlicher
Leib blitzt, ganz mit dem Feuer deiner Gottheit vei mengt und vermischt in
unaussprechlicher Weise. Und diesen hast du mir geschenkt, mein Gott. Diese
schmutzige und vergängliche Hütte hat sich vereint mit deinem ganz unbefleckten
Leibe und mein Blut hat sich vermischt mit deinem Blute, auch mit deiner Gottheit
fürwahr bin ich eins geworden und dein reinster Leib geworden, ein leuchtendes
Glied, ein wahrhaft heiliges Glied" (Symeon der Neue Theologe). 51
So ist auch das Gebet der kultisch-sakramentalen Mystik durch und
durch mystisches Gebet, in seinem Aufbau, seiner Sprache, seinen Ge-
danken und Stimmungen. Der Unterschied von der reinen Mystik liegt
nur darin, daß es auf allen Stufen von der Meditation bis zur Höhe der
mystischen Einigung eine innere Beziehung auf ein sinnenfälliges Kult-
objekt aufweist, daß auch die sublimen mystischen Erlebnisse und Zu-
stände (mit Ausnahme der das normale Bewußtsein auslöschender.
Ekstase selbst) in einem engen Zusammenhang mit der äußeren Wahr-
nehmung stehen. Die Gebetserfahrung der Präsenz Gottes stützt sich
auf den Glauben, daß Gott in einem sinnlichen Objekt sich verkörpert,
das Erlebnis der mystischen Einigung gründet in dem sinnlichen Genuß
einer Speise und eines Trankes, durch den der Fromme Gott selbst in
sich aufzunehmen glaubt. Beide Ideen, die Vorstellung von der sinn-
lichen Gegenwart Gottes wie die Idee des Gottesgenusses im heiligen
Mahl sind uralt, sie entstammen der primitiven Religion. Durch die
Verbindung der mystischen Zentralgedanken mit diesen primitiven
Vorstellungen wird jedoch das mystische Erleben in seiner Reinheit
und Zartheit nicht gefährdet und geschwächt; es gewinnt sogar an
Kraft und Feurigkeit, Wärme und Leidenschaft. Die kultisch-sakramen-
tale Mystik ist das deutlichste Beispiel dafür, daß in der Frömmigkeit
Die Brautmystik. 331
Sinnlichkeit und Geistigkeit sich nicht ausschließen, sondern in einer
höheren Synthese vereinigen lassen. Selbst der religiöse Genius vermag
aus der unscheinbaren Äußerlichkeit des Kults Nahrung und Kraft für
seine tiefsten und geistigsten Erlebnisse zu saugen,
b) Die Brautmystik.
Die naive, affektive, phantasiemäßige Mystik tritt zumeist im Ge-
wände der Brautsymbolik auf. Das Verhältnis der Seele zu Gott wird
als Liebes- oder Brautverhältnis gedacht, die ekstatische Vereinigung
mit Gott als zarte Liebesvereinigung, die mystische Seligkeit als schwel-
gende Liebesfreude. Die Idee einer geschlechtlichen Vereinigung des
Menschen mit Gott ist jedoch keine originäre Schöpfung der Mystik,
sondern gehört schon der primitiven Sphäre der Religion an. 52
Eine besondere Rolle spielte das sexuelle Moment im Kult der kleinasiatischen
Religionen. In der hellenistisch-synkretistischen Religionsepoche, in der das
Uralte, Wild-Barbarische zu neuem Leben erwachte, trat die Idee der geschlecht-
lichen Vereinigung (avvovaia, legög yd^og) mit der Gottheit „mit neuer Kraft und
viel ausgedehnter als je in Wirkung". 53 Die Formen, in denen der Mensch
mit der übersinnlichen Gottheit in sexuelle Beziehung tritt, sind sehr
verschieden. Die primitivste Form ist wohl das Beilager mit einem
(häufig grotesk- ithyphallischen) Götterbild ($6avov); 64 einen Rest dieses
Ritus stellt die in manchen Mysterien übliche Zubereitung eines Brautbettes dar,
auf dem der Myste den Gott erwartet; 6S die avvovaia ist jedoch hier nicht
mehr sinnlich, sondern geistig, sie vollzieht sich in visionär-halluzina torischer
Weise. Die sinnlichste Form der religiösen avvovaia ist der Verkehr mit
dem menschlichen Stellvertreter der Gottheit, dem Priester, der Priesterin (Tempel-
hure) oder dem Fremdling (der Fremdling ist. weil er Furcht und Staunen erregt,
mit übernatürlicher Macht erfüllt, darum ,heilig' und göttlich). Die Tempel-
prostitution blühte vor allem in den kleinasiatischen Kultstätten. In Babylonien
war die sakrale Prostitution universell; jedes Mädchen mußte sich vor der Ehe
einem Fremdlinge hingeben, der die Stelle der Fruchtbarkeitsgöttin Ischtar ver-
trat. 56 Die sexuelle Vereinigung mit Gott wird häufig weder sinnlich-fetischistisch
noch sinnlich-real, sondern symbolisch vollzogen. So wurde in den eleusinischen
Mysterien wie im Sabaziuskult den Mysten eine (wirkliche oder bildliche) Schlange,
das Symbol des Phallus, durch den Schoß gezogen. 57 Überall, wo uns im Kult
die Idee der sakralen avvovaia mit der Gottheit begegnet, wird der Mensch
als der weibliche, die Gottheit als der männliche Teil im sexuellen Verhältnisse
betrachtet (der androgyne Charakter mancher Götter wie der Fruchtbarkeits-
götter ändert daran nichts); der Mensch gibt sich hin und empfängt, der Gott
schenkt Leben und zeugt. Die allen sexuellen Riten zugrundeliegende Vorstellung
ist eine doppelte: eine erotisch-anthropopathische und eine magische. Der Mensch
gibt sich geschlechtlich der Gottheit hin, um sich ihre Gunst zu sichern und vor
ihrem Groll sich zu schützen. Wie man mächtige Herrscher und Sieger dieser
Erde gewinnen und umstimmen kann dadurch, daß man ihnen sich preisgibt,
so kann man es auch bei den übersinnlichen Wesen. 68 Die avvovaia trägt
hier den Charakter des Opfers; man kann sie als Keuschheitsopfer bezeichnen.
Noch mehr aber als das Opfermotiv ist das Zaubermotiv wirksam. Der Mensch
suuht durch das unmittelbare Kontagium mit der im Götterbild, im menschlichen
Stellvertreter oder phallischen Symbol gegenwärtigen Gottheit ihre geheimnis-
volle Zaubermacht (,Mana'), ihre Lebenskraft und Unsterblichkeit in sich auf-
zunehmen. Die Jungfrau erlangt durch den Verkehr mit der Gottheit Frucht-
barkeit für die Ehe, der Myste sichert sich durch die heilige avvovaia. ewiges
Leben und ewige Seligkeit. 69
Nachdem im Laufe der Entwickhing die primitiven sinnlichen Sexualriten und
-symbole im Kult und in der Frömmigkeit zurückgetreten waren, lebte die Idee
der avvovaia in der religiösen Sprache fort; das dgibpevov wurde zum
leyönevov ,0. In der höhnen Frömmigkeit wird das religiöse Verhältnis zu
332 FIII. Das Gebet in der Mystik
Gott ungemein häufig als ein Braut- und Eheverhältnis bezeichnet. In manchen
griechischen Mysterien wird der Erlösergott als ,, Braut giam" bezeichnet. 81
Die alttestamentlichen Propheten (Hos. c. 1. 3, Hes. c. 16. 23) betrachten das
Verhältnis Israels zu Jahwe als einen Ehebund, den Abfall von ihm als einen
Ehebruch. Diese prophetische Symbolik gab zweifellos den Anstoß zur religiösen
Deutung des ehedem profanen israelitischen Liebesliederzyklus, des ,Hohen
Liedes'. Der Apostel Paulus vergleicht das Verhältnis von Christus und Kirche
dem innigen Liebesverhältnis von Mann und Weib (Eph. 5 21 — 32); Clemens von
Rom folgt ihm, wenn er sagt: ..Der Mann ist Christus, das Weib die Kirche"
(2 Kor. 14). Schon sehr frühe wurde im Christentum — wohl unter gnostischem
Einfluß — auch das Verhältnis der frommen Einzelseele zu Christus oder Gott
als Liebesverhältnis vorgestellt. 62 Die enthaltsamen, gottgeweihten Jung-
frauen gelten in der alten Kirche als Bräute Christi oder Gottes (vv/xifai
Xqiotov, sponsae Dei oder Christi), sie vermählen sich mit Gott (Deo,
Christo nubere), sind mit ihm verbunden {Christo copulata), sie weihen ihm ihre
Glieder, ihr Fleisch (rd fiekq Xqiot<J> draud-ei-ai, carnem tradere), geben
sich geistig und leiblich Gott hin (tarn carne quam mente deo se vovere). *3
Tertullian sagt von ihnen: „Mit Gott leben sie in Gemeinschaft, mit ihm unter-
halten sie sich, mit ihm gehen sie Tag und Nacht um, ihm bringen sie ihr Gebet
als Mitgift zu, von ihm begehren sie oft sein Wohlgefallen als Brautgeschenk
und erhalten es." 64 Hieronymus mahnt die christliche Gottesbraut: ,, Stets
möge mit dir der Bräutigam in deinem Innern spielen. Betest du, so redest du
mit dem Bräutigam, liest du in der Schrift, so redet er mit dir." „Du sollst im
Innern beim Bräutigam sein." ,, Himmel und Erde verachtend, mit Christus
verbunden, sollst du singen: Mein Teil ist Gott." ,,Laßt uns Christus lieben und
stets seine Umarmungen suchen". 65 Methodius überliefert einen feurigen Psalm
der Jungfrau Thekla, in dem sie mit ihren gottgeweihten Genossinnen den himm-
lischen Bräutigam besingt. Ein Vers dieses Hymnus lautet: „Liebesspender
bist du. Christus; sei gegrüßt, nimmer verlöschendes Licht; der Jungfrauen
Chor, die vollkommene Blüte, singt dir dein Lob, du Liebe, du Freude, du Weis-
heit, du Logos." Der Chor antwortet: ..Dir weihe ich meine Keuschheit; haltend
die flammende Fackel, eile ich dir, Bräutigam, entgegen". 66 So spielt der Braut-
gedanke in dem Frömmigkeitsleben der alt kirchlichen gottgeweihten Jungfrauen
eine bedeutsame Rolle. Aber auch bei den alten Theologen und Mystikern lassen
sich Spuren des Brautmotivs entdecken. Origenes spricht in seinem Kommentar
zum hohen Lied den Gedanken aus, daß die Seele die Braut des Logos sei
(rvfxtftj tov köyov ^v/rj) 67) und „bisweilen von ihm besucht, bisweilen aber
verlassen werde". Makarius schildert das Verhältnis des Frommen zum Herrn
bisweilen als zartes Brautverhältnis. „Die Seele freut sich mit dem Herrn, ihrem
Bräutigam" . „Sie hat Gemeinschaft mit dem himmlischen Bräutigam; denn
verwundet durch seine Liebe, seufzt und sinkt sie dahin vor Sehnsucht nach
dem geistigen und mystischen Verkehr in der unvergänglichen Einigung in Heilig-
keit. Gesegnet und glücklich ist in der Tat eine solche Seele, welche, erobert von
der geistigen Liebe, Gott sich verlobt hat." 68
Eine beherrschende Stellung erlangte der Brautgedanke erst in der
mittelalterlichen Mystik ; von ihr aus betrachtet, erscheinen die mannig-
fachen Spuren des Brautmotivs in der alten Kirche nur als Ansätze. Im
Zeitalter des Minnegesangs und ritterlichen Frauenkults vermählte sich
die aufblühende Christusmystik mit der zarten Erotik der germanisch-
romanischen Völker. Das religiöse Brautmotiv, das längst in der kirch-
lichen Frömmigkeit sich eingebürgert hatte, wurde nun zum Leitmotiv
der weitabgewandten Klostermystik. Der Vater der christlichen Braut-
mystik ist Bernhard von Clairvaux ; er hat als erster die feurige Liebes-
poesie des hohen Liedes als Sinnbild der wechselvollen Erlebnisse einer
affektiven Mystik betrachtet. Aber was bei Bernhard von Clairvaux
noch exegetische Deutung und theologische Theorie war, das wurde in
Die Brautmystik 333
einsamen Nonnenseelen glühendes Erleben, flammende Leidenschaft 69.
Die Frömmigkeit der gottliebenden Nonnen und Frauen ist fortan vom
Brautmotiv beherrscht. Die innigsten und zartesten Klänge weiblicher
Brautmystik tönen uns aus dem Büchlein vom fließenden Licht der
Gottheit' entgegen, das Mechthild von Magdeburg zur Verfasserin hat;
hier ist alles Leben, Liebe, Leidenschaft, Poesie, ungetrübt von jedem
Schatten der Reflexion. Ihren tiefen Erlebnissen und Gesichten hat
sie auch nicht in der gebundenen Kirchen- und Theologensprache,
sondern in ihrer klangvollen Muttersprache, die sie mit wundervoller
Dichtermacht handhabt, Ausdruck verliehen. Aber nicht nur fromme
Nonnen und Frauen, nein auch Mönche und Männer betrachteten seit
Bernhards Erklärung des Hohen Liedes den göttlichen Herrn und
Heiland als den Geliebten und Bräutigam ihrer Seele. Nur jene Persön-
lichkeiten, deren Frömmigkeit sich an der klassischen Gottesmystik
Augustins (Thomas von Aquin, Bonaventura) oder an der Unendlich-
keitsmystik des Areopagiten (Eckhart, Tauler) orientiert, stehen der
Brautmystik ferner. Die beiden Hauptvertreter der mittelalterlichen
Brautmystik sind Seuse und Jacopone da Todi. Auch die weiche, süße
Frömmigkeit des Verfassers der Imitatio zeigt einen deutlichen erotischen
Einschlag. Ebenso ist die nachreformatorische Mystik großenteils vom
Brautmotiv bestimmt; Johann vom Kreuz und Teresa sind ausge-
sprochene Brautmystiker; selbst bei Angelus Silesius, dem kühlen
Unendlichkeitsmystiker, tritt die Brautidee stark hervor. Die pietistische
Frömmigkeit in den Niederlanden wie in Deutschland zeigt vielfach eine
grelle erotische Färbung. 70 Am schärfsten ist das erotische Motiv bei
Zinzendorf durchgebildet. 71 Auch außerhalb des Christentums spielt
der Brautgedanke im mystischen Erleben eine bedeutende Rolle. Im
persischen Sufismus wird das mystische Verhältnis zur Gottheit als
trautes, wonniges Liebesverhältnis, aber auch als schwärmerisches,
erotisch gefärbtes Freundschaftsverhältnis betrachtet. In Indien heftet
sich eine süße und leidenschaftliche Erotik an die mystische Verehrung
des Heilandgottes Krischna oder Räma, einer Inkarnation des Vischnu.
Die erotischen Krischna-Lieder gleichen den liebesinnigen Jesuliedern
des Abendlandes. 72 AuchKäbir, der Stifter der hinduistisch-islamischen
Mischsekte der Sikh, schildert den Gottesumgang als inniges Braut-
verhältnis. 73
Das religiöse Verhältnis der Seele zu Gott wird in der Brautmystik
des Morgen- und Abendlandes als zärtlicher Liebesverkehr dargestellt.
Der ganze poetische Wortschatz dieser Mystik ist erotisch : 74 Liebesblick
und Liebeswort, Liebeskammer und Liebesbett, Liebsswonne und Liebes-
schmerz, Liebesspiel und Liebesscherz, Umarmung und Umhalsung,
Ruhen an der Brust und Drücken ans Herz, Kosen und Küssen, Sich-
geben und Sichschenken, Entkleidung und Vermählung — ■ all die kon-
kreten Bilder einer individuellen Liebespoesie kehren in den Selbst-
bekenntnissen und geistlichen Liedern der Brautmystiker wieder. Wie
in den primitiven Sexualriten, so wird auch in der sublimen Liebes-
r Mystik die Seele stets als der weibliche, Gott als der männliche Teil
des Liebesverhältnisses aufgefaßt. Mit der leidenschaftlichen Liebes-
334 F HI- Das Gebet in der Mystik
hingäbe an den himmlischen Bräutigam verbindet sich nicht selten die
zärtliche Mutterliebe zum göttlichen Kind. Von Schwangerschaft und
Geburt, vom Kosen und Säugen des Jesus-Kindleins reden schwärme-
rische Nonnen, welche die Rolle der Gottesmutter zu spielen wähnen. 75
Selbst bei dem von allem affektiven Überschwang freien Angelus Silesius
begegnen uns diese seltsamen Bilder. 76 Auch die indische Krischna-
mystik und die Mystik der persischen Süfi kennen das herzige, mütter-
liche Gekose mit dem göttlichen Bambino. 77
Für die leidenschaftliche Trunkenheit mystischer Erotik liegen zwei
Deutungen nahe. Man erklärt die religiöse Erotik als eine Sublimierung
der profanen. Die psychanalytische Forschung hat diese Deutung er-
heblich verstärkt; in der mystischen Liebesleidenschaft schafft sich der
unterbundene, eingeklemmte' Sexualaffekt, dem die natürliche Ent-
ladung versagt ist, einen künstlichen Austritt, eine widernatürliche
Befriedigung im Phantasie leben. 78 Mit dieser psychopathologischen
Erklärung berührt sich im Grunde die historische Theorie, die in der
mystischen Erotik nur ein ,survival1' primitiver Sexualriten erblickt;
die rohe Dramatik der geschlechtlichen Vereinigung mit der Gottheit
verfeinerte sich im Laufe der geschichtlichen Entwicklung zur duftigen
Poesie der Brautmystik; an die Stelle des körperlichen Aktes traten
farbenreiche Phantasiebilder. 79 Beide Theorien enthalten richtige
Gedanken ; es ist unzweifelhaft, daß in der Liebesmystik der natürliche
Geschlechtstrieb im Spiele ist; es ist ebenso unzweifelhaft, daß die Idee
der ovvovaia von Mensch und Gott zum großen Erbe der primitiven
Religion gehört. In der hellenistisch-synkretistischen wie in der gno-
stischen Mystik, vielleicht auch in der indischenKrischnamystik sind
die Zusammenhänge der mystischen Brautsymbolik mit dem primitiven
Kultsexualismus direkte und unmittelbare. Beide Erklärungen sind
jedoch ungenügend und verfehlen den psychologischen Kernpunkt.
Die erotische Symbolik muß aus dem psychologischen Charakter dieses
besonderen Typs mystischer Erfahrung begriffen werden. Das mystische
Erlebnis selbst drängt den Frommen dazu, es durch erotische Vor-
stellungen phantasiemäßig zu deuten und auszugestalten. 80
Die Ekstase (bzw. der ekstatoide, der Ekstase sich nähernde Zustand)
wird von dem Mystiker als unfaßliches Wunder erlebt, das nach Er-
klärung und Veranschaulichung verlangt. Der naive Mensch, der nicht
durch metaphysisch-spekulative Gedankenarbeit dieses Erlebnis zu be-
wältigen vermag, greift zu Analogien in der menschlichen Erfahrung.
Das völlige Sichverlieren an einen höchsten Wert, das Erlebnis der
völligen Einheit des Ich mit einem Du und die daraus entspringende
Seligkeit hat ein Analogon in der Liebesvereinigung. Sogar die von
philosophischer Tendenz beseelte und von jedem erotischen Einschlag
freie Unendlichkeitsmystik benützt die sexuelle Liebe als Bild des
ekstatischen Erlebnisses. Die Brhad-aranyaka-Upanishad sagt: ,,So
wie einer von einem geliebten Weibe umschlungen, kein Bewußtsein
hat von dem, was außen oder innen ist, so auch hat der Geist, der von
dem Urselbst umschlungen ist, kein Bewußtsein von dem, was außen
oder innen ist." 81 Plotin sagt von der ekstatischen Einigung : „Es ist
Die Brautmystik 335
kein Zwischenraum mehr da (zwischen der Seele und dem höchsten Gut) ;
es sind nicht mehr zwei, sondern beide sind eins; sie sind nicht von-
einander zu scheiden, solange jenes da ist. Diese Vereinigung ahmen
hier in dieser Welt die Liebenden und Geliebten nach, die miteinander
zu einem Wesen verschmelzen wollen." 82 Wenn schon die größten und
geistigsten aller Mystiker in der geschlechtlichen Liebesvereinigung das
tiefste Symbol des mystischen Einheitserlebnisses erblickten, wie viel
mehr müssen dann einfältige Nonnen, denen die spekulativ-philosophische
Reflexion ebenso fremd ist wie die analytisch-psychologische, das
Gnadenwunder der ekstatischen Wonne als zärtlich-schweigende Liebes-
seligkeit deuten.
Das Erleben eines höchsten Wertes, die restlose Hingabe an ihn bis
zum Untergang des Selbstbewußtseins ist an sich ein rein geistiger
Akt, aber er ist im wirklichen Seelenleben wie alle Werterlebnisse ge-
tragen, begleitet, verhüllt von Gefühlen, Stimmungen, Affekten, trieb-
haften Regungen. In dieser psychologischen Gesetzmäßigkeit liegt es
begründet, daß das rein geistige Erlebnis des höchsten Wertes die
Tendenz hat, eine Verbindung mit sexuellen Affekten und Begierden
einzugehen. Hierin gründet auch die Doppelsinnigkeit des Wortes
, Liebe', das die personalistische Gottesmystik aller Zeiten zu ihrem
Zentralbegriff erwählte (bliakti, EQOjg, amor, mahabba). Es bedeutet
einmal die triebhafte sexuelle Neigung, Begierde und Leidenschaft nach
der sinnlichen Geschlechts Vereinigung, und diese Bedeutung ist die
sprachliche Urbedeutung, wie besonders an dem indischen Worte bhakti
(= Liebes g e n u ß) ersichtlich ; es bedeutet aber ebenso die rein seelische
Liebe, das keusche, geistige, kontemplative Erleben des höchsten Wertes,
das frei ist von selbstsüchtigem Realisierungsstreben. In der spiri-
tualistischen Mystik, in der starke philosophische Motive wirksam sind,
hält sich das lautere Erlebnis des summum bonum, die Gottesliebe, von
allen geschlechtlichen Affekten und Regungen frei ; in der naiven Mystik
hingegen, wo das mystische Erleben durch keine philosophischen Ideen
begrenzt und reguliert ist, assoziiert sich mit dem sublimem mystischen
Liebeserlebnis, mit der metaphysischen Erotik das gefühlsmäßig-trieb-
hafte sexuelle Liebeserlebnis. Aber auch hier ist das grundlegende Er-
le bnis kein emotionelles Phänomen, sondern der reine geistige Akt der
Wertung, der auf ein übersinnliches Objekt abzielt. Das Zentrale in der
Brautmystik ist das spezifisch Mystische, das Sexuelle gehört zur
Peripherie. 83
Die Brautmystik ist durch eine starke Affektivität gekennzeichnet;
in dem Drängen nach einem ständigen Höchstmaß von Affekten liegt
etwas Pathologisches. Nach einem psychologischen Gesetz besitzen
aber aktuelle Affekte von hoher Intensität eine rasche Verlaufsform.
Obgleich nun die Affekterlebnisse dieser Mystiker infolge einer irregulären
bzw. pathologischen Steigerung des gesamten emotionellen Lebens eine
viel längere Dauer besitzen als im normalen psychischen Erleben, folgt
auch auf die starken Affekte eine Erschöpfung des Gefühlslebens, deren
Kontrastwirkung um so höher ist; auf höchste Affektivität folgt völlige
Gefühllosigkeit, eine Erstorbenheit des Emotionellen, aus der jedoch
336 F HI- Das Gebet in der Mystik
nach einiger Zeit völlig spontan, unwillkürlich und plötzlich das Affekt-
erlebnis von neuem hervorbricht; dieses kann jedoch einerseits durch
die auf seine Wiedererlangung gerichtete Willensbemühung, andererseits
durch völlige Resignation vorbereitet und beschleunigt werden. Immer
wieder kehrt bei den nach Gefühlsseligkeit verlangenden Mystikern die
Klage über das zeitweilige Aufhören der emotionellen Fähigkeit, sie
charakterisieren diese Zustände als ,siccitas\ Dürre, Trockenheit, Kälte,
Dunkelheit, Leere, Durst. 84 Diese Polarität im Gefühlsleben liefert
nun das Kriterium der Präsenz Gottes. In der höchsten Wonne erlebt
der Fromme die Nähe Gottes, in der Trostlosigkeit seine Ferne. Dieses
Hin- und Herpendeln zwischen höchster Glückseligkeit und tiefster
Verlassenheit, zwischen Gottesnähe und Gottesferne deutet die lebendige
Phantasie des naiven Mystikers als ein bewegtes Liebesdrama, wie es
die Liebespoesie des jüdischen Hohen Liedes 85 oder der indischen
Gitagovinda 86 in leuchtenden Farben schildert. Der göttliche Bräutigam
vereint sich auf unaussprechliche Weise mit der liebenden Seele, er
umfängt, küßt und herzt sie mit unsagbarer Zärtlichkeit. Aber nicht
lange währt die süße Wonne des Liebesgenusses. „Es kann nicht lange
pauern, wo zwei Liebende heimlich zusammen sind" (Mechthild von
Magdeburg). 87 Der Geliebte entflieht den Armen der Braut und weilt
ferne, um ihre Treue zu erproben; diese, tief unglücklich über ihre Ver-
einsamung, klagt und seufzt nach dem Verlorenen, bis er schließlich
wiederkehrt und die Liebesfreuden von neuem beginnen. Dieser gesetz-
mäßige Wechsel im Affektleben wird von den naiven Mystikern ebenso
wie die Ekstase durch die Phantasiebilder der Liebespoesie veran-
schaulicht, aber nicht nachträglich, bewußt, sondern unbewußt, mitten
im Erleben selbst verbinden sich die erotischen Phantasievorstellungen
mit den Stimmungen und Affekten und den von diesen verhüllten Wert-
erlebnissen.
Die erotische Symbolik ist also innerlich in der Erlebnisweise der
naiven, affektiven, phantasiemäßigen Mystik begründet. Die dem
mystischen Erleben immanenten Tendenzen zur Erotik werden häufig
noch verstärkt durch echte, natürliche Sexualaffekte, deren normale
Äußerung infolge einer verspäteten Pubertät oder der pflichtmäßigen
Hochschätzung des zölibatären Lebens unterbunden ist und die nun in
der Meditation und im Gebet sich eine phantasiemäßige Befriedigung
suchen. Es liegt etwas Wahres in dem harten, höhnischen Worte Nietz-
sches: „Die Hündin Sinnlichkeit blickt mit Neid aus allem, was sie tun.
Noch in die Höhen ihrer Tugend und bis in den kalten Geist hinein
folgt ihnen dies Getier und sein Unfriede." 88 Ganz deutlich ist das
stürmische Drängen und Wühlen des natürlichen sexuellen Triebes bei
jenen schwärmerischen Nonnen zu erkennen, bei denen der geistig-
phantasiemäßige Verkehr mit dem himmlischen Bräutigam und dem
göttlichen Bambino die Formen des sexualpathologischen Fetischismus
annimmt. So pflegte Margareta Ebner einen großen hölzernen Crucifixus
des Nachts in ihre Zelle zu nehmen, auf ihrem Lager zu umarmen und
an ihr bloßes Herz zu drücken; auch war sie gewohnt, die Statue des
Jesuskindes an ihrer Brust zu säugen 89. Der primitiv-barbarische Ritus
Das Gebet der Brautmystik 337
der ovvovaia rait dem göttlichen £6avov kehrt in der Hysterie
dieser liebeskranken Nonne ganz genau wieder. Dennoch wird jeder,
der das ganze Frömmigkeitsleben dieser Mystikerin in seiner tiefen
Geistigkeit und warmen Gottinnigkeit kennt, einsehen, daß dem natür-
lichen Sexualeffekt nur eine sekundäre Bedeutung zukommt. Die sexuelle
Erotik gehört zur Randzone des mystischen Erlebens, sie steht nicht in
seinem Mittelpunkt.
Das Gebet der Brautmystiker deckt sich in seinen Grundzügen mit
dem Normal typus des mystischen Betens. Der Aufstieg von der Kon-
zentration zur Kontemplation läßt sich auch hier deutlich verfolgen.
Aber im Unterschied von der Gebetsweise der spiritualistischen Mystik
trägt das Gebet der Liebesmystik einen viel persönlicheren, mensch-
licheren Charakter. Die Erhebung der Seele zum höchsten Gut wird
zum schwärmerisch-trunkenen Liebesgespräch mit dem himmlischen
Bräutigam. Die willensmäßige Konzentration auf das Höchste wird zur
verzehrenden Liebessehnsucht, die entzückte Kontemplation des sum-
mum bonum zur wonnevollen Liebesseligkeit, zur intimen Liebes-
plauderei, zum tändelnden Liebesspiel, das sich in stammelnden Worten
oder wortlosen Phantasievorstellungen vollzieht. Im Gebet spielt sich
der zärtlich-traute Liebesumgang der mystischen Seele mit dem himm-
lischen Geliebten ab. ,,Das Gebet," sagt Mechthild von Magdeburg,
„bringt zusammen die zwei Liebenden, Gott und die Seele, in eine
wonnigliche Stätte, da reden sie viel von Liebe." 90
1. Die Gebetsanrede.
Schon die Anrede an Gott offenbart den erotischen Charakter dieser
Mystik. Der spiritualistischen Mystik sind die folgenden Ausdrücke
ebenso fremd wie der primitiven Religion und der prophetischen Fröm-
migkeit.
,,Dulcissime et amantissime Jesu, dilectissime sponse, amator purissime"
(Imitatio) 91. „Dulcissime et amantissime iuvenis, o dolce e amoroso cavaliere"
(Katerina von Siena) 9a. „Herzlieber, mein Trauter!" (Else von Neustadt) ".
„Mein herzeliches Lieb', herzensliebes Jesulein!" (Margarethe Ebner) '*. „Süßer
Herr, schöner Jüngling, wonniglicher Jüngling Jesu, lieber Bräutigam, mein
süßer Jesus Christus, Viellieber, Lieb vor allen Lieben, mein Herzlieb, viellieber
Buhle mein!" (Mechthild von Magdeburg) 9S. „Allersüßester Jesu Christe,
minnigliiher, schöner Herr, zarter Herr, mein Geliebter, mein Lieb, o du alle
Lieb übertreffendes Lieb, zarter, trauter, unschuldiger Buhle!" (Seuse) 9S. „Aller-
schönstes Wesen, Seelenbräutigam, reiner Bräutigam meiner Seele, Liebe, Liebster,
Herzliebster, Herzensknabe!" (Zinzendorf) 97.
2. Die Liebessehnsucht.
Die Bitte um die mystische fruitio Dei wird in dor Brautmystik zur
Bitte um die Liebesseligkeit in den Armen des himmlischen Bräutigams.
„Das Kämmerlein unserer Vertraulichkeit ist verschlossen, das Bettlein unserer
Liebe ist mit Blumen geschmückt, komm, geliebtes Lieb! Es gehört nun nichts
mehr dazu, als daß du mich in den Armen deiner unergründlichen Liebe süß
entschlafen lassest" (Seuse) 98.
„Sposo mio novello, sposo dolce fiorito
Sposo mio dolce, lo cor m'hai envaghito,
II nostro leticello e di rose aulito,
Li tu sposo e marito, t'hai da riposare." (Jacopone da Todi) *'.
Dae Gebet 22
338 FIII. Das Gebet in der Mystik
„Eija, Herr, minne mich sehr und minne mich oft und lange; je öfter du mich
minnest, desto reiner ich werde; je heftiger du mich minnest, desto schöner ich
werde, je länger du mich minnest, desto heiliger werde ich hier auf Erden."
„Könnte ich dich, Herre, mit Zauber gewinnen, daß du nicht möchtest ruhen
denn ohne mich! Eija, so ginge es an ein Minnen, so müßtest du mich dann bitten,
daß ich feurig werde mit Sinnen." „Eija, Herre, möchte mir das zu einer Stund
geschehen, daß ich dich nach meines Herzens Wunsche möchte ansehen und mit
Armen umfangen, deiner göttlichen Minne Lust müßte durch meine Seele gehen,
soviel als Menschen auf Erden kann geschehen." „Jesus, viellieber Buhle mein,
laß mich in wahrer Ruhe und in herzlicher Liebe zu dir hin und laß mich nimmer
erkühlen; wenn ich deine herzliche Minne in meinem Herzen und meiner Seele
und in meinen fünf Sinnen und in allen meinen Gliedern ohne Unterlaß empfinde,
dann kann ich nicht erkühlen." „Du weißt wohl, wie du rühren kannst die Saiten
in der Seele mein, eija, das beginne allsogleich, daß du immer selig mögest sein.
Ich bin eine unedle Braut, jedoch bist du mein edel Traut, des' will ich immer
freuen mich. Gedenke, wie du herzen kannst die reine Seele in deinem Schoß,
o vollbringe es, Herr, an mir sogleich. Allein sei ich dein Bettgenoß. Eija, zieh
mich, Herr, hinauf zu dir, so werde ich rein und klar. Lassest du mich in mir selber,
so bleibe ich in Finsternis und Schwere" (Mechthild von Magdeburg). 10° „Nimm
mich, mein Jesu, in die süße Gemahlschaft deiner Liebe; laß mich da kosten den
Kuß deines honigfließenden Mundes." „Nimm mich auf deinen Arm. Laß mich,
dein Schäflein, schwanger von deinem Geiste, ruhen in deinem Schoß." „Sieh,
mein Herz brennt nach dem Kuß deiner Liebe. Tu mir auf das traute Schlaf-
gemach deiner Liebe. Sieh, meine Seele dürstet nach der Umarmung in der
innigsten Einigung mit dir" (Gertrud). 101 „Ich bitte dich, mein Herr, daß du
dich minniglich und barmherziglich allen unseren Begierden gebest. . . . Und
gib uns den Kuß des ewigen Friedens durch das Herze in die Seele mit der aller-
süßesten Empfindung, da deine lautere Seele kein reines Herz in rechter minnender
Lust des allersüßesten Kusses je empfunden oder empfangen hat" (Margaretha
Ebner) loa. Eine noch leidenschaftlichere Liebessehnsucht ergießt sich in den
sprunghaften Versen des Jacopone da Todi.
..Amor amor, Jesu desideroso,
Amor voglio rnorire, te abracciando,
Amor amor Jesu, dolce mio sposo;
Amor amor, la morte t' adimando,
Amor amor Jesu si delettoso,
Tu me t' arendi in te me transformando,
Pensa che io vo pasmando
Non so amor o' mi sia,
Jesu, speranza mia,
Abissami en amore." 10S
Im Zustande der siccitas der Gefühlstrockenheit, in dem alle zarten
Stimmungen versiegt sind, wird die Sehnsucht nach Gottseligkeit zur
ergreifenden Liebesklage. Die trostlose, ,liebessieche' Seele klagt ihre
tiefe Not und Verlassenheit und seufzt mit heftiger Inbrunst nach ihrem
ferne weilenden oder sich verbergenden Bräutigam.
„Wenn meine Augen trauern elendiglich und mein Mund schweiget einfältiglich
und meine Zunge ist mit Jammer gebunden und meine Sinne mich fragen von
Stunde zu Stunde, was mir sei, so ist in mir, Herre, alles nach dir; und mein
. Fleisch mir verfallet, mein Blut vertrocknet, mein Gebein erschauert, meine
Adern krampfen, und mein Herze schmilzt nach deiner Minne und meine Seele
brennet mit eines hungrigen Löwen Stimme." „O du unzahlbarer Schatz in
deinem Reichtum, o du unbegreifliches Wunder in deiner Mannigfaltigkeit, o du
endlose Ehre in deiner Edelkeit! Wie weh mir nun nach dir sei, da du willst
schonen mein, das möchten dir alle Kreaturen nicht völlig sagen, ob sie müßten
für mich klagen, denn ich leide unmenschliche Not, mir täte viel sanfter ein mensch-
licher Tod. Ich suche dich mit Gedanken wie eine Jungfrau verhohlen ihr Lieb.
Darüber muß ich sehr kranken, da ich mit dir gebunden bin; das Band ist stärker,
Das Gebet der Brautmystik 339
denn ich sei, darum kann ich nicht werden von Minne frei. Ich rufe dich mit
großer Gier, in elendiger Stimme. Ich harre dein mit schwerem Herzen, ich mag
nicht ruhen, ich brenne unverlöscht in deiner heißen Minne. Ich jage dich mit
Allmacht. Hätte ich eines Riesen Kraft, die wäre bald von mir verloren, käme
ich recht dir auf die Spur. Eija, Lieber, nun laufe mit mir nicht zu lange vor
und ruhe ein wenig minniglich, auf daß ich dich ergreife" (Mechthild von Magde-
burg). 104 „Eija. Jesu, alleiniger Geliebter meines Herzens, süßer Liebhaber,
Geliebter. Geliebter. Geliebter über alles, was je geliebt worden ist, nach dir, o
lebender, blühender Frühlingstag, seufzet und schmachtet meines Herzens Liebes-
sehnsucht .... Du hast das Innerste meines Herzens verwundet durch deine
Gestalt und Schönheit. Mein Geliebter, mein Geliebter, wenn ich nicht mit dir
vereint werde, kann ich ewig nicht froh werden." (Gertrud). 10S ,, Wahrlich. Herr,
wenn eine Seele so recht sehnsuchtsmatt nach dir und nach dem süßen Liebes-
kosen deiner süßen Gegenwart wird, Herr, so schweigst du und sprichst auch
nicht ein einzig Wort, das man hören möchte. O weh, mein Herr, soll das nicht
weh tun, wo du doch, zarter Herr, das einzige auserwählte Herzlieb bist, daß du
dich dann so fremd gebärdest und so still schweigst. O weh, zartes, auserwähltes
Lieb, nun weißt du doch wohl, daß einem Lieb alles ungenügend ist, das sein
einziges Lieb, sein einziger Trost nicht selber ist. O weh, Herr, du solltest —
darf ich es aussprechen? — den armen liebenden Herzen ein wenig treuer sein,
die da nach dir darben und vergehen, die so manchen innigen, unergründlichen
Seufzer nach dir. ihrem einzigen Lieb, aufsteigen lassen, die so sehnsuchtsmatt nach
dir aufsehen und mit herzlicher Stimme sprechen: Revertere, reverterel"
(Seuse). 109
„Schmachtend um euch, muß, Lieb', ich mich verzehren
Und rufend geh'n umher, dich zu umfangen;
Lebendig sterb' ich, willst du nicht mehr kehren.
Und wein' und seufz', aufs neu dich zu erlangen.
Und kehrst du. kann die Enge nicht mehr wehren,
Es wächst das Herz, das in dich aufgegangen;
O stille mein Verlangen,
Komm, heile meine Wunden,
Lieb' hält mich so gebunden.
Die letzte Kraft entschwand." (Jacopone da Todi). 107
3. Liebesseligkeit.
Wenn die unlustvolle Gefühlskälte der lustvollen Wärme des Liebes-
affektes Platz gemacht hat, dann bricht die strömende Wonne des
Herzens im süßen, trauten Liebesplaudern durch. „Nun fange ich an,"
bekennt Seuse, „mit Freiheit zu reden; ich will reden zu meinem Herrn,
zu meinem Gemahl, niemand kann mich abhalten. Ich will mit meinem
Geliebten kosen, denn das begehre ich von Herzen." 108 Der Affekt ist
oft so gewaltig, daß die Sprache versagt und nur abgerissene Lallworte
von den Lippen des gottbegnadeten Menschen kommen. „Es sind Worte
der Liebe," lehrt uns Teresa, „die Seele kennt in ihrer süßen Ent-
zückung nicht mehr den Unterschied zwischen Gott und sich selbst;
die Liebe, die sie von ihm empfing, bewirkt, daß sie sich selbst ver-
gessend in ihm wiederfindet, als etwas, das sein eigen ist; und in diesem
Zustand geschieht es, daß sie in trunkener Seligkeit nur stammeln
kann." 109 Bisweilen aber bleibt die Liebesseligkeit ganz stumm, das
Liebesgebet ist dann nur ein wortloses Entzücktsein und Genießen,
Kosen und Umarmen. „Was, mein Geliebter," sagt Seuse, „was, Er-
füllung all meiner Begierde, was soll ich, geliebter Herr, sagen, wo ich
doch vor Liebe verstummt bin ? Mein Herz ist voller Liebesworte,
könnte meine Zunge sie nur vorbringen ! Es ist grundlos, was ich emp-
340 F HI. Das Gebet in der Mystik
finde, es ist endlos, was ich liebe, und darum wortlos, was ich im Sinn
habe." no Von dem trunkenen Liebesstamme In und süßen Liebeskosen
in solchen Gnadenstunden geben uns die dichterischen Liebesgebete
der Brautmystiker nur ein schwaches Bild.
„Du bist doch den Augen der Allerhöchste, dem Mund der Allersüßeste, der
Berührung der Allerzarteste, dem Heizen der Allerliebwerteste." „Du bist mein
König, du bist mein Herr, du bist mein Lieb, du bist meine Freude, bist meine
gute Stunde, du bist mein fröhlicher Tag, bist alles, was dem Herzen freundliche
Lieb' bereiten mag. Und darum, mein Geliebter, was bedarf es noch der Rede:
Du bist mein, so bin ich dein, und das muß immer und ständig sein" (Seuse). 110
,,Tu totus meus, et ego totus tuus", betet auch der Verfasser der Imitatio. nl
„Sieh' da, mein liebliches Lieb, so entblöße ich mein Herz und in der einfältigen,
aller Geschaffenheit baren Nacktheit umfange ich deine erscheinungslose Gott-
heit" (Seuse) nJ. „Herr, nun bin ich eine nackte Seele und du in ihr selber ein
wohlgezierter Gott. Unser zweier Gemeinschaft ist die ewige Liebe ohne Tod."
„Dein Blut und mein Blut ist ungetrübt und eines, deine Minne und meine Minne
ist ungeteilt und eine, dein Kleid und mein Kleid ist unbefleckt und eines, dein
Mund und mein Mund ist ungeküßt und wird einer" (Mechthild von Magde-
burg). "»
„Mein Jesu, sei gegrüßet,
Sei tausendmal geküsset,
Sei brünstiglich umfangen,
Du, meines Geists Verlangen." (Zinzendorf). nl
Das Beten der Brautmystik weist von allen Formen des mystischen
Betens die größte Verwandtschaft mit dem naiven Bittgebet auf. In
ihm lebt etwas von dem naiven Eudämonismus und Egoismus des naiven
Beters: es verbindet mit der ausschließlichen Hinwendung auf Gott das
Verlangen nach lustbetonten Stimmungen und Affekten, hinter dem
ein gewisser Egoismus, eine geheime Genußfreude sich verbirgt. Die
dem Gebet zugrundeliegende Gottesvorstellung verrät denselben kon-
kreten Anthropomorphismus, der allem primitiven Beten zugrundeliegt.
Gott ist nicht das völlig geistige, unendliche summum bonum, sondern
der milde und liebevolle Bräutigam, der so menschlich denkt und fühlt,
der von derselben heißen Liebessehnsucht brennt wie die fromme Seele,
die sich in der Liebe zu ihm verzehrt. Das Gebet der erotisch gefärbten
Mystik zeigt ferner viel deutlicher als das rein kontemplative Beten
der Mystik den primitiven Realismus des unmittelbaren Verkehrs mit
Gott. Das Verhältnis zu Gott ist, wie im naiven Beten, der deutliche
Reflex einer soziologischen Beziehung, des irdischen Liebes- und Braut-
verhältnisses. Dem intimen Liebesverhältnis entsprechend, treten Scheu,
Ehrfurcht und Abhängigkeitsgefühl im Beten zurück: Mechthild wird
vom Herrn aufgefordert, „Furcht und Scham abzutun"; 115 Teresa er-
zählt, daß sie im Liebestaumel „in dreister Weise mit Gott rede". 116
Katharina von Emmerich berichtet: „Wenn ich manchmal nachts in
meiner Zelle von der Liebe und Barmherzigkeit hingerissen, in trunkener
vertraulicher Rede gegen ihn ausbrach, wie ich es von Kind auf getan
habe, und ich wohl belauert ward, ward ich großer Keckheit und Ver-
messenheit gegen Gott beschuldigt." 117 Die Niveauunterschiede
zwischen Mensch und Gott verschwinden: Liebender und Geliebter
stehen auf einer und derselben Stufe. „Du bist mein, ich bin dein,"
ruft die mit ihrem himmlischen Bräutigam eins gewordene Seele; und
Die quietistische Mystik 341
dieses Gebetswort hallt wieder im göttlichen Echo. „Du bist mein und
ich bin dein," antwortet Christus der hl. Teresa; 118 ,,du bist mein Lieb,
so bin ich dein Lieb," spricht der Heiland zu Margaretha Ebner. 119
Das Bewußtsein der Distanz von Mensch und Gott, das dem primitiven
Gebet wesentlich ist und das auch in der reinen mystischen Kontem-
plation des summum bonum so ergreifenden Ausdruck findet, ist in der
Liebesseligkeit des Brautmystikers untergegangen.
All diese Momente — die zarte und leidenschaftliche Erotik, das naive
Seligkeitsverlangen, der kräftige Anthropomorphismus, der Reflex
irdisch-sozialer Beziehungen, das Aufhören des Abstandes von Mensch
und Gott — unterscheiden das Gebet der Brautmystik deutlich von
dem Gebet der reinen spiritualistischen Mystik. Dennoch stellt es gegen-
über letzterem nicht einen selbständigen Gebets typus, sondern lediglich
eine Variante dar. Schon der eine Umstand, daß in der Frömmigkeit der
Brautmystiker spiritualistische, kontemplative Gebete neben naiven,
erotisch gefärbten stehen und in sie übergehen, weist darauf hin, daß
beide Gebetsweisen keine Gegensätze darstellen. In dem süßen bräut-
lichen Liebesgespräch nimmt nur die mystische Konzentration und
Kontemplation des summum bonum schlichte und herzliche menschliche
Formen an. Die Hinwendung zum Höchsten, das Aufgehen im Unend-
lichen verliert seinen abstrakten Charakter und gewinnt lebendige
Anschaulichkeit und konkrete Farbe. Die Brautmystik hat darum
etwas Gemeinsames mit der Kultmystik; beide zeigen gegenüber der
völlig geistigen Mystik ein sinnliches Moment. Diese holt ihre Innigkeit
und Wärme aus der Schau eines äußeren, wahrnehmbaren Kultobjekts,
jene entzündet ihre Leidensschaft und Herzlichkeit an den farben-
gesättigten Phantasiebildern der Erotik. Beide aber sind in ihrer glühen-
den Gottesliebe und Gottesbegeisterung echte Mystik.
c) Die quietistische Mystik.
Die quietistische Mystik muß aus dem Gegensatz zur affektiven Braut-
mystik begriffen werden. Der Quietismus sucht die durch die Er-
schöpfung des Affekts bedingten Zustände der Erstorbenheit des Gefühls,
der ,Kälte', , Dürre', Trostlosigkeit durch radikale Resignation und
Indifferenz zu überwinden. Der quietistische Gedanke taucht schon
bei den mittelalterlichen Brautmystikern (Mechthild von Magdeburg,
Seuse, Imitatio) auf, stärker tritt er bei Teresa hervor; hier ordnet
er sich jedoch überall dem Brautmotiv unter ; bei Franz von Sales über-
wiegt bereits die quietistische Idee das Brautmotiv. In der romanischen
Mystik des 17. Jahrhunderts gelangte schließlich der Quietismus zur
Alleinherrschaft 120 und erzeugte einen Typ mystischer Erfahrung, der
die christliche Frömmigkeit in ihrem Mark bedrohte. Mit einem ge-
sunden Instinkt hat zuletzt die Kirche die radikale Ausprägung des
Quietismus abgelehnt. Die älteren Quietisten, Franz von Sales, Madame
Chantal, Frere Laurent de la Resurrection, Bischof Petrucci, Kardinal
Bona blieben noch unbehelligt. Erst als durch die Schriften Guyons
und noch mehr durch den Guida spiritale des Molmos die quietistische
Frömmigkeit den ganzen romanischen Katholizismus erfaßt hatte,
342 FIII. Das Gebet in der Mystik
wurde sie als häretisch gebrandmarkt: Molinos mußte abschwören,
Fenelon mußte Widerruf leisten, Päre Lacombe und Madame Guyon
wurden verfolgt. Aus der katholischen Kirche verdrängt, fand der
Quietismus in protestantischen Kreisen (Arnold, Tersteegen) begeisterte
Aufnahme. Eine Parallele zum quietistischen Gedenken in der abend-
ländischen Mystik bietet jene Richtung der indischen Bhakti-Mystik,
welche tydga (Hingabe) und prapatti (Gelassenheit) als religiöses Ideal
preist. 121
Die quietistische Mystik ist affektlos; sie strebt nach völliger Apathie,
Willenlosigkeit, Leere; die rücksichtslose Mortifikation der Sinnes-
empfindungen und natürlichen Gefühle steigert sich bei Madame Guyon
zu pathologischer Selbstquälerei. Die konsequente quietistische Mystik
verhält sich völlig ablehnend gegen alle ekstatischen und visionären
Erfahrungen. Die außerordentlichen mystischen Erlebnisse sind für sie
ebensowenig wie die zarten Lustgefühle und schmelzenden Seligkeits-
stimmungen das Kriterium für die gnadenreiche Präsenz Gottes. Die
quietistische Mystik ist phantasielos im Gegensatz zu dem Reichtum
an bildhaften Vorstellungen, den die Kultmystik und Brautmystik auf-
weisen. Die nach der Vollkommenheit strebende Seele muß, wie Kardinal
Bona sagt, „von allen bildlichen Vorstellungen sich mehr und mehr aus-
leeren, der Glaube muß zum nackten Glauben werden, mit dem sie
unmittelbar Gott selbst und nur ihm sich zuwendet." 122 Die quietistische
Mystik verwirft das erotische Verlangen der Brautmystiker ,,nach
süßen Gefühlen und zärtlichen Tröstungen" (Teresa), 123 nach dem „etre
caresse" (Guyon) 124 als geheimen Egoismus. „Die Frömmigkeit," sagt
Franz von Sales, „besteht nicht in dieser sanften Stimmung, nicht in
fühlbarem Trost und in der süßen Zärtlichkeit des Herzens, welche
Tränen und Seufzer hervorbringt." 125 Der wahre Fromme muß lust-
volle und unlu.stvolle Stimmungen in gleicherweise aus der Hand Gottes
hinnehmen: „Licht und Finsternis, Leichtigkeit und Unfruchtbarkeit,
Kraft und Schwäche, Versuchung, Mühe, Langweile und Ungewißheit."126
Der Zustand der siccitas, der vollen inneren Trostlosigkeit und Ver-
lassenheit gilt als ein geistiges Martyrium, als Nachfolge des gekreuzigten
Heilandes, durch welche die Seele zur Vollendung gelangt. „Qui n'a
pas le goüt de la croix, n'a pa3 le goüt de Dieu," sagt Madame Guyon 127.
Das religiöse Ideal der quietistischen Mystik ist die sanc ta indifferentia,
die absolute Resignation, die völlige Gleichförmigkeit des menschlichen
Willens mit dem göttlichen, die interesselose Liebe zu Gott (amour
desinteresse). Das quietistische Gebet kann darum nichts anderes sein
als die Realisierung dieser sainte indifference. „Beten und Resignation
ist eines und dasselbe," lautet ein Axiom des Molinos. 128 Diese quie-
tistische Indifferenz ist eine vage, sanfte Stimmung, sie entbehrt jeder
Affektivität, darum tritt sie meist nicht nach außen im Gebetswort
und Gebetsruf; das quietistische Gebet ist fast stets wortlos. In tiefster
Ruhe und in völligem Schweigen verharrt die Seele, die all ihr Wünschen
und Begehren ertötet hat. Molinos und Frere Laurent enthielten sich
beim Beten jeden Wortes, sie hielten sich unfähig selbst das Vaterunser
zu sprechen. 129 Madame Guyon sagt von der im Indifferenzzustand
Das quietistische Gebet 343
befindlichen Seele: „Ein mündliches Gebet zu tun ist ihr kaum noch
möglich. Ein einziges Unservater würde sie eine Stunde hinhalten." 13°
Aber nicht nur von Worten, sondern auch von allen konkreten Vor-
stellungen muß sich der Beter frei halten. Bischof Pietro Petrucci sagt:
,rDas innere Herzensgebet, welches die Seele ohne Worte in der stillen
Ruhe, die sie in Gott hat, verrichtet, ist die Äußerung des von allen
Stützen der Erkenntnis, von allem Gefühl und allen bildlichen Vor-
stellungen befreiten, reinen, einfachen, nackten, dunklen Glaubens und
der von aller Lohnsucht freien, reinen Liebe." 131 Einer der verur-
teilten Sätze des Molinos lautet : „Man muß im Gebete mit einem dunklen
und allgemeinen Glauben in Ruhe beharren und muß jeden anderen
konkreten Gedanken an Gottes Eigenschaften vergessen." 132 Die Ent-
leerung des Psychischen von allem Vorstellungs-, Gefühls- und Willens-
leben bedingt bisweilen eine Trübung des Bewußtseins. Darum die
Maxime der Madame Guyon: „Dieses Gebet bedarf keiner Worte, ja
der Betende braucht sich seines Betens gar nicht einmal klar bewußt
zu sein." 133
Den ganzen Inhalt des quietistischen Gebets bildet die Willens-
hingabe an Gott, die restlose Ergebung in seinen Willen, die Aufopferung
des eigenen Ich.
Ein spanischer Mystiker, Gregor Lopez, betete drei Jahre lang kein anderes
Gebet als die Worte: „Dein Wille geschehe wie im Himmel also auch auf Erden!
Amen. Jesu". 1S* Madame Chantal betet im Zustand tiefster Trostlosigkeit:
„Ja, Herr, tue was dir gefällt; ich will es. Vernichte mich, ich bin damit zufrieden.
Zermalme mich, ich will es. Reiße aus, haue ab, verbrenne alles nach deinem
Belieben, ich gehöre ganz dir an". 13S Dieselbe grandiose Selbstverachtung und
Selbstpreisgabe kommt in einem Gebet der Madame Guyon zum Ausdruck:
„O du Wille meines Gottes würdest in der Hölle mein Paradies sein. Du Paradies
würdest ohne den Willen meines Gottes nur eine Hölle sein! O mein Gott,
mache meinen Willen zunichte und mir soll nichts lieber sein wie
meine Vernichtung! O du Wille meines Gottes, du bist das Paradies des
Paradieses, der Gott meines Gottes!" 13* Die restlose Selbsthingabe an Gottes
Willen geht bei dieser Mystikerin sogar so weit, daß sie „einwilligt in den Verlust
der ewigen Seligkeit", daß sie ,,Gott selbst bittet, ihre Seele in die Hölle zu werfen,
damit sie nicht länger gegen ihn sündige". Auch „in der ewigen Verdammnis
will sie Gott lieben und durch die vollkommenste Ergebnng in seinen Willen
seinen heiligen Namen verherrlichen" 137. In abgeklärter Form kommt diese
rücksichtslose Hingabe an Gott in den Gebeten Föneions zum Ausdruck, „Herr,
ich weiß nicht, um was ich dich bitten soll. Nur du weißt, was ich brauche. Du
liebst mich besser, als ich mich selbst zu lieben weiß. Ich wage dich nicht zu
bitten, weder um Kreuze no^h um Tröstungen, ich bringe einfach mein Herz dir
dar. Schlage oder heile, beuge mich nieder oder richte mich auf; ich bete alle
deine Ratschläge an, ohne sie zu kennen. Ich schweige nur, ich bringe mich dir
zum Opfer; ich gebe mich dir hin. Ich habe kein anderes Verlangen, als deinen
Willen zu tun. Lehre mich beten, bete du in mir". 138
Die quietistischo Indifferenz schließt alles Bitten aus dem Gebet aus;
denn das Bitten geht aus dem Wünschen, Sehnen und Vorlangen hervor,
das der quietistischo Mystiker ertöten muß. „Die Seele," sagt Franz
von Sales, „hat Gott gegenüber keine andere Stimmung als die der
Erwartung (attente), welche die Furcht und Hoffnung als Regungen
der Selbstsucht ausschließt." 139 Weil alles Eigenwünschen und Eigen-
wollen vernichtet werden muß, darum sind Bitten um geistigo Gaben
und Gnaden ebenso verpönt wie solcho um Leben und Gesundheit.
344 Pill. Das Gebet in der Mystik
Madame Guyon beteuerte dem Bischof Bossuet, daß sie unfähig sei,
Gott im Gebet Bitten vorzutragen. 140 Einer der verurteilten Sätze des
Molinos besagt: „Wer sich dem göttlichen Willen überlassen hat, dem
geziemt es nicht, Gott um irgend etwas zu bitten, weil das Bitten als
Akt des eigenen Willens und der eigenen Wahl eine Unvollkommenheit
ist und ein Begehren, daß der göttliche Wille sich nach dem unsrigen
gestalte und nicht der unsrige nach dem Willen Gottes." Auch das Dank-
und Preisgebet ist verwerflich. „So wie diese Seelen Gott um nichts
bitten dürfen, so dürfen sie auch nicht für etwas danken, weil das eine
ebenso wie das andere ein Akt des eigenen Willens ist." 141 Angelus
Silesius hat diese Gedanken in ein poetisches Gewand gehüllt.
„Begehrst du was mit Gott, ich sage klar und frei,
Wie heilig du auch bist, daß es dein Abgott sei."
„.Wer Gott um Gaben bitt't, der ist gar übel dran.
Er betet das Geschöpf und nicht den Schöpfer an."
„Mensch, so du Gott noch pflegst urn dies und das zu danken,
Bist du noch nicht versetzt aus deiner Schwachheit Schranken."
„Wie selig ist der Mensch, der weder will noch weiß,
Der Gott (versteht mich recht) nicht giebet Lob und Preis". I4a
Als reines Ergebungsgebet trägt das Gebet der quietistischen Mystik
einen gewissen passiven Charakter; der Beter fordert und fleht nicht,
er überläßt sich ohne Vorbehalt dem souveränen Willen Gottes. Darum
sprechen die Quietisten gerne vom ,passiven Gebet' oder ,passiven
Herzensgebet' als dem allein wahren und vollkommenen Gebet 143. Sie
vergleichen die gelassene, gotthingegebene Seele mit dem Wachs, das
sich nach Belieben drücken und formen läßt, 144 mit einer leblosen Statue,
die ihr Besitzer nach seinem Gutdünken dahin oder dorthin stellt.
Franz von Sales sagt:
„Wenn man sich in die Gegenwart Gottes gestellt hat, so bleibt man immer
darin. Man sieht nicht auf ihn, noch spricht man von ihm; man bleibt ganz ein-
fach da, wohin man von Gott gesetzt ist, wie eine Statue in ihrer Nische. Würde
man eine solche fragen: warum bist du da, so würde sie antworten: weil der Bild-
hauer mich dahin gestellt hat. Warum bewegst du dich nicht? Weil er will,
daß ich unbeweglich bleibe. Aber hättest du nicht gerne die Kraft, dich zu be-
wegen um näher zu ihm hintreten zu können ? Nein, es sei denn, daß er es befehle.
Hast du denn gar keine Wünsche ? Nein, denn ich bin da, wohin mich mein
Meister gestellt hat; sein Belieben ist die einzige Befriedigung meines Wesens". 14fc
Aber diese Passivität und Willenlosigkeit ist nur die Außenseite des
quietistischen Ergebungsgebets; hinter ihr verbirgt sich eine lebendige
Aktivität und Willenskraft. Nach Madame Guyon ist das stille passive
Herzensgebet nicht ein dumpfes Brüten ohne Leben, sondern ein freies,
lebendiges ,Haften' (adherance) an Gott. 146 Die vorbehaltlose Selbst-
hingabe, die gänzliche Überlassung an Gott, die radikale Aufopferung
des Willens ist eine Willenstat, sie ist nur möglich, bei höchster Span-
nung geistiger Aktivität und verträgt sich nicht mit einer Herabdämpfung
der Bewußtseinshelligkeit. Erst wenn diese Willensspannung erlahmt,
beginnt das Bewußtsein sich zu trüben, die mystische Seele geht aus
dem Gebetszustand der Indifferenzstimmung über in den nirväna-
ähnlichen Zustand des ,mystischen Todes', der ,Vernichtung' (s. o.S. 316 f.).
Auch das quietistische Beten ist getragen und durchdrungen von dem
geheimnisvollen Erlebnis der Präsenz Gottes im tiefsten Seelengrunde,
Die Versenkung im Buddhismus 345
das allem mystischen Beten wesentlich ist. Im lautlosen Schweigen und.
in der ruhevollen Gelassenheit spürt der Quietist den sanften Hauch
Gottes. An die ungemein vage, unbestimmte Indifferenzstimmung
knüpft sich die Erfahrung von der Gegenwart eines Unendlichen. Für
manche quietistische Mystiker schrumpft überhaupt das Ergebungs-
gebet zum bloßen Erlebnis der Präsenz Gottes zusammen. Frere Laurent,
„in dessen Leben die quietistische Frömmigkeit in vollendeter Gestalt
erscheint," sagt, seine Gebete seien nichts anderes als ,Vexercice de la
prescence de Dieu1. 147
Das quietistische Gebet ist die radikalste Form, die das Beten an-
nehmen kann. Die quietistische Mystik löst das echte Gebet ebenso auf
wie die kalte philosophische Kritik. Der Gedanke an Gottes Gegenwart
bleibt schließlich als der einzige kümmerliche Rest des wüklichen Betens.
Hierin liegt auch der einzige Unterschied zwischen dem quiet istischen
Gebet und der buddhistischen Versenkung, der ,sainte indifferencei des
christlichen Quietisten und der ,leid- und freudlosen' upekkhd des
buddhistischen Bettelmönchs. Es waren in der Tat buddhistische
Stimmungen und Gedanken, welche die quietistische Mystik des 17.
Jahrhunderts beherrschten und am Marke der christlichen Frömmigkeit
zehrten.
d) Die Versenkung im Buddhismus.
„Was für andere Religionen das Gebet ist, ist für den Buddhismus
die Andacht der Versenkung." Mit diesem Urteil Oldenbergs 148 berührt
sieh das Urteil eines anderen feinsinnigen Interpreten der buddhistischen
Mystik, Hermann Beckh: „Man kann das Wesen des Buddhismus als
einer Religion und zugleich seinen Unterschied von anderen Religionen
auf keinem anderen Wege richtiger erfassen, als wenn man auf die Be-
deutung der Meditation hinweist und sie vergleicht mit der Rolle, die
in anderen Religionen das Gebet spielt. WTie für andere Religionen das
Gebet den Nerv des religiösen Lebens bildet, so ist für den Buddhismus
dieser Nerv des religiösen Lebens die Meditation, die meditative Ver-
senkung in das Geistige, Übersinnliche." 149 Die Versenkung spielt in
der Tat im Buddhismus dieselbe Rolle, die in der neuplatonischen,
süfistischen, hinduistischen und christlichen Mystik dem meditativen
und kontemplativen Gebet zukommt. Zwar erscheint auf den ersten
Blick die buddhistische Versenkung als etwas von dem mystischen
Gebet völlig Verschiedenes; alle die charakteristischen Wesenszüge des
mystischen Gebetes fehlen : die Hinwendung zu Gott als dem höchsten
Gute, das Erleben der Präsenz Gottes im Seelengrunde, der lebendige
Kontakt und .Verkehr' mit dem Göttlichen. Aber so verschieden die
phänomenologische Struktur der buddhistischen Versenkung
von der des mystischen Gebets erscheint, so deutlich ist die psycho-
logische Verwandtschaft. Schon der Vergleich der vier Jhäna-
Stufen mit den Gebetsstufen der christlichen und neuplatonischen
Mystiker (s. o. S. 3 10 ff .) zeigt in überraschender Weise, daß sich hier wie
dort analoge seelische Vorgänge abspielen. Aber es besteht nicht nur
eine psychologische Ähnlichkeit, sondern letzten Endes auch eine innere,
346 F HI- Das Gebot in der Mystik
phänomenologische Verwandtschaft. Auch die buddhistische Ver-
senkung ist in ihrer Art ein Aufstieg zum sumrnum bonum, freilich nicht
im positiven Sinne, nicht die lebendige Hinwendung an eine höchste
göttliche Realität, sondern im negativen Sinne, ein Sichentleeren
und Sichentselbsten, das im Nirväna seinen Endpunkt findet. Weil
das Nirväna nichts anderes ist als das summum bonum der Mystik, nur
in seiner negativsten Fassung (s. o. S. 255. 260), darumist auch die dem
Nirväna zustrebende Versenkung nichts anderes als ein Sicherhoben
zum Letzten und Höchsten, also ein mystisches Beten. Die buddhistische
Versenkung hat nur all jene Momente abgestreift, welche das mystische
Gebet zum , Gebet' im Ursinne des Wortes machen. Die buddhistische
Versenkung ist mystisches , Gebet' genau in dem Sinne, als der Buddhis-
mus mystische »Religion' ist.
Da ich die .buddhistische Versenkung' in einer besonderen Monographie be-
handelt habe (München 1918), genügt es hier auf sie zu verweisen.
Schlußcharakteristik des mystischen Gebets.
Das mystische Gebet ist in seiner klassischen Ausprägung die sublimste
Form alles Betens. Es ist frei vom Egoismus, Eudämonismus und
Anthropomorphismus des primitiven Betens — ■ und ist doch echtes,
lebendiges Beten, kein blasses Abstraktionsprodukt wie das aus der
rationalen und ethischen Kritik geborene philosophische Gebetsideal.
Die feierlich-erhabene Kontemplation des summum bönum, in der der
Fromme sich völlig verliert an den unendlichen Gott, erscheint vielen
als die roinsto und zarteste, innigste und tiefste Form alles Gebetes.
Viele sind geneigt, das mystische Gebet, den Aufstieg der Seele zum
höchsten Wert, als die vollendetste Form des Gebets zu bezeichnen.
Denn auch der biblisch-prophetische Gebetstyp, dem sich jetzt unsere
Untersuchung zuwendet, zeigt nicht jene Zartheit, Feinheit und weltabge-
schiedene Geistigkeit, die dem augustinisch-mystischen Gebetstyp eigen
ist; die alt- und neutestamentliche wie die reformatorische Gebets-
frömmigkeit bleibt hinter dem grandiosen Schwung des mystischen
Betens zurück. Dennoch steht die biblisch-reformatorische Gebetsweise
in ihrer anspruchslosen Schlichtheit und kindlichen Treuherzigkeit, in
ihrer gesunden Leidenschaft und urwüchsigen Kraft dem rein mensch-
lichen Fühlen ungleich näher als die kontemplativ-mystische Gebets-
frömmigkeit in ihrer stillenAbgeklärtheit und majestätischenFeierlichkeit,
ihrer schmelzenden Zärtlichkeit und verzehrenden Liebeshingabe.
IV. Das Gebet in der prophetisch-evangelischen Frömmigkeit.
Die Darstellung des Gebets in der prophetisch-biblischen Religion
unterliegt wie die des mystischen Gebets nicht geringen Schwierigkeiten.
Auch dieser Typ persönlicher Religion findet nur in relativ wenigen
Persönlichkeiten eine völlig reine Ausprägung, Bei der überwiegenden
Mehrzahl der religiösen Genien stellt dasFrömmigkeitsleben eine Mischung
des mystischen und prophetischen Typs dar — - natürlich in den mannig-
faltigsten Graden und Abstufungen. Was wir von dem Beten der eigent-
lich schöpferischen Persönlichkeiten der prophetischen Religion wissen,
ist verhältnismäßig wenig, jedenfalls zu spärlich, als daß man darauf
eine erschöpfende psychologische Darstellung des prophetischen Gebets-
typus aufbauen könnte. Von dem Gebetsleben der Väter der beiden
Offenbarungsreligionen, Mose und Zarathuschtra, besitzen wir keine
unmittelbaren Zeugnisse. Die Gebete, welche der Pentateuch (Jahwist
und Elohist) von Moses, die Gäthas von Zarathuschtra überliefern,
sind in der heutigen Fassung eine Komposition ihrer Epigonen: sie
geben jedoch ein zutreffendes Bild von dem kraftvollen, dramatischen
Realismus, der den Gebetsverkehr dieser Männer mit Gott auszeichnet.
Von den alttestamentlichen Propheten, von Jesus und Paulus besitzen
wir sehr wertvolle, authentische Zeugnisse über ihr Beten, leider nur
sehr wenige (von Paulus ist bedauerlicherweise kein einziges Gebet im
Wortlaut erhalten). Zum Verständnis und zur Ergänzung dieser spora-
dischen und fragmentarischen Dokumente müssen wir uns an diejenigen
Persönlichkeiten wenden, deren Beten sich ganz am Gebetsgeist der
biblischen Persönlichkeiten orientiert, ohne deshalb der Spontaneität,
Selbständigkeit und charakteristischen Eigenart zu entbehren: e3 sind
dies die anonymen hebräischen Psalmdichter, die das prophetische
Boten poetisch gestaltet haben, und dio reformatorischen und modernen
Persönlichkeiten, deren Gebetsleben durchweg bestimmt ist vom Beten
der biblischen Persönlichkeiten, vor allem vom Beten Jesu (Luther,
Zwingli, Calvin, Fox, Bunyan, Pascal, Kierkegaard). Die Zeugnisse
über ihr Beten sind ungleich reicher und ausführlicher als die biblischen ;
die reichhaltigsten Dokumonte sind in Luthers Schriften enthalten.
Schon aus diesem Grunde — ganz abgesehen von der schlichten Einfalt,
köstlichen Naivität und kraftvollen Zuversicht, die gerade aus dem
Beten des deutschen Reformators spricht — zioht die folgende Dar-
stellung am häufigsten Dokumonte Luthers an. Dio Untersuchung der
Frömmigkeit solcher Persönlichkeiten, in denen sich der prophetische
Typ rein ausprägt, ermöglicht dann auch dieHerauslösung der prophe-
tischen Elemente im Gobotslebon joner religiösen Persönlichkeiten, die
dorn mystischen Frömmigkoitstyp zuzurechnen sind (Augustinus,
Franziskus, Ignatius, die indischen Bhaktas).
348 F IV. Das Gebet in der prophetischen Frömmigkeit
1. Anlaß und Motiv zum Gebet.
Die Mystik hat die Tendenz, das Gebet in die Kontemplation und
Versenkung aufzulösen — in der prophetischen Frömmigkeit erwacht
das naive Beten des primitiven Menschen mit der diesem eigenen reali-
stischen Kraft und Lebendigkeit. Auf den Höhepunkten des religiösen
Erlebens der großen prophetischen Persönlichkeiten vollzieht sich die
ursprüngliche Schöpfung des Gebets von neuem. Den Anlaß zum Gebet
bildet wie beim naiven Menschen zumeist eine augenblickliche, konkrete
Notlage. Die Bedrohung des gesunden Lebenswillens, des elementaren
Lebensgefühls, der Konflikt zwischen einem erlebten Wert und der
diesem Wert widersprechenden Wirklichkeit motiviert die Anrufung
Gottes im Gebet.
Des Propheten Arnos bange Ahnung von dem über Israel hereinbrechenden
Unheil löst einen Gebetsruf aus: ,, Vergib, Herr Jahwe!" „Herr Jahwe, laß
doch ab!" (Am 7 14J. — Jahwe fordert den Jeremia zur prophetischen Ver-
kündigung auf, er aber bebt vor dem schweren Prophetenberuf zurück; aus diesem
inneren Zwiespalt zwischen der erlebten Aufgabe und dem natürlichen Schwäche-
gefühl wird ein Gebetsseufzer geboren: ..Ach, Herr Jahwe! Ich verstehe ja nicht
zu reden, denn ich bin noch so jung!" (Jer 1 4). Die prophetische Wirksamkeit
dieses Mannes blieb erfolglos, sie brachte ihm nur Schmähung und Verfolgung
ein. Die furchtbare Kränkung seines prophetischen Selbstgefühls, der Gram
über das Scheitern seiner Lebensaufgabe, die er von Jahwe selbst empfangen
hatte, trieb ihn dazu, im Gebet all seine Not und Verzweiflung vor Gott aus-
zuschütten (Jer 18 18 f. ; 20 8). — Aus dem Kummer über die Katastrophe des
jüdischen Volkes und aus der zähen Hoffnung auf die Wiederherstellung des
alten Israel sind unter den nach Babel Verbannten die unvergleichlich innigen
P s a 1 rn gebete entstanden. — Jesus, der im Entschlüsse, ,,sein Leben für
die vielen hinzugeben", nach Jerusalem gekommen war, begann in Gethsemane,
als er sich in den Händen seiner Feinde fühlte, „zu zittern nnd zu zagen". Vom
Todesgrauen überwältigt, stieß er einen dreifachen leidenschaftlichen Hilferuf
zum Vater aus: ,, Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber!"
(Mk 1433 ; vgl. Lk 22 44) K Als er schließlich am Kreuze, von allen seinen Jüngern
verlassen, den äußeren Zusammenbruch seines Lebenswerkes erfuhr und der
Glanz seiner messianischen Zukunft im Dunkel der Todesnot unterging, brach
er in die erschütternde Klage aus: ,,Mein Gott! Mein Gott! warum hast du mich
verlassen?" (Mk 1584 ) — der Angstschrei eines in den Abgrund der Trostlosigkeit
Versunkenen2. — Paulus, der unter dem „Stachel des Fleisches und den
Faust schlagen Satans" schwer litt, rief dreimal den Herrn um Befreiung an
( 2 Kor 1 2 , ff. ). — Als Savonarola im Kerker der Vollstreckung des Todes
urteils entgegensah, ergoß er seine innere Angst in einem kraftvollen Gebet: ,,Laß
mich nicht zu schänden werden, lieber Jesus, denn auf dich allein hoffe ich, für
mich ist keine Rettung außer in dir, Herr. Alle haben mich verlassen; denn meine
geistigen Brüder und Söhne haben mich verworfen, meine geistigen Kinder ver-
abscheuen mich. Verwirf mich nicht von deinem Angesicht" usw. ' — Luther
stand auf dem Reichstag zu Worms in einer entscheidenden Stunde; der Konflikt
zwischen dem Glauben an das Recht der Sache, für die er focht, und der bangen
Befürchtung einer drohenden Katastrophe sprach sich in einem stürmischen Gebet
aus. „Ach Gott! Ach Gott ! o du mein Gott! Du mein Gott, stehe mir bei wider
aller Welt Vernunft und Weisheit, tue du es, du mußt es tun, du allein. Ist es
doch nicht mein, sondern deine Sache" usw. * — Als inlgnatius von Loyola,
nachdem er monatelang von Skrupeln und Zweifeln gequält worden war, die
innere Unsicherheit und Zerrissenheit den Höhepunkt erreichte, schrie er in heißem
Flehen zu Gott: „Herr, hilf mir, denn ich finde keine Hilfe bei den Menschen noch
bei einer andereiiKreatur".* — GeorgeFox erzählt : „Ich war in großen Versuchungen
und meine inneren Leiden waren schwer; aber ich fand niemanden, dem ich
meinen Zustand hätte eröffnen können, als allein den Herrn, zu dem ich Tag und
Anlaß und Motiv des Gebets 349
Nacht schrie". 8 — John Bunyan kämpfte einen furchtbaren Kampf um die
Gewißheit des Heils: sein quälendes Sündenbewußtsein ließ kein zuversichtliches
Lebensgefühl aufkommen. In diesem Ringen zwischen der Angst und dem Streben
nach Zuversicht schafft er sich Luft in einer inbrünstigen Bitte um Vergewisserung
des Heils: „O Herr, ich bitte dich, zeige mir, daß du mich wirklich liebest mit
immerwährender Liebe" 7. — Von den heftigsten körperlichen Schmerzen
gequält, richtet der kranke Pascal an Gott ,,sein Gebet um rechten Gebrauch
der Krankheit", er bittet um Trost und Kraft zum standhaften Dulden und
Tragen 8.
Aber nicht nur die eigene, persönliche Not wird für diese Frommen
zum Gebetsanlaß, nein, auch die gemeinsame, ja sogar die fremde Not.
Die Not und Gefair* ihres Volkes treibt die mit ihren Brüdern fühlenden
und leidenden Propheten des Alten Testaments zu Jahwe hin, bei dem
sie immer wieder Fürbitte einlegen und um Nachsicht und Vergebung
für das treulose und abtrünnige Israel flehen. Jesus ruft am Kreuze
seinen Vater um Verzeihung für seine Feinde an (Lk 23 34). Paulus
wird nicht müde, für seine Brüder und seine Gemeinden zu Gott um
Gnade zu flehen (s. u. Inhalt des Gebets).
Die Krisen, Anfechtungen mid Nöte sind die hauptsächlichsten,
freilich nicht die einzigen, Anlässe zum Gebet. Die entscheidenden
Erlebnisse der prophetischen Persönlichkeiten sind bisweilen auch ent-
zückende Erkenntnisse, Lösungen quälender Zweifel, beglückende Ein-
sichten in Gottes Pläne und Ratschlüsse, überraschende Erfahrungen
von Gottes Güte, Schutz und Führung. So bildet, wie schon beim
primitiven Menschen, neben der Not das Glück einen — ■ freilich viel
selteneren — Anlaß zum Gebet. Unter den Gebetsergüssen des Jeremia
steht ein einziges Preisgebet: Das Staunen über die Nichtigkeit der
Götzen und die Größe und Macht Jahwes entlockt ihm einen spontanen
Jubelruf: „Deinesgleichen gibt es nicht, Jahwe! Groß bist du und groß
ist dein Name durch deine Macht" (Jer 10 6). Von Jesus sind uns vier
Gebete überliefert: ein Hilferuf, eine Fürbitte, ein Angstschrei — und
nur e i n Jubelruf. Als Jesu nach manchen Anfechtungen seines
messianischen Selbstbewußtseins plötzlich das tiefe, nur den Unmündigen
und Einfältigen verständliche Geheimnis seines Sohnschaftsverhältnisses
zu Gott aufstrahlte, da goß sich die ihn durchströmende Gewißheit
und Seligkeit in einem jubelnden Dankgebet aus: „Ich danke dir, Vater,
Herr Himmels und der Erde, daß du das den Weisen und Verständigen
verhüllt und den Einfältigen enthüllt hast; ja, Vater, so war es dein
Wille. Alles ward mir offenbar vom Vater und niemand kennt den
Vater als der Sohn und den Sohn niemand als der Vater und wem sich
der Sohn will offenbaren" (Luk 10 21 f.; vgl. Mt 11 25 f.). 9 Unter den
zahlreichen Gebeten Luthers stoßen wir auf eine überraschend geringe
Zahl von Preis- und Dankgebeten. Der Gegensatz zum mystischen
Gebet ist hier so deutlich wie möglich. In der Mystik bildet das kon-
templative Preisgebet den Höhepunkt alles Betens und Betrachtens;
in der prophetischen Frömmigkeit tritt das Preis- und Dankgobet hinter
dem Bitt- und Fürbittegebet zurück.
Die das Gebet motivierenden Erlebnisse sind somit dieselben wie im
Loben des naiven Menschen : A f f o k t e von hoher Intensität, die nach
350 F1V. Das Gebet in der prophetischen Frömmigkeit
Entladung drängen ; ihr Charakter ist in dor überwiegenden Mehrzahl
der Fälle der des Leidens, seltener der der Freude. Die Affekte sind
im Gegensatz zu den Affekten, die den primitiven Menschen zum Gebet
drängen, fast stets von geistigen Werterlebnissen ge-
tragen. Diese Werterlebnisse besitzen aber nicht jenen anegoistischen,
völlig interesselosen Charakter wie das Erleben des höchsten Wertes,
das in der kontemplativen Mystik Gebete bzw. Gebetszustände hervor-
ruft. Der betende Mystiker schaut unverwandten Blickes auf die einzig
wertvolle, höchste geistige Wirklichkeit hin und in diesem Schauen und
Genießen vergißt und verliert er sich selbst. Die Affekte, welche den
prophetischen Genius zum Gebet treiben, besitzen eine entschiedene
Ichbezogenheit; das eigene oder auch ein fremdes Ich ist Träger eines
Wertes oder eines Wortes und Unwertes zugleich. Die Affekte der
Furcht, Angst, Niedergeschlagenheit, Scham, Reue, des Kummers,
Grames, Zornes einerseits, die des Stolzes und Entzückens, der Seligkeit
und Wonne andererseits beziehen sich unmittelbar auf das elementare
Selbstgefühl : in jenen unlustbetonten Affekten wird eine Bedrohimg,
in den lustbetonten eine Steigerung des eigenen Lebensgefühls, genauer
des Gefühls vom Wert des eigenen Lebens sowie des Lebens und der
Welt überhaupt erfahren. Es handelt sich jedoch nicht, wie beim
primitiven Menschen, um das bloße physische Leben und um eudä-
monistische Güter, sondern um den Sinn und Wert des Lebens, um
das geistige, persönliche, ideale Leben.
Das Hauptmotiv des prophetischen Gebets bilden also unlustgefärbte
Affekte.
..Als ich in Angst war, rief ich Jahwe an und schrie zu meinem Gotte"
(Ps 18 7). „Sei mir gnädig, denn mir ist angst" (Ps 31 10). „Meine Seele ist gebeugt
in mir, darum gedenke ich deiner" (Ps 42 7). „Wo ein Christ in Angst, Sorge und
K ümmernis, in Gefahr und Unglück ist, da ist kein anderer Trost noch Rat, denn
daß er sich an das Gebet halte und schreie zu Gott um Hilfe" (Luther). 10 „Durch
große Angst muß die Glut des Betens in uns entzündet werden" (Calvin). 21 „Das
Herz des Gläubigen wird heftig bewegt und darin das Geschrei erwecket". ,s
„Außer der Anfechtung kann kein recht Gebet geschehen". „Niemand bittet
gründlich, der noch nicht gründlich erschrocken ist" (Luther). 13 Das Lieblings-
wort, mit dem die Sprache der prophetischen Fiömmigkeit die das Gebet er-
zeugenden Affekterlebnisse bezeichnet, ist ,Not'. Luther sagt: „Alsbald die
Not herdringet, flugs in dieKammer gelaufen und auf die Knie gefallen". w „Was
wäre es für ein Gebete, wenn nicht die Not da wäre und uns drückete, daß wir's
fühleten?" 1S „Wo ein rechtes Gebet sein soll, da muß ein Ernst sein, daß man
seine Not fühle, und solche Not, die uns drückt und treibt zu rufen und zu schreien."
„Es ist ein groß Ding, wenn einer fühlet die große Not, die ihn dringet, daß er
alsdann kann das Gebet ergreifen". ,9 Calvin sagt: „Der beste Stachel zur An-
rufung Gottes ist für die Heiligen, wenn sie in ihrer Not gefangen von größter
Unruhe gequält werden". 19b Luthor hat den affektiven Charakter des zum
Gebet drängenden Erlebnisses mit wunderbarer Plastik der Sprache veranschau-
licht, wenn er das echte Gebet ein .lebendiges', , starkes', ,kräftiges', ge-
waltiges', ,ernstes\ , ängstiges', , bekümmertes', , heftiges',, stürmisches', , brünstiges'
und , hitziges' nennt ". Er redet auch von „Anrufen Gottes in der Hitze." 1S
„Wenn uns der Teufel mit Gewalt treibt, und die Welt uns dazu plaget, je greulicher
wir alsdann bedränget werden, je hitziger wir beten" ie. Bunyan ruft aus:
„O the heat, strength, life, vigour and affection is in right prayerl" 20
Das im unlustvollen Affekt getroffene Lebensgefühl äußert sich in
einem intensiven Streben und Verlangen nach Überwindung der
Anlaß und Motiv des Gebetea 351
Hemmungen und Behauptung des Wertvollen. Mit dem Affekt ver-
bindet sich unwillkürlich das triebhafte, unbewußte Streben, die Be-
drohung des Selbstgefühls zu beseitigen. Der unlust volle Affekt ist
nicht bloß ein passives Erregt-, Affiziertsein, sondern weckt stets die
seelische Aktivität, die auf die Erhaltung des Ich, des Wesens und Wertes
der geistigen Persönlichkeit sich richtet. ,Die Not rührt' nach Luthers
Wort , das Herz auf und weckt heißes Verlangen nach Gottes Hilfe'. 20b
Luther charakterisiert dieses Moment in dem das Gebet erzeugenden
Erlebnis (das natürlich erst von der psychologischen Analyse isoliert
wird, im seelischen Erleben selbst aber mit den anderen Momenten
eine innere Einheit bildet) als ,innerliche', ,ernste und brünstige Be-
gierde', als „herzliches Sehnen und Begehren", „Seufzen und Ver-
langen aus Herzensgrund"; er spricht auch vom „kühnen" und „dursti-
gen" Gebet. 21 Bunyan nennt das vom Affekt aufgepeitschte Streben
„Hunger"; von seinem Gebet um die Heilsgewißheit erzählt er: „Ich
kann nicht ausdrücken, mit welchem Sehnen und Verlangen ich zu
Christus schrie". 22
Das Bewußtsein gänzlicher Abhängigkeit von einem höheren Willen,
das beim primitiven Menschen nur auf bestimmte Erlebnisse: die Not,
den Wunsch, die Ehrfurcht vor dem Heiligen sich beschränkt, trägt
in den prophetischen Persönlichkeiten das gesamte religiöse Erleben.
Überall und immer spürt der Fromme Gottes lenkende Hand. Im
großen und kleinen, im Glück und im Unglück, im Alltag und im Heilig-
tum erlebt er seine völlige Abhängigkeit von dem, der Herr ist über
alles, ohne dessen Willen nichts geschieht. Dieses lebendige Gefühl
der Nähe Gottes und der Abhängigkeit von ihm bedingt im Augenblick
der starken und inneren Erregung die ausdrückliche Hinwendung zu
Gott, die Anrufung Gottes. Dabei kann bisweilen, wenn die Situation
offenkundig unabänderlich ist, jeder Wunsch und jede Hoffnung auf Ret-
tung, auf Umgestaltung der Verhältnisse ausgeschlossen sein. In diesem
Falle erfolgt die Gebetsanrufung in Form einer verzweifelten Klage
oder einer leidenschaftlichen Frage an Gott: „Warum hast du mich
verlassen ?" Zumeist aber keimt aus dem Bewußtsein der Abhängigkeit
einerseits und aus dem kräftigen Lebenswillen und Selbstbehauptungs-
trieb andererseits das zuversichtliche Vertrauen: Gott kann und
wird mich retten. Die Hoffnung ist das eigentlich auslösende Motiv
des Gebets, während der Affekt das drängende, treibende Motiv bildet.
Die großen Beter haben die motivationspsychologische Gesetzmäßigkeit,
die das Beten beherrscht, richtig erfaßt, wenn sie stets die Zuversicht
und Hoffnung dem Affekt anreihen.
Luther sagt: „Der erste Stein zum Gebet ist die Zuversicht." „Wer beten
will, muß zuvor glauben. Das allerbeste am Gebet ist der Glaube." „Das
rechte Gebet muß aus solchem Glauben und Vertrauen herfließen." „Die
wirkliche und tätliche Ursache, efficiens causa des Gebets ist der Glaube." **
Bunyan schreibt: „Der Geist hilft der Seele das Angesicht auf Gott zu richten,
indem er in das Herz ein leises Gefühl der Gnade legt, um es zu ermutigen
ku Gott zu gehen."" Calvin urteilt in seiner theologischen Gebetsabhandlung:
..Das aufrichtige Gebet geht hervor erstlich aus dein Erlebnis der Not, sodann
auch aus der Zuversicht auf die Verheißung." „Während die Heiligen in ihrer
Not noch Von höchster Angst gequält weiden, blitzt ihnen der Gedanke an
352 F IV. Das Gebet in der prophetischen Frömmigkeit
Gottes Güte auf, sodaß sie, obgleich niedergedrückt von der Schwere der gegen-
wärtigen Leiden, dennoch auf Gottes Güte vertrauen und Befreiung erhoffen.
Aus beiden Affekten, dem der Furcht und der Hoffnung soll das Gebet der
Frommen hervorgehen." 25
Das Mitleid, d. h. das einfühlungsmäßige Erleben der fremden
■(leiblichen oder geistigen) Not, das meist affektive Intensität besitzt,
drängt ebenso wie das Erleben der eigenen Not zum Gebet. ,,Man muß
sich zu Herzen gehen lassen aller Christen Abnehmen oder Fall, dann
wird man mit allen mitleiden und für sie bitten" (Luther). 25b Der
bedrohte Wert, den eine andere menschliche Persönlichkeit darstellt,
wird wie der vom eigenen Ich repräsentierte Wert erlebt. Mit dem
Mitleid verbindet sich das Streben zu helfen; die helfende Arbeit allein
genügt nicht: das Bewußtsein der restlosen Abhängigkeit alles Ge-
schehens von Gott und die Hoffnung auf seine Hilfe motivieren so die
Fürbitte.
Die freudigen Affekte, welche die Gebetsaussprache motivieren,
können jeder Ichbezogenheit entbehren, wie das in der mystischen
Frömmigkeit die Regel ist. Die selbstvergessene Hingabe an den
höchsten Wert erzeugt das Preis- oder Lobgebet. In dem reinen prophe-
tischen Erleben beziehen sich auch die lustbetonten Affekte zumeist
auf das eigene Ich und die von diesem getragenen Werte. Bunyan nennt
,,das süße Gefühl der empfangenen Gnade, der ermutigenden, tröstenden
stärkenden, belebenden, erleuchtenden Gnade" unter den Gebets-
motiven 26. Das Gefühl der Freude, Befriedigung und Gewißheit, das
bei der Lösung einer Spannung, bei der Überwindung schwerer innerer
Hemmungen, beim Aufblitzen von Offenbarungen die Seele des Frommen
erfüllt, verbindet sich mit dem Abhängigkeitsgefühl und erzeugt so
das Gefühl tiefer Dankbarkeit gegen Gott, von dem alle Heils-
gewißheit, Erlösungsgnade und Erkenntnis stammt. Die Gebets-
aussprache erfolgt in diesem Falle in der Form des Dankes.
Das prophetische Beten ist also eine spontane Affektäußerung, eine
unwillkürliche Affektentladung: die alttestamentliche Frömmigkeit
hat dafür das wundervolle Bildwort vom ,Ausschütten des Herzens'
(säphakh et nephes oder si&ch) 27 geprägt, das alle großen Beter dieses
Typs als Gebetsdefinition sich angeeignet haben (Luther: ,das Herz
auf tun' und ,ausschütten'; 28 Calvin: ,totum cor e) ' funder 'e' , ,interioris
cordis ajfectum effundere et exponere1, ; 29 Bunyan: ,the opening of neart,
an affectionate pouring out of souV , Jhe unbosoming of a man's seif). 30
Die Spontaneität und Unwillkürlichkeit ist ein Wesensmerkmal
des Affektlebens. Die Affekte kann man nicht willentlich erzeugen wie
reproduktive Vorstellungen, ihr Entstehen ist nicht von uns abhängig;
sie überwältigen den Menschen und ergreifen das gesamte Ausdrucks-
leben : Mimik, Geste und Rede. So drängen also beim frommen Menschen
die religiösen Affekte unbewußt und unbeabsichtigt, mit selbstverständ-
licher, innerer Notwendigkeit zur Gebetsaussprache. Das Gebet quillt,
bricht aus dem unbewußten Seelenleben hervor. Der Mensch spürt
einen zwingenden Impuls, er kann nicht anders, als beten.
,,Es trieb mich zu beten," heißt es immer wieder in den Selbstzeugnissen des
•George Fox. Wenn der innere Drang fehlte, war er außerstande ein Gebet zu
Anlaß und Motiv des Gebetes 353
sprechen; so schreibt er: „Ich konnte nicht auf eines Menschen Geheiß beten" sl.
,, Selig fürwahr," ruft Sav o na r o I a aus, „ist jene Nötigung, die mich zu Gott
zu kommen treibt, die mich mit ihm zu reden zwingt, die mich drängt zu beten'" 81 *>.
B u n y a n sagt: ..Das rechte Gebet sprudelt aus dem Heizen, wenn dieses über-
fließt von Kummer und Bitterkeit, wie das Blut aus dem Fleisch hervorgepreßt
wild durch eine darauf ruhende schwere I^ast" 3i. Luther meint: „Die Xot
drückt, und treibt zu irden und zu schreien; so geht denn düs Gebet v o n s i c h
selbst, daß man keines Lehrers bedarf, wie man si h dazu bereiten und An-
dacht schöpfen soll" 3S.
Alle seelischen Erlebnisse und Inhalte, die nicht durch willkürliche
Eigentätigkeit gesetzt werden können, alle aus der Sphäre des Unbe-
wußten in das Bewußtsein plötzlich hervortretenden Erfahrungen, vor
allein die Erlebnisse der Inspiration, Offenbarung, Ekstase gelten dem
religiösen Menschen als übernatürlich und gottgewirkt. Die Mystiker
erblicken in den Gebetszuständen der ,Ruhe', , Einigung' und .Ver-
zückung' ein Geschenk der göttlichen Gnade, das der Fromme nicht
sich selbst geben kann, sondern demütig, in völliger Passivität entgegen-
nehmen rauü. Ebenso führt auch die prophetische Frömmigkeit das
spontane Beten auf das geheimnisvolle Wirken Gottes zurück (vgl.
o. S. 224 ff.). „God put in my heart to cry to him" bekennt Bunyan 34.
Mit Vorliebe reden die prophetischen Naturen, wenn sie die spontanen,
aus dem unbewußten Seelenleben hervorbrechenden Erfahrungen im
Auge haben, vom Wirken des ,Geistes'. Der , Geist' Gott ?s ist jene
geheimnisvolle Macht, welche die Tiefen der Seele aufwühlt und den
Frommen mit unwiderstehlicher Gewalt zum Beten zwingt.
P a u 1 u s spricht von einem ,Beten im Geiste* (Kph 6 lg). [n lapidaren Worten
bekennt er: „Der Geist kommt unserer Schwachheit zu Hilfe; denn wir wissen
nicht, was wie betensollen, wie si h's gebühret, aber der Geist selbst tritt für uns
ein in unaussprechlichen Seufzern." (Roe S 3a). ,, Ihr habt empfangen den (Jeist
d*-r Sohnschaft, in dem wir rufen: ,Abba', , Vater' (Roe S 15)." „Weil ihr Sühne
seid, hat Got1 den Geist seines Sohnes in unsere Heizen gesandt, d^r da ruft:
,Abba', ,Vater' "(Gal4,). Luther sagt: ..Wenn der heilige Geist das Herz sonder-
lich regel und rühret, dann pf legt das Gebet gar hitzig zu werden." ., Wenn der («.eilig
Geist kommt und die Herzen mit einem reihten Vertrauen auf Gottes Güte und
Barmherzigkeit durch Christum anzündet . da folget denn, daß man recht beten kann,
lustig und willig dazu ist. Aber ohn solchen Geist ist dasBetcn unmöglich"36. Geoi ge
Fox gesteht: „Wir beten im Verborgenen und öffentlichen, je nachdem der
Geist es uns eingibt"8*. Ohne den „Geist" kann auch muh Bunyan der
Mensch nicht beten; ,,denn es ist unmöglich, daß das Herz sieh vor Gott aus-
s :hütte obre' den Beistand des Geist es." ,,Ni -l.t was a ädere i edeten und schrieben,
kann einen zum Hei er machen, sondern einzig und allein den' Geist." ,,Nur der
Geist kann dem Menschen sein Elend enthüllen und ihn so zum Beten bringen."
,,l)"i- Geisl ii -htet die Seele aui, hilft ihr das Angesicht auf Gott zu richten."
„Welch große Aufgabe ist es für eine arme Seele, wel he die Sünde und den Zorn
Gottes fühlt, gläubig nur dieses eine Wort , Vater!' zu sagen!. . Darum muß
de!' (J.-ist irt die Heizen des Gottesvolkes geschickt werden, damit es .Vater'
sagen kann."
Die eigene Not wie die Not der Brüder beschränkt sich nicht auf
bestimmte Augenblicke und konkrete Situationen, die Bedürftigkeit
und Abhängigkeit gegenüber Gott ist eine dauernde. Darum stehen
auch im Frömmigkeitslebei] der prophetischen Persönlichkeit neben
den außerordentlichen Gebetsanlässen die regulären, alltäglichen.
Luther sagt: „Was die Not sei, die uns treiben soll zu bitten, so findet
flieh täglich nicht einerlei, sondern tausenderlei Anfechtung und Wider-
Uttrt Oetxjt 2:;
354 F IV. Das Gebet in der prophetischen Frömmigkeit
stand. Denn zum ersten ist unser eigen Fleisch, das ist der erste Feind,
der uns täglich am Hals hängt. Dazu wird auch schlagen der ander
Feind, die Welt. Der dritte Feind ist nun der allerstärkste, der leidige
Teufel. Siehe, das sind ja drei Unglück, die uns sehr genug drücken
und auf dem Hals liegen und nicht ablassen, weil wir Leben und Odem
haben. Darum haben wir ja stete Ursache zu beten und rufen" 38.
Bei dem regelmäßigen, täglichen Gebet bilden zumeist nicht
Affekte das Motiv, sondern relativ intensitätsarme Stimmungen, zu
denen jene Affekte ermäßigt sind; ein allgemeines Gefühl der Unruhe,
der Unsicherheit, des Unbefriedigtseins, der inneren Disharmonie oder
auch der Befriedigung, Lust, Zuversicht treibt ins Gebet hinein. Ja
häufig fehlt sogar jede Gebetsstimmung, aber selbst in diesem Falle
wird das Gebet nicht unterlassen. Der Fromme sammelt sich dann
völlig bewußt und willkürlich zum Gebet: entweder dadurch, daß er
über eine religiöse Vorstellung meditiert oder dadurch, daß er zu einer
Gebetsformcl greift und ihre Worte nachsprechend, ihren Sinn sich
vergegenwärtigt. Dadurch gelingt es ihm zumeist, in eine Gebets-
stimmung hineinzukommen, aus der dann spontan das eigene, freie
Beten strömt. Luther hat beide Arten der willkürlichen Gebetssamm-
lung oder Andacht gepflegt.
„Es ist ein trefflich Gebet, daß man sich erstlich das Wort und darnach die
hochdringende Not vorbildet und dieselbe im Herzen erwäget." „Ich bin bis-
weilen so kalt und unlustig, daß ich nicht kann beten; da stopf ich meine Ohren
zu und spreche: Ich weiß, Gott ist nicht weit von mir, darum muß ich schreien
und ihn anrufen. Setze mir dagegen vor die Undankbarkeit und das gottlose
Wesen der Widersacher etc., also daß ich erwärme und vor Zorn und Haß brenne
und darnach sage: O Herr, geheiliget werde dein Name, zukomme dein Reich etc.
Also erwärmet mein Gebet und wird hitzig." ,,Es ist eine sehr gute Hilfe und
Rat, das Gebet zu erwecken, auf daß es hitzig und heftig werden möge;
nämlich, daß wir gerne lesen, singen und hören Gottes Wort, und daß wir ja
den Psalter fleißig durchlesen, oder auch in die gemeine Versammlung der Kirche
gehen: daselbst wird das Herz allgemach warm und der Geist in uns angezündet
werden" 39.
Gewiß liegt hier alle auf Virtuosität abzielende, planmäßige Psycho-
technik, wie sie der Mystik eigen ist, ferne — „nicht Training oder
Korrektheit, sondern Klang in der Seele" (Söderblom) 40 ist die prophe-
tische Frömmigkeit. Gleichwohl pflegt und fordert auch sie die täg-
liche Gebets Schulung. Luther spricht vom „Gebet treiben und
üben'\41; Calvin verlangt die sorgfältige Einhaltung der regelmäßigen
täglichen Gebetszeiten nicht als einer gesetzlichen Pflicht oder verdienst-
vollen Leistung, sondern als „imbeciüitatis nostrae paedagogia, qua sie
exerceatur et subinde stimuletur" 42.
2. Form des Gebets.
Das aus dem Affekt gewaltsam hervorbrechende Gebet ist fast stets
ein freier Herzenserguß. Die Gebetsworte, welche von den großen
Betern in entscheidenden Momenten gesprochen wurden, sind impro-
visiert, eine individuelle Schöpfung des Augenblicks. Der Beter ent-
lehnt nicht die Worte einer Formel, er sucht auch nicht nach neuen
Worten, sie bieten sich ihm von selbst dar. Der Affekt schafft sich
mit der ihm eigenen produktiven Kraft einen selbständigen Ausdruck.
Form des Gebetes 355
Das echte spontane Gebet ist nach Bunyan „not a premeditated stinted
form, but a prayer ex tempore, made on a sudden according
to what he feit, thought or understood of himself". „Right prayer
must as well in the outward part of it, in the outward expression as
in the mward intention come from what the soul does apprehend in
the light of the spirit" 43. Spener mahnt zum „Gebet ohne gewisse
Formeln", zum „eigenen Gebet", zum „Beten aus dem Herzen" 44.
Luther hielt sich, wenn er das Vaterunser betete, nicht an den biblischen
Wortlaut: „Solche Gedanken kann das Herz (wenns recht erwärmt und
zu beten lustig ist) wohl mit viel andern Worten, auch wohl mit wenigeren
oder mehr Worten aussprechen; denn ich auch selber mich an solche
Wort und Syllaben nicht binde, sondern heute so, morgen sonst die
Worte spreche, darnach ich warm und lustig bin" 4Ö. Auch der Wortlaut
des Gebets, die spontane Affektäußerung, gilt ebenso wie das motivierende
Erlebnis, der spontan entstehende Affekt, als eine Wirkung des gött-
lichen Geistes. „Der Geist gibt die Worte ein," sagt George Fox 46".
Wie beim primitiven Menschen schließt jedoch die Spontaneität, die
affektive Lebendigkeit und Inbrunst des Betens die Übernahme einer
feststehenden Gebets f o r m e 1 nicht aus. Die kurzen, kraftvollen
und leidenschaftlichen Stoßgebete und Stoßseufzer sind sehr häufig
formelhaft gebunden. Luther, Bunyan und Pascal greifen auf den
Höhepunkten ihres religiösen Erlebens zu Bibelworten. Ja, selbst
Jesus hat am Kreuze, als die Todesnot das eigene Wort ersterben ließ,
seine verzweifelte Klage in den Anfangsworten eines Psalmes aus-
gesprochen. Und doch ist sein Gebet ein spontanes, kein gebundenes,
formelhaftes. „Er wählte nicht, er dachte nicht, sondern er goß seine
Angst aus" (Söderblom) 47. Die Worte waren nicht von ihm erfunden
und geschaffen und sind doch „ganz sein Eigentum, mit seinem Herz-
blut erkauft" (Deißmann) 48. Die fremden Worte erhalten einen ganz
neuen Inhalt.
Das Prinzip der Spontaneität und Freiheit des Betens in der pro-
phetischen Frömmigkeit ist von George Fox mit einem konsequenten
Radikalismus so weit geführt worden, daß er alles gebundene Beten,
alles Beten „nach einem Hergesagten" als widerchristlich und als eine
Verachtung der apostolischen Norm verwarf 49. Diesem extremen
Radikalismus huldigen die übrigen Beter vom prophetischen Typ nicht,
sie schätzen das an eine traditionelle, inhaltsreiche Gebetsformel sich
klammernde Beten als eine Vorbereitung und Belebung des spontanen
und selbständigen Betens. Gerade dann, wenn die Gebetsstiminung
fehlt, wenn die Gefühlstrockenheit, die geistige Dürre, die nicht etwa
bloß im Erleben der Mystiker eine Rolle spielt, die eigene Produktivität
lähmt, ist es nötig, zu den klassischen Gebetsmustern seine Zuflucht
zu nehmen und durch die Vertiefung in sie die eingetrockneten religiösen
Stimmungen wieder zu beleben. Luther mahnt: „So jemand bei sich
selbst in der Kirche oder daheim sonderlich beten will und weiß nicht
besser Worte oder Weise, der nehme vor sich das Vaterunser und reize
mit diesen oder dergleichen Worten seine Andacht." „Das mündliche
Gebet ist nicht zu verachten, sondern not, das innerliche Gebet im
356 P Iv- -Dar3 Gebet, in der prophetischen Frömmigkeit
Herzen zu entzünden und zu reizen" 50. Aber dieses gebundene Beten
besitzt ausschließlich pädagogische Bedeutung, ist nur ein , Präludium'
zum echten, freien Gebet" (Paul Sabatier) 51, ein „Mittel, um erst
recht beten zu lernen (Richard Rothe)51b), nur ,,eine Anreizung und
Bewegung der Seele, daß sie dem Sinn und den Begierden nachdenke,
die die Worte anzeigen" (Luther)52. Darum sagt Luthor auch: „Man
soll sich an die Worte halten solange, bis daß die Flügel wachsen, daß
man fliegen mag ohne Worte" 5:). Und ein Erbauungsschriftsteller des
Reformationszoitalters mahnt in der Vorrede zu seinem Betbüchlein:
„Du sollst dich nicht an solche Worte binden, sondern sollst die Leiter
und Steige der Worte fallen lassen, sobald du hinauf in die Geheimnis
des bittenden Geistes gestiegen und eingetreten bist" 54.
Auf den Gipfeln des Erlebens der großen religiösen Genien wiederholt
sich die ursprüngliche Schöpfung der Religion; in der prophetischen
Erfahrung bricht das religiöse Urphänomen durch. Das ersto Gebet,
das von einem Menschen auf Erden gesprochen wurde, war ein leiden-
schaftlicher kurzer Hilfeschrei an ein höheres Wesen. Auch die aus
den tiefsten Erregungen geborenen Gebete der großen prophetischen
Persönlichkeiten sind kurze Rufe, bisweilen ein einziges Mal hervor-
gestoßen, häufig mehrmals in derselben Fassung wiederholt oder in
ähnlichen Worten variiert. Kraftvolle Kürze und gedrungene Knapp-
heit zeichnet alle oben erwähnten Gebete aus. „Also haben die Heiligen
in der Schrift gebetet, als Elias, Elisäus, David und andere, mit kurzen,
aber starken und gewaltigen Worten. Darum loben die alten Väter
die kurzen Stoßgebetlein, da man mit einem Wörtlein oder zwei hinauf-
seufzet gen Himmel" (Luther) 55. Das kurze Wort „Herr Gott, sei
mir armen Sünder gnädig!" rechtfertigt nach der Parabel Jesu den
Zöllner (Lk 18 13). Auch das als Gebetsanleitung bestimmte Vater-
unser zeigt dieselbe inhaltsvolle Kürze und schlichte Schmucklosigkeit,
die ein Kennzeichen aller echten Gebete sind. Die kurzen Gebets-
rufe werden meist mehrmals ausgestoßen. In Gethsemane wiederholt
Jesus dreimal dasselbe Wort (Mt 26 39 ff.). Luthers Gebet in Worm>
ist eine Kette von kurzen Rufen (Anfang s. o. S. 348).
„Stehe mir bei, du treuer, ewiger Gott, ich verlasse mich auf keinen Menschen . . .
Gott, o Gott, hörest du nicht? mein Gott, bist du tot? Nein, du kannst nicht
sterben, du verbärgest dich allein. Hast du mich darzu erwählet? ich frag «lieh,
wie ich es denn gewiß weiß; ei, so walt es Gott! ... Ei Gott, so stehe mir bei!
. . . Du mein Gott, wo bist du? Komm, komm, ich bin bereit, auch mein Leben
darum zu lassen" 66.
Luthers Regel: „Je weniger Worte, je besser Gebet; je mehr Worte,
je ärger Gebet," „Kurz soll man beten, aber oft und stark," 57 fixiert
treffend die psychologische Tatsache, daß das spontane und affektive
Gebet hinsichtlich seiner formalen Seite eine gedrungene Kürze auf-
weist. Die Breite und Langatmigkeit der Diktion, der kunstvolle
Periodenbau und die Bilderfülle sind sichere Symptome für den literari-
schen Charakter eines Gebets.
Das aus dem Affekt hervorquellende Gebet zeigt, sofern nicht ein
und derselbe Ruf unverändert wiederholt wird, etwas Sprunghaftes, bis-
weilen sogar etwas Unzusammenhängendes, Abgerissenes; es besteht
Form des Gebetes 357
häufig aus ,abruptae et concisae voces\ wie Calvin sagt. 58 Jeremias
betet in prächtigen Anakoluthen : „Verschmähe doch nicht — um
deines Namens willen — verunehre doch nicht den Thron deiner Herrlich-
keit — denke an — brich nicht deinen Bund mit uns!" (Jer 14 21). Die
äußere Form des Gebets spiegelt deutlich den Verlauf der Affektkurve
wider, das Auf- und Abwogen des Affekterlebnisses, den häufigen
Stimmungswechsel, das Alternieren zwischen Angst und Zuversicht.
Gleichmäßig gebaute, ein durchsichtiges Schema der Gedankenfolge
aufweisende Gebete sind literarische Kompositionen und künstliche
Produkte, nicht echte, persönliche Gebete.
Die Sprunghaftigkeit der Gedankenfolge schließt eine Rhythmik der
Gebetsworte nicht aus. Das von Franziskus nach der Stigmatisation
aufgezeichnete Gebet zeigt deutlich einen Rhythmus (s. o. S. 299); aber
auch in dem jeremianischen Gebet und dem Lutherschen Gebet ist
ein solcher unverkennbar; natürlich nicht ein völlig regulärer, kunst-
voller, sondern ein natürlicher Rhythmus, in dem der Affekt sich aus-
schwingt.
Es ist möglich, daß ein heißes Gebet stilles Herzensgebet bleibt.
Augustin bekennt: „Conjessio mea, Dens meus, in conspectu tuo tacite
fit et non tacite; tacet enim strepitu, clamat affectu" (Conf. X 2). Ein
jüdischer Chassid sagt: „Der Mensch kann flüsternd beten und sein
Herz schreit in semer Brust" 59. Zumeist freilich äußert sich der intensive
Affekt in lauten Gebetsruf en , wie beim naiven Menschen. Calvin
urteilt: ,,Etsi optimae interdum orationes voce carent, saepe tarnen
usu venit, ut affectu mentis exultante et lingua in vocem et membra aha
in gesticulationem sine ambitione erumpant" 60. „L a u t rief ich
zu Jahwe," „laut schreie ich zu Jahwe ; laut flehe ich zu Jahwe" ; „Jahwe
hat mein lautes Weinen gehört," bekennt der Psalmist 61. Jesus betete
am ölberg mit „gewaltigem Schreien"; am Kreuze rief er mit lauter
Stimme: Eloi usw. 62 Ignatius betete in dem kritischen Moment im
Kloster zu Manresa laut 63. Luther pflegte abends am Fenster stehend,
laut zu beten 64. So glückte es denn Veit Dietrich einmal ihn von ferne
,mit heller Stimme' beten zu hören 65.
Die Intensität der zum Gebet treibenden Affekte kann so stark sein,
daß die menschliche Sprache nicht mehr ausreicht, um die seelische
Erregung in Worten auszudrücken. Der Affekt entlädt sich nur unvoll-
ständig; nicht in sinnvollen Worten, sondern nur in regellosem Seufzen
und Stammeln. „Die besten Gebete haben oft mehr Seufzer als Worte";
„das Aufhören der Worte kommt aus der übermäßigen Angst des Her-
zens" (Bunyan) 66. „Unser Gebet ist dann nichts anderes denn ein
Stammern und unvernehmlich Mummen eines Kmdes, das vor dem
Tisch steht und Brot und Fleisch heischt". „Auch ein Seufzerlein
emes Christen ist Gebet; so oft er seufzet, so betet er" (Luther) 67.
Aber es gibt Affekte — freud- und leidvolle — die nicht einmal im
formlosen Stammeln und Lallen sich äußern. Die seelische Erschüt-
terung ist so gewaltig, daß sie dem Menschen die Sprache raubt; er
möchte reden, klagen oder jubeln, sich ausschütten und sich öffnen,
aber er fühlt sich innerlich zugeschnürt; es ist, als hätte sich der Affekt
358 F IV. Das Gebet in der prophetischen Frömmigkeit
eingeklemmt und sei nicht imstande, durch das körperliche Ausdrucks-
system sich zu entladen. So bleibt die aufwühlende Erregung, der
unwiderstehliche Drang, das leidenschaftliche Sehnen und Verlangen
im Erleben selbst beschlossen — ein wortloses Herzensgebet. Paulus
nennt dieses Beten ein ,unaussprechliches Seufzen', in dem der , Geist'
an unserer Statt betet (Roe 8 26). Luther und Bunyan haben in diesem
paulinischen Selbstbekenntnis ihre eigenen tiefsten Gebetserfahrimgen
wiedergefunden .
„Wenn der Geist in uns schreiet: Abba! da schweiget wohl der Mund ganz
stille und kann dies Seufzen nicht verstehen oder ausreden." ,,Es ist kein Laut
oder Stimme des Mundes, sondern ein Rufen im Herzen und unaussprechlich
Seufzen: unter den linken Zitzen stecket es, wenn das Herz klopfet und seufzet
und schier vor großer Angst gar matt wird; und alsdann ist das Gebet recht
kräftig und vollkommen." ,,Uies Seufzen preiset Samt Paul und spricht, es
sei ein unaussprechlich Seufzen des Geistes; das ist, der Mund mag und kann
nicht so herzlich und mächtiglieh reden, als das Herz wünschet; das Sehnen
übertrifft alle Wort und Gedanken. Daher es au<h kommt, daß der Mensch
selbst nicht fühlet, wie tief sein Seufzen oder Begierde sei" 68. ,,Then a man
desires indeed, when his desires are so strong strong, many and mighty, that all the
words, tears and groans, that can come from the heart, cannot utter them ....
A man that truly prays one prayer, shall after that never be able to express with
his mouth or pen the unutterable desires, sense, affection and longing, that went
to God in prayer" *9.
Trotz der äußerlichen Ähnlichkeit ist dieses wortlose Seufzen doch
etwas ganz anderes als die oratio mentalis des Mystikers. Der Mystiker
schweigt, weil die unverrückte Konzentration, Versunkenheit und
Kontemplation durch die Rede gestört wird; der Prophet schweigt,
weil die Erregung so stark ist, daß die Rede ihren Dienst versagt; dort
ein Schweigen aus der affektlosen inneren Ruhe oder aus der ent-
zückten Schau des höchsten Gutes, hier ein Nichtredenkönnen aus der
Übermacht und Gewalt des Affektes und Dranges.
Das , Stammeln und Mummen', das die seelische Erregung auszu-
drücken versucht, aber nicht restlos zu fassen vermag, besteht aus un-
zusammenhängenden und fehlerhaft artikulierten Satz- und Redefrag-
menten; es werden jedoch die natürlichen Sprachgebilde verwendet.
Ekstatoide Affekterlebnisse aber äußern sich gerne (z. B. im Urchristen-
tum und bei Quäkern) in irregulärer Weise durch völlig unverständliche
sprachliche Neubildungen, durch das „Zungenreden" (ylojoaaig kalelv).
Die Glossolalie ist eine eigene ekstatische Gebetssprache 70, die eine
starke ansteckende Wirkung besitzt. Paulus spricht deshalb von einem
ylöioov nQoaEvy.Eottai (1 Kor 14 14); ,,der Zungenredner redet nicht zu
Menschen, sondern zu Gott" (1 Kor 14 2).
3. Inhalt des Gebets.
Das Wesen des mystischen Gebets ist Konzentration und Versenkung
— • des Wesen des prophetischen Gebets Affektentladung. Dort affekt-
loses Schweigen oder stimmungsgesättigtes Kontemplieren — hier ein
,Ausschütten der Seele', ein ,Rufen zu Gott aus der Tiefe'. Das mystische
Gebet ist — wenigstens in seinem Anfang — bewußte und willentliche
Hinwendung, das prophetische Beten ist ein völlig naives, absichts-
loses, innerlich notwendiges Sichaussprechen und -ausschütten. In
Inhalt des Gebets 359
schlichter Unbefangenheit enthüllt sich der Beter seinem Gott, schließt
sich ihm völlig auf; alles, was sich in den Tiefen seiner Seele regt und
tummelt, vertraut er ihm an: seine Angst und seinen Kummer, sein
Wünschen und Hoffen, ja sogar seinen Zweifel und Unwillen. Der
Gegenstand des mystischen Gebets ist ausschließlich Gott, die einzige
Realität, der höchste Wert; der Gegenstand des prophetischen Gebets
ist des Menschen eigenstes Leid und Glück, sein Bangen und Zagen,
aber auch sein Bauen und Vertrauen. Selbstbetrachtung und Selbst-
beschauung bis zur psychologischen Selbstanalyse ist dem Mystiker
wohl vertraut: die Niedrigkeit und Nichtigkeit des eigenen Ich, in die
er sich im Gebet versenkt, ist der dunkle Hintergrund, von dem sich
Gottes Unendlichkeit mit einer paradoxen Kontrastwirkung abhebt.
Das prophetische Beten hingegen ist nicht peinliche Selbstbetrachtung,
sondern leidenschaftliche Selbstoffenbarung.
Der wesentliche Inhalt des prophetischen Gebets ist die rückhaltlose
Aussprache des drängenden Affekts; Beten heißt „seine Bedrängnis
vorbringen vor dem Angesichte Gottes" (Ps 142 3), „Gott seine Nöte
mitteilen" (Phil 4 6), „Gott anrufen in allen Nöten," „Gott die Not
vorlegen, vortragen, vorhalten, vorbringen, vorzeigen, anzeigen,
in seinen Schoß legen" (Luther) 71. „Wir sollen ansehen unsere Not,
so uns drücket und auf dem Hals lieget, . . und dieselbe frisch vor Gott
tragen und ausschütten" (Luther) 72. Calvin definiert das Gebet als
ein „necessitatem, quae nos premit, deo exponere" 73, Zwingli als „ein
vertraut Anrufen zu Gott um unsere Notdurft" 74. Das Gebet ist
nach Calvins Worten „dazu eingesetzt, daß wir unsere Nöte Gott be-
kennen und bei ihm beklagen, wie Kinder bei den Eltern ihre Klagen
vertraulich vorbringen" 74b. Auch viele christlichen Mystiker, die
hierin von biblischem Gebetsgeiste bestimmt sind, kennen dieses naive
Sichaussprechen im Gebet; Teresa pflegt im , Ruhegebet' „ganz schlicht
ihre Nöte Gott vorzustellen" 75.
a) Die Klage und Frage.
Die Aussprache der Not kann in der bloßen Klage erfolgen („Klagen
der Notdurft" Zwingli 76; „Klage oder Erzählung der Not" Luther 77).
„Aus dem tiefen Abgrund und mitten im Rachen des Todes senden die
heiligen Diener Gottes zum Herrn eine Klage empor" (Calvin) 76b.
Immer wieder kehrt bei den biblischen Betern die zweifelsschwere,
vorwurfsvolle Frage:
Jeremia ruft: „Zur Rede möchte ich dich stellen, warum das Treiben der
Frevler Gelingen hat, warum alle, die treulos handeln, unangefochten bleiben"
(12, 1). „Warum hast du uns geschlagen, daß es keine Heilung gibt?" (14, 19).
„Warum ist mein Schmerz dauernd geworden, meine Wunde bösartig, daß sie
sich nicht heilen läßt?" (15, 18). Ha bakuk betet: „Warum lassest du mich
Unheil erleben und siehst Gewalttat mit an?" (1, 3). „Bist du nicht Jahwe, von
Urzeit her mein Gott, mein Heiliger, der nimmer stirbt ? . . . Du, dessen Augen
zu rein sind, als daß du Böses anschauen könntest und der du Gewalttaten nicht
mitanzusehen vermagst ! Warum siehst du doch die Tieiilosen mit an, schweigst
dazu, wenn der Gottlose den, der im Rechte gegen ihn ist, zugrunde richtet?"
(1 , 13). „Warum hast du meiner vergessen, warum muß ich trauernd einhergehen,
ob der Bedrückung durch meine Feinde?" (Ps. 42, 13). „Warum verwirfst du,
360 PIV. Das Gebet in der prophetischen Frömmigkeit
Jahwe, meine Seele, verbirgst vor mir dein Angesicht?" (Ps. SS. 15). Jesu»,
in der Todesnot, am Kreuz, bittet nicht, sondern klagt und fragt mit den Anfangs-
worten des 22. Psalms: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?"
(Mk 15. 34).
Manchmal geht die bange Frage in den bittern Vorwurf über.
In kuhner, fast blaspheniisch klingender Rede ruf t der an Jahwe irre werdende
Jeremia: „Ach, Herr Jahwe, fürwahr, gründlich hast du dieses Volk und
Jerusalem getäuscht, als du sprachst: Heil soll euch widerfahren] während (ihnen
nun) das Schwert ans Leben geht" (1. 10). „Jadubist für mich einem trügerischen
Bache gleich wie Wasser, auf die kein Verlaß" (15, 19). ..Du hast mich betört,
Jahwe, und ich ließ mich betören. Du hast mich erfaßt und überwältigst mich:
zum Gelächter bin ich gewin den allzeit, jedermann spottet meiner" (20. 7).
Ha b a kuk ruft vorwurfsvoll: ..Wie lange schreie ich um Hilfe. Jahwe, ohne
daß du mich hörst ; rufe ich zu dir .Gewalt" (wird uns angetan), ohne daß du Hilfe
schaffst?" (1. 2). Der Verfasser der Klagelieder klagt in seiner Verzweiflung s
..Sieh drein, o Jahwe, und schaue her, wem du solches angetan! . . . Du hast
gemordet am Tage deines Zornes, geschlachtet ohne Erbarmen!" (2, 20 ff.).
Das furchtbare Problem der Theodizee entzündet in der Seele -eines
Frommen nicht ein theoretisches Grübeln, sondern ein leidenschaftliches
Ringen mit Gott, das sich in gehäuften vorwurfsvollen Klagen und
Fragen an Gott äußert.
H i ob ruft aus: ,,Wie das Wasser Sterne zerreibt und seine Fluten das Erd-
reich fortschwemmen, so hast du des Menschen Hoffen vernichtet. Du ver-
gewaltigst ihn für immer, und er geht dahin, du entstellst sein Antlitz und lassest
ihn dahinfahren" (14, 19 lt.). ..Ich schreie zu dir, doch du antwortest nur nicht;
ich stehe da, du aber starist mich an. Du wandelst dich in einen Grausamen für
mich, mit deiner starken Hand befeindest du mich. Du hebst mich auf den Sturm-
wind, lassest mich dahinfahren und lassest mi< h vergehen im Sturmesbrausen.
Ja. ich weiß, zum Tode willst du mich führen und zum Yersammlungshaus für
alles Lebende la, auf Glück hoffte ich, aber Unheil kam: ich harrte auf
Licht, und es kam Dunkel. Afein Inneres siedet ohne Unterlaß. Tage des Elends
überfielen mich" (31, 20 ff.). ..Laß mich erfahren, warum du mich befehdest?
Bringt's dir Gewinn, wenn du Bedrückung übst ? wenn du deiner Hände mühsam
Weik verwirfst?" (10, 1). ..Wieviel Vergehungen und Sünden habt» ich denn?
Meinen B'revel und meine Sünde laß mich wissen! Warum verhüllst du dein
Antlitz und cachtest mich für deinen Feind? Willst du ein verwehtes Blatt
aufschrecken und den dürren Halm verfolgen, daß du mir Bitteres als Urteil
schreibst und mich die Sünden meiner Jugend erben lassest?" (14, 23 ff.).
b) Die Bitte.
Die gewöhnliche Form, in der sich die Not ausspricht, ist die Bitte -
negativ die Bitte um Befreiimg, positiv die Bitte um Hilfe und Beistand.
Für Luther ist das Gebet „ein Kommen des Bettlers zu Gott, der den
Mantel weit ausbreitet und auftut um viel zu empfangen" "7 b). „Ein
lauter Bettel um unsere Notdurft", „ein Betteln wegen unserer Ge-
bresten", „ein Anrufen um Hilfe zu Gott" ist das Gebet nach Zwingiis
Definition 78. Der Mensch „sagt, was er begehrt", er „begehrt etwas
von Gott", er „begehrt aus dem Elend zu kommen", „des Übels ledig
zu werden", „er bittet um Hilfe"; er „achtet nicht auf die hohe Majestät,
sondern sagt stracks: .hilf, lieber Gott! Laß dich erbarmen im Himmel!'"
„ach, daß ich dies oder das hätte!" „das darf ich, das darf jener"
(Luther) 79. „Gedenk meiner, Jahwe, imd nimm dich meiner an!"
„Hilf mir, daß mir geholfen werde!" (Jer 15 15; 17 14). „Sei mir
gnädig!" (Ps 4 2). „Auf, Jahwe, hilf mir!" (Ps 3 8). Der Kern des
prophetischen Gebets ist wie der des primitiven die schlichte Bitte um
Inhalt des Gebete {Die Bit te) 3ßj
Befreiung von einem übel oder um Gewährung einer Gnade und Gabe.
Das Vaterunser, das christliche Gebet nax igoxtfv ist ausschließ-
lich ein Bittgebet. Der Gegensatz zum mystischen Beten ist offen-
kundig, denn in diesem tritt die Bitte zurück, und wo das Gebet als
Bitte erscheint, verkleidet diese meist nur die mystische Konzentration
und Kontemplation.
Gegenstand und ,Ziel' der prophetischen Bitte ist die Behauptung
oder Realisierung eines Wertes, sei es eines Persönlichkeitswertes (eines
durch das eigene oder ein fremdes Ich getragenen Wertes) oder eines
überpersönlichen Wertes. Die eudämonistischen Werte, auf die das
primitive Beten ausschließlich abzielt, treten hinter den geistigen,
ethisch gefärbten bzw. genuin ethischen Werten zurück.
1. Individuelle religiöse (ethisch gefärbte) Werte.
a) Die Behauptung des eigenen Wertes ist eine der
wichtigsten Bitten der prophetischen, vor allem der alttestamentlichen
Persönlichkeiten. Der Beter fleht, vor der inneren Katastrophe, dem
Zusammenbruch des Selbstgefühls bewahrt zu bleiben, ,, nicht zu
Schanden zu werden", wie das prachtvolle alttestamentliche Wort
lautet. Das Korrelat zur Behauptung des eigenen Wertes ist das ,Zu-
schanden werden1 der Widersacher ; soll der eigene Wert zur Anerkennung
kommen, muß sich der Unwert der Feinde enthüllen. So gleitet das
Gebet um Rettung und Rechtfertigung in ein leidenschaftliches Rache-
gebet hinüber.
„Schaffe mir- Rache an meinen Verfolgern; raffe midi nicht hinweg in deiner
Langmut gegen sie!" (.Ter 15, 15). ..Laß nieine Verfolger zu Schanden werden..
aber laß mich nicht bestürzt weiden! Bringe über sie Unheil und mit doppelter
Zerschmetterung zerschmettere sie!" (.Jer 17, 18). ..Laß mich nicht zu Schanden
werden: laß meine Feinde nicht über midi frohlocken!" (Ps 25. 2). ..Laß midi
nicht zu Schanden noch zum Spott und Freude werden meinen Feinden" (Luther)80.
„Gieße deinen Grimm über die Völker aus, die nichts von dir wissen wollen!"
(Jer 10. 25). „Reiße sie fori wie Schafe zum Schlachten und weihe sie am Tage
des Würgens!" (Jer 12. .'{). ..Gib die Sohne deiner Widersacher dein Hunger
preis und überliefere sie der Gewall des Schwertes, daß ihre Weiber kinderlos
und Witwen werden, ihre Männer aber von d^v Seuche erwürgt, ihre .FünLclinge
im Kampf mit dem Schwell erschlagen werden!" (Jer 1H. 21). ..haß mich deine
Rache an ihnen schauen!" (Jer IL 20; 20. 12). ..haß sie insgesaml beschäm!
und enttäusch! weiden, die mir nach dem Leben trachten, es hinwegzuraffen.
Laß zurückweichen und zu Schanden werden, die mein Unglück wollen. Erstarren
mögen ob ihrer Schande, die da rufen: ha. ha!" (Ps. 40, 15 f.).
b) s i c h e r heil des Lebens: „Behüte mich wie den Stern im Auge, verbirg
mich unter dem Schatten deiner Flügel vor den Gottlosen, die mich vergewaltigt
haben" (Ps 17. 8). „Lehre mich, Jahwe, deine Wege und leite mich auf .■bener
Lahn um meiner Feinde willen!" (Ps 27. II). ..() Gott, verhülle mein.' Wehr-
losigkeil und schütze mein (icinnt : bewahre mich vor dem. was vor mir und hinter
mir, was rechts und links, was übel- und unter iiiii-: idi flüchte mich zu deiner
Stärke" (Muhammed ) "'.
<) Kr le u.ht ungin innerer Ratlosigkeit. Die Sängerpropheten der Gäthaa
flehen immer wieder: „Dies frage ich dich, säge mir das Hechle (die Wahrheit),
Ahura!" hl. Als Bunyan zweifelte, ob die Bücher der Kanters göttlich oder wider-
göttlich seien, betete er: ..Ihn. ich bin ein Tor und nicht imstande, die Wahrheit
vom Irrtum zu scheiden. Herr, überlasse mich nicht meiner Blindheit. Ist die
Lehre von (mit. lasse sie mich nichl verachten, tsl sie aber vom Teufel, bo lasse
sie midi nichl annehmen" ' '.
3 62 F IV. Das Gebet in der phrophetischen Frömmigkeit
d) Im Zentrum des prophetisch-evangelischen Gebets steht die Bitte
um Sündenvergebung, die in der Mystik nur der Peripherie
des Betens angehört. Der Fromme sucht Befreiung von dem drückenden
Schuldbewußtsein, von dem niederschmetternden Gefühl der eigenen
Nichtigkeit und Ohnmacht, das ein zuversichtliches Lebensgefühl nicht
aufkommen läßt. Nur ein freier göttlicher Gnadenakt vermag diese
innere Umwandlung von der herben Selbstverdammung zum starken
Selbstvertrauen, von der bebenden Angst zur ruhigen und frohen Zu-
versicht herbeizuführen (vgl. o. S. 268 f.). Diese innere Wandlung und
Erneuerung wird gerne als Heilung vorgestellt. „Heile mich, daß ich
heil werde" (Jer 15 15). „Jahwe, sei mir gnädig, heile meine Seele,
denn ich habe gegen dich gesündigt" (Ps 41 e). Das ergreifendste
Bußgebet, das je gesprochen wurde, ist das Miserere; ein moderner
Religionsphilosoph (Cohen) erblickt in ihm geradezu „das Musterbeispiel
des Gebets" 84. In einer Fülle wundervoller Bilder (die zum Teil der
alten Kultsprache entnommen sind) wird der den sündigen Menschen
erneuernde Gnadenakt Gottes umschrieben.
„Gott, sei mir gnädig nach deiner Huld, tilge meine Vergebungen nach deiner
großen Barmherzigkeit! Wasche mich gründlich von meiner Verschuldung und
reinige mich von meiner Sünde .... Entsündige mich mit Ysop, daß ich
rein werde; wasche mich, daß ich weißer werde als Schnee. Laß mich Freude
und Wonne vernehmen; frohlocken mögen die Gebeine, die du zerschlagen hastl
Verbirg dein Angesicht vor meinen Sünden und tilge alle meine Verschuldungen.
Schaffe mir, Gott, ein reines Herz und bringe in mich einen neuen, gewissen
Geist. Verwirf mich nicht vor deinem Angesichte und nimm deinen heiligen
Geist nicht von mir. Erfreue mich wieder mit deiner Hilfe und stütze mich mit
einem Geiste der Willigkeit. Ich will Abtrünnige deine Wege lehren, und die
Sünder sollen sich zu dir bekehren. Errette mich von Blutschuld, Gott, du Gott,
der mein Heil ist: möge meine Zunge über deine Gerechtigkeit jubeln!" (Ps. 51).
Auch in anderen Psalmen kehrt die innige Vergebungsbitte wieder: „Der
Sünden meiner Jugend und meiner Übertretungen gedenke nicht" (25, 7). „Gehe
nicht ins Gericht mit deinem Knecht, denn vor dir ist kein Lebendiger gerecht"
(143, 2). Der reuige Zöllner, den Jesu Parabel als den wahren Beter zeichnet,
spricht: „Gott, sei mir Sünder gnädig" (Lk 18, 14). Das Vaterunser enthält
die Bitte: „Vergib uns unsere Schulden" (Mt 6, 10).
Die Vergebungsbitte der Psalmen und das Vaterunser klingt fort durch die
Herzensgebete frommer Christen wie durch die liturgischen Gebete der christlichen
Kirche. Besonders kraftvoll und flehentlich kommt sie von den Lippen der früh-
mittelalterlichen Frommen. Thomas von Celano hat diesem schweren Bußernst
im ,Dies irae' unvergänglichen Ausdruck verliehen.
„Rex tremendae maiestatis,
Qui salvandos salvas gratis,
Salva me, fons pietatis ....
Iudex iustae ultionis,
Donuni fac remissionis
Ante diem rationis."
Savonarola betet in ergreifender Weise: „Gott, du Barmherzigkeit, nimm hinweg
meine Sünden, denn sie sind mein größtes Elend! Richte mich Elenden auf,
zeige an mir dein Werk, übe an mir deine Kraft aus. Der Abgrund des Elends
ruft den Abgrund der Barmherzigkeit. Der Abgrund der Sünden ruft den Ab-
grund der Gnaden. Größer ist der Abgrund der Barmherzigkeit als der Abgrund
des Elends. So verschlinge denn . . . der Abgrund der Barmherzigkeit den
Abgrund des Elends" 8*b.
Überaus herzliche Töne schlägt die Vergebungsbitte in der Frömmigkeit
der Reformatoren an, deren Hauptthema ja die Sündenvergebung bildet«
Inhalt des Gebets (Die Bitte)
363
Luther betet: ,,Ich bitte dich, daß du dich über meine Seelennot erbarmest,
erbarme dich meiner und vergib mir meine Sünde." „Gib mir wieder ein fröhlich
sicher Gewissen in deinem Heil!" 86 ,.Herr, ich bitte dich, zeige mir, daß du
mich wirklich liebst mit immerwährender Liebe" betet B u n y a n 86. Herber
Bußernst und innige Zuversicht redet aus Calvins Gebeten: ,, Zürne uns nicht,
um uns in deinem Groll zu züchtigen. Denk nicht an unsere Missetaten, um uns
zu strafen, sondern züchtige uns süß in deiner Güte." „Möge es dir gefallen, uns
unsere Fehler zu verzeihen, durch die wir uns deines Gerichts schuldig machen,
und durch diese Vergebung uns von der Verdammung zum ewigen Tode, in der
wir uns befinden, zu befreien. Möge es dir gefallen, deinen Zorn von uns abzu-
wenden und uns das Böse, das in uns ist, nicht anzurechnen" 87. In den evan-
gelischen Liedern verstummt die schlichte Vergebungsbitte nie. Eine wunder-
volle Fassung hat sie in Wallins Lied erhalten, einem der schönsten des Svenska
Psalmboken.
Böner sä varma
Alla vi förena,
Dom ej oss arma,
Säsom vi förtjäna,
Gud, dig förbarma,
Af din näd allena
Bide vi räddning.
Näd vi begäre,
Lät oss henne finna,
Näden beskäre,
Hvad ej rätt kann vinna.
Maskor vi äre,
Skuggor som försvinna,
Stoft, som förskingras.
Bojor vi draga
Af den lott vi ärfva,
Lustar oss jaga,
Frestelser omhvärfva,
-Herre, sä svaga,
Vill du oss fördärfva
Utan förskoning ?
För Jesu pina,
För den törnekrona,
Han för de sina
Bar att dem försona,
Lät näden skina,
Värdes oss förskona,
Vär oss en fader."
Gebete, so warme,
Alle wir vereinen,
Verwirf nicht uns Arme,
So, wie wir's vermeinen.
Gott, dich erbarme,
Allein von deiner Gnade
Hoffen wir Rettung.
Gnad wir begehren,
Laß sie uns erlangen!
Gnad' mög bescheren,
Recht kann's nicht verlangen.
Würmelein sind wir,
Schatten, die verschwinden,
Staub, der verwehet.
Lasten wir tragen,
Des Sündenloses Erben,
Lüste uns jagen,
Versuchungen umwerben,
Herr, und die Schwachen,
Willst du nun verderben,
Ohn' jede Schonung ?
Durch Jesu Peinen,
Durcü die Do-nenkrone
Die für die Seinen,
Er trug, daß Gott sie schone,
Laß Gnade scheinen,
Schenke uns Verschonung,
Sei uns ein Vater."
Auch außerhalb des Christentums begegnet uns die evangelische Vergebungs-
bitte, wenn auch nur vereinzelt und gedämpft. So betet Mohammed: ,,Ich be-
kenne mich zu meinen Sünden, so verzeih' mir; denn sieh, keiner außer dir kann
die Sünden verzeihen." ,,0 Gott, ich habe viel gesündigt und es verzeiht mir
keiner die Sünden außer dir; so verzeih mir und erbarme dich meiner, denn du
bist der Verzeihende und Barmherzige." ,,8trafe uns nicht für die Vergeßlichkeit
oder Sünde .... Vergib uns und verzeihe uns und erbarme dich unser" 88.
e) Die Vergebungsgewißheit und Gnadenzuversicht ist nur dort echt,
tief und stark, wo das Schuldbewußtsein und Ohnmachtsgefühl den
Menschen ganz erschüttert und zu Boden geschmettert hat. Nur aus
der rücksichtslosen Selbstverwerfung kann die absolute Zuversicht
auf Gottes schenkende HeiLsgnade hervorgehen. Darum flehen die
364
FIV. Da« Gehet in der prophetischen Prömmigkeil
prophetischen Genien um die Kraft der radikalen S e Ibsterkennt-
n i s und Selbstverurteil n ng.
,, Lieber Gott, regiere du mich, daß ich mit geistlichen Augen meine angeborene
Seuche und Schwachheit erkenne und bekenne und also zur rechten Erkenntnis
Chi ist i geführt und durch deinen heiligen (ieist regieret, gereiniget und geheiiiget
weide" (Luther) BS. „Gib, daß wir recht und ohne Heuchelei erkennen, in welcher
Verderbnis wir von Natur sind und welche Verdammung wir durch unser unglück-
liches und unordentliches Lehen veidienen und von Tag zu Tag auf uns häufen,
damit wirsehen und verstehen, daß nichts Gutes in uns ist und daß unser Fleisch
und Blut nicht fähig ist dein Reich zu erben, und daß wir so mit unserer ganzen
Liebe und in festem Vertrauen uns ganz deinem liehen Sohne übergeben, Jesus
Christus, unserem Herrn, dem einzigen Erlöser und Retter" (Calvin) ,0. ,,Faites
que je me juge moi-m§me, que je m' examine moi-meme avant votre jugement,
pour trouver misericorde en votre presence". „Touchez mon coeur de repentir
de nies lautes" (Pascal) ". Die Bitte um Kraft zur Selbstverurteilung schreitet
bisweilen fort zur paradoxen Bitte um Best ra fu ng der eigenen Sündigkeit.
„So züchtige mich doch, Jahwe, aber nur mit Maßen, nicht in deinem Zorn, daß
du mich nicht aufreibest" (Jer 10. 2Ii). ..Züchtige uns sanft in deiner Güte"
(Calvin) 92. ,,Gib, <> mein Gott, daß deine allmächtige Gnade deine Züchtigungen
mir heilsam mache" (Pascal)83.
f) Mit der Bitte um Sündenvergebung und innere Erneuerung hängt
enge zusammen die Bitte um den , Geist Gottes'. Der Gottesgeist ist
ja jene wundersame Macht, welche den inneren Menschen umschafft
und erneuert, er ist die Quelle aller Gottfreudigkeit und Gotteskraft,
der Spender des Lebens und der Liebe. ,.Dein heiliger Geist komme
über uns und reinige uns," lautet nach alten Überlieferungen eine Bitte
des Vaterunser, die in dem gewöhnlichen Evangelientext nicht zu
lesen steht, aber deren Echtheit durchaus nicht unwahrscheinlich
ist. Die prophetische Bitte um den Gottesgeist hat ihre klassische
Formulierung in dem kirchlichen Hymnus ,Veni, creator spiritus' ge-
funden, der nicht nur für die Gebetsfrömmigkeit der katholischen
Heiligen, sondern gerade auch für Luther große Bedeutung gewann.
Veni, sancte Spiritus,
Kt emitte coelitus
Lucis tuae radium.
Veni, pater pauperum,
Veni, dator nmnerum.
Veni, turnen cordium.
Consolator optime,
Dulcis hospes animae,
Dulce refrigerium.
Lava, quod est sordidum,
Riga, quod est aridum,
Sana, quod est saucium.
Fleete, quod est rigidum,
Fove. quod est frigidum.
Rege, quod est devium.
Da tuis fidelibus
In te confidentibus
Sacrum septenarium.
Sine tuo nomine
Nihil est in nomine,
Nihil est innoxium
Da virtutis nieritum.
Da sal utis exitum,
Da perenne gaudium. Amen.
f) Heil und Erlösung liegt für die biblische Frömmigkeit im zuver-
sichtlichen Glauben an Gott als den gnädigen Vater. Weil dieser Glaube
aber Gottes Werk im Menschen ist, ein Geschenk freier Gottesgnade,
darum flehen die evangelischen Frommen um ihn mit derselben Sehn-
sucht wie die Mystiker um die beglückende Gotteinigung.
Luther betet: ..Wir bitten, o Vater, tröst uns unser Gewissen, jetzt und an
unserem letzten Knde. welches vor unsern Sünden und deinem Gericht greulich
Inhalt des Gebeta (Die Fürbitte) 365
erschrickt und erschrecken wird. Gib unsern Herzen deinen Frieden, daß wir
deines Gerichts mit Freuden erwarten mögen . . . Lerne uns, lieber Vater, nicht
auf unsere guten Werke oder Verdienste uns verlassen oder trösten, sondern allein
auf deine grundlose Barmherzigkeit lauter und fest uns wagen und ergeben,
Desselbengleichen, laß uns auch nicht vei zagen um unseres sträflichen, sündigen
Lebens willen, sondern deine Barmherzigkeit höher, breiter, stärker achten denn
all unser Leben." ,.Gib uns durch deine Barmherzigkeit in unser Herz eine tröst-
liche Zuversicht deiner väterlichen Liebe und laß uns empfinden den allerlieb-
lichsten Geschmack und iSüßigkeit der kindlichen Sicherheit, daß wir mit Freuden
dich einen Vater nennen, kennen, lieben und anrufen mögen in allen unseren
Nöten. Behüt uns, daß wir deine Kinder bleiben und nit verschulden, daß wir
aus dir, allerliebster Vater, einen erschrecklichen Richter und uns selbst aus
Kindern zu Feinden machen" 93b.
2. Individuelle ethische Werte.
Individuelle rein ethische Werte nehmen im prophetischen Beten
nicht jenen breiten Raum ein, der ihnen in dem rational-moralistischen
Religionsideal der Philosophen zukommt. Trotz der inneren Ver-
bindung, in der Religion und Sittlichkeit stehen, löst sich die prophetisch-
evangelische Frömmigkeit, die in ihrem Wesen Glaube und Zuversicht
ist, nie in Sittlichkeit auf. Auch gehen die Gebete um sittliche Werte
nicht, wie in der philosophischen Religion, aus der bewußten Einsicht
in ethische Normen hervor, sondern quellen spontan aus einem natür-
lichen Wertfühlen, das die sittlichen Aufgaben als gottgewollt erlebt
und ergreift.
a) Befolgung der sittlichen Pflichten: ,,L -hie mich, Jahwe,
den Weg deiner Satzungen, damit ich ihn bis zuletzt beachte. Laß mich auf dem
Pfade deiner Gebote einhergehen, denn an ihm habe ich Gefallen" (Ps. 119, 33.
35). ,,0 Gott, leite mich, wenn ich in etwas von der Wahrheit abgewichen bin,
mit deiner Erlaubnis; denn siehe, du leitest, wenn du willst, zum richtigen Pfade."
,,0 Gott, ich bitte dich um Festigkeit in meinem Vorhaben, um Beständigkeit
in meinem Vorsatze; ich bitte dich um ein ergebenes Heiz, um eine aufrichtige
Rede; ich bitte dich um das Gute" (Muhammed) •*.
b) Bewahrung vor der Versuchung und Kraft zu ihrer Über-
windung: ,, Hoffart der Augen gib mir nicht und die Begierde halt fern von mir.
Fleischeslust und Unzucht laß mi h nicht ergreifen und schamlosem Sinn über-
laß mich nicht" (Sir 23, 5 f.). ,, Führe uns nicht in Versuchung" (Mt 6, 12). „Möge
es dir gefallen, uns aufre ht zu halten, damit wir durch die Schwäche unseres
Fleisches nicht straucheln. Und weil wir von uns selbst zu schwach sind, um
nur eine Minute fest bleiben zu können, Weil wir ferner beständig von so vielen
Feinden umgeben und bedrängt sind, weil der Teufel, die Welt, die Sünde, und
unser eigenes Fleisch nicht aufholen uns zu bekriegen, mögest du uns durch
deinen heiligen Geist stärken und uns mit deinen Gnaden wappnen, damit wir
beständig allen Versuchungen widerstehen können und in diesem Geisteskampf
aushalten, Ins wir endlich den vollen Sieg erlangen" (Calvin)'8.
c) Ü licrwi ndung der hosen Neigung u nd natürlichen Selbst-
sucht: „Möge es dein Wille sein, Herr, unser Gott und Gott unserer Väter,
d iß du das Jo h des bösen Triebes zerbrechest und aus unserem Herzen entfernest.
Denn du hast uns ja. so geschaffen, daß wir deinen Willen tun sollen und wir sind
dazu verpflichtet. Du willst es und wir wollen es. Wer ist's aber, der uns hindert ?
der Sauerteig dir Sünde. Es ist dir bekannt und offenbar, daß wir nicht die
Kraft besitzen ihm zu widerstehen. So mögest denn du ihn von uns entfernen
und ihn niederhalten, daß wir deinen Willen wie unsern Willen mit ganzem Herzen
tun" (Rabbi Chi ja) *ib. ,,Gib uns Gnade, daß wir des Fleisches Lust zwingen . . ,
Hilf uns, daß wir seine böse Neigung zur Unkeuschheit und alle seine Begierden
und Reize mit Christo ans Kreuz schlagen und toten, daß wir keiner seiner An-
fechtung bewilligen und folgen." ,,0 Vater, laß mich nicht dahin fallen, dnü es
366 & IV. Das Gebet "in der prophetischen Frömmigkeit
nach meinem Willen gehe, brich meinen Willen, wehre meinem Willen,
es gehe mir, wie es wolle, daß mir's nicht nach meinem, sondern nach deinem
Willen gehe; denn also ist es im Himmel, da ist kein eigener Wille, daß dasselbe
auch also sei auf der Erden" (Luther) 9*. ,,Herr, mache du unser Herz zu deinem
Tempel, worin du Wohnung machen willst. Mache, daß man jeden unreinen
Gedanken und jede irdische Begierde wie den Götzen Dagon jeden Morgen zu
Füßen der Bundeslade zerschmettert finde. Lehre uns Fleisch und Blut be-
herrschen und laß dies das blutige Opfer sein, so daß wir mit dem Apostel sagen
können: Ich sterbe täglich" (Kierkegaard) e7.
d) Bruderliebe: „Möge es dein Wille sein, daß kein Herz Haß gegen uns
hege und daß unser Herz gegen niemand Haß hege; daß kein Herz Neid gegen
uns hege und unser Herz gegen niemand Neid hege" (Jerusalemischer Talmud) *7 *>.
„Gib uns eine einträchtliche, brüderliche Liebe, daß wir uns allesamt wahrhaftige
Brüder und Schwestern erkennen und achten und dich können gemahnen unsern
lieben Vater, für alle und jedermann bitten, als ein Kind für das andere gegen
seinen Vater tut. Laß niemand unter uns das Seine suchen oder das andere
vor dir vergessen, sondern abgetan allen Haß, Neid und Zwietracht, uns als die
wahren frommen Gotteskinder untereinander lieben und also einträchtlich sagen
mögen, nicht ,mein Vater', sondern ,unser Vater' (Luther) 97 c.
e) Duldsamkeit und Ergebung: „Gib uns Gnade, daß wir allerlei
Krankheit, Armut, Schmach, Leiden und Widerwärtigkeiten willig tragen und
erkennen, daß dasselbe dein göttlicher Wille sei, unsern Willen zu kreuzigen.
Hilf uns, daß wir auch Unrecht gern leiden und behüt uns vor der Rache. Laß
uns nicht Böses mit Bösem bezahlen, Gewalt mit Gewalt vertreiben, sondern in
solchem deinem Willen, der uns dasselbe zufügt, Wohlgefallen haben, dich loben
und dir danken" (Luther) e? d.
3. Soziale religiös-ethische Werte (Fürbitte).
Die prophetische Frömmigkeit ist durchaus sozial, der einzelne lebt
mit anderen, von anderen und für andere (vgl. o. S. 272 ff.). Der
Fromme tritt Gott nie in jener monadischen Isolierung gegenüber wie
das bei den Mystikern der Fall ist, sondern stets in inniger Verbindung
mit den Brüdern. Luther sagt treffend: „Denke ja, daß du nicht allein
da kniest und stehest, sondern die ganze Christenheit oder alle frommen
Christen seien bei dir" 97e. Das christliche Zentralgebet, das Vater-
unser ist im Grunde kein Einzelgebet, sondern ein gemeinsames Gebet;
es „bindet die Leute zusammen und ineinander, daß einer für den andern
und mit dem andern betet" (Luther) 97f. Dieses gemeinsame Gebet
erweitert sich von selbst zum besonderen Gebet für die Brüder, zunächst
für alle, welche mit dem Betenden in persönlicher Beziehung stehen.
Neben der eigenen Not steht als Gegenstand des Gebets die Not der
Brüder, allererst die geistig-seelische Not; neben die Bitte für sich
selbst tritt so die Fürbitte für die anderen, die ja schon im Beten
des primitiven Menschen eine uns überraschende Bedeutung besitzt.
Das Fürbittegebet der alttestamentlichen Propheten bewegt sich in
den Bahnen des stellvertretenden Mittlertums : Mose, Samuel, Jeremia
beten im Namen und Auftrag des Volkes; Gebetsobjekt ist hier die
gemeinsame Not des ganzen Volkes, die der Prophet als Glied einer
sozialen Gesamtheit mit allen übrigen Volksgenossen teilt. Eine reinere
und persönlichere Farbe besitzt die Fürbitte im Beten der großen christ-
lichen Persönlichkeiten, wo sie ausschließlich auf das Heil des anderen
— und nicht zugleich auch auf das eigene mit dem Heil der Gesamtheit
identische Heil — abzielt. Jesus betet für seinen Jünger Kephas, auf
■ Inhalt des Gebete (Die Fürbitte) 367
den es Satan abgesehen hat, auf daß sein Glaube nicht wanke (Lk 22 31).
Paulus gedenkt in allen seinen Gebeten seiner christlichen Gemeinden;
kein Brief, in dem er nicht die , Brüder' seiner Fürbitte versichert und
sie um ihr Gebet anfleht. (Diese paulinische Sitte ist zum stehenden
Gebrauch in der Korrespondenz christlicher Männer und Frauen ge-
worden 98.) Der Gegenstand seines Fürbittegebets ist das religiöse
Heil seiner Gemeinden; er fleht, daß Gott ihnen „schenke den Geist
der Weisheit und Offenbarung zu seiner Erkenntnis", daß sie „erfüllt
würden von der Erkenntnis seines Willens", daß „ihre Liebe mehr und
mehr wachse", daß sie „innerlich gefestigt würden durch den Geist
Gottes", daß Gott sie „der Berufung würdige und ihre Freude am Guten
und ihr Glaubenswerk kraftvoll vollende' ". Polykarp betet vor seinem
Martyrium für „alle, die ihm je begegneten, die Großen und Kleinen ,
die Berühmten und Unberühmten" 10°. Luther und Calvin waren
Virtuosen des Fürbittegebets. Fast jeder Brief und die meisten Schriften
Luthers sind Zeugnisse seiner treuen und herzlichen Fürbitte. Am
Anfang und Schluß seiner Briefe pflegt ein Gebetswunsch zu stehen.
Die Versicherung der Fürbitte für den Briefempfänger und die Bitte,
dieser möge seinerseits für Luther beten, kehren immer wieder. „Ich
bitte für dich, habe für dich gebetet und werde für dich beten." „Wahr-
haftig, ich stehe euch treulich bei mit Seufzen und Beten." 100b Luther
betet für seine Frau und seine Kinder, für seine Nachbarn und sein
Gesinde, seine Freunde und seine Glaubensgenossen. Desgleichen pflegt
Calvin eifrig das fürbittende Gebet für alle ihm Nahestehenden.
So schreibt er Viret: „Ich bitte Gott, Sie stets in seiner Obhut zu behalten,
Sie zu stärken durch seinen heiligen Geist zum Widerstand gegen alle Versuchungen
und Sie in allem wachsen zu lassen zu seiner Ehre." Und an die französischen
Iteformiertengemeinden: „Ich bitte Gott, in euch mehren zu wollen die Gnaden-
gaben, die er euch verliehen, euch stark zu machen in wahrer Standhaftigkeit,
euch zu behüten mitten unter Wölfen und sich an euch in jeder Weise zu ver-
herrlichen" l0\
Ein Meister des Fürbittegebetes war Spener. Er schloß täglich eine
große Anzahl ihm bekannter Personen namentlich in seine Fürbitte ein,
ja er legte sich in seiner pedantischen Art förmliche Listen an, um hiebei
niemand zu vergessen und Ordnung zu halten 102,
Der Universalismus der christlichen Liebe vertieft und erweitert
den natürlich gegebenen Reichtum an persönlichen Beziehungen. Alle
Glieder der christlichen Gemeinschaft sind in das Gebet eingeschlossen.
Paulus (Eph 6 18) fordert zu anhaltendem Gebet für .alle Heiligen*,
d. h. für alle Christen auf. Polykarp betet für alle christlichen Gemeinden
der Oikumene 103. Luther betet für die evangelischen Fürsten, für
Kaiser und Reichstag, für Obrigkeit und Prediger, für das deutsche
Heer, das wider die Türken zieht, für gefangene Märtyrer, für ange-
fochtene Mönche, für leidtragende Witwen und Kinder, für Kranke und
Storbende 103b. In den liturgischen Gebeten der christlichen Kirchen
findet die allumfassende fürbittende Liebe einen unvergänglichen
Ausdruck: der weltlichen Obrigkeit und der geistlichen Führer, der
Gläubigen und Ungläubigen, Sünder imd Gerechten, Gesunden und
Kranken, ja sogar der Heiden, Juden und Ketzer wird hier gedacht.
368 K IV. Da* Gebot in der prophetischen Frömmigkeit
<S. u. Kap. H Abs. 5 d). So strebt der Universalismus des christ-
lichen Fürbittens über die Grenzen der religiösen Gemeinschaft hinaus.
Schon Jeremia und Baruch hatten die babylonischen Exulanten aufge-
fordert, für die Stadt und den König von Babel zu beten (Jer297;
Bar 1 u). Die jüdische Diasporagemeinde zu Elephantine betet für
den persischen König, die urchristliche Gemeinde in Rom betet für
den römischen Kaiser (1. Clem. 60 f.). Dar Verfasser des ersten Timo-
theusbriefes fordert zum Gäbet für alle Herrscher und Behörden auf
(1 Tim 2, f.). Die Fürbitte für die der christlichen Gemeinschaft
Femestehendeii ist ebenso ein Wesensbestandteil des christlichen
Einzelgebets wie des gottesdienstlichen Gemeindegebets.
Luther bete! : „Lieber Herr Gott, bekehre die, so noch sollen bekehrt weiden,
dal$ sie mit uns und wir mit ihnen «leinen heiligen Namen heiligen und preisen,
beide mit rechter, reiner Lehre und gutem, heiligem Leben. Lieber Herr, Gott
Vater, bekehr die. so noch sollen Kinder und Glieder deines Reiches werden,
daß sie mit uns und wir mit ihnen dir in deinem Reich in rechtem Glauben und
wahrhaftiger Liebe dienen und aus diesem angefangenen Reich in das ewige
Reich kommen" 10a c.
Ihre Vollendung erreicht die Idee der universellen Fürbitte in der
paradoxen Forderung der Bergpredigt; ,, Betet für die, welche euch Ver-
folgern und sehrnähen!" (Mt 5 41; Lk 6 28). Der Gegensatz dieses Wortes
zu dem aus den Gebeten des Jeremia und manchen Psalmen redenden
Bachegeist ist deutlieh erkennbar. Daß aber ein echtes, ernstes und
spontanes Beten für Feinde in den Grenzen des psychologisch Möglichen
liegt, beweist Jesu Gebetsruf am Kreuze: „Vater, vergib ihnen, denn
sie wissen nicht was sie tun!" (Lk 23 34) 104 und das Echo, das dieses
Gebetswort in der Geschichte der christlichen Märtyrer von Stephanus
<Ap. G. 7 60) bis Hus und Heinrich von Zütphen gefunden hat.
4. XI eherindividuelle religiös-ethische Werte.
Die mannigfaltigen konkreten (individuellen oder sozialen) Werte, die
das ,Ziel' des Betons bilden, werden zusammengefaßt in der Bitte um
das Kommen der vollen Gottesherrschaft, d. h. um die Realisierung der
Gesamtheit der Werte, die Umgestaltung der Wirklichkeit in eine
vollendete, ideale. (S. o. S. 278,281.) Dieses Gebet ist das höchste und
wichtigste Gebet in der prophetischen Frömmigkeit, in das alle anderen
Gebete einmünden. Jesu Gebet ist wesentlich eschatologisches Gebet,
sehnsüchtiges Flehen um das baldige Kommen der .Vollendung'. „Dein
Reich komme!" (Mt 6 10) ist die zentrale Bitte des Vaterunser, um die
sich alle andern gruppieren; sie wird variiert durch die vorausgehende
Bitte: „Geheiliget werde dein Name!" 104b und erläutert durch die
folgende Bitte: „Dein Wille geschehe, wie im Himmel also auch auf
Erden!" sie wird in negativer Fassung am Schlüsse wiederholt: „Erlöse
uns von dem Übel!" Die Reichgottesbitte kehrt in der Didache in der
bemerkenswerten Variante wieder: „Es vergehe die Welt, es komme
die Gnade!" (10 e). Wenn Jesus (Lk 11 5 ff.; 18 2 ff.) durch die be-
rühmten Parabeln zu stürmischem, anhaltendem Beten auffordert, so
bildet den Gegenstand dieses leidenschaftlichen, sehnsüchtigen Ver-
langens das Kommen des Reichs und die mit ihm verbundene „Recht-
Inhalt des Gebets (Die Reichgottesbitte) 369
fertigung des Auserwählten", nach der „die Gerechten Tag und Nacht
schreien". Maranatha, „komm, Herr Jesu!", ist der Stoßseufzer, den
die urchristliche Gemeinde unaufhörlich zum erhöhten Herrn empor-
sendet, das eindrucksvolle Schlußwort der Apokalypse. 105 Wo immer
in christlichen Sekten die eschatologisch-chiliastische Hoffnung auf-
loderte, da stieg ohne Unterlaß jener apokalyptische Gebetsseufzer aus
sehnsuchtschweren Herzen empor. ,,Come, Lord Jesus, come quicklyl"
ist der Gebetsruf der englischen Independenten. 106 Auch unter den
Gebeten Luthers befindet sich eine überraschend große Zahl von eschato-
logischen Gebeten.
„Hilf, lieber Herr Gott, daß der fröhliche Tag deiner heiligen Zukunft bald
komme, daß wir aus der argen, bösen Welt, des Teufels Reich, erlöset
und von der greulichen Plage, die wir von auswendig und inwendig, beide von
bösen Leuten und unserm eigenen Gewissen, leiden müssen, frei werden". „Du
hast den Tag verheißen, uns zu erlösen von allem Übel, so laß ihn doch nur kommen,
noch diese Stunde, wo es sein soll, und mach des Jammers ein Ende." „Lieber
Vater, laß uns hier nicht lange leben, auf daß vollkommen werde in uns dein
Reich und wir erlöset werden gänzlich von des Teufels Reich." „Ach, Christe,
mein Herr, laß hereinbrechen deinen jüngsten Tag und zerstöre des Teufels Nest
zu Rom." „Christen bitten und begehren den jüngsten Tag". 107 Eschatologischen
Charakter trägt auch folgendes Gebet Savonarolas: „Jesus Christus, mein
Herr und mein Gott! Eile herbei, deiner Kirche zu helfen! Hilf du deinem ganzen
Reiche! Entferne, Herr, das Böse und seinen argen Einfluß! Erstehe in deinem
Zorn, in deiner Rache, Herr, denn ach, nicht länger vermögen wir die Bösen
zu ertragen" 107b.
Wo der Glaube an die unmittelbare Nähe des eschatologischen Gottes-
reiches abgeschwächt ist, tritt an die Stelle des transzendenten Gottes-
reiches die Gottesherrschaft in dieser Zeitlichkeit, die Verkündigung
des Gotteswortes 108 und die Ausbreitung der Kirche, der Sieg des sitt-
lich Guten und die ,Ehre Gottes'.
In einem Gebete Calvins heißt es: „Wir bitten dich, daß du über uns alle
deine Herrschaft und Gewalt ausübest, daß wir mehr und mehr lernen, uns deiner
Majestät unterzuordnen und zu unterwerfen; daß du KönigundHerrscher
in allem seiest, dein Volk durch das Szepter deines Wortes und die Kraft
deines Geistes führest und deine Feinde durch die Macht deiner Wahrheit und
Gerechtigkeit zu schänden machest." „Möge alle Macht und Herrschaft, welche
deine rEhre widerspricht, von Tag zu Tag vernichtet und zerstört werden,
bis die Vollendung deines Reiches offenbar ist, wenn du zum Gerichte kommst". 10*
Nach Bunyan muß man beten, um „die Ehre Gottes und den Fortschritt
Christi", „um die Fülle der Gnade für die Kirche, um Hilfe gegen alle
ihre Anfechtungen, daß Gott nichts für sie zu hart werden lasse, daß alle Dinge
zusammenwirken möchten zu ihrem Besten". n0 Pascal betet mit einer exklu-
siven Richtung auf das einzige Wertvolle und einer herben Geistigkeit, die an
die Mystik erinnert: „Je vous ne demande ni sante" ni maladie, ni vie ni mort,
mais que vous disposiez de ma sante" et de ma maladie, de ma vie et de nia mort
pour votre gloire. pour mon salut et pour l'utilite" de 1' £ g 1 i s e et
de vos saint s". m
5. Eudämonistische Werte.
Die Mystik muß, wenn sie sich selbst treu bleibt, das naive Bitten
um äußere Güter, alles nicht auf Gott selbst gerichtete Beten als der
wahren Frömmigkeit unwürdig verwerfen. Das Irdische ist ja ein
wesenloses Truggebilde, etwas Nichtseinsollendes, ein Unwert, darum
eine Gefahr für das Heil, ein Hindernis der Veremigung mit Gott. Die
Dos Gebot 24
370 F1 IV- Das Gebet in der prophetischen Frömmigkeit
sich regenden Affekte und Wünsche dürfen sich nicht frei im Gebet
aussprechen, sondern müssen gedämpft, gebändigt und ertötet werden.
Die Askese, welche die Sinnlichkeit und das von ihr gespeiste emotionelle
Seelenleben allmählich zum Absterben bringt, ist die Grundlage der
reinen Mystik. Die großen prophetischen Persönlichkeiten hingegen
waren keine Asketen. Nichts liegt ihnen ferner als die systematische
Mortifizierung des natürlichen Affekt- und Trieblebens. Keine Spur
von einem Ekel an den Beschäftigungen des Alltags und an den kleinen
Freuden des Lebens, wie wir ihn bei zahllosen Mystikern finden. Jesu
harmlose Lebensfreude war sogar den tugendstrengen Pharisäern, die
keine Mystiker waren, ein Ärgernis. Die Abkehr von der weltflüchtigen
Mystik und die Erneuerung der prophetisch-biblischen Frömmigkeit
führten die Reformatoren zu einer schroffen Absage gegen allen Asketis-
mus. In diesem antiasketischen Geist liegt der Grund dafür, daß die
großen prophetischen Persönlichkeiten im Gegensatz zu den Mystikern
keinen Gegensatz kennen zwischen dem Bitten um Himmlisches und
um Irdisches, um geistige und materielle Werte, obgleich naturgemäß
das religiös-ethische Interesse die irdischen Wünsche auf ein Mindest-
maß zusammenschrumpfen läßt. Es ist ein Symptom für die völlige
Naivität und die gesunde Natürlichkeit wie für die Unberührtheit von
philosophischem Rationalismus und mystisch-asketischem Pessimismus,
wenn der Fromme um Leben, Nahrung und Gesundheit mit derselben
Selbstverständlichkeit, Innigkeit und Zuversicht beten kann wie um
die Sündenvergebung und das Kommen des Gottesreiches, um das
Kleinste ebenso wie um das Größte.
Die Gebete der alttestamentlichen Propheten und der Psalmen weisen
fast durchgängig irgendwelchen eudämonistischen Einschlag auf. Israels
nationale Selbständigkeit und Größe ist das Ziel ihrer heißesten Gebets-
wünsche. Unter den Gegenständen, um die die Jünger Jesu bitten
sollen, steht das tägliche Brot (Mt 6 n). Mystische und philosophische
Motive haben im späteren Christentum eine Transponierung der schlichten
Brotbitte ins Geistige bedingt 112; aber der schlichte Wortlaut verbietet
jede derartige Umdeutung. Jesus mutet auch ganz unbefangen seinen
Schülern zu, um eine Milderung der furchtbaren Leiden und Schrecken
der nahen Endzeit zu bitten : „Bittet, daß es wenigstens nicht im Winter
geschehe" (Mk 13 18). Er selbst bittet, als man ihm einen Taubstummen
brachte, ohne Bedenken seinen himmlischen Vater um Hilfe zur Heilung
dieses Unglücklichen (Mk 7 34). Ja er spricht mit echt menschlichem,
von stoischer und quietistischer Indifferenz nicht vergewaltigtem
Fühlen seine Todesangst dem Vater aus und fleht ihn eindringlich um
das Vorübergehen des Kelches an. Pauli Mahnung an die Philipper
(46): „Sorget nicht, sondern alle eure Anliegen bringet in Gebet,
Flehen und Danksagung vor Gott" läßt eine Einschränkung auf die
Bitte um geistige Güter nicht zu. Paulus selbst bittet dreimal flehent-
lich den Herrn, er möge ihn vom „Stachel des Fleisches" und von „Satans
Faustschlägen" befreien (2 Kor 12 7 ff.); er meint damit sein schweres
Körperleiden, das aller Wahrscheinlichkeit nach als Epilepsie zu deuten
ist. Jakobus fordert zum Gebet für die Kranken auf. „Bittet für
Inhalt des Gebets (Die Bitte um Irdisches) 371
einander, daß ihr geheilt werdet" (5 14 ff.). Hermas wird von Gott
aufgefordert, ohne Bedenken um alles zu bitten. 113 Wenn Thomas von
Aquin im Anschlüsse an Augustinus das Axiom aufstellte: „Hoc licet
orare, quod licet desiderare" , 114 so bringt er nur den biblisch-altchrist-
lichen Glauben, daß es keinen Unterschied zwischen geistigen und
weltlichen Gebetsbitten gibt, in eine prägnante Formel. Noch schärfer
hebt Luther diesen Grundgedanken der prophetischen Frömmigkeit
hervor. „Wir sollen Gott allerlei Not vorhalten, erstlich die geistige
Not", „darnach die gemeine, zeitliche Not dieses Lebens auf Erden,
als, daß wir sollen bitten, daß er uns gebe gnädigen Frieden, gut Regiment
und behüte uns vor allerlei Plage: Krankheit, Pestilenz, teuer Zeit,
Blutvergießen, Ungewitter". 115 Als er in Schmalkalden krank darniede-
lag, betete er: „Hilf mir, daß es besser werde." Als Melanchthon in
Lebensgefahr schwebte, bedrängte er Gott mit der Bitte, dieses ,Organon'
das ,der Teufel geschändet', doch der Kirche zu erhalten. 116 Und in
schwerer Kriegszeit rief er zu Gott: „Behüte uns vor Krieg, der das
Land und alle Stände wüst macht." 117 Ja, er scheute sich selbst nicht
in einer Zeit großer Dürre Gott um Regen zu bitten, so wie es die Primi-
tiven in tropischen Ländern und die frommen Bauern in Europa tun :
„Wie, daß du denn nicht willst Regen geben, weil wir so lange schreien
und bitten?"118 Calvin betet für die Gattin seines Freundes Viret
um eine glückliche Entbindung. 119 Kierkegaard bekennt sogar: „Nie-
mals ist mir eingefallen, Bedenken zu haben, Gott einfach zu bitten,
wenn ich dazwischen einmal mich zu vergnügen wünschte, er möge
mir nun auch helfen und mir schenken, daß ich mich recht vergnügen
könnte — was Widersinn wäre, wenn Gott ein fanatischer Popanz
wäre" 12°. Auch Muhammed kennt ebenso wie die christlichen Persön-
lichkeiten vom prophetischen Typ keinen Gegensatz zwischen dem
Bitten um irdische und ewige Güter. Er gibt einem seiner Jünger
die Weisung: „Bittet Gott um das Wohlsein im Diesseits und Jenseits."
Er selbst sprach morgens und abends gerne folgendes Gebet: „0 Gott,
ich bitte dich um das Wohlsein in Deiner Religion, in meinem Leben,
an Gut und Blut". 121
Die neueren evangelischen Theologen haben den biblischen Gedanken von
der Berechtigung des Bittens um Irdisches und Zeitliches entschieden betont.
Richard Rothe sagt: „Gegenstand des Bittgebetes darf an sich alles sein, was
Gegenstand des Wunsches eines Christen sein kann, es sei nun ein geistiges Gut
oder ein sogenanntes äußeres." m *> M o n r a d urteilt: „Alles was sich in unserer
Seele regt, das Große und das Kleine, dürfen wir in unser Gebet aufnehmen.
Ist einmal unsere Seele von irgend einein an sich unbedeutenden Ding hinge-
nommen, so mögen wir uns nicht schämen unserem Gott davon zu sagen." ltl c
Die prägnanteste Formulierung für die biblischen Motive des naiven Bittgebets
hat Wilhelm H errma um gefunden: „Der Glaube bewirkt gewiß nicht, daß
der Christ überhaupt von der Bitte um natürliche Dinge zurücktritt. Diese
vermeintliche Verklärung des Gebets wäre eine Entleerung desselben. Was die
Seele wirklich belastet, daß sie dadurch in ihrem Frieden bedroht wird, soll auch
im Gebet vor Gott gebracht werden mit der Zuversicht, daß seine Liebe auch
unser angstvolles Kleben an natürlichen Dingen versteht . . . Diese Haltung
zu dem Vater, der uns in Christus entgegenkommt, bewirkt unsere innere Festigung
gegenüber den Dingen, die uns gefangen nehmen. Wenn wir es selbst versuchen
uns von ihnen l'iei zu machen und demgemäß unser Gebet auf sie nicht ausdehnen.
0 s.haden wir uns in doppelter Weise: 1. wird dadurch unser Gebet unlebendig
372 P IV. Das Gebet in. der prophetischen Frömmigkeit
und unwahrhaftig; es ist dann in Wahrheit gar nicht unser eigenes Gebet, sondern
vielleicht das mögliche Gebet eines ganz anders gestellten Menschen; 2. stellen
wir uns dabei nicht wirklich vor den Gott, der als Helfer und Retter aufgesucht
sein will. Denn wir erträumen uns dabei einen Gott, der zwar das Ideal des
Menschen liebt, aber für unsere Bedürftigkeit keine Teilnahme hat. Wenn wir
dagegen mit dem, was uns bedrückt, uns an Gott wenden, so bewirkt das Ver-
trauen, das er in uns hervorruft, eine Entlastung unseres Innern." m d
Die Mystik und die moralistische Philosophie brandmarken das Bitten
um zeitliche Güter als irreligiös und sündhaft. Die prophetische Reli-
giosität stellt zwar die hohen religiös-ethischen Werte in den Mittel-
punkt des Betens, aber sie hat auch Raum für das kindlich-primitive
Bitten um Leben und Nahrung, um Regen und Sonnenschein. Alle
Problematik über das religiöse und ethische Recht des naiven Bittgebets
wie über die metaphysische Möglichkeit einer menschlichen Einwirkung
auf Gott liegt hier völlig ferne. Wo das Beten nichts ist als ein schlichtes
,Ausschütten des Herzens', ein „Abwerfen aller Sorgen von unserm
Herzen auf das Herz, das uns gemacht hat" (Gebetsdefinition von
Tholuck), 121e da müssen alle Einwände der Philosophie und Mystik
verstummen. Nur eine emseitig von sittlichem Bußernst bestimmte,
herbe Frömmigkeit wie die eines Bunyan oder Pascal — nach James
müßten wir diese Persönlichkeiten zum Typ der ,sick souV rechnen —
schließt das treuherzige Bitten um Zeitliches aus. Bunyan sagt: „Right
prayer, as it runs only to God through Christ, se it centres in him and
in him alone," Noch am Sterbebett gab er d'e Gebetsregel: „Bevor
du zum Gebet schreitest, frage deine Seele: ,Ist dein Anliegen wichtig,
betrifft es nicht das Heil deiner Seele'?". 122 Und der unter dem Ein-
fluß des Jansenismus stehende Blaise Pascal betet: „Ich weiß, daß ich
nur eines weiß: daß es gut ist, dir zu folgen und daß es böse ist, dich
zu beleidigen". 123
c) Mittel der Überredung.
Die Bitte wird wie im Gebet des primitiven Menschen gestützt durch
die Mittel der Überredung. Der naive Beter trägt nicht bloß seine
Wünsche Gott vor, sondern „streicht sie fein heraus mit Umständen"
(Luther) 124, motiviert und begründet sie, sucht durch allerhand Hin-
weise und Argumente Gott zur Erfüllung seiner Bitte zu bewegen. Bei
Luther, der unter den großen religiösen Männern wohl der naivste,
urwüchsigste und kindlichste ist, nimmt dieses realistische Auf-Gott-
einwirken-wollen, Ihn-umzustimmen-suchen so primitive Formen an,
daß für den oberflächlichen Betrachter seine Frömmigkeit von der
Reinheit und sittlichen Größe des neutestamentlichen Gebetsgeistes
herabzusinken scheint. Manche Redewendungen in seinen Gebeten
klingen fast wörtlich an Gebetsäußerungen primitiver Völker an.
a) Huldigung, Lob und Dank entspringen zumeist spontanen
Affekten, können jedoch auch — ■ wie es beim primitiven Menschen die
Regel ist — zugleich ein Mittel zur Gewinnung Gottes sein.
„Die erste Art und Tugend eines rechten Gebets ist dies, daß man Gott dankt
und seine Wohltat rühmet. Das Stück wird in der Redekunst genannt captatio
benevolentiae, welche am besten geschieht durch Lob und Danksagung." „Der
best Anfang und Vorred ist, daß man wohl wisse, wie man nennen, ehren, handeln
Inhalt des Gebets (Überredung) 373
soll, den man bitten will, und wie man sich gegen ihn erzeigen soll, daß man ihn
gnädig und geneigt mache zu hören" (Luther). 12S
(!) Ungemein häufig ist der Appell an Gottes eigenes
Interesse; denn nicht um selbstsüchtige und launische Wünsche
handelt es sich, sondern um ideale, als gottgesetzt und gottgewollt
erlebte Werte und Aufgaben.
Jeremia betet : .,Wenn unsere Missetaten gegen uns Zeugnis ablegen, Jahwe,
so handle doch um deines Namens wille n!" (14, 7). ..Verunehre doch
nicht den Thron deiner Herrlichkeit!" (14. 21). Luther betet in Worms:
..Es ist doch nicht mein, sondern deine Sache; habe ich doch für meine
Person allhier nichts zu schaffen und mit diesen großen Herren der Welt zu tun,
wollte ich doch wohl gute und geruhige Tage haben und unverworren sein. Aber
dein ist die Sache, die gerecht und ewig ist". 126 Als ihn Veit Dietrich belauschte,
betete er: ..Ich weiß, daß du unser lieber Gott und Vater bist, derohalben bin
ich gewiß, du wirst die Verfolger deiner Kinder vertilgen. Tuest du es nicht,
so ist die Gefahr dein sowohl als unser, die ganze Sache ist dein. Was wir getan
haben, das haben wir müssen tun, darum magst du, lieber Vater, uns beschützen". 127
Ein andermal betet er: ,. Tue. Herr, wohl an mir um deines Namens willen.
Du siehest ja. daß die Sache dich angehet, deinen Namen, dein Wort, deine
Ehre preise ich, so lästern sie das alles; lassest du mich, so verlassest du auch
deinen Namen; aber das ist unmöglich, darum errette nüch." Im Gebet wider
die Türken sagt er: ,.Es sind deine Feinde mehr denn unsere Feinde, und wenn
sie uns verfolgen, und schlagen, so verfolgen und schlagen sie dich selber; denn
das Wort, das wir predigen, glauben und bekennen, ist dein, nicht unser, alles
deines heiligen Geistes Werk in uns." ..Laß dich nicht um unserer Sünden willen
also mit Füßen treten von denen, die nicht unsere Sünden in uns strafen, sondern
dein heiliges Wort, Namen und Werk in uns tilgen wollen, daß du kein Gott sein
sollest und kein Volk haben, das dich predige, glaube und bekenne". 128 Ähnlich
betet Calvin: „Laß nicht zu, daß das Andenken deines Namens auf Erden
abgeschafft werde; laß nicht zu. daß die, über die dein Name gerufen ist, zugrunde-
gehen lind daß die Türken und Heiden sich rühmen". 129
Wie die Primitiven ihren Gott daran erinnern, daß, wenn er seine Verehrer
aussterben lasse, niemand mehr ihm Opfer bringen werde, so erinnert der Psalmist
seinen Jahwe daran, daß nach dem Untergang des Gottesvolkes niemand mehr
seine Wunder preise. ,, Wirst du an den Toten Wunder tun oder werden die
Schatten auferstehen um dich zu preisen ? Wird deine Gnade im Grabe ver-
kündigt . deine Treue im Abgrund ? Werden deine Wunder in der Finsternis kund
und deine Gerechtigkeit im Lande des Vergessens?" (Ps. 88, 11 ff.)130. Der
Verfasser der Baruchapokalypse ruft zu Jahwe: „Wenn du deine Stadt untergehen
lassest und dein Land unsern Hassern preisgibst, wie kann da noch des Namens
[srael gedacht werden? Oder wie kann man reden von deinen Ruhmestaten?
Oder wem kann erläutert werden, was im Gesetze steht?" (3 5 f.). In ähnlichen
Worten wie der Psalmist betet Calvin: „Unterhalte das Werk, das du in uns
durch deine Gnade begonnen hast, damit die ganze Welt erkenne, daß du unser
<;<»tt und unser Erlöser bist. Du weißt, daß die Toten, die in der Hölle sind, und
die, welche du besiegt und zu Schanden gemacht hast, dich nicht loben werden;
aber die trauernden und trostlosen Seelen, die niedergedrückten Herzen, die
Gewissen, die von dein Gefühl ihres Übels gedrückt sind und hungern vor Sehn-
sucht nach deiner (Jnade, die werden dir Lob und Ehre erweisen". m Auch
.\T w h a m in e d stellt Gott vor, daß er keine Anbeter haben würde, wenn er ihm
nicht den verheißenen Sieg verleihen wollte. 132
y) Die volle Naivität, die den inneren Unwillen ebenso offenbart wie
die Not, Zuversicht und Freude, die jede seelische Regung aufdeckt,
scheut auch nicht vor einer Drohung Gott gegenüber zurück. Luther
erzählt, er habe, als Melanchthon todkrank darniederlag, Gott ,,den
Sack vor die Füße geworfen". Im Gebet für den kranken Kurfürsten
Johann sen droht er: „Laß uns doch dir nicht die Schlüssel vor die Füße
374 F IV. Das Gebet in der prophetischen Frömmigkeit
werfen, denn so wir zuletzt zornig über dich werden, dir deine Ehre
und Zinsgüter nicht geben, wo willst du denn bleiben?" Aber wie im
primitiven Beten so häufig Drohung und Scheltung mit begütigendem
Zureden wechselt, so schlägt auch Luthers Gebet plötzlich einen anderen
Ton an: „Ach, lieber Herr, wir sind dein, mache es, wie du willst, allein
gib Geduld!"133
d) Die Erinnerung an die bisherigen Wohltaten,
Gnadenerweise und Gebetserhörungen soll Gott auch in der Gegenwart
zur Hilfe bestimmen.
..Gedenke deiner Barmherzigkeit. Jahwe, und deiner Hulderweise, denn von
Ewigkeit her sind sie" (Ps 25. 6). ..Auf dich vertrauten unsere Väter, vertrauten
und du errettetest sie. zu dir schrien sie und wurden errettet (Ps 22. 5). Der Dichter
des dies irae singt:
„Qui Mariam absolvisti
Et latronem exaudisti.
Mihi quoque spem dedisti."
Luther betet in der Krankheit zu Schmalkalden: ,,0 du treuer Gott, hat
dein Name so vielen Leviten geholfen, hilf doch mir auch !" 13* Und er gibt folgende
Gebetsanweisimg: .,Wenn wir schreien: .Herr Gott hilf mir in dieser Not' und
die Erlösung folgt sobald nicht, also soll man aufsuchen alle Exempel der Väter.
.Siehe doch lieber himmlischer Vater, wie du zu allen Zeiten deinem Volke bei-
gestanden hast' und soll ihm so die Exempel allerlei Erlösung vorhalten". 13S
Calvin motiviert seine Vergebungsbitte also: ,,Dein Volk Israel hat wiederholt
deinen Zorn herausgefordert durch seine Missetat und du hast es durch dein
gerechtes Gericht niedergeschlagen; aber wenn es zu dir zurückgekehrt ist, hast
du es stets voll Mitleid aufgenommen. Und wie schwer auch ihre Beleidigungen
waren, um der Liebe deines Bundes willen hast du deine Geißeln und Flüche
abgewendet, die für sie bereitet waren. So sind denn ihre Gebete nie von dir zurück-
gewiesen worden" 136.
e) Ein noch wirksameres Mittel, um Gott zur Erhörung zu bewegen,
ist die Berufung auf seine Verheißung; der Beter faßt Gott
beim eigenen Wort.
Moses spricht zu Jahwe: „Laß ab von deinem heftigen Zorn und laß dich
das Unheil gereuen, das du deinem Volke zugedacht hast. Gedenke deiner D iener
Abraham, Isaak und Jakob, denen du bei dir selbst zugeschworen und verheißen
hast: .Ich will eure Nachkommen so zahlreich werden lassen wie die Sterne am
Himmel, und dieses ganze Land, von dem ich gesprochen habe, will ich euren
Nachkommen verleihen, damit sie es auf ewige Zeiten besitzen" (Ex 32. 13 JE).
Der Hohepriester Simeon betet auf Sion: ,,Aus Liebe zum Hause Israel verhießest
du ja, wenn wir abtrünnig würden und uns Not überfiele und wir dann an diese
Stätte kommen und beten würden, du unser Gebet erhören wolltest. Und du
bist ja treu und wahrhaftig. Als aber unsere Väter oftmals bedrängt wurden,
halfst du ihnen in der Erniedrigung und errettetest sie aus großen Gefahren."
Luther empfiehlt. Gott beim Gebet ,,der Verheißung zu erinnern, zu ver-
mahnen, ihm seine Verheißung vorzuwerfen. " ' Die Verheißung ist ihm „das Haupt-
stück, Grund und Kraft aller Gebete". Von seinem Gebet für den todkranken
Melanchthon erzählt er: „Allda mußte mir unser Herrgott herhalten, denn ich . . .
rieb ihm die Ohren mit allen Verheißungen. Gebete zu erhören, die ich aus der
heiligen Schrift zu erzählen wußte, daß er mich mußte erhören, wo ich anders
seinen Verheißungen trauen sollte". 137 Veit Dietrich, dem es glückte, Luthers
Beten zu belauschen, staunt sich darüber, ,,daß er so hart auf die Verheißungen
der Psalmen drang, als wäre er gewiß, daß alles geschehen müßte, was er be-
gehrte". 138 „Sollst du wohl gerüstet sein," sagt Luther, ,,so nimm die Ver-
heißung und fasse Gott bei derselben: .Lieber Herr, ich habe ja dein Wort. Hilf
du, weil du gesagt hast und befohlen, so sollen wir 's gewißlich empfahen, finden
und haben, was wir begehren'". 13B Calvin betet: „Allmächtiger Gott, himm-
lischer Vater, du hast uns versprochen uns in unseren Bitten zu erhören, die wir
Inhalt des Gebets (Überredung) 375
an dich richten im Namen deines geliebten Sohnes Jesus Christus, unseres
Herrn". 140 Die Erinnerung an die göttliche Verheißung geht manchmal in einen
ausdrücklichen AppellandieSelbst treue und Wahrhaftigkeit Gottes
über. So heißt es in einem Gebet Luthers: „Nun, wir bitten so sehr und haben
so oft gebeten, tust du es nicht, lieber Vater, so werden die Gottlosen sagen:
Christus, dein lieber Sohn lüge, da er spricht: .Wahrlich, wahrlich, ich sage euch,
was ihr den Vater bitten werdet in meinem Namen, das wird er euch geben'.
Also werden sie dich und den Sohn Lügen strafen". 141
C) Mit der Berufung auf Gottes Verheißung berührt sich enge der
Hinweis auf Gottes ausdrückliches Gebot zu beten.
Luther spricht im Gebet: ,,Du selbst hast gebeten, daß wir dich anrufen sollen
und willst also geehrt sein, daß man Gutes bei dir suche." „Ich bete nicht, daß
ich's Recht habe oder würdig sei, sondern daß ich doch hierin ein wenig gehorsam
sei, da du mich heißest und zwingest zu beten im Namen deines lieben Sohnes.
Auf diesen Trotz und Trost deiner grundlosen Güte, nicht auf meine Gerechtigkeit,
trete ich vor und bete". 142 In Calvins Kirchengebet heißt es: „Nachdem es
deiner unendlichen Barmherzigkeit gefallen hat uns zu befehlen, daß wir dich
anrufen und daß wir unsere Zuflucht zu deiner mächtigen Güte nehmen, wagen
wir es uns an deine Majestät zu wenden und deinen heiligen Namen anzurufen". 143
77) In der Berufung auf Gottes bisherige Wohltaten, seine Gebote und
Verheißungen tritt der objektiv-geschichtliche Charakter der propheti-
schen Gebetsfrömmigkeit hervor, welcher der Mystik fehlt. Noch schärfer
ist dieses historische Moment in der Berufung auf die gött-
lichen Heilstatsachen erkennbar. Die alttestamentlichen
Beter 144 stützen sich auf den Bundesschluß am Sinai, durch den Jahwe
und sein Volk zur unlöslichen Einheit wurden. Jeremia betet: „Brich
nicht deinen Bund mit uns" (14 21). Die christlichen Beter erinnern
Gott an den sühnenden Opfertod des Gottessohnes auf Golgatha.
Calvin betet: „Wir haben einen viel besseren Bund, auf den wir uns berufen
können; es ist der, den du geschlossen und festgesetzt hast durch Jesus Christus,
unseren Erlöser, der, wie du wolltest, durch sein Blut geschrieben wurde und
durch sein Leiden und Sterben Rechtskraft erlangte. Darum, o Herr, bauen wir
nicht auf uns selbst noch auf irgendwelche menschliche Hoffnung, sondern nehmen
zu diesem glückseligen Bund unsere Zuflucht, durch den unser Herr Jesus Christus
uns mit dir versöhnt hat, indem er seinen Leib als Opfer darbrachte. Schau
darum, o Herr, auf das Antlitz deines Christus und nicht auf uns, damit durch
seine Fürbitte dein Zorn besänftigt werde und dein Antlitz uns in Freude zum
Heile leuchte" 145. Noch innigere Worte findet der Dichter des Dies irae:
„Recordare Jesu pie,
Quod sum causa tuae viae,
Ne me perdas illa die.
Quaerens me sedisti lassus,
Redemisti crucem passus,
Tantus labor non sit cassus."
Savonarola betet: „Erbarme dich meiner nach deiner großen Barmherzigkeit,
in welcher du deinen Sohn für uns dahingegeben, in der du durch ihn die Sünden
der Welt hin weggenommen". ,46b
Eine Berufung auf die große Heilstatsache des Versöhnungstodes
Jesu liegt schon in der schlichten NennungdesNamens Jesu
beim Gebet. Die urchristliche Gemeinde betet stets ,in' und .durch'
Jesus, ,im Namen Jesu' zum Vater. 146 Luther fleht: „Vater, sieh
nicht unsere Sünde, sondern deinen Sohn Jesum Christum an, in seinem
Namen kommen wir jetzt vor dich" 147. Der christozentrische Charakter
des evangelischen Heilsglaubens ist auch im Gebet deutlich erkennbar.
„Christus ist der Weg, durch den die Seele Zutritt hat zu Gott und
376 F IV Das Gebet in der prophetischen Frömmigkeit
ohne den es unmöglich ist, daß jemand, so sehr er auch wünscht, Gottes
Gehör erlangt" (Bunyan). 147 b
■&■) Die in zahllosen primitiven Gebeten sich findende Berufung
auf die soziale Zusammengehörigkeit mit Gott, vor allem auf das
Kindscha ftsverhältnis des Menschen zu Gott, kehrt in den
Gebeten der prophetischen Persönlichkeiten wörtlich wieder.
Ein nachexilischer Frommer ruft zu Jahwe: „Fürwahr, du bist unser Vater;
denn Abraham weiß nichts von uns und Israel kennt uns nicht; du, Jahwe, bist
unser Vater". 148 Luther fleht: „Lieber himmlischer Vater, wir, deine Kinder,
dürfen jetzund das, jetzund jenes". 149 Calvin sagt: ,,0 Herr, du bist unser Vater
und wir sind nur Erde und Kot; du bist unser Schöpfer und wir sind das Werk
deiner Hände; du bist unser Hirte, wir sind deine Herde; du bist unser Erlöser,
wir sind dein Volk, das du erkauft hast; du bist unser Gott, wir sind deine Erben.
Darum zürne uns nicht, um uns in deinem Groll zu strafen." „Wir bitten dich
für alle unsere armen Brüder und Mitglieder, die du mit deinen Geißeln und
Züchtigungen heimsuchst, und flehen dich an, deinen Zorn von ihnen abzuwenden.
Herr, gedenke, daß es deine Kinder sind wie wir". 150
i) Tax den Mitteln, Gott zur Erhörung zu bewegen, gehört auch die
Berufung auf die eigene Frömmigkeit und Gerechtigkeit,
die uns neben dem Pochen auf die Opferdarbringungen schon in den
primitiven Gebeten häufig begegnete. Der fromme Jude pocht auf
seinen Gesetzeseifer und sein Gottvertrauen, seine Gerechtigkeit und
seine guten Werke, der Prophet erinnert Gott an seinen Berufsgehorsam
und Berufseifer, der alle Werkgerechtigkeit für nichts achtende evan-
gelische Christ beruft sich auf seinen guten Willen.
Jeremia ruft: „Du Jahwe, kennst mich und durchschaust mich und hast meine
Gesinnung gegen dich erprobt. Ja, du weißt es, Jahwe!" (12, 3). „Gab es Worte
von dir, so verschlang ich sie, und es gereichten mir deine Worte zur Wonne und
zur Freude meines Herzens" (15, 15). „Ich habe mich dem nicht entzogen, Hirte
zu sein in deiner Nachfolge, du weißt es. Was meine Lippen vorbrachten, es
liegt offen vor deinem Angesicht" (17, 16). Der Psalmist betet: „Schaffe mir
Recht, Jahwe, nach meiner Frömmigkeit und nach der Gerechtigkeit, die in
mir ist" (7, 9). „Schaffe mir Recht, Jahwe, denn in meiner Unschuld habe ich
gewandelt und auf Jahwe habe ich vertraut. Prüfe mich, Jahwe, und durch-
suche mich, durchläutere meine Nieren und mein Herz; ich wasche in Unschuld
meine Hände" (26, 1 f.). „Bewahre meine Seele, denn ich bin f^ornm; hilf du,
mein Gott, deinem Knecht, der auf dich vertraut!" (86, 2). Selbst der gegen
alle Werkgerechtigkeit anstürmende Luther beruft sich in seiner Krankheit auf
seiner Predigereifer: „Du weißt ja, daß ich dein Wort fleißig gelehrt habe". 181
x) Auch der Appell anGottes Mitleid, der zum primitiven
Gebet gehört, kehrt in den Gebeten der prophetischen Genien wieder.
„Sei mir gnädig," betet wiederholt der Psalmist (Ps 51, 1; 57, 1). Augustinus
fleht: „Hei mihi, Domine, miserere mei. Hei mihi, ecce vulnera mea non abscondo.
Medicus es, aeger sum. Misericors es, miser sum". 182 Luther ruft: „Nun bitte
ich dein Erbarmen. Erbarme dich meiner und vergib mir meine Sünde." „Siehe
meine Not an und meinen Jammer." „Erbarme dich mein, denn ohne dein
Erbarmen alle Dinge mir schrecklich und bitter sind". 153 Calvin betet: „Hab
Mitleid mit uns, allgütiger und barmherziger Gott und Vater". 154
A) Wie in der primitiven Religion, so begegnet uns auch im propheti-
schen Gebetsleben das anhaltende, unverdrossene Bestürmen und
Bedrängen Gottes, das diesen zum Nachgeben bringen soll. Der
Mystiker ist ganz in Gott aufgegangen, versunken, verloren ; alle Wünsche
und Begierden sind verstummt in der seligen Gottesschau. Die prophe-
tischen Naturen dringen in Gott mit ungestümer Leidenschaft, sie
Inhalt des Gebets (Überredung) 377
ringen mit ihm in zäher Ausdauer und suchen ihn durch unaufhörliches
Rufen und Flehen zur Erfüllung ihres heißen Sehnens und Verlangens
zu zwingen. Ein spätjüdischer Frommer sagt: „Unverschämtheit hat
selbst gegenüber dem Himmel Erfolg". 155 Derselbe Gedanke liegt den
Gleichnissen Jesu vom unverschämten Freund und von der zudring-
lichen Witwe (Lk 115 ff., 18 x ff.) zugrunde. Die Macht und Erhörungs-
gewißheit des anhaltenden , unermüdlichen und ungestümen Bittens und
Betteins ist hier in wundervoller Weise veranschaulicht. Jesu ein-
dringliche Aufforderung zum unverdrossenen Dranggebet (tiüptote
7cqog£v%£0&cu xai fit] iyxaxdv) ist von den Theologen der alten und
neuen Zeit mit zahlreichen Klauseln und Restriktionen versehen, abge-
schwächt und umgedeutet worden. Sie bereitet den philosophischen
Köpfen dieselbe Verlegenheit wie den kontemplativen Mystikern; denn
sie stellt den schärfsten Gegensatz zum mystischen und philosophischen
Gebetsideal dar. Und doch ist der schlichte Wortsinn eine psycho-
logische Selbstverständlichkeit. Aus der Aufmunterung Jesu zu stür-
mischen Beten spricht nur jener naive Glaube an die Macht des Gebets,
jene kindlich-treuherzige Zuversicht auf den Vatergott, jener anthro-
pomorphe Realismus des Umganges mit Gott, den im Gegensatz zu
aller Philosophie und Mystik das prophetische Gebet mit dem urwüchsigen
Gebet des primitiven Menschen gemeinsam hat. Jene zu andringendem
Gebetsmut mahnenden Parabeln wollen einen Schluß a minore ad malus
veranlassen : Wenn schon unfreundliche oder ungerechte Egoisten durch
anhaltendes Bitten und Betteln zur Gewährung des Erbetenen zu
bringen sind, um wieviel mehr wird dann der gütige Vater im Himmel
denen, die ihn gläubig anrufen, gerne geben. 156 Es sind ja auch nicht
törichte und kindische Gebetswünsche, die Jesus im Auge hatte, sondern
das Größte und Wichtigste, dem Jesu ganze Hoffnung gehört: das
Gottesreich, das den zentralen Gegenstand der Vaterunserbitten bildet.
Wenn die verfolgten und geschmähten Frommen Tag und Nacht zum
Himmel schreien, so kann der große Gerichtstag, der ihnen Recht
schafft, nicht mehr lange ausbleiben. Jesu nachdrückliche Aufmunterung
hat in Luthers Seele gezündet, er findet noch drastischere und kräftigere
Worte für das „Dranggebet"'; der unverdrossene Gebetseifer grenzt bei
ihm an einen Gebetstrotz, dessen Primitivität die Reinheit und Er-
habenheit des neutestamentlichen Kmdschaftsverhältnisses zu ge-
fährden scheint.
..Stelle mir bei, tue es, du in u ßt es tun." betet er in Worms. ..Ich bin ein
armer unwürdiger Sünder, das weiß ich wohl, aber nichtsdestoweniger muß ich
dies und jenes haben". "7 „Wir sollen unverschämte Bettler sein und geilen
Lernen und uns nicht Lassen müd m lohen " ..Man soll nicht allein eine Stunde
bitten, sondern man muß s hreien und anklopfen; alsbald mußt du Gott zwin-
ge d . daß er komme." ..Man soll Gott mit Anklopfen und heftigem feindlichen
Anhalten einen Verdruß machen." Man muß ihn ,, übertäuben mit stetem An-
heilen." ,, So sich Gotl immer mehr verbirget. so fange an und klopfe und höre
nicht auf, bis du die Türe auflaufest, dtrin er vers -blossen ist." ..Gott kann
alsdann unser Schreien nicht langer leiden und spricht: .Wohlan? so fahre hin
und habe, was du begehrst'". ..Solch unversc hämt Gebet, das fest anhält
und sich nicht läßt abschrecken ihn anzuschreien, gefällt Gott wohl". 15B Kierge-
gaard hat diesen kräftigen Wort en Luthers Beifall gespendet: ..Wie wohltuend
078 P IV. Das Gebet in der prophetischen Frömmigkeit
und stärkend ist doch, was Luther darüber sagt, daß man unverschämt im Beten
sein und Gott so recht flehentlich bitten und bedrängen soll". 158b
Ähnliche Sätze werden auch von Muhammed überliefert: „Gott liebt jene,
die recht zudringlich in ihrem Gebet sind." ..Wenn ihr zu Gott betet,
sagt nicht: wenn es dein Wille ist, sondern betet in kategorischer Weise und ver-
langt euch recht große Dinge, denn für Gott ist kein Ding zu schwer, das er ver-
leiht." In einem Taurät- Verse spricht Allah selbst : ,,Wer meine Wohltat erhofft,
möge seine Bitte in zudringlicher Weise vorbringen". 15'
Alle diese verschiedenen Mittel der Überredung sollen die Bitte be-
gründen, bekräftigen und ihr durchschlagende Kraft verleihen. Aber
sie sind, näher betrachtet, mehr als bloße Überredungs- und Umstim-
mungsversuche ; der Appell an Gottes eigenes Interesse wie die Be-
rufung auf seine bisherigen Gnaden und Verheißungen, auf die Heils -
tatsachen und das Kindschaftsverhältnis bezwecken zwar eine reale
Einwirkung auf Gottes Willen, aber sie sind zugleich ein starker Aus-
druck der (bereits als gebetsmotivierendes Moment wirksamen) Zu-
versicht und Hoffnung. Schon hierin offenbart sich der für das prophe-
tische Beten typische Übergang der in Klage und Bitte erfolgenden
Aussprache der Not in die Aussprache der Zuversicht.
d) Aussprache der Ohnmacht und Abhängigkeit,
Bekenntnis der Sündhaftigkeit.
Unter den Formen, Gott zur Erfüllung eines Wunsches zu gewinnen,
stehen im primitiven Beten das Bekenntnis der eigenen Ohnmacht und
der helfenden Macht Gottes sowie das Eingeständnis der eigenen Un-
würdigkeit, Nichtigkeit und Sündhaftigkeit. Beides kehrt auch im
prophetischen Beten in unmittelbarer Verbindung mit der Bitte wieder.
Doch tritt hierbei die naive Realisierungstendenz, die Absicht einer
Motivierung der Bitte noch mehr zurück als bei den oben angeführten
Mitteln der Überredung; es handelt sich um den selbständigen Aus-
druck eines elementaren seelischen Erlebnisses. Der Fromme will viel
weniger Gott zur Hilfe reizen und seine Gunst erwerben, dadurch daß
er sich vor seiner Macht demütig in den Staub wirft und seine absolute
Gewalt anerkennt, er will vielmehr das Bewußtsein vollkommener
Abhängigkeit, das Kreaturgefühl, von dem er ganz durchdrungen ist,
seinem Gott aussprechen. So hat auch das Eingeständnis der eigenen
Sündhaftigkeit und das Bekenntnis der Strafwürdigkeit nicht den
Zweck, durch die darin liegende Selbsterniedrigung den Zorn Gottes
zu beschwichtigen und sein Mitleid zu erregen — dies trifft auf die
primitiven und antiken Bußgebete durchgängig zu — •, sondern ist der
spontane Ausdruck wahrhaftiger Selbstverurteilung, das rückhaltlose
Eingeständnis des eigenen ,numinösen' Unwertes.
„Wir sind der Ton und du bist unser Bildner und das Werk deiner Hände sind
wir alle" (Jes 64, 7). ,,0 Gott, du hast meine Seele geschaffen und wirst sie zu
dir nehmen, dir gehört ihr Tod und ihr Leben." ..Ich bitte dich bei deiner Macht,
ich bitte dich um Gnade; denn siehe, du bist mächtig, ich bin unmächtig; du
bist wissend, ich bin unwissend." „Du bist der Herr und ich bin dein Diener;
verzeih mir meine Sünden alle; denn siehe, es verzeiht keiner die Sünden außer
dir; und führe mich zu den besten Sitten; denn es führt keiner zu den besten
Sitten außer dir; entferne von mir die bösen Sitten, denn es entfernt keiner die
bösen Sitten außer dir; alles Gute ist in deiner Hand." ,, Siehe, du hast Macht
Inhalt des Gebets (Aussprache der Abhängigkeit) 379
über alle Dinge" (Muhmmed). 140 ,,Was bist du anders als die Barmherzigkeit
selber ? Was aber bin ich anders als das Elend selber ? Siehe, Gott, der du die
Barmherzigkeit bist, siehe das Elend ist vor dir" (Savonarola). 190b ,,Hilf mir,
Herr, denn ich finde keine Hilfe bei den Menschen noch bei einer anderen Kreatur"
(Ignatius von Loyola). 161 ,.Kein Mensch noch Kreatur mag mir helfen noch
trösten, also groß ist mein Elend." „Nun siehest du, wie es allenthalben mangelt,
daß ich keine Hilfe weiß ohne bei dir." ..Ich armer Mensch, voll aller Sünde,
der ich an mir, an meinen Werken und an allen meinen Kräften verzweifle, habe
nichts, das ich tun könnte, denn daß ich bete und deine Barmherzigkeit anrufe."
,,Da ist nichts Gutes, was ich rede, denke, tue und lebe, ohne deine Gnade und
göttliche Kraft, wenn ich gleich aller Mönche Heiligkeit hätte" (Luther). 16ä
..Mein Herz ist so verhärtet, daß alle meine Anstrengungen und a'le Anstrengungen
der Welt zusammen nichts tun könner, um meine Bekehrung einzuleiten, wenn
nicht d u sie mit dem ganz außerordentlichen Beistand deiner Gnade begleitest."
,,Zu wem sollte ich schreien, Herr, wenn nicht zu dir? Du allein hast meine
Seele erschaffen können, du allein kannst sie jetzt neu schaffe»" (Pascal). 16S
„Zahlreich sind unsere Übertretungen, an dir haben wir gesündigt." „Wir
erkennen Jahwe, unsere Frevel, die Schuld unserer Väter, daß wir an dir ge-
sündigt haben" (Jer 14, 7; 14, 20). ,,An dir allein habe ich gesündigt vind habe
getan, was dir mißfällig ist. So behältst du Recht mit deinem Spruch, stehst
rein da mit deinem Urteil" (Ps 51, 6). ,,Ich habe gesündigt und bekenne meine
Sünden, verzeih mir meine Sünden alle" (Muhammed). 164
Ingemisco tamquam reus
Culpa rubet vultus meus:
Supplicanti parce, Deus (Dies irae).
,,Ich bin ein armer Sünder und habe den Tod verdient." ,,Ich weiß wohl und
bekenne, daß ich das höllische Feuer und deinen Zorn mit vielen großen Sünden
verdient habe." ,, Siehe, so wahr ist's, daß ich vor dir ein Sünder bin. daß auch
Sünde meine Natur, mein anhebendes Wesen, meine Empfängnis ist, geschweige
denn die Worte. Werke und Gedanken und nachfolgend Leben. Ein böser Baum
bin ich, von Natur ein Kind des Zornes und der Sünde; und darum, solange als
dieselbe Natur und Wesen in mir und an uns bleibet, sind wir Sünder und müssen
sagen: erlaß uns unsere Schuld" (Luther). 165 „Trotz deiner Heilstaten haben
wir gleichwohl in Undankbarkeit und Unwissenheit gesündigt und uns abgewendet
von dir und zugewendet unseren Lüsten; wir haben deinem heiligen Wort nicht
die Ehre erwiesen, wie wir sollten; wir haben dich nicht verherrlicht und erhöht,
wie es sich geziemt hätte. Und obgleich du uns stets getreulich durch dein Wort
mahntest, haben wir auf deine Ermahnungen nicht gehört, wir haben also ge-
sündigt, o Herr, wir haben dich beleidiget. Deshalb fühlen wir unsere Verwirrung
und Scham und erkennen, daß wir vor deinem Gericht schwer schuldig sind,
und daß, wenn du uns nach dem behandeln wolltest, was wir verdienen, wir dem
Tod und der Verdammnis verfallen sind; denn wenn wir uns entschuldigen wollten,
so klagt uns unser Gewissen an und unsere Missetat steht vor dir um uns zu ver-
dammen. Und in der Tat, o Herr, aus den Züchtigungen, die über uns schon
gekommen sind, sehen wir, daß du mit gutem Recht über uns erzürnt bist ....
Jetzt, da du drohst, uns noch strenger zu bestrafen, als du es bis zu dieser Stunde
getan hast, und wir statt eines Schlages nun hundert empfangen müßten; jetzt,
da sogar die Flüche, mit denen du einst die Sünden deines Volkes Israel gestraft,
auf uns zu fallen drohen, jetzt bekennen wir. daß das mit vollem Recht geschehen
würde, und wir widersprechen nicht, daß wir es wohl verdient haben" (Calvin). 1,$
„Du hast mir die Gesundheit gegeben, um dir zu dienen, ich aber habe sie zu
weltlichen Zwecken mißbraucht; ich habe mißbraucht meine Gesundheit und
du hast mich mit Hecht dafür gestraft" (Pascal). 16T
e) Aussprache der Zuversicht.
Den hauptsächlichsten Inhalt des prophetischen Gebets bildet die
Aussprache der Not. Es erschöpft sich jedoch damit nicht, es ist mehr
als ein bloßes Bitten und Klagen. Es hebt an mit dem Ausdruck der
380 F IV. Das Gebet in der prophetischen Frömmigkeit
Not, aber es steigt zu einer Höhe empor, wo Not und Wunsch vergessen
sind und nur noch Zuversicht, Freude und Ergebung herrschen. Im
Gebet selbst vollzieht sich unbewußt und ungewollt, oft sogar plötzlich
eine wunderbare Metamorphose. Der drängende, unlustvolle Affekt,
der heiße Wunsch geht über, ja springt über in die sanfte, lustvolle Stim-
mung des Getrost- und Gefaßtseins, der Hoffnung und Zuversicht; das
Gefühl der Unsicherheit und Haltlosigkeit wird abgelöst von dem be-
glückenden Bewußtsein des Behütet- und Geborgenseins in der Hand
einer schützenden höheren Macht. So bricht aus dem Zweifeln und
Fragen die Gewißheit durch, aus der Angst die Zuversicht, aus dem
Bangen und Zagen der zukunftsfrohe Mut, das Wollen und Wünschen
wird zum inneren Haben und Besitzen. Dieser Stimmungswechsel
vollzieht sich aber häufig ■ — ■ zumal dann, wenn Gebetsklage und -bitte
aus übermächtiger Angst und leidenschaftlichem Verlangen hervor-
quellen — nicht auf einmal, sondern Furcht und Hoffnung alternieren
längere Zeit; der Beter kämpft einen inneren Kampf zwischen Zweifel
und Gewißheit, Zagen und Zuversicht, bis schließlich Glaube und Ver-
trauen mit sieghafter Kraft durchbrechen. Gewiß spielt sich dieser
seelische Kampf, in dem die anfänglich schüchterne Hoffnung sich
gegen alle Furchtaffekte behauptet und bis zur unerschütterlichen
Zuversicht steigert, 168 unzählige Male in naiven Menschen ab; aber
nur sehr selten wird die aus der Bitte hervorgehende zuversichtliche
Stimmung ausdrücklich von ihm ausgesprochen. Das ist dasNeue, Schöpfe-
rische im persönlichen Gebetsleben der prophetischen Persönlichkeiten,
daß alle die wechselnden Affekte, Stimmungen und Gefühle, nicht nur
Angst und Begierde, sondern auch Glaube und Vertrauen sich in selb-
ständigen Gebetsworten ausdrücken: alles, was sich in der Seele des
Frommen drängt und regt, wird im Gebet vor Gott eröffnet und aus-
gegossen.
Jakobs Ringen mit Jahwe in der Erzählung der Genesis ist der Proto-
typ des prophetischen Gebetskampfes — ,,ich lasse dich nicht, du
segnest mich denn" (Gen 32 27). Sofern das Beten ein Ringen mit Gott
um der Seele Heil und Zuversicht ist, stammt es von Jereraia,169
dem ,, Vater des christlichen Gebets". „Unter Schmerzen und Wehen
entstand in ihm die Gewißheit seiner persönlichen Gemeinschaft mit
Gott. In seinen verzweifelten Kämpfen rang er sich zwar keineswegs
zur Ruhe und Seligkeit durch, wohl aber zum Bewußtsein des Sieges
in der Niederlage." Seine Gebete sind ein Kampf des Glaubens um
seine Wahrheit, ein mühsames Sichemporarbeiten und Sichdurchringen
zur religiösen Gewißheit; sie drücken beides aus: seiner Seele „unter-
menschliches Elend" und ihre „übermenschliche Zuversicht" (Well-
hausen) 17°. Die quälende Frage an Jahwe: „Warum bist du wie ein
bestürzter Mann, einem Kriegsmann gleich, der nicht helfen kann?"
weicht der freudigen Sicherheit: „Und doch bist du in unserer Mitte,
Jahwe, und nach deinem Namen werden wir genannt, o laß uns nicht
fahren!" Der Prophet will verstehen, warum Jahwe sein eigenes Volk
verworfen hat, er setzt sich innerlich mit dieser furchtbaren Paradoxie
auseinander, die den prophetischen, an die Geschichte gebundenen
Inhalt (Aussprache der Zuversicht) 381
Gottesglauben in seinem Mark bedroht; so richtet er an Jahwe die
verzweifelte Frage : ,,Hast du denn Juda ganz verworfen oder bist
du Sions überdrüssig? Warum hast du uns geschlagen, daß es keine
Heilung für uns gibt ? Man harrt auf Heil, aber da gibt's nichts Gutes,
und auf eine Zeit der Heilung, aber siehe da Bestürzung!" Da eröffnet
sich ihm die Einsicht, daß Israels Sünde und Untreue gegen Jahwe die
Ursache seiner äußeren Katastrophe ist. „Wir erkennen, Jahwe, unseren
Frevel, die Schuld unserer Väter, daß wir an dir gesündigt haben."
Nun leuchtet ein Hoffnungsstrahl in das Dunkel der Verzweiflung,
Jahwe kann sein Volk nicht verlassen, er müßte sich denn selbst auf-
geben — und eine Bitte legt sich auf seine Lippen: „Verschmähe
doch nicht um deines Namens willen — verunehre doch nicht den Thron
deiner Herrlichkeit — denke an — ■ brich nicht deinen Bund mit uns!"
Die Zuversicht wächst: Jahwe ist der einzige Gott, nur er hat Macht
unter allen Göttern. „Gibt's etwa unter den Götzen der Heiden Regen-
spender oder spendet etwa der Himmel von selbst Regenschauer?"
So erhebt sich schließlich die Hoffnung zur trostvollen Gewißheit,
daß Jahwe der Herr Israels ist. „Bist du es nicht, Jahwe, unser Gott,
so daß wir auf dich harren müssen ? Ja, du hast alles dies gemacht"
(147ff.).
Zahlreiche Psalmen, in denen sich der jeremianische Gebetsgeist
poetisch auslebt und die in künstlerischer Form die Gebetserfahrungen
der jüdischen Exilsgemeinde widerspiegeln, zeigen denselben Kampf
zwischen ängstlichem Zagen und hoffendem Mut, den jähen Stimmungs-
wechsel von bebender Furcht und kühnem Vertrauen. Auch in den
Psalmen schlägt häufig die ungestüme Bitte in die herzliche Aussprache
der Zuversicht, des Dankes oder Jubels um. Oder der Psalm hebt
an mit einer bangen Frage und ergreifenden Klage, geht dann über
in die inbrünstige Bitte um Hilfe und Rettung und schließt mit kraft-
vollen Worten frohen, unerschütterlichen Gottvertrauens. 170b
Ps. 31 : „Bei dir, Jahwe, suche ich Zuflucht, laß mich nimmermehr zu Schanden
werden! . . . Du aber bist mein Fels und meine Burg, um deines Namens willen
wirst du mich führen und leiten. Du wirst mich aus dem Netz ziehen, das sie
mir heimlich gelegt haben, denn du bist meine Schutzwehr. In deine Hände
befehle ich meinen Odem; du erlösest mich, Jahwe, du treuer Gott."
Ps. 31 : „Sei mir gnädig, Jahwe, denn mir ist angst. Verfallen ist vor Kummer
mein Auge, meine Seele und mein Leib . . . Ich aber vertraue auf dich. Jahwe,
und spreche: du bist mein Gott! In deiner Hand steht mein Geschick."
Ps. 71: „Mein Gott, befreie mich aus der Gewalt der Gottlosen und aus der
Faust des Frevlers und Tyrannen. — Denn du bist meine Hoffnung, Herr Jahwe,
meine Zuversicht von Jugend an; auf dich habe ich mich verlassen vom Mutter-
leibe an."
Ps. 13: „Wie lange, Jahwe, willst du mich für immer vergessen? Wie lange
willst du dein Angesicht vor mir verbergen ? . . . Schau her, erhöre mich, Jahwe,
mein Gott! . . . Ich aber vertraue auf deine Gnade, mein Herz frohlockt über
deine Hilfe. Ich will Jahwe preisen, da er mir wohlgetan."
Ps. 22 : „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? . . . Du aber.
Jahwe, sei nicht ferne! Meine Stärke, eile mir zu Hilfe! . . . Ich will deinen
Namen meinen Brüdern verkünden, inmitten der Gemeinde will ich dich preisen."
Der unvermittelte Übergang von der tiefen Niedergeschlagenheit zur
freien und frohen Zuversicht ist klar erkennbar an dem Gebet S a -
vonarolas vor seinem Tode.
382 PIV. Das Gebet in der prophetischen Frömmigkeit
„Traurigkeit hat mich umlagert, mit großer und starker Heeresmacht hat sie
mich eingeschlossen, meines Herzens hat sie sich durch ihr Geschrei bemeistert
und mit ihren Waffen hört sie nicht auf, Tag und Nacht gegen mich zu kämpfen . . .
Was ich nur sehe, was ich nur höre, trägt die Fahne der Traurigkeit . . . Wie dem
Fieberkranken alle Süßigkeit bitter erscheint, so verkehrt sich mir alles in Gram
und Traurigkeit. Wahrlich eine schwere Last, meines Herzens Kraft übersteigend,
ist diese Traurigkeit. Schlangengift, verderbenbringende Pest murret wider
Gott, höret nicht auf zu lästern und treibt zur Verzweiflung. Ich unglückseliger
Mensch, wer wird mich befreien aus den das Heilige schändenden Händen ?
.... Auf dich, Herr, hoffe ich; laß mich nimmerrnehr zu Schanden werden,
in deiner Gerechtigkeit rette mich! O wunderbare Macht der Hoffnung, deren
Antlitz die Trauer nicht ertragen kann! Schon nahet der Trost. Es schreie und
kreise nun die Traurigkeit und ihr Heer, es dränge die Welt, mögen erheben sich
Feinde, ich fürchte nichts, denn au f dich.Herr, hoffe ich, du bist meineHoffnung, hoch-
erhaben ist deine Burg der Zuflucht." ,, Siehe, Herr, zu dir flehte ich, und ich
ward getröstet; die Hoffnung hat mich solches gelehrt; ich bin der Freude voll,
weil ich auf dich hoffe; deshalb werde ich nicht zu Schanden werden ewiglich". 170 c
Luthers Gebet in Worms ist ein typisches Beispiel füs das Auf-
und Abwogen der Stimmungen und Gefühle in dem spontanen und
affektiven Beten. Es beginnt mit einer wehmütigen Selbstbetrachtung
über die Situation, in der er sich befindet. Sein Schicksal ist ungewiß,
auf die Menschen ist kein Verlaß: „Die Glocke ist schon gegossen und
das Urteil gefället." Die bangen Gedanken verdichten sich zu einem
Klageruf: „Ach Gott, ach Gott, o du mein Gott!" Der Seele des Ge-
quälten entringen sich leidenschaftliche Hilferufe: „Stehe du mir bei,
tue es, du mußt es tun, du allein!" Das Vertrauen wächst mit dem
Gedanken an den Wert und das Recht seiner Sache. „Es ist doch nicht
mein, sondern deine Sache." Die aufkeimende Zuversicht wird wieder
von aufsteigenden Zweifeln gehemmt, die sich in ungestümen Fragen
an Gott aussprechen: „0 Gott, hörst du nicht? Mein Gott, bist du
tot?" Der Beter droht an Gott irre zu werden, aber die mutige Zuver-
sicht bannt die Zweifel. „Nein, du kannst nicht sterben, du verbirgest
dich allein." Er bittet von neuem: „Stehe mir bei." Aber nochmals
gewinnt die Unsicherheit und Angst die Oberhand: „Herr, wo bleibest
du? Du mein Gott, wo bist du?" Endlich zerstieben alle Zweifel, die
Spannung löst sich, der Glaube triumphiert über den Zweifel, die Hoff-
nung hat über die Furcht gesiegt. Eine heldenhafte Entschlossenheit
erfüllt den, der eben noch gezagt und gezittert, geklagt und gefragt hat.
„Komm, komm! Ich bin bereit, auch mein Leben darum zu lassen,
geduldig wie ein Lämmlein; denn gerecht ist die Sache und dein."
Mit kühnem Blick sieht er dem Tod ins Auge, denn ob tot oder lebendig,
er fühlt sich unter dem Schutze des Höchsten, nichts Böses kann ihm
widerfahren. „Und sollte mein Leib darüber zugrund und Boden, ja
zu Trümmern gehen, dafür aber dein Wort und Geist mir gut ist. Und
ist auch nur um den Leib zu tun, die Seel ist dein und gehört dir zu
und bleibet auch bei dir ewig". 1T1
Das Beten der Mystiker ist ein stilles Sehnen, ein wonniges Versunken-
sein, ein entzücktes Schauen, ein Dahingleiten in einer gleichförmigen,
Breite und Tiefe besitzenden Stimmung. Das prophetische Beten ist
ein seelischer Kampf, wie das ganze Leben der prophetischen Geister
ein steter Kampf ist um die Gewißheit von Gott und um der Seele
Inhalt. (Aussprache der Zuversicht) 383
Trost und Heil; es offenbart dramatische Spannung, ein Auf und Nieder
von Stimmungen und Gefühlen, dualistische Kraft und Lebendigkeit,
wie ja das ganze Leben der prophetischen Naturen einen schroffen
Dualismus von Gegensätzen und Spannungen zeigt. Deshalb ist das
Beten nicht leicht, sondern, wie Luther sagt, „das allerschwerste Werk"
„eine Arbeit über alle Arbeit, darum, daß wer da betet, mit Gewalt
fechten muß wider den Zweifel imd das Murren, welche unsere Klein-
mütigkeit tmd Un Würdigkeit, die wir in uns fühlen, erregen." „Das
ist der Kampf, den die Heiligen halten müssen, die da meinen, daß der
Strick jetzt alsbald brechen werde und behalten doch das herzliche
Seufzen." „Dieses ist das unaussprechliche und sehr gewaltige Seufzen,
damit sich die Gottsehgen selbst aufwecken wider die Verzweiflung,"
„der Kampf, darin sie ihren Glauben gewaltig erwecken". 172 Ähnlich
sagt Bunyan: „Right prayer is accompanied with a continual labour
after that, which is prayed for". 173 Und Calvin abstrahiert aus dieser
psychologischen Tatsache die Gebetsregel: „Mitten in Bedenken, Furcht
und Zittern sollen wir uns zwingen zu beten, bis wir eine Erleichterung
spüren, die uns beruhigt. Wir dürfen nicht nachgeben, wenn unsere
Herzen wanken und unruhig sind, bis der Glaube siegreich aus dem
Kampfe hervorgeht". 174
Die im Gebetskampf gewonnene oder erneuerte Zuversicht sprechen
die jüdischen und christlichen Gebete mit dem Wort „Amen" d. i. wahr-
lich, gewiß aus. Ursprünglich ein Rssponsorium, mit dem das israelitische
Volk die Gebetsworte seines Vorbeters aufnahm, 175 wurde es zum stän-
digen Gebetsschlusse als „ein Wort des festen, herzlichen Glaubens";
..denn am End, so du Amen sprichst, mit herzlicher Zuversicht und
Glauben, so ist gewiß das Gebet befestiget und erhört" (Luther) 176.
Nicht umsonst steht das Amen am Ende des Gebets; denn die Stim-
mung der Zuversicht wird erst durch das Gebet errungen, erkämpft,
r-robert; im Gebet hat die leise Hoffnung, die sich am Anfang des Gebets
mit dem unlustvollen Affekt verband und die Bitte auslöste, die Angst
verdrängt und ist zum festen Vertrauen geworden. Aber da der Fromme
immer wieder im Gebet seine gläubige Zuversicht erneuert, kann
sein Lebensgrundgefühl so freudig, seine Lebenssicherheit so stark und
unerschütterlich werden, daß, wenn er den Mund zum Beten öffnet und
eine Bitte vor Gott bringen will, sich Worte der Zuversicht auf seine
Lippen drängen. So kann die Aussprache der Gewißheit, die gewöhnlich
und ursprünglich erst am Schlüsse des Gebets steht, schon an seinen
Anfang treten.
„Auch wenn ich im dunkeln Tale wandern muß. fürchte ich kein Unglück, denn
du bist mein Heil: dein Stecken und dein Stab — die trösten mich" (Ps 23, 4).
..Zu dir, Jahwe, erhebe ich meine Seele, auf dich vertraue ich, laß mich nicht
zu Schanden werden; Werden doch alle, die auf dich harren, nimmermehr zu
S'handen . . . Du bist mein Gott, der mir hilft, auf dich harre ich allezeit"
(Ps 25, 2 ff.). ..Und nun worauf harre ich, mein Herr? Mein Hoffen steht auf
dich allein" (Ps 39, 8). „Du Jahwe, wirst deinem Erbarmen gegen mich keinen
Einhalt tun, denn Gnade und Treue werden mich immerdar behüten . . . Bin
i< h auch arm und elend, der Herr wird für mich Borgen. Heine Hilfe und mein
Uetter bist dvi. Gott, Baume nicht" (Ps 40, 12. 18). ..O Gott, dir habe ich mich
ergeben, an dich glaube ich. auf dich vertraue ich, . . . verzeih mir. was i< h
384 F IV. Das Gebet in der prophetischen Frömmigkeit
tat" (Muhammed). 177 „Du bist mein Gott, ich aber bin mir selber nichts; auf
dich hoffe ich und traue auf mich selber nicht, an dir werde ich nicht zu Schanden
werden, denn an mir bin ich schon zu Schanden worden. Ich bitte dich, laß mich
nicht zu Schanden werden." ,,Ich weiß, daß du unser lieber Gott und Vater
bist, derhalben bin ich gewiß, du wirst die Verfolger deiner Kinder vertilgen"
(Luther). 178
Hier geht der Ausdruck des Vertrauens der Bitte voraus und löst
sie wieder ab. Oder, kaum ist die Bitte formuliert, da verschwindet
sie und macht Worten fester Zuversicht Platz.
„Herr, zähle meine Flucht, fasse meine Tränen in deinen Sack! Ohne Zweifel,
du zählest sie. Wenn auch kein Mensch mein Elend bedenken will, schauest du
doch, Herr, so genau darauf, daß du alle Schritte zählest in meiner Flucht, wie
weit, wie ferne ich verjagt werde, und vergissest keine Träne, die ich weine, sondern
ich weiß, daß du sie alle in deinem Register aufschreibest" (Luther). 179
Schon die Vateranrede, welche ein Gebet einleitet, kann eine Aus-
sprache herzlichen Vertrauens sein.
„Dies ist die rechte Form des Gebets, welche wir in Anfechtung und Not auch
sollen brauchen. ,Mein Vater,' spricht Jesus, als wollte er sagen: ,Ob ich gleich
jetzt Angst und Schreckens halb totkrank bin und nichts denn Gottes Zorn und
Tod vor mir sehe, so zweifle ich doch nicht, du seiest mein Vater und habest mich
lieb und siehest auf mich und haltest über mich; derhalben erhoffe ich Erledigung
aus dieser Not" (Luther). 180
Manche biblische Psalmen, aber auch außerchristliche Gebete sind
nichts anderes als eine schlichte Aussprache vertrauensvoller Zuversicht
ohne alle Klage der Not und ohne alle Bitten und Wünsche. Solche
Gebete ähneln gar sehr den mystisch-kontemplativen Gebeten und sind
im Grunde doch etwas anderes. Die Grundstimmung der Zuversicht,
Gewißheit, Sicherheit ist etwas ganz anderes als das Erleben der inneren
Einheit, Ruhe und Seligkeit, als das entzückte Kontemplieren des
summum bonum.
Ein Gebet, das von dem Stifter der islamisch-hinduistischen Mischsekte der
Siksch (Nänak) stammt und in ihrem kanonischen Buch (Adigranth) steht, lautet:
,,Du bist mein Vater, du bist meine Mutter, du bist mein Vetter, du bist mein
Bruder, du bist mein Beschützer überall; was für Furcht und Sorge kann sich
nur nahen, o Herr ? Durch deine Barmherzigkeit habe ich dich gefühlt. Du bist
meine Stütze, du bist meine Zuversicht. Alles, was geschaffen ist, ist dein, nichts
ist unser, o Herr!" 181 Luther betet: „Lieber Herr, ich weiß, daß du noch mehr
hast, du hast viel mehr, denn du je vergeben magst, es wird mir in dir nicht
mangeln; denn wenn es not wäre, die Himmel müßten noch Gülden regnen. Sei
du mein Kasten, Keller und Söller, in dir habe ich alle Schätz, wenn ich dich
habe so hab ich genug". 182
f) Aussprache der Ergebung.
Wo die Not des Beters der Zuversicht weicht, wird der im Gebet
ausgesprochene Wunsch innerlich festgehalten und bejaht. Aber nicht
immer behauptet ein leidenschaftlicher Wunsch im Gebet sein Recht.
Durch die Verbindung des Wunsches mit dem Gedanken an Gott tritt
dieser bisweilen in ein gänzlich neues Licht; er verliert seine absolute
innere Gültigkeit und wird darum nicht aufrecht erhalten. Der Beter
verzichtet völlig auf seinen Wunsch, widerruft die zuletzt im Gebet
ausgesprochene Bitte oder er läßt die Erfüllung des Wunsches in suspenso,
besteht nicht auf seiner Realisierung (suspensis desideriis patienter
exspectare Dominum, Calvin); 182b sein Bittgebet wird zum ,gelas-
3. Inhalt des Gebets (Aussprache der Ergebung) 385
senen Gebet' (Luther) 182c. Gleichwohl ändert dies nichts an der ge-
trosten Stimmung, in der auch hier das Gebet ausklingt; auch in diesem
Falle spielt sich ganz dasselbe psychische Drama ab : der Kampf zwischen
Furcht und Hoffnung, Unsicherheit und Gewißheit, der Übergang der
Angst in die Zuversicht. Der spannungsvolle, leidensschwere Affekt löst
sich in eine freudige Stimmung auf. Die Variation dieser Stimmung
besteht lediglich darin, daß der Beter getrost und gefaßt auf die unbe-
dingte Erfüllung seines individuellen Wunsches verzichtet; er sieht
entschlossen und mutig der Nichterfüllung entgegen, ordnet mit Demut
und Starkmut seinen eigenen Willen dem Willen Gottes unter, getragen
von dem zuversichtlichen Glauben, daß alle äußeren Geschicke einem
von Gott gesetzten, sinn- und wertvollen Zwecke dienen, ,,daß, wenn
es auch gar nicht den Anschein hat, Gott uns immer beisteht und zu
seiner Zeit erkennen lassen wird, wie wenig er taube Ohren für die Bitten
hatte, die in den Augen der Menschen unerfüllt schienen" (Calvin). 182b
Aber erst nach hartem inneren Kampfe stellt der Beter sein Wünschen
und Begehren Gott anheim; der natürliche Lebenswille sträubt sich
gegen jede scheinbare Hemmung und Bedrohung und kommt erst zur
Ruhe, wenn sich ihm die fordernde und zwingende Gültigkeit religiös-
ethischer Werte und Aufgaben, der heilige Wille Gottes enthüllt hat.
Die alttestamentliche Frömmigkeit kennt nur die Umwandlung des
Wunsches in die den Wunsch festhaltende Hoffnung, aber nicht den
Übergang der Bitte in die den Wunsch auflösende völlige Ergebung.
Das in der Ergebung gipfelnde Gebet ist eine Schöpfung Jesu. Das
klassische Dokument der Metamorphose eines drängenden Verlangens in
das vertrauensvolle Sichfügen in Gottes Willen ist Jesu Gebetskampf
in Gethsemane. Vom Todesgrauen überwältigt, bricht Jesus in einen
leidenschaftlichen Gebetsruf aus, er fleht um Abwendung des drohenden
Todesschicksals ; aber der Gedanke an den Vater schwächt und mildert
den ungestümen Drang des natürlichen Begehrens: er bittet um das
Vorübergehen des Kelches, doch mit einer Emschränkung : „wenn es
möglich ist". Aber kaum hat er die Bitte ausgesprochen, da annulliert
er sie durch die Worte der völligen Ergebung: „Aber nicht mein Wille
geschehe, sondern der deinige !" Der Gedanke an den Willen des Vaters,
an die unbedingte Notwendigkeit des Todes ,für die vielen' ließ die
eigene Willensregung verstummen. Freilich, nicht auf das erste Mal
wich der heiße natürliche Wunsch der opfermütigen Hingabe; dreimal
mußte er dasselbe Wort sprechen, bis er die volle innere Festigkeit,
Entschlossenheit und Todesbereitschaft gewonnen hatte. 183
Das vierte Evangelium bietet eine bemerkenswerte Variante zu Jesu Gebet
in Gethsemane, die gleichfalls eine Auseinandersetzung mit dem Leidensgedanken
enthält, vielleicht ein selbständiges, echtes Gebet aus dem Munde Jesu, wahr-
scheinlich aber nur eine treffende johanneische Paraphrase des ölberggebets
(Jo 12, 23 ff.). Jesus erkennt klar und unzweideutig die Unumgänglichkeit
seines Opfertodes. „Wenn das Getreidekoni nicht in die Eide gelegt wird, so
bleibt es allein; wenn es aber stirbt, trägt es vielfältige Frucht. Wer sein Leben
liebt, verliert es" usw. Der Todesgedanke erregt in Jesu eine gesunde, echt
menschliche Angst, die er im Gebet ausspricht. ,, Jetzt ist meine Seele verwirrt,
was soll ich sagen?" Ein Wunsch legt sich auf seine Lippen: „Vater, rette mich
aus dieser Stunde." Aber diese Bitte zeigt sich ihm, sobald sie ausgesprochen,
Daa Gebet 25
386 PIV. Das Gebet in der prophetischen Frömmigkeit
als ein Widerspruch zu seinem gottgesetzten Beruf: ,,Aber deshalb bin ich ja
in diese Stunde gekommen." Da vergißt er gänzlich alle kleinliche Furcht und
alles selbstische Wünschen, er sieht nur noch das eine, höchste Ziel, dem sein
Opfertod dient, die Aufrichtung des Gottesreichs; darum spricht er: „Vater,
verherrliche deinen Namen!" 184
Den jähen Umschlag des ungestümen Pochens und Drängens in das
willige Sichschicken und -fügen zeigt jenes trotzige Gebet Luthers,
das er für den kranken Kurfürsten Johannsen spricht. Erst droht er
Gott, die Schlüssel vor die Füße zu werfen und ihm Ehre und Zinsgüter
zu künden; dann sagt er ganz kleinlaut und gelassen: „Ach, lieber
Herr, wir sind dein, mach es, wie du willst, allein gib uns Geduld!" 18&
In seiner Krankheit zu Schmalkalden bittet er ganz schlicht um Ge-
nesung, dann fügt er voll Demut bei: „Gereicht es zu deiner Ehre, so
hilf mir, daß es besser werde, wo aber nicht, so schleuß mir die Augen
zu, es muß doch einmal sein. Ich will nun tun, was Gott will und ergebe
mich gar in seine Gnade". 186 Ein andermal betet er: „Lieber Vater,
das Übel und die Pein drückt mich und leide viel Unglück und Be-
schwerde, und fürchte mich vor der Hölle. Erlöse mich davon — - doch
nicht anders, denn so es dir ehrlich und löblich und dein göttlicher Wille
ist. Wo das nicht, so geschehe nicht mein, sondern dein Wille, denn
mir deine göttliche Ehre und Wille lieber ist denn all meine Ruhe und
Gemach, zeitlich und ewig". 187
P a s c a 1 s Gebet um rechten Gebrauch der Krankheit zeigt eine
fortschreitende Steigerung. Erst klagt er über seine Sündigkeit und
seinen früheren Weltsinn, dann bittet er um rechte Selbsterkenntnis
und Reue über seine Sünden, er fleht um Trost und Stärkung, um Kraft
und Standhaftigkeit zum Dulden. Schließlich erhebt er sich zu einer
von grandiosem Heroismus zeugenden, restlosen Ergebung in Gott,
die man als mystische Resignation bezeichnen könnte, redete nicht
Pascals kraftvolle Männlichkeit und sein herbes, ethisches Pathos daraus :
,,vous etes le souverain maitre, faites ce que vous voudrez. Donnez-
moi, otez-moi, mais conformez ma volonte ä la votre, qu'etant malade,
je vous glorifie dans mes souf f rances ! " 188
Ursprünglich wächst die Aussprache der Ergbung aus der echten Bitte
hervor. Aber die häufige Erfahrung von dem Übergang des Wunsches
in die Unterordnung unter Gottes Willen führt schließlich dazu, daß
— sofern der Affekt nicht eine zu hohe Intensität besitzt — die Bitte
von vornherein nur bedingt formuliert wird bzw. der Ausdruck der
Ergebung (wie oben der der Hoffnung undGewißheit) ihr schon vorausgeht.
So lautet ein von Luther verfaßtes Soldatengebet: „Herr, in deiner
Gewalt stehet alle Kraft und Sieg. Herr, hilf du mir! So du sie mir
geben willst, will ich darum danken, wo du aber unsere Sünde mit
einem solchen Schaden und Jammer bestrafen willst, so bin ich da und
will's geduldig leiden." 189 Hier kommt es also gar nicht zu einer völlig
naiven Begierde und Bitte, sondern der Gedanke an Gott läßt die
Stimmung der Ergebung anklingen. Aus dieser Gewohnheit des be-
dingten Bittens abstrahiert Luther eine Gebetsregel, die sich aber mit
seinem wirklichen Beten nicht durchweg deckt.
„Wir sollen in allem, was den Leib antrifft, unsern Willen in Gottes Willen
Inhalt des Gebets (Aussprache der Ergebung) 387
stellen. Weil nur Gott allein weiß, was uns gut und nütze ist. sollen wir seinen
Willen vor- und unsern Willen nachsetzen und unsern Gehorsam in Geduld er-
zeigen." Freilich, nur für die irdischen Güter kommt das bedingte Beten in
Betracht, nicht aber für die religiösen und ethischen Werte, die ja als Wille Gottes
erlebt werden. „Aber wo es nicht um leibliche Güter, sondern um das Ewige zu
tun ist, daß uns Gott Sünden vergeben, uns heiligen und den heiligen Geist und
ewiges Leben schenken wolle, da ist Gottes Wille offenbar und gewiß. Darum
ist's nicht vonnöten. wo man um solches bittet, daß man's in Gottes Wille wollte
stellen, wo er's tun wollte oder nicht". 19° Calvin sagt: „Antequam ullam pro
nobis precem concipimus, p r a e famur, ut eius voluntas fiat". 191 Bunyan
mahnt: „Die Gottseligen sollen sich und alle ihre Bitten und alles, was sie haben,
vor die Füße ihres Gottes legen, auf daß er alles lenke, wie es seiner himmlischen
Weisheit am besten dünkt". 192
Die im Gebet erworbene Ergebung in Gottes Willen kann zur dauern-
den Einstellung werden, so zwar, daß schon beim Versuch, einen Wunsch
in einer Gebetsbitte Gott vorzutragen, dieser zusammenbricht und nur
Worte der Ergebung über die Lippen kommen.
Luther betet: ,,Herr, in deiner Hand bin ich, du hast mich hie (in der Zeit
der Pest) angebunden. Dein Wille geschehe, denn ich bin deine arme Kreatur,
du kannst mich hierin töten und erhalten." ,,Herre Gott, ich bin deine Kreatur,
mache es mit mir, wie du willst, ich bin ja dein, das weiß ich; und wenn du willst,
daß ich diese Stunde sterben sollte oder irgend ein groß Unglück und Leid erfahren,
so wollt ich's doch von Herzen gern leiden, ich will mein Leben, Ehr und Gut
und was ich habe, nimmermehr höher und größerachten als deinen Willen". 193
Kierkegaard bekennt: „Allmählich bin ich mehr und mehr darauf aufmerksam
geworden, daß von Gott geliebt werden und Gott lieben leiden heißt. Wenn es
aber so steht, dann habe ich nicht das Recht, um Glück und P>folg zu bitten."
Dieser paradoxe Glaube an den Wert des Leidens brachte die nach Gebets-
aussprache drängenden Wünsche zum Schweigen: „Wenn ein Wunsch erwachte
und ich wollte beten, so war alle meine brennende Innigkeit wie fortgeblasen,
denn es war mir, als sähe Gott auf mich und sagte: ,Mein kleiner Freund, bedenkst
du wohl, was du tust, willst du denn, daß ich dich nicht liebe?" 194
Alle christlichen Mystiker haben in Jesu Gebet: „Nicht mein, sondern
dem Wille geschehe" das Urbild mystischer Resignation geschaut. Und
doch sind Jesu Ergebung in den Willen des Vaters imd die stoische oder
mystische Resignation zwei grundverschiedene psychologische Phäno-
mene (obgleich natürlich infolge der Mischung der beiden Typen die
Innigkeit christlicher Grottergebung der mystischen Resignation einen
enthusiastischen Hauch verleiht). Die reine mystische Resignation,
wie sie die Stoa und der Buddhismus fordern und wie sie aus den Gebeten
mancher christlicher Mystiker redet, ist der absolute Verzicht auf alles
Eigen wollen, die vollendete Affektlosigkeit, eine kühle Indifferenzstim-
mung, passiv, negativ, quietistisch. Die christliche Ergebung hingegen
ist nicht absoluter Verzicht auf jedes Wollen, nicht Willenlosigkeit,
sondern Verzicht, Hingabe eines bestimmten Wunsches und Verlangens
im Interesse eines höheren Wertes, ja oft überhaupt kein völliger Ver-
zicht, sondern ein Anheimstellen der Erfüllung des Wunsches an das
freie Ermessen und Gutdünken Gottes, ein wirkliches Sichunterordnen
unter den Willen Gottes. (Es ist eine gewisse Inkonsequenz der
Mystiker, vom Willen Gottes im Anschluß an die biblische Terminologie
zu sprechen, da der Wille nur dem Gott der prophetischen Frömmigkeit
zukommt.) 195 Die prophetische Ergebung ist im Gegensatz zum ,freud-
und leidlofcen Gleichmut' der Mystik aktiv, positiv, kein Begraben der
388 F IV. Das Gebet in der prophetischen Frömmigkeit
Wünsche, sondern Zuversicht und Gewißheit, daß Gott, auch wenn er
unsere kleinen Wünsche uns versagt, doch unser Bestes will. Harald
Höffding sagt treffend vom christlichen Ergebungsgebet: „Der Wille
wird aufgegeben; aber eben dieses Aufgeben ist ein positiver Wunsch
oder ist nur die negative Seite eines positiven Wunsches". 196 Die
prophetisch-evangelische Ergebung ist auch nicht wie die mystische
Indifferenzstimmung ein Resultat planmäßiger und absichtlicher Unter-
drückung des Affekt- und Willenslebens, ,Auslöschung' des Lebens-
willens, sondern die Frucht eines seelischen Kampfes; sie ist gewonnen
durch die Entladung des Affekts in der rückhaltlosen Aussprache vor
Gott. Die christliche Ergebung setzt im Gegensatz zur mystischen
Resignation die naive Äußerung eines konkreten Wunsches voraus,
wächst spontan aus der echten Bitte heraus, geht also nicht aus einer
jedes Wünschen und Bitten a limine zurückweisenden Indifferenz-
stimmung hervor. Die ,,sainte indifference" der Mystik ist künstlich
oder doch künstlich präpariert, absichtlich, bewußt; die Ergebung der
prophetischen Frömmigkeit hingegen ist völlig unbeabsichtigt — der
Beter beginnt ja mit der Bitte — ■, naiv, spontan, ein unbewußt erfolgender
produktiver Akt. (Freilich trifft dies nur für die großen Beter vom
prophetischen Typ zu, während bei den sich an ihnen orientierenden
Durchschnittsfrommen die reine Naivität und Absichtslosigkeit durch
das Moment der Nachfolge und Nachahmung getrübt ist.)
Eben darum, weil die Ergebung von selbst aus der Aussprache der
Not hervorquillt, sind alle Versuche, dieses Moment in normativer Weise
in einer Gebetsregel zu fassen, unzureichend. Die Gebetsanweisungen
der prophetischen Persönlichkeiten wie der die prophetisch-biblische
Frömmigkeit wissenschaftlich klärenden Theologen zeigen einen durch-
gängigen Widerspruch, der aber, psychologisch betrachtet, unvermeid-
lich ist. Die Gebetsregeln, welche aus dem seelischen Erleben heraus
eine religiöse Norm abstrahieren, vermögen immer nur eines der
beiden Momente (die naive Aussprache der Not oder den Ausdruck
der Zuversicht bzw. Ergebung) normativ herauszuheben. Bei den
Äußerungen Jesu über das Gebet ist dieser Widerspruch ganz deutlich.
Auf der einen Seite fordert er nachdrücklich zum zuversichtlichen, ja
stürmischen und anhaltenden Beten auf (Mt 7 7 ff.; Lk 18 x ff.), auf der
anderen Seite warnt er vor dem Viele-Wortemachen mit dem Hinweis :
„Euer Vater weiß, was ihr bedürfet, ehe ihr ihn bittet" (Mt 6 8). Ähnlich
ermuntert auch Luther auf der einen Seite zum unverschämten Betteln,
auf der anderen Seite will er, daß man um Irdisches nur bedingt bitte.
Johannes Weiß meinte, es lägen hier „zwei Stufen religiöser Lebens-
anschauungen nebeneinander, die naiv-kindliche Frömmigkeit, die das
Herz des Vaters in unerschütterlichem Zutrauen zu bestürmen wagt,
und die abgeklärte, ruhige Zuversicht, die sich allewege in Gottes Hand
geborgen weiß und ihn walten läßt". 197 Allein es handelt sich nicht
um das Nebeneinander zweier Typen religiösen Erlebens, sondern ledig-
lich um zwei Momente, zwei Phasen in einem und demselben Gebets-
erlebnis, von denen die Gebetsnorm immer nur eine auf Kosten der
anderen hervorhebt . Mit Recht hat einer der bedeutendsten evangelischen
Inhalt des Gebets (Aussprache der Ergebung) 389
Dogmatiker, Wilhelm Herrmann, in dem inneren Zusammenhang
dieser beiden antagonistischen Momente, des naiven Wunsches und
der freudigen Ergebung, das Charakteristikum des biblisch-christlichen
Gebets erblickt.
,,Zwei geistige Bewegungen verbinden sich zur lebendigen Einheit, welche
durch keine menschliche Anstrengung zusammengefaßt werden können: das
herzliche Verlangen, von Gott eine besondere Hilfe zu erfahren und die demütige,
d. h. freudige Ergebung in den Willen Gottes. Vergeblich ist es, eine Einigung
beider Tendenzen durch die Vorschrift herbeiführen zu wollen: Du sollst zwar
um eine bestimmte Gabe bitten, aber du sollst auch die Bereitschaft zum Verzicht
in dir rege halten. Bei dem Gläubigen ergibt sich diese Einigung von selbst.
I "nser Glaube stellt uns vor einen Gott, dessen Hilfe uns gewiß ist. Dadurch a I lein
wird der leidenschaftliche Charakter der Bitte, in welcher sich der gesunde Trieb
des Lebendigen nach Wohlsein ausspricht, gemildert. Der natürliche Wunsch
der bedrängten Kreatur, auf den Willen Gottes zu ihren Gunsten einzuwirken,
vergeht in dem christlichen Gebet in dem Eindruck, daß man die Bitte vor Gott
bringt, der uns mit mehr als Vater- und Mutterliebe liebt. Jene natürliche und
diese göttliche Regung sind in dem wirklich lebensvollen Bittgebet des Christen
zu untersc beiden. Eni solches Gebet ist ein innerer Kampf, welcher, wenn er
normal verläuft, den Christen auf eine höhere Stufe des inneren Lebens bringen
soll. Die Erreichung dieses Zieles zeigt sich darin, daß der siegende Glaube
die stürmische Bitte in der Stille vor Gott ausklingen läßt." ..Das aus dem Leiden
der Kreatur geborene natürliche Verlangen und die von Gott erweckte Freude
;:n ihm und seinem Willen müssen im christlichen Gebet verbunden sein. Aber
keine noch so sorgfältige Anweisung vermag für den einzelnen Fall das Gleich-
gewicht anzugeben. Gott allein löst die Aufgabe, indem er uns in seiner Offen-
barung so berührt, daß die wunderbare Lust und Freude am Leben uns aufgeht,
welche die Willigkeit zum Entsagen und Dulden des von ihm Auferlegten aus sich
erzeugen kann". 198
g) Dan k.
Die Aussprache der Zuversicht und Ergebung setzt die Aussprache
der Not in der Form der Klage und Bitte voraus, hängt genetisch mit
letzterer zusammen. Der der Bitte folgende Ausdruck der Erhörungs-
gewißheit kann sich zum Dankgebet steigern. Wenn Paulus die Philipper
(4 6) mahnt: „Bringet alle eure Anliegen vor Gott in Gebet und Flehen
mit Danksagung," so meint es wohl, daß in jedes Gebet sich Worte des
Dankes mischen sollen, daß jedes Bittgebet in einem Dankgebet aus-
klingen soll. Die Aussprache des Wunsches weckte in ihm nicht selten
eine solche Zuversicht, daß er im voraus für seine Erfüllung dankte.
Zumeist jedoch sind Dank, Lob und Preis der unmittelbare Ausdruck
lustbetonter, auf Werte bezogener Affekte. Die herkömmliche Ein-
teilung der Gebete in zwei große Klassen: Bittgebete auf der einen,
Dank- und Lobgebete auf der anderen Seite hat somit ein gewisses
psychologisches Recht. ,,Orationis duae sunt partes: petitio et gratiarum
actio", lautet ein theologisches Axiom Calvins. 199 Zwingli definiert:
„Beten ist ein Loben und Ehren bieten zum ersten, darnach ein ver-
traut Anrufen um unsere Notdurft". 20° Dank ist die freudige An-
erkennung eines Menschen, daß Gott ihm eine Gnade oder Wohltat
zuteil werden ließ. Der Beter bekennt, daß sein äußeres oder inneres
Glück ein Geschenk der freien Gnade Gottes ist. Der Dank ist somit
ein Ausdruck der gänzlichen Abhängigkeit von Gott. „Gratiarum
actione dei erga nos benefacta recognoscimus accepta ferentes eins boni-
390 FIV. Das Gebet in der prophetischen Frömmigkeit
tati omnia, quae sunt uspiam bona" (Calvin). 201 Wie auf der primitiven
Stufe steht häufig das Dankgebet zum Bittgebet in einer inneren Be-
ziehung, insofern als der Dank sich auf die Erhörung einer vorangegangenen
Gebetsbitte bezieht. Gegenstand des Dankes sind analog den Objekten
der Bitte vorwiegend religiöse und ethische Werte.
Die aus dem Exil zurückgekehrten Juden danken für die Befreiung aus der
Verbannung und die Wiederherstellung Israels. „Ich will dich erheben, Jahwe
daß du mich herausgezogen hast und meine Feinde sich nicht über mich freuen
ließest. Jahwe, mein Gott, ich schrie zu dir und du heiltest mich. Du hast mir
meine Klage in einen Reigen verwandelt; du zogst mir das Trauergewand aus
und gürtetest mich mit Freude. Jahwe, mein Gott, immerdar will ich dich preisen"
(Ps 30, 2 f. 12 f.). „Ich preise dich, daß du mich erhört hast und mir Heil von
dir kam" (Ps 118, 21). Paulus dankt Gott für alle Treue und Standhaftigkeit
der jungen Christengemeinden, für ihre Fortschritte im Glauben und in den
Werken der Liebe. 202 „Ich danke meinem Gotte, so oft ich euer gedenke, . . .
für euer Festhalten am Evangelium vom ersten Tage an bis zu dieser Stunde"
(Phil. ] , 3 f. ). Augustinus dankt für die Sünden vergebende Gnade Gottes : „Diligam
te, Domine, et gratias agam et confiteor nomini tuo, quoniam tanta dimisisti
mala mihi et nefaria opera mea. Gratiae tuae deputo et misericordiae tuae, quod
peccata mea tanquam glaciem solvisti. Gratiae tuae deputo et quaecunque non
feci mala". 2"3 Luther dankt demütig für Erlösung und Sündenvergebung:
„Lieber Herr Gott! Was wir haben und brauchen, ist alles dein, wir haben es
ja nicht gemacht; d u hast's uns gegeben; das aber ist sonderlich dein eigen Werk
und Barmherzigkeit , daß wir dem Teufel entlaufen, von Sünde frei und ledig
geworden sind. Derhalb gebühret dir allein die Ehre davon und nicht mir."
„Solches heißt Gott recht ehren und ihn zu seiner Ehr und Majestät kommen
lassen." 20* „Man soll Gottes unaussprechliche Gnade mit Ernst betrachten und
von Heizen dafür danken mit diesen oder dergleichen Worten: ,Ach du barm-
herziger Gott, wie ein freundlicher, holdseliger Vater bist du doch, der du so
väterlich und herzlich mit uns armen, verdammten Sündern handelst, wirfst
deinen einigen Sohn Jesum Christum, dein höchstes und bestes Gut, dem Teufel
und Tod in den Rachen". Auf dem Sterbebett sprach er folgendes Dankgebet:
„O mein himmlischer Vater . . „du Gott alles Trostes, ich danke dir, daß du
mir deinen geliebten Sohn Jesum Christum geoffenbaret hast, an den ich glaube,
den ich geprediget und bekannt habe, den ich geliebet und gelobet habe." a05
Pascal dankt in seiner Vorliebe für das Paradoxe Gott für das Glück, ihm danken
zu können: „Je vous rends gräces, mon dieu, des bons mouvements que vous
me donnez et de celui meme que vous me donnez de vous en rendre gräce." Ja,
er dankt sogar mit der ihm eigenen rücksichtslosen Härte für die Krankheit und
die Schmerzen, weil sie seine Weltfreude und Lebenslust zerstört haben: „Je
vous loue et je vous benirai tous les jours de ma vie de ce qu' il vous a p lu me
reduire dans Tinea pacite de jouir des douceurs de la sant6 et des plaisirs du
monde". 206 Echt biblisch-evangelisch empfunden ist trotz der mystischen Färbung
Tersteegens inniges Danklied.
„O du sorgest für mich Armen,
Tag und Nacht
Hältst du wach.
Groß ist dein Erbarmen:
Lauf ich weg, du holst mich wieder,
Väterlich hältst du mich,
Wenn ich sinke nieder.
Deine Gut', die ewig währet,
Hat mich oft
Unverhofft
In der Not erhöret.
O wie tief hast du mein Herze
Inhalt des Gebets (Dank) 391
Nicht erlöst
Und getrost,
Da ich lag im Schmerze!
Wenn ich tief im Dunklen walle,
Steht mir bei
Deine Treu,
Daß ich dann nicht falle,
Daß ich mich kann überlassen,
Stille steh'n,
Ohne Seh'n
Meinen Gott umfassen.
0 wie groß ist deine Gütel
Deine Treu
Immer neu
Preiset mein Gemüte.
Ach ich muß, ich muß dich lieben,
Seel und Leib
Ewig bleib'
Deinem Dienst verschrieben!" aos b
Aber nicht nur für das Große und Wichtige, für Gnade und Seelenheil, wird
Gott gedankt, sondern auch für das Kleine, Alltägliche. Die paulinisjhe Forderung :
,,In allem saget Dank" (1 Thess 5 lg); „alles, was ihr tut in Wort oder Werk,
tut alles im Namen des Herrn Jesu, indem ihr Gott dem Vater durch ihn Dank
saget" (Col 3 17); „saget allezeit für alles Dank im Namen unseres Herrn Jesus
Christus" (Eph 5 ao) — diese Forderung läßt eine Einschränkung auf das rein
Geistige nicht zu. Wie man um das tägliche Brot bittet, dankt man auch dafür.
Zur Zeit Jesu wurde im Judentum kein Stück Brot gebrochen, keine Weintraube
genossen ohne Danksagung. ao7 Jesus selbst hat diese Sitte stets geübt (Mk 6 41;
14 2S; Lk 24 30), desgleichen Paulus (Roe 14 8); wahrscheinlich wurde dabei die
jüdische Formel des Tischsegens gebraucht. Es ist tief bedeutsam, daß das
Danksagen bei Tisch dem urchristlicher religiösen Gemeinschaftsmahl den Namen
gegeben hat : ei>xaQtaTia.
h) Lobpreis.
Das reine, kontemplative Lobgebet, das ausschließlich auf Gott ge-
richtet ist und jeder Beziehung auf das eigene Ich entbehrt, tritt in
der prophetischen Frömmigkeit nur sporadisch auf. Wenn Gott ge-
priesen wird, so geschiehs das um seiner Heilstaten am Menschen willen.
Die meisten alttestamentlichen Lobpsalmen und christlichen Hymnen
sind eigentlich Dankgebete. Nur in wenigen alttestamentlichen Psalmen
wird Gott um seiner selbst willen, um seiner Größe und Macht und um
der Schönheit und Weisheit seiner Schöpfung willen verherrlicht. Von
Staunen und Entzücken ergriffen, steht der Beter nnd Dichter vor
seinem Gott, betrachtend versenkt er sich in die Wunder seiner Natur.
„Preise, meine Seele, Jahwe! Jahwe, mein Gott, du bist überaus groß, mit
Majestät und Hoheit bist du angetan. Wie sind deiner Werke so viele, du hast
sie alle in Weisheit geschaffen" (Ps 104, 1. 24). „Zahlreich sind deine Wunder
und deine Pläne, die du, Jahwe, mein Gott, für uns ausgeführt hast. Nichts
ist dir zu vergleichen! Wollte ich von ihnen verkünden und reden, so sind ihrer
zu viel, als daß ich sie aufzählen könnte'" (Ps 40, 0). „Ich will dich erheben, mein
Gott, du König, und deinen Namen immer und ewig preisen .... Es sollen
dich loben, Jahwe, alle deine Werke und deine Frommen dich preisen. Von der.
Herrlichkeit deines Königtums sollen sie sagen und von deiner Gewalt reden ....
Dein Reich ist ein Reich für alle Ewigkeit und deine Herrschaft währt durch
alle Geschlechter" (Ps 145). Hinter der Dichterkraft der Psalmsänger bleibt
weit zurück ein Preisgebet Muhammeds. „O Gott, Herr des Himmels und
392 FIV. Das Gebet in der prophetischen Frömmigkeit
der Erde, Herr des mächtigen Thrones, unser Herr und Herr aller Dinge . . .;
du bist der Erste, denn es gibt nichts vor dir; du bist der Letzte, denn es gibt
nichts nach dir; du bist der Äußere, denn es gibt nichts über dir, du bist der Innere,
denn es gibt nichts neben dir". 208
Den Inhalt vieler Psalmen (97. 104. 147. 148) bildet eine konkrete,
poesievolle Naturbetrachtung, welche die ganze leblose und lebende
Schöpfung an sich vorüberziehen läßt. Aus diesen Psalmen redet derselbe
Naturenthusiasmus, der die individuelle Hymnenpoesie antiker Völker
auszeichnet (s. o. S. 185 ff.); er ist nur vertieft, verinnerlicht und ver-
lebendigt durch den prophetischen Gebetsgeist. Die völlig anegoistische
Kontemplation, die feierlich-erhabene Anbetung des Unendlichen, das
Zurücktreten des Abhängigkeitsgefühls, das im Dank sich ausspricht,
der häufige Übergang der Duanrede des Gebets in die reine Betrachtung
- all diese Eigentümlichkeiten, welche die alttestamentlichen Lob-
psalmen mit der individuellen antiken Hymnendichtung gemeinsam
haben, weisen auf eine Ähnlichkeit mit der echt mystischen Gebets-
weise hin. Trotzdem ist der Unterschied von dem mystischen Gebet
unverkennbar. Das selbstvergessene Kontemplieren wird nie zum
mystischen oder pantheistischen Aufgehen in dem kontemplierten
Wertobjekt: die ursemitisch-prophetische Distanz von Mensch und
Gott wird durch keine mystische Einigung aufgehoben. Sodann bezieht
sich der kontemplative Lobpreis im Gegensatz zur eigentlichen Mystik
nicht auf das völlig geistige, von allen konkreten Werten losgelöste
oder in ihnen nur unvollkommen sich spiegelnde summum bonum,
sondern Gott und die Natur, der höchste Wert und die konkreten ästhe-
tischen Werte stehen in innerem Zusammenhang; die Natur ist „das
Werk seiner Hände". Die Natur wird nie zum Allgott, noch bleibt
sie im neuplatonischen Sinn ein bloßes unvollkommenes Abbild des
vollendeten geistigen Urbildes. „Jahwe, unser Herrscher, wie herrlich
ist dein Name auf der ganzen Erde" (Ps. 8 10).
i) Sehnen und Schauen.
Das Beten des Mystikers ist teils ein Sehnen und Verlangen nach dem
Einen, Höchsten, teils ein seliges Schauen und Genießen des unend-
lichen Gottes. Sehnen und Schauen ist auch der Inhalt mancher Gebete
in der prophetischen Frömmigkeit. „Laß mich deine Herrlichkeit
schauen", lautet nach der alten j ah wis tischen Pentateuchquelle ein
Gebet des Mose (Ex 33 18). Die Sehnsucht nach seligem Gottschauen
begegnet uns mehrmals im Psalter.
„Wie eine Hirschkuh, die nach Wasserbächen lechzt , so lechzt meine Seele
nach dir, o Gott. Meine Seele dürstet nach Gott, dem lebendigen Gott; wann
werde ich hingelangen und vor Gottes Angesicht erscheinen ?" (Ps 42. 2 f. ). ..Jahwe,
du bist mein Gott, dich suche ich! Es dürstet nach dir meine Seele, es schmachtet
nach dir mein Leib, in dürrem lechzenden Land ohne Wasser. Gib. daß ich dich
im Heiligtum schaue, deine Macht und Herrlichkeit sehe" (Ps 63, 2 f.). Und
im Besitze der Gottseligkeit ruft der Psalmist: „Ich spreche zu Jahwe: Du bist
mein Herr, es gibt für mich kein Gut außer dir" (Ps 16, 2). ..Wenn ich nur dich
habe, so frage ich nicht nach Himmel und Erde. Wenn mir gleich Leib und Seele
verschmachten, so bist du doch. Gott, allzeit meines Herzens Trost und mein
Teil" (Ps 73, 25).
Klingt das nicht wie reine Mystik ? Ist das nicht Hingabe an den
Inhalt des Gebets (Sehen und Schauen) 393
höchsten, geistigen Wert, Kontemplation des summum bonumt Die
verblüffende Ähnlichkeit solcher Psalmstellen mit mystischen Gebets-
worten darf uns jedoch nicht über den verschiedenen Sinn täuschen.
Gewiß redet aus solchen Gebetsrufen ebenso wie aus der mystischen
Kontemplation die Gewißheit von einer höchsten Wirklichkeit, die allein
dem Frommen Seligkeit verbürgt. Was aber die alttestamentlichen
Frommen suchen, ist nicht ein Einswerden mit Gott, ein Auf- und
Untergehen in dem Unendlichen, das dem Mystiker dann gelingt, wenn
die Trennimg von allem Kreatürlichen und die Ertötung des natürlichen
Wollens vollzogen ist. Der Abstand zwischen Mensch und Gott läßt
eine Auflösung der menschlichen Persönlichkeit in Gott nicht zu. Nicht
ekstatische Vereinigung mit Gott ersehnt der Beter, sondern
nur seine lebendige, fühlbare Nähe, beseligende Lebensgemein-
schaft mit ihm. 208b Das Bewußtsein der unmittelbaren Gegenwart
Gottes verleiht dem Frommen eine unerschütterliche Lebenssicherheit
und Heilsgewißheit. ,, Mir ist die Nähe Gottes köstlich" (Ps 73 28),
Ursprünglich war das Verlangen nach dem, Schauen" von Jahwes Antlitz
nichts anderes als die Sehnsucht nach dem Besuch des Tempels, in dem
nach israelitischem Glauben Jahwe weilt und wo man seiner schützenden
und helfenden Hand inne wird. Mit der Vergeistigung der Gottes-
vorstellung jedoch fiel die Bindung der Gegenwart Gottes an einen
äußeren Ort, Gottes Nähe wurde rein innerlich erlebt im herzlichen
Gebet und im zuversichtlichen Glauben. 209 So bricht gerade in diesen
scheinbar mystischen Gebeten der Grundzug prophetischer Frömmigkeit
durch: die starke Lebenszuversicht, die sich auf die Gewißheit von
Gottes wirksamer Gegenwart stützt.
4. Die dem Gebet zugrundeliegende Gottesvor-
stellung.
.Macht' und Menschlichkeit sind die beiden Charakteristika der primi-
tiven Gottesvorstellung; der Gott der prophetischen Erfahrung ist
Wille und Persönlichkeit. Das persönlich-menschliche Gottesbild ent-
-■ hwindet während des Betens nie dem Frommen. Die rohen anthro-
pomorphen Züge, welche die dem primitiven Beten zugrundeliegende
Gottesvorstellung zeigt, sind beseitigt : Gott ist weder örtlich gebunden
noch in seinem Wirkungskreise beschränkt; er ist übersinnlich, er sieht
und hört nicht mit menschlichem Auge und Ohr; er hat keine mensch-
lichen Bedürfnisse und Wünsche, die der Mensch durch Opfer und
Geschenke befriedigen könnte; er ist kein launisches und rachegieriges
Wesen, auch wenn er, ein sittlich eifriger Gott, zürnt, richtet und straft.
Und doch sind die wesentlichen Züge der seelischen Persönlichkeit:
Denken. Wollen und Fühlen in der prophetischen Gottesvorstellung
mit derselben realistischen Anschaulichkeit lebendig wie in der primi-
tiven. Nur einem menschlich fühlenden Wesen kann der Beter seine
Herzensnot ausschütten, nur ein solches kann ihn trösten und ihm helfen,
nicht ein überpersönliches, unendliches, geistiges Ideal. Gott ist nicht
das Eine, Unbegrenzte, .höchste Gut', wie in dem mystischen Beten,
sondern der ,H<-lf>-r'. Nbthelfer', der . Gebetserhörer '. wie ihn Luther
394 FIV. Das Gebet in der prophetischen Frömmigkeit
treuherzig mit dem Terminus der naiven Frömmigkeit bezeichnet. 210
„Wahrhaft, du bist ein Gott, der Gebete erhört," spricht der Psalmist
(65 3). „Elend hin wegzunehmen, elende Menschen aufzurichten, das
ist dein Werk," betet Savonarola 211b. Luther sagt: „Dies ist unseres
Herr Gotts eigentliches Werk, daß er Gebete erhöret und hilfet denen,
die ihn anschreien". 2U Der Gott des prophetischen Beters ist auch
kein statischer Endgültigkeitswert, in den er sich in feierlicher Anbetung
und kontemplativer Ruhe versenkt, sondern ein dynamischer Wille, von
dem er einen Eingriff in die Welt und in das Leben erwartet. Wie er
durch seinen Willen die ganze Welt und das menschliche Ich trägt und
lenkt, beherrscht und regiert, so soll er durch seinen Willen Welt und
Ich umgestalten, durch seinen Willen das Seinsollende zur Wirklichkeit
machen. Der Gegensatz zu der vom mystischen Gebet vorausgesetzten
Gottesidee und die Übereinstimmung mit der Gottesvorstellung des
primitiven Menschen ist unableugbar.
5. Der Glaube an diePräsenzGottes imGebet.
Alles primitive Beten wurzelt in dem Glauben an die Gegenwart und
Nähe eines hörenden Gottes. In der prophetischen Gebetsfrömmigkeit
lebt dieser Glaube, vergeistigt zwar, aber ungeschwächt in seinem
Realismus, auf. Eben darum weil echtes Beten kein Selbstgespräch
und keine Selbstbetrachtung ist, sondern wirkliches Reden mit einem
persönlichen Du, ist die Präsenz Gottes eine seiner wesentlichen Voraus-
setzungen. Der Pentateuch veranschaulicht in wundervoller Bildrede,
die den Kern des psychologischen Phänomens trifft, die realistische
Überzeugung von der unmittelbaren Gegenwart Gottes, die den Gebets-
verkehr des Vaters der prophetischen Religion durchdrungen haben
muß. Jahwe „verkehrt mit ihm von Angesicht zu Angesicht" (Dt 34 10),
er „redet mit ihm von Mund zu Mund, offenbarlich und nicht in Rätseln" ;
Mose „schaut Jahwes Gestalt" (Num 12 8); er verkündet dem Volke
Israel: „Jahwe, unser Gott ist nahe, so oft wir ihn anrufen (Dt 4 7).
Der Psalmist bekennt mit denselben Worten: „Jahwe ist nahe allen,
die ihn anrufen, die ihn mit Ernst anrufen" (Ps 145 18). Aber auch
Persönlichkeiten neuerer Zeit stehen in ihrem Glauben an Gottes dem
Beter fühlbare Nähe den israelitischen Propheten und Dichtern nicht
nach. Beten ist für Calvin ein Kolloquium Dei\ 212 Beten heißt für
Luther „mit dem Herzen vor Gott in den Himmel treten und mit ihm
reden", 213 für Zwingli „zu Gott laufen", „sich mit ihm berichten und
besprechen". 214 Bunyan redet noch deutlicher : „Durch das Gebet kommen
wir am direktesten und unmittelbarsten in die persönliche Nähe der
Gegenwart Gottes." „Im Gebet kommt der Mensch gar nahe zu Gott;
darum ist der Gnadenbeistand Gottes so notwendig, daß er der Seele
hilft zu beten, damit sie überhaupt in seine Gegenwart komme".215
Pascal weiß sich in seinem Gebet „allein in Gottes Präsenz" 216 und
Kierkegaard schreibt: „In stiller Einsamkeit läßt Gott mich weinen,
da weine ich immer wieder meinen Schmerz vor ihm aus. 217
Die Erfahrung, daß der kleine Mensch im Gebet dem großen Gott
naht, birgt für die prophetischen Beter dieselbe Paradoxie in sich wie
für die Mystiker.
Die Präsenz Gottes 395
Der Jahwist läßt Abraham zu seinem Gott beten: „Ich habe mich unterfangen
mit dir zu reden, ich, der ich Staub und Asche bin" (Gen 18 27). Luther versenkt
sich in diesen wunderbaren Kontrast: „Der ich Asche und Staub und voller
Sünden bin, soll den lebendigen, wahrhaftigen, ewigen Gott anreden. Wie komme
ich dazu, daß ich die hohe Majestät soll anreden, da sich doch sonst alle Menschen
entsetzen müssen, wenn sie irgend einen Fürsten oder König ansehen oder anreden
sollen". 218 Der sterbende Bunyan mahnt: „Bevor du ins Gebet eintrittst,
betrachte, daß du bloß , Staub und Asche' bist und er der große Gott, der Vater
unseres Herrn Christi, der sich mit Lichtglanz umkleidet wie mit einem Gewand,
daß du ein gemeiner Sünder bist und er ein heiliger Gott ; daß du ein armer kriechen-
der Wurm bist und er der allmächtige Gott". 218t>
Im primitiven Beten ist Gottes Gegenwart stets an ein sinnfälliges
Objekt gebunden, an ein konkretes Naturphänomen (und sei es nur der
lichte Himmel) oder an das Werk menschlicher Hände, ein Götterbild
oder einen Fetisch. Noch der fromme Israelite (Ps. 42; Ps. 84) sehnt
sich nach dem Tempel auf Sion, wo Jahwes Macht und Herrlichkeit
thront. Aber das Gotterleben eines Jesaia, Jeremia und Deuterojesaia
sprengte die primitive Sinnlichkeit der naiven Gottesvorstellung. „So
spricht Jahwe : Der Himmel ist mein Thron und die Erde meiner Füße
Schemel. Was wäre das für ein Haus, das ihr mir bauen wolltet?"
( Jes 66 j). Die klassische Urkunde des rein geistigen Gebets, der völlig
übersinnlichen Gottesverehrung sind die bei Johannes stehenden Woite
Jesu an die Samariterin (4 20 ff.). Weder Sion noch Garizim sind die
Stätten, wo Gott weilt und wo man deshalb zu ihm beten müßte. Die
wahren Beter beten Gott ,im Geist und in der Wahrheit' an. Ähnlich
verkündet auch Paulus in der Areopagrede, daß Gott nicht in hände-
gebauten Tempeln wohnt (Ap-G 17 24 ff.). Aber dieser offenkundige
Bruch mit aller sinnlichen Gottesvorstellung bedeutet keineswegs wie
bei den Philosophen eine Schwächung und ein Verblassen des naiven
Glaubens an Gottes Nähe. Gott ist dem Frommen noch viel näher als
in äußeren Objekten, er wohnt im Herzen des Menschen, der an ihn
glaubt und ihn anruft. „Wißt ihr nicht, daß ihr der Tempel Gottes
seid und Gottes Geist in euch wohnt ?" (1 Kor 3 16). Calvin zieht daraus
die Konsequenz : „ Vera Dei templa cum simus ipsi, in nobis o r em u s
oportet, si in sancto templo suo Deum volumus invocare". 219
Aus dieser grandiosen Individualisierung des (jedem religiösen Glauben
wesentlichen) Gedankens der realen Präsenz Gottes ergibt sich ein Uni-
versalismus des Betens, der keine lokale Gebundenheit mehr kennt.
Der Verfasser des 1. Timotheusbriefes sagt: „Ich will, daß die Männer
an jedem Orte beten und reine Hände ohne Groll und Zweifel
emporheben" (2 8). „Ein Christ," sagt Luther, „ist an keine Stätte
gebunden und mag wohl überall beten, es sei auf der Straßen, im Feld
oder in der Kirchen".220 Zwingli schreibt: „Christus hat uns auch
erlöset von besonderen Stätten, daß nicht an einem Ort mehr als
am anderen Gott angerufen werde, sondern an allen Orten, wo Gott im
Geist und wahrlich wird angerufen, da spricht er: hier bin ich". 221 Ja,
Calvin und Goorge Fox, die in ihrem herben Puritanismus und ihrer
geistigen Nüchternheit dem prophetischen Typ stets dio extremste
Fassung geben, polemisieren ausdrücklich gegen die landläufige Be-
zeichnung der Kirchen als , Gotteshäuser'. Fox bezeichnet sie in ver-
396 FIV. Das Gebet in der prophetischen Fömmigkeit
ächtlicher Weise stets als „Turmhäuser" und Calvin sieht darin, daß
man ,, Gottes Gegenwart in die vier Wände eines Tempels einschließt",
einen Rückfall in jüdische und heidnische Vorstellungen. 222
Der prophetisch-christlicheGebetssinn kennt so wenig wie der mystische
die örtlichen Schranken der primitiven und antiken Gebetsfrömmigkeit.
Aber der dem Glauben an die Gegenwart Gottes im menschlichen Herzen
zugrundeliegende Individualismus bedingt, daß die Einsamkeit als die
vorzüglichste Stätte des Betens gilt. Mövog rr^ög fiövov („einsam
beim Einsamen", Plotin) ist das Ideal des Betens — hierin sind mystische
und prophetische Frömmigkeit vollkommen eins. Hiskias wendet beim
Gebet zu Jahwe sein Angesicht gegen die Wand ( Jes 38 2) „zum unwill-
kürlichen Ausdruck seines Wunsches, mit Gott allein zu sein". 223 Im
nachexilischen Judentum zogen sich die Frommen beim Gebet ins Ober-
gemach zurück. 224 Jesus betet Ttaxu fiövag, auf stiller Bergeshöhe, an ver-
lassenen Wüstenplätzen, in dunkler Nacht. 225 Er hat die Einsamkeit des
Betens für so wichtig gehalten, daß er sie zur normativen Forderung
erhob: ,,Du aber wenn du betest, gehe in dein Kämmerlein und schließ
die Türe zu und bete zu deinem Vater im Verborgenen" (Mt 6 6). Luther
sagt: „Wenn einer beten will, ist es fein, daß er allein sei, da er kann
frei und ungehindert sein Gebet zu Gott ausschütten und Wort und
Gebärden führen, das er vor Leuten nicht tun kann". 226 Zwingli
meint: „Wenn sich das menschliche Gemüt mit Gott berichten will,
so ist es gerne allein"; „denn Andacht wird durch die vielen ge-
fälscht". 227
Der Mystiker flieht in die Gebetseinsamkeit, weil die ^Abgeschieden-
heit' von Welt und Menschen die Voraussetzung zur seligen Einigung
mit dem Unendlichen bildet; die prophetischen Naturen suchen in der
Stille des Gebets nicht eine dauernde Isolierung , sondern die
Möglichkeit einer unbehinderten Aussprache mit ihrem Gott.
Hier in der Einsamkeit des Verkehrs mit Gott empfangen sie die ent-
scheidenden Impulse für ihr Wirken und Arbeiten bei den Brüdern.
In der Stille des Gebets packt sie der , Geist' Gottes mit unwiderstehlicher
Macht und treibt sie hinaus in die Welt zur Arbeit für das Gottesreich.
WTas ihnen im Gebet aufgegangen ist von Gottes unendlicher Macht,
Heiligkeit und Güte, das verkünden sie laut vor aller Welt; den Willen
Gottes, der zu ihnen im Gebet gesprochen, enthüllen sie ihren Brüdern.
Das lebendige Bewußtsein von Gottes unmittelbarer Gegenwart und
Nähe nehmen sie aus der Gebetseinsamkeit mit in die Welt hinaus. Das
Wort des Psalmisten: „Ich habe Jahwe beständig vor mir stehen"
(Ps 168) gilt für alle Beter vom prophetischen Typ. Während der
echte Mystiker nur in der vollen Abgeschiedenheit, in der tiefen Ver-
sunkenheit und kontemplativen Ruhe seines Gottes gewiß wird, weiß
sich der prophetische Geist allzeit Gott nahe, im Gewühl des Alltags
wie in der Stille des Heiligtums, im sittlichen Kampf wie im zuver-
sichtlichen Gebet, in der Verkündigung des Gotteswortes wie in der
trauten Zwiesprache mit dem Herrn, unter den Brüdern wie im Verkehr
mit Gott.
Verhältnis von Mensch und Gott 39"
6. Das im Gebet sich äußernde Verhältnis von
Mensch und Gott.
Das Gebet in der prophetischen Frömmigkeit ist ebenso wie in der
Mystik ein realer Verkehr, ein lebendiger Umgang des Menschen mit
Gott. Aber während die Mystik die Tendenz zeigt, das Gebet in die
Meditation und Kontemplation aufzulösen, tritt in der prophetischen
Frömmigkeit der soziale Verkehrscharakter des Gebets viel stärker
hervor. Beten heißt nicht über Gott meditieren und Gott kontemplieren,
sondern zu Gott rufen, mit Gott reden. Während im mystischen Gebet
die verschiedenen Redeformen: Anrufung und Anrede, Bitte, Lob und
Dank nur Verkleidungen der unverrückten Hinwendung auf das höchste
Gut sind, sind diese in der prophetischen Religion ebenso wie in der
primitiven echte Äußerungen einer Verkehrsbeziehung des Menschen
zu Gott, welche getreulich die irdischen, sozialen Verkehrsbeziehungen
wiederspiegelt. Das prophetische Gebet ist Bitte und Dank in demselben
Sinne, in dem wir im menschlichen Leben von Bitte und Dank reden.
Der Mystiker will im Gebet sich ,zu Gott erheben', er will in ihm zu
der höchsten geistigen Wirklichkeit .emporsteigen' . In der prophetischen
Frömmigkeit sucht der Beter nicht eine Erhebung zum höchsten Gut.
sondern Hilfe und Gnade, die Erfüllung eines Wunsches, in der reli-
giösen Sprache ausgedrückt: die ,Gebetserhörung'. Schon dieser
Terminus, welcher der primitiven religiösen Sprache entstammt, ist
der Mystik innerlich fremd. Für den Mystiker ist Gott die wandel-
lose höchste Realität, die der Mensch nie durch Bitten beeinflussen
kann, selbst wenn er um die höchsten sittlichen Güter bäte. Dem
prophetischen Glauben an die Gebetserhörung liegt die primitive Vor-
stellung einer realen Einwirkung des Menschen auf Gott zugrunde.
Der Pentateuch erzählt: ,, Moses suchte Jahwe, seinen Gott, zu be-
gütigen, indem er sprach: (folgt ein Gebet). Da ließ sich Jahwe das
Unheil gereuen, das er seinem Volk angedroht hatte" (Ex 32 n ff. JE).
Arnos bekennt: „Ich bat Gott: ,Herr Jahwe, vergib doch'. Da ließ
es sich Jahwe gereuen; ,es soll nicht geschehen', sprach Jahwe" (7 2 ff.).
Bei Jeremia spricht Jahwe: „Dann werdet ihr mich anrufen und hin-
gehen und zu mir beten und ich werde euch erhören" (29 12). Immer
wieder betonen die israelitischen Psalmensänger, wie ihr Gebet vor
Jahwe erhört worden sei, wie Gott auf Grund ihres Gebets ihnen Hilfe
und Rettung zuteil werden ließ.
..Laut rief ich zu Jahwe, da erhörte er mich von seinem heiligen Berge" (3. 5).
...Jahwe hört, wenn ich zu ihm rufe" (1. 1). ..Jahwe hat mein Flehen gehört.
Jahwe nimmt mein Gebet an" (6, 10). „Hier ist ein Elender, welcher rief, und
Jahwe hörte und half ihm aus allen seinen Nöten." „Sie schrieen und Jahwe erhörte
und rettete sie aus allen ihren Nöten" (Ps 34. 7. 18). „Jahwe tut nach dem
Willen derer, die ihn fürchten, und hört ihr Geschrei und hilft ihnen" (Ps 1 15. 19).
Der prophetische Glaube an die reale Gebetserhörung ist am schärfsten
und klarsten von Jesus ausgesprochen worden.
„Bittet und es wird euch gegeben werden, suchet und ihr werdet finden, pochet
an und es wird euch geöffnet werden. Jeder Bittende empfängt und jeder Suchende
findet und jedem Pochenden wird geöffnet werden" (Mt 7. 7 ff.). Dem «laubigen
Bitten kommt sogar Wunderkraft zu. „Habt Glauben an Gottj Wahrlich,
ich sage euch: Wer zu diesem Berge spricht : Hebe dich und senke dich ins Meer,
398 P IV. Das Gebet in der prophetischen Frömmigkeit
und er zweifelt nicht in seinem Herzen, sondern glaubt, daß, was er sage, geschehe,
dem wird so geschehen. Deshalb sage ich euch, bei allem, um das ihr betet und
bittet, glaubet, daß ihr es schon empfangen habt \md es wird euch geschehen"
(Mk 11, 22 ff.).
Der Gedanke einer realen Einwirkung auf Gott, einer Gewinnung oder
Umstimmung Gottes spricht sich besonders anschaulich in den Gleich-
nissen vom unverschämten Freund und von der aufdringlichen Witwe
aus, mit denen Jesus seine Aufforderung zum vertrauensvollen und unge-
stümen Bitten illustriert (Lk 11 5 ff.; 18 j ff.). Die Pointe dieser Gleich-
nisse besteht in der Übertragung menschlicher sozialer Verhältnisse auf
das Gebetsverhältnis zu Gott. Wenn schon ein Mensch dem Wunsche
eines unverschämten Freundes willfährt um Ruhe zu bekommen und
wenn ein ungerechter Richter sich der aufdringlichen Witwe annimmt,
um die lästige Bettlerin loszuwerden, um so mehr wird dann der himm-
lische Vater, dessen Wesen Güte ist, die innigen Gebets wünsche seiner
Diener erfüllen. Derselbe Glaube an die Wirksamkeit des gläubigen
Bittgebets lebt im Völkerapostel. Er erklärt der Gemeinde in Philippi :
„Ich weiß, daß dies mir zum Heile gereichen wird durch euer Ge-
bet" (1 19). Paulus bezeichnet das Fürbittegebet geradezu als ein
„Mitkämpfen" (Roe 15 30; vgl. Col 4 12) — ein Ausdruck, der das Aktive,
Wirkungskräftige des prophetischen Betens gut versinn bildet. Auch
das Wort des Apostels Jakobus : , , Viel vermag das anhaltende Gebet
des Gerechten" ( Jk 5 6) zeugt von der Gebetsfreudigkeit und von dem
Gebetsglauben, der im Urchristentum lebendig war. Der Verfasser
der 1. Johannesepistel sagt: „Wenn das Herz uns nicht anklagt, so
haben wir Zuversicht zu Gott, und was wir ihn bitten, erlangen wir von
ihm." „Und das ist die Zuversicht, die wir zu Gott haben, daß, wenn
wirihn um etwas nach seinem Willen bitten, er uns erhört" (1 Jo 321; 514).
Ungemem zahlreiche und psychologisch wertvolle Zeugnisse für den
Glauben an die reale Macht des Gebets enthalten Luthers Schriften. In
sehr anschaulicher, volkstümlicher Redeweise betont er immer wieder
die wunderbare Macht des Glaubensgebetes.
„Er erinnert an seine eigenen Gebetserfahrungen: „Wohlan, niemand glaubet,
wie kräftig und stark das Gebet sei und wieviel es vermag, denn der, den es die
Erfahrung gelehret und der es versucht hat .... So oft ich mit Ernst gebetet
habe, daß mir's recht ernst gewesen ist. so bin ich ja reichlich erhöret worden
und habe mehr erlanget, denn ich gebeten habe; wohl hat Gott bisweilen ver-
zogen, aber es ist dennoch kommen." „Der Kirchen Gebet tut große Miracula.
Es hat zu unser Zeit ihr drei von den Toten auf erweckt: mich, der ich oft bin
todkrank gelegen, meine Hausfrau Kätha. die auch todkrank war und Magister
Philippum Melanchthonem, welcher anno 1540 zu Weimar todkrank lag." „Also
werden durchs Gebet noch viel erhalten, wie wir zu Weimar M. Philippum lebendig
beteten, da er sonst ohne das gestorben wäre. Ei, das Gebet tut viel" 2!8. „Ein
Christ weiß, daß ihm nicht versagt wird, was er gebeten hat und erfährt's auch
also in der Tat, daß ihm geholfen werde in allen Nöten", „und ob er nicht sobald
davon erlöset wird, so weiß er doch, daß das Gebet angenehm und erhöret ist
und Gott ihm gibt, daß er's ertragen und überwanden kann: welches ist eben soviel,
als war es von ihm weggenommen und heißt nicht mehr ein Unglück oder Plage,
nachdem es überwunden ist." „Es ist kein Zweifel, daß unser Gebet nicht sollte
erhört werden alsbald, wenn die erste Silbe ausgeredet ist." „Wenn wir recht so
vollkommen beten könnten, so war es unmöglich, daß ein solch Gebet nicht sollte
erhört weiden." „So uns das, darum wir bitten, nicht gegeben wird, so wird
uns doch etwas besseres darauffolgen, sintemal das Gebet vergeblich und ohne
Verhältnis von Mensch und Gott 399
Frucht ni ;ht sein kann." „Es ist ein stark Ding ums Gebet, wenn wir's nur glauben
könnten, denn Gott hat sich daran verbunden und geknüpft." ,,Es geschehe
Gutes, was da wolle, so geschiehet es, gehet und wird ausgerichtet und zuwege
gebracht durch das Gebet, welches allein die mächtigste Kaiserin ist. In mensch-
lichen Dingen richten wir alles aus durch das Gebet." ,,Das Gebet hat eine wunder-
liche Kraft und Allmächtigkeit." „Das Gebet der Christenmenschen ist ein all-
mächtig groß Ding"; „eine starke Wehre wider den Teufel und seine Anschläge";
„wir können den Teufel mit dem Gebet töten"; „es wehrt und hindert viel böse
Tücke des Teufels, so er sonst wollte anrichten durch seine Glieder, daß das freilich,
was da jetzt stehet und bleibet beide im geistlichen und weltlichen Regiment,
durchs Gebet erhalten wird." ..Das Gebet erhält die Welt, sonst sollt' es viel
anders stehen." Der Mensch „herrschet mit demselbigen Gebet über Wolken,
Himmel und Erden". 229 Ohne die Gebetserhörung wäre für Luther das Gebet
wertlos: „Wenn ich nicht wüßte, daß unser Gebet erhöret wäre, so bete der Teufel
an meiner Statt". 2r,° Gott erfüllt die Wünsche der Menschen nur auf Grund
seiner Gebete und erhöret sie um so rascher, je dringlicher und inniger der Mensch
fleht. „Wenn ein christlich Herz ernstlich zu Gott betet, schreit, seufzet, flehet
und hält an, so ist's unmöglich, daß ein solch Gebet von Gott nicht sollte erhöret
werden. Es muß und soll alles Ja sein." „Allein siehe darauf, daß du nicht müde
werdest, sondern fest anhaltest; ja, dein Gebet möchte so stark und ernst sein,
er sollt dir dieselbe Stunde geben, was du begehrest, das er sonst nicht tat und
lang Verzüge: aber er erhöret und gewähret dich um des ängstigen Betens willen."
„Also hab ich gewißlich das Vertrauen, wenn wir mit dem Gebet ernstlich und
hitzig werden anhalten, daß wir Gott erbitten würden, daß der jüngste Tag komme.'
„Das Gebet macht, daß Gott eilet, da er sonst nicht so würde eilen". 231
Luther spricht sogar offen aus, daß im Gebet eine Beeinflussung und
Umstimmung des Willens Gottes stattfindet — eine Vorstellung,
die allen alt- und neutestamentlichen Äußerungen über das Gebet zwar
zugrunde liegt, aber meist nicht direkt ausgesprochen wird.
„Nach dem Gebet ändert Gott seinen Rat und Vornehmen; das man fleißig
merken soll. Und muß man hier nicht disputieren von der heimlichen und ver-
borgenen Änderung des göttlichen Willens, sondern vielmehr lernen, davon der
1 45. Psalm saget: Der Herr tut den Willen derer, die ihn fürchten." „Gott ergibet
seinen Willen in unsern Willen." „Er will tun. was wir wollen, so wir allein in
Demütigkeit vor ihm niederfallen und beten." „Er lasset sich lenken und unter-
wirft seinen Willen unserm Willen." „Er will seinen Willen unterlassen und
unsern tun." Das Gebet des Lot in der Heiligen Schrift „ist um unseretwillen
geschrieben, wie wir Gottes zornigen Willen hindern, und wenn er uns die Rute
von ferne weiset, ihm begegnen und ihm in die Hand fallen sollten"232.
Luthers Glaube an die Gebetserhörung ist so gewaltig, daß er bis-
weilen dem Gebet geradezu eine magische Wirkung zuschreibt.
..Das Gebet hat eine Wunderkraft und Allmacht." „Dasselbe zwinget
Gott, daß er seinem zornigen Willen nicht nachsetzet, sondern lasset ihn brechen
und tut den Willen derer, so ihn fürchten." „Das ist des Christen höchste Würde,
sein Priestertum. daß er mit seinem Gebet vor Gott treten und Gott über-
winden kann. Gottes mächtig zu sein, ist noch mehr, als aller
Dinge mächtig zu sein "233.
Was naives, von jeder philosophischen Problematik und jeder quie-
tistischen Gelassenheit unberührtes Beten ist, wird durch nichts deut-
licher, als durch diese kräftigen, derb-realistischen Aussprüche Luthers.
Der Gegensatz zu dem philosophischen und mystischen Gebctsideal
ist so scharf wie nur möglich. Einem Origenes und Dionysius Areo-
pagita, ja selbst einem Augustinus wären diese Worte als töricht und
irreligiös erschienen. Aber Luther hat nur in kraftvollen und groben
Worten jenen kühnen und unerschütterlichen Gebetsglaubcn ausge-
sprochen, von dem alle alttestamentlichen Propheten, von dem selbst
400 PIV. Das Gebet in der prophetischen Frömmigkeit
Jesus und seine Apostel durchdrungen waren. Dieser Glaube an die
Macht des Gebets lebt ungebrochen auch in neueren evangelischen
Person lichkeiten .
Kierkegaard schreibt in seinem Tagebuch: .„Der archimedische Punkt
außerhalb der Welt ist das Kämmerlein, wo ein wahrer Beter in aller Aufrichtigkeit
betet — wo er die Welt aus den Angeln hebt. Ja. es ist unglaublich, was ein
solcher Beter, wenn er seine Türe schließt, drinnen nicht alles veimag". 234 Adolphe
M o n o d sagt in seinen Abschiedspredigten: ,, Durch das Gebet können wir alles
erlangen und dem wahren Gebet nach der heiligen Schiift sind alle Verheißungen
gegeben". 234 b Und der große englische Prediger C. H. Spurgeon urteilt:
,,Das Gebet kann den Himmel überwinden und die Allmacht zu seinem Willen
herabbeugen". 234c
Welch gewaltige Einwirkung der biblisch-christliche Glaube an die
Gebetserhörung auf die christliche Frömmigkeit ausübte, zeigt sich
darin, daß die christliche Mystik sich ihm nicht entziehen konnte. Im
Mönchtum der Ostkirche, das von mystisch-hesychias tischen Tendenzen
beseelt ist, spielt er eine ganz hervorragende Rolle. Die besondere
Gebetsmacht der geistlichen Väter' wird gerne mit dem philonisch-
neutestamentlichen Wort 7ictQQt]oia (1 Joh 5 14) bezeichnet, d. i.
die freimütige Gebetszuversicht, die alles von Gott erflehen kann.
„Als das Prädikat der großen Charismatiker wird die na^Qrjoia
schließlich geradezu das Recht von Gott etwas Außerordentliches zu
erbitten" — seien es nun äußere Wunder und Zeichen oder innere
Gnadenerweise. 235 Selbst eine so große Mystikerin wie die hl. Teresa
hat im festen Glauben an die Gebetserhörung das naive Fürbittegebet
gepflegt. Sie erzählt in ihrer Autobiographie wiederholt von wunder-
baren Gebe tserh orangen . „Wie oft der Herr meine Bitten erhört,
das ist gar nicht zu sagen. Wollte ich alles aufzählen, so würde ich nur
mich selbst sowie jeden der dies liest, ermüden". 236
Die rein mystische Gebetshmwendung zum summum bonum ist über
alle irdischen Sozialbeziehungen erhaben; nur in der affektiven Mystik
nimmt die mystische Sehnsucht und Seligkeit die Formen des Braut -
Verhältnisses an. In der prophetischen Religion reflektiert der Gebets-
verkehr ebenso wie in der primitiven unzweideutig eine menschliche
Sozialbeziehung. In der affektiv -dramatischen Art der prophetischen
Frömmigkeit ist es begründet, daß der Mensch mit seinem Gott redet,
wie mit einem anderen Menschen, wie mit seinem Freund, seinem Herrn,
seinem Vater. „Der Zarathustra der Gäthas verkehrt mit Ahura Mazda,
dem höchsten Gott, wie ein Freund mit seinem Freund." 237 Als em
Freundschaftsverhältnis charakterisiert sich der Gebets-
verkehr des Mose mit Jahwe. Die elohistische Quelle des Pentateuch
sagt sehr anschaulich: „Jahwe redet mit Mose von Angesicht zu Ange-
sicht, wie ein Mensch mit seinem Freund redet" (Ex 33 n). Im Gebets-
verkehr der nachmosaischen Propheten mit Jahwe mischt sich das
mosaische Freundschaftsverhältnis mit dem ursemitischen religiösen
Knechtschaftsverhältnis. Das in den Psalmen sich äußernde Gebets-
verhältnis ist meist ein Diener Verhältnis. „Wie die Augen
der Knechte auf die Hand ihres Herrn, wie die Augen der Mägde auf
die Hand ihrer Herrin, so sind unsere Augen auf Jahwe unseren Gott
gerichtet" (Ps 123 2). Im nachexilischen Judentum tritt der urse-
6. Verhältnis des Menschen zu Gott 401
_ _j
mitische Gedanke an Gott den Herrn noch stärker hervor. Nehemias
betet: ,,0 Jahwe, du Himmelsgott, du großer und furchtbarer Gott!
Laß doch dein Ohr aufmerksam und dein Auge offen sein, daß du das
Gebet deines Knechtes hörest" (Neh 1 5 f.). Im Septuaginta Judentum
wird das Wort xvQiog (,Herr') zur Gebetsanrufung xaz £$o%fjv, aus ihm
drang es in die christliche Gebetssprache ein. Aber diese schlichte Ge-
betsanrede ist keine belanglose Redensart, sondern der bedeutungsvolle
Reflex des religiösen Verhältnisses, in dem der Beter zu Gott steht.
Auch die andere religiöse Relation, die uns im primitiven Gebet so
oft begegnete, tritt in der Geschichte der israelitischen Gebetsfrömmig-
keit immer stärker hervor : das Kindschaftsverhältnis
zum Vatergott. Jahwe sprach zu Jeremia: „Ich dachte ,mein Vater'
würdet ihr mich nennen und nicht davon ablassen mir nachzufolgen"
(3 19). Ein nachexilischer Frommer ruft in seinen Gebeten wiederholt:
„Du, Jahwe, bist unser Vater" (Jes 63 17 f.; 64 7). Der Psalmist spricht:
„Mein Vater bist du" (89 27). Der Verfasser des Weisheitsbuches nennt
Gott in einem zuversichtlichen Gebet „Vater" (14 3). Das Neben-
einander beider Relationen, des Kindschafts- und Knechtschafts-
verhältnisses, zeigt sich deutlich in der Gebetsanrufung des Jesus
Sirach „0 Herr, Vater und Herr meines Lebens" (51 10) wie in dem
Wort Jahwes an Malachias: „Ein Sohn ehrt seinen Vater und ein
Diener fürchtet seinen Herrn. Wenn ich Vater bin, wo ist meine Ehre ?
und wenn ich Herr bin, wo ist die Furcht vor mir ?" (1 6). Während in
der alttestamentlichen Gebetsfrömmigkeit das Knechtschaf ts-und Kind-
schaftsverhältnis sich ständig vermengen, spricht sich im Beten Jesu
ausschließlich das Kindschaftsverhältnis zum Vater aus. In Jesu
Gebetsleben bricht so das Urphänomen des Gebets in seiner höchsten
Reinheit durch: das erste Gebet, das von eines Menschen Lippen sich
losriß, war zweifellos ein schlichter Hilferuf : ,Vater" (S. o. S. 91, 121).
Alle die Gebete, die uns von Jesus überliefert sind, beginnen mit der
anspruchslosen Anrede: , Vater'. (Nur am Kreuz, wo die Trostlosigkeit
das eigene Wort ersterben ließ, ruft er seinen Vater mit dem Psalmwort
„mein Gott!" an 238.) So gewaltig war der Eindruck dieser Gebets-
anrede Jesu auf seine Jünger, daß die griechischen Evangelienverfasser
den aramäischen Urlaut dieses Wortes ,Abbai wiedergeben. In den
Gebeten des Völkerapostels und seiner hellenistischen Christengemeinden
hallt dieser aramäische Gebetsruf Jesu wieder (Roe 815; Gal 46). In der
christlichen Gebetsterminologie steht die ,Vater'anrede neben der ,Herr'-
anrede. Aber die philosophischen und mystischen Motive, die aus der
spätgriechischen Welt in das Christentum einströmten, bedingten im
christlichen Gebetsleben ein Zurücktreten des naiven Kindschaftsge-
dankens. Er tritt in seiner Urwüehsigkeit und Herzlichkeit wieder in dem
BibelchristentumderReformatoren hervor. Schon der Vergleich derLuther-
schen Gebetsanrede: ,Lieber Gott und Vater!' , Lieber Vater!' ,Lieber
himmlischer Vater!' 239 mit der mystischen Gebetsanrede: ,amor meus',
,amantissimei , ,dilectissimei , ,dulcissimel , ^ponse' offenbart deutlich die
Verschiedenheit des sozialen Verhältnisses. Immer wieder betonen die Re-
formatoren, daß der Beter zu Gott in einem Kindschaftsverhältnis steht.
Da« Gebet 26
402 F IV. Das Gebot in der prophetischen Frömmigkeit
„Die rechten Beter sind die, so nicht daran zweifeln, daß sie Kinder sind der
Gnaden." „Unser Gebet soll zu Gott gerichtet sein als zu unserm gnädigen,
freundlichen Vater, nicht als einem Tyrannen oder zornigen Richter." „Bist
du in Anfechtung und Leiden, wende dich zu Gott wie ein Kind zu seinem Vater."
„Hast du einen Mangel oder Not, so dich drücket, so rufe nur zu ihm und tue
den Mund getrost auf wie ein Kind gegen seinen Vater, welcher ihm läßt alles
gefallen, was das Kindlein tut, so sich nur zum Vater hält." Gott selbst will,
daß der Mensch ihn , »fröhlich seinen Vater nenne". Gott „fordert von uns solche
Ehre, daß wir von ihm sollen bitten als ein Kind von seinem Vater". „Nun ist
kein Nam unter allen Namen, der mehr geschickt mache uns gegen Gott denn
Vater. Das ist gar eine freundliche, süße, tiefe und herzliche Rede. Es wäre
nicht so liehlieh oder tröstlich, wenn wir sprächen Herr oder Gott oder Richter.
Denn der Name Vater ist von Natur eingeboren und natürlich süß. Derhalben
er auch Gott am allerbesten gefällt und uns zu hören ihn am allermeisten bewegt.
Desselhengleichen wir uns in demselben bekennen als Kinder Gottes, dadurch
abermal wird Gott gar innerlich bewegt; denn nicht lieblichere Stimme ist denn
des Kindes zum Vater" (Luther) 24°. „Also kann kein Gebet sein, wo man nicht
zu Gott also sicher und vertraut läuft als zu einem milden, natürlichen Vater"
(Zwingli) M1.
Die Art des sozialen Verhältnisses zu Gott äußert sich in der Gebets-
stimmung. Der Seher oder Prophet, den ein Freundesverhältnis mit
seinem Gott verknüpft, zeigt trotz des Abhängigkeitsgefühls stolzes
Selbstbewußtsein und Selbstvertrauen, männliche Freiheit und Offenheit,
Ernst und Würde. Furchtaffekte sind ihm ebenso fern wie kindlich-
frohe Zuversicht. Viel kräftiger ist das Gefühl der Abhängigkeit dort,
wo Gott als „Herr" und „König" angerufen wird. Die Prädikate,
welche die israelitischen Beter ihrem Jahwe beilegen: „Herr der Heer-
scharen", „Richter der ganzen Erde" (Gn 18 25), „o Herr, du großer
und furchtbarer Gott" (Dan 9 4) sind die Korrelate zu den Affekten
der bebenden Ehrfurcht und zitternden Scheu, die in ihnen beim Beten
stets lebendig sind. „Gottesfurcht" ist für den alttestamentlichen
Frommen synonym mit Religion und Frömmigkeit.
Die Demut und Ehrfurcht des Dienerverhältnisses paart sich mit der
Unbefangenheit und Herzlichkeit des Freundesverhältnisses im religiösen
Kindschaftsverhältnis. Der Beter ist durchdrungen von dem Gefühl
der vollständigen Abhängigkeit, der eigenen Schwäche und Ohnmacht;
er ist sich seiner Kleinheit, Armut und Hilflosigkeit bewußt und fühlt
sich ganz auf die Güte des Vaters angewiesen. Nirgends ist die Demut,
welche im Kindesgebet die eine Komponente der Gebetsstimmung ist,
so wundervoll veranschaulicht als im Gleichnis vom Pharisäer und
Zöllner (Lk 18 9 ff.). Luther mahnt, „daß man im Gebet in rechter
herzlicher Demut von uns selbst falle und allein hange an der Ver-
heißung der Gnade" 242. Mit der Demut verbindet sich der Freimut:
Der Beter, der sich als Gotteskind fühlt, spricht offen, rückhaltlos
vor dem Vater aus, was ihn innerlich bewegt. Für diese Unbefangenheit
und Vertraulichkeit des Beters hat die jüdisch-urchristliche Frömmig-
keit den plastischen Terminus naQQt]ola, ,Allessagen' geprägt (Philo,
Hebr. 416; 1 Jo 321; 5 14 f.)243. Der Vatergott hat ein offenes Herz
für all die großen und kleinen Nöte des Menschen, ihm kann der Fromme
sich völlig ausschütten. Darum sollen wir, wie Luther sagt, „uns zum
Gebet mutig und beherzt machen", „es frisch und getrost wagen",
„getrost und kecklich hinangehen", ,,frei und gewiß vor Gott treten"
6. Verhältnis des Menschen zu Gott 403
„den Mund unerschrocken auftun" 244. Demut und Freimut im Kindes-
gebet werden getragen und beseelt von der unerschütterlichen Zuver-
sicht, die sich auf die Vatergüte Gottes stützt. Der Vater kami
seine Kinder, wenn sie ihn anflehen, nicht abweisen: „Oder würde
jemand unter euch, wenn ihn sein Sohn um Brot bittet, ihm einen
Stein geben, und wenn er ihn \im einen Fisch bittet, würde er ihm eine
Schlange geben?" (Mt 79 ff.). Der Gedanke an Gottes Vatergüte
hält die Zuversicht während des Gebetes lebendig; das Beten ist ein
,-,Bitten im Glauben ohne allen Zweifel" (Jak 1 5). Luther umschreibt
die zuversichtliche Stimmung des Kindesgebets durch eine Fülle tref-
fender psychologischer Termini.
..Ein recht Gebet soll aus einem gläubigen Herzen kommen." Wir sollen „mit
aller Zuversicht vor Gott treten", „fröhlich niederknien", „beherzt, freudig und
getrost beten". Du sollst „dein Herz auftun und vor Gott ausschütten mit tröst-
licher Zuversicht, daß er als dein treuer, himmlischer Vater in solchen Nöten
helfen und raten wolle". „Es ist not, daß man Dicht zweifle, sondern mit rechtem
Vertrauen bitte" 2*5. Die Stimmung des Beters ist auch nicht die eines Experi-
mentators, der mit dem Gebet einen Versuch macht, begierig, ob er glücke;
seine Zuversicht ist absolut, unerschütterlich. „Wenn jemand daran zweifelt
oder es in ungewissen Wahn setzt und es auf Abenteuer wagt, so ist das Gebet
nichts." „Das Wanken soll ganz und gar vom Gebet ausgeschlossen sein" MS.
Calvin sagt: „Hanc ergo obtinendi, quod petimus, securitatem . . utraque manu
tenere nos oportet, si cum fructu orare volumus. Ea accepta Deo est oratio,
quae ex tali, iit ita loquar, praesumptione fidei nascitur et intrepida spei certi-
tudine fundata est" 24Bt>.
Diese feste und frohe Zuversicht stützt sich aber nicht auf das Bewußt-
sein der eigenen sittlichen Kraft und Würdigkeit, es ist nicht ein „Bauen
auf sich selbst", sondern wurzelt allein im Glauben an Gottes Güte;
„es muß sich auf Wahrheit und Versprechen Gottes verlassen".
„Unser Gebet muß sich nicht gründen oder halten auf unsere Würdigkeit,
sondern auf die unwankelbare Wahrheit göttlicher Zusagung." „Eben dadurch
werden wir würdig zu bitten und erhört zu werden, daß wir glauben, wir sind
unwürdig und alleine auf die Treue Gottes uns tröstlich wagen." „Gottes Ver-
heißung ist das Hauptstück, Grund und Kraft aller Gebete." „Denn so Gott
nicht hätte heißen beten und Erhörung versprochen, vermöchten alle Kreaturen
nicht ein Körnlein erbitten mit allen ihren Gebeten." (Luther.)"7
Die Art des sozialen Verhältnisses, in dem der Beter zur Gottheit zu
stehen glaubt, variiert somit die Stimmung des Gebets. Die Wahl der
Worte, die Klangfarbe der Stimme, das Mienenspiel wechseln je nach
der durch das eigentümliche religiöse Verhältnis bedingten Stimmung.
Eben deshalb, weil die Stimmung im lauten Gebet auch nach außen
hin sich kundgibt, springt sie auf diejenigen über, welche dem Beter
zuhören. Schon das naive Beten des primitiven Menschen macht auf
den Augen- und Ohrenzeugen einen tiefen Eindruck. Europäische
Ethnographen erzählen, wie sie beim Anhören der Gebete von Natur-
völkern innerlich ergriffen wurden (S.o.S.146f.). Noch tiefer und nach-
haltiger muß der Eindruck sem, den jene gewonnen haben, die Zeugen
des Betens der religiösen Genien waren. Leider besitzen wir keine
Zeugnisse über den Eindruck, den das Beten der größten prophetischen
Persönlichkeiten auf ihre Jünger und Vertrauten machte. Nur über
die Eigenart von Luthers Beten sind wir unterrichtet. Veit Dietrich
schreibt :
404 P IV. Das Gebet in der prophetischen Frömmigkeit
„Es hat mir einmal geglückt, daß ich ihn hörte beten. Hilf Gott! Welch
ein Geist, Welch ein Glaube war in seinen Worten ! Er betete so andächtig als
einer, der mit Gott, mit solcher Hoffnung und Glauben, als einer, der mit seinem
Vater redet .... Als ich ihn solche Worte mit heller Stimme von fern hörte
beten, brannte mir's Herz im Leibe vor großer Freude, sintemal ich ihn so freund-
lich und andächtig mit Gott hörete reden ; vornehmlich aber, weil er auf die Ver-
heißungen aus den Psalmen so hart drang, als wäre es gewiß, daß alles geschehen
müßte, was er begehrte" 248.
7. DieGebetsnormendorprophetischenFrömmig-
k e i t.
Wie die Mystiker so erblicken auch die prophetischen Geister in
ihrem eigenen Gebetsleben das Ideal des Gebets, das wahre, gottgewollte
Gebet. Aber hierin liegt der Unterschied der prophetischen Gebets-
norm von der mystischen, daß die unter dem Niveau des idealen Gebets
befindliche Gebetsweise nicht als bloße unvollkommene Vorstufe des
reinen Herzensgebets betrachtet und gewürdigt, sondern als falsche
und irreligiöse Gebetsform gebrandmarkt wird. Die prophetische
Gebetsanweisung enthält stets eine polemische Spitze. Sie richtet sich
auch im Gegensatz zu der mystischen Gebetsanleitung nicht bloß an
Vertraute und geistesverwandte Seelen, sondern an alle Menschen ohne
Unterschied. Das Gebetsideal erscheint als eine ausnahmslos gültige
göttliche Forderung. Die prophetischen Geister staffeln auch nicht
die Gebete und Gebetszustände nach Graden der Intensität und Reinheit
wie die Mystiker ; da3 absolut gültige religiöse Ideal kennt keine Ab-
stufung, es ist ein unbedingtes „du sollst", der heilige Wille Gottes.
Die prophetische Gebetsanleitung ist darum ein Kampf für das Gebets-
ideal.
Dieser Kampf richtet sich in erster Linie gegen das aus irreligiösen
Motiven geborene Beten. Da3 öffentliche Schaubeten, „das
Gebet im Sehein" (Luther) 249, da3 nur auf Menschenlob berechnet ist,
wird von Jesus als freche Heuchelei entlarvt. Nicht in der Öffentlichkeit,
sondern im stillen Kämmerlein betet der wahre Fromme.
,,Wenu ihr batet, so macht es nicht wie die Heuchler, die mit Vorliebe in den
Synagogen und an den Straßenecken sich hinstellen und beten, um von den
Menschen gesehen zu werden; wahrlich ich sage euch, sie haben ihren Lohn dahin.
Du aber, wenn du betest, geh in dein Kämmerlein, schließ die Türe zu und bete
zu deinem Vater im Verborgenen, und der Vater, der es im Verborgenen schaut,
wird es dir vergelten" (Mt 6, 5). Diesem Herrenwort ähnelt die Mahnung eines
jüdischen Frommen: ..Man stelle sich nicht auf freiem Felde zum Beten hin,
wie es die Völker der Welt tun. Man stelle sich nicht auf offener Straße zum
Beten hin wegen der Meinung der Laute. Man stelle sich nicht unter Frauen zum
Beten hin wegen der Meinung der Frauen" (Seder Elia Babba) 24ßb.
Die innige Gebetsfrömmigkeit der prophetischen Naturen protestiert
mit aller Schärfe gegen das seelen- und stimmungslose Beten, das
mechanische und gedankenlose Herunterplappern von langen
Gebetsformeln.
J e s a i a s eifert gegen das Lippengebet: „Dieses Volk naht sich mir bloß mit
seinem Munde und ehrt mich bloß mit seinen Lippen, sein Herz aber ist fern von
mir!" (29, 13). Er verkündet den Israeliten Jahwes Wort: „Wenn ihr nojh soviel
betet, so höre ich auf euch nicht" (1, 15). Jesus Sirach mahnt: „Wiederhole
keine Worte beim Gebet" (7, 14). Jesus warnt: „Wenn ihr betet, dann macht
nicht viel Geplapper wie die Heiden; denn die glauben mit ihren vielen Worten
7. Die Gebetsnorm 405
erhört zu werden; macht es nicht denen nach; euer Vater weiß ja, was ihr bedürfet,
ehe ihr ihn bittet" (Mt 6, 7). Eine unermüdliche Polemik gegen das stimmungs-
und gedankenlose Gebet führten die Reformatoren. Luther schreibt in seiner
derben Redeweise: „Beten heißt nicht eine Anzahl Psalmen daherlesen" oder
,,in der Kirche brüllen und schreien", „einen Sack voll Worte murren oder tönen",
das „Maul regen oder stracks in ein Buch sehen". Ein solches Beten ist ein „äußer-
lich Mummeln und Plappern mit dem Munde, ohne alle Acht", , .allein eine Arbeit
der Zunge", „eine Büffelarbeit", die „ohne Herz, Verstand und Glauben", „ohne
Verstand und Andacht geschieht". Das , .geistliche und wahrhaftige Gebet" ist
vielmehr eine „Aufhebung des Gemüts oder Herzens zu Gott," „innerliche Be-
gierde, Seufzen und Verlangen aus Herzensgrund". „Darum betet der, der
h e r z 1 i c h betet, und nicht der viel Blätter umschlägt und viel mit den Pater-
uostersteinen klappert." „Wenn du aus dem Herzen betest allein: ,dein Name
werde geheiliget!', so ist's mehr deiui daß du hundert Psalmen ohne Herz betest."
..Ein recht Gebet denket fein aller Worte und Gedanken vom Anfang bis zum
Ende des Gebets"250. Zwingli sagt: „Das Gebet ist nichts anderes denn
ein Aufrichten oder Aufstehen des Gemüts zu Gott." ..Ob die Worte mit der
Begierde des Herzens laufen, ist nicht letz (falsch), aber die Worte sind ohne das
Heiz eitel." „Mit wiedergeplapperten Worten währt die Andacht nicht lange."
„Willst du mit dem Mund einen Psalm reden, schau, daß der Mund und das Gemüt
miteinander ziehen" 2S1. Sebastian Frank schreibt: „Der Mund und die Auf-
hebung der unschuldigen Hände, die Beugung der Knie sind nur Dolmetscher,
Zeremonien, Zeugen und Ausrufer des Gebets. Wenn nun das Herz nicht ernst-
lich betet und zu Gott schreit, so ist der Mund, es sind die Knie usw. nichts als
Heuchler und falsche Zeugen, welche Gott, als sähe er nicht im Grunde in das
Verborgene, betrügen und mit dem Judaskuß verraten wollen" m. Bunyan
sagt: .,Da ist das Gebetsleben, wo in oder mit demGeist ein Mann, der seine Sündig-
keit fühlt, in der Kraft des Geistes kommt und ruft: , Vater!' Das eine Wort,
im Glauben gesprochen, ist besser als tausend sogenannte Gebetsworte, geschrieben
und gelesen in formelhafter, kalter und lauwarmer Weise." Noch auf dem Sterbe-
bette mahnt er: „Wenn du betest, laß eher das Herz ohne Worte sein als die
Worte ohne Herz" 253.
Die prophetischen Beter erblicken das Gebetsideal in dem spontan
aus dem Affekt quellenden, völlig freien Gebet. Spener wird nicht
müde vor den Gebetsformeln und Gebetbüchern zu warnen. Er empfiehlt
dringend, schon die Jugend an das freie Gebet zu gewöhnen.
„Ein solches Gebet hat mehr Nutzen, als zwanzig andere, die aus Büchern
rezitiert werden." „Man darf nicht einwenden, man könne keine Worte finden;
man findet sie ja auch, wenn man mit den Eltern oder anderen Deuten redet und
auf Wohlgeredenheit kommt es nicht an". 26*
In viel schärferer Weise wenden sich Bunyan und Fox gegen die Be-
nützung von Gebetsformularen, vor allem des Common Prayer Book.
..Nur der Geist kann uns lehren, wie wir beten müssen. Ohne diesen Geist
wissen wir nicht, was wir beten sollen, selbst wenn wir 1000 Common Prayer
Books hätten." „Ihr widersteht dem Geist des Gebets durch die Form,* die eines
Mensehen Erfindung ist." „Es ist wirklich eine Gaukelei des Teufels, daß mensch-
liche Überlieferungen höher geschätzt werden sollten als der Geist des Gebets."
..Khi tiefes Gefühl von der Sünde und vom Zorn Gottes mit einer Ermutigung
von Gott, zu ihm zu kommen, ist ein besseres Common Prayer Book als das,
welches aus dem päpstlichen Meßbuch herausgenommen ist." (Bunyan) 25S. ..So du
willst, daß ich nach etwas Hergesagtem bete, heißt das nicht die Lehre der Apostel
mißachten und ihr Beten im (ieist. der die Worte eingibt ?" (Fox) 26e. Milton
zeichnet im .Ikonokktstes in prächtigen Worten das puritanische Gebetsideal der
englischen [ndependenten. ..So viel ist gewiß, diejenigen, die sich keiner ge-
bundenen Gebetsformel bedienen, nehmen die Worte aus ihrer andächtigen
Hingebung, wählend die anderen ihre religiöse Stimmung nach einer gewissen
Dosis vorbereitete! Redensarten richten müssen. Die zwei freiesten Dinge aber,
unser Gebet und den göttlichen Geist, der uns dazu treibt, gewaltsam gefangen
406 F IV. Das Gebet in der prophetischen Frömmigkeit
zu nehmen UDd einzuschließen in einen Pferch von Worten, ist eine Tyrannei mit
längeren Händen als die der Giganten, die dem Himmel Knechtschaft drohten" as\
Die prophetischen Geister fordern immer wieder zum zuversich t -
liehen Beten auf, das ohne allen Zweifel der Erhörung gewiß ist.
Mit energischen Imperativen mahnt Jesus seine Jünger zur Gebets-
zuversicht.
„Bittet und ihr werdet erlangen, suchet und ihr werdet finden, pochet an und
es wird euch aufgetan" (Mt 7, 7). Jakobus fordert, ,.daß man bitten solle, ohne
allen Zweifel" (1, 5). Luther mahnt unzählige Male in seinen Schriften zum
gläubigen Beten. „Das rechte Gebet muß aus solchem Glauben und Vertrauen
fließen, sonst ist es kein Gebet, es seien gleich die Worte so gut sie immer wollen."
„Nicht das Gebet ist gut und recht, das viel ist, andächtig, süß, lang, um zeitlich
oder ewig Gut, sondern das fest bauet und trauet; es wird erhöret um der wahr-
haftigen Gelübde und Versprechung Gottes willen." ..Wer im Herzen zweifelt
und doch betet, der versucht Gott ; denn er zweifelt an Gottes Willen und Gnade,
darum ist sein Gebet nichts und tappet nach Gott wie ein Blinder nach der Wand."
,,Wer zweifelnd betet, kann nichts empfangen, er gleicht dem schwankenden
Gefäß, in das man nichts einschütten kann ohne vorbeizugießen." „Beten und
nicht glauben heißt unseres Herrn Gottes spotten"258.
Der Widerspruch der Reformatoren richtet sich auch gegen das ge-
setzliche und „verdienstliche" Beten, gegen die Auf-
fassung des Gebets als eines Bußwerkes oder „guten Werkes", einer in
sich selbst wertvollen Leistung des Menschen an Gott, die diesen zu
einer Gegenleistung verpflichtet (s. u. Kap. J). Sie erblicken hierin
eine sündhafte Profanation des heiligsten Mysteriums der Frömmigkeit;
das , Ausschütten des Herzens', die traute Zwiesprache des Herzens
mit dem Vater wird degradiert zu einem äußeren Kultakt, einer mechani-
schen Leistung, zu „einem Werk oder einer Arbeit, dem Leibe auferleget".
Luther sagt von diesen Betern: „Ihr Beten ist nicht ein Seufzen oder Be-
gierde des Herzens, sondern eine lauter gezwungene Arbeit des Munds oder der
Zungen; denn die denken nimmermehr darinnen Gott eine Not vorzutragen,
sondern denken nicht anderes denn sie müssen's tun und Gott müsse solch Mühe
und Arbeit ansehen." Sie denken „nicht weiter denn ein gutes Werk zu tun,
<!amit sie Gott bezahlen, als die nicht von ihm nehmen, sondern geben wollten."
„Man macht aus dem Gebet ein lauter Werk, welches man nach der Größe und
Länge achtet." „Aber die Gerechtigkeit des Gesetzes macht niemand vor Gott
gerecht; wenn das Beten und Lesen ein bloßes Werk ist, so ist's nichts." „Es
wäre besser, du betest ein Vaterunser mit herzlicher Begierd und Meinung der
Wort, daraus Besserung deines Lebens erwuchs, denn daß du aller Gebet Ablaß
erwürbst" 259. Zwingli bietet eine scharfsinnige Kritik dieser Gebetsweise:
..Wer hat je Betteln für einen Wert geschätzt? Daran man erlernen muß, daß
unser Gebet gar nicht soll gerechnet werden als ein Wert. Denn so ich stets zu
einem laufe: hilf mir da. leihe mir dort hundert Gulden! kann ich je dasselbe
nicht für einen Wert schätzen, darum man mir etwas schuldig sei; denn ich tue
nichts denn geilen und betteln; als aber leider etliche reden: Ich habe heute Gott
in seine Leiden hundert Paternoster gebetet; Gott sei es nicht verwiesen! meinen.
Gott solle ihnen um ein solch Werk viel gelten ; denn sie haben ihn dadurch geehret,
sie haben ihm etwas gegeben; darum sie Recht haben zu heischen oder abrechnen
für ihre Sünde, wie teuer sie wollen, damit ihr Gebet eine Ware sei oder ein Wert,
die man ihnen wieder vergelten müßte, welches alles nichts denn ein Falsch ist
und Gleißnerei" *60. Mit beißendem Spott eifert Seb. Frank gegen jene,
..die nach der Schnur viele und tausend Gebete tun, nachmals ihm aufopfern
und vorschütten wie einem Rosse Hafer und aus dem Bettel einen Gottesdienst'
machen. Wenn sie immerzu an Gott liegen, geilen und betteln, so wollen sie
Gott eine große Ehr getan haben und machen einen Gottesdienst daraus, welche«
die rechten Gotteslästerer sind, die Gott wie Judas mit dem Kuß verraten" "l.
7. Die Gebetsnorm 407
Die positive Gebetsanleitung der Mystiker besteht in der sorgfältigen
psychologischen Analyse der Gebetserlebnisse auf den verschiedenen
Etappen. Sie enthält auch eine oft raffinierte psychotechnische Methode,
durch deren Anwendung die sichere Basis für die mystischen Gebets-
eilebnisse geschaffen werden soll. Die prophetische Gebetsanleitung gibt
keine Methode und keine Analyse, sondern besteht in einem schlichten
„Also sollt ihr beten" (Mt 6 9). Wenn die prophetischen Persönlich-
keiten eine nähere konkrete Anweisung zum Beten geben wollen, so
nennen sie in Gebetsform jene Güter, um die der Mensch bitten soll.
Wie die jüdischen Rabbinea, so gab auch Jesus seinen Jüngern eine
solche Gebetsan Weisung. Obgleich sie zum kostbarsten Bestand der
christlichen Liturgie wurde, so ist sie doch kein bindendes Gebetsformular,
sondern eine pädagogische Einführung in das christliche Gebetsleben.
Die Vaterunserbitten wurden für die christlichen Frommen und Theo-
logen, soweit sie nicht ausschließlich von mystischen Ideen bestimmt
sind, zum Kriterium des echten Gebets. Unzählige Male ist in der Ge-
schichte der christlichen Religion das Vaterunser kommentiert und
im Anschluß daran ein christliches Gebetsideal gezeichnet worden.
Augustinus sagt in seiner Gebetsanleitung für die Witwe Proba: „Wenn
wir recht und in gebührender Weise beten, so werden wir um nichts anderes
bitten als was in diesem Gebet des Herrn enthalten ist. Es ist uns wohl frei-
gestellt, mit anderen, abweichenden Worten um dasselbe zu bitten, was im Gebet
des Herrn enthalten ist ; aber es ist uns nicht freigestellt, um andere Dinge zu
bitten"262. Luther sagt: „Das Vaterunser ist das höchste, edelste und beste
Gebet; alle anderen Gebete sollen verdächtig sein, die nicht dieses Gebets Inhalt
und Meinung zuvor haben oder begreifen." Ein Christ hat überflüssig gebetet,
wenn er das Vaterunser recht betete." „Denn ich noch heutigen Tags an dem
Vaterunser sauge wie ein Kind, trinke und esse wie ein alt Mensch, kann sein
nicht satt werden, und ist mir auch über den Psalter, den ich doch sehr lieb habe,
das allerbeste Gebet" 263. Calvin schreibt: „Habemus quidquid a Deo petere
debemus ac omnino etiam possumus, descriptum hac formula, et velut orandi
regula ab optimo magistro tradita . . . Atque adeo numeris omnibus absoluta
est haec oratio, ut quidquid Uli extraneum alienumque additur, quod ad eam
referri non possit, impium sit et indignum. qviod a Deo concedatur. Hac enim
summa praescripsit, quid se dignum, quid necessarium nobis sit, quid denique
concedere ipse velit. Quamobrem qui ultro progredi audent, et praeter haec
aliquid a Deo postulare, primum quidem sapientiae ex suo addere volunt . . . . ;
deinde sub voluntate divina non se continent, sed ea contempta longius cupiditate
evagantur. Postremo nihil umquam asst-quuntur, cum sine fide orent" *64. Richard
Rothe urteilt: „Der Schule des Gebets des Herrn (dieses eigentlichen Muster-
gebets und Grundtypus alles christlichen Betens nach Inhalt und Form) wird
keiner je entwachsen. Das Vaterunser wahrhaft beten zu können, ist die höchste
Gebetsvirtuosität überhaupt, und indem es das von dem Erlöser selbst als dem
Herzenskündiger aus der Seele des Menschen als Menschen herausgeredete Gebet
ist, betet, wer es recht betet, im buchstäblichen Sinne im Namen des Erlösers"2".
9. Vergleich des mystischen und prophetischen
Gebets.
Der Unterschied des mystischen und prophetischen Gebets offenbart
sich in jeder Hinsicht: im Motiv, in der Form, im Inhalt, in der Gottes-
vorstellung, in der Relation zu Gott, in der Gebetsnorm. Das mystische
Beten wurzelt in der Sehnsucht des Frommen nach Vereinigimg mit
dem Unendlichen — das prophetische Beten quillt aus der tiefen Not
408 F IV. Das Gebet in der prophetischen Frömmigkeit
des Herzens und aus dem Verlangen nach Heil und Gnade. Das
mystische Gebet ist kunstvoll präpariert durch die feine Psychotechnik
der Meditation — das prophetische Beter bricht spontan und gewaltsam
hervor aus den unterbewußten Tiefen der religiös erregten Seele. Das
mystische Beten ist ein stilles, schweigendes Anbeten, Schauen und
Genießen — das prophetische Beten ein leidenschaftliches Rufen und
Seufzen, ein ungestümes Klagen und Bitten. Das mystische Gebet ist
eine feierliche , Erhebung' des Geistes zum höchsten Gut ■ — das prophe-
tische Gebet ein schlichtes .Ausschütten des Herzens'. Das mystische
Beten ist ein Heraustreten aus sich selbst und ein Eingehen und Ein-
sinken in den unendlichen Gott — das prophetische Beten ist eine Aus-
sprache der das Innerste bewegenden tiefen Not. Das mystische Beten
ist ein langwieriges, stufen weises Emporklimmen zu den Höhen der
Gottesschau und Gotteseinigung — das prophetische Beten ein stür-
misches Hinan dringen an Gottes Vaterherz. Das mystische Beten
stellt eine geradlinige Bewegung, einen kontinuierlich fortschreitenden
Prozeß dar: Reinigung, Erleuchtung, Einigung — im prophetischen
Gebet vollzieht sich eine innere Umwandlung, eine radikale Umwälzung:
die bange, quälende Angst und das drängende Verlangen schlagen über
in die ruhige, heitere Zuversicht und die gelassene, frohe Ergebung.
Der Gott des mystischen Beters ist das unendliche Eine, das summum
bonum, an das er sich ganz verliert — der Gott des prophetischen Beters
ist der lebendige Herr, dem er verhaftet ist mit der letzten Faser seines
Wesens, der gütige Vater, an den er sich klammert in absoluter Zuver-
sicht und unerschütterlicher Hoffnung. Das mystische Beten ist ein
Sich verzehren im Feuer der Gottesliebe, ein Zerschmelzen in der Glut
des Unendlichen, ein Zerfließen in der Flut des Unermeßlichen: ,,mach
mich zum Nichts" — das prophetische Beten ist ein kraftvolles Ringen
mit dem fordernden und gebietenden Gotte: „ich lasse dich nicht,
du segnest mich denn". Das mystische Beten ist ein Vergehen vor
Sehnsucht nach dem göttlichen Geliebten: „kehre zurück", und dann
wieder ein wonniges Ruhen und trunkenes Schwelgen in der zarten
Umarmung des himmlischen Bräutigams: „ich bin dein und du bist
mein" — das prophetische Beten ist ein ehrfürchtiges Niedersinken vor
der Majestät des ewigen Königs und Herrn: „schau gnädig auf uns",
ein scheues Flehen des Schuldbeladenen vor dem strengen Richter:
„Miserere, mei'\ „Gott, sei mir armen Sünder gnädig", ein herzliches
und vertrautes Reden des Kindes zum liebevollen Vater: „Vater unser,
der du bist im Himmel". Das mystische Beten ist gegenüber dem
primitiven Beten etwas absolut Neues : die völlige Loslösimg vom eigenen
Ich, das Aufgehen im summum bonum — im prophetischen Beten
erwacht das primitive Beten, zwar unendlich geläutert und veredelt,
aber doch in seiner ganzen kraftvollen Leidenschaft, in seiner urwüchsigen
Naivität, in seiner dramatischen Labendigkeit ; das prophetische Gebet
ist genau wie das primitive Gebet wesentlich Aussprache der Not, Bitte
um Heil und Seligkeit, Glaube an den erhörenden, helfenden Gott.
Aber trotz aller dieser Unterschiede zeigen beide Typen ein letztes
Gemeinsames: Alles mystische Boten ist ein Aufsteigen zum höchsten
Vergleich des mystischen und prophetischen Gebets 409
Gut ; alles prophetische Beten gipfelt in der Bitte um das Kommen des
Gottesreiches, d. h. um die Realisierung alles Wertvollen. Hierin
liegt der gewaltige Unterschied des prophetischen Gebets vom primi-
tiven, daß es genau wie das mystische nicht auf vergängliche Augen-
blickswerte, sondern auf einen letzten und höchsten Wert gerichtet ist.
Aber in diesem Gemeinsamen enthüllt sich zugleich der innere Unter-
schied. Das mystische Gebet richtet sich auf einen Endgültigkeitswert,
eine statische Größe: summum bonum — das Ziel des prophetischen
Betens ist ein Leben digkeitswert, eine dynamische Größe: ^ ßaoi-
Xeia %ov &eov (,die Königsherrschaft Gottes'). Der letzte Wert,
den der Mystiker sucht, steht jenseits aller Wirklichkeit, jenseits aller
Mannigfaltigkeit: rö ev, fiövov (,das Einsame') — der letzte Wert,
dem die prophetische Frömmigkeit nachtrachtet, beherrscht und durch-
dringt die ganze Wirklichkeit, offenbart sich in der Mannigfaltigkeit:
ö d-EÖg rtdvia iv rcäoiv (,, Gott alles in allem") (1 Kor 15 28).
G. Das individuelle Gebet großer Männer
(Dichter und Künstler).
Das Beten der religiösen Genien ist die lebendigste und kräftigste,
tiefste und innigste Form des Betens ; es ragt als Gipfelpunkt unter den
mannigfachen Typen des Gebets empor. An seelischer Tiefe und ur-
sprünglicher Gewalt steht ihm — wenn wir von dem altchristlichen
Gemeindegebet absehen — am nächsten das Beten jener großen und
schöpferischen Männer, deren Denken und Leben wie das der religiösen
Genien einer höheren Sphäre von Werten angehört, jedoch einer anderen
als der rein religiösen: der Dichter und Künstler, Staatsmänner und
Feldherrn. Während beim religiösen Genius das geistige Leben, d. h.
das Wertleben im Religiösen gipfelt oder ausschließlich auf dieses be-
grenzt ist, nimmt im Leben des Dichters, Künstlers oder Staatsmannes
das Religiöse nicht die zentrale, beherrschende Stelle ein, sondern steht
neben dem künstlerischen Schaffen oder dem politischen Gestalten.
Darum besitzt auch das Gebet in ihrem Denken und Leben nicht jene
dominierende Stellung wie im Leben der Propheten und Heiligen; es
ist nicht wie bei diesen ein „Beten ohne Unterlaß", ein stetes Gebets-
leben. Dennoch kann es an Lebendigkeit, Frische, Spontaneität und
Originalität mit dem Beten der großen religiösen Persönlichkeiten sich
messen; es offenbart denselben kräftigen Individualismus, der das aus-
zeichnende Merkmal des Betens der religiösen Genien bildet. Wie das
Gebet für die großen Geister im Reiche der Frömmigkeit der Wurzel-
boden aller religiösen Erkenntnisse und Offenbarungen ist, so ist es
auch für die Männer der dichtenden und bildenden Künste eine Haupt-
quelle ihres produktiven Schaffens, ein Born der künstlerischen Ein-
fälle und Inspirationen. Wie im Beten der religiösen Genien, so treten
auch hier ganz deutlich zwei Typen auseinander: eine kontemplativ-
ästhetische und eine affektiv-ethische Gebetsweise. Erstere berührt
sich enge mit dem mystischen Gebetstyp. Die zweite zeigt eine ähnliche
Struktur wie die prophetische Gebetsart; wie diese gleicht sie in ihrer
Affektivität, Naivität und ihrem Realismus der Urform des Gebets.
Beide Gebetsformen schließen sich jedoch nicht aus, sondern können
in einer Persönlichkeit verbunden sein. So lassen sich beispielsweise
beide in Beethovens Gebetsdokumenten aufweisen.
I. Der kontemplativ-ästhetische Typ.
Die ästhetisch-romantische ,Mystik' ist zweifellos nicht religiöse
Mystik im eigentlichen Sinne des Wortes. Der tiefste Unterschied von
dieser liegt darin, daß sie der aller echten Mystik wesentlichen Be-
schränkung auf das Religiöse entbehrt. Gleichwohl ist die Art und
I. Der kontemplativ-ästhetische Typ 411
Weise ihres religiösen Erlebens in psychologischer Hinsicht so enge mit
der eigentlichen Mystik verwandt, daß wir das Recht haben, von einer
Variante oder Parallele der Mystik zu reden. Ansätze zu dieser Mystik
finden sich bereits in der individuellen Hymnenpoesie der antiken
Völker (s. o. S. 182 ff.), und in manchen israelitischen Psalmen (s. o.
S. 391 f.). Einschläge dieser Mystik zeigt die Frömmigkeit der per-
sischen Süfis und der jüdischen Chassidim, des hl. Franz von Assisi
und Seuses. Ihre eigentlichen Vertreter finden sich jedoch unter den
neuzeitlichen Dichtern und Dichterphilosophen: Rousseau, Goethe,
die Romantiker, Emerson, Ruskin, Frederic Amiel, Paul de Lagarde,
Malwida von Meysenbug gehören hierher. Diese ästhetische Frömmig-
keit ist die Religion vieler modernen Bildungsmenschen, welche die
rationalistische Verschiebung der Religion in die Moralität ablehnen. Die
Hochschätzung, deren sich die mittelalterlichen Mystiker in der Gegen-
wart wie im Zeitalter der Romantik erfreuen, beruht auf dem richtigen
Bewußtsein von der Verwandtschaft der modernen Frömmigkeit mit
der Mystik.
Die künstlerisch-ästhetische Mystik entbehrt im Gegensatz zur rein-
religiösen Mystik der negativ-pessimistischen Weltbeurteilung : sie offen-
bart ein durchaus optimistisches Lebensgrundgefühl. Die Parole der
Chassidim lautet: „Es herrsche nur Freude"1. Amiel definiert die
Religion als Enthusiasmus 2. Die gesunde Welt- und Lebensfreude
läßt keine Isolierung von der Welt zu, keine Mortifikation der Sinne,
keine Unterdrückung des Affektlebens, keine peinliche Selbstkonzen-
tration und Selbsthypnose. Kein Kleinheitsgefühl und Armsünder-
bewußtsein belastet die Freude am Leben. Da^ asketische Moment
fehlt ebenso wie jeder training ofsoul; das Quietistisch-Passive tritt zurück ;
die modernen Mystiker sind schaffende Persönlichkeiten, durchdrungen
vom Glauben an Werte und ideale Aufgaben. Die ästhetische Mystik
ist abgeklärt, harmonisch, frei von allem Ekstatisch-Visionären, von
aller affektiven Verworrenheit. Sie glaubt an das Recht und den Wert
der menschlichen Persönlichkeit, die von der radikalen Mystik verneint
und aufgehoben wird.
Die radikale Mystik, die sich der ganzen Sinnenwelt /verschließt',
ist gegen alle ästhetischen Werte, vor allem gegen die Schönheit der
Natur unempfindlich und gleichgültig. Madame Guyon sagt von
der Mystikerin: „Ergeht sie sich in der herrlichsten Natur, so vermag
sie nichts zu unterscheiden, die Bäume blühen nicht für sie, die Blumen
duften nicht für sie" 3. Der ästhetischen Mystik hingegen ist wesent-
lich das kontemplative Genießen konkreter künstlerischer Werte; und
weil gerade die Natur eine Fülle solchor Werte in sich birgt, richtet
sich das ästhetische Erleben vor allem auf die Natur. Die volle Hingabe
an einen Schönheitswert bedingt eine intensive, einheitliche Stimmung,
ein Sicheinsfühlen mit dem kontomplierten Objokt, tieferhin ein Un-
endlichkeitsgefühl, ein Aufgehen im All. Diese ästhetischen Stim-
mungen und Wcrtorlobnisse offenbaren deutlich eine Verwandtschaft
mit echten mystischen Erfahrungen; sie besitzen eine religiöse Färbung,
das Naturgefühl gleitet in ein mystisch-ekstatisches Erleben Gottes,
412 G. Das Gebet großer Männer (Dichter und Künstler)
des Alleinen hinüber. Aber darin liegt der große Unterschied dieser
Mystik von der echten Mystik, daß das mystische Erlebnis der Einheit
mit Gott an der Weltbetrachtung sich entzündet, daß das ,numinöse'
Werterlebnis verkettet ist mit einem ästhetischen Werterlebnis, daß
das ,Heilige' identifiziert wird mit dem ,Schönen'. Der Gott dieser
Mystik steht nicht hinter der trügerischen Wirklichkeit, ohne innere
Beziehung zu ihr, sondern ist der Welt immanent; sein Wesen ist trans-
parent in allem ästhetisch Wertvollen. Der Gott dieser Frömmigkeit
ist notwendig pantheistisch, ein Gott, der sich ,offenbart' in allem
Edlen und Schönen. ,,In allem, was der Mensch sieht, sieht er das
Antlitz des Freundes" (Ferid-ed-din Attär) 4. ,, Siehst du Gott nicht?
An jeder stillen Quelle, unter jedem blühenden Baum begegnet er mir
in der Wärme semer Liebe" (Goethe) 5. In der ganzen Natur — 'in
Wald und Flur, Quelle und See, Hochgebirge und Meer, Sonnenschein
und Gewitter und Sternennacht — aber auch im Menschen — in
der Einfalt des Kindesauges und der Anmut des Mädchenantlitzes,
in der zärtlichen Umarmung der Geliebten und in dem sorgen-
vollen Blick der liebenden Mutter — , nicht zuletzt in der Kunst —
in der Welt der Farben und Töne, Rhythmen und Reime — überall
findet der enthusiastische Mystiker seinen Gott, in allem Schönen und
Edlen schaut er die Einheit und Harmonie des Alls. „Die Schöpfung
ist eine gigantische Symphonie, verherrlichend den Gott der Güte
durch den unerschöpflichen Reichtum ihrer Lobpreisungen und ihrer
Akkorde" (Amiel)5b.
Was die ästhetischen Mystiker , Gebet', ,Anbetung', ,Andacht' nennen,
zeigt eine unverkennbare Ähnlichkeit mit der kontemplativen Ver-
senkung der echten Mystiker. Die andächtige Kontemplation ist jedoch
fast stets außenkonzentriert, auf ein konkretes Naturobjekt als Wert-
träger gerichtet, im Gegensatz zu der Innenkonzentration des genuin
mystischen Gebets. Starke ästhetische Natureindrücke rufen spontan
eine Gebetsstimmung hervor.
Rousseau bekennt: ,,Ich stand alle Morgen vor Sonnenaufgang
auf und erstieg durch ein nahes Gesträuch einen angenehmen Weg, der über den
Weinbergen ging und längs der Berge bis Chambery führte. Hier betete ich im
Gehen, nicht bloß mit einem leeren Stammeln der Lippen, sondern mit einer
wahren Erhebung des Herzens zu dem Schöpfer dieser schönen Natur, deren
Reize vor meinen Augen ausgebreitet lagen. Nie habe ich gerne in meinem Zimmer
beten mögen; es ist mir, als wenn die Mauern und alle die kleinen Menschenwerke
eich zwischen Gott und mich stellten. Ich betrachte ihn gern in seinen Werken,
während mein Herz sich zu ihm erhebt"*. Malwida von Meysenbug er-
zählt: „Ich war allein am Meeresufer... Wie einst in den Alpen der
Dauphine, trieb es mich niederzuknien vor der unbegrenzten Flut, dem Sinn-
bild des Unendlichen. Ich fühlte, daß ich betete, wie ich nie zuvor gebetet hatte
und erkannte, was das eigentliche Gebet ist: Einkehr aus der Vereinzelung der
Individuation heraus in das Bewußtsein der Einheit mit allem, was ist; nieder-
knien als das Vergängliche und Aufstehen als das Unvergängliche. Erde, Himmel
und Meer verklangen wie in einer großen weltumfassenden Harmonie. Mir war
es, als umgäbe mich der Chor aller Großen, die je gelebt. Ich fühlte mich eins
mit ihnen und es schien mir, als hörte ich ihren Gruß. .Auch du gehörst mit in
die Zahl der Überwinder'" 7. Die Chassidim lieben das Gebet im Feld, inmitten
der Pracht der Natur, unter schimmerndem Himmel, zwischen Gras und Bäumen.
I. Der kontemplativ-ästhetische Typ 413
„Wie angenehm ist e3 im Felde im Einklang der Natur zu beten. Jedes Gräschen
trägt zur Kraft des Gebetes bei" 8.
Der feierlichen Stimmung anbetender Ehrfurcht, die das Dichtergemüt beim
Anblick der Herrlichkeit der Natur durchströmt, hat U h 1 a n d in „Schäfers
Sonntagslied" beredten Ausdruck verliehen.
„Das ist der Tag des Herrn! Anbetend knie' ich hier.
Ich bin allein auf weiter Flur, O süßes Graun! geheimes Wehnl
Noch eine Morgenglocke nur, Als knieten viele ungesehn
Nun Stille nah und fern. Und beteten mit mir.
Der Himmel nah und fern,
Er ist so klar und feierlich,
So ganz als wollt' er öffnen sich:
Das ist der Tag des Herrn."
Unverwandten Blicks schaut der Beter auf die Schönheit der Natur,
kontemplierend versinkt er in tiefe, lustvolle Ruhe und süßes Wach-
träumen oder er wird von Staunen und Bewunderung ergriffen, von
Entzücken und Wonne hingerissen. Er gleitet in Erhabenheits- und
Wonnegefühlen dahin, ist „überflutet von Empfindungen", „unter-
gegangen in Empfindungen". x\lle Dissonanzen fehlen; „die Arbeit
und die Tränen, die Sünde, der Schmerz, der Tod sind nicht mehr";
„es herrscht die Freude bewundern zu können; Dankbarkeit mischt
sich mit Enthusiasmus"; „man betet an im Staunen der Ekstase und
in der glühenden Demut der Liebe". „Sein ist Segnen", „Leben ist
Glück" (Amiel) 8b. Der in Begeisterung Schwelgende gibt sich dem
Gegenstand, an dem er sich entzückt, ganz hin bis zur Selbstvergessenheit,
er glaubt aus sich herauszutreten und in das Objekt der Kontemplation
einzugehen, sich in ihm aufzulösen. In dem Schwinden des klaren
Selbstbewußtseins und dem restlosen Sichverlieren an ein ästhetisch
Wertvolles erlebt er eine Erweiterung seines engen Ich ; es überkommt
ihn ein Unendlichkeitsgefühl, ein ,cosmic consciousness' , es ist ihm, als
„trüge er die Welt in seiner Brust" (Amiel) 9.
„Ich ruhe tief in der Nacht
Im Weltengrunde.
Riesengroß bin ich, Urgebirge,
Mich umbraust das Meer;
Wälder trage ich auf mir;
Flüsse kreisen auf meiner Brust,
Fels meine Stimme,
Sterne meine Augen." (Friedrich Braig.)
Die Seele ist „ausgeweitet ins Unendliche, im Geist befreit von Zeit
und Raum", „getragen vom universellen Leben", sie fühlt sich „in
Harmonie mit der Natur", „in Übereinstimmung mit der universellen
Ordnung" (Amiel) 9b, als „Glied an einem großen Leib" (Paul de
Lagarde) 10.
Diese feierliche Stimmung, dieses enthusiastische Naturgefühl kann
sich spontan in freien Gebetsworton äußern, häufiger aber bleibt die
ästhetische Kontemplation stumm, ein wortloses, entzücktos Schauen
und Genießen. „Ich schweige, ich neige mich, ich bete an" (Amiel) 12.
Die affektive Stimmung entlädt sich nicht, sondern bleibt mit „kon-
densierter Energie" 13 in sich beschlossen. „Le coour prefeiv rester
co.icentre sur bod sentiment qu'il rechauffe et protege." „L'otat divin
414 G. Das Gebet großer Männer (Dichter und Künstler)
c'est le silence, parceque toute parole et tout geste sont bornes et pas-
sagers" (Amiel) 14.
Den Inhalt des Gebets bilden kontemplative Anbetung, Lobpreis,
Hingabe, Sehnsucht, Einigung. Der Parallelismus zum eigentlichen
mystischen Beten ist überall deutlich.
Sehnsucht: ,,0 laß doch immer hier und dort mich ewig Liebe fühlen!"
,, Könnt ich doch ausgefüllt einmal von Dir, o Ew'ger werden!" „Vater, den
ich nicht kenne, Vater, der sonst meine ganze Seele füllte und nun sein Angesicht
von mir gewendet hat, rufe mich zu dir und schweige nicht länger!" (Goethe) 15.
Betrachtende Anbetung: ,,Du al liebender Du, der die Sonne und den Mond
und die Steine schuf, Erde und Himmel und mich!" (Goethe) 1S. „Allmächtiger,
im Walde bin ich selig, glücklich im Walde, jeder Baum spricht durch dich. O
Gott, welche Herrlichkeit in einer solchen Waldgegend; in den Höhen ist Ruhe
— Ruhe ihm zu dienen" (Beethoven) 17.
Hingabe: ,,In unseres Busens Reine wogt ein Streben; sich einem Höheren,
Reineren, Unbekannten aus Dankbarkeit freiwillig hinzugeben." „Aufwärts
an deinen Busen, alliebender Vater!" (Goethe) 18.
Ergebung: Das Gebet „ist nicht eine moralische Gewissenserforschung,
nicht ein Akt der Reue, ein Schrei um Hilfe; es ist nur ein Amen der Unter-
werfung . . . Ich will nichts . . . Nicht mein, sondern dein Wille geschehe"
(Amiel) 18b.
Lobpreis: „Ich bet' hinan und Lobgesang ist lauter mein Gebet" (Goethe) 1B.
Einigung (vgl. o. S. 306 f). : „Mein Ich, erfüllt von dir, ist selber Gott" (Hein-
rich Hart). „Wir schauen uns an und lächeln uns zu, denn du bist ich und ich bin
du" (Jacobowski) 19b.
Eudämonistisch-egoistische Wünsche haben im Gebet der ästhetischen Mystik
keine Stelle; das Bitten um materielle Dinge profaniert die Heiligkeit des Gebets.
Emerson sagt, er empfinde jedes Gebet als eme Gotteslästerung, das um etwas
anderes gehe als um das Allerhöchste 20. Jedoch motiviert ein inniges Sympathie-
gefühl Eürbittegebete. Malwida von Meysenbug bezeugt, daß sie sich „in
einem fortwährenden inneren Gebete befinde für alle, die sie liebe." Freilich
ist dies ihr Fürbittegebet kein echtes Gebet, sondern nur eine „intensive Stimmung
der Liebe, ein segnendes Umfassen der liebsten Menschen" ai. Ähnlich schreibt
Goethe an Boissere'e: „Nicht zuviel sage ich, wenn ich Sie versichere, daß ich
täglich und stündlich Ihrer gedenke und nicht zu fromm drücke ich mich aus,
wenn ich hinzufüge, in meiner Art von Gebet."
Der romantische Mystiker erfährt in seinen Gebetsstimmungen eine
Berührung mit der das All durch waltenden Einheit; ein ,tete ä tete avec
Vinfini\ ein ,converser avec Dieu1 nennt Amiel die enthusiastische Natur-
betrachtung 22. Paul de Lagarde nennt das Gebet „ein Atemschöpfen
in göttlicher Luft, ein Sichbewußtwerden, daß die Atmosphäre der
Menschenseele der ewige heilige Geist ist" 23. Das allem religiösen
Erleben wesentliche Gefühl von der unmittelbaren Präsenz des Gött-
lichen bildet auch in den Gebets- und Andachtsstimmungen der ästhe-
tischen Mystik den religiösen Grundton. Dennoch wird das kontem-
plative Anbeten nie zum realistischen, naiven Gebetsverkehr, der die
Vorstellung eines persönlichen Gottes zur Voraussetzung hat; denn
auch die Duanrede an die unendliche Allgottheit kann über deren durch-
aus un- bzw. überpersönlichen Charakter nicht hinwegtäuschen. Das
Unendliche trägt nicht wie der Gott des naiven Beters menschliche
Züge, die Beziehung zu ihm kann also nicht in den Formen mensch-
lich-sozialer Relationen erfolgen.
II. Der affektiv-ethische Typ 415
II. Der affektiv-ethische Typ.
Das Gebet der neuzeitlichen Dichter ist ein kontemplatives Sich-
versenken in die unendliche Schönheit des in der Natur sich offen-
barenden Gottes ; die Ähnlichkeit mit der weihevollen Schau des summum
bonum, zu der sich der betende Mystiker erhebt, springt in die Augen.
Dieser erhabenen mystisch-gefärbten Gebetsweise steht in der Frömmig-
keit der großen Dichter imd Künstler eine schlichtere, rein menschliche
Gebetsweise gegenüber, die mit der prophetischen Gebetsfrömmigkeit
wie mit dem urwüchsigen Beten des naiven Menschen verwandt ist.
Das Gebet ist hier nicht ein enthusiastisches Schauen und Genießen
der Herrlichkeiten der Natur, nicht ein Schweben und Schwelgen im
unendlichen All, sondern die schlichte Aussprache dessen, was das Herz
bewegt, der Not und Sehnsucht, des sittlichen Ringens und künst-
lerischen Strebens. Den Mittelpunkt des Betens bildet das naive Bitten
und Klagen, wie es uns in der primitiven Religion wie in der Frömmigkeit
der prophetischen Genien begegnet ist. In impulsiven, freien Worten
schütten die großen Genien ihr Herz vor ihrem Gott aus.
Ein von Beethoven aufgezeichnetes Gebet zeigt in der losen Aneinander-
reihung kurzer, wuchtiger Sätze die freie Form des spontanen, aus dem Affekt
hervorbrechenden Herzensgebetes: ,,0 Vorsehung — laß einmal einen reinen
Tag der Freude mir erscheinen — so lange schon ist der wahren Freude inniger
Widerhall mir fremd — o wann — o wann, o Gottheit, kann ich im Tempel der
Natur und der Menschen ihn wieder fühlen — nie ? nein — o es wäre zu hart" 23 •'.
Ein anderes Beispiel spontanen und freien Betens ist das Gebet des auf dem
Sterbebette liegenden Oliver C r o m w e 1 1 , das den Charakter des schlichten
und vertrauensvollen Zwiegesprächs trägt: ,,Herr, mein Gott, wenn ich gleich
ein armes und elendes Geschöpf bin, so stehe ich doch durch die Gnade in deinem
Bunde. Und ich darf, ich will zu dir kommen, für mein Volk. Du hast mich,
obgleich ich so unwürdig bin, zum schwachen Werkzeug gemacht um Gutes zu
tun und dir zu dienen; und vielleicht hast du mich überschätzt, wogegen andere
wieder meinen Tod wünschen und sich darüber freuen ; Herr, wie du auch immer
es mit mir machen willst, fahre fort, sie zu segnen. Schenke ihnen Festigkeit
im Urteil, Einmütigkeit und gegenseitige Liebe; fahre fort mit ihrer Befreiung
und mit dem Werke der Reformation und erhöhe den Namen Christi in der Welt.
Lehre die, welche zuviel auf deine Werkzeuge sehen, sich mehr auf dich verlassen.
Vergib denen, die so gerne auf dem Staub eines armen Wurmes herumtreten,
denn auch sie sind deine Kinder. Vergib dieses törichte Gebet um Jesu Christi
willen und schenke uns eine gute Nacht, wenn es dein Wille ist" a3 c.
Die großen Männer haben aber nicht nur in freien Gebetsworten ihr
inneres Sehnen und Verlangen ausgeschüttet, sondern bisweilen auch
zu ehrwürdigen überkommenen Gebetsformeln gegriffen. Welch innere
Kraft aus der andächtig wiederholten Gebetsformel strömt, lehrt ein
kleines Gedicht des russischen Dichters Lermontow:
,,In einer schweren Stunde
Da war mein Herz voll Gram,
Ein alt Gebet gab Kunde
Mir da gar wundersam.
Unnennbar heil'ger Segen
Ruht in der Worte Klanjj;.
Geheimnisvolles Leben
Entströmt dem Zaubersang.
416 ö. Das Gebet großer Männer (Dichter und Künstler)
Von meiner Seel', der zagen
Die Last des Zweifels weicht,
In glaubensvollem Klagen
Wird mir so leicht, so leicht" M d.
Den Gegenstand des Gebets bilden bei großen Männern nicht
die kleinen, selbstischen Wünsche und Alltagslaunen, sondern die hohen
Ziele und idealen Werte, denen sie in angespanntem Suchen und Ringen
nachtrachten. Das hehre Persönlichkeitsideal, das ihnen vorschwebt,
die sittliche Größe, die innere Freiheit, die selbstüberwindende Kraft,
vermögen sie nicht durch das eigene Wollen und Arbeiten allein zu
verwirklichen ; darum wird ihnen das ethische Lebensideal zum Objekt
der Gebetsbitte. Die produktive Kraft zum Dichten und Gestalten
kann niemand sich selbst geben und verschaffen, sie ist eine Mitgift des
Genius, eine göttliche Gnadengabe. Die wundersamen Einfälle, Impulse,
Ideen, in denen Künstler und Dichter ihre genialen Werke konzipieren,
können nicht absichtlich und willentlich erzeugt werden; der Genius
empfängt sie passiv wie von einer höheren Macht; sie sind ebenso wie
die tiefen Erfahrungen des religiösen Menschen von oben eingehaucht
und eingegossen, Gnadengeschenke Gottes. Bleiben sie aus, dann ver-
sagen die Quellen künstlerischen Schaffens. Darum flehen große
Dichter und Künstler mit solcher Innigkeit und Leidenschaft um hohe
Gedanken und tiefe Gefühle, um Glaube an sich selbst, um Lust und
Kraft zum Dichten und Schaffen. Die Bitte um die Verwirklichung
des persönlichen Lebensideals ist stets enge verbunden mit der Bitte
um Gnade und Segen für das ideale Berufswirken.
,,0 Herr, in dieser letzten Stunde strecke du erbarmend die Hände nach mir
aus, nimm mich mir selbst und mach mich wohlgefällig dir." „Nichts ist so niedrig,
nichts ist so kläglich auf Erden, als ich mich fühle ohne dich. Wie hoch geht
mein Streben, wie schwach doch ist die Kraft, die um Erbarmen bitten muß.
Jene Kette reiche mir, die jede Himmelsgabe an sich bindet: den Glauben, sage
ich, zu dem hin es mich drängt und spornt, den ganz und voll zu hegen eigne
Schuld mir wehrt. Diese Gabe aller Gaben, so groß als selten scheint sie mir,
um so größer als ohne sie kein Friede und Genügen in der Welt. Der du mit
deinem Blute nicht gegeizt, was nützt uns Geberhuld, wenn zum Himmel jener
andere Schlüssel uns fehlt, der Glaube." ,,0 laß mich dich an jedem Orte schauen!
Wenn ich von sterblicher Schönheit mich entglommen fühle, so erlischt mir meine
Glut an der deinigen und ich entbrenne an ihr wie vordem an der andern. Mein
treuer Herr, dich allein rufe ich zu Hilfe gegen meine blinde, unnütze Qual; denn
du allein kannst außen und innen mir erneuern Sinn und Willen und Kraft, die
schwach ist und träge" (Michelangelo) 24. ,,Pür mich gibt's kein Glück mehr,
als in mir selbst, in meiner Kunst. O Gott gib mir Kraft mich zu besiegen, mich
darf ja nichts ans Leben fesseln." ,,0 leite meinen Geist, o hebe mich aus dieser
schweren Tiefe, durch deine Kunst entzückt, damit er furchtlos strebe aufwärts
in feurigem Schwung. Denn du, du weißt allein, du kannst allein mich begeistern"
(Beethoven) 2ä.
„O Herr, der du der Quell des Lebens bist,
Du weißt es, was in mir des Lebens ist.
Erleuchte gnädig die Gedanken mir,
Daß ich nicht hege, was da krank in mir,
Und was des Todes wert, das töte ab,
Laß mich es still versenken in ein Grab;
Doch was ein Teil von deinem Ebenbilde,
Laß mich es formen in ein rein Gebilde,
In Worte lass', in Weisen es mich fassen,
IL Der affektiy-ethisehe Typ 417
Daß ich es kann vor Menschen tönen lassen;
Auf daß die Funken, die niein Herz durehsprüh'n
In andren zünden und als Flamme glüh'n,
Daß an der Freudigkeit, die ich gefunden,
Manch Herz zu neuer Frische mag gesunden.
Du, aller Wahrheit, alles Lebens Grund,
Herr, mach' mich wahr und freudig und g e s u n d!"
(Robert Reinick. )
,,Herr, den ich tief im Herzen trage, sei du mit mir,
Du Gnadenhort in Glück und Plage, sei du mit mir!
Im Brand des Sommers, der dem Manne die Wange bräunt.
Wie in der Tugend Rosenhage sei du mit mir ;
Behüte mich am Born der Freude vor Übermut,
Und wenn ich an mir selbst verzage, sei du mit mir;
Gib deinen Geist zu meinem Liede, daß rein es sei,
Und daß kein Wort mich einst verklage, sei du mit mir;
Dein Segen ist wie Tau der Reben; nichts kann ich selbst.
Doch daß ich kühn das Höchste wage, sei du mit mir;
0 du mein Trost, du meine Stärke, mein Sonnenlicht,
Bis an das Ende meiner Tage sei du mit mir!" (Emanuel Geibel.)
Neben dem ethisch-künstlerischen Interesse kommt im Gebet mancher Männer
der Kunst ein rein religiöses Sehnen und Verlangen zum Ausdruck, wie es die
großen Genien der Frömmigkeit beseelt. Ein urwüchsiges Dokument naiven
Betens ist folgendes Gebet, das Dürer in sein Tagebuch schrieb, als er auf
seiner niederländischen Reise von Luthers Gefangennahme hörte. Aus diesem
Gebet redet dieselbe treuherzige Einfalt und dasselbe warme Gottvertrauen, das
in den Gebeten des deutschen Reformators Ausdruck findet. ,,Ach Gott vom
Himmel, erbarme dich unser! O Herr Jesu Christ, bitt für dein Volk, erlös uns
zur rechten Zeit, behalt uns den rechten, wahren christlichen Glauben, versammle
deine weiten, zertrennten Schafe durch deine Stimme, in der Schrift dein göttlich
Wort genannt; hilf uns, daß wir diese deine Stimme kennen und keinem anderen
Schwigeln (= Lockung) des menschlichen Wahnes nachfolgen, auf daß wir,
Herr Jesu Christe, nicht von dir weichen. Ruf die Schafe deiner Weide, derer
no.h ein Teil in der römischen Kirche erfunden wird, mitsamt den Indianern,
Moskowitern, Reussen, Griechen wieder zusammen, die durch Beschwörung und
Geiz der Päpste, durch heiligen, falschen Schein zertrennt sind worden ....
O höchster Gott, himmlischer Vater, gieß in unser Herz durch deinen Sohn Jesum
Christum ein solches Licht, daß wir erkennen, welche Gebote wir zu halten ge-
bunden sind, auf daß wir die anderen Beschwernisse mit gutem Gewissen fahren
lassen und dir, ewiger, himmlischer Vater, mit freudigem, fröhlichem Heizen
dienen mögen; und so wie diesem Mann, der da klarer geschrieben hat denn je
einer in vierzehnhundert Jahren gelebt, dem du einen solchen evangelischen
Geist gegeber hast, bitten wir dich, o himmlischer Vater, daß du deinen heiligen
Geist wiederum gebest einem, der da deine heilige christliche Kirche allenthalben
wieder versammle, auf daß wir einig und christlich wieder leben, daß aus unseren
guten Werken alle Ungläubige als Türken, Heiden, Calacuten zu uns selbst be-
gehren und den christlichen Glauben annehmen. Aber Herr, du willst, ehe du
richtest, wie dein Sohn Jesus Christus von den Priestern sterben mußte und vom
Tode erstehen und darnach gen Himmel fahren, daß es auch also gleichförmig
ergehe deinem Nachfolger Martino Luther, den der Papst mit seinem Geld ver-
räterisch wider Gott um sein Leben bringt und den du erquicken wirst. Und wie
du darnach, mein Herr, verhängtest, daß .Jerusalem zerstört ward, also wirst
du auch diese eigenmächtig angenommene Gewalt des römischen Stuhles zer-
stören. Ach Herr, gib uns darnach das neugezierte Jerusalem, das vom Himmel
herabsteigt, davon Apokalypsis schreibt" a6.
Alles naive Beten ist ein ungehemmtes .Ausschütten der Seele'; der
Fromme spricht Gott restlos all seine Not und Angst aus, mag es nun
geistige oder leibliche Not sein. Eine Begrenzung der Bittgebets auf
Das Gebet 27
418 Gr. Das Gebet großer Männer (Dichter und Künstler)
die Sphäre der ethischen und religiösen Werte verträgt sich nicht mit
der Offenherzigkeit und Zuversicht einer kindlichen Frömmigkeit.
Als Benvenuto C e 1 1 i n i wochenlang im finsteren Verlies der Engelsburg zu
Rom schmachtete, wohin kein belebender Sonnenstrahl drang, flehte er beständig
zu Gott, er möchte ihn doch dahin führen, wo er die Sonne sehen könnte. ,, Darauf
waren stets meine großen Gebete gerichtet, in welchen ich Christus inbrünstig
anrief und immer sagte: ,0 wahrhaftiger Sohn Gottes, ich bitte dich bei deiner
Geburt, bei deinem Tod am Kreuze, bei deiner herrlichen Auferstehung, daß du
mich wert achtest, die Sonne wiederzusehen, wo nicht wirklich, so wenigstens
im Traum. Aber willst du mich würdig halten, daß ich sie mit meinen sterblichen
Augen wiedersehe, so verspreche ich, dich an deinem heiligen Grabe zu besuchen"87.
Beethovens äußerem Lebensschicksal blieb die Tragik nicht erspart. In
Stunden schmerzlicher Enttäuschung und tiefer Niedergeschlagenheit schüttet
er den Jammer seines Herzens in leidenschaftlichen Klagerufen vor Gott aus und
ruft ihn um Hilfe und Erbarmen an. ,,0 Gott, Gott, sieh auf den unglücklichen
Beethoven herab, laß es nicht länger so dauern." „Gott, helfe, du siehst mich
von der ganzen Menschheit verlassen, denn Unrechtes will ich nichts begehen.
Erhöre mein Flehen." „Gott, Gott, mein Hort, mein Fels, o mein alles. Du
siehst mein Inneres .... O höre, stets Unaussprechlicher, höre mich — deinen
Unglücklichen, Unglücklichsten aller Sterblichen" *8.
Mit der Klage und Bitte hebt das Gebet eines jeden gesunden Menschen
an, der sich in seiner Bedrängnis und Bedürftigkeit an den mächtigen
Gott wendet. Aber die Aussprache dessen, was zentnerschwer das Herz
niederdrückt, bewirkt eine wunderbare innere Entlastung und Erhebung.
Der ungestüme Affekt der Angst, Sorge, Niedergeschlagenheit, Trauer
löst sich auf in der sanften Stimmung der Zuversicht, des Getrostseins,
der Gelassenheit. So klmgt die dringende Bitte in Worten festen Ver-
trauens und männlicher Resignation aus.
Hebbel eröffnet sein Tagebuch des Jahres 1842 mit dem Gebet: ,,Gott,
du weißt, ich bitte dich nicht um Tand, nicht um Ehre und Ruhm, nicht um
Überfluß, nur um Fortdauer der inneren und äußeren Existenz, nur um das,
was zu meiner Teuersten Erhaltung notwendig ist und um deinen Segen für mein
geistiges Leben. Darum will ich glauben, daß du mich erhören
wirs t" *9. Als Benvenuto C e 1 1 i n i im Kerker von den Schergen mißhandelt
und gepeinigt wurde, rief er in der Bitterkeit seines Herzens zu Christus: „Gerechter
Gott, der du auf dem hohen Holz alle unsere Schulden bezahlt hast, warum soll
meine Unschuld für Schulden büßen, die ich nicht kenne? Doch dein Wille
geschehe"30. In Beethovens Tagebuch stoßen wir auf folgendes Gebet:
„Gelassen will ich mich allen Veränderungen unterwerfen und nur auf deine
unwandelbare Güte, o Gott, mein ganzes Vertrauen setzen" 31. Der große Kom-
ponist richtet sich in diesem Ergebungsgebet aus seiner tiefen Niedergeschlagenheit
empor. Eine wunderbar freie und starke Seelenstimmung redet aus einem
Sonett des Lope de Vega, das er nach dem Tode seines einzigen Kindes
dichtete. Es ist zweifellos der Ausklang der Gebete, in denen der schmerzgebeugte
Vater seinen Jammer Gott enthüllte, die reife Frucht seiner Gebetserfahrungen.
„Diese süße Frucht meines Daseins biete ich dir. o ewiger Vater, unter deiner
segnenden Hand demütig vor deinem Altare an, denn wenn von allen Opfern ein
reines und demütiges Herz das beste ist, so darf ich dir wohl dies mein Herz,
mein liebes Kind darbringen. Ich liebte dich, o Herr, seit du mein Auge dem
Lichte deiner Erkenntnis öffnetest. Da kam mein Kind zur Welt und war wie
eine Wolke, die mich hinderte, nach deiner himmlischen Sonne zu schauen; und
so trieb jetzt der Hauch deiner göttlichen Hilfe mein Lebensschiff durch das
Meer meiner Tränen in den Hafen des ewigen Heils. Und es war gut so, daß mir
entrissen ward, was mich hinderte, dich ganz zu lieben, und daß ich dir dies zarte
Lamm zum Opfer bringen mußte" 32. Der Stimmung froher, vollkommener
Ergebung in Gottes väterlichen Willen hat der große Dichter der deutschen
11. Der al'fektiv-ethische Typ 419
Freiheitskämpfe, Theodor Körner, in seinem berühmten „Gebet während
der Schlacht" unvergänglichen Ausdruck verliehen.
. . . „Vater, du segne mich!
In deine Hand befehl' ich mein Leben,
Du kannst es nehmen, du hast es gegeben;
Zum Leben, zum Sterben segne mich!
Vater, ich preise dich! . . .
Gott, dir ergeb' ich mich!
Wenn mich die Donner des Todes begrüßen,
Wenn meine Adern geöffnet fließen:
Dir, mein Gott, dir ergeb' ich mich!
Vater, ich rufe dich!"
Kindliche Zuversicht und Innigkeit redet aus dem schlichten Ergebungsgebet
Eduard Mörikes:
,,Herr, schicke, was du willt,
Ein Liebes oder Leides!
Ich bin vergnügt, daß beides
Aus deinen Händen quillt" 3i b.
All diese Gebete, welche Dichter und Künstler in schlichter Prosa
oder in kunstvoller Poesie niederschrieben, sind nicht schleppende,
in Gebetsform gekleidete Meditationen oder Selbstbetrachtungen,
sondern klang- und kraftvolle Herzensgebete. Weil diese großen Männer
bei aller genialen Begabung doch schlichte, einfältige Kindesnaturen
waren, weil bei ihnen das frisch quellende Leben nicht getrübt war durch
vernünftige Reflexion und nicht angefressen durch philosophische
Kritik, darum konnten sie mit der Innigkeit und Leidenschaft des
Herzens beten, konnten zu Gott, ihrem Herrn, rufen und flehen, wie
es die großen Frommen taten. Ihr Beten ist ein Reden, ein Austausch
mit dem persönlichen Gott, getragen von dem Glauben an die Gebets-
erhörung, an die Möglichkeit einer Einwirkung des Menschen auf Gott.
Das Gebet ist nicht ein Mittel der subjektiven psychologischen Selbst -
beeinflussung, es ist eine objektive Kraft, die bis in den Himmel dringt
und Gottes Herz erobert. Ja, es ist noch mehr, es ist selbst schon eine
Offenbarung Gottes im Menschen. Der Gedanke des gotteingegebene] •
Gnadengebets (s. o. S. 224 ff.), den die großen religiösen Persönlich-
keiten auszusprechen nicht müde werden, kehrt auch in den Bekennt
nissen moderner Dichter wieder. Hebbel sagt : „Wenn der Mensch betet .
atmet der Gott in ihm auf" 33. Der tief religiös empfindende Lyrike r
Gustav Schüler hat, ohne es wohl zu wissen und zu ahnen, in seinem
Gedicht ,Der Gottsucher' diese wundersame religiöse Paradoxie in
ganz ähnlicher Weise ausgesprochen, wie Jahrhunderte vor ihm der
persische Fromme Jaläl ed-din-Rümi (s. o. S. 225):
..Ich habe Gott gesucht und fand ihn nicht.
[ch schrie empor und bettelte um Licht.
Da. wie ich vreinend bin zurückgegangen,
Efeßt's leise meine Schulter: .Ich bin hier.
Ich habt- dich gesucht und bin bei dir'.
lud Gotl ist mit mir heimgegangen"*4.
So stoßen wir in der Frömmigkeit großer Männer immer wieder auf
Parallelen zum Gebetsleben der religiösen Genien : die Spontaneität
und Affektivität des Betons, die ungehemmte Aussprache aller drängen-
den Erlebnisse, die zentrale Stellung der Bitte im Gebet, die Bitte um
420 Gr. Das Gebet großer Männer (Dichter und Künstler)
große, ideale Werte, der Übergang des Gebetswunsches in die Zuver-
sicht und Ergebung, der Glaube an Gottes Persönlichkeit und an die
Gebetserhörung, der Gedanke des , Gnadengebets' — all die charak-
teristischen Eigentümlichkeiten des prophetischen Gebetstyps kehren
hier wieder. Dennoch bleibt eine gewaltige Distanz zwischen dem
Beten großer Künstler und Dichter und dem der prophetischen Persön-
lichkeiten. Dort steht im Zentrum des Botens das künstlerische Per-
sönlichkeits- und Lobensideal, das künstlerische Schaffen und Gestalten,
hier die Fülle der religiös-ethischen Werte, Gott und sein Reich, das
ewige Heil der Einzelseole und der ganzen Menschheit; dort sehen
wir ein Ringen und Arbeiten nach der Verwirklichung des menschlich
Großen, Edlen und Schönen, hier ein Verzehrtwerden von der gott-
gestellten, religiös-sittlichen Lebensaufgabe. So unterscheidet sich
das Gebet großer Männer bei aller Tiefe, Innigkeit und Leidenschaft
von dem Gebet der religiösen Genien wie die Kunst von der Frömmig-
keit, wie die Kultur vom Gottesreich, wie das Profane vom Heiligen.
H. Das gottesdienstliche Gemeindegebet1.
1. Zusammenhang mit dem individuellen Gebets-
leben der prophetischen Persönlichkeiten.
Die Mystik ist ihrem Wesen nach gemeinschaftslos. „Gott und die
Seele", ,,Gott in der Seele" — in diesen Worten ist alle mystischeFrömmig-
keit beschlossen. Im mystischen Gebet erhebt sich die von der Welt und
der Gesellschaft losgelöste Einzelseele zu ihrem Gott, um mit ihm
völlig eins zu werden. Das Beten des Mystikers ist nach dem wunder-
vollen Schlußwort von Plotins Enneaden (VI 9, 11) ,,die Flucht des
Einsamen zum Einsamen" ((fvyi] fiövov TiQÖg ftövov). Ein starkes
mid lebendiges Gemeinschaftsgefühl, wie es die Glieder einer reli-
giösen Genossenschaft, eines Stammes oder Volkes, einer Sekte oder
Kirche beherrscht, ist mit der stillen Beschaulichkeit, der innigen Ver-
sunkenheit, der ekstatischen Seligkeit des Mystikers unvereinbar.
In der Mystik hat darum das Gemeindegebet, der elementare Ausdruck
des religiösen Kollektivbewußtseins, keinen Raum. Weder der Neu-
platonismus noch der Sufismus, weder die vedäntische Frömmigkeit
noch der Buddhismus waren imstande, ein gottesdienstliches Gemeinde-
gebet zu schaffen. Das gottesdienstliche Gemeindegebet ist vielmehr
eine Schöpfung des prophetischen Frömmigkeitsgeistes. Zwar lebt
jener grandiose Individualismus, der das Beten der Mystiker auszeichnet,
ebenso im Beten der prophetischen Genien. Gibt es individuellere
Gebete als die eines Jeremia oder Jesus ? Gibt es ein innigeres und
persönlicheres Gebetsverhältnis des Menschen zu Gott als das Gebets-
verhältnis des unglücklichen Propheten zu seinem Jahwe, als das des
Gottessohnes zu seinem Vater, als das des Völkerapostels zu seinem
erhöhten Herrn Jesus Christus ? Und doch waren es gerade diese
Männer, die den Anstoß zur Entstehung des gottesdienstlichen Ge-
meindegebets gaben.
Die prophetische Frömmigkeit ist im Gegensatz zur mystischen streng
sozial (s. o. S. 272 ff.); nicht um das Heil eines Einzelnen handelt es
sich, sondern um das Heil des Volkes, der Kirche, der Menschheit; nicht
seliges Einswerden der Einzelseele mit der unendlichen Gottheit, sondern
die Verwirklichung der universellen Gottesherrschaft ist das große Ziel
der religiösen Seimsucht. Dieser soziale Charakter der prophetischen
Religion äußert sich unverkennbar im Gebetsleben. Mit der Bitte um
das eigene Heil paart sich die Fürbitte für das Heil des Bruders; die
Bitte in eigener Not und die Fürbitte für den Nächsten vereinen sich im
Flehen um das Kommen des Gottesreiches, das den zentralen Gegenstand
des Gebets in der prophetischen Frömmigkeit bildet. Mit dem Fürbitte-
gebet verbindet sich bei den prophetischen Geistern der Kampf für das
422 H. Das gottesdienstliche Getneindegebet
Gebetsideal : sie wollen und müssen auch die anderen Menschen auf
die Höhe ihres eigenen Gebetslebens emporreißen ; auch die Kleinen und
Schwachen sollen dem äußerlichen, unheiligen und selbstsüchtigen Beten
entsagen und lernen, den Vater im Geist und in der Wahrheit anzurufen.
So offenbart ebenso das lebendige Fürbittegebet für die Brüder wie die
unermüdliche Erziehungsarbeit Zum wahren Beten den sozialen Zug, der
dem prophetischen Gebetsgeist im Unterschied vom mystischen eigen ist.
Dieser soziale Gebetsgeist, der um das fremde Heil bittet wie für das
eigene, der alle Menschen teilnehmen lassen will an den eigenen Gebets-
erfahrungen, kann beim bloßen Fürbittegebet und bei der bloßen
Gebetspädagogik nicht stehen bleiben, er drängt vielmehr von selbst
zum gemeinsamen Gebet. Die gemeinsame Heilsse lrn sucht ver-
langt Ausdruck in gemeinsamer Bitte, der gemeinsame Heilsbesitz
Ausdruck in gemeinsamem Lobpreis und Dank. Wo das Bewußtsein
lebendig ist, daß ,,die vielen ein Leib sind" (1 Kor 10 17), muß sich das
individuelle Beten zum gemeinsamen Gebet erweitern, ohne jedoch in
ihm aufzugehen oder durch dieses Nachaußentreten seine innere Kraft
zu verlieren. So ist das gottesdienstliche Gemeindegebet innerlich
im prophetischen Frömmigkeitsgeiste verwurzelt, ein unmittelbarer
Ausfluß des individuellen prophetischen Gebetslebens.
2. Geschichtlicher Überblick.
Ehe wir das gemeinsame gottesdienstliche Gebet nach seinem Inhalt,
seiner Form und seiner Idee näher untersuchen, ist es nötig, die ge-
schichtlichen Zusammenhänge zu überblicken. Das gottesdienstliche
Gemeindegebet des J u d e n t u m s 2 ist eine der zahlreichen religiösen
Früchte, welche die harte Exilszeit in Babylon zeitigte. Der vor-
exilische Kult der Israeliten war ein nationaler Opferkult, wie wir ihn
bei allen primitiven und antiken Völkern treffen, bestehend aus Gaben -
darbrmgungen , Schlachtungen, Brandopfern, Weiheakten, Sühnehand-
lungen, Reinigungszeremonien und Taburiten. Gegen dieses kompli-
zierte Opferritual, das wie überall so auch in Israel eine Veräußerlichung
und Verflachung des ganzen religiösen Lebens herbeizuführen drohte,
erhoben die Propheten, ein Arnos (4 4; 5 21 ff.) und Hosea (6 6), Micha
(6 6 ff.), Jesaia (1 n ff.) und Jeremia (7 21 f.), Protest und forderten
eine reine, sittliche Jahwe Verehrung. Die deuteronomische Reform
entwurzelte alle polytheistischen Neigungen Israels, indem sie den
Opferdienst, der von altersher an allen Orten des Landes stattfand, auf
das jerusalemische Zentralheiligtum, Jahwes Wohnstätte, beschränkte;
aber gerade diese Zentralisierung bedeutete eine gewaltige Stärkung
des alten Opferrituals und Kultwesens, gegen das die Propheten ange-
kämpft hatten. Ein gemeinsamer reiner Gebetsgottesdienst, wie er
dem prophetischen Frömmigkeitsideal entsprach, wurde erst im Exil
möglich. Im Zweiströmeland waren die Söhne Israels ihres Heiligtums
beraubt; hier konnten sie darum ihrem Jahwe keine Schlachtopfer und
Ganzopfer darbringen; denn Jahwe weilte ferne und der fremde Boden,
auf dem sie wohnten, war unrein, tabu, den Dämonen eigen. Aber das
Bewußtsein, daß sie Jahwes Volk waren, und der Drang, dem Gott
Geschichtlicher Überblick (Judentum) 423
der Väter zu dienen und ihn anzubeten, blieb in ihren Herzen auch in
der Fremde lebendig ; ja die Sehnsucht nach der Heimat und dem heimat-
lichen Gott drängte die Söhne der Verbannung mit erhöhter Gewalt zu
gemeinsamer Betrachtung und Anbetung und zu gemeinsamem Flehen.
Sie versammelten sich in besonderen Häusern zur Lesung ihrer Ge-
«chichts- und Gesetzesbücher wie der Schriften ihrer Propheten; in
diesen heiligen Büchern erkannten sie, wie wunderbar Jahwe zu allen
Zeiten sein Volk geführt hatte ; aus den Drohungen und Strafreden der
Propheten ging ihnen die Schuld des Volkes Israel in ihrer ganzen
Schwere auf; aber aus ihren Verheißungen schöpften sie Trost und
Hoffnung. Vor allem waren es die Bekenntnisse des Jeremia, dieses
größten der alttestamentlichen Propheten, die in den Herzen der Ver-
bannten neuen Lebensmut weckten ; in seinen schmerzlichen Propheten-
schicksalen erkannten sie ihr eigenes Geschick wieder. Die ergreifenden
Gebetslieder, in denen einzelne fromme Sänger im Anschluß an die
Gebetsfrömmigkeit des Jeremia den Erfahrungen des verbannten
Gottesvolkes — seinem tiefen Leid und seiner ungebrochenen Lebens-
zuversicht — dichterischen Ausdruck liehen, ertönten in diesen Ver-
sammlungen wieder ; der Psalter wurde zum Gebetbuch der Exilsgemeinde ;
die Kraft und Leidenschaft des jeremianischen Gebetsgeistes ergoß sich
durch die Psalmen in die Gebetsfrömmigkeit der jüdische Gemeinde.
So war, fern vom Jahweheiligtum auf dem Sion, an den Gestaden des
Euphrat ein opferloser, rein geistiger Gemeindegottesdienst, bestehend
aus Schriftlesung und Gebet, entstanden; der alte Opferkult war für
diese den Geist der Propheten atmende Frömmigkeit abgetan. Die
Exilsgemeinde hatte erlebt, daß Jahwe nicht Schlachtopfer begehrt
noch an Brandopfern Wohlgefallen hat, daß vielmehr das wahre Opfer
in einem demütigen, zerknirschten Geist besteht (Ps. 51 18 f.). Nach
der Rückkehr der Verbannten in die Heimat entstand zwar der Tempel
in neuer Pracht, der alte Opferdienst wurde im Sinne des Deuteronomi-
ums erneuert, das Tempelritual wurde, wie das priesterliche Gesetzbuch
des Leviticus zeigt, ungeheuer kompliziert; aber der vergeistigte Ge-
meindegottesdienst, der Kultus des Schriftwortes und Gebetes, der
aus der Exilfrömmigkeit geboren war, konnte durch den Opferkult
nicht mehr verdrängt werden. Allenthalben im Judenlande wie in
der Diaspora erhoben sich Gebets- und Versammlungshäuser (ovvaywyai,
i nooevxTfjQia, oixoi nQoo-£vy/]g), in denen täglich, vor allem aber
am Sabbat und an den Festen die Frommen sich zur Schriftlesung und
zum gemeinsamen Gebet versammelten 3, und auch im Tempel zu
Jerusalem wurden die heiligen Schriften interpretiert und erklangen
die hehren Psalmgebete.
Auüer den Psalmen besitzen wir verschiedene indirekte Zeugnisse für die. gottes-
dienstliche Gebetsweise des nachexüischen Judentums. Das Gebet des Esra
(Neb. 0« ff.) und die Priestergebete in den Makkabäerbüchein (2 Makk 1 *« ff.;
3 Makk 2 , ff. ) sind zwar literarische Kompositionen, aber spiegeln das Gemeinde-
gebet im Tempel und in den Synagogen wieder. Die Rahmengebete des Srlima,
des individuellen jüdischen Pflichtgebets, sind gleichfalls ein Reflex des liturgischen
Gebets. Das älteste jüdische Gebetsformular ist das Achtzehngebet, das in
.-einer heutigen Gestall nach der Tempelzerstörung abgefaßt ist. aber in seinen
Grundlagen in die Zeit vor Christi Geburt zurückreicht '.
424 H. Das gottesdienstliche Gemeindegebei
Die nachexilische Religion zeigt ein Nebeneinander des alten Opfer-
kults und des neuen geistigen Schrift- und Gebetsgottesdienstes. Erst
nach der Zerstörung des Jahweheiligtums im Jahre 70, als aller Opfer-
kult und Tempeldienst aufgehört hatte, trat der synagogale Gebets-
gottesdienst das Erbe des alten Opferwesens und Altardienstes an und
wurde zum Gottesdienst Caboda) schlechthin: „Nachdem der sichtbare
Mittelpunkt für das Judentum zu existieren aufhörte, schufen sie sich
einen neuen unsichtbaren und darum unangreifbaren Mittelpunkt, um
den sie sich von neuem scharten. Dieser Mittelpunkt war das gemein-
same Gebet, der gemeinsame Gottesdienst in der heiligen Sprache der
"Väter. Die Synagoge mit ihrem rein geistigen, nur aus Gebet und Be-
lehrung bestehenden Kultus ist zwar durchaus nicht erst in jener Zeit
entstanden, sondern ein halbes Jahrtausend früher . . . Aber ihre
volle Bedeutung erlangte sie erst nach der Zerstörung des Tempels,
an dessen Stelle sie nun als wertvollerer Ersatz trat" (Perles) 4b. Nur
dieser geistige Lese- und Gebetsgottesdienst hat es überhaupt „ermög-
licht, daß das Judentum den Fall von Tempel und Altar ohne tief-
gehende Erschütterung überwinden konnte" 5.
Jesus, ein treuer Sohn der Religion seiner Väter, durchaus konservativ
in der Haltung gegenüber dem religiösen Erbe der Vergangenheit, nimmt
selbst eifrig am gemeinsamen Gottesdienste teil; wir treffen ihn am
Sabbat in der Synagoge lehrend und die heiligen Schriften erklärend.
Die Jünger folgten diesem Beispiel auch nach der Auferstehung des
Herrn und der Geistessendung, indem sie den allgemeinen jüdischen
Gottesdienst im Tempel besuchten (Ap.-G. 246; 32; 22 17). Aber seit
der Geburtsstunde der christlichen Gemeinde am Pfingstfeste vereinten
sie sich auch alltäglich zu einem besonderen christlichen Gottes-
dienst 6, zur Tischgemeinschaft und zur Danksagung; in der schlichten
Gleichnishandlung des Brotbrechens und der Herumreichung des
Segenbechers, wie sie Jesus bei seinem Abschiedsmahle vorgenommen
hatte (Mk 14 2 ff.), vergegenwärtigten sie sich seine Todeshingabe für
das Heil der ,vielen' (Mk 10 45); im Essen von dem gleichen Brote und
im Trinken aus einem und demselben Kelche traten sie in Blut;<gemein-
schaft mit dem erhöhten Herrn, der unsichtbar in ihrer Mitte weilte,
und mit den Brüdern und Schwestern der Tischrunde; die frohe Stim-
mung, in der sie mitsammen aßen und tranken (Ap.-G. 246), machte für
sie dieses gemeinsame Mahl zum Vorspiel und zur Antizipation jener
herrlichen Tischgemeinschaft, die ihrer im bald anbrechenden Gottesreich
harrte (vgl. Mk 14 25). Psalmengesängc und feierliche Dankgebete,
ähnlich dem Tischsegen, den der jüdische Hausvater über Brot und
Wein sprach, begleiteten das christliche ,HerrenmahT (1 Kor 11 20).
Die in der Didache enthaltenen Eucharistiegebete 7 geben ein an-
nähernd zutreffendes Bild von der eucharistischen Liturgie der Urge-
meinde zu jener Zeit, da die Jüngerschaft Christi noch der jüdischen
Kirchen gemeinschaft angehörte und an dem allgemeinen jüdischen
Gottesdienst im Tempel oder in der Synagoge teilnahm.
So kennt die christliche Urgemeinde einen doppelten Gemeindegottes-
Geschichtlicher Überblick (Urchristentum) 425
dienst: den allgemeinen jüdischen Sabbat- und Festgottesdienst in der
Synagoge oder im Tempel und den besonderen christlichen Eucharistie-
gottesdienst, zu dem die Christusjünger sich in ihren Häusern (Ap.-G.
2 46) zusammenfanden. Während die jerusalemische Urgemeinde die
gottesdienstliche Gememschaft mit der jüdischen Synagoge aufrecht
erhielt, standen die von Paulus gegründeten heidenchristlichen Ge-
meinden zum gottesdienstlichen Leben des Judentums von Anfang an
in keiner Beziehung. Nach dem endgültigen Bruch der palästinischen
Gemeinde mit dem synagogalen Judentum hörte auch hier die Teil-
nahme am jüdischen Gottesdienst auf. Diese Verselbständigung der
christlichen Kirche, die sich zuerst in den paulinischen Heidengemeinden
und später auch in der judenchristlichen Muttergemeinde vollzog, be-
dingte die Entstehung einer eigenen christlichen Liturgie. Die Christen
übernahmen den aus Schriftlesung und Gebet bestehenden synagogalen
Gottesdienst und verbanden ihn mit dem eucharis tischen Mahle. Aus
der Verschmelzung dieser beiden heterogenen Elemente entstand die
christliche Messe; ihre Zweiteilung in die Vormesse oder ,Katechumenen-
messe' und die eigentliche Mysterienfeier oder , Gläubigenmesse', wie
sie noch heute in den orientalischen Meßliturgien hervortritt, zeigt
deutlich genug die Spuren ihrer Entstehung. Wie die eucharistischen
Dankgebete der Didache sich an den jüdischen Tischsegen anschließen,
so berühren sich die Preis- und Bittgebete, welche im christlichen Gottes-
dienst der Schriftlesung folgen, aufs engste mit den jüdischen Synagogen-
gebeten. Das allgemeine Kirchengebet, das der römische Bischof
Klemens seinem Brief an die Korinther einflicht und das als Typus
des altchristlichen Kirchengebets gelten darf, zeigt eine unverkennbare
Ähnlichkeit mit dem synagogalen Haupt gebet, dem Schemone 'Esre 8.
In ähnlicher Weise zeigt die Grundform der Anaphora in der orientalischen
Meßliturgie entscheidende Berührungspunkte mit dem Rahmengebet
des Schma und den mannigfachen literarischen Dokumenten des alt-
jüdischen Gemeindegebetes 9. In allen Dokumenten altchristlicher
Liturgie zeigt sich, wie enge die Gebetssprache des jungen Christen-
tums von der synagogalen Gebetsterminologie abhängig ist. Gleichwohl
verrät die altchristliche gottesdienstliche Gebetssprache gegenüber der
traditionellen jüdischen Gebetsterminologie schöpferische Originalität.
Es war Paulus, der die stereotypen Doxologien der synagogalen Liturgie
umschuf, der ihnen ein christliches Gepräge aufdrückte und die Kraft
seines Christuserlebnisses einhauchte. Es gab fortan kein christliches
Gemeindegebet mehr, das nicht in einer feierlichen Doxologie, wie sie
Paulus im Munde führte, ausklang.
Das gottesdienstliche Beten der altchristlichen Kirche war noch mehr
wie das altsynagogale Gemeindegebet frei von aller konventionellen
Gebundenheit, von allem steifen Formalismus und toten Traditionalis-
mus; es war eine ebenso lebendige Größe wie das individuelle Gebets-
leben der alten Christen. Nur die allgemeinen Umrisse der gottes-
dienstlichen Feier, nur der allgemeine Inhalt und Aufbau sowie die
religiöse Terminologie der Gebete standen fest. Das alte Christentum
kennt im Gegensatz zu den antiken Tempelritualen und zu den synkrc-
426 H. Das gottesdienstliche Gemeindegebet
tistischen Mysterienkulten keine bindenden Gebetsformulare. Erst in
der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts beginnt zugleich mit der
Bildung fester Kirchenordnungen die allmähliche Stabilisierung
•des gottesdienstlichen Gemeindegebets. In den verschiedenen Kirchen
<les Ostens und Westens entstehen liturgische Gebetsformulare, deren
Gebrauch beim Gottesdienst jedoch noch nicht streng vorgeschrieben
ist. Ihre Verfasser sind Bischöfe, deren Amtsmacht immer mehr
erstarkte. Die ältesten kirchlichen Gebetsformulare, die uns erhalten
sind, sind der liturgische Papyrus von Der-Balyzeh 10, die Gebets-
sammlung des Bischofs Serapion von Thmuis n, die liturgischen Gebete
-der ägyptischen Kirchenordnung 12 und das liturgische Idealformular
im achten Buch der apostolischen Konstitutionen 13. All diese Formulare
.sind nur Zusammenstellungen von Mustergebeten, aber noch keine
statutarischen liturgischen Ordnungen ; sie sind der unmittelbare Nieder-
schlag des freien und ungebundenen Genieindegebets, das in den beiden
ersten Jahrhunderten und bis weit ins dritte Jahrhundert hinein in der
christlichen Kirche lebendig war.
Das dritte Jahrhundert brachte Gebetsmuster für den Gottesdienst.
Im vierten Jahrhundert setzte eine umfassende liturgische Reform 14 ein.
Die schlichte Mysterienfeier der alten Kirche wurde mit einem prunk-
vollen Zeremoniell umgeben, das zum Teil den dahinsinkenden antiken
Ritualen entlehnt wurde. Die ursprünglich umfangreichen Gebetstexte
verkürzte man, um die Dauer des Gottesdienstes zu beschränken — ein
Zugeständnis an den erkaltenden Gebetseifer. Die liturgischen Gebets-
formulare wurden von dogmatischem Gesichtspunkt aus überarbeitet.
Die alten Doxologien und Gebetsformeln, aus denen eine subordinatia-
nische Christologie und ein rein heilsökonomischer Trinitätsglaube redete,
waren die festen Punkte, hinter denen sich die Arianer und andere
Häretiker im Kampf gegen die kirchlichen Dogmen verschanzten.
Um ihnen diese Stützen zu entreißen, tilgte man alle dogmatisch an-
stößigen Stellen in den Gebetstexten und ersetzte sie durch theologisch
korrekte Formeln. So trat die Liturgie in den Dienst der dogmatischen
Belehrung und des antihäretischen Kampfes. Um den neuen liturgischen
Formularen in den Gemeinden Ansehen zu verschaffen, stellte man sie
unter die Autorität der Apostel, die als Gründer der Gemeinden galten,
-oder großer orthodoxer Bischöfe und Theologen des Reformzeitalters.
Die Reformliturgien tragen in pseudepigraphischer Weise den Verfassei-
Tiamen eines Jakobus, Andreas und Markus, Basilius, Chrysostomus
•und Gregor von Nazianz. Gleichwohl liegt diesen irrigen Aufschriften
der Liturgien eine geschichtliche Wahrheit zugrunde; es waren allent-
halben die rechtgläubigen Bischöfe, die mit starker Hand diese dog-
matisch-liturgische Reform durchführten.
Vom 4. Jahrhundert an besaß wohl jede größere Gemeinde eine
eigene Gottesdienstform und ein eigenes liturgisches Musterformular.
Allmählich aber verdrängten die Liturgien der großen kirchlichen Metro-
polen die ihrer kleineren Nachbarkirchen ; es entstanden so ganze Liturgie-
gebiete. Die umfassendste Ausdehnung gewann die römische Meßliturgie ;
mit der Erstarkung des römischen Primats ging Hand in Hand die
Geschichtlicher Überblick (Katholizismus) 427
Verdrängung der anderen abendländischen Liturgien, bis schließlich
durch Gregor VII. die römische Liturgie zur Liturgie des christlichen
Abendlandes schlechthin wurde.
Im Laufe des 7. Jahrhunderts gelangt der große Entwicklungsprozeß
des christlichen Gemeindegottesdienstes in der Ost- und Westkirche
zum Abschluß. Die Änderungen und Zusätze, welche die kommenden
Jahrhunderte für die abendländische Liturgie noch brachten, sind
unbedeutend. Aus den zahlreichen Liturgien der abendländischen und
morgenländischen Kirchen heben sich wenige Haupttypen heraus: die
westsyrische, ostsyrische, ägyptische, kiemasiatisch-byzantinische, gal-
lische und römische Liturgie. In den Grundzügen, im Inhalt und in der
Terminologie zeigen die Liturgien des Orients und Okzidents weit-
gehende Übereinstimmungen. Der Hauptunterschied beider Liturgien-
gruppen liegt in der Rolle, die in ihnen das Kirchenjahr spielt. Die morgen-
ländischen Meßformulare gestatten diesem, von der Schriftlesung
und kleineren Gesangsstücken abgesehen, so gut wie keinen Einfluß
und zeigen darum eine gewisse Einförmigkeit. Die abendländischen
Liturgien hingegen gewinnen durch die Anpassung bestimmter Meß-
texte an das Kirchenjahr Reichtum, Mannigfaltigkeit und Leben.
Dennoch haben im ganzen die orientalischen Liturgien die altchristliche
Gottesdienstform und Gebetsweise treuer bewahrt 15. Der Grund-
charakter freilich ist bei beiden Liturgiegruppen derselbe. Der Ge-
meindegottesdienst ist eine statutarische, der freien Willkür des Liturgen
wie der Gemeinde entzogene, sakrale Institution. Die Gottesdienst-
ordnung und das Gebetsformular ist heilig und unantastbar. In der alten
Kirche wurde überall der Gemeindegottesdienst in der lebendigen
Landes- und Volkssprache gefeiert; eben darum zeigen die alten christ-
lichen Liturgien eine Vielheit von Sprachen; es gibt griechische und
lateinische, syrische, koptische, armenische, äthiopische und slavische
Meßformulare. Aber sobald die liturgischen Gebetstexte sich zu fest-
stehenden und unabänderlichen Ritualformeln verhärtetetn, war die
lebendige Sprechsprache des Volkes zur heiligen Gottesdienst- und
Kirchensprache geworden, die unverändert beibehalten wurde, auch
wenn die lebendige Volkssprache in unaufhöilichem Fortschritt sich
wandelte oder wenn der Gottesdienst bei fremden, neubekehrten Völkern
gefeiert wurde. Bis zum heutigen Tage wird der liturgische Gottes-
dienst in der ganzen katholischen Kirche und in allen orthodoxen Kirchen
des Ostens in einer den Gläubigen un- und halbverständlichen, toten
Kirchensprache abgehalten .
Die Reformation brachte gewaltige Umwälzungen auf gottea-
dienstlichem Gebiete. Schon die vorreformatori sehen Wiclif fiten und
Husiten feierten (wenigstens teilweise) die Messe in der Landessprache,
(n allen Ländern, in denen die Reformation Fuß faßte, trat alsbald im
Gottesdienste die lebendige Volkssprache an die Stelle der toten latei-
nischen Kirchensprache. In Deutschland war es Thomas Münzer, der
in Altstedt die erste deutsche Messe einführte. Aber die gottesdienstliche
Neuerung der Reformation erschöpfte sich keineswegs in der Einführung
<ler Landessprache und in der hierdurch bedingten Wiederherstellung
428 H. Das gottesdienstliche Gemeindegebel
des wirklichen Gemeinde gottesdienstes. An die Stelle der altehr-
würdigen katholischen Meßliturgie treten neue Gottesdienstformen, die
alle die eucharistische Opfer handlung verbannen. Mit der Beseitigung
der katholischen Opferidee wurde auch die Kommunion, die geheimnis-
volle Tischgemeinschaft mit dem erhöhten Herrn, in den Hintergrund
gedrängt. Der opferlose, rein geistig-sittliche Wortgottesdienst, den
schon das synagogale Judentum pflegte, wurde von den Reformatoren
erneuert. Dabei wurde der Zusammenhang mit den Gebetstexten der
katholischen Messe teils pietätvoll bewahrt, teils konsequent zerrissen.
Am radikalsten verfuhren die Sektenstifter und die Schweizer Refor-
matoren, die die Bibel zum ausschließlichen Formal- und Material-
prinzip des Gottesdienstes erhoben und jede Erinnerung an die römische
Liturgie auslöschten. In den evangelischen Sekten und Freikirchen
überwiegt das freie Gebet des Geistlichen oder der Gemeindeglieder;
der individualistische Geist der Sekten verträgt keine Bindung des
gemeinsamen Gebets durch starre Ordnungen und Formeln. Die
Reformatoren der Schweiz schufen zwar feste Gottesdienstordnungen,
gestalteten diese aber völlig selbständig und unabhängig von der katho-
lischen Liturgie. Zwingiis Gottesdienstordnung 16 zeigt eine gewisse
Dürftigkeit; im Mittelpunkt des Gottesdienstes steht die Verkündigung
des Wortes, das Gemeindegebet bildet nur die Einleitung und den
Schluß der Predigt. Reicher ist C a 1 v i n s liturgisches Formular, das
sich an die Gottesdienstordnung des Straß burger Reformators Martin
Butzer anschließt 17; es offenbart bei aller Originalität eine tiefe religiöse
Innigkeit und eine lautere sittliche Kraft. Weit konservativer ist
Luthers „deutsche Messe und Gottesdienstordnung" (1526) 18;
sie übernimmt zahlreiche Gebete aus dem Missale Romanum; ausge-
schlossen sind alle jene Texte, in denen der Opfergedanke ausgesprochen
ist. Im Geist der Luther'schen Gottesdienstreform sind die verschiedenen
Agendenbücher der deutschen Landeskirchen des 16. Jahrhunderts ab-
gefaßt 19, ebenso die Gottesdienstordnungen der skandinavischen
Kirchen, die jedoch den Zusammenhang mit den katholischen Liturgie-
formen noch treuer bewahrten als jene. Die schwedische Landeskirche
hat bis heute das feierliche katholische Zeremoniell, ja sogar den
Namen , Messe' als Bezeichnung des feierlichen Sonntagsgottesdienstes
beibehalten (högynässa) 19b. In engem Zusammenhang mit der römi-
schen Meßliturgie steht trotz der verschiedenen calvinischen Einschläge
auch die Gottesdienstordnung der anglikanischen Kirche (the Book
of Common Prayer) 20. Alle diese evangelischen Agenden und litur-
gischen Bücher stellen genau so wie die entwickelten Liturgien der alten
Kirche feste, den Geistlichen und die Gemeinde bindende Gottesdienst-
ordnungen und statutarische Gebetsformulare dar. „Luthers frei-
lassende liturgische Vorschläge wurden zu landesherrlich vorgeschrie-
benen Agenden verarbeitet, über deren strenger Befolgung man ängstlich
wachte; ein Agendenzwang kam auf, der dem Wesen des evangelischen
Gottesdienstes zuwider ist und dem Geist Luthers, zu dessen Ehren
man ihn aufrichtete, durchaus widerspricht" (Rendtorff) 20b.
Der Pietismus21 brachte keine eigentliche Reform der herkömm-
Geschichtlicher Überblick (Reformatorisches Christentum) 429
liehen Gottesdienstordnungen der Landeskirchen. Er suchte vielmehr
in engeren Kreisen ein kräftiges religiöses Gemeinschaftsleben zu wecken.
In Speners collegia pietatis und in den Herrenhuter Brüdergemeinen
wurde das freie Gebet und subjektive Andachtslied gepflegt, das dann
aus den esoterischen Kreisen der Erweckten auch in den öffentlichen
Gottesdienst eindrang. Eine durchgreifende Änderung des Agenden-
wesens trat in der Periode des Rationalismus22 ein. Die alt-
kirchlichen und reformatorischen Gebetstexte standen in grellem Wider-
spruch zu dem rationalen und moralistischen Religionsideal der Auf-
klärung. Man ersetzte sie durch neue liturgische Schöpfungen im Sinne
des Rationalismus. An die Stelle der lapidaren, kraftvollen Kirchen-
gebete traten langatmige und gefühlsweiche Lehrtexte, in denen die
rationalistischen Dogmen gepredigt wurden. An die Stelle der feier-
lichen altchristlich-paulinischen Gebetssprache trat eine seichte, moderne
Poetensprache. „Der Salon ton drang in die Kirche ein." Selbst das
Vaterunser und Credo wagte man im rationalistischen Geiste zu para-
phrasieren.
Die rationalistische Agendenreform drohte das echte Gemeindegebet
aufzulösen und in einer erbaulichen Vernunft- und Sittenpredigt zer-
fließen zu lassen. Gegen die Verflüchtigung des evangelischen Heils-
glaubens in einer vagen, kulturseligen Vernunftreligion erhob sich bei
Beginn des 19. Jahrhunderts mit elementarer religiöser Gewalt die
evangelische Erweckungsbewegung. Im Zusammenhang mit ihr steht
die Agendenbewegung, die in allen deutschen Landeskirchen einsetzte.
Es war kein Geringerer als König Friedrich Wilhelm III. von Preußen 23,
der als erster sich um die Gottesdienstreform bemühte; „den Liturgiker
auf dem Königsthrone" hat man ihn nicht mit Unrecht genannt 23b.
1816 erschien anonym die von ihm verfaßte „Liturgie für die Hof- und
Garnisongemeinde in Potsdam". Schleiermacher übte an ihr scharfe
Kritik. Nach langwierigen Kämpfen wurde die königliche Agende
schließlich in ganz Preußen angenommen. In ähnlicher Weise wurden
im Laufe des 19. Jahrhunderts auch in den übrigen deutschen Landes-
kirchen allgemeine Agenden eingeführt. (Dabei blieb für manche Ge-
meinden der Gebrauch älterer Agenden gestattet.) Alle diese Reform-
liturgien unterscheiden sich von der rationalistischen Gottesdienstweise
durch ihren evangelisch-reformatorischen Gedanken- und Stimmungs-
gehalt wie durch ihre feierlich-ernste biblische Sprache.
Der Kampf um die Agendenreform, der zu Anfang des letzten Jahr-
hunderts entbrannte, ist bis heute nicht zur Ruhe gekommen; das litur-
gische Problem gehört zu den wichtigsten und schwierigsten inner-
kirchlichen Problemen des modernen Protestantismus. Die Einzel-
gemeinde fordert das Recht, selbständig die Ordnung des Gottesdienstes
und die Form des liturgischen Gebets zu bestimmen. Die individua-
listische Gegenwartsfrömmigkeit begnügt sich nicht mit den liturgischen
Formeln der alten Kirche oder des Reformationszeitalters, sie verlangt
nach eigenem, selbständigen Ausdruck. Man will aus dem Widerspruch
herauskommen, der zwischen den modernen religiösen Anschauungen
und dem Gedankongehalt der überkommenen liturgischen Gebets-
430 H- Das gottesdienstliche Gemeindegebet
formulare besteht. Bei aller Pietät gegenüber dem kostbaren litur-
gischen Erbe der Vergangenheit fordert man Freiheit für den Liturgen
in der Auswahl und Fassung der Gebete. Man will „nach den Gesetzen
der Gemeindepsychologie" 24 eine Idealform des Kirchengebets ge-
stalten, die dem religiösen Denken und Sehnen des Gegenwartsmenschen
angepaßt, diesen in die Tiefe christlichen Gebetsgeistes führen soll 25.
Das gottesdienstliche Gemeindegebet im Vollsinne des Wortes ist
eine Eigentümlichkeit der jüdisch-christlichen
Religion. Außerhalb der jüdischen Synagoge und der christlichen
Kirchen und Sekten lassen sich nur Spuren und Ansätze eines solchen
aufweisen. Bei kulturarmen Völkern treffen wir häufig das gemeinsame
Gebet einer sozialen Gruppe (s. oben S. 53 ff.), das in seiner äußeren
Form dem jüdisch-christlichen Gemeindegebet gleicht. Der Inhalt
zeigt jedoch denselben urwüchsigen Eudämonismus, der dem primitiven
Einzelgebet eigen ist. Das gemeinsame Gebet ist hier nicht die Äußerung
einer religiösen Gemeinde, sondern einer profanen, politischen,
der Familien-, Dorf-, Gau- oder Stammesgemeinschaft; es dient nicht
dem religiösen Heils verlangen, sondern den profanen Alltagsinteressen.
Man kann darum hier nicht von einem gottesdienstlichen Ge-
meindegebet sprechen. Die antiken Kulte kennen nur das priesterliche
Ritualgebet und den priesterlichen Kulthymnus, der eine heilige Hand-
lung begleitet. Nur in der ägyptischen Religion des neuen Reiches
treffen wir eine Spur eines Gebetsgottesdienstes. Die schwungvollen
Sonnenhymnen des Reformatorkönigs Ichenaton dienten wahrscheinlich
der von ihm gegründeten Atongemeinde als feierliches Tedeum beim
Gottesdienste 26. Die synkretistischen Mysterienkulte des
römischen Reiches kannten, soweit wir aus den spärlichen Quellen
schließen können, ein Gemeindegebet. Dieses nimmt jedoch in der
gottesdienstlichen Feier nicht jene zentrale Stellung ein, die ihm in
der jüdischen Synagoge und in den christlichen Kirchen zukommt; im
Mittelpunkte steht stets die geheimnisvolle sakrale Handlung, die Myste-
rienweihe, die der Priester und die Mysten mit geheimnisvollen, archai-
schen Formeln begleiten 27. Die sakramentale Handlung und die
heilige Formel allein sind es, welche das jenseitige Heil auf magische,
sinnlich-übersinnliche Weise vermitteln. Der Islam, der in seinen
Gebetsordnungen gänzlich vom Judentum abhängig ist, kennt ein
öffentliches Gemeindegebet; es findet nach der Vorschrift des Koran
(62, 9) an jedem Freitag Mittag in der Moschee statt 28. Es spielt
jedoch im Frömmigkeitsleben des Muslim bei weitem nicht jene Rolle
wie das Synagogengebet im Judentum. Im Grunde ist das muham-
medanische Gemeindegebet nur die gemeinsame Verrichtung des indi-
viduellen Pflichtgebets (salät). Ob man im mazdaistischen
Parsismus von einem gottesdienstlichen Gemeindegebet reden darf,
muß bezweifelt werden. Die Yasna, die beim mazdaistischen Hochamt
gesungen werden, ähneln allzusehr den einförmigen antiken Ritual-
hymnen, als daß wir sie mit dem alt jüdischen und christlichen Gemeinde-
gebet vergleichen könnten. Den zahlreichen hinduistischen
Sekten, in denen die indische Bhakti-Mystik eine kultische Ausprägung
Geschichtlicher Überblick (Außerchristliche Religionen) 431
findet, ist ein gottesdienstliches Gemeindegebet ebenso fremd wie dem
vedischen Brahmanismus 28b. Nur die moderne indisch-christliche
Mischsekte des Brdhmasamdj (Brahmagemeinde), die von dem Brahma-
nen Rammohun Roy zu Anfang des verflossenen Jahrhunderts gestiftet
wurde, hat nacli dem Vorbild der abendländischen evangelischen Kirchen
einen Gemeindegottesdienst mit Schriftlesung, Gebet und Gesang
eingeführt. Der Verfasser der heute gültigen Grottesdienstordnung ist
Keschub Chunder Sen 29.
So lassen sich außerhalb des Judentums und Christentums nur küm-
merliche Spuren und Keime eines gottesdienstlichen Gemeindegebets
aufweisen. Das Christentum (die israelitisch- jüdische Mutterreligion
inbegriffen) ist die „Religion des Gebetes" schlechthin; dieser oben
angeführte Satz (S. 235 f.) bewahrheitet sich ebenso im individuellen
Frömmigkeitsleben der großen christlichen Persönlichkeiten wie im
gottesdienstlichen Leben der christlichen Kirchen und Sekten. Das
Gebet ist im Christentum der Mittelpunkt der persönlichen Frömmigkeit^
es ist ebenso der Brennpunkt des Gemeindegottesdienstes.
3. Motiv und Zweck des gottesdienstlichen Ge-
meindegebets.
Alles Beten ist ursprünglich der unmittelbare Ausdruck quellender
Affekte, aufwühlender religiöser Erlebnisse. Auch das gottesdienstliche
Gemeindegebet ist ursprünglich nicht die absichtliche Schöpfung eines
oder mehrerer frommer Menschen, sondern der innerlich notwendige
Ausdruck der gemeinsamen religiösen Erfahrungen einer enge ver-
bundenen Gruppe. In den Zeiten gewaltiger religiöser Erregung, in
denen bestehende religiöse Gemeinschaften sich fester zusammen-
schließen oder neue sich bilden, bleibt das kraftvolle Frömmigkeits-
leben nicht auf einzelne schöpferische Genien beschränkt, sondern strömt
über auf alle Glieder der Gemeinde. Die jüdische Exilsgemeinde, die
Makkabäergemeinde, das Urchristentum und all jene christlichen
Sekten, die aus einer Erneuerung des urchristlichen Enthusiasmus
hervorgingen, offenbaren ein erstaunlich kräftiges religiöses Kollektiv-
erleben. „Ein Leib sind wir viele" (1 Kor 10 27) — kein Wort ver-
anschaulicht das innige Gemeinschaftsgefühl, das all diese religiösen
Bewegungen durchdringt, plastischer wie dieses paulinische Bekenntnis.
Ein einziges großes Erlebnis durchflutet die alte jüdische Gemeinde:
das Bewußtsein Jahwes auserwähltes Volk zu sein und die Hoffnung
auf Israels Herrschaft über die Heiden. Ein einziges großes Erlebnis
durchströmt die urchristliche Kirche: die Gewißheit des in Christus
geschenkten Heils und die Sehnsucht nach der baldigen Vollendung
des Gottesreiches. Dieses gemeinsame große Erlebnis drängt spontan
nach Aussprache im Gebet, genau so wie jedes affektive religiöse Er-
lebnis eines Einzelnen nach Entladung durch das Gebet verlangt. Die
ihres Heils gewisse Gemeinde will „einmütig mit einem Munde" ihren
Gott preisen (öfio^ufiaööv iv kvl öTÖfian dol;<j£r[se Roe 15 5 f.)30;
sie will ihm als großer Chor lobsingen {xögog yerö/ueroi ctorjte Ign. ad
Rom. 22); die nach dem Heil sich sehnende Gemeinde will in
432 H. Das gottesdiensüiche G-emeinclegebet
„einer gemeinsamen Bitte" zu ihrem Gott flehen (/nia dirjaig gorco
xoivt] Ign. ad Magn. 7 2).
Das Gemeindegebet ist nicht bloß der Ausdruck des religiösen Kol-
lektiverlebnisses, es dient auch der gegenseitigen Erbauung der
Gemeindeglieder. „Erbauung" (oixoifofii]) — ein Terminus, den
der Völkerapostel in die religiöse Sprache des Christentums eingeführt
hat — ist die Übertragung religiöser Gefühle bzw. die Weckung, Steige-
rung und Verlebendigung schon vorhandener religiöser Gefühle, Stim-
mungen und Willenstendenzen „Alles geschehe zur Erbauung!" ist
die Maxime, die Paulus den Korinthern in seiner Erörterung des gemein-
samen Gottesdienstes entgegenhält (1 Kor 14 26). Durch das enthu-
siastische Gebet eines Geistbegabten sollen alle Brüder in dieselbe
religiöse Stimmung und Leidenschaft hmeingezogen werden, aus welcher
dieser betet. Eben deshalb will Paulus die ekstatische Gebetssprache
des Zungenredens vom Gemeindegottesdienst möglichst fernhalten,
weil von ihr keine erbaulichen Wirkungen auf die Versammelten aus-
gehen. Die Brüder werden von dem affektiven Gebet, das sich in wirren
Wortfragmenten oder unverständlichen sprachlichen Neubildungen äußert
{s. o. S. 358), nicht zum Mitbeten angeregt. „Denn d u betest wohl
schön, aber der andere wird nicht erbaut" (1 Kor 14 17). Das Gemeinde-
gebet soll also die in den Seelen schlummernden religiösen Gedanken
und Gefühle wecken, die schon lebendigen steigern und vertiefen; es
soll in allen am Gottesdienst Teilnehmenden eine warme Gebets- und
Andachtsstiminung erzeugen. Luther hebt diese eine Seite des
gemeinsamen Gebets hervor. „Daheim im Hause bin ich so wacker und
lustig nicht; aber in der Kirche unter dem Haufen ist's herzlich und
dringet auch durch." Er rühmt das „Gebet unter dem Haufen und in
der Versammlung, da eins das andere reizt, bewegt und erhitzt, daß es
stark zu Gott dringt und dadurch erlangt ohne allen Zweifel, was es
will" 31.
Mit dem erbaulichen Zweck des Gemeindegebets berührt sich enge
der pädagogische. Das Gebet der Gemeinde soll den Einzelnen
auf eine höhere Stufe des Betens erheben. Die engen selbstsüchtigen
Wünsche sollen im Angesicht der Gemeinde verstummen. Der Beter
soll sich in das Heilsbewußtsein der Gemeinde einfühlen und die großen
Anliegen der Gesamtheit als die eigenen erleben. Die Kleinen und
Schwachen, die mit niederen und irdischen Gedanken zur Versammlung
kommen, sollen auf die Höhe reiner religiöser Sehnsucht emporgeführt
werden, sollen beten, wie die Starken und Schöpferischen der Gemeinde
beten; die, welche nicht wissen, was wahres Beten ist, sollen hier beten
lernen und sich im Beten üben. Diese pädagogische Abz weckung des
Gemeindegebets wurde von den Reformatoren in den Vordergrund
gerückt und von der altprotestantischen Orthodoxie wie von der moder-
nen Theologie immer entschiedener betont. „Die vorgeschriebenen
und vom Liturgen verlesenen Gebete sind nicht eigentlich Gebete,
sondern eine Anleitung zu gemeinsamem Gebet" (Von der Goltz) 32.
,,Das gemeinsame Beten und Singen im Gottesdienst ist noch nicht
das Gebet selber, sondern nur eine Vorbereitung, eine Vor-
3. Motiv und Zweck 433
Übung auf das Gebet des Herzens, eine Zubereitung dei Seele" (Geyer)33.
Dieser erzieherische Zweck des Gemeindegebets ist jedoch nur Neben-,
keineswegs aber Hauptzweck. Alles gemeinsame Beten soll vielmehr
unmittelbare Äußerung des gemeinsamen religiösen Erlebens sein und
der wechselseitigen Erbauung d. h. der Festigung und Erhöhung dieses
Erlebens dienen.
Das Gemeindegebet ist der Mittel- und Höhepunkt des Gemeinde-
gottesdienstes. Ihm geht stets die Schriftlesung und -erklärung, die
Verkündigung des Gotteswortes voraus. Sie soll die Herzen der Gläu-
bigen zur Andacht stimmen und zum gemeinsamen Gebet vorbereiten.
Wie das Gebet der Mystiker sich an der Meditation entzündet und von
ihr sich nährt, so entzündet sich das Gemeindegebet an der Vertiefung
in das in der Schrift niedergelegte Gotteswort. Zum synagogalen
Gottesdienst gehört die Thora- und Prophetenlektion, an die sich ein
erbaulicher Vortrag (deräsä) anschließt. Auch im islamischen Freitags-
gottesdienst geht der salät eine Predigt (chutba) voraus 34. Im gottes-
dienstlichen Kapitel des ersten Korint herbriefe s nennt Paulus die
didaxtj und kQ[irp>Eia neben dem ipakfiög als Bestandteile des ur-
christlichen Gottesdienstes (14 26). Nach der gottesdienstlichen
Schilderung des Justin werden die Schriften der Propheten und
die „Erinnerungen" der Apostel (d. h. die Evangelien) vorgelesen; an
die Lektion schließt sich die Mahnrede des , Vorstehers' an 35. Die
Schriftlesung mit der darauffolgenden Predigt blieb ein Wesensbestand-
teil des christlichen Gemeindegottesdienstes bis zum heutigen Tag.
Der innere Zusammenhang von Predigt und Gemeindegebet wird sehr
treffend von Luther hervorgehoben:
„Wo das Volk nicht zuerst von Gott unterrichtet ist, da ist es unmöglich zu
beten; ja, es wird keiner für sich selbst recht beten können, wo er sich nicht zuvor
selbst den Glauben .... vorprediget; und durch eine solche Predigt, die sich
einer selbst tut, wird das Herz beweget und erwecket zum Gebet. Solches ge-
schieht aber alles öffentlich in unseren Kirchen . . . ; es schallet darinnen für
und für die Stimme des hl. Evangelii, damit die Leute von Gottes Willen unter-
richtet werden. Zu solchen Predigten kommt das Gebet oder die Danksagung.
So will Paulus in der ersten an die Corinthier (14, 3), daß man die Gemeinde erst
lehren und vermahnen soll, darnach kann man recht Gott danken oder an-
rufen .... Daß also die Predigt und das Gebet allezeit beieinander seien!" 3S
Nicht selten freilich — schon im alexandrinischen Judentum und
später in vielen protestantischen Kirchen — nimmt die Predigt die
herrschende Stelle im Gottesdienst ein und drängt das Gebet zurück.
„Der selbständige Charakter und die gleiche Dignität des Gebets mit
der Predigt geht verloren, das liturgische Gemeindegebet sinkt zu einem
Appendix der Predigt herab" (Theod. Harnack)36b. Ursprünglich
jedoch kommt der Schriftlektion und Homilie nur eine dienende und
vorbereitende Bedeutung zu. Nicht Rede von Gott, sondern Rede z u
Gott, nicht Verkündigung der Offenbarung Gottes, sondern unmittel-
barer Verkehr mit Gott ist der eigentliche Gottesdienst.
Neuere um die liturgische Reform verdiente evangelische Theologen haben
diesen Gedanken klar erkannt und ausgesprochen. F. Spitta schreibt: ,,Das
Wesen des evangelischen Kultus sehe ich in der Erhebung des Herzens zu Gott
im Gebet. Dazu soll uns die Zeit des Gottesdienstes und das Gotteshaus mit
seinem Schmucke, die Vorlesung aus der heiligen Schrift und die Predigt ver«
Das Gebet 28
434 H. Das gottesdienstliche Gemeindegebet
helfen" 38 c. Karl Anton urteilt: „Die Predigt bestimmt nicht, sie ist vielmehr
nur Hilfe, Weg zur Erreichung des Ziels .... Sie steht nicht in der Mitte
des Ganzen als Herrscherin, sondern als Dienerin, die bescheiden erst hervortritt,
wenn sie ihren Dienst zu verrichten hat und ebenso darnach wieder zurücktritt" se d.
Das gemeinsame gottesdienstliche Gebet ist ursprünglich der unmittel-
bare Ausdruck der gemeinsamen religiösen Erfahrungen und dient der
gemeinsamen Erbauung. Aber die regelmäßige Wiederkehr der Gebets-
zusammenkünfte und die dauernde Identität des Gebetsmotivs be-
dingten eine allmähliche Schwächung der motivierenden Erlebnisse
und leiteten so einen fortschreitenden Erstarrungsprozeß ein. Wie bei
primitiven Völkern das Gebet aus einer spontanen und unmittelbaren
Affektäußerung sich zu einem festen Bestandteil eines komplizierten
Rituals verhärtet, so wird auch das jüdisch-christliche Gemeindegebet
aus der lebendigen Äußerung des religiösen Kollektivbewußtseins zu
einer steifen sakralen Institution, einer überlieferten Gottesdienst-
ordnung, die in sich selbst wertvoll, in der Form unantastbar und deren
Vollzug religiöse Pflicht ist. In dem Maße, als die Gemeinde oder Sekte,
die enge innerliche und persönliche Gemeinschaft einer Vielheit von
frommen Individuen, zur umfassenden Landes- oder Weltkirche sich
fortbildete, in dei die soziale Beziehung der einzelnen Glieder eine viel
losere, äußerlichere und unpersönlichere ist, in demselben Maße erlosch
das lebendige Gemeinsamkeitsgefühl, das sich im Gemeindegebet mit
innerer Notwendigkeit auslebte; aber seine objektive Schöpfung, die
liturgische Gebetsformel, lebte fort und entzündete in den Herzen
mancher Frommen immer wieder jenes Gemeinsamkeitsgefühl, aus dem
sie ursprünglich geboren war.
4. Die Form des gottesdienstlichen Gemeinde-
gebets.
Das liturgische Gemeindegebet der jüdischen Synagoge und der
christlichen Kirche zeigt in der Form gegenüber dem gemeinsamen
Beten primitiver Stämme nichts wesentlich Neues. Alle die charak-
teristischen Formen, in denen die primitive Familien-, Dorf- oder
Stammesgemeinschaft ihre gemeinsamen Gebetsanliegen vor ihren
Gott bringt, kehren hier wieder.
Das Bewußtsein der Gegenwart Gottes und das Streben, durch das
gemeinsame Gebet sich gegenseitig zu erbauen, erfordert Ordnung in
der gottesdienstlichen Feier. Paulus mahnt die Korinther bezüglich
der gottesdienstlichen Versammlung: nävxa evox^ßövajg y.al xaxä rd!-iv
yiveoüo) (1 Kor 14 40). Das Gemeindegebet besteht nicht in einem
chaotischen Stimmengewirr vieler Gläubigen, die alle in eigenen
Worten mit Gott reden — das wären die Einzelgebete von vielen, aber
keineswegs ein Gemeindegebet — sondern in dem Gebet eines Ge-
meindegliedes, dem die übrigen mit Aufmerksamkeit und Andacht
folgen. Im altsynagogalen Judentum wurde das Gebet nicht von einem
ständigen Liturgen, sondern in freiem Wechsel von einem der Anwesenden
gesprochen ; der jeweils Betende hieß ,Bevollmächtigter der Gemeinde'
(&eliach sibbur). Auch im Islam kann jeder Gläubige als imdm bei der
gemeinsamen saldt fungieren, wenn er die nötigen Kenntnisse besitzt 37.
4. Form . 435
In der christlichen Urgemeinde hatte jeder männliche Christ, der vom
Geist ergriffen war, das Recht, zur Verkündigung und zum Gebet das
Wort zu ergreifen. Die Sitte des allgemeinen freien Betens ist der
deutliche Hintergrund zum 14. Kapitel des ersten Korintherbriefes,
in dem der Völkerapostel die Probleme des Gemeindegottesdienstes
bespricht. „Wenn ihr zusammenkommt, dann hat jeder seinen eigenen
Lobgesang" (14 26). Nicht das Recht des freien Laiengebets bestreitet
Paulus, er fordert nur, daß jeder dieses Recht zur Erbauung der Ge-
meinde verwerte und in allgemein verständlicher Sprache, nicht in
der unverständlichen Glossolalie bete.
Der urchristliche Enthusiasmus begann frühe zu verwehen. Ursprüng-
lich waren alle Glieder der Gemeinde , Geistträger', charismatisch Be-
gabte; aber gar bald wurde ihre Zahl geringer. An die Stelle des per-
sönlichen Geistbesitzes trat das kirchliche Amt: der Episkopat und
Presbyterat. Die Bischöfe und Presbyter sind nun die amtsmäßigen
Liturgen, welche im Namen der versammelten Gemeinde das gottes-
dienstliche Gebet sprechen. Ignatius von Antiochien redet in einem
Atemzuge vom ,, Gebet des Bischofs und der Gemeinde" (ad Eph. 5 2)
— ein Zeichen dafür, daß bereits um die Wende des 1. Jahrhunderts
der Bischof eine hervorragende Rolle beim gottesdienstlichen Gemeinde-
gebet spielte. Zuerst scheint das eucharistische Dankgebet dem „Vor-
steher" vorbehalten worden zu sein. Nach der Didache (10, 7) dürfen
noch die Propheten, d. h. die Geistträger das Eucharistiegebet
in völlig freier Weise sprechen. Nach der Beschreibung des Gemeinde-
gottesdienstes bei Justin ist es ausschließlich der ngoeoröig, welcher
bei der Darbringung von Brot, Wein und Wasser die Bitt- und
Dankgebete spricht. Die Gebete der ,Vormesse' hingegen, die sich
zwischen die Schriftlesung mit der Predigt und die eucharistische
Mysterienfeier einschieben, scheinen nach der Schilderung Justins freie
Gebete einzelner Gemeindeglieder gewesen zu sein 38. Hier stehen also
das allgemeine Laiengebet und das priestei liehe Amtsgebet neben-
einander. Später gingen dann alle gottesdienstlichen Gebete in die
Hände des Amtspriesters (Bischofs oder Diakons) über. Aber neben
und nach dem ordentlichen Vorbeter, dem Gemeindevorsteher und
seinen Gehilfen, hatten noch lange die Pneumatiker das außer-
ordentliche Recht, in der gottesdienstlichen Versammlung sich
zum eigenen Gebet zu erheben. „Daß der Besitz des Geistes, nicht
das Amt an sich, das Recht zu beten gab, davon behielt man ein Bewußt-
sein auch da n och , wo die Beamten die geistlichen Funktionen übernahmen .
Ers^ als der Geist erloschen oder auf wunderbare Sonderwirkungen
beschränkt war, wurde auch das allgemeine Recht, in der gottesdienst-
lichen Versammlung beten zu dürfen, ganz vergessen" (Von der Goltz) 39.
Die christlichen Sekten, in denen der urchristliche Enthusiasmus stets
von neuem aufloderte, haben immer wieder den Versuch gemacht, den
urchristlichen Gemeindegottesdienst zu repristinieren ; sie haben auch
das freie, unbeschränkte Laiengebet in den gottesdienstlichen Ver-
sammlungen erneuert. Da aber der Enthusiasmus nur relativ kurze
Zeit währt und der Geistbesitz nur das Charisma weniger Frommer ist.
436 H. .Das gottesdienstliche Geuieindegebet
machten sich auch in den Sekten immer wieder jene Tendenzen geltend,
die im gottesdienstlichen Leben der alten Kirche vom Laiengebet zum
Priestergebet führten. So geben selbst die Quäker, die jedes geistliche
Amt und jede gottesdienstliche Bindung radikal verwerfen, solchen
Geineindegliedern, die in den Versammlungen häufiger vom Geist
getrieben werden, den Auftrag zum regelmäßigen Verkünden und Beten.
Diese ,recorded ministers' haben jedoch keine Vorrechte als Leiter der
Versammlungen, geschweige denn ein eigentliches Kirchenamt 40. Im
Unterschied von den Sekten halten die evangelischen Landeskirchen
an der alten katholischen Tradition fest, nach der das liturgische Gebet
wie die Predigt Sache des amtsmäßigen Vertreters der Gemeinde ist
und nicht ausnahmslos jedem Gemeindeglied zusteht.
Die Worte des Gemeindegebetes sind ursprünglich ebenso frei,
vom Augenblicksaffekt emgegeben wie die des spontanen individuellen
Gebets. Der Enthusiasmus, der in den Zeiten religiöser Anfänge und
Umwälzungen aufflammt, verträgt keine Bindung des gemeinsamen
Betens an starre gottesdienstliche Formen. „Der Geist weht, wo er
will." Die urchristlichen Geistträger beten nach einem Wort der Didache*
,,was sie wollen" (10, 7), so wie es ihnen der Geist eingibt 41. Tertullian,
der energische Vorkämpfer der charismatischen Montanistenbewegung,
bezeugt, daß die Christen bei ihren Gebetszusammenkünften frei und
ungebunden aus dem Herzen beten (sine monitore, quia de p ecto r e
oraraws42; ut quisque de proprio ing enio posset; Apol. 30. 39).
Aber auch dann, als das Gemeindegebet zur priester liehen und bischöf-
lichen Amtssache geworden war, blieb die Fassung und Ausdehnung des
Gebets noch lange Zeit frei. Nach der Schilderung Justins betet der
Vorsteher bei der eucharistischen Feier, öor{ dövetfug civtco, d. h.
wie und solange es in seiner Kraft steht (Apol. 67 5) 43. Während
jedoch das Gebet des Laienpneumatikers stets eine starke persönliche
Note zeigt, offenbart das Beten des priesterlichen Liturgen trotz aller
formalen Freiheit im einzelnen ein feststehendes Schema, das sich an
das synagogale Gebetsschema anschließt. Die allgemeinen Umrisse,
die Aufeinanderfolge der Gedanken, also das ,, Rahmenwerk" sowie
gewisse häufig wiederkehrende Redewendungen stehen fest; nur die
„sprachlich-rhetorische Ausführung" ist das persönliche Werk des
Augenblicks 44. Wir haben es hier mit einer Übergangsform vom freien
Gebet zur starren Gebetsformel zu tun; dieselbe Zwischenform, das
,halbfreie', ,variable' Gebet stellten wir bereits beim Beten des primitiven
Menschen fest (s. o. S. 50). Beispiele eines solchen halbfreien Gebets
sind das Preisgebet, das Esra (Neh 9) bei der Sanktion des Gesetzes
spricht, wie das Kirchengebet, das Klemens seiner Paränese an die
Korinther anfügt.
Nicht alle amtsmäßigen Liturgen der altchristlichen Kirche verfügten
über eine produktive Gebetskraft. So entstand schon frühe das Be-
dürfnis zur Formulierung und Aufzeichnung von Mustergebeten,
die jedoch keine bindenden Gebetsformulare, sondern lediglich Gebets-
paradigmen darstellen 45. In der ägyptischen Kirchenordnung heißt
es ausdrücklich: ,,Der Bischof aber soll danken gemäß den oben ge-
4. Form 437
nannten Bestimmungen. Jedoch liegt keineswegs für ihn die
Notwendigkeit vor, daß er eben dieselben Worte vorbringt, die wir oben
gesagt haben, so wenn er aus dem Stegreif (aTzö OTiföovg) redet,
wenn er Gott dankt; sondern nach dem Vermögen jedes einzelnen soll
er beten. Wenn es ihm freilich möglich ist, in ansehnlicher Weise und
gloriosem Gebet zu beten, so ist das schön, wenn er aber in anderer
Weise betet und ein Gebet mäßig vorbringt, so soll ihn niemand hindern ;
nur möge er beten, indem er unversehrt ist, in rechtgläubiger Weise" 46.
Schon die Didache enthält solche Mustergebete für die Eucharistiefeier.
Ebenso sind die oben (S. 426) erwähnten altkirchlichen Gebetsformulare
lediglich Gebetsparadigmen. Noch häufiger sind wohl solche Gebets-
beispiele mündlich in einzelnen Gemeinden überliefert worden.
Aus diesen mündlich oder schriftlich tradierten Mustergebeten ent-
standen allmählich festgelegte liturgische Gebetsformeln , die
wörtlich beim Gottesdienst rezitiert wurden. Die jüdische Synagoge
besaß wohl schon vor dem Fall des Heiligtums irgendwie formelhafte
gottesdienstliche Gebete; das berühmte Achtzehngebet, das seine
heutige Fassung nach der Zerstörung des Tempels erhalten hat, hat
jedenfalls schon geraume Zeit vorher formelhafte Festigkeit erlangt.
Doch sicherte das Verbot, liturgische Texte aufzuzeichnen, das bis
zum Abschluß des Talmud (500) in Kraft blieb, dem freien bzw. halb-
freien Gebet im synagogalen Judentum noch lange Zeit sein Recht 4T.
In der christlichen Kirche vollzog sich der endgültige Übergang vom
freien zum formelhaften Gebet im dritten Jahrhundert; bis weit ins
dritte Jahrhundert hinein blieb augenscheinlich das freie Gebet vor-
herrschend 48. Im fünften Jahrhundert treffen wir überall feste Gottes-
dienstordnungen und verpflichtende Gebetsformulare; der Liturge
betet nicht mehr dnb avfjd-ovg (Ägyptische Kirchenordnung), ,de
pectore' (Tertullian), sondern rezitiert einen heiligen Text aus dem
Gedächtnis oder liest ihn aus dem Ritualbuche ab. Wo im ersten Jahr-
hundert das begeisterte Gebet des Laiencharismatikers stand, da steht
im fünften Jahrhundert das durch die Überlieferung geheiligte Gebets-
formular des geistlichen Amtsträgers.
Ist das liturgische Gebet einmal zur unantastbaren, das Gewissen
bindenden Formel geworden, so besitzt es eine ungeheure Stabilität. Die
feierlichen Gebete, die heute bei der Messe der katholischen Kirche und
der orthodoxen Kirchen des Orients gemurmelt oder gesungen werden,
gehen in ihrer heutigen Fassung ins sechste Jahrhundert und noch viel
weiter zurück. Viele Gebete des römischen Meßbuchs wie das Kyrie,
Gloria, die Kollekten, die Präfation und das Sanctus sind unverändert
oder nur leise modifiziert in die evangelischen Agenden aufgenommen
worden. Andererseits stammt ein nicht geringer Bruchteil der gottes-
dienstlichen Gebete, die in den evangelischen Kirchen der Gegenwart
im Gebrauch sind, aus dem Reformationsjahrhundert 49. So tritt uns
liier dieselbe religionsgeschichtliche Tatsache wie in den antiken Religi-
onen entgegen: die liturgische Gebetsformel überdauert Jahrhunderte,
ja Jahrtausende ; sie ist fast unsterblich ; selbst die gewaltigsten religiösen
Erschütterungen und Umwälzungen vermag sie zu überstehen.
438 H. Das gottesdienstliche Gememdegebet
Gegen die Bindung des gemeinsamen Gebets durch vorgeschriebene
Ordnungen und Formeln haben die evangelischen Sekten mit aller Kraft
protestiert. Den englischen Independenten galt ein festgesetztes Gebet,
eine statutarische Liturgie, als Vernichtung des heiligen Geistes, als
eine Blasphemie gegen Gott; selbst das Gebet des Herrn war von dieser
Verwerfung alles fest formulierten Betens nicht ausgenommen. M i 1 1 o n
verdolmetscht in packenden Worten diesen antiliturgischen Independen-
tengeist :
„Ein wahrer Christ kann keinen Grund finden, warum eine Liturgie zugelassen
werden sollte, da eine solche Vorschrift weder auferlegt noch gehandhabt wurde
von jenen ersten Gründern der Kirche, welche allein dazu Vollmacht hatten.
Ohne deren Vorschrift und Beispiel legt des Priesters Gebet ebenso oft, wie dieser
seinen Amtsrock und sein Chorhemd anzieht, ein liturgisches Sklaven jocb an ... .
Auch wenn die Worte der Liturgie selbst Manna wären, so würden sie doch, wenn
sie aufgehäuft und uns auferlegt sein sollten, — während doch Gott jeden Morgen
neue Ausdrücke in unser Herz niederregnen läßt — , eben aufbewahrtem Manna
gleichen, das leicht Würmer erzeugt und stinkt. Gott hat uns nicht einen Reich-
tum von solchen Worten gegeben, damit wir sie so reichlich bei allen anderen Ge-
legenheiten gebrauchten und gegen ihn allein so kniggerisch seien bei unserer An-
dacht .... WieGott unserGefühl läßt geleitet werden durch seinen heiligenden Geist,
so sorgt er in gleicher Weise dafür, daß unsere Worte in uns gelegt würden ohne
unser vorangehendes Nachdenken, aber weit mehr jene kindlichen Worte, die
wir so häufig brauchen, wenn wir mit voller Redefreiheit zu dem Thron der Gnade
hinzutreten. Diese hinzugeben für andere gebräuchliche Eingebungen von
Menschen wäre eine Beleidigung seiner vollkommenen Gabe. Und auch wenn
die Gabe bloß eine natürliche wäre, so sind freiwillige Gebete weniger mit einer
oberflächlichen oder bloß anempfundenen Stimmung verbunden. Einzelne Fälle
von ungehörigen freien Gebeten beweisen nichts gegen die Sache. Können
unvorbereitete Schwätzer nicht anders zurechtgewiesen werden als dadurch,
daßder Geist Gottes verboten werdenmuß in allen Menschen? . .. Welche Unwissen-
heit und Schwachheit, den Gebrauch stehender Formeln als Beständigkeit auszu-
legen! Als ob Beständigkeit wäre im Kuckuck, der immer dieselbe Liturgie
schreit! Gegen Roheit, Unverschämtheit und Plattheit ist das rechte Mittel
nicht die Liturgie, sondern Gottes eigener Geist" 50.
Aus diesen Motiven heraus haben die Sekten das freie Gemeinde-
gebet — sei es nun das freie Gebet des Predigers oder auch der Ge-
meindeglieder ohne Unterschied — ■ im Sinne des ältesten Christentums
erneuert 61. In dem vom Sektengeist berührten Calvinismus herrscht
das freie Gebet vor. Die radikalste Form des freien Gemeindegebets
stellen die Quäkermeetings dar. Die Quäker fordern für ihre gottes-
dienstlichen Versammlungen nicht nur das freie, von keiner Formel-
haftigkeit beengte Beten, sondern das völlig spontane, aus Inspirations-
zuständen gewaltsam hervorbrechende Beten. Ein Augenzeuge schildert
folgendermaßen den Quäkergottesdienst:
,,Ln einem einfachen Saale versammeln sich die Freunde des Lichts in
dem tiefsten Stillschweigen um den Geist von allen irdischen Zerstreuungen
zurückzuziehen und durch diese innere Sammlung sich zum Vernehmen der himm-
lischen Einsprache geschickt zu machen. Diese feierliche Stille mag wohl eine
halbe oder ganze Stunde fortgesetzt werden, ohne daß sie eine andere Unter-
brechimg erlitte als die, welche das Seufzen und Stöhnen einzelner vom Geist
bewegter Gemüter hervorbringt, bis sich ein Glied von oben angetrieben fühlt.
Mann oder Weib, das Haupt entblößt, sich erhebt zur Predigt oder auf die Knie
niederfällt zum Gebet, je nachdem es der Geist eingibt" ".
Dieses geisteingegebene Beten in den Quäkermeetings ist die Grenz
4. Form 439
form des rein individuellen Gebets und des gottesdienstlichen Kollektiv-
gebets.
Die Agenden der lutherischen Landeskirchen schreiben dem amtieren-
den Geistlichen feste Gebetstexte vor, doch bieten sie häufig mehrere
Gebetsformulare zur freien Wahl. Aber auch in den Landeskirchen
verstummte nie die Forderung, dem freien Gebet des Liturgen Raum
zu gewähren. Spener, der unermüdlich auf das ungebundene Herzens-
gebet im individuellen Frömmigkeitsleben drang, suchte dem freien
Gebet auch im öffentlichen Gottesdienst eine Stätte zu schaffen, ohne
daß er jedoch daran dachte, die feststehenden Gebetsformulare zu
beseitigen. Er empfand nur das Bedürfnis, die stereotype Formel zumal
des der Predigt folgenden allgemeinen Kirchengebets durch ein indi-
viduelles, an die jeweilige Predigt sich anschließendes freies Gebet zu
ergänzen 53. Freilich handelt es sich hier nicht um ein völlig spontanes,
improvisiertes, aus der Eingebung des Augenblicks hervorquellendes
Gebet, sondern um ein verfaßtes, prämeditier tes. In der Gegenwart
steht das freie Gebet im Mittelpunkt der gottesdienstlichen Reform-
pläne. Hier ist es, wie ein moderner Theologe sagt, „ein Punkt, wo die
Wahrhaftigkeit des individuellen religiösen Lebens mit den Forderungen
des Gemeinschaftslebens hart zusammenstößt" (Paul Wernle) 54. Die
Richtung, in der die Reformgedanken sich bewegen, geht auf eine Ver-
bindung des formulierten, traditionellen Gebets mit dem individuellen
und freien Gebet des einzelnen Liturgen, wie sie schon von Spener
geübt worden war 65. Die gänzliche Verdrängung des formulierten
Kirchengebets aus dem Gemeindegottesdienst und seine Ersetzung durch
das freie Gebet bedeutet stets eine Bedrohung des religiösen Gemein-
schaftsbewußtseins.
Theodosius Harnack hat die Gründe, welche die Lutheraner gegen das
freie Gemeindegebet der Sektierer und Reformierten ins Feld führen, treffend
zusammengefaßt: „Das freie Gebet geht immer von einem aus; und möge er
noch so sehr in und mit der Gemeinde leben, seine Subjektivität, der die anderen
mit gleichem Rechte gegenüberstehen, kann er nie ganz verleugnen. Das freie
Gebet setzt immer die Differenz zwischen einem und allen voraus und fordert
die Prüfung; in dieser Stimmung kommt es höchstens zum Nachbeten, aber nicht
zum Mit beten. Noch weniger sind hiebei Einzelgemeinde und Gesamt gemeinde
verbunden. Soll nun diese Differenz verschwinden, soll ein Gebetsakt zustande
kommen, der unmittelbar und zugleich von allen ausgeht und in dem sich
Ijokalgemeinde und Gesamtgemeinde eins wissen, so kann dies nur durch ein
formuliertes Gebet geschehen. Das Gebet, allen gegeben und allen bekannt,
erkennen auch alle als das ihrige an, denn es geht ursprünglich und unmittelbar
von allen aus" 84b.
Die Sprache des gottesdienstlichen Gemeindegebets ist eine ganz
andere als die des individuellen Betens. Der Liturge, der im Namen und
an Stelle der Gemeinde zu Gott spricht, befindet sich in einer ganz
anderen seelischen Stimmung wie der Fromme, der im stillen Kämmerlein
sein Herz vor Gott ausschüttet. Das Bewußtsein der Anwesenheit vieler
bedingt eine unwillkürliche Beschränkung des individuellen Erlebens,
eine gewisse Gefühlsverhaltung 54c. Die andachtsvolle Stille, mit der
die Versammlung auf seine Worte lauscht, bewirkt eine Stimmung der
Erhabenheit. Diese eigenartige Gemütsverfassung äußert sich ebenso
in der Klangfarbe und dem Tonfall der Stimme wie in der Wahl und
440 H. Das gottesdienstliche Gemeindegebet
Verbindung der Worte. Während das individuelle affektive Beten — >
zu diesem gehört vielfach auch das enthusiastische Gebet der Laien -
charismatiker und Laienpneumatiker im Urchristentum (1 Kor 14) und
in manchen Sekten — in unzusammenhängenden Rufen und Seufzern
hervorgestoßen wird, wird das liturgische Gebet in langsamem, feier-
lichem Tone und in einem eindrucksvollen, regulären Rhythmus rezitiert
oder auch in einem einförmigen Sprechgesang (accentus) oder einer
majestätischen Melodie (concentus) gesungen. Während jenes, ent-
sprechend dem Wechsel der Affekte und Gefühle, eine Sprunghaftigkeit
und Unebenmäßigkeit der Gedanken zeigt, offenbart dieses, entsprechend
der gleichförmigen Stimmung, einen klaren Gedankenfortschritt und
durchsichtigen Aufbau. Enthüllt die Sprache des Herzensgebetes eine
elementare Leidenschaft, einen ungestümen Drang, so verrät die Sprache
des liturgischen Gebetes feierlichen Ernst und gemessene Würde. Die
zahlreichen biblischen Termini und Floskeln verleihen der gottesdienst-
lichen Gebetssprache einen ehrwürdig-altertümlichen Charakter. Man
kann deshalb von einem Sakralstil des liturgischen Gebets reden, der
sich von dem beweglichen Konversationsstil des spontanen individuellen
Gebets deutlich abhebt. Diesem feierlichen Sakralstil haftet jedoch nicht
notwendig das Moment des Künstlichen, Gemachten und Unnatürlichen
an. Im Gegenteil zeigt gerade die Sprache der altchristlichen Gebete
wie des klementinischen Kirchengebets oder der Didache-Gebete eine
natürliche Schlichtheit, Anspruchslosigkeit und Kraft; sie ist geeignet,
den Hörer unmittelbar zu ergreifen und jene lebendige Gebetsstimmung
zu erwecken, aus der sie ursprünglich floß. Das Missale Romanum
und zahlreiche evangelische Agenden haben diese Eigenart des klas-
sischen christlichen Gemeindegebets bewahrt. Kraftvolle Kürze und
lapidare Wucht eignet dem Gloria und der Präfation, in denen die alt-
christlichen Gebetsmuster fortleben. Im Gegensatz hiezu zeigen die
synagogalen Gebete, die Gebetsformulare der apostolischen Konstitutionen
und die meisten Liturgien der Ostkirche eine weitschweifige Diktion,
eine erdrückende Häufung klingender Epitheta, einen rhetorischen
Prunk — lauter Eigentümlichkeiten, die an die antiken Ritualgebete
und Kulthymnen erinnern. In ihrem reflektierenden, lehrhaften Ton
erweisen sie sich bisweilen eher als Katechesen und Homilien, denn als
Gebete der Gemeinde. Die moderne evangelische Agendenreform -
bewegung sucht eine religiöse Verlebendigung und psychologische
Vertiefung des liturgischen Gebetsstils herbeizuführen und so das gottes-
dienstliche Gemeindegebet im altchristlichen Sinne zu erneuern.
„Wir fordern," sagt von der Goltz, „Einfachheit und innere Wahrheit, wir
fordern eine dem Inhalt angemessene Form und eine in der Form lebendige Fähig-
keit, lebendigen Inhalt mitzuteilen, also Schönheit und Kraft" 5S. Rietschel
findet beredte Worte für das Ideal der gottesdienstlichen Gebetssprache: ,,Da
das liturgische Gebet das Gebet der Gemeinde ist, muß es mit der Wärme und
Innigkeit zugleich die größtmöglichste Einfachheit, Klarheit und Allgemein-
verständlichkeit verbinden. Es muß das allein zum Ausdruck bringen, was
sich bei der Voraussetzung eines gesunden christlichen Gemeindebewußtseins
auch in der gegebenen Form von selbst auf die Lippen aller Kinder Gottes
legt. Sobald die Glieder der Gemeinde die Fassung der Gebete und die
Gegenstände des Dankes, der Bitte, der Fürbitte, nicht als den rechten Aus-
4. Form 441
druck der normalen christlichen Empfindung erkennen und daher das gesprochene
Gebetswort nicht sofort zu dem ihrigen machen können, sobald erst die Reflexion
und die verständige Überlegung die Brücke zwischen dem Gebetswort des Liturgen
und dem eigenen Herzensgebet bauen muß, hört das Gebet auf, wirkliches Ge-
meindegebet zu sein. Das Gebet wird geradezu zum Scheingebet, sobald es, anstatt
alle Herzen unmittelbar vor Gottes Angesicht zu stellen, bei der Wahrung der
äußeren Gebetsformel die Absicht erkennen läßt, auf die Gemeinde eine Wirkung
auszuüben und die fromme Stimmung erst zu wecken. Der Stil des Gemeinde-
gebets soll lapidar, kurz, kräftig, klar sein und muß darum lange Perioden,
Phrasen, frappierende Ausdrücke und Wendungen, überflüssige Ausschmückungen,
reflektierende Betrachtungen, verständige Erwägungen, kurz alles was die Keusch-
heit des einfältigen Kindesbetens verletzt, vermeiden. Die Gebete müssen sieb
ebenso fern halten von steifer Zurückhaltung, der der kindliche Sinn fehlt, wie-
von falscher Vertraulichkeit, die die Majestät des heiligen Gottes vergißt" 57.
Der Liturge betet im Gottesdienst nicht für seine Person, er ist viel-
mehr nur der Stellvertreter und Bevollmächtigte der Gemeinde, der in
ihrem Namen und Auftrag an Gott sich wendet. Das betende Subjekt
ist, wie schon der ,Wir'stil der liturgischen Gebete zeigt, die versammelte
Gemeinde. Sie lauscht andachtsvoll auf die Worte ihres Stellvertreters,
folgt ihnen mit innerer Anteilnahme, betet schweigend mit. Die alt-
christliche Gemeinde bezeugte diese innere Anteilnahme am Gebet
ihres Vorbeters durch die Gebetshaltung und den Gebetsgestus ; stehend
erhoben die Gläubigen ihre Hände empor. Erst dieses Mitbeten der
gesamten Gemeinde mit ihrem vorbetenden Bevollmächtigten macht
dessen Gebet zu einem wirklichen Gemeindegebet. Darum schickt
der Vorbeter seinen Gebetsworten eine ausdrückliche Aufforde-
rung der Anwesenden zum Gebet (jiQooipibvrjoig, indictio precum) 57 b
voraus. „Preiset Jahwe!" rief in der jüdischen Synagoge der
Vorbc ter der Gemeinde zu 58. In der ägyptischen Kirchenordnung
ist es der Diakon, der vor dem Gebete die Versammlung mahnt:
„betet" oder: „ihr, die ihr dastehet, neiget euer Haupt!"59 In den
apostolischen Konstitutionen begegnen uns als Gebetsaufforderung des
Diakons die Formeln: „Betet!" „Lasset uns beten!" „Lasset uns auf-
merken!" „Lasset uns aufstehen!" 60 Im römischen Missale geht
zahlreichen Gebeten die schlichte Einladung: „oreynus/" voraus, die
uns auch in den evangelischen Liturgien begegnet. Diese kurze Gebets-
aufforderung erweitert sich bisweilen zu einer förmlichen Ermahnung,
durch welche die Gläubigen auf das folgende Gebet vorbereitet werden
sollen. Uralt ist die in der Ost- und Westkirche (und noch in der Abend-
mahlsliturgie vieler evangelischen Kirchen) gebräuchliche Wechsel-
r e d e zwischen Bischof und Volk, welche das eucharistische Hochgebet
einleitet: „Der Herr sei mit euch! — Und mit deinem Geiste! — Auf-
wärts die Herzen! — Wir haben sie beim Herrn! — Lasset uns dank-
sagen dem Herrn, unserem Gotte! — Es ist würdig und recht "61. Die
Gebetseinheit zwischen Liturg und Gemeinde kommt nirgends so über-
wältigend zum Ausdruck wie in dieser wundervollen Antiphonie, in
welcher die Gemeinde die Gebetsaufforderung ihres Vorstehers freudig
bejaht.
Die gewöhnlichste Form, in der die Gemeinde ihre innere Anteilnahme
an den Gebetsworten ihres Stellvertreters kundgibt, ist das Re'spon-
Horium, ein kurzer, formelhafter Gebetsruf, mit welchem sie am
442 H. Das gottesdienstliche Gemeindegebet
Schlüsse eines Gebetes oder Gebetsabschnittes einfällt. Die Psalmen-
gesänge im Tempel zu Jerusalem wurden vom anwesenden Volk mit
einer doxologischen Formel beschlossen : „Gepriesen sei Jahwe in Ewig-
keit!" (Ps 89 43). „Gepriesen sei Jahwe, der Gott Israels, von Ewigkeit
zu Ewigkeit!" (Ps 41 14; 106 48; 1 Chr 16 36). Im altjüdischen Achtzehn-
gebet folgt nach jeder Benediktion oder Bitte der Ruf der Gemeinde:
„Gelobt seist du, Herr!" ihm schließt sich ein Epitheton an, das die
Schlußworte der Lobpreisung oder Bitte aufnimmt und ihren Inhalt
kurz zusammenfaßt 62. In dem Eucharistiegebet der Didache (c. 9)
folgt jedem Satz des Vorbeters ein doxologisches Responsorium der
Versammlung. Das ganze Gebet besteht in einem fast litaneiförmigen
Wechsel von Liturg und Gemeinde, der die dramatische Lebendigkeit
des urchristlichen Gemeindegebets vor Augen führt.
Betreff der Eucharistie danket also; zuerst über den Kelch:
V. Wir danken dir, unser Vater, für den heiligen Weinstock deines Knechtes
David, welchen du uns kundgetan hast durch deinen Sohn Jesus.
R. Dir sei Ehre in Ewigkeit 1
Dann über das gebrochene Brot:
V. Wir danken dir, unser Vater, für das Leben und die Erkenntnis, welche
du uns kundgetan hast durch deinen Sohn Jesus.
R. Dir sei Ehre in Ewigkeit!
V. Wie dieses gebrochene Brot zerstreut war auf den Bergen und gesammelt
eins wurde, so laß deine Gemeinde von den Enden der Erde zusammengeführt
werden in dein Reich.
R. Denn dein ist die Herrlichkeit und die Kraft durch Jesus Christus in
Ewigkeit."
Dem Charakter der Eucharistiegebete als Dankgebete entspricht es,
daß jeder Satz in einer feierlichen Lobpreisung ausklingt; bei Bitt-
und Fürbittegebeten enthält das Responsorium der Gemeinde ebenfalls
eine Bitte. In der klementinischen Liturgie der apostolischen Kon-
stitutionen (VIII 6 ff.) und anderen orientalischen Liturgien bekräftigt
der Gebetschor der Gläubigen jede Bitte mit dem litaneiartigen Ruf
xvqIe Hetjgov — ein Responsorium, das in die älteste Zeit des
Christentums zurückgeht. Darin liegt ein wichtiger Unterschied zwischen
der altchristlichen Liturgie und den späteren, daß in ersterer die respon-
dierende Gemeinde viel häufiger das Gebet des Liturgen unterbrach als
später, wo der lebendige Kontakt zwischen beiden sich löste und dem
betenden Priester die Hauptrolle beim Gemeindegottesdienst zufiel M.
Andere antiphonische Formeln sind das Alleluja 64 und Hosanna 65,
Preisrufe, welche die christliche Gemeinde in ihrer hebräischen Urform
aus der jüdischen Synagoge übernahm, sowie das Maranaiha (,komm,
Herr') 66, der urchristliche Sehnsuchtsruf, der im aramäischen Urlaut
in den hellenistischen Gemeinden widerhallte 67.
Zu diesen responsorischen Zwischenrufen tritt der Schlußruf Amen 68,
mit dem die Gemeinde jedes Gebet abschließt. Mit dieser hebräischen
Partikel, welche ,fürwahr', ,so ist es' bedeutet, bekennt sich die Ge-
meinde zu dem, was ihr Stellvertreter im Gebet gesprochen hat, identi-
fiziert sich mit seinen Worten, bekräftigt feierlich die innere Einheit
zwischen ihr und dem Liturgen. Aller Wahrscheinlichkeit nach war
das Amen als chorischer Abschluß eines Gebets schon im alten Israel ge-
4. Form 443
bräuchlich; auch andere auf primitiver Kulturstufe stehende Völker
kennen solche zustimmende Rufe, mit denen eine Gruppe das Gebet
ihres Stellvertreters beendet (s. o. S. 55). Dieses primitive Respon-
sorium wurde von der exilischen und nachexilischen Gemeinde bei-
behalten 69 und in der hebräischen Urgestalt vom Urchristentum über-
nommen. Die korinthische Gemeinde beantwortet bei der Versammlung
jedes Gebet eines Bruders mit diesem kurzen Rufe (1 Kor 14 16). Die
Apokalypse bezeugt, daß die Gemeinde das Lobgebet der Ältesten sich
mit einem Amen aneignet (5 13; 7 12). Dasselbe berichtet Justins Schil-
derung der eucharistischen Feier in der römischen Kirche (Apol. 1 65 4;
67 5). In der katholischen Kirche des Ostens und Westens wie in den
evangelischen Kirchen und Sekten ist dieser uralte liturgische Gebetsruf
zum stehenden Schlußwort eine3 jeden Gemeindegebets geworden; ja
auch die individuelle Gebetsfrömmigkeit hat ihn sich angeeignet (schon
Tob 8 8) als Ausdruck der lebendigen Zuversicht auf die gebetserhörende
Gnade Gottes.
All diese kurzen responsorischen Gebete sind stereotyp, formelhaft
und unveränderlich; denn nur durch ihre starre Gebundenheit eignen
sie sich zur Rezitation durch einen Gebetschor. Sie sind jene Elemente
im jüdischen und christlichen Gottesdienst, die längst formelhafte
Festigkeit besaßen, ehe das Gebet des Vorbeters zum gebundenen Gebet
geworden war.
Außer diesen kurzen Responsorien werden auch feststehende Gebets-
texte von geringerem Umfange von der gesamten Gemeinde rhythmisch
im Chore gesprochen. Nach den apostolischen Konstitutionen (Vlll 12)
wird das auf die Präfation folgende Trisagion vom ganzen Volk ge-
betet 70. Der natürliche Rhythmus, der in diesem Preisgebet schwingt,
erleichtert seine chorische Rezitation. Nach derselben Gottesdienst-
ordnung (Vlll 13) spricht die Gemeinde ein feierliches Lobgebet vor
der Kommunion 71. Nach der Jakobusliturgie betet die ganze Gemeinde
das Vaterunser. Die Psalmen, die im jüdischen und altchristlichen
Gemeindegottesdienst und später im klösterlichen Stundengebet Ver-
wendung fanden, waren infolge ihres Versbaues zur dramatisch-
antiphonischen Rezitation durch einen Vorbeter und die ganze Gemeinde
oder durch zwei Halbchöre geeignet 71 b. Nach der Gottesdienstordnung
Zwingiis wird das Gloria und das apostolische Glaubensbekenntnis von
zwei Halbchören, dem der Männer und der Frauen antiphonisch rezitiert.
Neben dem gesprochenen, d. h. feierlich vorgetragenen Chorgebet steht
von Anfang der melodische Chorgesang72. Das chorische Gebets-
lied lernten wir bereits als eine Form des primitiven Betens kennen.
Seine Einführung in den liturgischen Gottesdienst dürfte vornehmlich
aus praktischen Bedürfnissen hervorgegangen sein ; mit seinen festen
Vortragsformen, Rhythmus und Melodie, ist der Gesang die einfachste
Form des chorischen Gebets, einfacher und leichter als die gemeinsame
Rezitation im Sprechtone. Das Kirchenlied nimmt zu allen Zeiten
und in allen Kirchen eine bedeutsame Stelle im Gottesdienst ein. Im
Gegensatz zum liturgischen Gebet zeigt es eine weit größere Variabilität.
Währond dieses im Laufe seiner jahrhundertelangen Entwicklung nur
444 H. Das gottesdienstliche Gerneindegebet
relativ geringe Veränderungen aufweist, zeigt das geistliehe Lied einen
steten Wechsel; in ihm spiegelt sich die jeweilige individuelle Frömmig-
keit wider. Während die liturgischen Gebete einen überpersönlichen
Charakter tragen — wir kennen nur selten bestimmte Persönlichkeiten
als Verfasser von Kirchengebeten — sind die Kirchenlieder die dichterische
Schöpfung scharf umrissener religiöser Persönlichkeiten, die in ihnen
ihr innerstes Fühlen ausgesprochen haben. Vergleichen wir einen jüdi-
schen Piut, einen ambrosianischen Hymnus, eine Sequenz des heiligen
Bernhard, einen lutherischen Choral und ein geistliches Gedicht Zinzen-
doifs, so erkennen wir unzweideutig, daß das Kirchenlied eine indi-
viduelle, keine spezifisch soziale, d. h. kirchliche Größe ist. Im Kirchen-
lied bricht die persönliche Gebetsfrömmigkeit in das gottesdienstliche
Leben der Gemeinde herein und wird zum religiösen Gemeinbesitz von
vielen.
5. Der Inhalt des gottesdienstlichen Gern ein de-
gebe t s.
a) Der zentrale Inhalt des mystischen Gebets ist die ausschließliche
Hinwendung der Seele zum höchsten Gut; den zentralen Inhalt des
prophetischen Gebets bildet die Aussprache der tiefen Not der Seele und
die Bitte um das Heil. Im Mittelpunkt des liturgischen Gebets steht
der Lobpreis der Größe und Macht Gottes und die Dank-
sagung für das von Gott geschenkte Heil (beräkhä, alvog, döt-a,
£v%aQiotia). Das Responsorium , mit dem die synagogale Ge-
meinde beim Achtzehngebet die Worte des Vorbeters aufnimmt, ist ein
Preisruf: „gelobt seist du, Jahwe". Das Responsorium, mit dem nach der
Didache (c 9) die zur eucharistischen Feier versammelte christliche Ge-
meinde ihrem Liturgen antwortet, ist eine Doxologie: „dir sei Ehre in
Ewigkeit!" Der Verfasser der Apostelgeschichte kennzeichnet den
eucharistischen Gebetsgottesdienst der jerusalemischen Urgemeinde
als ein Lobpreisen Gottes (aivovvreg xbv üeov Ap. G. 2 46). Ignatius
von Antiochien nennt die christliche Gebetsversammlung ein „Zu-
sammenkommen zur Danksagung und Lobpreisung" (Eph. 13 x) 73.
Die Häufigkeit der feierlichen Doxologien und Dankformeln in den
paulinischen Briefen 74 ist der deutliche Reflex der hervorragenden
Stellung, welche das Preis- und Dankgebet in der gottesdienstlichen
Versammlung einnahm. Origenes steht unter dem Eindruck der litur-
gischen Gewohnheit der alten Kirche, wenn er in seinem theologischen
Gebetsschema die Lobpreisung und Danksagung als die beiden ersten
xönoi des christlichen Gebets bezeichnet (de or. 33, 1). Ja, es ent-
spricht durchaus der zentralen Stellung des Lobpreises und Dankes im
christlichen Gemeindegebet, wenn die christliche Mysterienfeier schlecht-
hin als Eucharistie, d. h. Danksagung bezeichnet wird 75. Lobpreis und
Dank sind aber nicht nur eine selbständige Gebetsgattung, die im
Gemeindegottesdienst die erste Stelle einnimmt, sondern gehören zur
Einleitung eines jeden Kirchengebets. Jedes gottesdienstliche Bitt-
gebet enthält einen Lobpreis, wenn auch nur in der knappen Form eines
Relativsatzes. Im Gottesdienst der altchristlichen Zeit nehmen Lob-
5. Inhalt (Lobpreis und Dank) 445
preis und Dank einen breiteren Raum ein als in den späteren Liturgien.
Als der Enthusiasmus verflogen und das Heilsbewußtsein ärmer ge-
worden war, trat die Bitte um Heil in den Vordergrund.
Das Lob- und Dankgebet trägt stets einen kontemplativen Charakter :
der Betende vergegenwärtigt sich Gottes Größe und Macht, Heiligkeit
und Güte. Hier berührt sich das gemeinsame Kirchengebet mit dem
Beten des Mystikers, der sich sinnend und schauend in Gottes Unend-
lichkeit versenkt. Gleichwohl besteht ein unverkennbarer Unterschied.
Der Mystiker blickt unverwandten Auges auf Gott als das jenseits
aller Wirklichkeit stehende summum bonum, das in sich vollendete,
ruhende höchste Ideal; die betende jüdische und christliche Gemeinde
betrachtet Gott als den lebendigen, in der Natur und Geschichte wirk-
samen, als den Schaffenden und Herrschenden, Richtenden und Schen^
kenden.
Das jüdische Achtzehngebet hebt an mit den Worten: „Gelobt seist du, Herr,
unser Gott und Gott unserer Väter, Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs,
großer, mächtiger und furchtbarer Gott, allerhöchster Gott, der du spendest
reiche Gnade und schaffest alle Dinge und gedenkest der Gnaden und Verheißungen
der Väter und bringest einen Erlöser ihren Kindeskindern um deines Namens
willen aus Liebe. O König, der du Hilfe und Heil bringest und ein Schild bist.
R. Gelobt seist du, Herr, Schild Abrahams. — Du bist allmächtig in Ewigkeit,
Herr, der du Tote lebendig machest. Du bist mächtig zu helfen, der du Lebende
erhältst aus Gnade, Tote lebendig machst aus viel Erbarmen, Fallende stützest
und Kranke heilest und Gefangene befreiest und dein Wort getreulich hältst
denen, die im Staube schlafen. Wer ist wie du, Herr der Stärke ; und wer gleicht
dir, o König, der du tötest und lebendig machst und sprossen lassest Hilfe und
treu bist, Tote lebendig zu machen. R. Gelobt seist du, Herr, der du lebendig
machest die Toten. — Du bist heilig und dein Name ist heilig und Heilige lob-
preisen dich jeden Tag. R. Gelobt seist du, Herr, heiliger Gott!" 78 Die erste
Benediktion des das jüdische Morgen-Schma umrahmenden Preisgebetes lautet :
,, Gepriesen seist du Jahwe, unser Gott, König der Welt, der das Licht gestaltet
und die Finsternis schafft, der Frieden macht und das All schafft, der Licht bringt
der Erde, der in seiner Güte beständig das Werk der Schöpfung erneuert. Wie
groß sind deine Werke, Jahwe 1 Alles schufest du mit Weisheit, die Erde ist
voll deiner Schöpfung, du König, du Höchster allein, von jeher gepriesen und
verherrlicht und erhaben in ewige Zeit .... Fürsten seiner Scharen, Heilige
erheben den Allmächtigen, beständig kündend Gottes Ehre und Heiligkeit.
Hochgelobt seist du, Jahwe, unser Gott, für das preiswürdige Werk deiner Hände
und für das Licht, das du schufst, sei gerühmt .... Sie alle heben vereint
an und rufen in Furcht: Heilig, heilig, heilig, Jahwe Sebaoth, voll ist alle Welt
seiner Pracht" n.
In einem ähnlichen Gedankenkreis wie das Achtzehngebet bewegt sich das
schlichte Kirchengebet des römischen Bischofs Clemens (ad Cor. 59 »): „Du hast
die Augen unseres Herzens geöffnet, auf daß wir dich erkennen, den Einen, den
Höchsten unter den Höchsten, den Heiligen, der unter den Heiligen ruht; der
du demütigst den Stolz der Hochmütigen, der du zerstörst die Pläne der Heiden,
der du erhöhst die Niedrigen und erniedrisgt die Hohen; der du reich machst
und arm machst, der du tötest, rettest und lebendig machst, du alleiniger Wohl-
täter der Geister, du Gott alles Fleisches, der du schaust bis in die Abgründe,
der du überblickst der Menschen Werke, du Helfer derer, die in Gefahr sind, du
Retter der Hoffnungslosen, du Schöpfer und Schiriner jeder Seele .... Du
hast die ewige Ordnung des Weltalls durch die Engel offenbar gemacht ; du. Herr,
hast die Erde geschaffen, du bist getreu in allen Generationen, gerecht in deinen
Gerichten, wunderbar in deiner Kraft und Pracht, weise im Schaffen und ver-
ständig im Erhalten des Geschaffenen; gütig gegen die Auserwählten und getreu
gegen die, welche auf dich vertrauen, barmherzig und mitleidsvoll."
446 H. Das gottesdienstliche Gemeindegebet
Das gottesdienstliche Gebet ist der lebendige Ausdruck des Heils-
bewußtseins einer religiösen Gemeinschaft. Das Heil aber ist für das
jüdische und christliche Glaubensbewußtsein unlöslich an die Geschichte
geknüpft; bestimmte gottgesetzte geschichtliche Tatsachen sind Motiv
und Stütze alles Glaubens und aller Hoffnung (vgl. o. S. 264). Die
Heilstaten Gottes bilden darum einen wichtigen Gegenstand des litur-
gischen Lob- und Dankgebetes. Die zentrale Heilstatsache ist für den
jüdischen Glauben der Auszug Israels aus Ägypten. Sie wird in den
Rahmengebeten des Schma hervorgehoben.
In der Nachbenedikt ion des Morgen- Schma heißt es: „Aus Ägypten löstest
du uns, Jahwe, unser Gott, aus dem Hause der Knechtschaft befreitest du uns,
all ihre Erstgeburt hast du getötet, doch deinen Erstgeborenen befreit, hast das
Schilfmeer gespalten und die Frevler versenkt, deine Lieben ließest du hindurch-
gehen, doch ihre Feinde wurden bedeckt, nicht einer davon blieb übrig ....
Moses und die Israeliten sangen dir ein Lied mit großer Freude und sie riefen
alle: Wer ist wie du? Geschmückt mit Heiligkeit, furchtbar an Lob, Wunder
vollbringend, mit neuem Liede priesen die Erlösten deinen Namen am Ufer des
Meeres allzumal. Insgesamt dankten sie, huldigten und riefen: Jahwe sei König
für immer und ewig!" 78
Im christlichen Gemeindegebet bildet den vorzüglichsten Gegenstand
des Lobpreises und Dankes das in Christus geschenkte Heil.
In der Einleitung zum ersten Korintherbrief bekennt Paulus im Stil und Tonfall
des liturgischen Gebets: ,,Ich danke Gott allezeit für euch um der Gnade Gottes
willen, die euch geschenkt ist in Christus Jesus" (1, 4). Aus dem Kirchengebet
des römischen Bischofs Clemens spricht das Glücksgefühl der Erlösten, die errettet
aus einer Welt der Dämonen, Kinder des Gottesreichs geworden sind. „Durch
ihn (Christus) hast du uns berufen aus der Finsternis zum Licht, aus der Unwissen-
heit zur Erkenntnis der Herrlichkeit deines Namens .... Du hast die, welche
dich lieben, erwählt aus allen durch Jesus Christus deinen geliebten Sohn, durch
den du uns bast gebildet, geheiligt, geehrt" (1 Clem. 59). Das Eucharistiegebet
der Didache dankt in lapidaren Worten für die Heilsgüter, welche die Gemeinde
von Christus empfangen hat: „Wir danken dir, unser Vater, für das Leben und
die Erkenntnis, welche du uns kundgetan hast durch Jesus, deinen Sohn; dir
sei Ehre in Ewigkeit." „Wir danken dir, beiliger Vater, für deinen heiligen Namen,
den du hast wohnen lassen in unseren Herzen, und für die Erkenntnis und den
Glauben und die Unsterblichkeit, die du uns kundgetan hast durch Jesus deinen
Sohn; dir sei Ehre in Ewigkeit" (9,; 10 2).
Der Lobpreis der Größe und Macht Gottes wie die Danksagung für
das geschenkte Heil erweitert sich im liturgischen Gebet der jüdischen
und altchristlichen Gemeinde zu einer epischen Betrachtung der Schöp-
fungs- und Heilstaten Gottes, zu einem Abriß der gesamten Schöpfungs-
und Heilsgeschichte 79. Das weitläufige Gebet, das Esra nach der
Rückkehr aus dem Exil bei der feierlichen Sanktionierung des Gesetzes
spricht (Neh 9 6 ff.), beginnt mit der Erinnerung an die Weltschöpfung
und durchläuft dann die ganze Geschichte Israels:
„Du, Jahwe, bist's allein; du hast den Himmel geschaffen, den Himmel bis
zu seinen höchsten Höhen mit seinem ganzen Heer, die Erde und alles, was auf
ihr ist, das Meer und alles, was in ihm ist, und du machst sie alle lebendig, und
das Heer des Himmels verneigt sich vor dir. Du bist's, Jahwe, Gott, der du
Abram erwählt und aus Ur in Chaldäa weggeführt und ihm den Namen Abraham
gegeben hast. Und da du sein Herz treu gegen dich erfandest, so gabst du ihm
die feierliche Zusicherung, daß du das Land der Kanaaniter, Hethiter, Pheresiter,
Jebusiter und Girgasiter — daß du es seinen Nachkommen verleihen wollest.
Und du hast deine Zusage erfüllt, denn du bist gerecht. Und als du das Elend
unserer Väter in Ägypten wahrnahmst und ihr Geschrei am Schilfmeer hörtest.
5. Inhalt (Lobpreis und Dank) 447
da tatest du Wunder und Zeichen am Pharao und an allen seinen Dienern und
an allen Bewohnern seines Landes; denn du hattest bemerkt, daß sie übermütig
gegen sie gehandelt hatten. Und so machtest du dir einen Namen bis auf den
heutigen Tag. Und das Meer zerteiltest du vor ihnen, so daß sie mitten durch
das Meer auf dem Trockenen hindurchzogen; aber ihre Verfolger schleudertest
du in die Tiefen wie Steine in gewaltige Gewässer. Und in der Wolkensäule führtest
du sie bei Tage und in der Feuersäule bei Nacht, um ihnen den Weg zu erleuchten,
auf dem sie ziehen sollten. Und auf den Berg Sinai stiegst du hinab und, indem
du mit ihnen vom Himmel redetest, gabst du ihnen billige Rechtsforderungen
und wahrhaftige Gesetze und gute Satzungen und Gebote. Und deinen heiligen
Sabbat hast du ihnen kundgetan und ihnen Gebote, Satzungen und Gesetz durch
deinen Knecht Mose anbefohlen. Und du gabst ihnen Brot vom Himmel für
ihren Hunger und ließest ihnen Wasser aus dem Felsen hervorquellen für ihren
Durst. Und du befahlst ihnen hineinzuziehen um das Land in Besitz zu nehmen,
dessen Verleihung du ihnen mit erhobener Hand gelobt hast." ... So schreitet
dieses heilsgeschichtliche Preisgebet fort durch die ganze bewegte Geschichte
des auserwählten Volkes und betrachtet all die wunderbaren Führungen und
heilsamen Strafheimsuchungen Israels durch Jahwe.
Die altchristliche Gemeinde übernahm diese Gebetsweise, die dank-
bare Vergegenwärtigung der wunderbaren Heilstaten Gottes, vom
Judentum. Das heilsgeschichtliche Epos von der Weltschöpfung und
der wunderbaren Rettung und Führung des Gottesvolkes wurde auch
im christlichen Eucharistiegottesdienste gesungen. Die christliche
Gemeinde brachte dieses „hohe Lied der göttlichen Allmacht und Allgüte
zum krönenden Abschluß, indem sie seine Erzählung fortführend, von
der Menschwerdung des eingeborenen Gottessohnes und dem Erlösungs-
werk, das er im Fleische vollbrachte, berichtete" (Baumstark) 80. Sie
vertiefte die Betrachtung der alttestamentlichen Heilstaten Gottes,
indem sie diese ins Licht der Erlösungstat Christi rückte; bestimmte
Fakta der jüdischen Geschichte traten im Lichte des neutestamentlichen
Heilsglaubens zurück, andere schärfer hervor. Der Nachhall dieser
Gebetsweise ist in der ganzen altchristlichen Literatur des 2. bis 4. Jahr-
hunderts im Osten und Westen wahrnehmbar 81. In unmittelbarer
Lebendigkeit tritt sie uns in der Idealliturgie des 8. Buchs der aposto-
lischen Konstitutionen entgegen.
Nach der bekannten Antiphonie von Bischof und Volk, welche in allen Liturgien
die Einleitung zum eucharistischen Hochgebet bildet, betet der ,Hohepriester' :
..Fürwahr würdig und recht ist es vor allem dich zu preisen, den wahrhaft seienden
Gott, den vor allem Gezeugten Existierenden, von dem alle Vaterschaft im Himmel
und auf Erden ihren Namen hat, den allein Ungezeugten und Anfanglosen, der
keinem König und Gewalthaber Untertan ist, der nichts bedarf, den Geber alles
Guten, der größer ist als alle Ursache und aller Ursprung, der immer einer und
derselbe bleibt; aus dem das All wie aus gewissen Schranken heraus ins Sein trat.
Du bist ja die anfangslose Erkenntnis, das unsichtbare Schauen, das ungezeugte
Hören, die ungelernte Weisheit, der erste der Natur nach, der Einzige dem Sein
nach, größer als jede Zahl, du hast alles aus dem Nichtsein ins Sein geführt durch
deinen eingeborenen Sohn, ihn aber vor allen Äonen gezeugt durch deinen Willen,
deine Kraft und deine Güte, ohne jede Vermittlung, den eingeborenen Sohn,
den Logos-Gott, die lebendige Weisheit, den Erstgeborenen jeglichen Geschöpfs,
den Engel deines großen Rates, deinen Hohenpriester, den König und Herrn
aller geistigen und sinnlichen Natur, der vor allem ist, durch den alles ist. Denn
du, o ewiger Gott, hast durch ihn das All gemacht, durch ihn würdigst du alle»
der geziemenden Vorsehung; durch ihn hast du also das Sein gewährt, durch
ihn auch das Gut-Sein geschenkt.
O Gott und Vater deines eingeborenen Sohnes, der du durch ihn vor allen
Dingen die Cherubim und die Seraphim, Äonen und Heerscharen, Kräfte und
448 H. Das gottesdienstliehe Gemeindegebet
Gewalten, Herrschaften und Throne, Erzengel und Engel gemacht hast und hierauf
die sichtbare Welt und alles, was in ihr ist, geschaffen hast. Du bist es ja, der
den Himmel wie ein Gewölbe aufgestellt und wie ein Fell ausgebreitet hat und
die Erde auf das Nichts gegründet durch deinen bloßen Gedanken; du hast das
Himmelsgewölbe befestigt und Tag und Nacht eingerichtet; du hast das Licht
herausgeführt aus den Schatzkammern und durch dessen Zurücknahme die
Finsternis herbeigeführt zur Ruhe der lebendigen Wesen, die sich in der Welt
bewegen; du hast die Sonne am Himmel bestimmt zur Herrschaft über den Tag
und den Mond zur Herrschaft über die Nacht und den Chor der Sterne am Himmel
eingezeichnet zum Lobe deiner Herrlichkeit; du hast das Wasser geschaffen
zum Trank und zur Reinigung, die belebende Luft zur Einatmung und zur Fort-
pflanzung des Schalls durch die Zunge, welche die Luft und das von dieser mit-
bewirkte Gehör trifft, so daß dieses die ihm zufallende Rede aufnimmt und ver-
steht; du hast das Feuer erschaffen zur Linderung der Finsternis, zur Befriedigung
des Bedürfnisses und damit wir von ihm erwärmt und erleuchtet werden, hast
das große Meer vom Festlande geschieden und das eine schiffbar, das andere
«ur Grundlage unserer Füße gemacht, das eine mit kleinen und großen Lebe-
wesen, das andere mit zahmen und wilden erfüllt, mit mannigfachen Gewächsen
bekränzt, mit Pflanzen gekrönt, mit Blumen geschmückt, mit Saaten bereichert;
du hast den Abgrund gebaut und um ihn herum einen großen Wall aufgeworfen,
die gehäuften Fluten der Salzwasser, und ihn umschlossen von den Toien des
feinsten Sandes; du bist es, der das Meer bald auftürmt zur Höhe der Berge,
bald ausbreitet zu einer Ebene, der es bald aufwühlt im Sturme, bald besärftigt
durch Stille, damit es den seefahrenden Schiffern fügsam zur Fahrt sei; du hast
die "von dir durch Christus geschaffene Welt mit Flüssen durchschnitten, mit
Strömen überschwemmt, mit immerfließenden Quellen getränkt und mit Bergen
zum unerschütterlichen und f eisen haften Sitz der Erde umschnüit; du hast auch
deine Welt erfüllt und sie ausgestattet mit wohlriechenden und heilkräftigen
Kräutern, mit vielen und verschiedenartigen Tieren, mit starken und schwachen,
eßbaren und arbeitsamen, zahmen und wilden, mit dem Gezisch der Kriechtiere
und dem Gezwitscher mannigfacher Vögel; mit den Zyklen der Jahre, den Zahlen
der Monate und Tage, den Reihen der Sonnenwenden, den Läufen der legen-
zeugenden Wolken zum Wachstum der Früchte und zur Erhaltung der Lebe-
wesen, zum Stande der Winde, die wehen, wenn du ihnen befiehlst, zur Fülle
der Gewächse und Pflanzen.
Aber nicht bloß die Welt hast du erschaffen, sondern auch den Weltbürger,
•den Menschen hast du auf ihr gebildet und ihn zum xöopog des xöofiog ge-
macht; du sprachst ja in deiner Weisheit: »Lasset uns den Menschen machen
nach unserem Bild und Gleichnisse und er soll herrschen über die Fische des
Meeres und die Vögel des Himmels'. Deshalb hast du ihn aus einer unsterblichen
Seele und einem auflöslichen Leibe geschaffen, jene aus dem Nichtseienden,
diesen aus den vier Elementen. Und du hast ihm der Seele nach die vernünftige
Erkenntnis, die Unterscheidung der Frömmigkeit und Gottseligkeit und die
Beobachtung des Gerechten und Ungerechten gegeben; dem Leibe nach hast du
ihm die fünffache Sinnesfähigkeit und die fortschreitende Bewegungskraft
geschenkt. Du hast auch, allmächtiger Gott, durch Christus das Paradies in
Eden mit der Richtung nach Osten gepflanzt, es mit allen Arten eßbarer Gewächse
ausgestattet und ihn in dasselbe wie in ein prächtiges Haus eingeführt; und bei
der Schöpfung hast du ihm auch ein angeborenes Gesetz gegeben, damit er von
Hause aus und von selbst die Anlage zur Gotteserkenntnis besitze. Nachdem
du ihn in das Paradies der Wonne eingeführt hattest, gabst du ihm die Macht
zur Teilnahme an allen Dingen, nur den Genuß eines Dinges versagtest du
ihm auf die Hoffnung von Besserem hin, auf daß er, wenn er das Gebot hielt,
als Lohn hierfür die Unsterblichkeit sich erwerbe. Als er aber durch den Trug
der Schlange und den Rat des Weibes das Gebot mißachtet und von der ver^
botenen Frucht gekostet hatte, verstießest du ihn mit Recht aus dem Paradiese,
in deiner Güte aber hast du den gänzlich Verlorei en nicht verachtet — er war
ja doch dein Geschöpf; nachdem du ihm die Kreatur unterworfen hattest, ge-
stattetest du ihm durch eigenen Schweiß und eigene Mühe sich den Unterhalt
au verschaffen, während du alles pflanztest und wachsen und reifen ließest; nur
5. Inhalt (Lobpreis und Dank) 449
kurze Zeit ließest du ihn schlafen, dann beriefst du ihn mit einem Eide zur Wieder-
geburt, löstest den Todesbann und verhießest Leben aus der Auferstehung.
Aber nicht nur dieses, nein auch von seinen Nachkommen, die du zu einer un-
zählbaren Menge anwachsen ließest, hast du jene, die dir anhingen, verherrlicht,
die aber von dir abtrünnig wurden, hast du gezüchtigt. Das Opfer des Abel
nahmst du auf, weil er fromm war, vom Opfer des Brudermörders Kain hingegen
wandtest du dich ab, weil er verabscheuungswürdig war; ferner nahmst du den
Seth und Enos auf, den Henoch führtest du hinweg. Denn du bist der Bildner
der Menschen, der Spender des Lebens, der Erfüller des Bedürfnisses, der Geber
der Gesetze, der Vergelter derer, die sie befolgen und der Rächer derer, die sie
übertreten; du bist es, der die große Flut über die Welt gebracht hat wegen der
Menge der Frevler und den gerechten Noe aus der Flut in die Arche gerettet hat
samt acht Seelen, dem Reste der Vergangenen, dem Anfang der Künftigen ; du
bist es, der das schreckliche Feuer über die sodomitischen Fünfstätte hat ausströmen
lassen und fruchtbares Land zu einer Salzflut gemacht hat wegen der Schlechtig-
keit seiner Bewohner und den heiligen Lot dem Feuerbrande entrissen hat; du
bist es, der den Abraham aus der Gottlosigkeit seiner Vorfahren befreit und zum
Erben der Welt aufgestellt und ihm deinen Christus geoffenbart; der den
Melchisedek zum Hohenpriester deines Kults bestimmt; der deinen Diener, den
Vieldulder Job zum Sieger über die erzböse Schlange gemacht; der den Isaak
zum Sohn der Verheißung gemacht; der den Jakob zum Vater von zwölf Söhnen
gemacht und seine Nachkommen zur Menge vermehrt und in der Zahl von
77 Seelen nach Ägypten geführt; du, Herr, hast den Joseph nicht gering geachtet,
sondern ihm als Lohn für die durch dich bewahrte Keuschheit die Herrschaft
über die Ägypter verliehen; du, Herr, hast die \on den Ägyptern geknechteten
Hebräer nicht gering geachtet, und zwar wegen der ihren Vätern gegebenen Ver-
heißungen, sondern hast sie befreit und die Ägypter gezüchtigt. Als aber die
Menschen das natürliche Gesetz verderbt hatten und das Geschöpf bald für selb-
ständig hielten, bald über Gebühr schätzten und dir, dem Gotte des Alls, gleich-
stellten, hast du sie nicht im Irrtum gelassen, sondern deinen heiligen Diener
Moses erweckt, durch ihn zur Unterstützung de3 natürlichen Gesetzes das ge-
schriebene Gesetz gegeben und gezeigt, daß das Geschöpf dein Werk sei, und so
die Verirrung der Vielgötterei ausgerottet; den Aaron und seine Nachkommen
hast du durch die priesterliche Würde ausgezeichnet, die sündigenden Hebräer
gezüchtigt, die bußfertigen wieder aufgenommen. An den Ägyptern hast du
durch die zehn Plagen Rache genommen, das Meer teilend hast du Israeliten
hindurchgeführt, die verfolgenden Ägypter durch Ertrinken vernichtet, mit Holz
hast du bitteres Wasser versüßt, aus hartem Felsen Wasser sprudeln lassen, aus
dem Himmel das Manna regnen lassen, Wachteln aus der Luft zur Nahrung ge-
schenkt, eine Feuersäule nachts zur Beleuchtung, eine Nebelsäule während des
Tages zur Beschattung der Hitze aufgerichtet, den Josue hast du als Führer
bestellt, die sieben Völker der Kanaanäer durch ihn vertilgt, den Jordan aus-
einandergerissen, die Flüsse Ethans ausgetrocknet, die Mauern ohne Maschinen
und ohne menschliche Hand gestürzt. Für das alles sei dir Ehre, allmächtiger
Herrscher.
Dich beten an unzählige Scharen von Engeln, Erzengeln, Thronen, Herr-
schaften, Mächten, Gewalten, Kräften, Heeren, Äonen, die Cherubim und sechs-
flügeligen Seraphim; mit zwei Flügeln bedecken sie die Füße, mit zwei das Haupt,
mit zwei fliegen sie und rufen mit tausend Tausenden von Erzengeln und zehn-
tausend Zehntausenden von Engeln unablässig und ohne zu verstummen (und
das ganze Volk spreche zusammen): Heilig, heilig, heilig sei der Herr Gott Sabaoth,
voll sind Himmel und Erde seiner Herrlichkeit; gelobt sei er in alle Ewigkeit 1"
Die Unterbrechung des bischöflichen Preisgebets durch das Trisagion deutet
den denkwürdigen Einschnitt zwischen dem Alten und Neuen Bunde an. Nachdem
der Abschluß der vorbereitenden alttestamentlichen Heilsgeschichte auch äußerlich
gekennzeichnet ist, beginnt die Betrachtung der zentralen christlichen Heils-
tatsachen, die unmittelbar zum eucharistischen Konsekrationsakte überleitet.
,,Denn fürwahr heilig bist du und allheilig, der Höchste und Überhöchste in
Ewigkeit; heilig ist auch dein eingeborener Sohn, unser Herr und Gott, Jesus
der Christus, welcher in allem dir, seinem Gott und Vater diente — im Hinblick
Da« Gebot 29
450 H. Das gottesdienstliche Gemeindegebet
auf die verschiedenartige Schöpfung und die zweckmäßige Vorsehung — und
der das verlorene Geschlecht der Menschen nicht verachtete, nein, vielmehr nach
dem natürlichen Gesetz, nach der gesetzlichen Unterweisung, nach den Straf-
reden der Propheten und den (wunderbaren) Führungen der Engel — mit dem
geschriebenen Gesetz hatten die Menschen das natürliche verletzt und vergessen
die Flut, den Brand von Sodoma, die über die Ägypter verhängten Plagen, die
Blutbäder unter den Paläst inern und waren nahe daran, insgesamt zugrunde
zu gehen — da beschloß deinem Ratschlüsse gemäß er selbst, der Schöpfer der
Menschen, Mensch zu werden, der Gesetzgeber wollte zum Diener des Gesetzes,
der Hohepriester zum Opfer, der Hirt zum Schafe werden; und er hat dich, seinen
Gott und Vater, besänftigt und mit der Welt versöhnt und alle von dem über
ihnen lastenden Zorne befreit, indem er geboren wurde aus einer Jungfrau, ge-
boren im Fleische, er, der Gott-Logos, der geliebte Sohn, der Erstgeborene aller
Geschöpfe, nach den von ihm selbst über sich gegebenen Weissagungen, aus
dem Samen Davids und Abrahams, aus dem Stamme Juda; und im Schoßt
einer Jungfrau ist der geworden, der alle bildet, welche geschaffen werden, und
der Fleischlose wurde Fleisch, der außer der Zeit Gezeugte wurde in der Zeit
geboren. Heilig hat er gelebt und rechtmäßig gelehrt, jede Krankheit und jede
Schwäche hat er aus den Menschen vertrieben, Zeichen und Wunder hat er unter
dem Volke getan, an Speise, Trank und Schlaf hat er teilgenommen, er, der alle,
die der Nahrung bedürfen, nährt und jedes Lebewesen mit Segen erfüllt; deinen
Namen hat er denen geoffenbart, die ihn nicht kannten, die Unwissenheit ver-
scheucht, die Frömmigkeit entflammt, deinen Willen erfüllt, das Werk, das du
ihm aufgetragen, vollendet. Nachdem er das alles ausgeführt, wurde er durch
den Verrat des an Bosheit Erkrankten von den Händen ungerechter Priester,
falscher Hoherpriester und eines gesetzlosen Volkes ergriffen, erduldete vieles
von ihnen und ertrug jeden Schimpf nach deiner Zulassung; dem Landpfleger
Pilatus überliefert, wurde er, der Richter, gerichtet und er, der Retter, verurteilt,
der Leidensunfähige wurde ans Kreuz genagelt und es starb der seiner Natur
nach Unsterbliche, der Lebendigmacher wurde bestattet, auf daß er die vom
Leiden erlöse und dem Tode entreiße, um derentwillen er gekommen war, und
zersprenge die Fesseln des Teufels und errette die Menschen von seinem Blend-
werk; und er ist auferstanden von den Toten am dritten Tage und nachdem
er vierzig Tage mit seinen Jüngern zusammengelebt, wurde er emporgehoben in
den Himmel und zu deiner, seines Gottes und Vaters Rechten gesetzt. Eingedenk
nun dessen, was er um unseretwillen erduldete, danken wir dir, allmächtiger
Gott, nicht soviel wir schulden, sondern soviel wir vermögen." Nun folgt als
erster Teil der eigentlichen Mysterienhandlung der biblische Abendmahlsbericht
mit den Herrenworten. Ihm schließt sich an ein nochmaliges kurzes Gedenken
der Heilstat Christi und ein Ausblick in die Zukunft: „So gedenken wir denn
seines Leidens und Sterbens und seiner Auferstehung von den Toten und seiner
Auffahrt in den Himmel und seiner bevorstehenden zweiten Ankunft, in der er
kommt mit Herrlichkeit und Macht, zu richten die Lebendigen und die Toten und
zu vergelten einem jeden nach seinen Werken" 82.
So umspannt das eucharistische Hochgebet der alten Kirche in ge-
schichtsphilosophischer Systematik das ganze Weltendrama; es geht
aus von der Seinsfülle des ewigen Gottes und von der Zeugung des Logos
vor aller Zeit und betrachtet dann die ganze Schöpfungs- und Heils-
geschichte: die Erschaffung der Engel, der Welt, der Lebewesen, des
Menschen, den glücklichen Urzustand des Adam, seinen Fall und seine
Vertreibung aus dem Paradies, Gottes Erbarmen mit dem gefallenen
Menschen, seine strafende und lohnende Gerechtigkeit in der Geschichte,
seine Gesetzgebung durch Moses, seine wunderbare Lenkung des aus-
erwählten Volkes, die Menschwerdung des Gottessohnes aus einer Jung-
frau, sein Lehren und Heilwirken, sein Leiden und Sterben, seine Auf-
erstehung und Himmelfahrt, seine Wiederkunft. In seiner umfassenden
Einheitsschau ist das altkirchliche Präfationsgebet die „großartigste
5. Inhalt (Lobpreis und Dank) 451
Schöpfung christlicher Liturgie"; „Predigt und Gebet, Erzählung und
Hymnus zugleich, entrollt es das Bild des Weltgeschehens vom ersten
Tage der Schöpfimg bis zum letzten Tage des Gerichts" (Baumstark) 83.
Seit dem 4. Jahrhundert verflüchtigt sich in den Liturgien der Ost-
und Westkirche die altkirchliche Epik des eucharistischen Dankgebets 84 ;
in der römischen Messe ist sie vollständig verwischt. Die abendländische
Kirche nimmt in ihren liturgischen Gebeten steten Bezug auf die Feste
des Kirchenjahres, welche den einzelnen Akten des großen heilsgeschicht-
lichen Dramas entsprechen. Die Präfation der abendländischen Meß-
liturgien umfaßt nicht, wie das altkirchliche Dankgebet, die ganze
Schöpfungs- und Heilsgeschichte, sondern ein einzelnes Heilsfaktum,
jenes spezielle Erlösungsgeheimnis, das sich die Kirche an einem be-
stimmten Feste ins Gedächtnis ruft: die Menschwerdung des Gottes-
sohnes, seinen Erlösungstod, seine Auferstehung, Himmelfahrt, Geist-
sendung. (Manche evangelische Agenden haben in der Abendmahls-
liturgie die Präfationen des Missale Romanuni beibehalten.)
Weihnachten (nach dem gotischen Missale): „Wahrlich würdig und
recht, billig und heilsam ist es. daß wir dir Dank sagen, heiliger Gott, allmächtiger
Vater, ewiger Gott; denn heute hat unser Herr Jesus Christus sich gewürdigt
die Welt heimzusuchen. Er ging hervor aus dem Heiligtum eines jungfräulichen
Leibes und stieg mildiglich herab vom Himmel. Die Engel sangen: Ehre sei Gott in
der Höhe! als die Menschheit des Erlösers erstrahlte; die ganze Engelschar jauchzte,
weil die Erde den ewigen König aufnahm. Die selige Maria wurde zum kostbaren
Tempel, der den Herrn der Herren trug. Sie zeugte um unserer Sünden willen
das herrliche Leben, auf daß der bittere Tod verscheucht werde. Jener Schoß,
der keine menschliche Befleckung kannte, war würdig, Gott zu tragen. In der
Welt wurde geboren, der immer gelebt hat und lebt, Jesus Christus, dein Sohn,
unser Herr. Durch ihn loben deine Majestät die Engel usw.
Passionszeit (Missale Romanum): „Wahrhaft würdig und recht, billig
und heilsam ist es. daß wir dir immer und überall Dank sagen, heiliger Herr,
allmächtiger Vater, ewiger Gott; der du das Heil des Menschengeschlechts ans
Holz des Kreuzes geheftet hast, auf daß von dorther, wo der Tod entsprang,
das Leben sich erhebe, und daß der, welcher am Kreuze siegte, auch am Kreuze
besiegt werde: durch Christus, unseren Herrn; durch ihn loben deine Majestät
die Engel" usw.
Ostern (ebenda): ., Wahrhaft würdig und recht, billig und heilsam ist es,
dich, o Herr, allezeit zu preisen; aber an diesem Tage gilt es, euch noch glor-
würdiger zu verherrlichen, da unser Pascha geopfert ist, Christus. Er ist ja das
wahre Lamm, das die Sünden der Welt hinwegtrug, der unseren Tod durch sein
Sterben zerstörte und unser Leben durch sein Auferstehen erneuerte. Darum
singen wir mit den Engeln und Erzengeln, mit den Thronen und Mächten und
mit dem ganzen Himmelsheer den Hymnus deines Ruhms und rufen ohneEnde"usw.
Pfingsten (ebenda): „Wahrhaft würdig und recht, billig und heilsam ist
<-s, daß wir dir immer und allezeit Dank sagen, heiliger Herr, allmächtiger Vater,
ewiger Gott, durch Christus, unseren Herrn; der emporstieg über alle Bimmel
und sitzend zu deiner Rechten den verheißenen heiligen Geist auf die an Kindes
Statt angenommenen Menschen ausgoß. Darum frohlockt in allgemeiner Freude'
die ganze Menschheit auf dem Erdkreis; aber auch die oberen Kräfte und eng-
lischen Mächte singen ein Preislied deines Ruhmes und rufen ohne Ende" usw.
Im Präfationsgebet der lutherischen Kirchen bildet den Gegenstand
des Dankes der Gnadentrost, die Sünden Vergebung und die Seligkeit
um Christi willen. Zu dem objektiven, historischen Heilsfaktum tritt
hier ein subjektives Moment: das innere Gnadenerlebnis, das in jenem
seine Stütze hat. Die Heilstatsache selbst wird nicht in ein äußeres
452 H. Das gottesdienstliche Gemeindegebet
Geschichtsereignis oder einen Zusammenhang von solchen verlegt,
sondern in die eine geschichtliche Persönlichkeit, in der aller Heilsglaube
seinen Grund hat.
„Recht ist es und wahrhaft würdig und heilbringend, dir, Allmächtiger, Dank
zu sagen zu allen Zeiten und an allen Orten, durch Jesum Christum unseren
Herrn, um dessentwillen du uns verschont hast, uns unsere Sünden vergibst und
die ewige Seligkeit verheißest; und mit allen Engeln und Erzengeln und dem ganzen
Heere der himmlischen Heerscharen singen wir deiner unendlichen Herrlichkeit
einen Lobgesang" (Preußische Agende). ,,Ja, wahrhaft geziemend, recht und
selig ist es. daß wir allezeit und allerorten dir danken und dich loben, allmächtiger
Vater, heiliger Gott, durch Jesus Christus, unseren Herrn, den du um unserer
Sünden willen hast hingegeben und sterben lassen für uns, die wir todeswürdig
waren, auf daß wir leben möchten durch ihn. Und damit wir nicht vergessen
mögen diese seine unsagbare Wohltat, hat er sein heiliges Nachtmahl gestiftet"
(Schwedische Hochmesse).
Das gottesdienstliche Dankgebet, der unmittelbare Ausdruck des
lebendigen Heilsbewußtseins, ist stets eine Vergegenwärtigung der Heils-
geschichte. Mag es sich auf die ganze Kette göttlicher Heilstaten be-
ziehen, wie in der altjüdischen und altkirchlichen Liturgie, oder auf ein
einzelnes Heilsfaktum, wie in der abendländischen Messe, oder auf eine
einzigartige heilsgeschichtliche Persönlichkeit, wie in den evangelischen
Agenden — immer ist es etwas Geschichtlich-Tatsächliches, das den
Gegenstand des Lobpreises und Dankes bildet. Der geschichtliche
Charakter der jüdischen und christlichen Frömmigkeit tritt nirgends
so greifbar entgegen wie im gottesdienstlichen Gebet; alles Heil ist in
der Geschichte verwurzelt.
b) Lobpreis und Danksagung bilden den ersten Teil des gottesdienst-
lichen Gebets; ihm folgt nach dem Schema des Origenes (de or. 33, 1)
die i$-o(ioXöyt]Gig, das Bekenntnis der Sündhaftigkeit,
verbunden mit der Bitte um Sündenvergebung und um
Tilgung der sündigen Neigung.
Dem großen heilsgeschichtlichen Preisgebet des Esra schließt sich ein Sünden-
bekenntnis an: „Du hast Treue geübt, wir aber haben gefrevelt. Und unsere
Könige, unsere Obersten, unsere Priester und unsere Väter haben dein Gesetz
nicht gehalten und haben nicht auf deine Gebote geachtet, noch auf deine Mah-
nungen, mit denen du sie verwarnt hast" (Neh 9 3S f.). In dem Gebet des Daniel
um den Wiederaufbau des Tempels spiegelt sich das liturgische Bußgebet der
nachexilischen Gemeinde wider: ,,0 Herr, du großer, furchtbarer Gott! . . .
Wir haben gesündigt und unrecht getan, wir sind gottlos gewesen und haben
uns aufgelehnt und sind von deinen Geboten und Ordnungen abgewichen. Auch
haben wir nicht auf deine Knechte, die Propheten gehört, die in deinem Namen
zu unseren Königen, Oberen und Vätern und zu allen Leuten im Lande geredet
haben . . . . O Herr, wir, unsere Könige, unsere Oberer und Väter müssen
uns schämen, weil wir gegen dich gesündigt haben. Aber bei dem He^rn, unserm
Gott, ist Barmherzigkeit und Vergebung ... O Herr, gib doch gemäß deiner
Barmherzigkeit, die du immer bewiesen hast, daß dein Zorn und Grimm von
deiner Stadt Jerusalem, von deinem heiligen Berge ablasse! ... O Herr, höie!
Herr, verzeihe!" (Dan 9 4 ff.).
Das Sündengefühl, das sich im Bußgebet der christlichen Gemeinde
ausspricht, ist gegenüber dem jüdischen reiner und persönlicher. Das
jüdische Schuldbewußtsein ist überpersönlich; der Einzelne fühlt sich
für die Sünden des Volkes und der Vorväter verantwortlich. Das christ-
liche Sündenbewußtsein ist persönlich, der Einzelne fühlt sich selbst
5. Inhalt ( Sündenbekenntnis und Vergebungsbitte) 453
sündig, obgleich seine Neigung zum Bösen in einer menschlichen Ur-
schuld verwurzelt ist. Das jüdische Schuldbewußtsein zeigt einen stark
eudämonistischen Einschlag; das jüdische Volk fühlt sich schuldig um
des furchtboren nationalen Unglücks, um der großen Strafheimsuchung
Gottes willen. Das christliche Sündenbewußtsein ist rein ethisch ; der
Christ erlebt seinen unendlichen Abstand von dem gottgewollten sitt-
lichen Ideal. Die christliche Gemeinde weiß sich zwar des in Christus
geschenkten Heils sicher, aber sie fühlt ihre fortdauernde Schwäche und
Sündigkeit; sie muß darum ihren sittlichen Unwert immer wieder be-
kennen und um Sündennachlaß und neue sittliche Kraft flehen.
Das Kirchengebet des Bischofs Clemens (1 Clem 60) enthält die Worte: ,, Vergib
uns unsere Ungesetzlichkeiten und Ungerechtigkeiten, unsere Vergehen und
Fehltritte. Rechne nicht alle Schuld deiner Diener und Dienerinnen an, sondern
reinige uns durch die Reinigung deiner Wahrheit und lenke unsere Schritte auf
dem Pfade der Heiligkeit." Die liturgische Gebetssammlung des Bischofs Serapion
enthält folgendes Sündenbekenntnis: „Wir bekennen vor dir, o gütiger Gott,
fußfällig unsere Schwachheiten und rufen deine Kraft zu Hilfe. Verzeih uns die
früheren Sünden und lasse nach alle vergangenen Irrungen und mach uns zu
neuen Menschen. Mach uns zu heiligen und reinen Dienern. Dir übergeben
wir uns, nimm uns auf, o Gott der Wahrheit, nimm dies Volk auf und laß es ganz
heilig werden; gib, daß es untadelig und rein wandle. Mögen sie für den Himmel
geeignet, zu den Engeln gezählt werden; mögen sie alle Auserwählte und Heilige
werden!" 85.
Sünde und Gnade sind der Angelpunkt der von der paulinischen
Heilserfahrung bestimmten reformatorischen Frömmigkeit. Diese
schlägt im Sündenbekenntnis und in der Vergebimgsbitte bisweilen
noch innigere Klänge an wie die alte Kirche.
Der Sonntagsgottesdienst beginnt nach den meisten reformierten Agenden
mit dem Bußgebet ökolampads: „Himmlischer Vater, ewiger und barmherziger
Gott, wir erkennen und bekennen vor deiner göttlichen Majestät, daß wir arme,
elende Sünder sind, empfangen und geboren in der Verderbnis, geneigt zu allem
Bösen, untüchtig ohne dich zum Guten, und daß wir deine heiligen Gebote täglich
und mannigfaltig übertreten, dadurch wir deinen Zorn wider uns reizen und
nach deinem gerechten Urteil auf uns laden den Tod und das Verderben. Aber,
o Herr, wir tragen Reu' und Leid, daß wir dich erzürnet haben, und verklagen
uns und unsre Sünden und begehren, daß deine Gnade zu Hilfe komme unserm
Elend und Jammer. Wollest dich derhalben über uns erbarmen, o allgütigster
Cott und Vater, und uns verzeihen alle unsere Sünden durch das heilige Leiden
deines lieben Sohnes, unseres Herrn Jesu Christi 1 Vergib uns unsere Sünden
und verleih und mehre in uns täglich die Gaben deines heiligen Geistes, daß wir
unsere Ungerechtigkeit von ganzem Herzen erkennen und einen aufrichtigen
Schmerz in uns empfinden, der die Sünde in uns zerstöre, und Früchte bringe
der Unschuld und Gerechtigkeit, die dir angenehm seien um Jesu willen l"88
Das Einleitungsgebet der schwedischen Hochmesse bildet folgendes Bußgebet:
,,Ich armer, sündiger Mensch, der ich mit Sünde geboren, auch später in allen
meinen Lebenstagen auf mannigfache Weise gegen dich verstoßen habe, bekenne
von ganzem Herzen vor dir, heiliger und gerechter Gott, liebreicher Vater, daß
ich dich nicht über alles geliebt habe, auch nicht meinen Nächsten wie mich selbst.
Gegen dich und deine heiligen Gebote habe ich gesündigt mit Gedanken, Worten
und Werken und weiß, daß ich darum der ewigen Verdammnis wert bin, wenn
du mich lichten wolltest, wie es deine Gerechtigkeit verlangt und meine Sünden
verdient haben. Aber nun hast du, lieber himmlischer Vater, verheißen, mit
Milde und Gnade alle bußfertigen Sünder zu umfassen, die sich an dich wenden
und mit lebendigem Glauben zu deiner väterlichen Barmherzigkeit und zu des
Erlösers Jesu Christi Verdienst ihre Zuflucht nehmen. Mit ihm willst du über-
sehen, was sie gegen dich verbrochen haben und ihnen nicht mehr ihre Sünden
454 H. Das pottesdienstliche Gemeindegebet
anrechnen. Darauf verlasse ich mich, armer Sünder, und bitte dich tröstlich,
daß du nach dieser deiner Verheißung dich würdigest, dich meiner zu erbarmen,
mir gnädig zu sein und mir alle meine Sünden zu verzeihen, deinem heiligen
Namen zum Preis und zur Ehre." (Ohms Petri).
Die rücksichtslose Selbstverurteilung und Selbstentwertung klingt
hier in der unerschütterlichen frohen Zuversicht auf Gottes Vergebungs-
gnade aus.
c) Das Sündenbekenntnis mit der ihm folgenden Vergebungsbitte leitet
über zur eigentlichen Bitte (tfifilla, ttqooevxtj). Das Einteilungs-
schema des Origenes reiht an die Exomologese ,,die Bitte um die
großen imd himmlischen Anliegen, die individuellen wie universellen"
(de or. 33, 1). Das große Sehnsuchtsziel der jüdischen und urchristlichen
Frömmigkeit ist die volle Verwirklichung der Gottesherrschaft; das
Kommen des Gottesreichs ist darum im gottesdienstlichen Gebet der
Synagoge und der altchristlichen Kirche der wichtigste Gegenstand
der Bitte. Die jüdische Reichgotteshoffnung trägt eine politisch-
nationale Farbe; was die jüdische Gemeinde ersehnt, ist Erlösung vom
Drucke der Fremdherrschaft, Erneuerung des glanzvollen davidischen
Königtums, Niederwerfung der Feinde Israels, seiner gegenwärtigen
Bedrücker.
Im Schmone 'Esre fleht die jüdische Synagoge: ., Schaue unser Elend und
führe unsere Sache und erlöse uns um deines Namens willen, denn ein starker
Erlöser bist du. Verkündige mit großer Posaune unsere Befreiung und erhebe
ein Panier, um zu sammeln unsere Zerstreuten und versammle sie von den vier
Enden der Erde .... Setze wieder ein unsere Richter wie vormals und unsere
Räte wie am Anfang; und nimm von uns Kummer und Seufzen; und herrsche
über uns, du Herr, allein, in Gnade und Erbarmen; und rechtfertige uns im Ge-
richt .... Und den Verleumdern sei keine Hofffnung; und alle, die Böses tun,
mögen schnell zugrunde gehen, und sie alle baldigst ausgerottet werden; und
lähme und zerschmettere und stürze sie und beuge die Übermütigen bald in Eile,
in unseren Tagen .... Und nach Jerusalem, deiner Stadt, kehre zurück in
Erbarmen; und wohne in ihrer Mitte, wie du gesagt hast; und baue sie bald
in unseren Tagen zu einem ewigen Bau; und den Thron Davids richte bald
auf in ihrer Mitte. Den Sproß Davids, deines Knechtes, lasse bald aufsprossen,
und sein Hörn erhebe durch deine Hilfe; denn auf deine Hilfe harren wir alle
Tage .... Habe Wohlgefallen, Herr, unser Gott, an deinem Volk Israel und
an ihrem Gebet; und führe zurück den Opferdienst in das All erheiligste deines
Hauses, und die Opfer Israels und ihr Gebet nimm an in Liebe und Wohlgefallen;
und wohlgefällig sei das tägliche Opfer Israels, deines Volkes. O daß sehen
möchten unsere Augen deine Rückkehr nach Zion in Erbarmen" 87.
Im Urchristentum vollzog sich eine Vergeistigung der Reichgottesidee.
Zwar erwartet auch die urchristliche Gemeinde das Gottesreich hier
auf Erden, nicht jenseits im Himmel ; aber dieses Reich ist keine National-
herrschaft der Juden, kein irdisches Glücksreich, sondern eine univer-
selle, ethische Gottesherrschaft: der Sieg Gottes über Satans Mächte,
des Guten über das Böse. Nicht die Thronbesteigung eines weltlichen
Herrschers aus dem Stamme Davids erhofft die Urgemeinde, sondern
die Ankunft des erhöhten Herrn und Gottessohnes Jesus Christus auf
den Wolken des Himmels. In ähnlichen Worten wie die jüdische Synagoge
fleht die älteste christliche Gemeinde um die baldige Erfüllung ihrer
brennenden Sehnsucht, um die Parusie des Kyrios und die Vollendung.
So heißt es in den Abendmahlsgebeten der Didache: „Wie dieses gebrochene
Brot zerstreut war auf den Bergen und gesammelt eins wurde, so laß deine Ge-
5. Inhalt (Reichgottesbitte) 455
meinde von den Enden der Erde zusammengeführt werden in dein Reich" (9 4).
„Gedenke, Herr, deiner Gemeinde, sie zu erlösen von allem Bösen und zu voll-
enden in deiner Liebe; so fübre sie, die Geheiligte, zusammen von den vier Winden
in dein Reich, welches du ihi bereitet hast; denn dein ist die Kraft und die Herr-
lichkeit in Ewigkeit. Kommen möge die Gnade, vergehen möge die Welt ! Hosanna
dem Sohne Davids! . . . Maranatha (komm, Herr!). Amen" (10 5 f.).
Die Hoffnung auf die unmittelbare Nabe des Gottesreiches büßte
bereits um die Wende des ersten Jahrhundeits ihre himmelstürmende
Macht ein; in abgeschwächter Form lebte sie noch in den beiden kom-
menden Jahrhunderten foit, um dann fast ganz zu erlöschen; nur in
den Sekten aller Zeiten loderte sie immer wieder zur mächtigen Flamme
empor. Für die spätere Christenheit wurde die umfassende, wundersam
fest gefügte und reiche Heilsanstalt, die Kirche, zum sichtbaren Gottes-
reich. In den kirchlichen Gottesdienstgebeten schwindet darum die
eschatologische Reichgottesbitte, welche noch die zentrale Bitte der
Didachegebete ist. An ihre Stelle tritt die Bitte für die Kirche, um
ihre Bewahrung und ihr Wachstum nach außen, ihre Festigung und
Einigung nach innen.
Besonders deutlich ist dieser innere Wandel des christlichen Glaubensbewußt-
.-• ins an einem Gebet des Serapion-Euchologiums zu erkennen; es behält den
Wortlaut des Didache- Gebetes fast völlig bei und ändert unmerklich die Reich-
gottesbitte in die Bitte um die Einheit der Kirche um. ,,Wie dieses Brot zer-
streut war auf den Bergen und gesammelt eins wurde, so führe auch deine heilige
Gemeinde aus allen Völkern, allen Ländern, allen Städten. Dörfern und Häusern
zusammen und mache sie zur einen, lebendigen, katholischen Kirche" 88. In
den alten morgenländischen Liturgien steht das Gebet für die Kirche an der
Spitze der allgemeinen Fürbitte. So heißt es in der Idealliturgie des 8. Buches
der apostolischen Konstitutionen (10): ,. Lasset uns beten für die heilige katholische
und apostolische Kirche, die von einem Ende der Erde bis zum anderen aus-
gebreitet ist, daß der Herr die auf dem Felsen gegründete vor Stürmen und Wogen
schütze und bewahre bis zur Vollendung der Ewigkeit." Ähnlich lautet die Bitte
in der Basiliusliturgie: „Gedenke, Herr, deiner heiligen katholischen und aposto-
lischen Kirche, die von einem Ende der Erde sich bis zum andern erstreckt. Da
du sie mit dem kostbaren Blute deines Christus erworben hast, so verleihe ihr
Frieden und erhalte dieses heilige Haus bis zum Ende der Welt" 89. Die römische
Karfreitagliturgie enthält das kraftvolle Gebet: ,, Lasset uns beten für die heilige
Kirche Gottes, daß ihr Gott unser Herr Friede schenken, sie einigen und beschützen
wolle auf dem ganzen Erdkreise, ihr unterordne die Mächte und Gewalten und
uns gebe in stillem, ruhigem Leben Gott zu verherrlichen, den allmächtigen Vater.
Allmächtiger, ewiger Gott, der du deine Herrlichkeit allen Völkern in Christo
geoffenbart hast, beschirme die Werke deiner Barmherzigkeit, damit deine Kirche,
die auf dem ganzen Erdkreise zerstreut ist, mit standhaftem Glauben in deinem
Bekenntnisse verharre."
Das urchristliche Reichgottesgebet klingt in diesen Gebeten um Stärke
und Einheit der Kirche mit gedämpftem Hall nach.
Den Großteil der gottesdienstlichen Bittgebete bilden generell ge-
haltene Bitten um individuelle religiös-ethische Werte, wie sie uns schon
im individuellen Gebetsleben der prophetischen Persönlichkeiten be-
gegneten .
Die vierte und fünfte Strophe des Schmono 'Esre lauten: „Du verleihst dem
Manne Erkenntnis und lehrest den Menschen Einsicht. Verleihe uns von dir
Erkenntnis, Einsicht und Verstand. Führe uns zurück, unser Vater, zu deinem
Gesetz und bringe uns, unser König, zu deinem Dienst und lasse uns zurück-
kehren in vollkommener Buße vor dein Angesicht." In der zweiten, dem Morgeu-
Sohma vorausgehenden Benediktion steht die Bitte: , .Unser Vater, o barm-
456 H. Das gottesdienstliehe Gemeindegebet
herziger Vater voll Erbarmen, erbarme dich unser und laß unser Herz verstehen
und einsehen, lernen und lehren, beachten, erfüllen und tun alle Worte deines
Gesetzes mit Liebe. Und laß hangen unser Herz an deinen Geboten und mach
eins unser Herz in der Liebe und Furcht deines Namens, auf daß wir nicht zu
schänden werden immer und ewig" 90. Clemens von Rom betet in seinem Kirchen-
gebet (1 Clem 59): „Lenke unsere Schritte, daß wir wandeln auf dem Pfade der
Her,zensheiligkeit und das Gute und Wohlgefällige vor dir tun." Justin sagt in
seiner Schilderung der Taufmesse (Apol I 65): „Wir sprechen gemeinsame Gebete,
daß wir gewürdigt werden die Wahrheit zu verstehen und in einem guten Wandel
und in der Erfüllung der Gebote gefunden werden, damit wir das ewige Heil
erlangen." Das Euchologium des Serapion enthält das Gebet: „Gib uns Erkennt-
nis und Glaube und Frömmigkeit und Heiligkeit. Vernichte alle Leidenschaft,
alle Lust, alle Sünde in diesem Volke, mache, daß alle rein werden .... Gib
uns einen heiligen Sinn und einen vollkommenen Nutzen. Gib, daß wir dich
suchen und lieben. Gib, daß wir deine göttlichen Reden aufsuchen und erforschen.
Reiche uns deine Hand, Herr, und richte uns auf. Richte uns auf, ö Gott der
Erbarmungen, mache, daß wir emporblicken, öffne unsere Augen, gewähre uns
Freimut, gib, daß wir uns nicht schämen oder fürchten oder verurteilen müssen.
Tilge unseren Schuldschein. Schreibe ein unsere Namen ins Lebensbuch. Rechne
uns hinzu zu deinen heiligen Propheten und Aposteln durch deinen eingeborenen
Sohn Jesus Christus" ".
Die Kollekte der römischen Meßliturgie, die vielfach auch in die
evangelischenLiturgien übernommen wurde, zeichnet sich durch generelle
Fassung und kraftvolle Kürze aus. Wie das Hauptdankgebet der
Messe, die Präfation, so zeigt auch dieses Hauptbittgebet in der abend-
ländischen Liturgie stets eine Beziehung auf das jeweilige lest oder
die Festzeit des Kirchenjahrs. Der Inhalt der Bitte verrät die eigen-
tümliche Stimmung des Festes oder Festkreises: die Sehnsucht des
Advents und die Freude der Weihnacht, den Bußernst der Fastenzeit,
den Jubel des Osteitages und die Geisteskraft des Pfingstfestes.
1. Adventsonntag: „Erwecke, wir bitten, o Herr, deine Macht und
komm, auf daß wir von den Gefahren, die uns von unseren Sünden drohen, durch
deinen Schutz errettet und durch deine Erlösung zum Heil gelangen mögen."
— Weihnacht: „O Gott, der du diese hochheilige Nacht durch den Glanz
des wahren Lichtes erstrahlen ließest, gib (wir bitten dich), daß wir, die wir das
Geheimnis dieses Lichtes auf Erden erkannt haben, auch seine Freuden im Himmel
genießen." — Epiphanie: „O Gott, der du am heutigen Tage deinen Einge-
borenen den Heidenvölkern durch die Leitung des Sternes geoffenbart hast,
gewähre gnädiglich, daß wir, die wir dich schon aus dem Glauben erkannt
haben, zur Anschauung deiner erhabenen Gestalt gelangen mögen." — Quin-
quagesima: „Unser Flehen, wir bitten dich, o Herr, erhöre mildiglich, befreie
uns von den Fesseln unserer Sünden und schütze uns vor allem Unheil." —
4. Fastensonntag: „Verleihe uns, wir bitten dich, allmächtiger Herr, daß
wir, die wir nach dem Verdienst unseres Handelns niedergeschlagen werden, durch
die Tröstung deiner Gnade wieder aufatmen." — Palmsonntag: „All-
mächtiger, ewiger Gott, der du, dem Menschengeschlecht zur Nachahmung des
Beispieles der Demut, \inseren Erlöser Fleisch annehmen und das Kreuz auf sich
nehmen ließest, gewähre gnädiglich, daß wir Beweise von seiner Geduld bringen
und so die Teilnahme an seiner Auferstehung erlangen." — Ost ersonntag:
„O Gott, der du am heutigen Tage durch deinen Eingeborenen nach der Be-
siegung des Todes den Zugang zur Ewigkeit erschlossen hast, begleite unsere
Wünsche, die du zuvorkommend eingibst, auch weiterhin mit deinem Schutz. " —
2. Sonntagnach Ostern: „0 Gott, der du durch die Demut deir es Sohnes
die darniederliegende Welt aufgerichtet hast, schenke deinen Gläubigen stete
Freude, damit du die, welche du dem ewigen Tode entrissen hast, die ewigen
Freuden genießen lassest." — Christi Himmelfahrt: „Gewähre, wir
bitten dich, allmächtiger Herr, daß wir, die da glauben, daß am heutigen Tage
unser Erlöser zum Himmel aufgestiegen ist, auch selbst im Geiste im Himmlischen
5. Inhalt (Bitte) 457
weilen." — Pfingstsonntag: ,,0 Herr, der du die Herzen der Gläubigen
durch die Erleuchtung des heiligen Geistes gelehrt hast, gib, daß wir in diesem
Geiste das Rechte sinnen und uns stets seines Trostes erfreuen." — Pfingst-
dienstag: .,Es möge uns beistehen, wir bitten dich, o Herr, die Kraft des
heiligen Geistes, die unsere Herzen mildiglich reinige und vor allem Unheil schütze."
— Fronleichnam: ,,0 Gott, der du uns unter dem wunderbaren Sakramenfc
ein Gedächtnis deines Leidens hinterlassen hast, laß uns, wir bitten dich, so die
heiligen Geheimnisse deines Leibes und Blutes verehren, daß wir allezeit die
Frucht deiner Erlösung erlangen." — Maria Verkündigung: ,,0 Gott,
der du deinen Logos gemäß der Ankündigung des Engels aus dem Schöße der
seligen Jungfrau Maria Fleisch annehmen ließest, gewähre deinen Schutzflehenden,
daß wir, die wir glauben, daß sie wahrhaftig Gottes Gebärerin ist, durch ihre-
Fürsprache bei dir Hilfe erhalten." — Fest der Apostel Petrus und Paulus:
,,0 Gott, der du den heutigen Tag durch die Blutzeugenschaft deiner Apostel
Petrus und Paulus geheiligt hast, gib deiner Kirche, daß sie in allem deren Gebot
befolge, durch die sie den Anfang der Religion nahm." — Fest des Erzmartyrers
Stephan us: „Laß uns, wir bitten dich, o Herr, das nachahmen, was wir ver-
ehren, damit wir lernen auch unsere Feinde zu lieben; denn wir feiern das Ge-
burtsfest dessen, der es verstand auch für seine Verfolger anzuflehen unseren
Herrn Jesus Christus, deinen Sohn."
In den Bittgebeten der evangelischen Liturgien kommt (soferne sie
nicht aus der alten Kirche herübergenommen, sondern Schöpfungen der
Refoimation sind) der Gedanken- und Stimmungsgehalt der reforma-
torischen Frömmigkeit zum Ausdruck. Das Festhalten an dem in der
Schiift niedergelegten Gotteswort, die Vergebungsgewißheit, die reine
Zuversicht zu Gott um des Verdienstes Christi willen bilden den ver-
nehmlichsten Gegenstand des Bittgebets.
Ein Gebet der alten Straßburger Gottesdienstordnung aus dem Reformations-
jahrhundert lautet: „Allmächtiger, gütiger Vater, sintemal all unser Heil daran
steht, daß wir deines heiligen Wortes wahren Verstand haben, so verleihe uns
aller, daß unsere Heizen, gefreiet von weltlichen Geschäften, mit allem Fleiß
und Glauben dein heiliges Wort hören und fassen, damit wir deinen gnädigen
Willen recht erkennen, lieben und mit allem Ernst leben, dir zu Lob und Ehr" 91 b.
Das Gebet bei der Abendmahlsfeier nach der Brandenburg-Nürnberger Kirchen-
ordnung enthält die Bitte: „Wir bitten dich demütiglich, du wollest durch deinen
heiligen Geist in uns wirken, daß wir auch also deine göttliche Gnade, Vergebung
der Sünde, Vereinigung mit Christo und ewiges Leben, so darinnen (d. i. im Abend-
mahl) gezeigt und zugesagt ist, mit festem Glauben mögen begreifen und ewiglich
behalten, durch unsern Herrn Jesum Christum" "o. Die Kollekte am Refor-
mationsfeste der schwedischen Landeskirche lautet: „Herr, Gott, himmlischer
Vater, der du durch dein Evangelium uns die Erkenntnis der Erlösung zur Ver-
gebung unserer Sünden verliehen hast, wir bitten dich, bewahre uns, damit wir
nicht dein Wort verachten, sondern es von Herzen annehmen, sodann unser
Leben bessern und unser Vertrauen allein auf deine Gnade und auf das Verdienst
deines lieben Sohnes Christi setzen, der mit dir und dem heiligen Geiste lebt und
regieret von Ewigkeit zu Ewigkeit." Das allgemeine Kirchengebet der schwedi-
schen högmässa beginnt mit den Worten: „Dich, ewiger und allmächtiger Gott,
Schöpfer und Schirmer aller Dinge, rufen wir an. Sei uns gnädig um Jesu Christi
willen und gedenke nicht unserer Sünden. Heilige und regiere uns mit deinem
heiligen Geist und gib uns Gnade, daß wir nach deinem Wort in einem heiligen
Leben wandeln. Versammle, stärke und bewahre die Christenheit durch das
Wort und die heiligen Sakramente." Ähnlich klingt ein Gebet der preußischen
Agende: „Herr, Gott, lieber Vater! wir bitten dich, du wollest uns durch deinen
heiligen Geist läutern und regieren, auf daß wir mit ganzem Herzen dein Wort
anhören und annehmen und dadurch geheiliget werden und auf Jesum Christum,
deinen Sohn, unser ganzes Vertrauen und unsere Hoffnung setzen, unser Leben
nach deinem Worte bessern und ewig selig werden."
Das folgende Bittgebet, das in der Gottesdienstordnung der indischen Brahma-
458 H. Das gottesdienstliche Gemeindegebet
Kirche enthalten ist, steht an geistiger Tiefe und sittlichem Ernst hinter den
jüdisch-christlichen Gottesdienstgebeten kaum zurück. Der erste Satz ist echt
indisch (er ähnelt Gebeten der Brhad-Aranyaka-Upanishad I 3, 28 und Taittiriya-
Upanishad II); die folgenden Sätze verraten christlichen Kinfluß. ,,0 Gott,
führe uns aus der Unwahrheil zur Wahrheit, aus dw Finsternis zum Lirht, aus
dem Tode zur Unsterblichkeit ! ü du Vater der Wahrheit, offenbare dich für
uns! Du bist gnädig, beschütz,»' uns allzeit in deiner unendlichen Güte! Friede,
Friede, Friede!" 92
Wie die individuelle, prophetische Frömmigkeit, so kennt auch die
synagogale und altchristliche Gemeindefrömmigkeit keinen Untei schied
zwischen irdischen und himmlischen, leiblichen und geistigen Gebets-
bitten. Alle Anliegen, welche die Gemeinde auf dem Herzen hat, spricht
sie im gottesdienstlichen Gebet aus. Wie das Vaterunser zwischen den
Bitten ums Gottesreich und um Sündenvergebung die schlichte Brotbitte
enthält, so enthält das jüdische Schmone 'Esre unter den großen und
geistigen Bitten die Bitte um Wachstum der Feldfrüchte und um reiche
Ernte :
„Segne uns, o Herr, dieses Jahr, lasse alles wohl gedeihen und gib Segen auf
das Land; und sättige uns mit deiner Güte und segne unser Jahr wie die guten
Jahre." In der Liturgie des 8. Buchs der apostolischen Konstitutionen begegnet
uns wiederholt die Bitte um gutes Wetter und Fruchtbarkeit der Erde. „Wir
bitten dich auch für die ,gute Mischung' der Luft und reichen Ertrag der Früchte,
-damit wir, ständig teilnehmend an deinen Gütern, unaufhörlich dich preisen,
der du Nahrung allem Fleisch spendest." „Bewahre die Lüfte in guter Mischung,
die Früchte in Ertragsfähigkeit." In der Gebetssammlung des Serapion von
Thmuis steht folgendes Gebet: „Herr Himmels und der Erde, der du den Himmel
mit dem Chor der Sterne umkränzest und durch die großen Lichtkörper erleuchtest,
der du die Erde mit den Früchten ausstattest zum Wohle der Menschen, der du
■das von dir geschaffene Geschlecht von oben die Wärmestrahlen und das Licht
von Sonne und Mond empfangen und von unten mit den Früchten der Erde sich
nähren lassest, wir flehen, schenk recht reichliche Regen, laß die Erde Frucht
tragen und reichen Erntesegen bringen um deiner Freundlichkeit und Güte willen,
~ . . segne die ganze Erde durch deinen eingeborenen Sohn Jesus Christus" 93.
d) Die Gemeinde fleht nicht allein um die großen Heilsgüter, nach
denen alle ihre Glieder trachten, und um das tägliche Brot, dessen alle
bedürfen, sie gedenkt in gleicher Weise der besonderen Anliegen und
Nöte ihrer einzelnen Glieder. Einer der wichtigsten Abschnitte des
altchristlichen Gottesdienstes ist das allgemeine Fürbittegebet,
dessen Nachhall uns an zahllosen Stellen der altchristlichen Literatur
begegnet 94. Diese Fürbitten sind jedoch nicht, wie es heute vielfach
der Fall sein mag, eindrucksvolle fromme Redensarten, sondern der
echte und unmittelbare Ausdruck des engen, religiösen Gemeinschafts-
gefühls. Das Bewußtsein, daß alle Glieder eines Leibes sind, daß jeder
die Last des anderen zu tragen habe, macht die Nöte und Anliegen eines
•einzelnen Bruders zur Not und zum Anliegen der gesamten Gemeinde.
Bischof Clemens von Rom betet: „Wir bitten, Herr, werde uns ein Helfer und
Retter: hilf denen unter uns, die in Trübsal sind, erbarme dich der Armen, richte
ixxit die Gefallenen, zeige dich den Flehenden, heile die Kranken, führe zurück
die Verirrten deines Volkes, speise die Hungrigen, befreie unsere Gefangenem
richte auf die Schwachen, tröste die Kleinmütigen" (1 Clem 59). Eine tiefe und
innige christliche Bruderliebe atmet das allgemeine Fürbittegebet im Euchologion
4es Serapion: „Wir bitten dich für die, welche gläubig geworden sind und den
Herrn Jesus Christus erkannt haben, mögen sie gefestigt werden im Glauben,
in der Erkenntnis und in der Lehre. Wir bitten für dieses Volk, sei gnädig allen,
5. Inhalt (Fürbitte) 459
offenbare dich, enthülle deinen Glanz, mögen alle dich erkennen, den ungeborenen
Vater und deinen eingeborenen Sohn Jesus Christus .... Wir bitten, Herr
der Erbarrnungen, für Freie und Sklaven, Männer und Frauen, Greise und Kinder,
Arme und Reiche. Zeige allen die dir eigene Güte und gewähre ihnen allen die
dir eigene Huld. Hab Mitleid mit allen und gib allen, daß sie sich dir zuwenden.
Wir bitten für die auf Reisen Befindlichen, sende ihnen einen friedvollen Engel,
auf daß er ihr Reisebegleiter werde, damit sie nie und von niemanden Schaden
erleiden und wohlgemut ihre Fahrt und Reise vollenden; wir bitten für die Trübsal
Leidenden, für die Gefangenen und die Armen; spende Erquickung einem jeden,
befreie sie von den Fesseln, führe sie heraus aus der Armut; tröste sie alle, der
du tröstest und ermutigst : wir bitten für die Kranken, schenke ihnen Gesundheit
und richte sie auf von der Krankheit und laß sie vollkommen leibliche und geistige
Gesundheit erlangen." 98
In ähnlicher Fassung kehrt die Fürbitte für die notleidenden und ge-
fährdeten Brüder in allen Liturgien der Ostkirche wieder. Sie begegnet
uns auch in den evangelischen Gottesdienstordnungen ; hier ist sie aber
nicht mehr wie in der alten Kirche auf die Glieder der Gemeinde be-
schränkt, sondern universell gedacht.
Die letzte Fürbitte des calvinischen Sonntagsgebetes lautet : „In gleicher Weise
empfehlen wir dir, o Gott aller Tröstung, alle die, welche du durch Kreuz und
Trübsal heimsuchst und züchtigst, sei es durchArmut oder Gefängnis oderKrankheit
oder Verbannung oder anderes körperliches Unglück oder geistige Niederge-
schlagenheit; daß du sie deine väterliche Zuneigung erkennen und verstehen
lassest, welche sie züchtigt zu ihrer Besserung: damit sie sich mit ganzem Herzen
zu dir bekehren und, wenn sie sich bekehrt haben, den ganzen Trost empfangen
und von allen Übeln erlöst werden" 96. Ein freies Fürbittegebet des berühmten
calvinischen Predigers Adolphe Monod lautet: ,,0 Gott, der du alles Elend und
alle Leiden kennst, welche die Sünde über unsere arme Erde und über die arme
Menschheit gebracht hat, der du allen Jammer der Gegenwart siehst, dessen
Anblick wir selbst nicht ertragen können: wir befehlen deiner Obhut alle Reu-
mütigen und Betrübten, auf daß du die Schätze deiner Gnade und deines Trostes
über sie ausschüttest .... Wir können sie dir nicht alle nennen, aber du kennst
sie, wir befehlen dir die Opfer des Krieges, so viele in Trauer versenkte Familien und
so viele andere, die in beständiger Sorge leben. Wir befehlen dir die Unterdrückten
imd die um der Gerechtigkeit willen Verfolgten. Wir befehlen dir die Sklaven;
siehe an, diese Tausende, diese Millionen von Sklaven, deren Unterdrücker deinen
Namen bekennen, Diener Christi heißen, aber es nicht sind. Wir befehlen dir
die Armen, die Kranken, die in Armut lebenden Kranken."
Die Fürbitte für die in Not und Gefahr befindlichen Brüder bildet
den Kern des altchristlichen Fürbittegebets. Ihm geht zur Seite oder
voran die Bitte für die Führer und Diener der Gemeinde. Mit der
fortschreitenden Differenzierung der kirchlichen Ämter entwickelt sich
diese Fürbitte zum Gebet für alle kirchlichen Stände vom Hermeneuten
bis zum Episkopus.
Schon das jüdische Achtzehngebet hatte eine Fürbitte für die einzelnen Klassen
des Volkes Israel enthalten: „Über die Gerechten und über die Frommen und
über die Ältesten deines Volkes, des Hauses Israel und über den Rest der Schrift-
gelehrten und über die Proselyten und über uns möge sich regen dein Erbarmen)
Herr, unser Gott!" In der Gebetssainmlung des Serapion findet sich folgendes
Gebet: „Dich rufen wir an, den Retter und Herrn alles Geistes, den Gebenedeiten,
den Spender alles Segens. Beilige diesen Rischof. halte ihn frei von aller Ver-
suchung und verleih«; ihm Weisheit und Erkenntnis, verleihe ihm gvite Fort-
schritte in seinen Wissenschaften. Wir bitten dich auch für seine Mitpresbyter,
heilige sie, gib ihnen Weisheit, Erkenntnis und die rechte Lehre, laß sie deine
heiligen Lehren reeht und tadellos behandeln. Heilige auch die Diakonen, daß
sie rein seien an Seele und Lei)), mit reinem Gewissen dienen und bei deinem Leib
und dem heiligen Blute stehen können. Wir bitten dich auch für die Suhdiakonen,
460 ' H. Das gottesdienstliche Gemeindegebet
die Lektoren und Hermeneuten (Scbrifterklärer). Erquicke alle Diener der
Kirche und gib allen Mitleid, Erbarmen und Fortschritt. Wir bitten dich auch
für die Einsiedler und die Jungfräulichen. Mögen sie ihren Lauf tadellos und ihr
Leben ununterbrochen vollenden, damit sie in Reinheit und Heiligkeit alle ihre
Tage zubringen können. Erbarme dich auch über alle Verheirateten, Männer,
Frauen und Kinder und verleih allen den Segen des Fortschrittes und der Besserung,
auf daß sie alle lebendige und auserwählte Menschen werden durch deinen Einge-
borenen Jesus Christus" *'. Die Fürbitte für die mannigfachen kirchlichen
Stände begegnet uns in allen orientalischen Liturgien. In der römischen Kar-
freitagsliturgie schließt sich an die Bitte für den Papst das Fürbittegebet „für
alle Bischöfe, Priester, Diakonen, Subdiakonen, Akolythen, Exorzisten, Lektoren,
Ostiarier, Bekenner, Jungfrauen, Witwen und für das ganze heilige Gottesvolk".
Die evangelischen Kirchen haben die feierliche Fürbitte für die
stufenförmig aufsteigende Hierarchie reduziert zur schlichten Bitte
für die Verkünder des Evangeliums und Seelsorger.
„Auch bitten wir dich," heißt es in der calvinischen Liturgie, „wahrer Vater
und Erlöser, für alle die, welche du als Hirten deinen Gläubigen bestimmt hast,
und denen du die Sorge für ihre Seelen und die Verwaltung deines heiligen Evan-
geliums anvertraut hast; mögest du sie lenken und führen durch deinen heiligen
Geist, damit sie als treue und wahre Diener deiner Ehre erfunden werden und
immer das Ziel vor Augen haben: daß alle armen, irrenden und verirrten Schafe
gesammelt und zurückgebracht werden zum Herrn Jesus Christus, dem Erzhirten
und Fürsten der Bischöfe, daß sie von Tag zu Tag in ihm Nutzen haben und
wachsen in aller Gerechtigkeit und Heiligkeit. Mögest du ferner alle Kirchen
befreien von dem Bachen der reißenden Wölfe und von allen Mietlingen, welche
ihre Ehre und ihren Vorteil suchen, nicht die Erhebung deines heiligen Namens
allein und das Wohl deiner Herde" *8.
Das Für bittegebet der jüdischen und altchristlichen Gemeinde er-
streckt sich über den Kreis der Glaubensangehörigen hinaus. Einen
wichtigen Platz nimmt in ihm die Fürbitte für den heidnischen Herrscher
und die heidnische Beamtenschaft ein. Die jüdische Gemeinde betete
für den persischen Großkönig " und später für die Ptolemäer. Eleazar
bekennt in einem Brief an Ptolemäus: „Für dich, deine Gattin, deine
Kinder und Anverwandten brachten wir Opfer dar und die fromme Menge
flehte im Gebet, daß es dir nach Wunsch ergehe und deine Herrschaft
in Friede gewahrt bleibe" 10°. Das alte Christentum übernahm diese
jüdische Sitte, die sich übrigens auch in dem synkretistischen Isiskult
eingebürgert hatte 101. Der Verfasser der Pastoralbriefe fordert den
Bischof Timotheus auf, für alle Könige und Obrigkeiten zu beten (1 Tim
2 j ff.). Bischof Clemens von Rom betet:
„Du, o Herr, gabst ihnen die Befugnis der Königsherrschaft durch deine ge-
waltige und unaussprechliche Macht, auf daß wir die Herrlichkeit und Ehre, die
ihnen von dir gegeben ist, anerkennen und uns ihnen unterordnen und uns deinem
Willen nicht widersetzen; gib ihnen, o Herr, Gesundheit, Friede, Eintracht, Wohl-
ergehen, auf daß sie die von dir ihnen anvertraute Herrschaft ohne Anstoß aus-
üben. Denn du, himmlischer Herrscher, König der Äonen,* gibst den Menschen-
kindern Ruhm, Ehre und Macht über die auf Erden Wohnenden. Du, Herr,
lenke ihre Ratschlüsse nach dem Guten und vor dir Wohlgefälligen, auf daß sie
in Friede, Eintracht und Frömmigkeit die von dir ihnen anvertraute Gewalt
ausüben und vor dir Gnade finden" (1 Clem 61).
Als nach dem Siege des Christentums die Weltherrschaft in christ-
liche Hände gekommen war, bekam das Fürbittegebet der christlichen
Kirche für den „allerchristlichsten" Herrscher, der ihr Schutzvogt
war, einen noch kräftigeren Akzent. Das große Fürbittegebet der
griechischen Basiliusliturgie enthält folgende überschwängliche Stelle:
5. Inhalt (Fürbitte) 461
„Gedenke, o Herr, unseres frömmsten und gläubigsten Kaisers, den du ge-
würdigt hast, auf Erden zu herrschen; kröne ihn mit der Waffe der Wahrheit,
mit der Waffe des Wohlgefallens und umschatte sein Haupt am Tage des Kampfes.
Stärke seinen Arm und erhöhe seine Rechte, befestige sein Reich und unterwirf
ihm alle barbarischen Völker, die auf Krieg sinnen. Schenke ihm einen tiefen
und unerschütterlichen Frieden und sprich in seinem Herzen Gutes für deine
Kirche und dein ganzes Volk, damit wir in ihrem Frieden ein ruhiges und stilles
Leben führen in Frömmigkeit und Ehrbarkeit" loa.
Die Reformation brachte eine enge Verknüpfung der Kirche mit dem
Einzelstaat; die universelle Christengemeinschaft verengerte sich zur
Staatskirche. Die altchristliche Fürbitte für Herrscher und Staat
erhielt so eine stark politisch-nationale Färbung. Ein deutliches Bei-
spiel dieser staatskirchlichen Gebetsweise bietet die pieußische Agende:
,.Laß, o Herr, deine Gnade groß werden über den Kaiser und König, unseren
Herrn, über die Kaiserin und Königin, seine Gemahlin, über den Kronprinzen
und die Kronprinzessin, seine Gemahlin, über sämtliche königliche Prinzen und
Prinzessinnen und alle, die dem Kaiser und dem königlichen Hause anverwandt
und zugetan sind. Erhalte sie uns bei langem Leben, zum beständigen Segen
und christlichen Vorbild. Verleihe dem Kaiser, unserem Könige, eine lange und
gesegnete Regierung. Beschütze das königliche und das gesamte deutsche Kriegs-
heer zu Wasser und zu Land und alle treuen Diener des Königs und des Vater-
landes .... Segne uns und alle königlichen Länder. Sei du des deutschen
Reiches und Volkes starker S :hutz und Schirm. Laß deine Gnade ruhen auf
seinen Fürsten und freien Städten, gib ihnen allen eine friedvolle und gesegnete
Regierung in ihren Ländern und laß Glaube und Treue. Kraft und Einigkeit
unseres deutschen Volkes Ruhm und Ehre sein. Kröne mit deiner Gnade die
Arbeiten des Reichstages, daß sie zum Frieden und Heil des gesamten Vater-
landes und zum Preise deines heiligen Namens gereichen. Blicke in Gnaden
herab auf den Landtag der Monarchie; erleuchte und leite seine Mitglieder, daß
ihre Beratungen geschehen in deiner Furcht und zu deiner Ehre und zum Besten
des Landes gedeihen."
Die schlichte christliche Fürbitte für die weltliche Obrigkeit erweitert
sich hier zu einer langatmigen politisch-patriotischen Paränese, welche
in den Herzen der versammelten Gläubigen die monarchische Unter-
tanengesinnung befestigen soll. Ein viel tieferer, wirklich religiöser
Geist spricht aus dem Fürbittegebet der calvinischen Liturgie; der
Sektentypus, den der Calvinismus bewahrte, verhinderte ein schwäch-
liches Zerfließen des religiösen Gemeindelebens im politisch -nationalen
Staatskirchentum .
,,Wir bitten dich, himmlischer Vater, für alle Fürsten und Herren, denen du
das Regiment deiner Gerechtigkeit anvertraut hast, insbesondere für die Herren
dieser Stadt, daß es dir gefallen möge, ihnen deinen Geist, den allein guten, wahr-
haft fürstlichen, mitzuteilen und täglich zu mehren, auf daß sie in wirklichem
Glauben Jesum Christum, deinen Sohn, unseren Herrn, erkennen als den
König der Könige und den Herrn über alle Herren, dem du alle Macht im Himmel
und auf Erden gegeben hast, und ihm zu dienen und seine Herrschaft durch ihre
Herrschaft zu erhöhen suchen, indem sie ihre Untertanen, welche die Geschöpfe
deiner Hand und Schafe deiner Weide sind, nach deinem Wohlgefallen leiten
und führen, damit wir hier und auf der ganzen Erde in gutem Frieden und in
Ruhe lebend, dir in aller Heiligkeit und Ehrbarkeit dienen und, befreit und ge-
sichert vor der Furcht unserer Feinde, dir in unserem ganzen Leben Lob sagen
können" 103.
Das christliche Fürbittegebet kennt keine Schranken des Bekennt-
nisses oder der Nation. Das Gebot des Herrn: ,, Liebet eure Feinde,
betet für die, welche euch verfolgen und verleumden", wurde von der
altchristlichen Gemeinde auch in ihren gottesdienstlichen Versammlungen
462 H. Das gottesdienstliche Gemeindegebel
erfüllt. Mitten in die Bitte für die in Not und Bedrängnis stehenden
Brüder schiebt sich die Bitte um das Heil der Juden und Heiden ein.
Im Kirchengebet des Bischofs Clemens heißt es: „Die Verirrten deines Volkes
führe zurück." „Erkennen mögen alle Völker, daß du der alleinige Gott bist
und Jesus Christus dein Sohn und wir sein Volk und die Schafe seiner Herde" (59).
In dem großen Fürbittegebet der römischen Karfreitagsliturgie findet die Liebe
und Sorge der Kirche für die ihr ferne Stehenden, aber ebenso das stolze Bewußt-
sein der Rechtgläubigkeit ergreifenden Ausdruck. , Lasset uns auch beten füJ
die Häretiker und Schismatiker, daß unser Gott und Herr sie herausreiße aus
allen Irrtümern und sie zurückführe zur heiligen Mutter, der katholischen und
apotsolischen Kirche. Allmächtiger, ewiger Gott, der du allen das Heil schenkst
und willst, daß niemand verloren gehe, schau herab auf die von teuflischem
Trug verblendeten Seelen, damit die Kerzen der Verirrten alle häretische Bosheit
ablegen und zur Einheit deiner Wahrheit zurückkehren. — Laßt uns auch bei en
für die treulosen Juden, daß Gott, unser Herr, hinwegnehme den Schleier von
ihren Herzen, damit auch sie erkennen Jesum Christum unseren Herrn. All-
mächtiger, ewiger Gott, der du auch die jüdische Treulosigkeit von deiner Barm-
herzigkeit nicht zurückweisest, erhöre unsere Bitten, die wir ob der Verblendung
jenes Volkes vor dich bringen, auf daß sie die Wahrheit deines Lichtes erkennen,
das Christus ist, und aus ihrer Finsternis herausgerissen werden. — Laßt uns auch
beten für die Heiden, daß Gott der Allmächtige die Bosheit von ihren Herzen
hinwegnehme, damit sie ihre Götzenbilder verlassen und sich bekehren zum
lebendigen und wahren Gott und zu seinem einzigen Sohne Jesus Christus, unserem
Gott und Herrn. Allmächtiger, ewiger Gott, der du nicht auf den Tod der Sünder
bedacht bist, sondern stets auf ihr Leben, nimm gnädig an unser Gebet und befreie
sie vom Kult ihrer Götzenbilder und gliedere sie an an deine heilige Kirche, zum
Lobe und zur Ehre deines Namens." Die Fürbitte für die der christlichen Wahrheit
Fernestehenden ging auch in die evangelischen Liturgien über. In der calvinischen
Sonntagsliturgie heißt es: .,Wir bitten dich, allgütiger und barmherziger Vater
für alle Menschen, daß du, der du willst anerkannt sein als Eilöser der ganzen
Welt, die, welche noch in der Finsternis und Unwissenheit weilen, durch die Er-
leuchtung deines heiligen Geistes und die Predigt deines Evangeliums zurück-
führen wollest auf den rechten Weg deines Evangeliums, d. h. daß sie dich erkennen,
den einzigen, wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus" 104.
Die Fürbitte der christlichen Gemeinde erstreckt sich nicht allein
auf die Lebenden, sondern auch auf die Dahingeschiedenen; denn die
Lebenden und Toten gehören der umfassenden communio sanetorum an,
sie zusammen bilden erst die Kirche Christi 105.
Die liturgische Gebetssammlung des Serapion enthält folgendes Meßgebet für
die Toten: „Wir bitten auch für die Entschlafenen, deren wir jetzt gedenken
(folgt die Nennung der Namen). Heilige diese Seelen, denn du kennst sie alle;
heilige alle im Herrn Entschlafenen und zähle sie hinzu zu deinen heiligen Engel-
scharen und gib ihnen einen Platz und eine Stätte in deinem Reiche" 106. Das
Totengebet der griechischen Jakobusliturgie lautet: „Gedenke, Herr und Gott,
der Geister und alles Fleisches, dessen wir gedacht und nicht gedacht daben, der
Rechtgläubigen von Abel dem Gerechten bis auf den heutigen Tag. Du selbst verleihe
ihnen Ruhe im Lande der Lebendigen, in deinem Reiche, in der Wonne des Paradieses,
im Schöße unserer heiligen Väter Abraham, Isaak und Jakob ; von dort sind Schmerz,
Trauer und Seufzen ferne, dort wacht und leuchtet das Licht deines Angesichtes
immerdar" 107. Kürzer gefaßt ist das Memento der Toten in der römischen
Liturgie: „Gedenke, Herr, deiner Diener und Dienerinnen N. N., die uns mit dem
Zeichen des Glaubens vorangegangen sind und nun schlafen im Schlafe des Friedens:
Ihnen und allen in Christus Ruhenden mögest du, wir flehen dich an, den Ort
der Erfrischung, des Lichtes und Friedens schenken" .
Das gottesdienstliche Fürbittegebet der christlichen Gemeinde ist so
der Ausdruck der universellen Nächstenliebe, welche der Herr seinen
Jüngern geboten, die der Völkerapostel verkündet und die älteste Kirche
5. Inhalt (Fürbitte — Doxologie) 463"
betätigt hat; es ist darum so weit und so umfassend wie diese Liebe
selbst: Lebende und Tote, Anwesende und Fern weilende, Freunde und
Feinde, Christen und Heiden, Rechtgläubige und Häretiker, Heilige
und Sünder, Starke und Schwache, Gesunde und Kranke, Herren und
Sklaven, geistliche Führer und weltliche Machthaber — aller gedenkt
die im Herrn versammelte Brüdergemeinde im gemeinsamen Gebete
zum Vater.
e) Lobpreisung und Danksagung bilden den Höhepunkt des gottes-
dienstlichen Gemeindegebets. Der feierliche Lobpreis bildet auch den
wirkungsvollen Abschluß aller liturgischen Gebete der Synagoge und
alten Christenheit; jede Bitte und Fürbitte erhebt sich am Schlüsse
zu einer klangvollen Preisrede, zur Doxologie. Das betrachtende
Beten des Mystikers steigert sich zur wonnevollen Schau des höchsten
Gutes, das schlichte Bittgebet des prophetischen Genius klingt aus
in starken Worten der Zuversicht oder Ergebung, das liturgische Gebet
der jüdischen und christlichen Gemeinde endet in einem feierlichen
Bekenntnis der souveränen Majestät und unumschränkten Macht
Gottes. Das Responsorium, das jeden Vers des Schmone Esre ab-
schließt, ist ein kräftiger Lobesruf : „gelobet seist du Herr!" Der Schluß-
abschnitt dieses Gebets ist eine wortreiche Lobpreisung.
„Wir preisen dich, denn du bist der Herr, unser Gott und der Gott unserer
Väter in alle Ewigkeit, der Fels unseres Lebens, der Schild unseres Heils. Du
bist es für und für. Wir preisen dich und erzählen dein Lob für unser Lebenr
das in deine Hand gegeben, und unsere Seelen, die dir anbefohlen sind, und für
deine Wunder an jeglichem Tage bei uns, und für deine Maehterweisungen und
für deine Wohltaten zu jeder Zeit, abends und morgens und mittags. Allgütiger,
dessen Barmherzigkeit kein Ende hat; Barmherziger, dessen Gnade nicht auf-
hört, immerdar harren wir auf dich. Und für dies alles sei gepriesen und erhoben
dein Name, unser König, immerdar in alle Ewigkeit. Und alles, was lebet, preiset
dich. Sela. R. Gelobt seist du. Herr, Allgütiger ist dein Name, und dir geziemet
Preis" 108.
Die christliche Urgemeinde übernahm diese Sitte der das Gebet ab-
schließenden Doxologie 109 ; aber sie vereinfachte diese breite Huldigung
zu einer schlichten und kraftvollen Preisformel von lapidarer Kürze,
Paulus gerät in seinen Briefanfängen und Briefschlüssen regelmäßig
in die feierliche liturgische Sprache hinein; die hier niedergezeichneten
Doxologien sind dieselben, mit denen die Gemeinden in Jerusalem
und Korinth, Rom und Ephesus ihre Gebete beschlossen.
„Gott, unserem Vater, sei Ehre in alle Ewigkeit!" (Phil. 4 20) no. ,,Dir sei
Ehre in Ewigkeit" (Did. 9 2 f. 10 2. t). „Dem Könige der Äonen, dem unverwes-
lichen, unsinnlichen, dem alleinigen Gott sei Ehre und Ruhm von Ewigkeit zu
Ewigkeit" (1 Tim 1 17). „Dein ist die Macht und der Ruhm in alle Ewigkeit""
(Did 8 2; 10 s) ni. Häufig enthält die Doxologie einen Hinweis auf Jesus Christus;
dann wird der Lobpreis der Majestät Gottes zur Danksagung für das durch Christus
geschenkt <• Heil: „Dem einen weisen Gott sei durch Jesus Christus Ehre von
Ewigkeit zu Ewigkeit!" (Roe 10 27). „Ihm sei Ehre in der Gemeinde und in
Christus Jesus durch alle Generationen von Ewigkeit zu Ewigkeit!" (Eph 3 21,
vgl. .1 iid ü") ). ,. I >ein ist die Ehre und die Macht durch Jesus Christus in Ewigkeit !"
(Did !» «). Clemens von Rom beschließt sein Kirchengebet mit den Worten: „Der
du allein Macht hast, dies und noch Größeres und Herrlicheres mit uns zu tun,
dich lobpreisen wir durch den Hohenpriester und Vorsteher unserer Seelen Jesus
Christus, durch ihn sei dir Ohre und Größe jetzt und von Geschlecht zu Geschlecht
und von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen" (1 Clem (30 „).
464 H. Das gottesdienstliche Gemeindegebet
Schon frühe wird neben dem Sohn auch der Geist in der Schlußdoxologie
genannt. Diese trinitarische Fassung tritt uns zuerst in dem letzten Gebet Poly-
carps entgegen, das seinem Martyrium (14) eingefügt ist; es schließt in echt litur-
gischer Weise: „Durch ihn (Jesus Christus, deinen geliebten Sohn) sei dir mit
ihm und mit dem heiligen Geiste Ehre jetzt und in den künftigen Äonen !" Dieselbe
Formel beendet das Kommuniongebet des liturgischen Papyrus von Der-Balyzeh:
,, Durch ihn sei dir dem Vater Ehre mit dem heiligen Geiste in alle Ewigkeit!" m
Sie begegnet uns auch in den Canones Hippolyti und in der Ägyptischen Kirchen-
ordnung 113. Origenes nennt in dem mehrfach erwähnten Einteilungsschema
als das Schlußstück jedes Gebets die <5o$oloyia d-eov öiä XQiatov tv äyup nvev/uazc.
(de or. 33, 1). In dieser Form findet sie sich in den von Serapion gesammelten
ägyptischen Liturgiegebeten: „durch ihn sei dir Ehre und Macht im heiligen
Geiste jetzt und in alle Ewigkeit!" m Ähnliche Formeln treffen wir in der
Liturgie des 8. Buchs der apostolischen Konstitutionen. Nachklänge der alten
trinitarischen Doxologie sind in verschiedenen griechischen Liturgien ver-
nehmlich.
Da die alte Formel der trinitarischen Doxologie der arianischen Christologie
«ine Stütze bot, wurde sie im 4. Jahrhundert so umgeprägt, daß Vater, Sohn und
Geist darin völlig koordiniert wurden 11B. In der Chrysostomus- und Basilius-
liturgie begegnet uns neben ähnlichen Formeln folgender doxologischer Gebets-
schluß: „Denn dein ist das Reich und die Macht und die Herrlichkeit, des Vaters,
•des Sohnes und des heiligen Geistes jetzt und allezeit und in alle Ewigkeit" n*.
In den abendländischen Liturgien bürgerte sich als Doxologie die Formel ein:
„Ehre sei dem Vater, dem Sohne vind dem heiligen Geiste, wie es war im Anfang,
jetzt und allezeit und in alle Ewigkeit." Die Orationen des römischen Missale
schließen mit der stereotypen Formel: „durch unsern Herrn Jesus Christus, der
mit dir lebt und regiert in Einheit mit dem heiligen Geist von Ewigkeit zu Ewig-
keit". Der doxologische Charakter ist hier ebenso verwischt wie die altchristliche
Auffassung von der Trinität.
6. Die Gebetsanrufung im christlichen Gemeinde-
gebet.
Wie das individuelle Gebet der großen religiösen Persönlichkeiten,
so richtet sich auch das gottesdienstliche Gebet der jüdischen und
christlichen Gemeinde nicht an eine Vielheit göttlicher Wesen, sondern
an den einen wahren Gott. Zwar wurde der starre Monotheismus des
Judentums, der in einem Deismus zu verkümmern drohte, durch den
urchristlichen Glauben an den offenbarenden und erlösenden Gottes-
sohn und an seinen in der Gemeinde fortwirkenden Geist durchbrochen.
Gleichwohl wird in der ältesten Christenheit das gottesdienstliche Gebet
nur an Gott den Vater gerichtet, nie an Jesus 117. Aber die Nennung
des Namens Jesus gehört zu jedem liturgischen Gebet; demi für die
urchristliche Heilserfahrung ist Gott unlöslich mit Christus als dem
Offenbarer, Erlöser und Vollender verbunden. Diese Nennung des
Namens Jesu im liturgischen Gebet ist jedoch nicht eine unmittelbare
Gebetsapostrophe an Christus, eine eigentliche Gebetsanrufung, sondern
lediglich eine „Mitbeziehung auf Christus" U8. Diese Eigentümlichkeit
des gottesdienstlichen Gebets der alten Kirche geht vor allem auf Paulus
zurück. Er mahnt die Gemeinde von Kolossä: „Das Wort Christi soll
reichlich unter euch wohnen ; in aller Weisheit sollt ihr einander lehren
und ermahnen; mit Psalmen, Hymnen und geistlichen Liedern sollt ihr
Gott in Dankbarkeit singen; und alles, was ihr tut in Wort und Werk,
alles geschehe unter Anrufung des Namens Jesu und
.dankt Gott durch ihn" (3 16). Der vierte Evangelist nennt diese Gebets-
Gebetsanrufung 4.(35
weise, in der für ihn alle Erhörungsgewißheit beschlossen ist, das Beten
„im Namen Jesu" 119.
Die erste Form, in der der Name Jesu im gottesdienstlichen Gebet genannt
wird, ist seine Einbeziehung in die Gebetsanrufung des Vaters.
Sie findet sich bereits in den paulinischen Briefen. „Gelobt sei der Gott und
Vater unseres Herrn Jesus Christus!" (2 Kor 1 3). ..Wir danken Gott, dem Vater
unseres Herrn Jesus Christus" (Kol 1 3). Diese Gebetsanrede begegnet uns allent-
halben in den ältesten liturgischen Formularen. ,,Gott und Vater unseres Herrn
Jesus Christus!" (liturgischer Papyrus) 120, „Gott, Vater unseres Herrn Jesu
Christi!" (ägyptische Kirchenordnung) 121. „Ungezeugter Vater des Eingeborenen
Jesus Christus!" (Gebetssammlung Serapions) 122. „Gott und Vater deines
heiligen Sohnes Jesus, unseres Heilandes!" „Vater deines Christus, des hoch-
gelobten Sohnes!" (apostolische Konstitutionen 8, 13. 15).
Die zweite, weit häufigere Form der Namensnennung Jesu ist die organische
Eingliederung des Namens Jesu in die Bitte odei Danksagung.
Auch sie gehört schon dem reutestamentlichen Zeitalter an. Paulus bekennt:
„Ich danke meinem Gott durch Jesus Christus" (Roe 1 8). „Dank sei Gott durch
Jesus Christus, unseren Herrn!" (Roe 7 25; vgl. 2 Kor. 1 20, Kol 3 17). Ignatius
mahnt die römische Gemeinde: „Singet dem Vater Lob in Christus Jesus!" (ad
Rom. 2 2). Die Formel „durch Jesus", seltener „in Jesus", wird mit dem Schluß-
satze des Gebets oder Gebetsabschnittes so verbunden, daß sie ein sinnvolles
Glied dieses Satzes bildet und zugleich zur Schlußdoxologie überleitet. „Wir
loben und preisen dich i n deinem Sohn Jesus, in dem dir sei Lob und Macht" usw.
(Ägyptische Kirchenordnung) 123. „Führe uns alle in das Reich der Himmel in
Christus unserem Herrn, mit dem dir sei Ruhm, Ehre, Anbetung" usw. (Const.
Ap. VIII 15). „Wir danken dir. unser Vater, für das Leben und die Erkenntnis,
die du uns kundgetan hast durch Jesus deinen Sohn. Dir sei Ehre in Ewig-
keit" (Did 9 3). „Wir preisen dich durch den Hohenpriester und Vorsteher
unserer Seelen Jesus Christus, durch den dir sei Ehre" usw. (Clemens ad Cor. 60 t).
„Damit wir teilhaftig werden deiner Gabe nach der Kraft des heiligen Geistes
zur Stärkung und Vermehrung des Glaubens, zur Hoffnung auf das kommende
ewige Leben durch unseren Herrn Jesus Christus, durch den dir. dem Vater,
Ruhm sei mit dem heiligen Geistein Ewigkeit" (Liturgischer Papyrus) 124. „Schenke
uns allen ein gutes Ende durch deinen Eingeborenen Jesus Christus, durch den
dir sei Ehre und Macht" usw. „Zähle uns zu deinen heiligen Propheten und Aposteln
durch deinen eingeborenen Sohn Jesus Christus, durch den dir sei Ehre und
Macht" usw. „Dich haben wir für alle angerufen durch Jesus Christus deinen
Eingeborenen, durch den dir sei Ehre" usw. (Euchologium Serapions) 125.
So erfolgt jeder Lobpreis, jede Danksagung und Bitte „im Namen
Christi". Nirgends offenbart sich die altkirchliche Christologie, der
Glaube an Jesu Mittlerstellung so deutlich wie gerade im
gottesdienstlichen Gebet. Jesus ist nicht selbst Gegenstand der Lob-
preisung und des Dankes, er ist nicht der , Erhörer' der Gebete, an den
sich die bittende Gemeinde Hilfe suchend wendet; Lobpreis und Dank,
Bitte und Fürbitte sind vielmehr ausschließlich an den Vater gerichtet,
aber nicht an den unendlichen und gewaltigen Gott, der hoch über
den Himmeln thront, sondern an den Gott, der durch Jesus die Welt
geschaffen und sich geoffenbart hat, der durch ihn seinen Auserwählten
Gnade und Heil, Rechtfertigung und Seligkeit schenkt. Jesus ist der
Anwalt und Fürsprecher der Gläubigen, der ihre Bitten vor den Vater
bringt und für sie wirkt. „Für uns gibt es nur einen Vater, aus dem alles
ist und in dem auch wir sind, und einen Herrn Jesus Christus, durch
den alles ist und durch den auch wir sind" (1 Kor 8 6). „Es ist ein
Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, der Mensch
Jesus Christus, der sich als Lösegeld für alle hingegeben hat'' (1 Tim 26).
Das Gebet 30
466 H. Das gottesdienstliche Gemeindegebet
..Er ist zur Rechten Gottes und tritt für uns ein" (Roe 8 3t). „Durch
Christus haben wir eine solche Zuversicht bei Gott" (2 Kor 3 4). „Der
Sohn Gottes ist der Hohepriester für unsere Opfer und der Sachwalter
beim Vater, er betet mit den Betenden und fleht mit den Flehenden"
(Origenes, de or. I 10). Wo dieser Christusglaube, dem Paulus seine
klassische Formulierung gab, lebendig ist, kann es kein Gebet geben,
das Jesu Namen ungenannt läßt.
Das feierliche Gemeirjdegebet der alten Christenheit wurde stets an Gott durch
Christus gerichtet. Aber seit den ersten Tagen des Christentums sandten be-
drängte Christenherzen Stoßseufzer unmittelbar zum erhöhten Herrn Jesus
empor; das Gebet des sterbenden Stephanus (Ap. G. 7 so) ist das älteste Dokument
dieses direkten Gebets zu Christus. Bei der Rolle, welche das enthusiastische,
persönliche Gebet in den urchristlichen Gebets Versammlungen spielte, ist es
unzweifelhaft, daß nicht nur im privaten Gebetsleben, sondern auch im Gemeinde-
gottesdienst solche Gebete an Christus selbst gerichtet wurden. „Wer i n Jesu
Namen und mit Jesus betet, wird über kurz oder lang auch zu Jesus beten"
(Girgensohn) 12&b. Das im aramäischen Urlaut in die hellenistischen Gemeinden
verpflanzte Responsorium des Maranatha legt hiervon Zeugnis ab. Seit den
ältesten Zeiten werden auch die Hymnen, die ja stets die individuelle Gebets-
frömmigkeit widerspiegeln, unmittelbar an Christus gerichtet 128. Schon die
Johannesapokalypse enthält solche Christushymnen, die Lieder, mit welchen
die Seligen im Himmel das „Lamm" besingen (5 9. 12); der Jubel im Himmel
wird hier als ein feierlicher Gottesdienst gedacht, wie ihn die christliche Gemeinde
hier auf Erden feiert. Ignatius sagt, daß „in der Einmütigkeit Jesus Christus
besungen wird" (ad Eph. 4,); und selbst ein heidnischer Schriftsteller bezeugt,
daß die Christen bei ihren gottesdienstlichen Zusammenkünften „Christus wie
einem Gotte im Wechselchore Lieder sangen" (Plin X ep. 96). Clemens von
Alexandrien hat einen solchen alten Hymnus überliefert, der sich in unmittel-
barer Gebetsanrufung an Christus wendet (Protrept. XI 33). In den christologischen
Kämpfen stützt ein unbekannter Gegner des Monarchianers Artemon seine Be-
hauptung, daß die Christenheit von jeher als Christus Gott verehrt habe, mit dem
Hinweis, daß sie ihn von Anfang an in Psalmen und Hymnen gepriesen habe 127.
Die unmittelbare Gebetsanrede Christi, die seit den Ursprungszeiten in der
privaten Frömmigkeit wie im gottesdienstlichen Hymnus üblich war, drang später
auch in das liturgische Gebet ein. Das älteste Beispiel bierfür dürfte die „große
Doxologie" (das Gloria der römischen Messe) sein, die schon in den apostolischen
Konstitutionen (VII 47) überliefert wird. Es geht von der Anrede an den Vater
zur Anrede an den Sohn über: „Herr, eingeborener Sohn, Jesu
Christe, Herr Gott, Lamm Gottes, Sohn des Vaters, der du hinweg-
nimmst die Sünden der Welt, erbarme dich unser, der du wegnimmst dir Sünden
der Welt, nimm auf unser Flehen; der du sitzest zur Rechten des Vaters,
erbarme dich unser. Denn du allein bist heilig, du allein bist der Herr,
du allein der höchste, Jesu Christe, mit dem heiligen Geiste, in der Herrlichkeit
Gottes des Vaters." Allein es handelt, sich hier aller Wahrscheinlichkeit um eine
hymnologische Überarbeitung eines alten nur an den Vater gerichteten Lob-
gebetes. Eine Handschrift der Apostolischen Konstitutionen bietet folgende
beachtenswerte Lesart: „Herr, Gott, Vater Jesu Christi, des untadeligen Lammes,
das die Sünde der Welt hinwegnimmt, nimm an unser Flehen" 128. Die übrigen
Gebete der römischen Messe, die sich unmittelbar an Christus wenden, sind das
Agnus Dei und die Gebete vor und nach der Kommunion; sie sind alle sehr spät,
erst im 10. Jahrhundert, in die Liturgie eingedrungen: Rhabanus Maurus kennt
sie noch nicht. Auch das Christe eleison ist eine späte Variation des Kyrie eleison,
welche die griechische Kirche niemals aufgenommen hat 189. In den Liturgien
der Ostkirche werden jene liturgischen Texte, welche der altchristlichen Zeit
entstammen, nur an Gott den Vater gerichtet; die jüngeren Gebete hingegen,
vor allem die Gebete bei der Proskomidie, beim Eingang, bei der Kommunion
und am Schlüsse werden zum Teil an Christus gerichtet. Nur die in Kleinasien
entstandene Liturgie des Gregor von Nazianz richtet, entgegen dem altkirchlichen
Gebetsanrufung — Idee 467
Brauch, alle ihre Gebete an Christus statt an den Vater durch Christus 130. Die
evangelischen Kirchen hielten an der altkirchlichen Regel, die Gebete an den
Vater durch Christus zu richten, fest. Doch übernahmen verschiedene Agenden
aus dem römischen Missale jene Gebete, die sich unmittelbar an Christus wenden,
das Gloria, Agnus Dei und die Kommuniongebete.
7. Die Idee des gottesdienstlichen Gebets.
Das gemeinsame gottesdienstliche Gebet ist keine gemeinsame Medi-
tation, sondern genau so wie das individuelle Beten, ein wirklicher Ver-
kehr mit dem angerufenen, als gegenwärtig erlebten Gott. Freilich
tritt nicht ein einzelnes Ich mit Gott in ein Verhältnis, sondern das
ideelle Gemeinschaftsich, mit dem jedes Gemeindeglied sich identisch
weiß. Das Gemeindegebet stellt die Gemeinschaft einer sozial ver-
bundenen Vielheit von Individuen mit ihrem Gott her. Wo das gemein-
same Gebet mit ursprünglicher Kraft aus dem religiösen Einheits-
erlebnis hervorquillt, wie in der altjüdischen Gemeinde, im Urchristen-
tum und in den Sekten, ist das Bewußtsein, daß der lebendige Gott
gegenwärtig ist und daß die Gemeinde mit ihm in unmittelbaren Verkehr
tritt, so stark und tief wie im Gebetsleben der großen Frommen, die
in der lautlosen Stille des Kämmerleins zu ihrem Gott rufen. Im baby-
lonischen Talmund heißt es: „Wo zehn beten, weilt Gottes Majestät
unter ihnen," „Gott selbst befindet sich in der Synagoge" m. Das
Gemeindegebet ist also, soweit es eine lebendige, psychologische Größe
ist, wirklich das, was es seiner äußeren Form nach darstellt, ein Rufen
zu Gott, ein Reden mit Gott.
Das Gemeindegebet ist zunächst, wie gezeigt wurde, reine Anbetung,
Lobpreis und Danksagung, ein feierliches Bekenntnis der Majestät und
Macht Gottes wie der Gnaden und Heilsgüter, welche die Gemeinde
von Gott empfangen hat. Es steckt ein kontemplatives Moment im
liturgischen Gebet; die Gemeinde versenkt sich in die Wertfülle, die in
Gottes Wesen und Wirken beschlossen ist, und in die Heilswerte, die
ihr als Gnadengeschenke zuteil geworden. Diese Verherrlichung Gottes
ist im Gegensatz zur Lobpi eisung des naiven Betens und des antiken
Kulthymnus kein Mittel zur Ümschmeichelung und Umstimmung
Gottes, diktiert von versteckter selbstsüchtiger Begierde, sondern ein
Ausströmen jener echten und starken Wertgefühle, welche in den
Herzen der versammelten Gläubigen emporsteigen. Schleiermacher hat
also in gewissem Sinne recht gesehen, wenn er das Gemeindegebet als
„reine Darstellung des erregten religiösen Bewußtseins der Ge-
meinde" bezeichnet. Freilich ist diese Definition keineswegs erschöpfend ;
sie vergißt die Beziehung, in welche die lobpreisende und danksagende
Gemeinde zu Gott tritt, hervorzuheben. Die Verherrlichung Gottes
um seiner selbst wie um seiner Gnadenerweise an die Menschen willen
ist nicht bloße Darstellung erlebter Gefühle, sondern ein eigentlicher
„Gottesdienst", zu dem sich die Gemeinde verpflichtet fühlt. Die
von Gottes Herrlichkeit und Güte ergriffene Gemeinde will Gott etwas
lüngeben, darbringen, ihm ein Symbol ihrer anbetenden Ehrfurcht und
innigen Dankbarkeit schenken. Das gemeinsame Lob- und Dankgebet
wird so zum , Opfer'. Es ist freilich kern Schlacht- oder Speiseopfer.
468 H. Das gottesdienstliche Gemeindegebet
wie es der primitive Mensch und der antike Priester darbrachten, sondern
eine rein geistige Darbringung. Die jüdischen und altchristlichen
Schriften sind überreich an Zeugnissen, in denen das gottesdienstliche
Gebet als ein Opfer bezeichnet wird (s. o. S. 222).
Der Opfergedanke erscheint hier in seiner sublimsten und geistigsten
Form. Der Mystiker betrachtet seinen restlosen "Verzicht auf alles
Irdische, die völlige Hingabe des eigenen Willens an den Willen Gottes
als ein Opfer (s. o. S. 304), die zum Gottesdienste versammelte jüdische
und christliche Gemeinde sieht in ihrem feierlichen Lob- und Dankgebet
ebenfalls eine Opferdarbringung an den Allerhöchsten. So verschmelzen
Opfer und Gebet auf der Höhe der individuellen Frömmigkeit wie des
Gemeindegottesdienstes zu der Einheit, in der sie schon in der primitiven
Religion verbunden waren.
In dem kontemplativen Charakter des liturgischen Lobpreises und
Dankes offenbart das gottesdienstliche Gemeindegebet eine gewisse Ver-
wandtschaft mit dem individuellen mystischen Beten. In der Bitte und
Fürbitte bricht die prophetische Gebetsfrömmigkeit durch. Dem pro-
phetischen Gebet liegt, wie früher dargelegt wurde (s. o. S. 397 ff.), die
primitive Vorstellung von der Einwirkung des Gebets auf den Willen
Gottes zugrunde. Dieselbe Vorstellung £rägt auch das Gemeindegebet,
soferne es Bitte und Fürbitte ist. Auch in ihm spricht sich wie in allem
naiven Beten der unverwüstliche Glaube an die Gebetserhörung und
-erfüllung aus. Die zum Gottesdienst vereinte Gemeinde hofft zuver-
sichtlich, daß ihre Bitten und Fürbitten von Gott verwirklicht werden;
ja sie glaubt, daß das Gebet der vielen Gott eher zur Erhörung be-
wegen werde als das Gebet eines Einzelnen. ,,In der Gemeinsamkeit
des Gebets liegt eine gegenseitige Ergänzung der Schwachheit des
Einzelnen, die auch als ein Mitkämpfen gegen die Macht des Wider-
sachers aufgefaßt werden kann" 134. Der Glaube der urchristlichen
Gemeinde an die Macht des gemeinsamen Gebets findet schon in einem
Logion des Herrn (Mt 18 19 f.) Ausdruck: ,, Wahrlich ich sage euch,
wenn zwei von euch auf Erden über alles, was sie bitten, übereinstimmen,
so wird ihnen so geschehen von meinem Vater im Himmel; denn wo
zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten
unter ihnen." Ignatius von Antiochien bemerkt im Hinblick auf
diese Stelle: „Wenn schon das Gebet eines emzelnen und eines zweiten
solche Macht hat, um wieviel mehr das Gebet des Bischofs und der
ganzen Gemeinde" 135. Fast wörtlich kehrt dieser Gedanke bei Luther
wieder. „Wenn Jesus sagt: ,wo zween eins sein auf Erden etwas zu
bitten, soll geschehen alles, was sie bitten', wieviel mehr sollten erlangen,
was sie bitten, wo eine ganze Stadt zusammenkommt Gott einträchtig-
lich zu loben oder zu bitten." „Wenn die Christen also zusammen-
kommen, gehet das Gebet noch eins so stark als sonst. Man kann und
soll wohl überall an allen Orten und alle Stunde beten ; aber das Gebet
ist nirgends so kräftig und stark, als wenn der ganze Haufe einträchtlich
miteinander beten" 136.
So läßt sich im gottesdienstlichen Gemeindegebet ein mystisches und
prophetisches Moment aufweisen : der kontemplative Lobpreis ähnelt
Idee 469
der mystischen Gebetsweise; die vom Glauben an die Gebetserhörung
getragene Bitte und Fürbitte entstammt der prophetischen Frömmigkeit.
Mit einem scheinbaren Recht hat darum eine amerikanische Psychologin ,
welche die Typen des Gebets untersuchte, das Gemeindegebet als eine
Mischung des ,kontemplativ-ästhetischen', d. i. mystischen und des
,praktisch-ethischen', d. i. prophetischen Gebetstyps erklärt (s. o. S. 14).
Diese Charakteristik ist jedoch unzutreffend; denn die Beziehung des
Gemeindegebets zum mystischen Gebet ist keine innere; der Frömmig-
keitsgeist, der aus ihm redet, ist vielmehr durch und durch prophetisch.
Der Gott, zu dem die jüdische Synagoge und christliche Kirche betet,
ist nicht der höchste, rein geistige Wert, welcher dem der Welt und
sich selbst entfremdeten Mystiker aufstrahlt, sondern der lebendige,
schaffende und wirkende Wille, an den die prophetischen Genien sich
hilfesuchend wandten. Dieselbe ethische Aktivität, welche das Kenn-
zeichen der prophetischen Gebetsfrömmigkeit ist, beseelt auch das
jüdische und christliche Gemeindegebet. Das gottesdienstliche Ge-
meindegebet ist nicht, wie das mystische Beten, ein passives Hin-
schmelzen des endlichen Geistes vor dem unendlichen Gott, sondern die
aktive Aussprache der Heilsgewißheit und Heilssehnsucht. Es ist nicht
wie jenes die zärtliche Vereinigung einer vereinsamten Seele mit dem
himmlischen Heiland und Bräutigam, sondern die feierliche Huldigung
des gläubigen Volkes vor seinem mächtigen Gott-König, das herzliche
Flehen der großen Familie zu ihrem gütigen Vatergott. So ist das
jüdische und christliche Gemeindegebet nichts anderes als die Über-
tragung der prophetischen Gebetsfrömmigkeit in das gottesdienstliche
Leben jener religiösen Gemeinschaften, die dem prophetischen Geiste
entsprungen sind.
8. Besondere Ausprägungen des gottesdienstlichen
Gemeindegebets.
Das gottesdienstliche Gebet im Judentum und im Christentum aller
Jahrhunderte und aller Konfessionen stellt einen einheitlichen Gebets-
typus dar. Gleichwohl heben sich aus diesem gemeinsamen Typus drei
Untertypen heraus, von denen jeder eine gesonderte Besprechung ver-
langt. Im Mittelpunkt des Kultus steht in den meisten Religionen
der Erde die heilige Handlung — sei es nun eine nachahmende Handlung,
ein Weiheakt, ein Reinigungsritus, ein Opfer, ein heiliges Mahl. Das
heilige Wort ist nur der Begleiter der heiligen Handlung, ihm kommt
jedoch keine selbständige Bedeutung zu; das ksyöftsvov geht dem
dQcjfievov nur zur Seite. Das gottesdienstliche Gememdegebet
zeigt nun bedeutsame innere Strukturunterschiede, je nach dem
Verhältnis, in dem es zur heiligen Handlung, zum Mysterium steht.
In dem urchristlichen Gottesdienst stehen das Gebet und die heilige
eucharistische Handlung in voller innerer Harmonie, m den katholischen
Liturgien des Ostens und Westens wird, ähnlich wie in den hellenistischen
Mysterienkulten, das Mysterium die Hauptsache, das Xey6(iEvov
wird zur sakralen Formel, das lebendige Gememdegebet verschwindet
;uis dem liturgischen Gottesdienst. Im synagogalen Gottesdienst wie
470 H- Das gottesdienstliche Gemeindegebet
im Gottesdienst der evangelischen Kirchen und Sekten fehlt die heilige
Handlung völlig oder ist nur rudimentär in der Abendmahlsfeier ange-
deutet; der Gottesdienst wird zum reinen Wortgottesdienst.
a) Das g o 1 1 e s d i e n s 1 1 i c h e G e m e i n d e g e b e t im
Urchristentum.
Der urchristliche Gemeindegottesdienst, wie er in der jerusalemischen
Gemeinde seit dem Pfingstfest gefeiert und von Paulus in die Christen-
gemeinden des römischen Weltreichs verpflanzt wurde, ist ein Mysterium
in doppeltem Sinne : es ist wie die Mysterienfeier in den synkretistischen
Erlösungsreligionen ein 6q6)[ievov, ein heiliges Schauspiel, das vor
den Augen der frommen Gemeinschaft sich abspielt, ja das die Mysterien-
genossen selbst vollziehen. Dieses heilige Drama ist der Heilstod Jesu,
der überall und so oft die christliche Gemeinde die Eucharistie feiert,
„verkündet" wird (1 Kor 11 26), verkündet freilich nicht in bloßen
Worten dankbarer Erinnerung, sondern in einer heiligen Handlung.
Das blutige Leiden und Sterben des Gottessohnes wird „unblutig er-
neuert" — diese spätere theologische Formel trifft den Kern der urchrist-
lichen Vorstellung. Will man es in der Terminologie der modernen
Religionswissenschaft ausdrücken, so muß man sagen: die eucharistische
Mysterien handlung ist eine mimetische, d. h. eine nachahmende Ritual-
handlung. Mit derselben Gleichnishandlung, die Jesus am Vorabend
seines Todes vornahm — dem Brechen des Brotes und dem Herum-
reichen und Entleeren des Kelches — und mit der er seinen Opfertod
„für die vielen" (Mk 10 45; 14 24) den Jüngern in einer ergreifenden
Symbolik vor Augen stellte, mit derselben Gleichnishandlung vergegen-
wärtigte sich die dankbare Gemeinde unaufhörlich seinen Heilstod.
Aber diese nachahmende ävctfivrjoig (1 Kor 11 25) ist keine rein
symbolische Darstellung, kein bloßes Sichvergegenwärtigen eines ge-
schichtlichen Faktums durch eine Analogie, sondern eine geheimnisvolle,
wirkliche Erneuerung, kein Schatten einer Realität, sondern selbst
volle Realität. Es ist eine der Religion und Magie aller Völker und
Zeiten gemeinsame Idee, daß durch die mimetische Handlung das
Nachgeahmte, Gemeinte und Vorgestellte selbst bewirkt wird, daß
Abbild und Urbild von einem mystischen Identitätsbande umschlungen
sind. Alle antiken Mysterienliturgien wollen durch ein nachahmendes
Tun übersinnliche Realitäten setzen. Denselben Sinn hat auch die
urchristliche Eucharistiefeier; sie stellt eine reale Erneuerung der Heils-
tat Christi dar. Die das Heilsgeschehen am Kreuz erneuernde Handlung
ist begleitet von der Wiederholung des biblischen Abendmahlberichts;
die Erzählung dessen, was Jesus tat und sprach, erhöht noch den leben-
digen Glauben an die übersinnliche Wirklichkeit des heiligen ÖQ(bfiEvov.
Noch in einem zweiten Sinne ist der urchristliche Gemeindegottes-
dienst ein Mysterium. Die Eucharistie ist ähnlich wie viele Liturgien
der synkretistischen Mysteriengenossenschaften ein heiliges Mahl, durch
das die Gemeinde in unmittelbare leiblich-geistige Tischgemeinschaft
mit ihrem Herrn und Erlöser tritt (tQani^fjg xvqiov (ietexeiv
1 Kor 10 n). Das Brechen und Essen des Brotes ist eine Gemeinschaft
Besondere Ausprägungen a) Urchristentum 471
(xoivcjvia) mit dem Leibe Christi, das Trinken aus dem Kelche
der Segnung eine Gemeinschaft mit dem Blute Christi (1 Kor 10 16).
Die urchristliche Gottesdienstfeier heißt darum ,Herrenmahr (xvQiaxöv
fielnvov 1 Kor 11 20). So tritt zur dramatischen Erneuerung des
Opfertodes des Herrn die Kommunion mit dem erhöhten Gottes-
sohn, dem Haupt der Gemeinde. Der urchristliche Gemeindegottesdienst
ist darum eine Mysterienfeier, ein sakramentaler Gottesdienst, eine
Liturgie, trotzdem er im Gegensatz zu den antiken Mysterienliturgien
jeder starren Formgebundenheit entbehrt. „Denn aller Mysterien
Wesen ist es, daß der Myste irgendwie an eine Gottheit gebunden wird,
aller Mysterien Höhepunkt ist, wie es Diels nach einem Worte des
Maximus Tyrius ausgesprochen hat, das avyy£VEGd-ai reo dai[iovi(jp . . .
Die in irgendeiner Form erzielt gedachte Gemeinschaft des Menschen mit
Gott ist der Zweck aller Mysterien und Sakramente" (Dieterich) 137.
Das doppelte Mysterium der Eucharistie — die dvdfivi]Oig der
Heilstat Jesu und die Tischgemeinschaft mit dem Herrn — ist der
Brennpunkt des urchristlichen Gemeindegottesdienstes. Das Gemeinde-
gebet ist innerlich auf dieses Mysterium bezogen, ein Teil der Mysterien-
feier. Die Gebete gruppieren sich um die heilige Handlung, umrahmen
diese, die den Mittel- und Höhepunkt des Gottesdienstes bildet. Gleich-
wohl ist das Gemeindegebet keine heilige Formel, die der rituellen
Handlung geheimnisvolle Zauberkraft verleiht, so wie etwa das brahma,
der Zauberspruch, mit dem der vedische Priester die Opferhandlung
begleitet, oder wie die archaischen Sprüche, welche die Mysten in den
synkretistischen Geheimliturgien rezitieren. Es ist ein wirkliches
Kollektivgebet, ein gemeinsames Lobpreisen, Danken, Bitten und Für-
bitten, so lebendig, kraftvoll und leidenschaftlich, wie es die Religions-
geschichte weder vorher noch nachher kannte. Es ist kein Priester-
gebet, dem die Menge lauscht, ohne es zu verstehen, sondern Gemeinde-
gebet, Gebet von begnadeten Geistträgern, welche ihre Brüder in ihrem
Enthusiasmus fortreißen. Die ganze Gemeinde, nicht ein isolierter
Amtspriester ist es, welche das Mysterium feiert; die ganze Gemeinde,
nicht ein isolierter Amtspriester, ist es, die betet. Durch das Gebet
wie durch die heilige Handlung tritt die Gemeinde, in der ,,die vielen
ein Leib sind" (1 Kor 10 17), in die innigste Gemeinschaft mit dem
Vater und dem erhöhten Herrn. Rede und Handlung, Gebet und Sakra-
ment sind in voller Harmonie verbunden.
b)Das g o 1 1 e s d i e n s 1 1 i c h e Gebet in der katholischen
Kirche 138.
Im Gottesdienst der katholischen Kirche (der römischen Kirche wie
der verschiedenen Kirchen des Ostens) ist der lebendige Gemeinde-
gottesdienst zu einer starren sakralen Institution geworden. Die Messe
der abend- und morgenländischen Kirche deckt sich in ihrem Grund-
charakter mit dem urchristlichen Gemeindegottesdienst; sie ist sakra-
mental, eine Mysterienfeier. Dasselbe Geheimnis, das in den Christen-
häusern zu Jerusalem, Korinth und Rom gefeiert wurde, wird in den
Domen und Kapellen des Orients und Okzidents alltäglich gefeiert:
472 H. Das gottesdienstliche Gemeindegebet
die Erneuerung des Heilstodes Jesu und die Vergemeinschaftung der
Gläubigen mit ihrem Herrn. Aber aus der schlichten Handlung des
Brotbrechens und Kelchtrinkens ist eine komplizierte, bis ins unschein-
barste Detail genau geregelte Liturgie geworden, die an Pracht und
Pomp hinter den antiken Tempelritualen und den synkretistischen
Mysterienliturgien in keiner Weise zurücksteht. Das dQ(bfi£VOV, das
sakrale Tun, der kultische Akt ist zur Hauptsache geworden; das be-
gleitende keyöfievov, das in einer stereotypen Formel erstarrte litur-
gische Gebet tritt zurück. Wohl sind nicht wenige Gebete, die
bei der Messe von des Priesters Lippen erklingen, dieselben, mit denen
die älteste Kü'che gedankt und gefleht hat. Aber das liturgische Meß-
gebet ist kein wirkliches Gemeindegebet mehr. Durch den Gebrauch
einer altehrwürdigen, halb- oder unverständlichen Sprache ist das
Band zwischen dem Liturgen und der Gemeinde zerrissen. Der Priester
betet im Namen des Volkes und für das Volk ; aber die Gemeinde betet
nicht mit ihm, sondern für sich. Nicht das Volk nimmt im Responsorium
sein Gebet auf, sondern der Altardiener oder der Sängerchor. Ja der
größte Teil der Messe wird vom Celebrans still oder im Murmelton
gesprochen, so daß selbst derjenige, der die Kirchensprache versteht,
seinen Worten zu folgen außerstande ist. So ist die Gemeinde zum
stummen Zuschauer des heiligen Mysteriums geworden, das sich vor
ihren Augen abspielt. Wohl fühlt sich die Gemeinde innerlich mit
ihrem Liturgen eins und nimmt so an seinem Gebete teil, aber diese
innere Anteilnahme offenbart sich nicht nach außen im gemeinsamen
Gebetsruf. Das Gebet des dem Meßopfer beiwohnenden Volkes ist
kein gemeinsames, sondern ein individuelles Gebet.
Die frommen Gefühle der Ehrfurcht und Liebe, Demut und Zuversicht, .
die bei der Betrachtung des heiligen Schauspiels und beim Anhören
des feierlichen Gesanges oder des geheimnisvollen eintönigen Murmeins
in den Herzen der Anwesenden aufsteigen, werden in stillem, persön-
lichem Gebete ausgesprochen. So blüht mitten im öffentlichen Gottes-
dienste eine individuelle Mystik empor; die Einzelseele erhebt sich in
kühnem Fluge zu Gott, sie versenkt sich in das große Erlösungsgeheim-
nis, das sich im liturgischen Symbol vor ihren Blicken auf tut, sie pflegt
spontan und frei, ohne die Bindung, welche das gemeinsame Gebet
auferlegt, Gebetszwiesprache mit ihrem Gott.
In der römischen Meßliturgie tritt ein weiteres Moment hinzu. Mit
der Auflösung der unmittelbaren Verbindung der Gemeinde mit dem
ihre Stelle vertretenden Liturgen verselbständigt sich der liturgische
Gottesdienst zu einer in sich selbst wertvollen sakralen Handlung, die
vom Priester allein vollzogen wird und der Anwesenheit der Gemeinde
nicht bedarf. Der antike Opferbegriff, der schon frühe in die christ-
liche Vorstellungswelt eingedrungen war — er erscheint schon bei Irenäus
und Cyprian in aller Deutlichkeit — verstärkte sich noch durch diese
Loslösung der Liturgie von dem lebendigen Gemeinde be wußtsein. Die
dramatische Darstellung und reale Erneuerung des Heilstodes Christi
gilt nun als eine Gott dargebrachte Opfergabe, die durch sich selbst,
ex opere operato, wunderbare Gnaden Wirkungen an den Gläubigen
Besondere Ausprägungen b) Katholische Kirche 473
vollzieht. Die Anwendung des antiken Opfergedankens auf die Messe
wie die Verselbständigung des liturgischen Grottesdienstes zu einer von
der Gemeinde unabhängigen priesterlichen Ritualhandlung bedingten
dann die Entstehung der Privatmesse in der abendländischen Kirche.
Wie die antiken Priester für die Sonderanliegen einzelner Gläubigen
Opfer darbrachten, so bringt auch der katholische Priester das Meß-
opfer für bestimmte Einzelpersonen und Einzelzwecke dar, z. B. für
die Genesung eines Kranken oder für die Seelenruhe eines Toten. Den
orthodoxen Kirchen des Ostens, die in ihrem konservativen Sinn zähe
die atkirchlichen Traditionen festhalten, ist die Privatmesse fremd;
schon daraus erhellt die späte Entstehung und der sekundäre Charakter
dieser abendländischen Institution.
Der liturgische Grottesdienst der römischen Kirche und ihrer östlichen
Schwesterkirchen ist kein Gemeindegottesdienst, sondern eine Mysterien-
iiturgie, der die fromme Gremeinde in stummer Andacht und ehrfürchtiger
Ergriffenheit, aber nicht mit aktiver Anteilnahme beiwohnt. Die Gre-
meinde, ursprünglich „das aktive Subjekt jeglicher kultischen Hand-
lung", ist in Passivität versunken: ,,an ihr, vor ihr vollzieht sich der
Kultus, der ohne die Kultbeamten, die Priester nicht denkbar ist" 139.
Das lebendige Gemeindegebet hat dem rituellen Priestergebet Platz
gemacht. Dennoch ist wenigstens in der abendländischen Kirche das
gottesdienstliche Gemeindegebet nicht ganz untergegangen, es wurde
lediglich aus dem zentralen liturgischen Gottesdienst in die peripheren
Grottesdienstformen, vor allem in die nachmittägigen .Andachten'
zurückgedrängt. Die Entstehung des Andachtswesens im Mittelalter
und seine immer reichere Ausbildung in den letzten Jahrhunderten,
zeigt deutlich, wie tief in der abendländischen Christenheit, zumal in
den Ländern germanischer Zunge, das Bedürfnis lebendig war, das
gemeinsame gottesdienstliche Gebet in irgend einer Form zu retten,
nachdem das eigentliche liturgische Gebet zur fremdsprachigen priester-
lichen Ritualformel erstarrt war. Der Gredanken- und Stimmungs-
gehalt der in den gemeinsamen kirchlichen „Andachten" gesprochenen
Grebete ist freilich ein ganz anderer als der der altchristlichen Liturgie-
gebete. All die dem katholischen Volk vertrauten Andachten (Rosen-
kranz, Kreuzweg, Andacht zu den fünf Wunden, Herz- Jesu- Andacht,
ewige Anbetung, Marienandacht) wurzeln in der kontemplativen Grebets-
frömmigkeit der mittelalterlichen Mystik, zumal in der bernhardinischen
Jesusmystik. Das katholische Andachtswesen ist im Grunde nur die
in den Kult übertragene Mystik.
Auch in diesen peripheren Gottesdiensten fehlt nicht das eucharistische
Mysterium. Alle Andachten finden „vor ausgesetztem Allerheiligsten"
statt; die Pyxis, welche den eucharistischen Leib Christi birgt, oder
bei feierlichen Anlässen die kunstvolle Monstranz, in welcher die kon-
sekrierte Hostie offen sichtbar ist, wird dem Tabernakel entnommen
und den Gläubigen zur Schau gestellt. So ist das eucharistische Gre-
heimnis der Mittelpunkt nicht nur des liturgischen Gottesdienstes,
sondern auch der Nebengottesdienste; das Bewußtsein der sinnlich-
474 H. Das gottt sdienstlkhe Gemeindegebet
übersinnlichen Gegenwart des Herrn erhöht die Lebendigkeit der Gebets-
stimmung unter der Gemeinde.
An Versuchen, durch die Einführung der Landessprache in den Meß-
gottesdienst das altchristliche Ideal des liturgischen Gemeindegebets
zu erneuern, hat es in der katholischen Kirche nicht gefehlt. Zuletzt
war es die altkatholische Kirche, welche den altchristlichen Gemeinde-
gottesdienst zu rekonstruieren versuchte, indem sie die römische Messe
{mit sehr feinsinnigen Veränderungen und Vereinfachungen) in deutscher
Sprache feiert. Alle Gebete, auch das sogenannte , Stillgebet', der
Kanon, samt den Konsekrations Worten werden laut gesprochen; nicht
Chor oder Altardiener, sondern die versammelte Gemeinde respondiert.
c) Das gottesdienstliche Gebet im synagogalen
Judentum und in den evangelischen Kirchen und
Sekten.
Während im Mittelpunkt des urchristlichen und katholischen Gottes-
dienstes das Mysterium steht, welches der Gemeinde die Gemeinschaft
mit dem unter sinnenfälligen Gestalten gegenwärtigen Herrn bringt,
fehlt das Mysterium im jüdischen und islamischen Gemeindegottesdienst
völlig, in den evangelischen Kirchen 140 ist es nur rudimentär erhalten ;
die relativ selten stattfindende Abendmahlsfeier ist der einzige Rest
des urchristlichen Mysteriengottesdienstes. Der Gottesdienst der
Synagoge und der Reformation ist vielmehr ein völlig geistig-
sittlicher Wortgottesdienst, bestehend aus Schrift-
lesung, Predigt, Gebet und Gesang. Elbogen, der feinsinnige Historiker
des jüdischen Gottesdienstes, sagt treffend: „Die Synagoge hat eine
neue Art der Gottesverehrung eingeleitet ... Es war das erste Mal
in der Geschichte der Menschheit, daß regelmäßige gottesdienstliche
Versammlungen an Stätten gehalten wurden, die keine andere Weihe
hatten als diejenige, welche die Vereinigungen der Gläubigen ihr gaben,
es war ein Gottesdienst, der sich von den bis dahin bei allen Völkern
üblichen Bräuchen befreite, auf alle materiellen Beigaben, wie Opfer
und sonstige Darbietungen, auf die Vertretung durch Priester ver-
zichtete und den Menschen mit seinem Gemütsleben in den Mittelpunkt
der Gottesverehrung stellte" 141. Diese Charakteristik gilt auch für
den Gottesdienst der evangelischen Kirchen und Sekten. Kein sinn-
liches Zeichen stützt und belebt die Erfahrung von Gottes unmittel-
barer Nähe; kein heiliges ÖQCJfiEvov erfüllt die Gemeinde mit
Schauer und Ehrfurcht, kein mysterium tremendum erschüttert die
frommen Gläubigen bis ins innerste Mark. Das Abendmahl ist in den
Reformationskirchen nicht eine dramatische Erneuerung der Erlösungs-
tat Christi und eine mystische Vereinigung mit dem erhöhten Herrn,
sondern ein bloßes Zeichen und Unterpfand des Vergebungstrostes und
der Heilsgewißheit, wie in der lutherischen Kirche, oder, wie in der
reformierten, ein „potenzierter Danksagungs- und Bekenntnisakt" 142.
Der evangelische Gemeindegottesdienst hat ebenso wie der synagogale
nicht kultisch-sinnlichen, sondern persönlich-geistigen Charakter. Söder-
blom sagt: „Die persönliche Gottesverehrung der einzelnen vereinigt
Besondere Ausprägungen c) Judentum; Evang. Kirchen 475
sich zu gemeinsamer Danksagung und Anbetung. Der evangelische
Gottesdienst ist somit persönlicher Verkehr mit Gott, der bei mehreren
zugleich gemeinsam stattfindet" 143. Man kann darum nur ungenau
von einer synagogalen und evangelischen Liturgie reden ; denn
Liturgie ist dem Wortsinne nach (Xirrj = litare, opfern, und egyov,
Handlung) ein heiliges, sakramentales Tun, das den Gläubigen in eine
sinnlich-geistige Gemeinschaft mit dem Göttlichen bringt 144.
Im Judentum des Exils und der Diaspora war der opferlose Lese-
und Gebetsgottesdienst eine harte Notwendigkeit, weil man nur im
Zentralheiligtum am0 dem Sion Jahwe Opfer bringen durfte. Was
den Reformatoren bei der Erneuerung des synagogalen Gottesdienstes
vorschwebte, war die Übertragung des rein geistigen Gebetslebens der
großen prophetischen Genien in die gottesdienstliche Versammlung;
auch das Beten der Gemeinde sollte wie das Beten eines Jeremia, Jesus
und Paulus ein ,Anbeten im Geist und in der Wahrheit', ein persönlicher,
wenn auch kollektiv ausgeübter, Verkehr mit Gott sein. Aber diese
Übertragung des individuellen Gebetsgeistes in das gottesdienstliche
Leben einer großen Gemeinde raubt dem Gebet etwas von seiner un-
mittelbaren Kraft und Lebendigkeit. Alles echte, naive Beten wurzelt
in dem Erleben der geheimnisvollen, unmittelbaren Gegenwart Gottes.
Im religiösen Genius wie in der engen Gemeinschaft von Neubekehrten
und Neuerweckten entzündet sich dieses Erlebnis von selbst, in reiner
Geistigkeit, ohne jede sinnliche Stütze, ohne jedes äußere Symbol. Aber
eine große Gemeinde, die sich zumeist aus Durchschnittsfrommen zu-
sammensetzt, bedarf, um Gottes fühlbarer Nähe inne zu werden, eines
sinnlichen Reizes, eines sichtbaren Zeichens, eines äußeren Gleichnisses;
sie empfängt aus der Betrachtung der heiligen Mysterienhandlung und
aus der Schau eines Kultobjekts, in dem Gottes Gegenwart sichtbar
wird, den mächtigsten Impuls zur Innigkeit und Leidenschaft des
Gebets. Mit der Verbannung des Mysteriums aus dem Gottesdienst
haben die Reformatoren auch die elementaren religiösen Affekte der
Ehrfurcht vor dem ,Numinosum'' und der Bewunderung des ,Fasci-
nosum'' geschwächt. Das , Heilige' haftet im evangelischen Gottesdienst
allein am ,Wort', an der vox viva des Predigers und Beters 144b. Mit
der Zurückdrängung des ,Numinösen' und der hierdurch bedingten
Rationalisierung des Gottesdienstes hängt auch zusammen, daß der
pädagogische Zweck, der ein Nebenzweck des Gemeindegebets ist,
sich zum Hauptzweck desselben hervordrängt und so dieses aus dem
lebendigen Ausdruck des gemeinsamen Heilsbewußtseins eine bloße
Anleitung zum individuellen Gebetsleben wird145; das Gebet wird aus
einer Hinwendung zu Gott zum Unterricht, zur Katechese, die Kirche
aus einem Tempel zur Schule, die edya^iotia, das fivattjQiov
zur bloßen ovvay^yi]. Wenn man allein auf die Masse der
Durchschnittsfrommen blickt, so muß man urteilen, daß die spröde
und keusche Geistigkeit des evangelischen Gottesdienstes, die konse-
quente Absage an alles Sinnlich-Primitive und Mystisch-Magische nur
eine scheinbare Läuterung und Vertiefung des Gemeindegottesdienstes
bedeutet. Gerade im Sinnlichen, Primitiven, Mysteriösen liegt der
476 H. Das gottesdienstliche Gemeindegebet
Zauber und die Kraft des öffentlichen Gottesdienstes, eine Wurzel des
lebendigen Gemeindegebets; wo das Primitive in prophetischer Schroff-
heit und nüchternem Ernst zerstört wird, versiegen bestimmte Quell-
adern des gottesdienstlichen Gemeindelebens. Wohl ist in der katholi-
schen Kirche wie in den orthodoxen Kirchen des Ostens die altchrist-
liche Liturgie zu einem komplizierten Ritual, das freie Gemeindegebet
in heiligen Formeln, die lebendige Gebetssprache zu einer toten Sakral-
sprache erstarrt. Aber auch in den Reformationskirchen, die nach dem
Beispiel des alten Christentums Gottesdienstordnungen in der Volks-
sprache schufen, ist, wie selbst evangelische Theologen bekennen, ,,zu
Wenig Geist des Gebets und der Anbetung" (Theodosius Harnack) 145b,
ja nach dem (ungerecht verallgemeinernden) Urteil Vilmars ist in ihnen
,,das lebendige Gebet der Gemeinde fast überall erloschen" 146. Nur
in einzelnen engen Sektenkonventikeln und in den Hausgottesdiensten
frommer evangelischer Familien lebt das altchristliche Kollektivgebet
in seiner ursprünglichen Wärme und Kraft fort. Während die Liturgie
der katholischen Kirche dem antiken Tempelritual und der synkretisti-
schen Mysterienliturgie sich nähert, bedeutet der evangelische Gemeinde-
gottesdienst eine Rückkehr zum synagogalen Gottesdienst des Juden-
tums. Beide, die katholische wie die evangelische Form des Gemeinde-
gottesdienstes haben sich in gleicher Weise — wenn auch in entgegen-
gesetzter Richtung — von der urchristlichen Form des Gemeindegottes-
dienstes entfernt und zu vorchristlichen Gottesdienstformen sich
zurückgebildet. Aber während der evangelische Gemeindegottesdienst
in seiner geistigen Nüchternheit und ethischen Herbheit in der Menge
der Durchschnittsgläubigen nur schwer lebendige Kräfte individueller
Gebetsfrömmigkeit zu entbinden vermag, ist die katholische Meßliturgie
in ihrem numinösen Mysteriencharakter und ihrem Reichtum an sinnlich-
ästhetischen Reizen seit Jahrhunderten der Ausgangspunkt mystischen
Betens und Kontemplierens gewesen. Es ist unzweifelhaft, daß im
katholischen Sakramentsgottesdienst vor dem in der Eucharistie gegen-
wärtigen Gott, vor dem numen praesens, mehr und inniger gebetet
und angebetet wird als im evangelischen Wortgottesdienst.
Aber trotzdem von dem katholischen Gottesdienst tieferes religiöses
Leben ausstrahlt, trotzdem sein Mysteriencharakter bis in die Urzeit
des Christentums zurückgeht, steht das gottesdienstliche Ideal auf
der Seite des evangelischen Christentums. Der evangelische Gemeinde-
gottesdienst, d. h. die opferlose, geistige Anbetung Gottes durch eine
Versammlung reifer christlicher Persönlichkeiten, ist die höchste und
reinste Form des Kultus, der wahre Gemeindegottesdienst. Auf dieses
Ideal kann und darf das evangelische Christentum nicht verzichten,
mag auch die religiöse Massenpsychologie ihm widersprechen, mag auch
das von ihm ausgehende religiöse Leben zumeist arm und dürftig sein.
Die paradoxe Spannung, die zwischen dem hohen Ideal undderemprischen
religiösen Wirklichkeit besteht, hat niemand treffender formuliert als
der Straßburger Dogmatiker Fernand Menegoz (in einem Brief an den
Verfasser anläßlich des Erscheinens der Erstauflage dieses Werkes):
Besondere Ausprägungen c) Evangelische Kirchen 477
,,Die Tragik des evangelischen Gottesdienstes liegt in seiner radikalen Wahr-
haftigkeit. Diese (verbunden mit dem modernen naturwissenschaftlichen,
nüchternen Erkennen) zwingt ihn zur offenen Leugnung des numinösen Mysterien-
charakters sowie der magischen Wirkungskraft des sinnlichen religiösen Symbols.
.,Brot bleibt Brot — Wein bleibt Wein" — dieser Gedarike Luthers wird vom
gegenwärtigen fortschrittlichen Protestantismus konsequent zu Ende gedacht.
Für das neuzeitliche evangelische Gemeindebewußtsein giDt es daher ein religiöses
Erleben, ein Zusammentreffen des Menschen mit Gott, eine ,, Offenbarung" nur
in der Tiefe des geistig-persönlichen Innenlebens. Erst von hier aus werden die
Erfahrungen in der Außenwelt als Gottestaten gedeutet. Daraus folgt, daß.
während der katholische sakral-dingliche Gottesdienst der prophetischen, per-
sönlich-schöpferischen Frömmigkeit allzuenge Gienzen zieht, der evangelische
„geistliche" Gottesdienst ihr einen zu w e i t e n Raum gewährt, — einen Raum,
der in der idealistischen Übertreibung strenggenommen voraussetzt, daß jeder
Prediger eine schöpferische, überragende Prophetenpersönlichkeit sein sollte.
Da nun dies allermeist nicht der Fall ist, bleibt der größte Teil dieses Raumes
fürs gewöhnliche leer, — woraus sich der Eindruck der Öde ergibt, der so oft
vom evangelischen Gottesdienst ausgeht. Wird aber einmal dieser Raum tat-
sächlich ausgefüllt, — man denke an gottbegnadigte Wortverkündiger wie Spurgeon
oder Adolphe Monod, Charles Wagner oder John Mott — dann ist allerdings
der Eindruck, den der evangelische Gottesdienst machen kann, ganz groß.
Dann ergreift die Gotteskraft unmittelbar die feiernde und betende Gemeinde.
Aber solche Erlebnisse sind Ausnahmen. Was den evangelischen Gottesdienst
zu exzeptioneller, unvergleichlicher Durchschlagskraft befähigt, ist zugleich
der Grund zu seiner gewöhnlichen Ohnmacht. Es ist, wie wenn er den Reichtum
seltener seliger Stunden durch jahrelange Armut erkaufen müßte, und dies, weil
er eines über alles andere stellt: die Wahrhaftigkeit."
J. Das individuelle Gebet als religiöse Pflicht
und gutes Werk in den Gesetzesreligionen.
1 . Eigenart der Gesetzesreligion.
Einer der großen Typen der Religion ist die Buch- und Gesetzes-
religion ; sie reiht sich als selbständiger Typus neben die anderen Haupt-
typen: die primitive Religion, die Ritualreligion, die philosophische
Reformreligion, die schöpferische individuelle Religion, die lebendige
Gemeinschaftsreligion. Ihre Wurzel ist die persönliche prophetische
Frömmigkeit und die lebendige Gemeindefrömmigkeit, in welcher sich
die prophetische Frömmigkeit unmittelbar auswirkt. Das frischquellende
religiöse Erleben der prophetischen Genien und der jungen von prophe-
tischem Enthusiasmus beherrschten Gemeinde erstarrt zum unbedingt
verpflichtenden Ideal und Gesetz. Religion und Frömmigkeit ist nicht
mehr freies, schöpferisches Erleben, ein „Getrieben werden vom Geiste",
sondern Gehorsam gegen das heilige Gesetz. Dieses Gesetz ist nieder-
gelegt in einem inspirierten Buch, das die abgeschlossene Offen-
barung Gottes enthält ; es gibt keine fortwirkende Offenbarung
in den Propheten und Heiligen. Wohl steht das religiös-ethische Ideal
im ganzen auf der Höhe des ursprünglichen Lebens, aber dieses Leben
selbst in seiner unmittelbaren Kraft und Frische ist versiegt. Nicht
die tiefe Herzensnot und das bebende Schuldgefühl, nicht das innige
Heilsverlangen und die frohe Zuversicht, sondern die Furcht vor der
göttlichen Strafe und die Hoffnung auf göttlichen Lohn sind die Motive
der Frömmigkeit und Sittlichkeit. Nicht auf eine radikale Sinnes-
änderung, sondern auf das Tun äußerer Werke kommt es an. Die pflicht-
mäßige religiöse Leistung sucht der Fromme noch zu steigern durch
Häufung freiwilliger ,guter Werke' Der Autoritätsgedanke erfährt die
schärfste Her vor kehrung. Zwar ist dieser Gedanke schon der propheti-
schen Religion wesentlich; aber in der Gesetzesreligion tritt an die
Stelle der persönlichen Autorität des religiösen Genius die überpersön-
liche Autorität des Gesetzes, des Buches, des kirchlichen Lehramts (vgl. o.
S. 268).
Die Religionsgeschichte kennt vier große Gesetzesreligionen : den
mazdaistischen Parsismus, das nachexilische Judentum, den Islam und
den vollentwickelten Katholizismus, wie er um die Wende des 3. Jahr-
hunderts hervortritt. Es wäre jedoch verkehrt zu glauben, daß sich
in dieser Charakteristik die Eigenart und geschichtliche Bedeutung
dieser Religionen erschöpft. Im Judentum und Islam lebt unter der
Decke eines starren Nomismus eine weiche, innige Mystik. Im Katho-
lizismus aller Jahrhunderte blüht eine unvergleichlich tiefe mystische
Frömmigkeit, auch ist in ihm der urchristliche Gemeindegeist niemals
Eigenart der Gesetzesreligion — Geschichtlicher Überblick 479
erstorben, wenngleich er nur in verkirchlichter Form innerhalb der
Orden fortlebt. Wenn wir diese Religionssysteme als Gesetzesreligionen
bezeichnen, fassen wir lediglich ihre offizielle Gestalt, ihre äußere Ge-
samterscheinung ins Auge und lassen die mannigfachen religiösen
Unterströmungen unberücksichtigt.
Allen Gesetzesreligionen ist gemeinsam eine neue Auffassung des
Gebets: das Gebet gilt als Leistung des einzelnen Menschen gegenüber
Gott, zunächst als Pflicht, sodann als verdienstliches gutes Werk. Damit
ist jedoch keineswegs gesagt, daß dies die einzige Gebetsart in diesen
Religionen sei; es laufen vielmehr dem gesetzlich gebotenen und ver-
dienstlichen Gebet das primitiv-naive Beten der Volksmassen, das indi-
viduelle Beten einzelner großer Heiligen und das gottesdienstliche Ge-
meindegebet zur Seite. Am stärksten tritt die gesetzliche Gebetsweise
im Islam hervor ; das individuelle Gebet (du'a) wie das gottesdienstliche
Gemeindegebet treten hinter das Pflichtgebet (saldt) zurück. Im tal-
mudischen Judentum spielt das Pflichtgebet ebenfalls eine wichtigere
Rolle als das synagogale Gemeindegebet. Der Vertiefung des Gebets-
iebens durch das Christentum entspricht es, daß das gesetzliche und
verdienstliche Beten im Katholizismus nur eine untergeordnete Stelle
einnimmt und sich meist auf die breiten Volksmassen beschränkt, die
von dem mystischen Gebetsleben der Heiligen und von dem liturgischen
Kirchengebet nur wenig beeinflußt sind.
2. Geschichtlicher Überblick.
Das jüdische Pflichtgebet 1 geht letzten Endes auf die deuteronomische
Reform zurück. Das Deuteronomium (6 t ff.) gebietet, daß jeder Israelite täglich,
wenn er sich erhebt oder niederlegt (mag er nun zu Hause sein oder auf Reisen)
die Worte sich einschärfe: ..Höre (sma). Israel, Jahwe ist Gott, Jahwe allein."
Der 55. Psalm (18) und das Buch Daniel (6 1X) setzen die Verpflichtung zum drei-
maligen täglichen Gebet voraus. Josephus Flavius (Ant. IV 8, 13) erwähnt, daß
es Pflicht eines jeden Juden sei, zweimal täglich, morgens und abends zu beten;
er charakterisiert den Inhalt dieses Gebets als ein „Bekenntnis der Gnadengaben,
die Gott den Israeliten nach dem Auszug aus Ägypten gewährte." Nach den
Bestimmungen der Mischna (Ber. III 3) hat jeder männliche Jude täglich zwei-
mal zu den erwähnten Zeiten das Schma zu rezitieren. Es ist eine Erweiterung
des kurzen vom Deuteronomium vorgeschriebenen Textes, eine Komposition
von drei Thoraabschnitten (Dt G4 — 9; 11 13 — 21; Nm 15 S7 — 41), in denen einge-
schärft wird, daß Jahwe allein Israels Gott ist, es wird umrahmt von Preis- und
Dankgebeten, die dem liturgischen Gemeindegottesdienst entstammen. Wann
das vollständige «Schma, d. h. die von der Mischna vorgeschriebene Formel in
Gebrauch kam, läßt sich mit Bestimmtheit nicht entscheiden; es ist möglich,
daß die erwähnte Stelle bei Josephus den von der Mischna gebotenen Text des
Schma im Auge hat. Sicher fällt seine Entstehung noch in die Zeit vor Christus.
Htwas jünger als die Schma-Rezitation ist der pflichtmäßige, private Gebrauch
des Schmone 'Esre, des allgemeinen Synagogengebets, das auch Tefilla, d. h.
,, Gebet" schlechthin genannt wird. Er ist mit Sicherheit erst im ersten christ-
lichen Jahrhundert nachzuweisen, wo ihn Gamaliel vorschreibt. Während das
Schma zweimal täglich und nur von jedem männlichen .luden rezitiert werden
muß, ist das Achtzehngebet täglich dreimal, morgens, mittags und abends, und
zwar von jedem Israeliten, auch von Frauen, Sklaven und Kindern zu verrichten
(Herach 4, 1). Neben dem von Gott gebotenen Pflicht gebel steht seit der nach-
<xilischen Zeit das verdienstliche Privatgebet; das Gebet rückt auf eine Linie
mit dem Fasten und Almosengeben (Tob 12, 8) und wird zum guten Werk.
Die Sitte des mehrmaligen täglichen Gebets übernahm Mohammed aus dem
Judentum ■ Die Erhebung dieser Sitte zum streng verpflichtenden Gebot scheint
480 I- Das individuelle Gebet in den Gesetzesreligionen
noch vor dem Tode des Propheten erfolgt zu sein. Die älteste Form des moham-
medanischen Pflichtgebets (mldt) ist der Zikr. d. h. das „Gedenken" Gottes,
das in einem Ausrufen des Namens Allah oder in kurzen lobpreisenden Formeln
besteht. Nachdem der Koran zum allgemeingültigen, inspirierten Religionsbuch
geworden war, verwendete man bestimmte Abschnitte desselben als Gebets-
formeln bei der saldt, so die Eingangssure und die beiden Schlußsuren. Die erste
Sure kann als ein typisches Beispiel für die Gebetsweise des Propheten gelten,
die beiden Schlußsuren hingegen sind altarabische Beschwörungsformeln, welche
Aischa, Mohammeds Lieblingsfrau, diesem beim Todeskampf zuflüsterte. Der
Formalismus des islamischen Pflichtgebets übertrifft noch den jüdischen: die
Gebetszeiten, die Gebetsvorbereitung, die Gebetsworte und die, Gebetsstellungen
— alles ist bis ins minutiöseste Detail festgelegt.
Der Parsismus besitzt wie das Judentum mehrere Gebetsformeln, welche
der treue Mazdaanbeter bei den verschiedensten Anlässen verrichtet 3; ihre häufige
Bezitation gilt als höchst verdienstlich. Sie werden von den Mazdayasna ebenso
oft heruntergesagt wie das Vaterunser und Ave vom katholischen Volk. Wie
das jüdische Schma enthalten sie keine eigentliche Anrufung Gottes, sondern
stellen vielmehr eine Selbstvergegenwärtigung und Selbsteinschärfung der höchsten
religiösen Pflichten dar.
Das alte Christentum übernahm vom Judentum das mehrmalige tägliche
Pflichtgebet; an die Stelle des Schma und Schmone 'Esre trat das Gebet des
Herrn. Schon die Didache schreibt ein dreimaliges Bezitieren des Vaterunser
vor. (8 3) Die ägyptische Kirchenordnung Schreibt ein fünfmaliges tägliches Ge-
bet vor: morgens, um die dritte, sechste, neunte Stunde und vor dem Schlafe*.
Das Gebot des Morgen-, Abend- und Tischgebets hat die katholische Kirche durch
alle Jahrhunderte aufrecht erhalten ; doch gilt die Pflicht des täglichen Gebets
nicht so strenge wie im Gesetzesjudentum und Islam ; auch sind keine bestimmten
Formeln vorgeschrieben — lauter Zeichen für den freieren und lebendigeren
Charakter der christlichen Gebetsfrömmigkeit. Während die Gebetspflicht der
Laien sich auf diese täglichen Gebete beschränkt, sind die ,,Beligiosen", die Ordens-
angehörigen sowie die Weltgeistlichen zum regelmäßigen Stundengebet ver-
pflichtet. Die kirchlichen ,Tagzeiten' stellen jedoch ein gemeinsames gottes-
dienstliches Gebet dar ; sie wurden relativ spät zu einem individuellen Pflicht-
gebet, das alle Säkulargeistlichen und jene Ordensgeistliche, die am Chorgebet
teilzunehmen verhindert sind, für sich verrichten. Es ist jedoch bedeutsam, daß
das Breviergebet den Namen „officium" trägt.
Dem Judentum entstammt die Idee der Verdienstlichkeit des Gebets. In dieser
Idee gründet die Verwendung des Gebets als kirchliche Bußleistung, als ,,satisf actio
operis", die der Beichtvater dem Pönitenten auferlegt. Die Anfänge dieser Ver-
wendung des Gebets fallen in jene Zeit, in der das altkirchliche öffentliche Buß-
institut sich auflöste und von der Privatbeichte endgültig verdrängt wurde. Die
schweren altkirchlichen Bußstrafen verschwanden allmählich, an ihre Stelle
traten als Ersatzmittel die guten Werke, Beten, Fasten, Almosengeben, Schen-
kungen an die Kirche, Wallfahrten. In der heutigen Bußpraxis dient nahezu
ausschließlich das Beten bestimmter Formeln (Vaterunser, Ave, Rosenkranz,
Litaneien) als „Genugtuung". Auch außerhalb des Bußwesens wird seit Beginn
des Mittelalters das formelhafte Beten eifrig geübt ; das Gebet gilt dem katholischen
Volk als ein verdienstliches Werk, das reiche irdische und himmlische Belohnung
nach sich zieht. Eine Steigerung erfuhr dieser Gebetseifer durch die Ausbreitung
des Ablaßwesens, das seinerseits aus dem Bußwesen herauswuchs. Die Rezitation
bestimmter Gebetsformeln ist mit Ablässen verbunden, d. h. sie führt die Nach-
lassung diesseitiger bzw. jenseitiger Sündenstrafen herbei 5.
3. Die Form des gesetzlichen Gebets.
Das gesetzliche Gebet ist streng formelhaft; es ist keine freie Herzensaussprache,
sondern die Rezitation eines religiösen Textes, dessen Wortlaut festgelegt ist.
Die Masse der Laien, die zum täglichen Beten durch Gebote gezwungen werden
müssen, bedürfen einer stereotypen Formel. Das jüdische Schma und Schmone
'Esre, die Koran texte der muhammedanischen salät, die parsischen Gebets-
formeln, das Vaterunser und Ave im katholischen Christentum sind alle wörtlich
Inhalt des gesetzlichen Gebets 481
gebundene Formeln, die der Willkür des Beters entzogen sind. Nach einem tal-
mudischen Diktum darf beim Scbmone 'Esre bei Strafe der Ausrottung nichts
hinzugesetzt werden 6. An einer Stelle des Avesta wird dem Ahura Mazda folgendes
Drohwort in den Mund gelegt: „Wer mir in dieser körperlichen Welt diesen Teil
des Ahunavairya beim Hersagen verstümmelt — sei es um die Hälfte, um ein
Drittel, um ein Viertel oder auch nur um ein Fünftel — dessen Seele bringe ich.
der ich Ahura Mazda bin, hinweg vom besten Orte" 7. Aber nicht nur die Form
der Worte ist geregelt, auch die äußere Körperhaltung und selbst die Zeit des
Gebets sind genau bestimmt. Die Rezitation des Schma hat am Morgen zwischen
Dämmerung und Sonnenaufgang, am Abend beim Sichtbarwerden der Sterne
zu erfolgen. Die islamischen Gebetszeiten sind: unmittelbar nach Sonnen-
aufgang, Mittags, Nachmittags zwischen drei und vier Uhr, bei Sonnenunter-
gang und nach Einbruch der Nacht 8. Der jüdische Mischnatraktat Berachoth
und seine talmudischen Erläuterungen enthalten zahllose minutiöse Detailvor-
schriften, die bei der Schma-Rezitation zu beachten sind. Die Vorschriften für
die muhammedanische salät sind so zahlreich und kompliziert, daß „ein mus-
limischer Theologe mehrere Monate darauf verwenden muß, ehe er nur die Gebets
bestimmungen inne hat, die Muhammed selbst hinterlassen hatte." 9
Das private verdienstliche Gebet zeigt die Tendenz zur häufigen Wiederholung
einer und derselben Formel. „Wer sein Gebet lang macht, dem kehrt es nicht
leer zurück," lautet ein rabbinischer Ausspruch 10. Das Hauptgebet des Mazda-
dieneres, das Ahuna vairya, wird bis zu 1200 mal herunter gesagt u. Der katho-
lische Rosenkranz umfaßt fünfzehn Dekaden von je einem Vaterunser und zehn
Ave. Weil das Gebet etwas in sich selbst Wertvolles und Wirksames darstellt,
darum muß seiner Vervielfachung eine erhöhte Bedeutung zukommen.
4. Inhalt des gesetzlichen Gebets.
Hinsichtlich des Formalismus gleicht das gesetzliche Gebet völlig der rituellen
Gebetsfoimel, wie sie in primitiven und antiken Kulten allgemein üblich ist.
Der Inhalt aber verrät deutlich seine Herkunft aus der individuellen Frömmigkeit
oder dem Gemeindegottesdienst. Das Vaterunser und die erste Sure des Koran
entstammen dem individuellen Gebetsleben; auch die „Geheimnisse" des Rosen-
kranzes, die sein variables Element bilden, entspringen der individuellen Gebets-
frömmigkeit; sie stellen im Grunde nur das Meditationsschema der mittelalter-
lichen Mystik dar. Andere Gebete, wie das Schmone 'Esre, die Rahmengebete
des Schma und das christliche Glaubenssymbol, wurden aus dem Gemeinde-
gottesdienst in das private religiöse Leben übertragen. Ein großer Teil der gesetz-
lichen Gebete, wie das jüdische Schma, die parsischen Formeln des Ahuna vairya,
Aschern vohu und Yenhe hatam, das christliche Credo, sind keine eigentlichen
Gebete, sondern Meditations- und Bekenntnisformeln, in denen der
Fromme sich die zentralen Wahrheiten seines Glaubens vergegenwärtigt und
sein religiöses Heils- und Pflichtbewußtsein immer von neuem weckt und kräftigt.
Schma: „Höre, Israel! Jahwe ist unser Gott, Jahwe allein! Und du sollst
Jahwe, deinen Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit aller
deiner Kraft. Diese Worte, die ich dir heute vorlege, sollen dir im Herzen bleiben,
auch sollst du sie deinen Kindern einschärfen und von ihnen reden, wenn du in
deinem Hause weilst oder dich auf Reisen befindest, wenn du dich niederlegst
und wieder aufstehst. Du sollst sie als ein Zeichen auf deine Hand binden und als
Stirnbänder zwischen den Augen haben und sollst sie auf die Pfosten deines Hauses
und an deine Tore schreiben" (Dt 6 t — ,). Es folgt Dt 11 13 — ai; Num 15 87 — „ P.
Kürzer sind die drei Gebetsformeln der Parsen. Ahuna vairya: „Wie
der werteste Herr, so steht der Prophet in Einklang mit Ascha ; er übergibt Mazda
die Werke, die in guter Gesinnung in diesem Leben geübt worden sind, und dem
Ahura das Reich; der setzte ihn zum Schützer der Armen" ( Ys 27 13). Aschern
vohu: „Reinheit ist das höchste Gut; erwünschl ist sie, erwünscht für mich.
Für die Reinheit das Paradies" ( Ys 27 14). Yenhe hat a in: ..Wir verehren
die männlichen und weiblichen (Engel), durch deren Anbetung vor allem Mazda
Ahura in Einklang mit Ascha das Gute herbeischafft" ( Ys 27 l5) li.
Wie der das Schma rezitierende .Ind.- sich die ausschließliche Anbetung Jahwes
tagtäglich eins, häif t . so vergegenwärtigt sich der Mazdayasna die höchsten
Dj^ Gebet 31
482 !• Das Gebet in den Gesetzesreligionen
Ideale und Forderungen seiner Religion, die heilige Ordnung (Asa), das Reich
(Ksathra), die Reinheit und die guten Werke. Verwandt und doch von ganz
anderer Art ist das apostolische Symbolum, das im katholischen Privatgebet
fast so gebräuchlich wurde wie das Vaterunser und Ave; hier betrachtet der Christ
die in lapidarer Kürze zusammengefaßten heilsgeschichtlichen Tatsachen von
der Schöpfung über die Heilstat Christi zur Vollendung im ewigen Leben.
Neben den Meditations- und Bekenntnisformeln stehen Preisgebete.
Das jüdische Achtzehngebet ist in seinem Eingang und Schluß wie im Refrain
ein Lobgebet auf Jahwe. Die Rahmengebete des Schma sind zum größten Teile
Preisgebete (s. o. S. 446). Das ,, Vaterunser" der Muslimen beginnt mit dem
feierlichen Lobpreis: „Das Lob gebührt Allah, dem Herrn der Welten, dem All-
barmherzigen, Erbarmungsvollen. dem König am Gerichtstage. Nur dir wollen
wir dienen, und nur dich rufen wir um Hilfe an" 13. Das Ave Maria ist in seiner
ersten Hälfte ein Lobpreis auf die Gottesmutter.
Die Bitte fehlt im gesetzlichen Beten nicht ganz. Ein Teil der Rahmen-
gebete des Schma sind Bittgebete. Das Schmone Esre enthält zum größten Teil
Bitten. Die bei der salät gesprochene erste Koränsure schließt mit einer Bitte:
..Herr, führe uns den Weg, den geraden, den Weg derer, über die du deine Gnade
ausgießest, und nicht derer, über die du zürnest, und nicht den Weg der Irrenden!"13
— einer Bitte, die auf rein geistige Werte, die Erfüllung des Willens Gottes im
rechten Glaubensbekenntnis und rechten sittlichen Wandel abzielt. Ebenso ist
das christliche Zentralgebet, das Vaterunser, ein Bittgebet.
Zwischen den Bittgebeten und den Bekenntnisformeln stehen gebetähnliche
Formeln, in denen der Gläubige seine „Zuflucht nimmt". Nach der Eingangs-
sure zum Koran sind die beiden Schlußsuren die häufigsten mohammedanischen
Gebete. Sie lauten: „Sprich: ich nehme meine Zuflucht zum Herrn des Morgen-
grauens — vor dem Übel dessen, was er erschaffen — und vor dem Übel der Nacht,
wenn sie naht — und vor dem Übel der Zauberinnen — und vor dem Übel des
Neiders, wenn er neidet." „Sprich: ich nehme meine Zuflucht zum Herrn der
Menschen — dem Könige der Menschen — vor dem Übel des Einflüsterers, des
Entweichers — der da einflüstert in die Brust des Menschen — vor den Dschinnen
und den Menschen" 13. Die Anfangsworte dieser Formeln erinnern an die Formel,
welche die buddhistischen Mönche und Laien so häufig gebrauchen: „Ich nehme
meine Zuflucht zum Buddha, ich nehme meine Zuflucht zum Dhamma (Gesetz),
ich nehme meine Zuflucht zum Sangha (Mönchsgemeinde)." 14
Alle diese als gesetzliche Gebete benützten Formeln — von jenen abgesehen,
die der persönlichen Gebetsfrömmigkeit oder der Liturgie entstammen — zeigen
eine gewisse Allgemeinheit und Nüchternheit; es fehlt jener lebendige Schwung,
der dem individuellen Gebet wie dem Gemeindegebet eigen ist. Sie sind nicht
einmal Gebete im eigentlichen Sinne des Wortes; denn es fehlt die Gebetsanrede,
die unmittelbare Hinwendung des Frommen zu Gott.
.5. Die Idee des gesetzlichen und verdienstlichen
Gebets.
Das gesetzliche und verdienstliche Gebet ist eine Leistung des
Menschen an Gott, die in sich selbst Wert besitzt. Diese Leistung ist
von Gott gefordert ; wer sie unterläßt, verstrickt sich in Sünde und ver-
fällt dem göttlichen Strafgericht. Das gesetzliche Gebet ist das Be-
kenntnis des Glaubens, das den Frommen vom Gottlosen, den Gläubigen
vom Ungläubigen unterscheidet. „Wer die Verrichtung der salät unter-
läßt, ist ein Ungläubiger," sagt ein muhammedanischer Theologe 15.
Wer aber über das Minimum des von Gott Gebotenen hinausgehend,
freiwillig Gebete verrichtet, sichert sich göttlichen Lohn im Diesseits
und Jenseits. Die Idee der Leistung, die dem gesetzlichen und ver-
dienstlichen Beten zugrundeliegt, bedeutet ein Wiederaufleben des
primitiven Opfergedankens. Es ist von Wichtigkeit, daß das gesetzliche
Idee des gesetzlichen und verdienstlichen Gebets 483
und verdienstliche Gebet im Judentum gerade dann aufkam, als durch
die Zentralisierung des Kults das allgemeine Opfer verschwunden war,
und daß es noch größere Dimensionen annahm, als Tempel und Altar
m Schutt und Asche versunken waren. Der Talmud lehrt ausdrücklich
(Berach. 26 b), daß die täglich gebotenen Gebete an die Stelle der
früheren täglichen Opfer traten 16. Das formelhafte Gebet ist in der
Vorstellung des naiven Frommen nichts anderes als ein Opfer, das er
seinem Gott darbringt. Das gesetzlich verordnete Gebet ist der regel-
mäßige Tribut, den der Mensch seinem Gott wie einem König schuldet,
ein Dienst, zu dem er als Knecht gegenüber seinem Herrn verpflichtet
ist. Ein altjüdischer Text sagt bezeichnend: „Gleichwie der Dienst
am Altar eine labodd (d. h. Knechtesdienst) genannt wird, so heißt auch
das Gebet eine "abodä" 17. Während das regelmäßige Pflichtgebet dem
primitiven Tributopfer gleichkommt, hat das außerordentliche, als
gutes Werk verrichtete Gebet eine ähnliche Funktion wie das freiwillige
Gabenopfer; das freiwillig verrichtete Gebet heißt im späten Judentum
geradezu , Spendegebet' Pfillat neddbd 18. Der Mensch tut das, was
Gott wohlgefällig ist; er hofft, daß ihm Gott dafür die Erfüllung be-
stimmter Wünsche oder ganz allgemein irdisches Glück und himmlische
Seligkeit gewähren wird. Ahura Mazda verheißt: „Wer mir in dieser
mit Körper begabten Welt, o heiliger Zarathustra, den Teil des Ahuna
vairya hersagt, dessen Seele bringe ich dreimal über die Brücke zum
Paradiese, der ich Ahura Mazda bin, bis zu dem besten Orte, bis zur
besten Reinheit, bis zu den besten Lichtern" 19. Der Grundgedanke
alles Opferwesens, do ut des, erscheint hier in spiritualisierter Form,
Weil das Gebet em Opfergeschenk, ein ,gutes Werk' ist, kann es durch
andere ,gute Werke' verstärkt werden, vor allem durch Fasten und
Almosengeben. Mit diesen beiden verbindet es sich aufs engste zu einer
religiösen Trias, die das Christentum aus der jüdischen Mutterreligion über-
nahm und die auch im Islam unter den ,fünf Grundpfeilern' wiederkehrt.
Aber nicht nur der Opfergedanke liegt dem gesetzlichen und verdienst-
lichen Gebet zugrunde, im Hintergrunde steht der primitive Zauber-
gedanke. Das jüdische Schma, das christliche Vaterunser, die Anfangs-
und Schlußsuren des Koran, das Ahuna vairya und Aschern vohu des
Mazdaismus — alle teilen sich in das gleiche Geschick; alle mußten
sich gefallen lassen, als Zauberformeln den mannigfachsten selbst-
süchtigen Zwecken der Menschen zu dienen. Die religiöse Wertschätzung
dieser Formeln, der Glaube an ihren Heiligkeitscharakter zog die Vor-
stellung ihrer Zauberwirksamkeit nach sich; weil sie als „heilig" galten,
galten sie auch als mit immanenter, übernatürlicher „Macht" (Mana)
ausgestattet. [Ihre Worte waren das kräftigste Zaubermittel, die stärkste
Beschwörung. So sinkt das gesetzliche und verdienstliche Beten auf
die Stufe der primitiven Magie herab, aus einem ehrfürchtigen Tribut
an den großen Gott wird es zu einem mechanischen Mittel im Dienste
menschlicher Selbstsucht.
6. Schlußcharakteristik20.
Der Inhalt des gesetzlichen Gebets steht durchaus auf der geistigen
484 [■ Das Gebet in den Gesefczeareligionen
Höhe der Religionen, deren Bekenner diese formelhaften Gebete rezi-
tieren. Da ist kein Bitten um die kleinen Nöte des Alltags, sondern
ein feierliches Bekennen der Größe Gottes und seiner Heilstaten; da
ist kein eudämonistisches Wünschen und Begehren, sondern ein Sich-
vergegenwärtigen der großen religiösen Pflichten ; da ist kein Einreden
auf Gott, sondern ein demütiges Lobpreisen seiner Macht. Während
so der Inhalt des gesetzlichen Gebets religiöse Tiefe und Reinheit verrät,
bringt sein Formalismus notwendig eine Entgeistigung und Ver-
äußerlichung mit sich. Zwar fordert das religiöse Gesetz ein .andäch-
tiges' Beten, ein Rezitieren der Texte mit voller innerer Anteilnahme;
das Gesetzesjudentum verlangt vom Betenden kawwanä 21, das Ge-
setzeschristentum attentio und devotio; allein, wenn es auf den Wortlaut
der Formel ankommt, wenn die Formel heilig gesprochen wird, muß
der Geist ihr entweichen. Der alltägliche Gebrauch, die zahllose Wieder-
holung einer imd derselben Formel bedingt eine Mechanisierung des
Betens; man plappert schließlich gedankenlos die Gebetsworte herunter.
Die religiösen Autoritäten machen selbst dem mechanischen Beten
Zugeständnisse. Ein talmudischer Lehrer erklärt, wenn man das ganze
Schma nicht mit Andacht beten kann, so genüge dies für den ersten
Teil, während für den zweiten nur das Aussprechen nötig ist 22. Ein
zweites Moment, das zur Veräußerlichung des gesetzlichen Gebets
führt, ist der Lohn- und Strafgedanke. Der primitive Eudämonismus ,
der aus dem Inhalt des Gebets verbannt ist, tritt durch die Motive der
Furcht und Hoffnung wieder in das Gebet herein. Der Beter gehorcht
nicht einem elementaren inneren Drange, sondern dem äußeren Zwange
des Gesetzes; die Furcht vor der Strafe schreckt ihn, die Hoffnung
auf Lohn lockt ihn. So wird das gesetzliche und verdienstliche Gebet,
das seinem Inhalt nach eine Erhebung der Seele zu Gott und den Gütern
des Heils ist, durch das Motivationserlebnis des Beters zu einem Mittel,
sich Gottes Gunst zu verdienen oder zu bewahren. Ein solches Beten
ist dem Menschen nicht eine befreiende Lust, sondern eine drückende
Last, soferne nicht durch die stete Übung das seelische Erleben so
sehr mechanisiert ist, daß die Unlustgefühle, die das Pflichtgebet aus-
löst, nicht mehr auftreten.
Trotz aller Veräußerlichung ist auch das gesetzliche bzw. verdienstliche
Beten eine religiöse Größe. Es gibt immer wieder Fromme, die, von
einem persönlichen religiösen Drange beseelt, sich in den Sinn der ge-
botenen Gebetsformel vertiefen, die nicht gedankenlos, sondern be-
trachtend beten; sie dringen durch die Worte der Formel zum Geist
ihrer Schöpfer zurück. So kann auch an den gesetzlichen Gebets-
formularen echtes, religiöses Leben sich entzünden, kräftigen und
läutern. Aber auch die ohne volles Verständnis rezitierten Gebete ent-
behren nicht gänzlich des religiösen Charakters. Auch der mechanisch
Betende hat, wenn auch nur undeutlich und schattenhaft, dasBe wußtsein ,
daß er es mit etwas Heiligem zu tun hat; die Formel, die er benützt,
trägt religiösen Wertcharakter; s'e bringt ihn in Beziehung zu Gott;
sie begründet und fördert seiner Seele Heil. All diese Gedanken ver-
mischen sich in einem vagen und verschwommenem Andachtserlebnis,
Charakteristik 485
das aber doch ein echtes religiöses Erlebnis ist. Dieselbe Stimmung
ehrfürchtiger Scheu und fester Zuversicht, die den primitiven Menschen
beseelt, wenn er geheimnisvolle Zauberworte raunt, durchdringt auch
den gesetzeseifrigen Muslim, der seine salät mit peinlicher Genauigkeit
verrichtet, oder den thoratreuen Juden, der, die Hand vom Gebets-
riemen umwunden, seinSchma rezitiert, oder den reinheitsbeflissenen Maz-
dayasna, der sein zauberstarkes, teufelvertreibendes Ahuna vairya
lispelt, oder den frommen Katholiken, der beim Rosenkranz Perle um
Perle durch die Finger gleiten läßt und Ave an Ave reiht. Das „gedanken-
lose" Beten, d. h. jenes Beten, das sich nicht auf den Sinn der Gebets-
worte konzentriert, ist noch keineswegs ein unfrommes Beten, so lange
es noch von — wenn auch noch so unbestimmten und dunklen — Ge-
fühlen und Stimmungen getragen ist. Auch die kirchliche Theologie
unterscheidet beim Gebet mit psychologischer Feinfühligkeit zwischen
,attentio\ der Aufmerksamkeitsspannung, und ,devotio\ dem gefühls-
mäßigen Andachtserlebnis 23. Nur das jeder emotionellen Unterströmung
ermangelnde Gebet ist absolut andachtslos. Freilich ist es immer eine
niedere Frömmigkeit, welcher der Gedanken- und Stimmungsgehalt
einer Gebets- oder Bekenntnisformel völlig fremd und unverständlich
ist, und die so, obgleich nicht stimmungslos, doch stimmungsarm bleibt.
Die großen prophetischen Persönlichkeiten, die einen leidenschaft-
lichen Kampf für das Beten im Geist und in der Wahrheit führen,
brandmarken dieses gedankenlose und stimmungsarme Beten als gott-
los und sündhaft, während die Mystiker in ihrem feinen psychologischen
Verständnis und ihrer Weitherzigkeit auch im verständnislosen Murmeln
heiliger Formeln eine rohe und dunkle Ahnung ihres sublimen mystischen
Gebetserlebnisses entdecken. Den schärfsten Protest gegen das gesetz-
liche und verdienstliche Beten erhoben die Reformatoren; die Ein-
zwängung des gottgegebenen Gebetsgeistes in die engen Schranken
des gesetzlich Gebotenen und die Verwendung des Gebets im Dienste
selbstsüchtiger Werkgerechtigkeit erschien ihnen als schmählicher
Mißbrauch, als eine Profanierung des Heiligsten. (S. o. S. 404 ff.)
Dieser Protest rückt die Gefahren dieser Form des Gebets ins grellste
Licht, wird aber den erziehlichen Werten, die ihr innewohnen, nicht
völlig gerecht. Das hehre Ideal des spontanen und freien Betens, wie es
im individuellen Gebetsleben sich ausprägt, vermögen nur wenige gott-
begnadete Seelen zu erreichen. Die Masse der Durchschnittsfrommen
bedarf fester religiöser Formen, an die sie sich in ihrer geistigen Un-
selbständigkeit klammern kann; sie bedarf des harten Zwanges, der
sie aus dem Alltagsleben herausreißt und in eine höhere Welt empor-
treibt; sie bedarf des Lohn- und Strafmotivs, das sie zur Frömmigkeit
und zur sittlichen Pflichterfüllung anspornt. Trotz aller Äußerlichkeit,
Gedankenlosigkeit und Selbstsucht ist das gesetzliche und verdienst-
liche Gebet in den universellen nomistischen Religionen allzeit ein
mächtiger Hebel des religiösen Lebens gewesen.
Das Wesen des Gebets.
Aus der unübersehbaren Fülle von Gebeten, die je von Menschen-
lippen kamen, heben sich wenige scharf umrissene Typen heraus. Die
Urform des Betens ist das naive Beten des primitiven Menschen ;
Affektivität, Spontaneität und Freiheit, urwüchsiges eudämonistisches
Verlangen und konkretes realistisches Vorstellen sind seine Eigen-
tümlichkeiten. Das lebendige, aus dem Augenblicksaffekt geborene
Beten des naiven Menschen verkümmert im rituellen Gebet zur
heiligen, unantastbaren Formel, zum priesterlichen Amtsgeschäft; aus
einer unmittelbaren seelischen Äußerung entsteht eine feststehende
sakrale Institution, die sich von Geschlecht zu Geschlecht forterbt.
Dem rituellen Prosagebet tritt der feierliche Kulthymnus zur
Seite, die poetische Schöpfung der Priesterschulen, prunkvoll und
überschwänglich, stereotyp und schwerfällig, wie jenes ein Stück des
komplizierten Tempel- oder Opferrituals. Von der schematischen Kult-
poesie löst sich eine frischere und lebendigere religiöse Dichtung ab,
die literarische Hymnenpoesie, in der sich eine kräftige
religiöse Naturgegeisterung ausatmet. Gegen das primitive und kultische
Gebet erhebt sich die scharfe Kritik des philosophischen
Denkens; an die Stelle des naiven Betens rückt die Philosophie ein
abstraktes, rational-ethisches Gebetsideal, den harten Forderungen
des Verstandes angeglichen, den Ausdruck eines herben sittlichen Willens,
blaß, kahl, jeder religiösen Leidenschaft bar. Die reinste und reichste
Form alles Betens ist das Gebetsleben der großen religiösen
Genien; es vereint idealen Schwung mit urwüchsiger Lebendigkeit,
ethische Reinheit mit elementarer religiöser Leidenschaft, tiefe Innig-
keit mit überwältigender Kraft. In zwei Haupttypen sondert sich die
Gebetsfrömmigkeit der schöpferischen religiösen Geister: in den mysti-
schen und prophetischen Typ. Das mystische Beten ist die Hin-
wendung der von der Welt und der eigenen Leidenschaft losgelösten
Seele zu Gott, dem höchsten und einzigen Wert; von der sinnenden,
von stimmungsreichen Phantasie bildern sich nährenden Meditation
steigt der betende Mystiker empor zur wonnevollen Kontemplation des
höchsten Gutes, bis sich zuletzt die entzückte Gottesschau in der unend-
lichen Seligkeit der Ekstase verliert, in welcher der endliche Mensch
untertaucht in die Fülle des unermeßlichen Gottes. Eine Abart der
mystischen Gebetsweise ist die Versenkung der buddhistischen Frömmig-
keit; wie der Buddhismus eine Heilsreligion ohne Gottes- und Gnaden-
glaube, so ist die buddhistischeVersenkung eine mystische
Meditation und Kontemplation ohne persönliche Hinkehr zu einem
summum bonum; von der gefühlsschweren Betrachtung des Leids
Mannigfaltigkeit der Formen des Gebets 487
erhebt sich der Bettelmönch zur wonnigen Ruhe, von der Ruhe zum
heiligen Gleichmut, vom Gleichmut zum Nirväna, dem völligen Er-
löschen und Verwehen. Das prophetische Beten ist im Gegen-
satz zum mystischen ein naives , Ausschütten des Herzens', schlichte
Aussprache der drängenden Not und des sehnsüchtigen Verlangens,
Bitte um Erhörung, um Hilfe, Gnade und Heil für sich und die Brüder;
das primitive Beten lebt hier auf, religiös verinnerlicht und sittlich
verklärt, aber ungeschwächt in seinem konkreten Realismus. Das
prophetische Gebet erschöpft sich jedoch keineswegs in der Bitte; diese
geht vielmehr über in die Aussprache froher Zuversicht zu Gott oder
männlicher Ergebung in seinen Willen. Einen durchgängigen Parallelis-
mus zum Beten der großen religiösen Persönlichkeiten bildet das Beten
jener genialen Menschen, deren produktives Schaffen einem anderen
Wertgebiet angehört, der großen Dichter und Künstler; der
kontemplativ-mystische und der affektiv-prophetische Gebetstyp kehren
hier wieder. Im gottesdienstlichen Gemeindegebet
spricht eine sich solidarisch fühlende religiöse Gemeinschaft ihren
Heilsbesitz im feierlichen Lobpreis und Dank, ihr Heilsverlangen in der
allgemeinen Bitte und wechselseitigen Fürbitte aus. Ursprünglich
die unmittelbare Äußerung eines kräftigen religiösen Kollektiverlebens,
verhärtet sich das Gemeindegebet allmählich zu einer streng geord-
neten kirchlichen Einrichtung, einem für alle Zeit gültigenRitual, dessen
Vollzug in sich selbst Wert und Notwendigkeit besitzt. Das gesetz-
liche und verdienstliche Individualgebet, wie es die großen
Autoritäts- und Kirchenreligionen gebieten bzw. empfehlen, dient
ursprünglich einem pädagogischen Zwecke; es will die Massen durch
den steten Gebrauch auf die Höhe des religiösen und sittlichen Ideals
emporheben; aber das Gesetz und das Vergeltungsmotiv drücken es
zu einer pflichtmäßen und verdienstlichen Leistung herab. Die un-
mittelbarste und lebendigste Äußerung der Frömmigkeit droht zu
einem äußeren, mechanisch verrichteten Werk zu verkümmern.
In einer erstaunlichen Mannigfaltigkeit von Formen erscheint das
Gebet in der Geschichte der Religion : als stille Sammlung einer frommen
Einzelseele und als feierliche Liturgie einer großen Gemeinde, als ori-
ginäre Schöpfung eines religiösen Genius und als Nachahmung eines
einfältigen Durchschnittsfrommen; als spontaner Ausdruck quellender
religiöser Erlebnisse und als mechanisches Rezitieren einer unver-
standenen Formel; als Wonne und Entzücken des Herzens und als
peinliche Erfüllung des Gesetzes; als unwillkürliche Entladung eines
übermächtigen Affektes und als willentliche Konzentration auf einen
religiösen Gegenstand; als lautes Rufen und Schreien und als stille,
schweigende Versunkenheit ; als kunstvolles Gedicht und als stammelnde
Rede; als Flug des Geistes zum höchsten Lichte und als Klage der tiefen
Not des Herzens; als jubelnder Dank und entzückter Lobpreis und als
demütige Bitte um Vergebung und Erbarmen; als kindliches Flehen
um Leben, Gesundheit und Glück und als ernstes Verlangen nach Kraft
zum sittlichen Kampfe; als schlichte Bitte um das tägliche Brot imd
als verzehrende Seimsucht nach Gott selber; als selbstsüchtiges Be-
488 Das Wesen des Gebets
gehren und Wünschen und als selbstlose Sorge für den Bruder; als
wilder Fluch und Rachedurst und als heroische Fürbitte für die eigenen
Feinde und Peiniger; als stürmisches Pochen und Fordern und als
frohe Entsagung Und heiliger Gleichmut; als ein Gott-umstimmenwollen
im Sinne der eigenen kleinen Wünsche und als selbstvergessenes Schauen
und Sichhingeben an das höchste Gut; als scheues Flehen des Sünders
zum strengen Richter und als traute Rede des Kindes zum gütigen
Vater; als schmeichlerischer, höfischer Phrasenschwall vor dem unnah-
baren König und als freie Aussprache gegenüber dem sorgenden Freunde ;
als demütige Bitte des Knechtes zum mächtigen Herrn und als trunkenes
Liebesgespräch der Braut mit dem himmlischen Bräutigam.
Bei der Betrachtung dieser mannigfachen Gegensätze und bei dem
Überblicken der verschiedenen Haupttypen des Gebets erhebt sich das
Problem: was ist das all diesen Gegensätzen Gemeinsame, was ist das
allen diesen Erscheinungsformen Zugrundeliegende, was ist das Wesen
des Gebets ? Die Beantwortung dieser Frage ist keine leichte. Es
besteht die Gefahr, das Wesen des Gebets in eine leere Abstraktion zu
verlegen und so das Gebet gründlich zu mißdeuten. Um das Wesen
des Gebets zu verstehen, müssen wir jene Typen des Gebets ins Auge
fassen, in denen uns dieses als naive, spontane Seelenäußerung entgegen-
tritt, wir müssen also die primären Gebetstypen von den sekundären
sondern. Diese Trennung vollzieht sich unschwer; die primären Gebets-
typen heben sich von den übrigen unzweideutig ab: das naive Beten
des primitiven Menschen, das individuelle Gebetsleben der religiösen
Genien, das Beten großer Männer, das gottesdienstliche Gemeindegebet
(soweit es sich noch nicht zu einer starren sakralen Institution ver-
festigt hat). Hier überall ist das Gebet eine rein seelische Größe, der
unmittelbare Ausdruck eines urkräftigen seelischen Erlebens; es bricht
aus diesem mit innerer Gewalt hervor. Ganz anders die sekundären
Gebetstypen. Sie sind nicht mehr ursprüngliches, persönliches Er-
lebnis, sondern Nachahmung, Surrogat oder Erstarrung eines ursprüng-
lich Lebendigen. Das individuelle Beten der Durchschnittsfrommen
ist eine mehr oder weniger treue Übernahme fremden originären Er-
lebens; es bleibt an Lebendigkeit, Kraft und Tiefe hinter dem idealen
Muster zurück. Das philosophische Gebetsideal ist eine kühle Abstrak-
tion, konstruiert nach den Normen der Metaphysik und Ethik; das
lebendige Gebet wird einer Fremdgesetzlichkeit, den Normen der Philo-
sophie unterworfen, und nach dieser Fremdgesetzlichkeit umgebildet
und korrigiert; das Produkt dieser Korrektion ist kein wirkliches Gebet
mehr, sondern der Schatten eines solchen, ein künstliches, totes Gebilde.
Die rituelle Gebetsformel, der Kulthymnus, das liturgische Gemeinde-
gebet als sakrale Institution, das gesetzliche und verdienstliche Gebet
— ■ all diese Gebetstypen sind Erstarrungsphänomene, in denen das
quellende persönliche Leben zu objektiven, überpersönlichen Formen
und Normen geworden ist. Wohl mag das Eindringen in ihren Inhalt
in empfänglichen frommen Seelen neue Gebetserlebnisse anregen, wohl
mag ihre Rezitation im öffentlichen Kult oder in der privaten Frömmig-
keit in andächtiger Stimmung erfolgen, aber sie selbst sind nicht der
Die primären Gebetstypen. Struktur des Gebets 4g9
unmittelbare Ausdruck eines persönlichen Erlebens. Die Wesenszüge
des Gebets werden nie an diesen sekundären Zersetzungs- oder Erstar-
rungsformen des Gebets sichtbar, sondern nur an dem reinen, naiven
Beten, wie es in schlichten, urwüchsigen Menschenkindern und in über-
ragenden schöpferischen Genien lebt. Wir müssen uns also bei der
Wesensbestimmung des Gebets ausschließlich auf das naive Beten
konzentrieren ; erst wenn wir das Wesen des Gebets fixiert haben, können
wir die sekundären Gebetstypen ins Auge nehmen und daraufhin unter-
suchen, inwieweit sich in ihnen das Wesen des Gebets ausprägt.
Die Frage nach dem Wesen des Gebets richtet sich zunächst nach
dem wesentlichen Motiv, nach der gemeinsamen psychologischen Wurzel
desselben. Was treibt die Menschen zum Gebet? was suchen die Men-
schen, wenn sie beten ? Ein französischer Psychologe (Da Costa Gui-
maraens) definierte: „Beten heißt ein seelisches Bedürfnis befriedigen" L.
Die Definition ist seicht, sie ist überdies geschmacklos formuliert, aber
sie weist auf die richtige motivationspsychologische Fährte. Das Gebet
ist der Ausdruck eines elementaren Dranges nach höherem, reicherem,
gesteigertem Leben. Was immer der Gegenstand des Gebets sein mag,
welcher Wertsphäre er angehören mag, der eudämonistischen, der
ethischen, der rein religiösen — immer ist es ein mächtiges Verlangen
nach Leben, nach einem stärkeren, reineren, wertvolleren, seligeren
Leben. „Wenn ich dich, meinen Gott, suche, suche ich seliges Leben."
Augustins Worte (Conf. X 20) deckt die seelische Wurzel alles Betens
auf. Der hungernde Pygmäe, der um Speise fleht, der begeisterte
Mystiker, der sich in die Größe und Schönheit des unendlichen Gottes
versenkt, der schuldgedrückte Christ, der um Sündenvergebung und
Heilsgewißheit bittet — alle suchen das Leben ; sie suchen Behauptung,
Erhöhung und Bereicherung ihres Lebensgefühls ; selbst der buddhistische
Bettelmönch, der sich meditierend zur vollkommenen Gelassenheit
emporarbeitet, sucht in der Verneinung des Lebens ein höheres und
reineres Leben zu erlangen.
Das Streben nach Befestigung, Stärkung und Steigerung des eigenen
Lebens ist das Motiv alles Betens Aber die Aufdeckung der tiefsten
Wurzel des Gebets enthüllt uns nicht das eigentliche Wesen desselben.
Um dieses zu ergründen, dürfen wir nicht nach dem psychologischen
Motiv des Betens fragen, wir müssen vielmehr die Glaubensmeinungen
des naiven Beters klären, seine innere Haltung und geistige Zielung
erfassen, die ideellen Voraussetzungen begreifen, die dem Gebet als
seelischem Erlebnis zugrunde liegen. Was meint der schlichte, von
keiner Reflexion angekränkelte Fromme, wenn er betet? Er glaubt
mit dem unmittelbar gegenwärtigen, persönlichen Gott zu reden, mit
ihm zu verkehren, mit ihm in lebendigem, innerem Austausch zu stehen.
Es sind näherhin drei Momente, welche die innere Struktur des Gebets-
erlebnisses bilden: der Glaube an den lebendigen, persönlichen Gott,
der Glaube an seine reale, unmittelbare Präsenz und der dramatische
Verkehr, in den der Mensch mit dem als gegenwärtig erlebten Gott tritt.
Jedes Gebet ist eine Hinwendung des Menschen an ein anderes Wesen,
dem er sich innerlich aufschließt und mitteilt, Rede des Ich zu einem
490 Das Wesen des Gebets
Du. Dieses Du, dieser andere, mit dem der Fromme in Beziehung tritt,
dem er im Gebet gegenübersteht, ist kein Mensch, sondern ein über-
sinnliches, übermenschliches Wesen, von dem er sich abhängig fühlt,
aber ein Wesen, das deutlich die Züge der menschlichen Persönlichkeit
trägt: Denken, Wollen, Fühlen, Selbstbewußtsein. „Das Gebet ist
das Sichwenden des persönlichen Geistes an einen persönlichen Geist"
(Tylor) 2. Der Glaube an die Persönlichkeit Gottes ist die notwendige
Voraussetzung, die Grundbedingung allen Betens. Der Anthropo-
morphismus, wie er im primitiven Gebet stets, im Beten der großen
religiösen Persönlichkeiten, zumal der prophetischen, häufig hervor-
tritt, ist eine Vergröberung und Versinnlichung dieses Glaubens an
Gottes Persönlichkeit, er gehört jedoch nicht, wie dieser, zum Wesen
des Gebets. Wo aber die lebendige Vorstellung von Gottes Persönlich-
keit verblaßt, wo — wie im philosophischen Gebetsideal oder in der
pantheistischen Mystik — der persönliche Gott in das $v aal näv
hinüberspielt, löst sich das echte Gebet auf und geht in die rein kon-
templative Versenkung und Anbetung über.
Diesem persönlichen Gott fühlt sich der betende Mensch unmittelbar
nahe. Der primitive Mensch glaubt, daß er an einem sichtbaren Ort
weilt; an diesen Ort eilt er, wenn er beten will, oder er wendet dorthin
Hände und Augen. Der religiöse Genius erlebt Gottes Gegenwart in
der Stille des eigenen Herzens, im tiefsten Seelengrunde. Immer aber
ist es das ehrfürchtige und zuversichtliche Bewußtsein der lebendigen
Gegenwart Gottes, das der Grundton des echten Gebetserlebnisses ist.
Zwar ist der Gott, zu dem der Beter ruft, übersinnlich — und doch
fühlt der Fromme seine Nähe mit einer so unzweifelhaften Gewißheit,
als stünde ein lebendiger Mensch vor ihm.
Der Glaube an die Persönlichkeit Gottes und die Gewißheit seiner
Gegenwart sind die beiden Voraussetzungen des Gebets. Das Gebet
selbst ist aber kein bloßer Glaube an die Realität eines persönlichen
Gottes — ■ ein solcher Glaube liegt auch einer theistischen Metaphysik
zugrunde — und keine bloße Erfahrung seiner Präsenz — ■ diese be-
gleitet das ganze Denken und Leben der großen Frommen. Das Gebet
ist vielmehr eine lebendige Beziehung des Menschen zu Gott, ein Fühlung-
nehmen, eine Zuflucht, eine unmittelbare Berührung, ein innerer Kon-
takt, ein persönliches Verhältnis, ein wechselseitiger Austausch, eine
Zwiesprache, ein Umgang, ein Verkehr, eine Gemeinschaft, eine Ver-
einigung zwischen einem Ich und Du 3. Nur die Häufung jener Worte
und Synonyma, welche die menschliche Sprache besitzt, um die innigsten
sozialen Beziehungen von Mensch zu Mensch zu verdeutlichen, vermag
ein zutreffendes Bild von der realistischen Kraft und Lebendigkeit
jenes Verhältnisses zu geben, das der betende Mensch mit Gott an-
knüpft. Weil das Gebet einen Verkehr, eine Zwiesprache eines Ich
mit einem Du darstellt, darum ist es ein soziales Phänomen. Das
Verhältnis des betenden Menschen zu Gott spiegelt stets ein irdisches
Gesellschaftsverhältnis wider: das Knechtschafts- oder Kindesver-
hältnis, das Freundes- oder Brautverhältnis. Im Beten des Primitiven
wie in der Frömmigkeit der schöpferischen religiösen Persönlichkeit
Verkehr mit dem persönlichen, als gegenwärtig erlebten Gott 49 1
wird das religiöse Band ,ex analogia societatis humanae' aufgefaßt.
Gerade dieses irdisch-soziale Moment verleiht dem naiven Beten seine
dramatische Lebendigkeit. Wo, wie bei manchen Mystikern, das
religiöse Verhältnis nicht mehr eine Analogie zu den menschlich-sozialen
Beziehungen aufweist, geht das Gebet aus einem realen Verkehrs-
verhältnis in die reine Kontemplation und Anbetung über.
Wie der Anthropomorphismus der Gottesvorstellung nur eine ver-
gröberte Form des Glaubens an Gottes Persönlichkeit ist, so ist auch
der Glaube an die reale Einwirkung des Gebets auf Gottes Willen, an
das Gewinnen und Umstimmen Gottes, wie er gerade im primitiven
und prophetischen Gebet in aller Schärfe hervortritt, nur eine ver-
gröberte Form des unmittelbaren, lebendigen und dramatischen Ver-
kehrs mit Gott. Zum Wesen des Gebets gehört er nicht. Nicht in der
Gebetserfüllung, in der Einwirkung des Menschen auf Gott, liegt das
Wunder des Gebets, sondern in der geheimnisvollen Berührung, die
sich zwischen dem endlichen und unendlichen Geist vollzieht. Eben
dadurch, daß das Gebet ein wirklicher Verkehr des Menschen mit Gott
ist, ist es keine rein psychologische Größe, sondern eine transzendente,
metaphysische Größe, oder, wie Tholuck es ausgedrückt hat, „keine
bloße Kraft auf Erden, sondern eine Kraft, die in den Himmel hinein-
reicht" 4. „In der Tiefe unseres Innern findet sich nicht bloß ein Echo
von unserer eigenen Stimme, von unserem eigenen Wesen, abprallend
von den dunklen Tiefen der Persönlichkeit, sondern eine Wirklichkeit,
höher und größer als unsere eigene, die man anbeten, der man sich an-
vertrauen kann" (Söderblom)4b.
Das Gebet ist also ein lebendiger Verkehr des Frommen
mit dem persönlich gedachten und a 1 s g e g e n w ä r t i g
erlebten Gott, ein Verkehr, der die Formen der
menschlichen Gesellschaftsbeziehungen wider-
spiegelt. Dieses Wesen des Gebets ist in den sekundären Gebets-
typen nur unvollkommen realisiert. Im rituellen Gebet wie im Kult-
hymnus, im institutionellen liturgischen Gebet wie im gesetzlichen
und verdienstlichen Gebet ist das Erlebnis der göttlichen Präsenz meist
nur schwach und schattenhaft vorhanden, das Gebet ist hier ein mehr
oder weniger äußerliches Tun, kein innerer Herzens verkehr mit Gott.
Aber auch im philosophischen Gebetsideal und in bestimmten Formen
des mystischen Gebets ist das Wesen des Gebets nur undeutlich zu
erkennen. Um die dem Gebet verwandten religiösen Erlebnisse und
Zustände, die in der philosophischen und mystischen Religiosität eine
bedeutende Rolle spielen, vom Gebet selbst phänomenologisch abzu-
grenzen, müssen wir den Begriff der Anbetung und Andacht erläutern.
Anbetung und Andacht sind unentbehrliche Momente im religiösen
Erleben; beide stehen mit dem Gebet im engsten Zusammenhang, wie
schon das Wort ,anbeten' und die geläufige Wortverbindung ,andäch-
tiges Gebet' beweisen. Beide sind jedoch viel weitere Begriffe wie der
Begriff , Gebet'; beide bezeichnen religiöse Erlebnisse und Zustände,
deren Struktur von der des Gebets unverkennbar abweicht; ja sie
umfassen in analogem Sinne sogar seelische Zustände und Erlebnisse,
492 Das Wesen des Gebets
die nicht mehr der religiösen, sondern der ,profanen' Sphäre angehören
oder auf der Grenzlinie beider Gebiete sich befinden.
Anbetung ist die feierliche Betrachtung des , Heiligen' als dee
höchsten Wertes, die völlige Hingabe an ihn, das Aufgehen in ihm.
Die Anbetung begegnet uns schon im religiösen Leben des Primitiven.
Die Ehrfurcht, welche der naive Mensch einem , heiligen', d. h. mit über-
natürlicher, zauberhafter Macht erfüllten Gegenstand in Rede und Geste
erweist, ist Anbetung, wenn auch in roher und unvollkommener Form ;
das heilige Objekt ist ihm ein idealer Wert, und zwar der höchste Wert
in dem Augenblicke, in dem er von Schauer und Staunen hingerissen,
anbetend vor ihm niedersinkt. In reiner und vollendeter Form treffen
wir die Anbetung in dem persönlichen Erleben des Dichters und Mystikers.
Die stimmungsgesättigte Kontemplation des summum bonum, wie sie
uns auf den Höhepunkten des mystischen Betens begegnet, die enthu-
siastische Versenkung in die Herrlichkeit der Natur, wie wir sie in der
literarischen Hymnenpoesie antiker Völker und in der ästhetischen
Mystik moderner Dichter treffen, ist die reine Anbetung, der gegenüber
die primitive kultische Anbetung nur eine Vorform darstellt. Das
Objekt der Anbetung kann wie das des Gebets ein persönlicher Gott
sein — der Gott, den der Primitive a.nbetet, ist ein anthropomorphes
Wesen, das summum bonum der personalistischen Gottesmystik trägt
die Züge der geistigen Persönlichkeit. Aber der Persönlichkeitscharakter
ist dem Gegenstand der Anbetung keineswegs wesentlich. Im primi-
tiven Kultwesen sind es nicht nur anthropomorphe Geistwesen, sondern
ebenso leblose Objekte, die als ,heilig', d. h. als mana und tabu An-
betung beanspruchen. Auch das Objekt, in das sich das dichterische
Gemüt anbetend versenkt, ist nicht persönlich : die lebenspendende
Sonne, die gebärende und nährende Mutter Natur, das im Schönen
sich offenbarende Alleine und Unendliche. Es ist jedoch ein Über-
empirisches, Transzendentes, das durch die empirische Naturerscheinung
lediglich transparent ist. Wie der Gott, den der Betende anruft, so
wird auch das Objekt der Anbetung von dem frommen Gemüt als fühlbar
nahe und unmittelbar gegenwärtig erlebt. Wie der Beter zu seinem
Gott, so tritt der anbetende Mensch mit dem Gegenstand der Anbetung
in die engste Beziehung. Der primitive Mensch berührt ehrfurchtsvoll
mit Hand und Mund ein heiliges oder geweihtes Objekt ; der schauende
und staunende Dichter hebt sich empor zum Unermeßlichen, gibt sich
ihm hin, verschmilzt mit ihm zur völligen Einheit. Dieser Höhenflug,
diese Hingabe, dieses Einheitsgefühl ist freilich kein dramatischer
Verkehr, kein persönlich-sozialer Umgang, wie er im Gebet stattfindet;
aber das dem Gebet wesentliche Moment des Verkehrs ist hier wenig-
stens angedeutet. So lassen sich die drei phänomenologischen Momente
des Gebets: die Realität des persönlichen Gottes, seine lebendige
Gegenwart und der wechselseitige Verkehr zwischen Gott und Mensch
in den drei Momenten der religiösen Anbetung: dem überempirischen
Charakter des höchsten Wertes, seiner unmittelbaren Gegenwart und
der geheimnisvollen Berührung mit ihm, wiedererkennen.
Neben der religiösen Anbetimg steht die ,profane'. Wir bezeichnen
Anbetung und Andacht 493
im gewöhnlichen Sprachgebrauch mit Anbetung die Ergriffenheit von
einem höchsten Wert, die völlige Hinwendung und Hingabe an einen
höchsten Wert, gleichgültig, ob dieser Wert ein religiöser (,numinöserl)
oder profaner, ein natürlicher oder übernatürlicher, ein irdischer oder
himmlischer ist. Alles, was der Mensch als höchsten Wert erlebt, was
Gegenstand der ,Liebe' ist — eine Person, eine Gemeinschaft von Per-
sonen, eine abstrakte Idee — kann auch Gegenstand der , Anbetung1
(im weiteren Sinn des Wortes) werden. Der liebende Jüngling betet
seine Geliebte an, der patriotische Bürger sein Vaterland, der sich
solidarisch fühlende Arbeiter seine Klasse, der schaffende Künstler
seine Muse, der hochsinnige Philosoph die Idee des Wahren und Guten.
Bedeutet Liebe den Glauben eines Menschen an seinen höchsten Wert,
so ist Anbetung die höchste Steigerung dieses Glaubens, der Gipfel-
punkt der Liebe. Der Anbetende beschaut unverwandt sein ideales
Objekt; Staunen und Entzücken, Begeisterung und Sehnsucht er-
füllen ihn; alle fremden Gedanken und Wünsche sind entschwunden;
er gehört nur dem Einen, verliert sich in ihm, schmilzt in ihm dahin.
AnbetungistdiekontemplativeHingabean einen
höchsten Wert.
Die Andacht ist eine notwendige Voraussetzung und Unterlage
des Gebets wie der Anbetung. Der Betende, der Zwiesprache hält mit
seinem Gott, der Anbetende, der sich in sein höchstes Ideal versenkt,
beide sind andächtig, gesammelt, konzentriert. Aber der seelische
Zustand der Andacht kann ebensogut jeder Bezogenheit auf Gott oder
einen höchsten Wert en traten. Andacht ist zunächst Konzentration
des Geistes auf einen Punkt, ein hellwacher Bewußtseinszustand von
verengertem Bewußtseinsumfang. Dieselbe Konzentration erlebt aber
auch der Mathematiker, der ein geometrisches Problem löst, oder der
Techniker, der ein Modell konstruiert. Andacht ist im Unterschied
zur bloßen geistigen Konzentration, zur intensiven Aufmerksamkeits-
spannung eine feierliche, stille, erhabene, weihevolle Seelenstimmung.
Andacht erlebt der Philosoph, wenn ihm das Geheimnis des mensch-
lichen Geistes in seiner Autonomie und Freiheit aufgeht; Andacht
erlebt der Gelehrte, wenn er uralte Dokumente enträtselt und längst
vergessene Menschen und Völker zum Leben zurückruft ; Andacht erlebt
der Naturfreund, wenn er vor dem ragenden Hochgebirge steht oder
wenn er an einer heimlichen Waldblume sich ergötzt; Andacht erlebt
der Künstler, wenn ihm plötzlich eine neue Idee sich aufdrängt ; Andacht
erlebt der Kunstfreund, wenn er eine Madonna Rafaels bewundert oder
den Klängen einer Beethovenschen Symphonie lauscht; Andacht erlebt
der sittlich strebende Mensch, wenn er sein Gewissen durchforscht,
sich selbst richtet, sich hohe ethische Ziele und Aufgaben stellt; Andacht
erlebt der Fromme, wenn er an einer heiligen Kulthandlung teilnimmt
oder über ein religiöses Geheimnis sinnt; Andacht erlebt selbst der
Unfromme, wenn er das stille Halbdunkel eines majestätischen Domes
betritt oder dem festlichen Hochamte in einer katholischen Kirche bei-
wohnt. Die Andacht kann sich zur völligen Versunkenheit steigern;
der Bewußtseinsumfang verengert sich, die Intensität des Erlebens
494 Das Wesen des Gebets
wächst; die konkreten Wahrnehmungen und Vorstellungen, welche
das Andachtserlebnis auslösten, verschwimmen in der tiefen, lust-
gefärbten Stimmung. Die Zustände der Versunkenheit treten ebenso
im religiösen wie im ,profanen' Erleben auf. Sie begegnen uns ebenso
im mystischen Frömmigkeitsleben wie im wissenschaftlichen Forschen
und künstlerischen Schaffen. In der Versunkenheit erlebt der Mystiker
die volle Ruhe und Gelassenheit, den heiligen Frieden und Gleichmut
— lauter Erlebnisse, die sich von der kontemplativen Anbetung deutlich
unterscheiden. Gleichwohl ist in ihnen der Gedanke an ein Lstztes
und Höchstes, wenn auch nicht mit jener eindringlichen Wucht wie
bei der Anbetung, irgendwie lebendig. Selbst in der buddhistischen
Versenkung ist die Idee eines Letzten und Höchsten (des Nirvana)
wirksam.
Andacht ist also die stille, feierliche Seelen -
Stimmung, die durch die Betrachtung intellektueller und ethischer,
vor allem aber ästhetischer und religiöser (,numinöser')
Werte — äußerer Gegenstände oder gefühlsbetonter Phantasie-
vorstellungen — erregt wird. Während die Anbetung sich innerlich
auf ein ideales Objekt richtet und dieses krampfhaft festhält, bietet
die gegenständliche Voraussetzung des Andachtserlebnisses lediglich
die Anregung zu demselben; die Andacht selbst hat die Tendenz sich
von ihrer objektiven Voraussetzung zu lösen und zur vollen Innen-
konzentration und Versunkenheit fortzuschreiten. Die Anbetung trägt
objektiven, die Andacht subjektiven Charakter.
Die phänomenologische Untersuchung der Anbetung und Andacht
läßt das Wesen des Gebets im schärfsten Lichte hervortreten.
Das Gebet ist kein bloßes Erhabenheitsgefühl, keine bloße weihevolle
Stimmung, kein bloßes Niedersinken vor einem höchsten Wert; das
Gebet ist vielmehr ein wirklicher Umgang des Menschen mit Gott, ein
lebendiger Verkehr des endlichen Geistes mit dem unendlichen. Eben
deshalb, weil der moderne Mensch keine rechte Vorstellung hat von
der Unmittelbarkeit und Innigkeit des Gebetsverhältnisses, in dem der
naive Fromme zu Gott steht, verwechselt er beständig die Anbetung
und Andacht, diese allgemeineren religiösen Phänomene, die ihre
Analogien auch außerhalb der religiösen Erlebnissphäre haben, mit
dem echten Gebet. Weil der in den Vorurteilen einer rationalistischen
Philosophie befangene neuzeitliche Mensch sich sträubt gegen den
urwüchsigen Realismus des naiven Betens, ist er geneigt, in vager An-
dachtsstimmung und in ästhetischer Kontemplation das Wesen und
Ideal alles Betens zu erblicken. Aber einem in die Tiefe dringenden
psychologischen Studium enthüllt sich das Wesen des Gebets mit unzwei-
deutiger Klarheit : Beten heißt mit Gott reden und ver-
kehren, wie der Schutzflehende mit dem Richter, wie der Diener
mit dem Herrn, wie das Kind mit dem Vater, wie die Braut mit dem
Bräutigam. Die harte Irrationalität der Religion offenbart sich nirgends
so überwältigend wie im Gebet. Für das moderne von Kopernikus
und Kant bestimmte Denken ist das Gebet ebenso ein Stein des An-
stoßes wie ehedem für die aufgeklärte griechische Philosophie. Aber
Das Geheimnis des Gebets 495
ein Ausgleich, ein Kompromiß zwischen naiver Frömmigkeit und
rationaler Weltauffassung läßt die Wesenszüge des Gebets verblassen
und die lebendigste Äußerung der Religion zu einer leblosen Abstraktion
verkümmern. Es bleibt nur die doppelte Möglichkeit, entweder ent-
schlossen das Gebet „in seiner ganzen Irrationalität und mit allen
ihren Härten" (Menegoz)40 zu bejahen oder konsequent auf das echte
Gebet zu verzichten und an seine Stelle die gebetähnliche Anbetung
und Andacht zu setzen. Jede Vermengung der Begriffe verstößt gegen
die psychologische Wahrhaftigkeit.
Religiöse Menschen und Religionsforscher bezeugen übereinstimmend,
daß das Gebet der Mittelpunkt der Religion, die Seele aller Frömmigkeit
ist (s. o. S. 1 ff.). Den Schlüssel zu diesem Zeugnis gibt die Wesens-
bestimmung des Gebets: das Gebet ist ein lebendiger Verkehr des
Menschen mit Gott. Das Gebet bringt den Menschen in unmittelbare
Berührung mit Gott, in ein persönliches Verhältnis zu ihm. Durch
das Gebet wird die Religion ein Leben in Gott, eine Gemeinschaft mit
dem Ewigen. Ohne das Gebet bleibt der Glaube eine theoretische
Überzeugung; ohne das Gebet ist der Kultus nur äußeres Formwerk;
ohne das Gebet entbehrt das sittliche Tun der religiösen Tiefe; ohne
das Gebet bleibt die Gottesliebe stumm; ohne das Gebet bleibt der
Mensch Gott ferne, gähnt ein Abgrund zwischen dem Endlichen und
Unendlichen. „Gott ist im Himmel und du bist auf Erden" (Koh 5X).
„Wir können nicht zu Gott kommen denn allein durchs Gebet; denn
er ist zu hoch droben" (Luther) 5. Im Gebet erhebt sich der Mensch
zum Himmel, der Himmel senkt sich auf Erden, der Schleier zwischen
der sichtbaren und unsichtbaren Welt zerreißt, der Mensch tritt vor
Gott um mit ihm zu reden über seiner Seele Heil und Seligkeit. „Das
Gebet," sagt eine mittelalterliche Nonne in einem wundervollen Worte,
„ziehet hernieder den großen Gott in ein klein Herze; es treibet die
hungrige Seele hinauf zu dem vollen Gotte" (Mechthild von Magde-
burg). „Im Gebet," sagt ähnlich der größte lutherische Mystiker,
„kommt zusammen das Höchste und Niedrigste, das demütigste
Herz und der größte Gott" (Johann Arndt) 8.
Als die geheimnisvolle Verbindung des Menschen mit dem Ewigen
ist das Gebet ein unfaßliches Wunder, das Wunder der Wunder, das
sich täglich in der Seele des Frommen vollzieht. In der Erkenntnis
dieses Wunders mündet die religionswissenschaftliche Untersuchung
des Gebets. Der Religionshistoriker und Religionspsychologe kann nur
Zeuge und Dolmetsch jenes tiefen und kraftvollen Lebens sein, das im
Gebete sich enthüllt; in sein Geheimnis einzudringen ist dem religiösen
Menschen vorbehalten. Aber die wissenschaftliche Forschung steht am
Ende unter demselben überwältigenden Eindruck wie die lebendige
Frömmigkeit; sie ist genötigt einzustimmen in das Bekenntnis eines
der größten Kirchenväter (Chrysostomus): Ovx £'<mv ovökv ei>x^S
dvvaz&TEQov odde loov. „Nichts ist gewaltiger als das Gebet und nichts
ist ihm zu vergleichen" 9.
„Wenn ein Wanderer zur Mittagszeit, da
die Sonnenstrahlen am heißesten aufs Haupt
brennen, an eine Quelle kommt, deren
Wasser klar und hell ist, wird er dann
etwa sich a m Wasser niedersetzen und über
seine Natur philosophieren und nach forschen,
woher und wie und durch wen es gekommen
ist? . . . Oder wird er nicht das alles auf
sich beruhen lassen und sich zur Quelle
niederbücken, seine Lippen an sie setzen,
seinen Durst stillen und seine Zunge be-
feuchten, seiner Müdigkeit Ruhe schaffen
und dem danken, der ihm diese Gnade ge-
schenkt hat ? So ahme denn auch du den
Dürstenden nach."
Gregor von Nyssa, In suam ordinationem,
(Mi PG 46, 552D).
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AMi es t a in e n t I ich e Zitate sind nach der übs. v. Kautzsch (2I896)
wiedergegeben, Et i g v e d a -Zitate nach der Ulis. v. Hillebrandl (s. o.); Zitate
aus Seus es 8 hriften nach der ri„. \ . Lehmann (s. o.), die Belegstelle jedoch
aus der Originalausgabe v. Bihlmeyer (s. ".)■■ Luthers deutsche Schriften
werden nach t\^r Efrlanger Ausgabe (Erl.) bezw. nach der Volksausgabe von Buch-
wj Id-Kawerau, seine lateinischen Schriften nach der Übersetzung von Walch zitiert.
Anmerkungen,
Einleitung.
Jj ErL 41, 29; 14, 52. 2) Vier Bücher vom wahren Christentum 2, 20 (Berlin
1840, 262); vgl. Paradiesgärtlein, Vorrede S. 604. 8) Predigten I. Sammlung
1813, 22. 4) Schriften hsg. v. J. Minor, Jena 1907, II 297 (Fragmente ver-
mischten Inhalts). 6) Theologische Ethik, Wittenberg 18672, II 187. 6) Evan-
gelium und Urchristentum, Beitr. z. Weiterentwicklung der christl. Religion
1905, 95. 7) Willmann, Geschichte des Idealismus III 932. 8) Einleitung
in die; Religionswissenschaft übs. v. Gehrich II 1901, 110. 9) Religionsphilo-
sophie übs. v. A. Baur 1898, 19. 10) Varieties of Religious Experience, 1902,
464 f., übs., v. Wobbermin 1907, 468 f. ll) Apologie des Christentums I8,
1899. 534. 12) Wilder Honig, Ges. Werke 6, 125. 13) Leben Jesu Christi
lsos, I 579. 14) Israelitische und jüdische Geschichte 1897, 177. 1G) Die
bleibende Bedeutung des Alten Testamentes, SGV 1902, 31. 18) Geschichte
des Volkes Israel, Gotha 19092 II 441 Anm. 1. 17) Die Lehre vom Gebet im
Neuen Testament 1886, 143. 18) Gebet in der ältesten Christenheit 1901 S. VI.
l9) Zur Charakteristik der evangelischen Gebetsliteratur im Reformations Jahr-
hundert 1914, 4. 20) Theologische Ethik II2 187. ") Angewandte Dogmen
1908, 234. 239. 22) Gebet (dogmatisch), RGG II 1161. 23) Das Gebets-
problem im Anschluß an S^hleiermachers Predigten neu gestellt und untersucht
1911, 59. 62. 24) Geschichte der gottesdienstlichen Altertümer der Griechen,
2. Aufl. v. Stark 1858, 114. iB) Einleitung in die Religionswissenschaft II 110.
26) Religionsphilosophie 19 f. 27) Wesen des Christentums Ges. W., Leipzig
1846, VII 184. Ähnliche Äußerungen über die zentrale Bedeutung des Gebets:
E. de Pressense\ Histoire des trois premiers siecles de l'öglise apostolique I 2, 1888,.
263; Hoenicke, Neuere Forschungen zum Vaterunser, Neue Kirchl. Zeitschr.
1906 (17) 58; Bourquin, Essai sur la philosophie de la priere d'apres la pens6e
moderne 1907, 18 f. zit. D. Vorwerk, Gebet und Gebetserziehung 1913, 1 622;
R. Ostermann, Contribution ä l'^tude expeHrnentale de la priere 1907, 72; Henri
Roy, Das Gebetsleben im Psalter, MPTh 1911 (7), 143; W. Walther, Die Gebet s-
erhörung, Wie ist sie zu denken? 1911, 6; A. Harnack, Wesen des Christentums
1901-, 11 ; D. G. Mornad, Aus der Welt des Gebets übs. v. Michelsen 18782, 1.8;
C. IL Spurgeon, Goldenes ABC, 1900 Aussprüche Sp.'s hsg. v. Zyehlinski, 1902,
46 ff. 28) Abschiedsworte an seine Freunde und an die Kirche (Ausgew. Schriften
7) L862, L03. 29) Summa Theol. II 2 qu. 83 art. 3c. 30) Religionsphilosophie
19 f. 31 ) Kirchenzeitung für das evangelische Deutschland 1882, 1214. 32) Ein-
führung in die christliche Mystik 1908, 137. 33) Das christliche Dogma 1911,
219. 34) Evangelische Katechetik zit. Rothe, Theol. Ethik II 187 f. 36) Zwölf
Reden über die christliche Religion 1910, 175. Derselbe Gedanke ist schon im
Talmud ausgesprochen: „Aus den Gebeten eines Menschen läßt sich erkennen,
üb er ein talmid chäkäm (religiös-sittlich gebildeter Mensch) oder ein bor (unge-
bildeter Mensch) ist." Perles, Boussets Religion des Judentums kritisch untet-
sucht 100. '■>*) Religionsphilosophie 100. 37) Althaus 4. 15. 38) The
Evolution of religion 1905, 63. 39) Evangelium und Urchristentum 1)5. f.
40) Religionsphilosophie 20. 41) Les moines d'oeeident I 1860 p. I. (Freundl.
Hinweis v. Prälat Dr. Leistle- Wallerstein). 42) Evangelium und Urchristen-
tum 95 f. *3) Luthers Frömmigkeit 1917, 1. Vgl. die treffenden Ausführungen
von K. Seil, Die wissenschaftlichen Aufgaben einer Geschichte der christlichen
Religion, Preußische Jahrbücher 1899, 12 ff. 19 f. eowie W. Koepp, Johann Arndt.
Anmerkungen zu Seite 6 — 37 505
Eine Untersuchung über die Mystik im Luthertum 1912 S. V. 4i) RPh 54,
390. *s) Anfänge der Kultur übs. v. Sprengel und Poske 1873, II 365. 46) An-
gewandte Dogmen 1908, 235. *1) Christentum und Kirche 136. 48) Unser
Gottesglaube, Rg V, 32. 49) DE 1916, 119. 5°) Seelengärtlein (Sammlung
mittelalterlicher Gebete) 1877 und öfter, Vorrede. G1) Das Vaterunser 1903, 1.
*2) Vgl. zum folgenden besonders Tröltsch, Wesen der Religion und Religions-
wissenschaft HKG 14, 21 ff., Wende, Einführung ins theologische Studium 269 ff. ;
Söderblom, Studiet af Religionen 1908; vgl. auch F. Krüger, Über Entwicklungs-
psychologie 1915, Oap. IX ff. äa) Cumont, Die orientalischen Religionen 237.
°4) Gerade, Meine Erlebnisse und Beobachtungen als Dorfpastor 1895, 27.
35) Studiet av religionen 73. ie) Aus der Welt des Gebetes übs. v. Michelsen 1.
ä7) Tröltsch a. a. O. 34 ff. i8) Evangelium und Urchristentum 95. Vgl. Henri
Roy, MPTh 7 (1911) 143. 69) C. Sapper, Das nördliche Mittelamerika 1897,
267 ff. 80) Tagebuch 1849 bei Venator, Aus den Tiefen der Reflexion 122.
81) Enn. V 1, 6; VI 9, II (ed. Müller II 147. 456). 83) Weinel, Paulus 98.
63) Sarasin. Reisen in Celebes I 235; Paulitschke, Ethnographie Nordostafrikas II
43. 84) Acta B. Franc. 1, 15 ff. (ed. Sabatier 4). 6i) Acta B. Franc. 9, 37 ff.
p. 35. 8*) [Marabotto, ] Vita mirabile e dottrina santa della B. Oaterina da
Genova c. 59 p. 162. 67) Bartolomeo Coli. p. 1346 bei Hase, Ges. W. 5, 179:
.,Saepe in tali extasi posita cum deo locmendo orationes et postulationes per-
fervidas clara voce proferebat. Quas voces audientes ad devotas lacrimas move-
bantur. Quae orationes pro magna parte fuerunt redactae in scriptis de verbo
ad verbum, aliquae per me, quamplures per alios." 68) Corp. Reform. 2, 159;
Walch 16, 2138. Auch von Muhammed überliefern seine Vertrauten Gebete, die
sie aus seinem Munde hörten. Diese Gebete, welche Achmed ibn Taimija im
„Buch des frommen Wortes" (hsg. v. H. Wiesel 1914) zusammenstellte, haben
zwar keinen Anspruch auf genaue Wiedergabe des Wortlautes, beruhen jedoch
auf guter Tradition und vermitteln ein richtiges Bild von dem Gebetsgeist des
Propheten. 89) O. Cromwell, B'iefe und Reden übs. v. Marg. Stähelin, Basel
1911, 527. 70) G. Misch, Geschichte der Autobiographie I 1907, 4. 71) Dis-
cours touching prayer, Works I 451. 72) Offenbarungen II 25, ed. Morel 52.
73) Böhmer, Analecta 69. 74) Am 7, 1. 4; .Ter 1, 11 ; 14, 11 ff. 32. 75) Jer 10,
6 ff.; 15, 15 ff.; 20, 7 ff. 7ti) Job 10, 1 ff.; 13, 20 ff.; 14, 15 ff f. ; 30, 20 ff.
77) Div. am. 1 (Mi. P. G. 120, 507 f.). 78) Böhmer, Analekta 62. 79) Friere
pour demander ä Dieu, le bon usage des maladies, Oeuvr. II 29 ff. 80) Rout-
ledge 231; Sapper 267 f. 81) Lk 22, 31; 2 Kor 12, 8; Roe 1, 10; 15, 31 usw.
82) Deißmann 101; vgl. von der Goltz 35 ff.; P. Christ, Lehre vom Gebet nach
dem Neuen Testament 66; Augustinus, de mag. 2. 83) Achmed ibn Taimija
11; Wiesel 47. M) EM. 55, 2. 8S) Weim. 43, 297. 312; 44, 433. 436; =
Walch I 2 171. 2512; II 2040. 2015; Frl. Opp. ex. XX 59 = Walch IV 2641;
EM. 17, 125 f.: 11. 158. 86) Kegel, Ein neues christlich und nützlieh Gebet-
buch, Hamburg 1592. 87) Walch Vll 1043. 88) Vgl. Althaus 4; Klapper,
Das deutsche Privatgebel im ausgedehnten Mittelalter, Korr. Bl. d. Ges. Ver.
d. deutschen Geschichts- und Altertumsfreunde 62 (1914) 219. (Freundl. Hinweis
eon F. Hat Dr. G. (hupp.) 89) Althaus 72, 100, 106. Manche Gebetbuch-
autoren verschweigen es auch nicht, daß die. Gebete nicht ihre eigene originale
Schöpfung sind. „Ich (iahe diese Gebetlein fast zum meisten Teil aus den Alten
genommen, und, wiewohl ich nicht ihre Worte gesetzt, habe ich doch ihren Ge-
danken gefolgel und diese Gebetlein also angestellt." Musculus, Vorrede zu
seinem „Betbüchlein" 1559 bei Althaus 82. 90) Althaus 2. 91) Deiß-
mann 96. 'J-) Deißmann 96. 101. 93) Mi, PG 79, 1168 ff. 91) Weim. 13.
83; Walch 1 1905; EM. 12. 155. 165; Frl. 21, 10i>. 95) Leben c. 11; übs. v.
Hahn-Hahn 192; vgl. c. 16 S. 111. ") Vgl. Vorwerk, Gebet und Gebets-
erziehung 7. ;) Vgl. Oscar Ollondorf, Andacht in der Maleroi. Beitrage zur
Psychologie der grossen Meister, Leipzig 1912.
506 Anmerkungen zu Seile 38 — 51
Die Typen des Gebets.
A. Das naive Beten des primitiven Menschen.
I. Vorbemerkungen.
') Vgl. Wundt, Elemente der Völkerpsychologie 21. 2) Vgl. Wundt a. a. O.
21. 3) Gräbner, Methode der Ethnologie 1911; W. Schmidt, Hestermann und
Stratmann, Völker und Kulturen (Der Mensch aller Zeiten III) 31 ff. Vgl. F.
Krüger, Zur Entwicklungspsychologie 1915, 155 ff. 4) Schmidt- Hestermann
a. a. O. 44 f. 5) Durkheim, Definition des phenomenes religieux (L'Annee
Sociologique I); Les formes elementaires de la vie religieuse 1912. 8) Schmidt-
Hestermann a. a. O. 38 f. ') Sapper 267 ff.; Meinhof, S. A. 17; Söderblom, W.
G. 2 ff.
II. Anlaß und Motiv zum Gebet.
M Schurtz Urgeschichte 66. 2) ,, Damit sein (des Menschen) Herz die Er-
leichterung des Betens und den Trost des Hoffens habe, muß sein Intellekt ihm
einen Gott schaffen; nicht aber umgekehrt, weil sein Intellekt auf einen Gott
logisch geschlossen hat, betet er. Laßt ihn ohne Not, Wünsche und Bedürfnisse
sein, etwa bloß ein intellektuelles, willenloses Wesen; so braucht er keinen Gott
und macht auch keinen. Das Herz, d. i. der Wille, hat in seiner schweren Be-
drängnis das Bedürfnis, allmächtigen, folglich übernatürlichen Beistand anzu-
rufen; weil also gebetet werden soll, wird ein Gott hypostasiert ; nicht umgekehrt."
Schopenhauer, Parerga und Paralipomena, Ausg. Frauenstädt I 127. 3) Stat.
Theb. III 661. 4) E. v. Hartmann, Das religiöse Bewußtsein 30 f. 6) Siehe
W. Schmidt, G. I 1912, Söderblom, W. G. 1915. 6) Roeder 70 ff. 7) Hes.
Op. 338; Plat. Symp. 220 D; Leg. 887 E; L. Schmidt II 31. 8) Appel 60.
9) Warneck, AMZ 1910, 316. 10) Gutmann 177. u) Fassmann, A IV 579;
Raum ARW XIV 194. 197; vgl. Tylor II 366; Hahn 124; Paulitschke II 40.
12) Kingsley, PSPR XIV 233; Hahn 41; Tylor II 300; FR III 116. 13) G. E.
Burkhardt, Die Völkerstämme in Südafrika (Kl. Missionsbibliothek II 2) 1860,
8 f. (freundl. Hinweis von Dr. P. L. Kilger O. S. B., St, Ottilien). Gebete bei
der Saat: Spieth, R. 31; Le Roy 300; Sapper 292; bei der Ernte: Junod II 368;
Tylor I 366; Spieth, E. 440; Sapper 293; beim Jahresfest: Becker, A IV 901;
Schneider 91. 14) Routledge 231. 16) Schurtz 186. 16) Schurtz 186 f.
17) Irle 73. 18) W. Schmidt, G. I 165; P. 232. 19) Batchelor 203. 20) Od.
IX 232; IL IX 219; Xenoph. Symp. II 1 ; L. Schmidt II 31. 21) Appel 61.
22) Hofmayer, A VI 122. 23) Grube 41. 24) In den homerischen Gesängen
„finden sich von einem Lob- oder Dankgebet nur schwache Spuren". Nägels-
bach, H. Th. 186. 25) Vgl. R. Otto, Das Heilige 1917. 2G) Vgl. Söderblom,
W. G. 33 ff. 27) Schneider 77. 28) Irle 77. 29) Hahn 123. 30) Müller,
AI 513. 3l) Florida IL 32) Carmen f ratrum ar valium ; Appel 27. 33) Mül-
ler, A. U. 384. 34) Plutarch, Qu. Gr. 36.
III. Form des Gebets.
x) Warneck 56. 2) Schurtz 583. 3) Meiners II 226. 4) Dieterich,
Mithrasliturgie 40. 5) Spieth, R. 44. 6) IL VI 301 ; vgl. Od. III 450; Herod.
IV 189; Dieterich 4L 7) Pagan Races of the Malay Peninsula II 498. 8)
Schmidt, P. 193. 9) Schmidt, P. 245. 10) „Es gibt (bei den Bantu und
Negrillo) neben dem formelhaften Gebet solche Gebete, die entsprechend der
augenblicklichen Begeisterung, den momentanen Umständen und der erbetenen
Gnade hervorquellen." Le Roy 298. n) S :hurtz 520. 12) Koch, Animismus
der südamerikanischen Indianer 112. 13) Söderblom, ERE III 338; W. G. 150.
14) Gebhardt, Bäuerliche Glaubens- und Sittenlehre 91 f. 15) Tylor II 371.
16) Vgl. das Gelübde der Ruanda Arnoux, A VIII 117 (s. o. S. 66). 17) Cmtiss
177. 18) Sapper, ARW 1904. 453 f. 19) Nassau 35. 20) Gilhodes, A IV
707. 21) Kropf 186 f. 22) Skeat II 204. 23) Grimm I 160. 24) Junod
II 400. 28)LeRoy316. 28) Marc. Aurel V 7. 27) Rehse 135. 28)Pollux
IX 123; Athen. 619 B; Farneil 200. 29) Hippolyt, Philosoph, ed. Dunck 146;
Anmerkungen zu Seite 51 — 60 507
Procl. in Tim. 293 C; Farneil 194. 30) FR I 185. 31) Athen.
618 E; Farnell 200. 32) Freytag bei E. Schmidt, Anfänge der Literatur 12.
83) Schneider 57. 34) Callaway 182. 36) Serv. ad Aen. VIII 3; Appel 13.
Dieselbe Kürze zeigen spontane Gebete altchristlicher Frommer an die Märtyrer,
die an den Katakombenwänden oder literarisch überliefert sind. Lucius 285.
3S) Langloh-Parker 79. 37) Müller, A I 512. 38) Callaway 124 f. 39) Rout-
ledge 231; Meinhof. A. R. 141. 40) Brinton, M. 297. 41) Preuß 134. Weitere
Beispiele weit ausschweif iger Gebete Preuß 129 f.; Sapper 289 ff.; ARW 1904,
469 f. ; Tvlor II 366. 42) Hamberger, A IV 307. «) Tanner 28. ") Junod
II 383. 4ä) Schurtz 483. 47) Warneck, ARW XVIII 377.
IV. Die Person des Beters.
*) Balmer in Neuhauß III 493 ; Spieth, R. 44. Vgl. die 6f.oi.vytj der zu Athene be-
tenden Frauen II. VI 301. 2) Tylor II 366 ; Batchelor 203 ;Warneck 6. 101 ; Preuß
129 ; Hurel, A. VI 91 ; Doufays, A IV 860 ; Hofmayr, A VI 123. 3) Hamberger, A IV
307. 4) W. Schmidt, P. 229 ; Tylor II 366 ; Parkinson 379 ; Routledge 231 ; Mansfeld
180; Merensky 114; Le Roy 310; Nassau 98; Kingsley, PSPR XII 334; Irle 84;
Callaway 174; Kropf 191; Junod I 368; II 361. 369. 5) Vedder, ZK. I 6;
Brinton. M. 297; Preuß 129. 6) Seligmann 128. 7) Gilhodes, A IV 717;
vgl. 708. 8) Spieth, E. 432; R. 31. 50. 79. 86. 90; vgl. Becker, A IV 901.
9) Callaway 124 f. 10) Die sibirischen Schamanen verbieten den Frauen die
Gottheiten anzubeten. Die Weiber der japanischen Ainu dürfen nicht beten.
In China ist der Frau nicht gestattet, sich in den Tempel zu begeben um zu beten.
Westermarck I 544. 1X) Paulitschke II 45. 12) Farnell, ARW VII 70 ff.
13) Merensky 114; vgl. Callaway 174 ; Doufays, A IV 860 ; Tylor II 366. 14) Seneca
De vita beata 26, 7; weiteres Appel 187 f. 15) Kropf 191. 16) Koch, Animis-
mus 111. 17) Schurtz 477. 18) Meinhof, S. A. 21. 19) Callaway 124 f.
20) Callaway 174. 21) Paulitschke II 45. 22) Wünsch, Ein Dankopfer an
Asklepios, ARW VII 111 f. 23) Routledge 236 f.; vgl. 227. 24) Mansfeld
210; vgl. Le Roy 299. 25) 1 Chr 16, 36; Neh 8. 16; vgl. G. Dalman, Worte
Jesu I 185. 20) Brinton, M. 297. 27) Schurtz 520. 28) W. Schmidt,
P. 229. 233; Seligmann 133; Hahn 58; FR III 107; W. Schmidt, A II 1055.
*9) Tylor II 366. 30) Dorsey, XI. ARBE 390. 31) Junod II 369; Mansfeld
210. 32) Junod II 365; Mansfeld 243. 33) Spieth, R. 10. 45. 47. 97; E. 471.
Es gibt bei den Ewe ähnlich wie bei den Assyrern auch solche Gebete, die ab-
wechslungsweise vom Priester und vom Bittsteller gesprochen werden. Spieth,
E. 437 f. 34) Oldenberg. V. 369; Roussel. Museon VIII 564. 35) W. Schmidt,
A II 1055. 38) Routledge 235. 37) Vgl. E. Schmidt, Anfänger der Literatur
(HKG) 12.
V. Inhalt des Gebets.
1. Anrufung. 2. Klage.
l) Psychologie des Bauerntums 1005. 73 f. a) Stade, Biblische Theologie I
150. 3) Stade 1 150; Döller 21. ») Sittl 194. B) K. Ziegler, De precationum
apud (Jraei-os formis quaest i eines selectae, Diss. 1902. 62 ff. 6) Spieth, 458;
Paulitschke II 40; Mansfeld 210; Warneck 64; KB III 2, 28. 38; King IV 27.
7) Preuß 121 f. 8) Sapper 289. Ober die von den Griechen und Römern bei
der Anrufung gebrauchter Epitheta s. Ausfeld 521 ff.; Appel 97 ff. 9) Hecke-
welder 354; Le Roy 301; Paulitschke 11 44; Brinton, R. 107; G. E. Burkhardt,
Die Völkerstämme Südafrikas 9; Batchelor 100. 10) Warneck, AMZ 1910,
321. n) Spieth E. 440; H. 31. 45. 12) Gen 31, 12. 53; 32, 10; 48, 15; 1 Sm
1, 17; lt. 11 usw. 13) FR III 107; Tylor II 392; Brinton. M. 297; Spieth,
R. 45: Waitz Anthropolo-ir I 1 7s ; S 1 meider 153; Mansfeld 210: .Fastiow l 395.
406. 537: Batchelor 100; Schurtz 584; Farnell, Evolution 177; Aesch. Sepl L53.
14) Tvl<»r II 366, Jastrow 1 106. :.:'.7. 549; E. Schmidt, Anfänge dw Liter. 12:
Bamberger, \ 1 V 307; Batchelor 87; Grimm l 160; Aesch. Suj.pl. 151. 159;
Marc. Auivl. :,, 7; AI hm. (11 0 li. 1S) Gilhodes, A IV 707. l6) Hahn 62.
17) Callaway 34. 18) Junod II IM. 19) FR III 107. ao) Schneider 195.
21 ) Vedder, ZK I 6. ») Kingslev, PSPR XIV 334.
508 Anmerkungen ^u Seite 60 ö8
3. Bitte.
x) Es bestehen zahlreiche urverwandte indogermanische Sprachreihen für den
Begriff des Bittens, ohne daß es möglich wäre, bei ihnen zu sagen, wo der weltliche
Sinn aufhört und der geistliche beginnt. Schrader, Keallexikon. 605 f. Vgl. M.
Müller, Un ancient Prayer 1» ff. -) Söderblom, W. G. 147 f.; vgl. W. Schmidt,
Ot. 1 1912 (zahlreiche Beispiele). 3) Söderblom W. G. 148. 4) Tylor II
256. 5) Codrington 146. •) Stevenson, XI ARBE 131. 7) Batchelör «7 f.
") W. Schmidt, G. I 232. 9) Brinton, R. 107. 10) A. Erdland, Marsnall-
insulaner 1914, 320. n) Faßmann. A IV 579. 12) Paulitschke II 44.
13) Jastrow 1 396 f.; 403 ff.; vgl. II 9:;. 14) RV VII 77; IV 12, 6. Die zentrale
Stellung der Bitte um langes Leben im primitiven Beten zeigt sich in einem der
drei altcbinesischen Ideogramme für Gebet (tao). das sich aus den Zeichen für
..Gottheit" und „Langes Leben" zusammensetzt. Grube 40 ; Plath II 2. 15) Raum,
AKW XIV 176. 18) Jastrow 1 501; vgl. 52«. ") Spieth, E. 458. 450.
18) Paulitschke II 45; Kropf 141; Callaway 140; Schneider 91. 19) Müller,
A. IT. 384. 20) Jastrow I 406 f. ") Spieth, R. 50. 246. 22) Junod I 368.
2S) Brinton. R. 107. -4) Spieth, E. 442. 2i) Brinton. M. 297. 20) Le
Roy 301. 27) Spieth. lt. 52 f. 28) Dorsey, XI. ARBE 377. ") Sarasin I
235. 30) Sapper 291. 31) Schneider 153. »») Tylor II 369. 33) Bat-
chelör 116. 34) Meinhof, S. A. 28. 36) Brun, A II 725. 38) Orpen, Mytho-
logy of the Maluti Buslinien (The Cape Monthly Magazine 1874 (IX New Series) 2.
17 ) Söderblom, W. G. 139. 38) Hahn 52 f. 39) Spieth, R. 52 f. 40) Hahn
41. 69. 4l) Schürte 584 42) Faßmann, A IV 579. 43) Codrington 146.
44) Batchelör 116. *5) Westermarck II 487. 48) Spieth. R. 44. 47) Sapper
292. 48) Tylor II 369. 49) Le Roy 300. 50) Zahn in Neuhauß III 332.
äl) Tylor II 366. 5a) Athen. 618 E. i3) Tylor II 369. 54) Callaway 84.
-5) Rehse 135. iB) Spieth, E. 432. i7) Merensky 115. i8) Le Roy 301.
69) Schneider 57; Faßmann. A IV 579; Routledge 236; G. Freytag bei E. Schmidt
12; Callaway 182; Paulitschke II 44. 6Ü) Grimm II 1184. 61) Kropf 19.
B2) Routledge 227. 63) Schneider 91. 84) Schultz 584. 65) RV I 12, 11.
6S) Meinhof. S. A. 21. 67) Paulitschke II 45. 88) Jastrow I 403 ff. 89) War-
neck 35. 70) Spieth. R. 85; 1 Sm 1, 10 ff. n) Spieth, R. 45. 72) Spieth,
R. 90. 7J) Schultz 584. 74) Spieth R. 246. 75) Waitz II 169; Gilhodes.
A IV 708. 70) Spieth, R. 52 f. 77) Balmer in Neuhauß III 514. 78) Tylor
II 369. 79) Junod II 403. 80) Merensky 115. 81) Spieth. R. 44. 82) Pau-
litschke II 40. 83) Tylor II 366. 84) Dorsey, XI. ARBE 376; Brinton,
K. 107. 8S) Brinton, M. 297. 88) Heckewelder 354. 87) Warneck 7.
88) Warneck 49. 89) Cyl. A IV 13; Thureau-Dangin 10 f. 90) Howitt 394.
91) Spieth. R. 47. 92) Junod I 53. 93) Routledge 236; vgl. 227. 94) FR
III 116. Weitere Beispiele Spieth, R. 31; Paulitschke II 45; Le Roy 299 f ;
Grimm II 1184. 95) Tvlor II 369. 98) Schneider 153. 97) Spieth, R.
45. 98) RV I 12«), 10. 99) Le Rov 298. 10°) Schurtz 582. l01) Spieth,
E. 457. "■) Arnoux, A VIII 117.* 103) Fries, AMZ 1908, 77. 114) In
Zeiten des religiösen wie des moralischen Verfalls werden ausgesprochen anti-
ethische Wünsche und Pläne zum Gegenstand des Gebets. Aristänetos (Ep. II 15)
berichtet von dem Gebet eines Weibes um Gelegenheit und langen Genuß eines
ehebrecherischen Umganges. Horaz parodiert treffend diese unsittliche Gebets-
weise Ep. I 16, 59 ff. : ,.Pulchra Laverna,// Da mihi fallere, da iustum sanctumque
videri, // Noctem peccatis et fraudibus obice nubem." Eine lesenswerte Muster-
karte unsittlicher Gebetswünsche stellt Da Costa Guimeraens RPh 1904, 389
zusammen. loi) Warneck, ARW XVIII 378. 108) Spieth, E. 440 f. 107)
Meinhof, S. A. 21. 108) Junod II 384. 109) Brun, A II 725, uo) Brinton,
R. 107. Ul) Waitz I 169. 112) Grimm II 1184. 113) Brinton, R. 107.
114) Paulitschke II 44. 143. 115) Schneider 9L lle) Mansfeld 210. U7) Bat-
chelör ]00. 116. 118) Callaway 223 f. 119) Kropf 401; vgl. Callaway 182.
i2°) Spieth, E. 460. 121) Warneck, ARW XVIII 379. 122) Dorsey, XI.
ARBE 38U. 123) Tylor II 369. 124) Spieth, E. 462. 126) Paulitschke
II 44. 128) Brinton, M. 298. 127) Plath II 4; Grube 4L Der chinessiche
Ausdruck k'i für Gebet bedeutet nach dem ältesten chinesischen Wörterbuche
„um Glück bitten". Grube 41 f.; Plath II 4. 128) Jastrow I 400—419; 508;
Anmerkungen zu Seite (58—77 509
KB III 2, 28 ff. 129) Stelleuhin weise- bei Greiff 107. 130) Sämaveda I 2
(Tylor II 371). 131) Oldenberg, V. 435: E. Hardy, Vediseh-Brahmanische
Periode 167. 132) Nägelsbach, H. Th. 186 f. ,33) Farneil 20. 134) Lucius
286. 136) Vgl. Gebhardt 92.
■1. Fürbitte.
l) Vedder, ZK I 6. 2) Hamberger, A IV 307. 3) Bachelor 221. 4) Du-
fays, A IV 860. 5) Hofinayr, A IV 123; vgl. 101. 6) Heekewelder 354.
Vgl. Spieth, R, 79. 7) W. Schmidt, G. I 165. Vgl. Paulitschke II 41. 8)
Spieth. R. 52 f. 9) Gutmann. Dichten und Denken der Dschagganeger 177.
10) Spieth. R. 17. 90. ") Routledge 231. 12) W. Schmidt A II 1055; Gr.
118. 13) Junod II 384. 14) Schneider 125. 15) Plath II 3. 16) Bat-
chelor380. 17) Zahn bei Neuhauß III 332. 18) Schneider 152. 19) Sarasin
II 130. 20) Langloh-Parker 89. 21) Koch. Animismus 112; vgl. Westei-
marck I 45 : Oldendorp I 326.
5. Opfer, Opferspruch und Gelübde.
x) Dt 16, 16; Ex 23; 15; 34. 20. 2) Eur. Med. 964; Hes. bei Plato Republ.
III 390 E. Vgl. noch Gregor. Nyss. or. 2, Mi PG 44, 1140. 3) Ovid. A. A. III
653 f. 4) Spieth. R. 79. 6) ,,Die einfachste und unmittelbarste Weise,
wie sich der Mensch in Beziehung zur Gottheit setzt, ist das Gebet, und in diesem
haben wir daher auch die ursprüngliche Form und den Kern der griechischen
Gottesverehrung zu erblicken, wofür alle anderen Gebräuche zunächst nur als
Träger und Vermittler dienen." Hermaun- Stark, Gottesdienstliche Altertümer
der Griechen 114: vgl. 134. «) J. Grimm I 28; Kleine Schriften II 461 ; Köberle,
Gebetserhörungim A. T. 253. ') Religionsphilosophie 100. s) Eutyphr. 14 B.
9) Schrader 605. 10) Gesenius, Handwörterbuch 574; Greiff 16 f.; Döller 60.
») Döller 60. 12) Langloh-Parker 8. 13) Warneck, ARW XVIII. 379. l4) ARW
XVIII 382. 15) Beispiele Westermarck II 4 85 f. 16) Eutyphr. 14 C ; vgl. Polit.
290 C. 17) Tylor II 376. * 8) Vgl. zum folgenden Meiners, Allgemeine kritische Ge-
schichte der Religionen II 1 ff. ; Chantepie de la Saussaye, Lehrbuch der Religions-
geschichte l1, 101 f. ; A. Reville, La religion des peuples non civilises 1883, II 250 f. ;
E. v. Hartmann, Das religiöse Bewußtsein im Stufengang der Entwicklung 34 ff.;
Tylor, Anfänge derKultur II 376 ff. ; Westermarck, Moralbegriffell 485 ff. ; Schrader,
Reallexikon 600 ff.; Erman, Ägyptische Religion 48 ff.; Foucart, L'histoire des
religions 141 ff.; Robertson Smith, Religion der Semiten 166 ff.; Curtiss, Ur-
semitische Religion 294 ff. ; Oldenberg, Religion des Veda 352 ff. ; Thureau-Dangin.
Sumerische und akkadische Königsinschriften 81 ff.; Plath, Religion und Kultus
der alten Chinesen II 1 ff. ; Müller, Geschichte der amerikanischen Urreligion
677 ff.; Seligmann, The Veddas of Ceylon 127 f.; Warneck. Religion der Batak 34;
Wünsch, Ein Dankopfer an Asklep'ios ARW VII 113 f. 1B) Kropf IST.
20) Kropf 188. 21) Gn 8, 21; Lv 1, 9; 1 Sm 26, 19. -■) Gilhodes, A IV 708:
vgl. Warneck 6; Smith 108. ") Nägelsbach, N. Th. 195. »*) Der Kekchi-
indianer betet bei der Opferdarbi 'ingung: „Es ist nicht wegen meiner Kleinheit,
meiner Armut (der Opfergabe), was du auch tuest; so zeigt es aber vielleicht
meine Kleinheit, meine Armut, was ich schaffe." Sapper 292. Ein Baronga-
priester s.i^te: ,.Wenn jemand auch nur ein Hühnchen opfert, ist der Gott völlig
zufrieden, denn für ihn hat es <U-^ gleichen Wert wie ein Ochse." Junod 11 :>7S.
«) Bahner in Neuhauß III 51 1. 28) Warneck 6. 75. ") Junod 11 378.
-8) Lucius 288 ff. ") Gebhardt 9:; 17.: Schulte: MKP IV 187. 30) Vgl;
Seligmann 130. 3l) Smith L97; vgl. Wünsch. ARW Vll 113 f. 32) Smith
litT. ■■) W. Bshmidt, A II L055; Oallaway 121 f.: Schneider 153; Paßmann,
A IV 579; Hahn. 52 f. 34) Midier. A. ü. 384. 35) Warneck, A KW XVI 11 37t;.
»•) Spieth, B. .".ii. 37) Oallaway L40. 38) Sarasin I 235. :!n) Brinton, B.
107. 40) Brinton, M. 297. *«1) Hofmaver. A VI 12:;. •■) Sapper 292.
"3) Tylor II 2.">'>. ") Brun, A U 7^.".. l8) Müller, A. I . 384, 48) Erdland,
Marschallinsulaner 320. ,:) Kropf HM. *8) Warneck, ABW XVII l 376.
<9) Tylor 11 366 50) Spieth, E 1 In ") Tylor II 279. 6=) Bahner in
Neuhauß III 511; vgl. Waitz l!l 181. 63) Parkin^.n :;7t'. 61) Batöhelor
Kio. ■<•'•) Gilhodes, \ 1\' 7(is. ") Warreck, Ai:w \'\'Ul 379. ".) Vgl.
510 Anmerkungen zu Seite 77 — 91
Tiele, R. A. II 323. 68) Ys. 68, 9; Tiele, R. A. II 323. 6») Dufays, A IV
860. *°) Junod II 368 f. 383. 81) Callaway 175; Kropf 189. 82) Warneck
63. °3) Routledge 231. 64) Junod II 359. 95) Preuß I 135; Stevenson,
11. ARBE 181. ") Spieth, E. 460. 87) Maitr. S. I 10, 2; L. Schröder,
Indiens Literatur und Kultur 1887. 161 (Preundl. Hinweis v. Un.-Piof. Dr. Schnit-
zer-München). 88) Sapper 289 ff. 69) Electr. 1379. «) Arnoux, A VIII
117; Spieth, E. 50; Warneck 75. 71) Stade I 154. 72) Taitt.-S. I 8, 41;
Sat. Brahm. II 5, 3, 19. E. Hardy, Vedisch-bramhanische Religion 136.
73) Spieth. R. 246. 74) Spieth, R. 45. 85. 76) Spieth, R. 79. 7S) Raum,
ARWXIV176. 77) Warneck 75. 78) Dorsey, XI ARBE 376. 79) Arnoux,
A VIII 117. 80) II. X 291 ff. Weitere Beisp. Ausfeld 528 f. 81) Liv. X 19,
17. 82) Gregor. Tur. glor. mart. 66; Lucius 290. 83) Curtiss 177 ff.
84) L'Houet, Psychologie des Bauerntums 176; vgl. MKP V 306.
6. Mittel der Überredung.
J) Schurtz 186. 2) Hahn 41. 3) Seligmann 131. 275 ff. 286. 290.
4) Callaway 174 f.; Kropf 189. 6) Raum, ARW XTV 199. 8) Wiedemann,
Magie und Religion im alten Ägypten 15; Roeder 1 ff. 7) Wünsch, ARW
VII 97; weitere Beisp. Adami, De poetis scaenicis graecis, Jahrb. f. klass. Phil.
26, 216. Über Grußworte im römischen Gebete s. Appel 109 f. 8) Wellhausen,
Reste arabischen Heidentums 107. 9) Erman 61. 10) Junod II 454 f.
ll) Wultke, Deutscher VolKsa berglaube 16. 12> Eurip. Hipp. 7. 13) Selig-
mann 133. 14) Callaway 144, 115; Nassau 97 ff.; Schneider 141; Spieth, R.
44. 16)Raum, ARW XIV176. 18) Kropf 191. 17) FR III 102. 18)We-
stermarck II 517. 19) Raum, ARW XIV 199. 20) Hahn 69. 21) Spieth,
E. 458. 22) Tylor II 369. 23) Kropf 191; Callaway 182. 24) E. Schmidt
a. a, O. 12. 26) Raum. ARW XIV 176. 28) Callaway 224; vgl. 182.
27) Becker, A IV 1901. 28) Aesch. Sept. 177 f. 29) Junod II 368. 30) Cal-
laway 224. 31) Spieth. R. 52 f. 32) RV. VIII 14. 1 f.; 19, 25 f.; 44, 23;
X 33, 8 ; E. Hardy a. a. O. 166. 33) Tylor II 369. 34) Mansfeld 214. 3S) FR
III 102. 36) Erman 172. 37) Goldziher 305. ; vgl. Lucius 286. 38) Warneck
6. 39) Junod II 368. 384. 4°) Callaway 174 f.; vgl. 157 f.; Kropf
1 90. 41 ) Meiners I 1 83 ; vgl. Warneck 6. «) S. Meineis I 1 7 7 f. 43) Gerade,
Meine Erlebnisse als Dorfpastor 26. 44) Friedländer, Sittengeschichte Roms IV
223. Weitere Beispiele Westermarck II 484; Lucius 286 f. 4S) Nassau 98.
4 ") Junod II 368. 47) Kropf 190. 48) Meinhof, S. A. 21. 49) FR III '02.
60) Od. XVII 240 ff.; II. I 37.; ff.; weitere Stellen Ausfeld 526 f. 61) Langloh-
Parker 8. 79. 52) Schultz 584. s3) PSPR XI 334; vgl. Nassau 98.
64 ) Erman 98. 65) Oldenberg, V 436. 56) Routledge 231. 57) Langloh-
Parker 89. 68) Heckewelder 354; Dorsey, XI. ARBE 377; Tylor II 256; Le
Roy 301 ;Brinton.M. 287;Batchelor 100. 291 ; Hamberger, A IV307. 59) Aesch
Choeph. 130. 60) Jastrow I 517. 528. 81) Schultz 585. 82) Tylor II 366.
83) ARBE XI 373. 84) Slttl 185. 6S) Lucius 288. 66) Warneck 75.
87) Preuß 132. 88) Meiners 1 183 69) Maaß, Durch Zentralsumatra, II 417.
70) Soiett), E 471; R 97. 7l) Warneek 57. 72) Spieth. E. 437. 73) Frazer
II 212. 74) Spieth, E. 137-. 7S) V. Cathrein, Einheit des sittlichen Bewußt-
seins 19P III 369. 78) Warneck (>:',. 77) WarnecV 57. 78) Spieth. R. 97.
79) Hamberger, A IV 307 ff. Vgl. Cumont, Die orientalischen Religionen 49. 254.
80) Merensky 115. 81) Dorsey, 11. ARBE 382. 82) G. Roskoff, Religions-
wesen der rohesten Naturvölker 1880. 18. M) Sen. ep. 31, 5; Horat. Carm. I 2:
Tacit. Hist. I 20.
7. Aussprache des Abhängigkeitsgefühls, der Zuversicht und Ergebung.
l) Spieth, R, 44. 2) Frazer II 212. 3) Preuß 261. 4) Spieth, R. 47.
5) Preuß 217. 6) Oldendorp I 325. 7) Hofmayr, A VI 123. 8) Tanner 28.
»j Sapper 289. 292. 10) Merensky 115. ») Preuß 121. 129. 12) Dorsey,
XI ARBG 377. 13) Paulitschke II 40. 14) Cyl. A III 4 f.; Thureau-Dangin
73. 15) FR III 103. 16) Spieth. R. 90. 17) Tylor II 369. 18) Raum,
ARW XIV 197; Faßmann, A IV 579. Vgl. Paulitschke II 43. 19) Gn 32. 11.
20) Oldenberg. V. 436. 21) 11. I 453 ff. ") II. V 116 f. ; vgl. X 78. ») Me-
Anmerkungen zu Seite 91 — 102 511
rensky 115. 24) Le Roy 301. 2ä) Spieth. R. 86. 2S) Schneider 141
27) Hahn 58, 69. 2S) Spieth, R 44; E 471. 29) Orpen a. a. O. 2. 30) Vgl.
Spieth. R. 3. Das Problem einer Beeinflussung der Gallareligion durch eine höhere
Religion wird bei Meinbof, A. R. 125 erörtert. 31) Callawav 144. 32) Tanner
31. 33) Sapper 289 f. ; ARW 1904, 468 f. 34) Paulitschke II 43. 35) Spieth.
R. E. 44. 36) Paulitschke II 43. 37) Oldendorp I 32(.. 38) Preuß 217,
39) Life, Lettres and Travels of Father P. J. de Smet, New- York 1905, 326 zit.
ERE III 743. 40) Spietn. E 441. 791. 41) Sapper 295. 42) Paulitschke
II 40. 43) Schultz 583. 44) Preuß 134. 45) Sapper 288. *«) Paulitschke
II 40. 47) Sarasin t 235.
8. Dank.
') Rebse 111. 2) Schmidt. G. I 165; P. 232. 3) Merensky 114. 4) Faß-
mann A IV 579. 5) Spietn, R. 267. °) Sapper 288. 293. 7) Spieth, R. 95.
8) Schmidt, P. 229. 9) Batchelor 206. 10) Merensky 114. ") Raum,
ARW XIV 176. 12) Sapper 290. 13) Spieth, R. 132. 14) Callaway 222.
15) Oldendorp I 326. 16) Paulitschke II 40. 17) W. Schmidt, P. 246.
18) Arist. Eth. Nie. 1160 A 25 ff.; Brinton, R. 186 f.; W. Schmidt, P. 246.
19) Smend, Alttestamei tliche Religionsgescliichte 123. 20) Schmidt, P. 246.
n) Schmidt, G. I 166. 22) Schmidt. G. I 165; P. 232. 23) Blumentritt,
G 1884, 75. 24) Schmidt. P. 233. 2i) Junod II 361. ") Müller, A T 512.
27 ) Brun, A II 724. 28) Scnmidt, G. I 165, P. 232. 29) Schmidt, P. 229 f.
30) Spieth, R. 95. 31) Lehrer in Neunauß III 436. 32) Junod I 308.
33) Blumentritt, G 1884, 75. 34) Balmer in Neuhauß III 491. 36) Junod
II 361. 36) Schmidt, G. I 165. 37) Merensky 114. 38) Hofmayer, A VI
122. 39) Lehner in Neuhauß III 436. 40) Spieth, R. 95. 41) Spieth, R.
132. 42) Raum, ARW XIV 176. 43) Spieth, R. 45.
VI. Gebetshaltung und Gebetsgestus.
1) Vgl. Brouerii de Niedeck, De populorum veterum ac recentiorum adoratio-
nibus 1713; J. Grimm, Deutsche Mythologie I 28 f., 4. Ausg. Nachtr. III 20 f.
E. Voullieme, Quomodo veteres adoraverint, 1887 ; Daremberg-Saglio, Dictionnarie
des antiquites Grecques et Romaines, Adoratio; C. Sittl, Gebärden der Giiechen
und Römer 174 ff. ; G. Appel, De Romanorum precationibus 184 ff. ; Emanuel
Schwartz, Der Gebetsgestus, Allgemeine Zeitung des Judentums 1910 (71 ) 126 ff.
J. Döller, Gebet im Alten Testament 53 ff. ; A. Greiff, Gebet im Alten Testament
34 ff.; Elbogen, Jüdischer Gottesdienst 498 ff.; Rietschel, Liturgik I 4S3 ff.;
Peters, Gebet in Kraus, Realenzyklopädie I 556 ff.; Cabrol, Liturgie der Kirche
übs. v. Pletl 1 906, 137 ff. 2) Müller, A. U. 384. 3) Howitt 628 f. 4) F. Hei-
ler. Die Körperhaltung beim Gebet, Hommel-Festschrift (Mitt. d. Vorderas.
Ges. 1916) II 169 ff. 5) Kraus, Geschichte der christlichen Kunst I 50. 98 f.
127. 198. 6) Bockh, Buddhismus II 41. 7) Ch. de Harlez, La religion de la
Chine moderne 1894, 101. 8) Buxtorf, Synagoga Judaica X 207 bei Volland,
de subsultu precantium in primitiva ecclesia (Vollbeding's Thesaurus I) 355 f.
*) Howitt 528 f. 10) Routledgc 231. u) Baumann, Vom Massailand zur
Nilquelle 163. l2) Dorsey, XI. ARBE 373, 377. 384. Ausbreiten der Anne
bei den alten Peruanern. ARW XVIII 607. 13) Mariette, Denderah II 2.
:;. 2'.» usw. , Abydos 1 39; II 14 ff. 26 f. usw.; Bissing, Kultur des alten Ägyptens
Abb. 11 f. ") BOng, Babylonian .Magie passim, 15) KB 111 2. 28. 38. 64. 90.
") King I, 35; 12. 88; 50, 21 ; KB 111 2. 28. 64. l7) Steller bei Döller 75; Greiff
38. 18) Goldziher 321. 19) Vgl. die stehende Redensart bei Homer: er
betete xeTQaS ^vaa^&v Od. XIII :;:>:>: X\'II 239; 11. 1 150 usw. Weitere
Stellen Sittl 187; Voullieme 2(5. 19b) H. VII 130; vgl. Sittl 187: Voullieme 26.
20) Pseud. Arist. de niund. c. 0 p. 400. Weitere Stellen Sittl 187; Voullieme 2(1:
Abb. Stengel, (uiechische Kultusaltertümer T. IV 1. Vgl. A. Rechenberg, De
yeumesia orantium 1688; abgedruckt in Vollbeding, Thesaurus 1846 I
:\\\ f ' 21) Appel 195 f.; Voullieme 27. ■») Voullieme 33 f.; Sittl 174. Die
Finger scheinen triebt in einander geschlossen, sondern gespreizt worden zu sein.
Sittl L89 l. ") Appel 195 f., Sittl 188. 24) Yasn. 28, 1; 29; 50, 8; E. Leh-
marn, Zarathustra II 103. ") Kraus I 19 f. 95. 98 f. 127. 187. 198. Die
512 Anmerkungen zu Seile 102—104
linger sind meist gespreizt, *•) Stellen bei Sittl 198. 27) jVJariette, Penderah
I 40 usw.; II 29 usw ; Abydos 11 2 usw. 28) Jastrow, Bildermappe passim.
29) Sittl 189. 30) Sittl 188. 31) Mariette, Pender;. n I 4.2, 49: Abydos 1!
15 f.; Wilkinson .The customs and manners of ancient Egyptiens 1878 2, III 52.
32) Stengel 73. Tat. 1 2, III 2 und IV 2; Voullieme 19. ' 33) Heiners II 272.
34) G. Ch. Musters, Unter den Patagoniern übs. v. Martin 1873. 194. 36) G.
Grupp, Kiütur der alten Kelten und Germanen 1905. 1(59. 3S) Epiphan. haeres.
4S. ") Müller, A I 513; Schurtz 584. 38) Tylor II 300. 39) Spieth. R.
183. 40) Ps 47, 2; vgl. 98, 8; Jes 55, 12. 41) Rehse 134. 42)LeRoy310:
vgl. 315. 43) Mansfeld 210. Zusammenschlagen und Reiben der Hände ist
als Gebetsgestus bei den alten Peruanern bezeugt. ARW XVIII 007. 44) Erman
61; Mariette, Penderah III 27 usw. 4B) Macrob. sat. 3, 9, 12. Sittl 193. 196.
4«) Walafrid Strabo, rit, eccl. 12. 47) Liv. 26. 9, 5 usw.; Sittl 185; Voullieme
IS. 48) Serv. ad. Aen. 4, 205. Vgl. Liv. VII 6. 1. 49) Maerob. Sat. III 9. 12.
50) II. IX 568 f.; Stengel 72; Nägelsbach, N. Th. 214: Sittl 190 f. 61) Wachs-
muth, Pas alte Griechenland im neuen 64; Trede, Heidentum in der römischen
Kirche III 23. 52) Vierordt, Pe iunctarum in precando manuum origine Indo-
Germainca 1851; Pas Händefalten im Gebet, Theol. Stud. Krit, 1853 (26) 89 ff.
6S) Buddha sagt Ang. Nik. V p. 266: ..Wer gesündigt hat, bleibt unrein, ob er
nun mit gefalteten Händen (parijalikoj die Sonne anbetet oder nicht.''
64) Sittl 175. Vgl. die Statue des betenden Hindu im Tempel zu Madaura abg.
bei Riehm Bibellexikon 1884 I 472. ß5) L. A. Waddell. Buddhism of Tibet
1895, 223. 5S) W. G. Aston, Shinto 1905, 209. 232 ff. (Freundl. Hinweis von
Univ.-Prof. Pr. L. Scherman-München). 67) Jastrow, Bildermappe T. VI
Nr. 20. 68) Vierordt, Pe iunctarum in precando manuum origine 28 ff.
S9) Jastrow, Bildm. T. I Nr. 1: vgl. V 17. 60) Ovid. Met, 9, 299. 311. 314;
Plin. 28, 6. 17; 30, 15; Pausan. XI 11. 61) Sittl 176. 62) InseHas digitis
manus super mensam posuit . . . Peum precatura, Gregor. Magn. Pial II 33
bei Vierordt a, a. O. 23. 63) Vgl. Goldziher 321 ; Sittl 173. 64) Tac. Germ.
39: Nemo nisi vineulo ligatus ingreditur ut minor et potestatem numinis prae
sc ferens. 65) Callim. Hymn. Pel. 321. 66) Wellhausen, Reste 105; R.
Smith 56. 176. 67) Ex 32, 11; 1 Sm 13, 12; 1 Kg 13, 6 usw. Stade 1 148;
Poller 21. 68) Sittl 192: Appel 193 f. *9) Zimmern, Beitr. z. Kenntnis
der baby). Religion 140. 7C) KB VI 2, 138 f. 71) Arg. 8, 202; Appel 193;
Herman Stark HS; Voullieme 14 ff. 72) 1 Kg 19, 8; Hos 13, 2. 73) R.
Smith 56; Wellhausen, Reste arabischen Heidentums 105. Vgl. Crawley, Kissing.
EHE 7, 739 f. 74) Ovid. Met, VII 631. 75) Cic. in Verr. act II 4, 94.
76) Sittl 181: Appel 198; f. Voullieme 7 f. 77) Lucius 287. 78) Müller, A.
U. 384. 79) Job 31, 27. 80) Plat. Leg. X 887 E; Luc. salt. 17. Weitere
Stellen Sittl 181. 81) Liv. V 22. 4, 82) Sittl 182; Appel 199; Voullieme 9 ff.
83) Sittl 183. 84) Freundl. Hinweis v. P. Rat Pr. Grupp, Bibliothekar in
Maihingen. R, Fischer, Oststeierisches Bauernleben 1903, 242. 85) Müller.
A. TL 384. 86) Ex 3, 5; Jos. 5, 15. 87) Polier 59. 88) Wächter, Reinheh\s-
vorschriften 23 f. ; Eitrem, Opferritus und Voropfer 392 : Anrieh. Antikes Mvsterien-
wesen 200 f. 89) Wächter 23 f.; Heckenbach. Pe nuditate sacra 26 ff. 66 ff.:
Anrieh 203 f. 90) Petron. sat. 44. 91) Hermann-Stark 117. 119; Sittl 177;
Appel 192. 92) Grimm, I 26. D3) Brahman Sahampati entblößt die eine
Schulter vom Obergewand, ehe er Buddha anfleht. Mahävagga I 5, 5. Pie Hindu
sind beim Gebet und bei der Lesung der heiligen Bücher bis zu den Hüften nackt.
Otto, Vishnu-Näräyana 1. 94) Vgl. Verg. Aen. V 685: „Tum pius Aeneas
umeris abscindere vestem // auxilioque vocare deos et tendere palrnas." Pas
Ablegen des Obergewandes ist auch bei Tertullian (de or. 13) als heidnische Gebets-
sitte bezeugt, die im alten Christentum Nachahmer fand. 95) Zimmern,
Beitr. 176 f. 96) K. Weinhold, Zur Geschichte des heidnischen Ritus (Abh.
d. K. Ak. d. W. z. Berlin) 1896; W. A. Müller, Nacktheit und Entblößung in
der altorientalischen und älteren griechischen Kunst, Piss. 1906; J. Heckenbach.
Pe nuditate sacra 1911; Pümmler, Ursprung der Elegie, Philol. N. F. VII 208 =
Kleine Sehr. II 409. 412; Anrieh 203 f. 97) Aristoph. nub. 498 ff.; Plot. Enn.
1 6, 7. 98) S. Weinhold 7 ff. ; Heckenbach 35 ff. ; Fehrle, Kultische Keuschheit
55 f. ") Gilhodes, A IV 708. "•) Herod. I 132: Strabo XV p. 733.
Anmerkungen zu Seite 105 — 114 513
101 ) Appel 191 ; Anrieh 203. 102) Ex 3, 6; 1 Kg 19, 13. loa) Döller 54; Greiff
42. 10*) Wensinck, Islam IV (1916) 224 f. los) Laotse, Tao-te-king c. 62;
übs. Grill 110. Plath II 5. 108) Spiegel. Avesta II p. XLVIII f.; Abb. II 3
dortselbst. 107) Liv. I 21; Serv. ad Aen. VII 636; vgl. Kraus I 117. 108) E.
Moor, Hindu-Pantheon, London 1810, Taf. 22 (Freundl. Hinweis v. Un.-Prof.
Dr. L. Scherman). 109) Aug., de cura ger. pro mort. 7. Stark spiritualistisch
ist die Deutung des Clemens v. Alexandrien (Strom. VII 7, 40). ll0) J. Grimm
I 25. 1U) Chantepie de la Saussaye I * 108; vgl. Meiners II 267. 112) Riehms
Handwörterbuch des biblischen Altertums I 474. 113) E. Lehmann, R. 136;
RGG II 538. 114) G. Westphal, Jahwes Wohnstätten nach den Anschauungen
der alten Hebräer 1908, 133 ; Meiners II 272 ; ähnlich Vierordt 38. 116) Voullieme
37. 116) Greiff 39. 117) W. W. III 69, vgl. Vierordt 37. 118) Döller 78.
119) Lehmann, R. 136. 12°) Grimm I 26. 121) Meiners II 275; vgl. Eitrem
43: „Ein Umkreisen nach rechts schließt die Dämonen aus, nach links dagegen
in den Kreis ein." 122) Goldziher 321 ff. 123) V. Smultze, Zur Geschichte
des Händefaltens Th Lb 1892, 591; vgl. Appel 204. 124) Appel 192; Döller 75.
125) E. Lehmann, R. 136. 126) Wächter 24. 127) Döller 59; H. Grinune,
Muhammed 1904, 101. "") Weinhold 5. 129) Wächter 24. 13°) Hecken-
bach 16 f. 131) Weinhold 5; vgl. Eitrem 392; Smith 116. 132) Wensinck
224 f. 13S) E. Samter, Geburt, Hochzeit und Tod 1911, 119. 134) Eitrem
401. 135) Vgl. Greiff 35. 136) Vgl. Schurtz 183 ff. ; Sittl 155 ff. 137) Meiners
II 275. Suet. Vitell. 2. 138) Beispiele Eitrem 9 ff. 139) Grimm I 28; Vierordt
35 f. 140) Sittl 78 ff., Xen. Agesil. 5, 4; vgl. Wellhausen ARW XVII 38 f.
141) Vgl. H. Schurtz, Grundzüge einer Philosophie der Tracht 1891; 122 ff.; 1 Kg
20, 31; Jes 20. 3; weitere Beispiele Müller a. a. O. 30. 34. 42 f. 142) Schürt/.
a. a. O. 51. 128. 143) Plath II 5. 144) Xenoph. Cyrop. VIII 3. 18; Hell.
II 1, 8. 146) Das folgende hauptsächlich nach Schurtz, Urgeschichte, 183 lt.;
vgl. Sittl 174 ff. 148) Vgl. Schurtz, Grundzüge einer Philosophie der Tracht
120 ff. ; Müller a. a. O. 4 f.: 147) Müller erblickt in der sakralen Nacktheit
eine aus dem sozialen Leben übernommene erotische Sitte. ,,Die erotische Ent-
blößung, die sich unter den Menschen so bewährt hatte, wurde natürlich im Kulte
auf die Götter, Dämonen und Toten übertragen, jene Mächtigen, die über das
Schicksal des Menschen zu entscheiden hatten" (7). „Unbekleidet klagen die
Frauen der Familie um den Toten, wie wenn sie sich ihm preisgeben wollten,
um seine Seele den Überlebenden gnädig zu stimmen." ,,Was den Toten recht
war, war natürlich den Göttern billig" (82). „Mit zunehmender Läuterung der
religiösen Vorstellungen mußte dieser ursprüngliche Sinn in Vergessenheit ge-
raten und jene Art Enthüllung als bloße Demütigung empfunden werden" (7).
Vgl. 54. 85. 173. 148) Auf Java finden wir Entblößung vor dem Fürsten und
Verhüllung vor den Göttern nebeneinander. „Am Hofe ist der nackte, gelb-
gefärbte Oberkörper Vorschrift der Etikette; an heiligen Orten ist es den Flauen
verboten, den Busen zu entblößen." Metzger, Q 51, 56. 149) Vgl. Sittl 1S6;
Greiff 35.
VII. Die im Gebet angerufenen höheren Wesen.
l) Spieth, R. 7. 2) Warneck, ARW XVIII 338; Roussel, Museon VIII 564.
■>) Söderblom, Tieles K. 29. 4) Batchelor 89 ff. •■) Brigaud, KM 1888, 23] ;
Warneck, Religion der Batak 10, 13. 57; AKW XVI II 337 f. 6) Frazer III 98.
7) Preuß. ARW XIV 225. 8) Usener, Götternamen; vgl. Feuerbach, Theogonie
W. IX 88 f.; A. Lang, Myth, Ritual and Religion 30. 12t!; Schaarschmidt, Die
Religion 120 ff.; Torny Karl Segerstedt, Till frägan om polyteismens uppkommst,
Diss. Stockholm 1913, 10^ IT. 9) Spieth, R. 44; Tylor II 366. 10) = Aiun. 7.
n) Spieth, lt. 132. 12) Usener 122 ff.; Samter, Religion der Griechen 10 f.
Die Sondergötter der Litauer und Letten bei Usener <sr> ff. ls) Usener 70 f.:
Appel 85 f. 14) E. Lehmann in Chantepie de La Saussaye 1 1 ;' 125 f. 1S) Söder-
blom, Tielea K. 465. l«JÄapper ARW, L904, 453. "17> (i. Steindorff, Religion
und Kultus im alten Ä.gy|Ben .II-'Dll 1904, L34j vgl. E. Naville. La religion des
anciens Egyptiens 1906, 221. 18) R. Smith <'>r> ff.; Söderblom, Tieles K. 105;
Curtiss293. ") Samter a. a. O. 10. ,0) Söderblom Tieles K. 471. ,l)Sara-
8inI235. ") Spieth, R. 86. •») Batchelor 116. u) Kropf 187. ")Preufl
Das O.-bet 33
514 Anmerkungen zu Seite 114 — 121
135. 36) Batchelor 1 11. *•) Spieth, It. 97. 28) Schneider 15IS. *») Tylor
II 369. 30) Athen. 618 E. 31) Batchelor 206. 32) Batchelor 98. 110. 116.
M) Dieterich, Mutter Erde 1 905. 45. 34) Rehse 1 35. 35) Preuß 1 29. 3B) Sap-
per 288. ;1;) Waitz 1 17s. 38) Spencer and Gillen 495. 39) Preuß, ARW
XIV 224. 10) Tylor II 460 f. 4)) Wuttke, Der deutsche Volksaberglaube
15. ") Brigaud, KM 1888, 231. 4a) Warneck 13. 4') Nassau 98.
«) Friedländer, Sittengeschichte Borns IV 196. 198. 48) Sapper 274; ARW
1904, 441. 47) Vgl. Stengel 73; L. Schmidt, Ethik der Griechen II 31, 34 ff.;
Hermann-Stark 114;. Ausfeld 510 f. 48) Söderblom, Tieles K. 41. Vgl. Cumont
501. 49) Batchelor 101. 50) Spieth. R. 84 ff. B1) Brinton, R. 107.
M) Söderblom, W. G. 139. 53) FR HI 116. 54) Wundt, Elemente der Völker-
psychologie 368 f. S5) Steindorf f a. a. O. 138 f. 8«) Hübsche Zusammen-
stellung der einzelnen Gegenstände, um welche die römischen Götter angervifen
werden bei Appel 86 f. ä7) Vgl. Usener 116 ff.; G. Grupp, Kulturgeschichte
des Mittelalters 1912, III 2 14 ff. 58) Vgl. Raum, ARW XIV 192. S9) Calla-
way 144. 60) Choeph. 4 ff.; 129 ff.; 332 ff.; 456 ff.; 500 ff. 61) Junod II
•MS f. ") Callaway 140. 182. 83) Warneck, ARW XVIII 339. 64) Selig-
mann 126. 131. 141. 6S) Melanesians 124 f. Nicht alle Seelen der verstorbenen
Toradja werden Götter, sondern nur die Seelen von sehr tapferen und geehrten
Häuptlingen; ihnen wird geopfert und ihre Hilfe angefleht im Kriege, auf der
Jagd und im Reisfeld. Kruijt bei Juynboll, ARW VII 510. 66) Vgl. Eitrem
463. 8T) Vgl. Warneck, ARW XVIII 339. 68) Raum, ARW XIV 176;
Callaway 171 ff.; Kropf 188 f.; Warneck 75. S9) Callaway 144. 70) Hof-
mayr, A VI 123; Warneck 101. 71) Lehner in Neuhauß III 346; Keysser
ebenda III 145; Junod I 368. 72) Andr. Lange, Myth, Ritual and Religion
1887 3; The Making of Religion 1900 2; Australian Gods F X 1 ff.; vgl. Söder-
blom, Zusammenhang höherer Gottesideen mit primitiven Vorstellungen, ARW
VII 1 ff. ; E. Lehmann, Primitive Religion 29 ; Marett , Savage Supreme Beings
in Treshold of Religion 147 ff.; E. S. Hartland, The High Gods of Australia F
IX 290 ff. ; A. van Gennep, Mythes et legendes d'Australie 1905. 73) W. Schmidt,
Die Stellung der Pygmäenvölker in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit
1910; Grundlinien einer Vergleichung der Religionen und Mythologien der austro-
nesischen Völker (Denkschr. der K. Ak. d. Wiss. in Wien phil.-hist. Kl. 53 III)
1910; Ursprung der Gottesidee I 1912. 74) N. Söderblom, A. Längs teori om
religionens äldsta oss tillgängliga form, Nordsik Tidskrift 1902, 619 ff. ; Hemliga
regier och traditioner hos ett stenäldersfolk a. a. O. 1906, 159 f.; Mysteriecere-
monier och deras Ursprung, Ymer 1906, 193 ff. (abgedruckt Ur religionens historia
1915); die Allväter der Primitiven RGK 1907, 315 ff.; Zusammenstellung höherer
Gottesideen mit primitiven Vorstellungen, ARW VII 1 ff. ; Werden des Gottes-
glaubens 1916, 114: — 185. Vgl. auch die Untersuchung des indogermanischen
Glaubens an ein höchstes Wesen bei L. Schröder .Arische Religion 1 1914, 295 — 587.
7S) Lang 233. 70) Raum, ARW XIV 198. 77) W. Schmidt, Gr. 83.
78) Hofmayr, A VI 221. 79) Dorsey, XL ARBE 374. Vgl. auch Spieth, E.
416. 80) Raum, ARW XIV 195. 81) Warne( k, AMZ 1910, 314. Ganz dieselbe
Vorstellung ist II. XXIV 527 ff. ausgesprochen. 82) Hamberger, A IV 305 f.
83 ) W. Schmidt, Gr. 83. 84) Raum, ARW XIV 198. 85) Raum a. a. O.
194. 86) Irle 73. 87) Spieth, E. 417; Söderblom, W. G. 141. 88) Hammar
in Nordenskiöld I 146. 89) Söderblom, W. G. 142. 90) W. Schmidt, G.
1 119. 121; Gr. 14. 117 ff.; A II 1029 ff.; Howitt 360. 91) Routledge 226.
92) W. Schmidt, P. 125; Söderblom, W. G. 135. 93) Spencer and Gillen, The
Northern Tribes of Central Australia 1904, 498. 94) Brinton, R. 140. 9D) W.
Schmidt, P. 195. 232 ; Gr. 14. 83 ; Schkopp, G 83, 331 ; Le Roy 184. 96) Schmidt
(Jr. 84. 97) Gilhodes, A IV 706. 98) Schmidt, P. 196. ") Müller, A I
509. 10°) Raum, ARW XIV 194. 101) Balmer in Neuhauß III 491.
11 2) Routledge 227. 103) Vgl. Söderblom, W. G. 89 ff. 104) Söderblom, W. G.
135. 105) ,,Bäiäme" der Kamilaroi wird von Ridley (Journ. Anthrop. Inst.
.VI 269) mit „Macher", „Bildner" überstezt. Vgl. da % Schmidt, G. I 120. Für
die Bezeichnung der afrikanischen Urväter als „Macher" s. Nassau 36; Le Roy
J91. 106) Schmidt, G. I 118 f. 107) Vedder, ZK I 6. 108) Le Roy 36.
lu9) Nassau 36. ,10) Schmidt, Gr. 13. ni) Gilhodes, A IV 708. "*) Lau--
Anmerkungen zu Seite 121 — 137 515
loh-Parker 7; A. Lang, Myth, Ritual and Religion II 87 f. 113) Lang. Making
of Religion 233 f. ; Söderblom, W. G. 135. 114) AV II 28, 4. Vgl. Söderblom,
W. G. 176 f.; L. Schröder, Arische Religion I 295 ff. m) Vgl. Söderblom,
RG 1907, 318. 116) Söderblom, W. G. 148 f. (Übs. geändert). »») Howitt
528 f. 119) Lang 320 f. 12ü) Kinglsey 508; Irle 73. m) ARW XIV 192.
122) A VI 121. 123) A IV 706. 124) Vgl. W. Schmidt. P. 195. 246. 125) H.
V. Stevens, Materialien z. Kenntn. d. wilden Stämme auf Malakka (Veröff. a. d.
K. Mus. f. Völkk. Berlin) 1892. 130: Nordenskiöld I 146. 126) Söderblom,
W. G. 150; ARW XVII 5. 127) Orpen, Mythology of the Maluti Bushmen
(The Cape Monthlv Magazine Neu Series IX 1874) 2. 128) Powell, Jorun.
of the Maluti Bushmen (The Cape Monthly Magazine Neu Series IX 1874) 2.
128) Powell, Journ. of the Afric. Soc. 1907, 5 f. 129) Gilhodes. A IV 707.
J30) K. Sapper, Mittelamerikanische Reisen und Studien 1902, 267. m) Warneck
6. l3i) Nassau 35: vgl. 40. 77. 133) Travels 508. 134 Schmidt, Gr. 118.
135) Routledge 227. 136) Dorsey, XL ARBE 336. 137) Raum ARW XIV
192. 198; Faßmann. A IV 579. 138) L. Probenius, Weltanschauung der Natur-
völker 1898, 349. Wenn bei den Kayan in Zentralborneo jemand krank ist, ruft
man einen untergeordneten Geist an; macht dieser aber den Kranken nicht gesund
so wendet man sich direkt an das höchste Wesen Laki Tenangan. W. Schmidt,
Gr. 11; vgl. 14. 139) Gilhodes, A IV 707. 140) Kropf 186. l41) R. Lasch,
Der Eid. (Stud. u. Forsch, z. Menschen- u. Völkerkunde) 1908, 12. 142) Vgl.
Söderblom. RGK 1907, 315; W. G. 173 ff. 224 ff. 143) Die meisten Stämme
der Amazula beten nach Eingeborenenaussagen, die Bischof Callaway aufzeich-
nete, nie zum Urvater Unkulunkulu (8. 16. 25. 34). 144) Vgl. Söderblom, W. G.
148; DE 1914. 193 ff. 145) Nassau 38 f. 146) Faßmann, A IV 5S0.
147) Kingsley 508. l48) Langloh-Parker 79. 149) Irle 73 f. 150) Skeat II
285. läl) Lang 320 f. 152) KM 1888, 230. 153) Saleur. KM 1888, 57.
l54) Södeiblom, W. G. 149. 155) Irle 74. 1S6) Skeat II 173. 157) Nassau 39.
158) Weltanschauung der Naturvölker 348. 169) A VI 121. 160) ARW XIV
192. 161) ..Die alten Herero beteten auch zu Ndjambi Karunga um Abwendung
von allerlei Unheil und Übeln. Jetzt geschieht es kaum mehr. Statt dessen ruft
man lieber die Ahnen an." Irle 73. l62) Schmidt, P. 195. 163) Hofmayr,
A VI 121; Spieth, E. 792 usw. 164) Langloh-Parker 8. 165) Merensky 114.
186) Spieth, R. 17: E. 442; vgl. 836. 167) Hamberger, A IV 306 ff. 188) Wal-
Leser, A VI 11 628. 169) Batchelor 116. 17°) Preuß 131 f. l71) Thureau-
Dangin 43. 155. 172) KB III 2. 44. 52. 54. 173) Preuß 124. 129. 135.
174) King p. XXIII. 175) Le Roy 299. 178) Spieth, E. 440. 177) Warneck
43. 63. 178) Preuß 124. l79) Sept. 69 f. 18°) Warneck. ARW XVIII 377.
'") Liv. VIII 9, 6; über die Anrufung vieler Gottheiten im griechischen Gebet
b. Wünsch, ARW VII 100, im römischen Gebet Appel 83 f.
VIII. Die dem Gebet zugrundeliegende Gottesvorstellung.
') Vgl. Westermarck II 465; R. Otto, Das Heilige 1917. 2) Grundlegende
Ausführungen Söderblom, W. G. 33 ff.; vgl. Codrington 120. 146. 3) Nach
dem Glauben der Batak ist es die sahala, die geheinmisvolle Macht , mittels welcher
die Götter den Menschen helfen. Warneck 63. 4) Die Urväter der kulturarmen
Völker sind häufig androgyn, ,, bisexual" gedacht. Beispiele Brinton, R. 160.
Eine besondere Kode spielt die Vorstellung von dem androgynen Charakter der
Gottheit in der sumerischen Religion. Radau 4. Vgl. auch Brugsch, Religion
und Mythologie der alten Ägypter 113 f.: \V. Kroll, Hermes Trismegistos 51 ff.
*) E. \. Hartmann, Das religiöse Bewußtsein 36. 6) Über das Keuschheits-
opfer und seine umstrittene Deutung vgl. E. S. Hartland. Ritual und Belief 1914,
litit; ff.; Fehde, Kultische Keuschheit 1 ff.; Müller, Nacktheit und Entblößung
(▼gl. ... S. 131. A. 149). 8) Spieth, E. 437. 7) Jastrow I 484; vgl. 500. 517.
8) Müller, A 1 501). Spieth, B. 5; vgl. Gilhodes, A IV 708. ») Radau 2 f.
10) Stade 1 150. ") Vgl. B. Smidtb SO ((.; Foueart, Histoire des religions
150 f. 12) Spieth, B. 45. 79. 90. ") Sapper 288; ARW 1904, 441. w) Sap-
pei 290; vgl. 271. 284. I5) Spieth, B. 246. 16) Irle 84. I7) Keysser in
Neuhauß III 145. 18) II IX 566 ff.; Voullieme 25 f. '») Tylor II 369.
M) Spietb. B. 45. 2I) Spieth, B. 246; vgl. Le Roy 310. ■») H. Schmidt,
öl 6 Anmerkungen zu Seite 137 — -147
RÜG II 1152. 3a) 2 Kg 18, 4; 19, 14; Ps 5, 8; Jes 56, 7. 24) Westphal,
Jahwes Wohnstätten 118. 23) Müller, A I 509. 29) Dt 16, 16 ff. ; vgl. Dt 12.
27) Die Karesauinsulaner auf Deutsch- Neuguinea beten zum höchsten Wesen
Wonekaii mit zum Himmel erhobenen Haupte. Schmidt, Gr. 118. Die austra-
lischen Kurnai heben Hände und Waffen zum Himmelsgott Mungan Ngana
empor. Howitt 526 f. Beim Gebet zu Zeus blicken die homerischen Helden zum
Himmel (II XVI 231 f.; VII 178), ebenso die Römer beim Gebet zu Jupiter (Sittl
193) und die Germanen (Tac. Germ. 10). 28) Tert. Apol. 17: ,,0 testimonium
animae naturaliter christianae! Denique pronuntians haec non ad capitolium,
sed ad caelum respicit. Novit erim sedem dei vivi." 28) Ps 121, 3; vgl. 1 Kg 8,
22. 54; 2 Chr 6, 13; Mk 6, 41 ; Jo 17, 1. Auch im Islam ist der Himmel die kibla
des freien Gebets (rfw'a). Goldziher 327. 30) Hahn 124; Rehse 129. 134; Faß-
mann, A IV 579; Oldenberg. V. 4:',:'. 31) Langloh-Parker 8. 32) Müller,
A. (J. 641. 33) De salt, 17. ") Met. II 44; vgl. Kroll, Hermes Trismegistos
329. 35) Jastrow II 768. 3S) Aen. VIII 18; XII 172; \gl. Ovid. fast. IV
777 ; H. Nissen, Orientation. Studien zur Geschichte der Religion 1906, 262.
37) Clem. AI. Strom VII 7; Tert, de or. 11; adv. Valent. 3; Aug., De serm. Dom.
in monte sec. Mt. II 18. ; Nissen 396 ff. 3«) Liv. VI 20, 11; Appel 195. 3») Döl-
ler 63. 40) Ps 134, 2; vgl. 1 Kg 8, 38. 48 (Dt); Ps. 5, 8; 28, 2; 134, 2; 2 Chr. 6,
34; Misehna Ber. IV 5 f.; Sifre 71b; Weber, System der altsynagogalen
Theologie 62. 41) Koran 2, 136 ff.; Nissen 70 ff.; Westphal 183.
IX. Das im Gebet sich äußernde Verhältnis des Menschen zu Gott.
l) Eines der drei altchinesischen Schriftzeichen für Gebet (chu) setzt sich
aus den Zeichen für Gottheit, Mund und Mensch zusammen, bedeutet also Rede
des Menschen mit Gott, Grube 40; Plath II 2. -) Leg XI. 3) II. IX 497.
4) Thvireau-Dangin 213. 6) Über den Glauben an die Gebetserhörung s Feuer-
bach, Theogonie, W. X 21 ff. ") Vgl. R. Smith 20. 7) Evolution of Religion
171. 180. 8) ARBE XI 373. 435. 9) Aesch. Suppl. 890 ff.; 899 ff. 10) A.
Dieterich, Mutter Erde 1905, 38. n) Söderblom, RGK 1907, 318 f.; Koch-
Grünberg, Zwei Jahre unter den Indianern II 82. 12) Raum, ARW XIV 176;
Schneider 77; Rehse 135; Spiet h, E. 432; Burkhard, Die Völkerstämme in Süd-
afrika 9: Preuß 124. 129; Stevenson, XI. ARBE 131. 414; Sapper 289 ff.; ARW
1904, 453; FR III 316; Warneck ARW XVIII 382; KB VI 2, 91. 13) RV I 31,
10. 14) Herond. Mimiamb. IV 11. 15) Appel 103. 16) Inst. div. IV 3,
11. 17) Dieterich, Mutter Erde 63. 19) Preuß 245. 19) AV II 28, 4.
20) Dieterich a. a. O. 45. 21) Appel 10 1. 22) Jastrow I 406. 459. 23 ) Jastrow
II 76. 24) O. Weber, Arabien vor dem Islam (AO III 1) 1902, 13; Corp. Inscr.
Sem. I 1, 195; Rob. Smith 195. 2S) Koch- Grünberg, Zwei Jahre unter den
Indianern II 82. 28) Preuß 245. 27) Hamberger, A IV 312. 28) Gesänge
aus dem kath. Andachtsbuch Laudate im Bistum Augsburg 1903 Nr. 146.
") Sapper 289 ff.; ARW 1904, 469 f. ao) E. A. Wallis Budge, Egyptian Magic
(Books on Egypt and Chaldaea II) 1901, 49. 31) King Nr. 12, 34; vgl. Langdon,
Babylonian Liturgies 127. 32) Dorsey. XI ARBE 373. 378. 384. 3S) Hahn
58. 34) Warneck 34; vgl. 43. 35) Warneck 63; Brinton, R. 107. 36) Cod-
rington 145 ff. 37) Tylor II 369. 38) Farnell 177. 39) Frazer III 98.
40) Dorsey, XL ARBE 414. 41) Reuther, A IV 1065. 42) Preuß 124.
4a) Budge a. a. O. 49. 44) Smith 32 A. 19. 45) Callaway 84. 48) Nassau 39.
47) Schneider 153. 48) Dorsey a. a. O. 382. 49) Faßmann, A IV 579; Raum,
ARW XIV 199. so) Endemann, Zeitschr. Afr. Sprach. I 70. 51) Spieth,
R. 45. 62) Waitz I 178. 83) FR III 106. 54) Gutmann 187. 68) Hof-
mayr, A VI 123. 66) Od. V 440, 445; Herond. Mimiamb. IV 1. 18; vgl. Wünsch,
ARW VII 98; Ausfeld 526. 67) Cyl. ACH 28; III 3. 17; IV 8 f.; Stat. E
I 6 f. 68) Appel 105. 6e) Smith 44 ff. 60) Ex 3, 12; 9, 1. 13; Dt 4, 19;
Kg 10, 18; Greiff 34. 61) Gen 23, 11; 1 Sm 1, 11; 2 Sm 7, 18; 1 Kg 3, 6.
e2) Gebhardt 79. M) PSPR XI 334. 64) La magie et l'astrologie dans
l'antiquite et au moyen äge 1860, 8. 86) Koch- Grünberg, Zwei Jahre unter
den Indianern I p. IV. 117. 86) Paulitschke II 19. 40. *7) Tanner 28. 31.
••) Sapper, ARW 1904, 453 f.
Anmerkungen zu Seite 150 — 163 517
B. Die rituelle Gebetsfornael.
*) Vedder, ZK I 6. 2) Seligmann 128. 3) Le Roy 298. 4) Junod II 383.
6) Warneck 6. «) Codrington 146 ff. ') Winternitz I 147 ff. 8) Vgl. O.
Gruppe, Die griechischen Kulte und Mythen 1887, 562 ff. ; Wissowa 396 ff.
9) Über die verschiedenen Anlasse zum rituellen Gebet vgl. Appel 56 ff. ; Winter-
nitz I 150. 10) Oldenberg, V. 432. u) , ,111a nmtari vetat religio et consecratis
utendum est." Quint. Inst. or. I 6, 40. ") Pbn, Hist, nat, XXVIII 2; Varro,
Ant. rer div. c. 14; Usener, Götternamen 74 f. 1S) Cic. de har. resp. 23. 14) Cu-
mont 112. 15) Vgl. Quint. inst, or I 6, 40: ,.Saliorum carmina vix sacerdotibus
satis sunt intellecta." 16) Faßmann, A IV 579. Porphyr, de abstin. IV 9.
1 7 ) Warneck, ARW XVIII 383. • 8 ) Grube 41 ; Plath II 5 f ; vgl. II 9. » 9 ) Wis-
sowa 396; Gruppe a. a, O. 563. 20) Wissowa 397 f. 21) Oldenberg, V. 430.
") Warneck, ARW 18, 335. 377. 23) Wissowa 397. 24) Le Roy 29S.
") Winternitz I 440. 26) Gilhodes, A IV 708; Warneck, ARW 18, 337. An-
legen reiner Kleider zum rituellen Gebet war auch in Assyrien sowie in Griechen-
land und Rom gebräuchlich. Zimmern, Beiträge 98. 113; Od. IV 750; XVII 48;
Deubner, De incubatione 25; Appel 185 f. 27) Warneck, ARW 18, 335 ff.
28) Plath II 8. 29) Erschöpfende Zusammenstellung dieser Redensarten bei
Appel 75 ff. Vgl. Ausfeld 518. Beispiele römischer Ritualgebete in FR III 258 ff. ;
eine vollständige Sammlung aller literarisch oder monumental überlieferten
römischen Gebete bei Appel 1 ff. 30) Vgl. Gruppe 563; Appel 83 f. M) Preuß
44 f. 47. 32) Vgl. die von Cato aufgezeichneten Gebetsformeln, die der römische
pater familias sprechen soll. Appel 28. 30. 33) Warneck, Religion der Batak 6.
34) Gilhodes, A IV 717. 3S) Plath II 6 ff.; Grube 42 f. 36) Usener 74 f.
37) Söderblom, Tieles K. 247. 38) Oldenberg.. V. 394; Winternitz I 140.
39) ARW XVIII 383. 40) A IV 717. 41) Junod II 384. Vgl. Erman 61;
Cumont 38. ") ARW XVIII 377. 43) Wissowa 397.
O. Der H y m n u s.
*) Freytag bei E. Schmidt, Anfänge der Literatur 12. 2) Marc. Avrel. V 7.
3) Athen. 618 E. 4) Appel 27. 5) Plutaroh qu. Gr. c. 36. p. 299 a. ") Sap-
per 293. 7) Warneck, ARW XVII1.380. 8) Hahn 58; M. Müller, On ancient
prayer 11. 9) Hahn 27. 10) Le Roy 301 f. ll) Warneck, ARW XVIII
378 ff. ") Sapper 270. 13) Warneck, ARW XVIII 382. 14) Sammlung
von I). Brinton, Rigveda Americanus, Sacred Songs of the Ancient Mexicans
1890. 15) Ägyptische Hymnensammhingen: E. Naville, La litanie au soleil
1875; Lefebure, Traduetion comparee des hymnes au soleil composant le XV.
chap. du rituel funeraire egyptien 1878; E. Grebaut, Hymne ä Amon-Ra 1875;
G. Daressy, Hymnes ä Khnoum (Recueil de travaux relativfs ä la philologie et
archeologie egyptienne 37) 1905. Hübsche Auswahl bei Roeder, Urkunden zur
Religion des alten Ägypten (RS1Y) 1915; Breasted, Development of Religion
and Thought in Ancient Egypt 1912; .f. Lieblein, Gammalegyptisk religion,
Kristiania 1883, 1 98 ff. l6) H. Zimmern, Babylonische Bußpsalmen, 1885;
E. R. Brünnow, Assyrians Hymnes, ZA IV 1889, V 1890; Reisner, Sumerisch-
babylonische Hymnen nach Tontafeln griechischer Zeit, Berlin 1896 (die den
jungen Kopien zugrunde liegenden Originale reichen in viel ältere Zeit zurück);
L. W. King, Babylonien Magic und Sorcery, being the Prayers of Lift int; o£ the
Hand 1896; Graig, Assyrian Religious Texte, 2 Bde. 1895/97; Bank, Sumerisch-
babylonisclie Hymnen, Leipzig 1897; Gray, The Schamasch Religious Texts
1901 (Diss.); Th. (J. Pinches, The llymns to Tammuz in the Manchester Museum,
Manchester Memoirs 1904; .r. Böllenrücher, Gebete \ind Hymnen an Nergal
(Leipz. sein. Sind.) 1901; .loh. Sehn, Hymnen und Gebete an Marduk (Beiträge
zur Aflsyriologie V) L905; l'my. Hymnen und (iebete an Sin (Leipz. sein. Stud.)
1907; .f. Pinckert, Hymnen und Gebete an Nebo (ebenda Hl 1) 1907; IL Zimmern,
Surneiisch-hahylonische Tariunuzliedei- (Ber. il. phil.-hist. Kl. der Sachs. Ak.
d. Wissen« h.f 1907; Et, Oombe, Histoire du eulte d*- sin L908; st. Langdon,
Sumerian and Babylonian E*saima 1909; 1). W. Myhrman, Babylonian Prayers
and Hymns (Public, ot the BabyL Beet. <>i the l niversity of Pennsylvania) 1911;
H. Radau, Sumerian Hymns u> the (iod Ninib (The Babylon. Blxpedition of
the Univ. oi Pennsylvania) 1911; Schollmeyer, Sumerisch- babylonische Hymnen
518 Anmerkungen zu Seite 163 — 171
und Gebete an Schamasch 1912. Auswahl bei H. Zimmern, Babylonische Hymnen
und Gebete, AO VII 3, 1905; XIII 1, 1911; M. Jastrow, Die Religion Assyriens
und Babyloniens 1905/12; A. Ungmid in Greßmann, Altorientalische Texte und
Bilder 1909 I 188 ff.; P. Jensen, Texte zur babylonisrhen Religion. KB VI 2.
1905, 66 ff.; J. Keim. Die biblische und babylonische Gottesidee 1913. 17) 11.
Graßmann. Rigveda 1876/7; Alfred Ludwig, Rigveda, 6 Bände 1876 — 88; Vedic
Hymns translated: I by M. Müller (1891). II by H. Oldenberg (1897), SBE vol.
32. 46; A. Bergaigne, Quarante hyumos du Rigveda trad.. Memoirs de Sooiete
Linguiste VIII; Auswahl bei Geldner und Kägi, Siebenzig Lieder des Rigveda
1875; L. Scherman, Philosophische Hymnen aus dem Rigveda und Atharvaveda
1887; A. Hillebrandt. Lieder des Rigveda. QRG 1913. 18) Snedorf, De hynmis
veterum Graecorum 1786; XXII 1 ff.; O. Crusius, Die delphischen Hymnen,
Philologus 53 (1894) Erg. Heft; Pomtow, Zur Datierung des delphinischen Päan
vind der Apollo-Hymnen. Rhein. Mus. 49 (1891) 577 ff. ; Adami, De poetis scaenicis
graecis hymnorum sacrorum imitatoribus, Jahrb. f. Philol. Suppl. Bd. 26 (1901)
215 ff. ; Art. Hymns (Greek and Roman) KHK VII 40 ff. ; Norden, Agnostos Theos
143 ff. ; The Homeric Hymns ed. Th. W. Allen and E. E. Sikes, 1904. 19) Magie
und Zauberei im alten Ägypten 14. 20) Breasted 196. 21) Roeder p. X.
XII. 22) Babylonische Hymnen 6. 23) Literatur der Babylonier. 119. Vgl.
Jastrow I 427. 429; Lnugdon, S. B. P. p. I ff. Die praktisch rituelle Zweck-
bestimmung der Hymnen geht auch aus den in zahlreiche Hymnen eingestreuten
„liturgischen Noten" hervor. Vgl. Radau 43; King p. XXVII ff. 24) Jastrow
II 8 f. 117; vgl. 120. Nach Langdon. S. B. P. p. VII ff. ist scharf zu scheiden
zwischen den K u 1 1 hymnen, die von den Sängerpriestern (,,Psalmisten") beim
öffentlichen Gottesdienst im Tempel gesungen weiden, und den B e seh wörungs-
hymnen. die der Zauberpriester in Hütten auf dem Felde für bedrängte Privat-
personen verrichtet; erstere heißen er-sem-ma ,, Flötenpsalmen", letztere en —
sem. Siptu, „Beschwörung". Nur für den Privat gebrauch bestimmt ist die Serie
„mg käti". King p. XXIII. 25) Oldenberg, V. 2 f. 26) Brinton. R. A. 17.
20 f. 25. 44. 54 f. 68. 27) Wundt, V. II 3. 144. 28) Jastrow II 123; vgl.
I 465. Ein babylonischer Schöpfungsmythus trägt die Überschrift siptu ,.Be-
schwörung". KB VI 1, 38. 29) Oldenberg, V. 436. Vgl. RV I 04. 1. 30) Olden-
berg, V. 4; vgl. Winternitz I 67 f. 32) Weber 116; Winternitz I 52. 33) Vgl.
Oldenberg. V. 386 ff. 34) Erman 61; vgl. Röder p. X. 35) Cumont 113.
3«) Jastrow II 4; Langdon, S. B. P. p. VII ff. 37) Langdon, B. L. p. VIII f.;
vgl. S. B. P. p. IX. 38) Langdon. B. L. p. IX. 39) Zimmern, Babylonis, ;he
Hymnen 4; Weber 120; vgl. Zimmern. Sumerische Kultlieder aus alt babylonischer
Zeit 1912. p. V. 40) Weber 120; vgl. Jastrow I 423 f. 41) Langdon, S. B. P.
p. III. ") Erman 61: vgl. 98. 4S) Babylonische Hymnen 5. 44) Weber
116. *6) Jastrow II 11. 117. 120. 46) Winternitz 1 65. 83; vgl. Oldenberg,
L. 31 . 47) Charit epie de la Saussave II 3 10. ls) Kbenda II 174. 49) Wiede-
niann 11: vgl. Breasted 97. 50) Weber 19. 119; vgl. Langdon. B. L. p. LI,
Zimmern. ZA VIII 121 ff.; King p. XXVI f. 5l) Winternitz l 54 ff. Vgl.
Bergaigne, La forme metrique des hymnes du Rigveda, Ac. d. Inscript. C. R.
XVI (1888) 232 ff. 62) Oldenberg, L. 33. 53) Jastrow I 458. 531. Vgl. auch
Norden. Agnostos Theos 163 ff. 207 ff. »*) Brinton. R. A. 19. 24. 37. 41. 45.
") Brinton, R. A. 53. 57. 56) RV IV 18, 27. 42; VI 9; X 28, 51 f. 124.
") Arrian Alex. V 2, 295; Lydus de mens. p. 91. Ovid Met IV 11 ff. imitiert den
Stil solcher Hymnen. 58) Roeder 22. Vgl. den ältesten ägyptischen Sonnen-
hymnus bei Breasted 13 !'. 59) Langdon. S. B. P. XIV. 80) Jastrow I 436 f.
61) KV III 29, 7; VI 7, 1 f. (Alle Rigvedazitate nach der Übs. v. Killebrandt
QRG.) 82) Radau 44. 83) Brinton, R. A. 18. 64) RV IV 19, 2. 8.
eä) RV V 1. 8. 68) Brinton. R. A. 28 f. 67) Roeder 6. 88) Jastrow I
448. 8*) RV II 23, 2 ff. 70) Roeder 5 ff. 9 ff. 27 ff. 71) Jastrow I 501 ;
vgl. Roeder 23 ff. 72) I 1. 1. 7. 73) Jastrow I 502. 74) HI 32, 7.
»•) Jastrow. I 500. 7B) RV V 83, 1. 77) Roeder 1. 78) Jastrow 1 509.
79) Brinton, R. A. 10. 80) Foucart, Histoire des religions 323. 81) King
p. XXI II. 8B) Winternitz I 75. 83) Jastrow I 437. 84) Jastrow I 492.
520. f)23 f. 532. 536; II 76. 113. 86) Roeder 4 ff. 22 f. 27. 88) RV IV 19, 2.
87) Roeder 3. 88) King Nr. 6. 112. 88) Jastrow I 492. 502; II 27. •») Ja-
Anmerkungen zu Seite 171 — 196 519
strow 1 513. 91) Boeder 7. 92) Jastrow I 437. 509; II 75 f. 93) RV VI
7, 7. 94) KV II 12. 2. 9i) Boeder 2. 9. 96) Jastrow I 437. 97) Brinton,
B. A. 24. 98) RV II 12, 13. ") RV VI 7, 4; 9, 7. ««) Boeder 3. 7. 2::.
101 ) Jastrow II 67. 102) Zimmern. Babvlon. Hymnen 2. Ausw. 4. 10") King
Nr. 1. 15. 104) Oldenberg, L. 32. 10B) Vgl. Wundt. V. II 1, 006. 107) Wiede-
mann 5; vgl. ds. ABW VII 478. 108) Oldenberg, L. 32. 109) Jastrow I 501
110)BVIVi6. 21; 19. 11. ni) Weber 126. lls) Oldenberg. V. 434. ll3)Vgl.
Oldenberg, V. 435. n4) BV I 12, 11. 115) Oldenberg ,V. 435. 116) Radau
45. 117) Jastrow I 473. 118) Jastrow 1 509. 119) RV I 12. 8; IV 12,
5; V 53, 13. 12°) BV VI 9. 7. 121) BV I 135, 3; II 31. 1; I 12, 3. 10.
122) Jastrow II 11. 123) Boeder 57 ff. l24) Jastrow II 31 f. «•) Jastrow
II 58 f. 128) Jastrow II 69. 127) Jastrow II 16. 128) Jastrow I 504. 532;
II 53. 57. 67 f. 78. 81 ff. 93. 98. 110. 129) BV I 25. 19; VII 89. 130) Jastrow
II 69. 90 f. 104. 131) BV VII 89, 5. 132) Jastrow II 69. 87 f. 133) BV I
24, 9. 11; 25, 21; V 85, 7 f.; VII 88, 7. 134) Jastrow II 86. 102. 105.
13°) Jastrow II 72. 103. 136) E. Lehmann in Chantepie de la Saussaye II 3 14.
137) Winternitz I 83. 138) E. Lehmann a. a, O. II 174. 139) .Jastrow II 35 ff.
140) Oldenberg, L. 28. 141) BV V 11, 5. l42) BV V 11, 5 ; VI 16, 47. 139) Ja-
strow II 35 ff. l40) Oldenberg, L. 28. 141) BV. V 11, 5. 142) BV V 11,
5; VI 16, 47. 143) Oldenberg, V. 436. 144) Oldenberg. L. 27 f. 145) Pisehel,
Die indische Literatur (HKG I 7) 166. 1U) E. Lehmann a. a. O. II 10.
147) Wundt, V. II 1, 606; II 3, 665 f. 148) Erman 98. 149) Holwerda in
Chantepie de la Saussaye II 146. 150) Jastrow I 421. 151) Weber 119. 133.
182) Winternitz I 63. 65. 153) A. Baumeister, Hymni Homerici 1860, Proleg.
99 ff. Stengel, Griechische Kultusaltertümer 74. 154) Jastrow II 123.
ia5) Boeder 62; ähnlich Breasted 329. 15s) C. B. Markhain, Andeans, EBE I
470 f. 157) Breasted 315 ff. 158) Vgl. Breasted, De hymnis in solem sub
rege Amenophide IV. conceptis, 1894; Development of Beligion in Ancient Egypt
324 ff. 159) Boeder 68 ff. 16°) Erman, ZAS 38 (1900) 19 ff.; Boeder 46 ff.;
Breasted 345 ff. 161) Jastrow II 124 ff. 182) Erman, Ägyptische Beligion
98. 16S) Boeder 63. 164) Jastrow I 433. 436. 165) BV VI 64; übs. v.
H. Brunnhofer, Der Geist der indischen Lyrik 1882, 8 f. 166) Boeder 66 ff.
16T) Jastrow I 435 f. 168) Erman 98; Jastrow I 433. 169) Homeric Hymns
ed. Allenand Sikes Nr. 30 p. 296 f. ; FR III 201. 17°) Jastrow I 345. 171) Mark-
ham, EBE I 470 f. 172) BV VI 64. 4 f. "«) = Anm. 171. 176) Boeder
«5. 176) BV V 85. 177) Erman 99. 178) Boeder 07. 179) Gunkel.
Israelitische Literatur (HKG I 7) 88. 180) Zusammenstellung der Parallelen
bei Jastrow II 133 ff. 181) Erman 99.
D. Das Gebet in der hellenischen Kulturreligion.
l) Nägelsbach, Nachhomerische Theologie 211 ff.: L. Schmidt. Ethik der alten
Griechen II 31 ff.; Farnell, Evolution of Beligion 202 ff.; Ausfeld, De Graecorum
precationibus epiaestiones, Jahrb. f. klass. Phil. Suppl. Bd. 28 (1903) 503 ff.
*) Vgl. Söderblom, Tieles K. 405 ff.; Samter. Beligion der Griechen (NG) 19 ff.;
Nägelsbach. Homerische Theologie 1810. 3) Vgl. Söderblom. Tieles K. 438 ff.:
Samter a. a, O. 74 ff.; L. Schmidt, Ethik der alten Griechen 1882; Nagelsbach,
Nachhomerische Theologie 1857; E. Rohde, Beligion der Griechen. Kleine Schriften
II 314 ff.; Farnell, The Higher Aspects of Greek Beligion 1912. 4) Rhode 11
3215. 6) Bohde II 325. 6) Über den Sinn von aüXfQoovvi] vgl. Hat.
Symp. 190 C: ..Besonnenheit wird allgemein als Beherrschung der Lüste und
Leidenschaften bestimmt". 7) Farnell a. a. O. 103. 8) Rohde 11 329.
9) Xägolsbach, N. Tb. 217: vgl. L. Schmidt, Ethik 11 31. 10) Oecon. 6, 1. Vgl.
Pseudodem. Ep. I 1. 4; Marc. Aurel. VI 23. n) Tim. 27 C; weitere Stellen
Ausfeld 508 t. ") Nägelsbach, X. Tb. 218 ff. 13) Plut. Mor. 803 F; Ausfeld
507. 14) Antiph. VI 45. l6) L Schmidt II 38 f. 19) Arrian. de venat. 35;
L. Schmidt II 31. 17) Oecon. Vll 7. l8) Plut. Quaest. conv. III 7, l ; p.
655 E. ") Xen. Sympos. 2. 1 ; vgl. 11. IX 21!) f.: Od. IX 231 f. 20) Gruppe,
Die griechischen Kulte und Mythen 561. 2I) Hymn. in Jov. 94 ff. sa) Hom.
et Hes. Cert. Fragm. 157 ff. ") Plut. Inst. Lac 20 (Mor. 239 A). ■«) Fr. 22:
Anthol. Lyr. ed. Biller p. 211. »•) Mem. II 2. 14. a«) Collitz, Sammlung
520 Anmerkungen zu Seite 196 — 212
der griechischen Dialektinschriften 3648 (III 369). -7) Athen. 694 C; Bergk,
Poetae Lyrici Graeci III 643 f. 28) Xenophon. Oec. XI 8; Plut. Mor. 116 D;
:?51 C. 29) Plut. Mor. 116 D; vgl. Jsoer. 18, 6. ,ü) Xenoph. Oecon. XI 8.
Weitere Beispiele Ausfeld 542. 31) Fr. 31, 3; Bergk, Poetae Lyrici Grae< i II
42. 32) Roberte, Greek Epigraphy I 304. 33) Plut. Quaste. Conv. III 6,
4 p. 654 C. 34) Sympos. 8, 15. 8B) Ethik der Griechen I 85. ") Heiler,
Die buddhistische Versenkung 22 f. 37) Aesch. Ghoeph. 313. 398. 38) Plut.
Mor. 239 A; vgl. Pseudoplat. Alcib. sec. 148 C. 39) Pseudoplat. Alcib. sec,
113 A. 40) L. Schmidt 11 31. 35; Od. XX 61; U. IX 183; Od. XIII 356.
4I) L. Schmidt II 31; Arrian. de venat. 35. ") Beispiele L. Schmidt II 36.
Vgl. Aesch. Sept. 116 ff.: Ägam. 509 ff. 43) Herod. I 131; Arist. 8. Metaph.
2 p. 46, 22; Nägelsbach, N. IL 1. Vgl. die feine Analyse L. R. Farneil, Greece and
Babylon. A comparative Sketch of Mesopotamian, Anatolian and Hellenic Reli-
gions 1911, 192 ff. 14) Pindar. Isthni. V 18; vgl. Olymp. V 57.
E. Gebetskritik und Gebetsideale des philosophisch e n
Denken s.
') Vgl. IL Schmidt. Veteres philosophi quomodo iudicaverint de precibus 1907;
Dibclius, Die Vorstellungen vom Gebet in der alten Kirche (Das Vaterunser
1—50). 2) Voltair.-, Dictionnaire Philosophique s. v. Friere (Oe. C. XX 275 f.)
macht auf dieses Büchlein als die einzige philosophische Abhandlung über das
Gebet aufmerksam. 3) Vgl. C. F. Stäudlin, Geschichte der Vorstellungen
und Lehren von dem Gebet 1824, 261 ff. 4) ECierocl. in carm. aur. c. 1 ed.
Gaisford p. 25; vgl. Demophil. Sent. Pyth. 7; Max. Tyr. diss. XI 8. 5) Religion
d.s Geistes 319. 8) Appellation an das Publikum 67 (W. W. V 219). 7) Nat.
quaest. II 35, 1. 8) Nat. quaest. II 35. 9) Religion innerhalb der Grenzen
der bloßen Vernunft , Ges. Sehr. VI 196 Audi. 10) Diog. Laert. 6, 42. n) Xen.
Mem. I 3, 2. 12) Bias bei Stobaeus V 29. 13) Epict. ed. Schenkle p. 479.
") Strom. VII 7. Mi PG 9, 464 A. 15) Xenoph. Fragm. (Diels) 1, 15 f. 19) Phi-
lostr. Vit. Apoll. I 34, 1. 17) Man. 31, 5. 18) Diss. XI 8. 19) Strom.
VII 7, Mi 465 B. 20) Ep. 10, 4. 2l) Sat. X 356 ff. ; vgl. Marc. Aurel. IX 40.
-'-) Diod. Sicul. X 9, 6. ") Philostr. Vit. Apoll. Tyan. IV 13; 40, 2, a4) Mo-
la nges, Oe. C. XXV 407; Sermon de Cinquante, Oe. XXIV 438. -') Diod.
Sicul. X 9, 8. "-•) Xen. Mem. 13.2; vgl. Valer, Max. Oecon. VII 2, 1. a7) Phi-
lostr. a. a. O. IV 40, 20: vgl I 11. 2H) Man. 53; Arnim, Stoicorum fragmenta
527. 29) Ep. 107, 10. 30) De prov. 5, 5. 31) Ed. Schenkle p. 158.
") Lettres de la montagne I 3, Oe. C. VI 259. 33) Oe. C. II 61. 34) Oe. C.
XX IV 438; XXV 407. 3i) Vgl. James, Varieties of Religious Expeiience
38 ff. 36) Heiler, Die buddhistische Vei Senkung 21 ff. 53 f. ") I, 16; III
5. 10 ed. Schenkle 55 f. 38) Kant a. a. O. 195. 39) Ep. 41, 1.
4n) Diss XI 8: (Sokrates) svyeio fi.kv dioig, d Xd /j. ß ay e n a o' tavtov
avv£7iLV£v6i'TO)v ixetvwv doeii/V V'f/';?- 41) Strom. VII 7, Mi 457 B. 460 B:
..So wie Gott alles, was er will, vollbringen kann, so erlangt der Gnos-
tiker alles, um was er fleht .... Wenn der nach dem Guten Trachtend
und zugleich der Gnade Eingedenke um etwas im Gebet fleht, wirkt er in ge-
wissem Sinne selbst zur Erlangung mit, indem er eben durch das Gebet das Er-
sehnte freudig ergreift," l-) La nouvelle Heloise VI 7, Oe. C. IX 440 f.
43) Ep. 95, 50. 44) Chantepie de la Saussaye I 3 157. *6) Les oreilles du
comte de Chesterfield c. 4, Oe. 0. X1XI 585. ' 46) Irreligion der Zukunft 203.
4') Lün Yü 7, 34; Beville, La religion cbinoise 329. 48) Strom. VII 7, Mi
456 C. 49) Kant a. a. O. 194 f. 60) Alb. Stolz, Wilder Honig, Ges. W. VI
242. Tholuck, Gebetserhörung 129. 61) Dictionnaire Philosophique s. v.
Priere, Oe. (;. XX 276. tt2) Willmann, Geschichte des Idealismus III 507.
*') Parerga und Paralipomena II 2 405. Vgl. Die Welt als Wille und Vorstellung
II 381, wo .•!■ Gebet und Kult als eine ,, phantastische Unterhaltung mit einer
erträumten Geisterwelt" bezeichnet. i4) Fr. 5 (Diels). i5) Ep. 4L 1.
ä0) Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft 195 Aura. 57) Nat.
qu.icst. II :iö ff. ; ep. 77, 12. Vgl. Vergib Georg. II 491; Stob. Eclog. I 4; Commod.
I 16, 5. °») Vett. Val. V 9 p. 220 ed. Kroll. i9) Diss. XI 3. so) Religion
des Geistes 319. 41) Theologisch-politischer Traktat c. 6, übs. J. H. Kirch-
Anmerkungen zu Seite 212 — 224 521
mann (Phil. Bibl.) 1870, 91. 62) Einleitung in die Philosophie 285. •») Geyer
und Rittelmeyer, Leben aus Gott, Neuer Jahrgang Predigten 1911, 295; 63b)
Gebetsproblem 59. 84) Einleitung in die Philosophie 282. 86) Catechisme posi-
tivstellO ff. 68) Reville a. a. O. 330. 67) A. Bonhöffer, Die Ethik des Stoikers
Epiktets 1894, 76. 83. 88) Fr. 38 f. 89) Man. 31, 5. 70) Dibelius, Vater-
unser 27 f. 71) Vgl. die Äußerung Oe. C. XX 276: ,,Toutes les nations prient
Dieu, les sages se resignent et lui obelssent. Prions avec le peuple et resignons-nous
avec les sages." 72) Dibelius 20 ff. J. Van Vloten et J. P. N. Land, Spinoza
opera 1883 II 95. »■) Oe. C. II 61. M) Stob. Ecl. 43 p. 130. „Eine schöne
Sitte ist es, den Gott beim Beginn des Mahles und des Frühstücks anzurufen,
nicht weil jemand derlei nötig hätte, sondern auf daß wir durch die Erinnerung
an Gott in eine gehobene Stimmung versetzt werden (xutaxoa^&fjjuei' tav
xpvydv). 7S) Diss. XI 8. T6) Discours sur l'ensemble du positivisme
1907, 374 f. 77) Irreligion 202. 78) Ebbinghaus-Dürr, Grundzüge der Psy-
chologie II 1913, 558. 79) Strom. IV. 23: Mi PG 8, 1357 B. 80) Pan-
theistikon übs. v. L. Fentsch 1897, 131 f. 81) Dorner 308 f. 82) Irreligion
207. 83) Religion des Geistes 320 f. 84) A. a. O. 195. 85) Brief an Kiese-
wetter bei Willmann, Geschichte des Idealismus III 507. 8S) Dorner 310.
87) Religion des Geistes 320. 88) Nos quoque existimamus vota proficere salva
vi ac potestate fatorum. Quemadmodum enim a dis immortalibus ita suspensa
relicta svmt, ut in bonum vertant, si admotae preces fuerint, si vota suscepta :
ita non est contra fatum, sed ipsum quoque in fato est. Nat. quaest. II 37.
B9) De or. 6, Mi PG 11, 433 C, 437 A. 90) Pfeiffer II 487; vgl. Büttner I 14.
Vgl. auch F. E. Beneke, System der Metaphysik und Religionsphilosophie 1840.
578 ff. 91) Menegoz, Gebetsproblem 62. ' 92) Menegoz a. a. O. 58 f.; vgl.'
16 u. ö. 93) An Kiesewetter bei Willmann III 507. *4) Religionsphilosophie
21. 9S) Vgl. Menegoz. 40 f. 58 f. 98) Albr. Kalthoff, Vom inneren Leben»
Nachgelassene Predigten hsg. v. Fr. Steudel, Jera 1908.
F. Das Gebet in der Frömmigkeit der großen religiösen
Persönlichkeiten.
I. Eigenart.
') Hymr. Veni Sancte Spiritus (Missale Romanum). 2) Eutyphr. 14 B f.;
Pol. 290 C (s. o. S. 508 Anm. 8). 3) Am 5, 25; Jer 7, 22: P. Volz, Mose 1907. 85.
4) Der Einfluß der kult losen individuellen Frömmigkeit der Propheten und
l'salmisten tritt im nachexilischen Judentum stark hervor. Der Opferkull trat
zurück; auf das Gebet wurde besonderes Gewicht gelegt. Stade-Bertholet II 422.
B) Asclep. 80, 22; Kroll, Hermes Trismegistos 329. 8) Porphyr, de abstin. II 34.
7) DiaL c. Tryph. 117. ") Strom. VII 5, 31. Weitere Stellen von der Goltz,
Gebet in der ältesten Christenheit 165: Franz Wieland, Der voiirenäische Opfer-
begriff 1909 (Veröff. d. kirchenhist. Sem. München). 9) Epist. lib. I 107,
Mi PG 7 9, 129. 10) Walch II 1J12. ") Gedichte hsg. v. Ebeling 52.
12) Theologische Ethik IIa 189 f. 13) Junod. Life of a South African Tribe II
454. 14) Porphyr sagt von den ägyptischen Priestern: cuieiSoaav 6Xoy vor ^lot'
ii iün> öewv ihetüQia xal xhedaet. De abs*. IV 6. lä) Curnont, Orientalische
Religionen 113. 18) Cyl. A X11I 28 f.; Thureau-Dangin 31. 17) Koran,
73, 1 ff.; Mittwoch, Zur Entstehungsgeschichte des islamischen Gebets
L913, 10 f. 18) Acta B. Francisci 115 (ed. Sabatier p. 4); Thomas a
Celano, Leg. I c. 10 ed. Alenconiensis p. 24; vgl. c. 27 (p. 73): Eius tutissimus
portus erat oratio non unius existens momenti . . ., sed longa tempore . . .;
.si soro ineipiebat, vix mane finiebat; ambulans, sedsns, comedens, bihens orationi
erat intentus." 1S) Hase, Catorina von Siena, Ges. W. V 163. 165. ao) „Es
gehet kein Tag vorüber, in welchem er nicht aufs wenigste drei Stunden, so dem
St udieren am allei bequemsten sind, zum Gebet nimmt." Veit Dieti ich an Melamii-
ilmii 1530 (W XVI 2137). Z1) Böhmer, Bekenntnisse des Ignatius v. Loyola 21.
2*) Leben c. 29, übs. Hahn-Hahn 377. *3) Heppe, Geschiihte der quietistischen
Mystik s;,. 2«) Thomas a Celano, Log. II c. 61 p. 95. ••) 1 Thoss 5, 17;
Eph •'», IS; Coli, 2; Roe 12, 12; 1 Tim 5, 5. ") De modo bene vivendi serm. 49;
Mi PL 184. 1271. 2T) Briefe I 2, 99; II 3. 46:J. 28) De or. I 12. 2Ä) In
522 Anmerkungen zu Seite 224 — 238
psalm. ;i7. 14; senn. 80 de vevb. ev. Mt. 17. ::>) De adhaerendo Deo 13 (Opp.
31, 537). 31) Erl. 49, 115. 33) Paradoxa hsg. Ziegler 249. -) Tersteegens
Lieder hsg. v. Nelle 17. 31) Vgl. A. Deißmann, Ev. Wochenbrief X. F. 71/72
(11)18). 35) Poimandres XIII 2; Kn.ll. Hermes Trismegistos 361. 36) 6. 1;
vgl. 11. S-. 2t5, 3. Montanus bei Epiphan. Haeres. 18, 4: „Siehe, der Mensch ist
wie eine Leier und ich (der Geist) fliege hinzu wie ein Plektron". 37) De or.
53; Mi PG 79, 1180. 38) De bono persev. II 2:;-, in psalm. ins sem 11. 2.
Vgl. Conf 1 1 : „Tu excitas, ut laudare te delectet." „Invo sal be fides iura, quam
dedisti mihi, quam inspirasti mihi." 39) Summ;- Theol. II 2 qu. 83 art. 15 ad 1.
4J) Im. Chr. III 21, 7. 41) Lieder hsg. Nelle 160. **-) Leben übs. v. .1. Hahn-
Hahn Sl. KM. 187. 196. ") Erl. 12. 1(50 (zu Jo 16 2S). 4i) Wahres Christen-
tum 11 1!) (S. 272 f.); II :j7 (S. :::<1 ). 4"J) Di3cours ton, hin- prayer, Works II
45n f. 46) Tauperlen und Gottesstrahlen 571: Goldenes ABC (Spurgeon-
Anthologie) übs. v. Zylinski 48. 47) Nach der schwedischen (Tbs. v. Zettersteen,
PH II 2, 981 f.: vgl. Tholuck, Blutenlese 160 f.: Nicholson, Mystics of Islam 113.
47 b) Tholuck 182. 4H) .Memorial; Oe. C. 1 348. »•) Letzte Betrachtungen
übs. v. Liebusch 66. 50) Zwölf Reden über die christliche Religion 180; vgl.
R, Rothe. Theologische Ethik II2 187. 189: „Beten ist wesentlich ein von Gott
selbst in der menschlichen Willenstätigkeit gewirktes individuelles Hilden für
Gott"; ,.ein von Gott selbst gewirktes Begehren, ein Begehren des Betenden
auf den Impuls Gottes hin." 51) Wilder Honig, W. 6. 495. S2) Tiruväcagam
transl. Pope 2. 75. 53) Tholuck, Blütenlese 189. 54) Paradoxa 249. 55)
Heppe 471. 56) M. Buber, Die Lagende des Baal Sehern Prankfurt 1916 2. 15.
s:) Letzte Betrachtungen übs. v. Liebusch 69; vgl. 4L 58) Buchw.-Kaw. 8,
74 f. 59) Lieder hsg. Nelle 50. 60) Wahres Christentum II 20 S. 266. Vgl.
Bunyan. Works II 450: ..Wenn ich zum Beten trete, finde ich mein Herz so un-
willig zuGott zu gehen, und wenn ich imGebet verweile, so unwillig in ihm zu bleiben,
daß ich bisweilen in meinen Gebeten gezwungen bin zuerst Gott zu bitten, er
möge mein Herz in sich selbst versetzen, und wenn ich darin bin, es dort lassen."
,;1; Wilder Honig, W. 6, 193 f. 62) Ps. 35 3; Conf. I 3; vgl. I 6. 63) Priere,
Oeuvres II 29. 64) Erl. 50, 125. 65) Verkehr des Christen mit Gott 157;
vgl. Rothe, Theol. Ethik II * 188. 66) Offenbarungen V. 13. 67) Vgl.
Simmel, Vbrformen der Idee, Logos 1916, 103 ff. 68) Lieder hsg. Nelle S.
Vgl. Albertus Magnus, De adhaer. Deo c. 13 (Opp. öt. 537). 6S) Tylor, An-
fänge der Kultur II 306; Dorsey, XI. ARBE 390. 70) Enn. V 1, 6 (ed. Müller
II I 17). 71) Hom. in transfig. 10: Mi PG 96, 561 A. 72) Oldenberg. Buddha.
Jim'. 360; Heiler, Buddhistische Versenkung 8. 73) Lieder hsg. Nelle 21.
74, Reügionsphilosophie 24 f. 75) 1 Sam 3. 10; Imit. Christi III 2, 3. 76) Lieder
hsg. Nelle si. 77) Pred. zu Jo 16 33, Buchw.-Kaw. 6. 373: Wie man beten
soll. Walch X 1693. 78) Vgl. Söderblom, Tieles Kompendium 16 ff.; Natür-
liche Theologie 84 ff.: Heiler, Bedeutung der Mystik für die Weltreligionen 1919.
79) Mystical Element of Religion I 61; vgl. I 90 ff. 80) Pseudodionysius Areo-
pagita X. 81) H. Windisch, Die Frömmigkeit Philos 1909. »*) B. A. Nichol-
son. Origin and Development of Sufism, JRAS 1906 I. 329 f.; The Mystics of
[slam 1911. ") Troeltsch, Soziallehren der christlichen Kirchen 857. 84) W.
Koepp, .Johann Arndt 1911. 85) DE 1916, 119. 86) Unser Gottesglaube.
Bg \"b 1908, 32; vgl. Döllinger. Christentum und Kirche 136. HT) Works II
460. 88)Tischr. 15, l;(Erl. 59. 2);v^l. zuMt 6, 5 ff. (Erl. 43, 172). 89) Wahres
Christentum II 35. 00) Erl. 43, 171. 9l) Mystical Element of Religion II 91.
92) Die Aufgabe der theologischen Fakultäten und die allgemeine Beligions-
geschichte, Heden und Aufsätze II (1904) 168. 172 f. 93) Ex. 5 22 f.; 17 ! ff.
32 u. 31; Num. lliff.; Jer 15 x. äi) Num 12 8; Dt 34 10. 95) Wellhause:;.
Israelitische und jüdische Geschichte 217. 96) Jos 7, 4 ff.; 1 Sam 7, 8; 12.
17 ff.; Am 7, 1 ff. 97) Wellhausen a. a. O. 217. 98) Israelitische Volks-
religion und die Propheten in ..Das Christentum" (Wissenschaft und Bildung)
1908, 21. 99) Wellhausen a. a. O. 143 f.; vgl. 217. Vgl. Smend, Alttestament -
lichen Religionsgeschichte 255 f. 10°) Ps 37, 25; Cornill a. a. O. 20 f. 101)
Hefele, Beiträge zur Kirchengeschichte, Archäologie und Liturgik II 340; vgl.
Le Roy, Gebetsleben im Psalter, Monatsschr. f. Pastoraltheol. VI (1911) 144.
102) Das Gebet im Judentum, Jüdische Skizzen 154 f. Vgl. Max Müller, On ancient
Anmerkungen zu Seite 238 — 210 523
Prayer (Studies in Memory of A. Kohut) 10: „Wenn man die Hymnen und Gebete
anderer Religionen gelesen hat, wird mau als vorurteilsloser Kritiker nicht
leugnen, daß die hebräischen Psalmen unter den Gebeten der ganzen Welt einzig
dastehen durch ihre Einfachheit, ihre Gedankengewalt und durch die Majestät
ihrer Sprache." 103) W. Bousset. Gott. Gel. Anz. 1903 I, 267. 104) F. Perles,
Jüdische Skizzen 10(5. ,03) Was lehrt uns Harnack? Jüdische Skizzen 229.
106) Den innre gasten, När stunderna växla och skrida I 17. lo:) Jesus 57.
108) Religionsphilosophie übs. v. Bendixen 111. 109) Vgl. R>-ne Pfender, De la
priere juive ä la priere chretienne 1905. 54: C'est ä hü . . .. qu'il appertenait
de christianiser la priere et de rompre definitivement avec le ja daisme." Vgl.
Von der Goltz, Gebet in der ältesten Christenheit 83 ff., 95 ff., 121 ff., 152 f. 324;
Deißmann, Paulus 1911, 78 ff. no) Ap.-G. 7 59; 1 Kor. 16 B; Apoc. 22 ,0;
Did. 10 8. Von der Goltz 130. in) Vgl. Von der Goltz 132. 143. Il2) S. u.
Kap. H. Abs. 6. n3) De or. c. 15 f. ,14) Vgl. Aug. Conf. XI 2. 22; O. Scheel,
Die Anschauung Augustins über Christi Person und Werk 1901, 452. 115) Vgl.
Vorwerk, Gebet und Gebetserziehung 578. 116) Vgl. Misch, Geschichte der
Autobiographie 1336. 11T) Scheel a. a. O. 462. Vgl. Seeberg. Dogmengeschichte
II 2 369 f. 387 f.: Grandgeorge, St. Augustin <-t le Xeoplatonisme (Bibl. de l'ecole
des hautes etudes) 1896. 118) Augustins Konfessionen, Reden und Aufsätze I
(1904) 54. 119) Vgl. die altdeutschen Gebete bei K. Müllenhof und W. S-herer.
Denkmäler deutscher Poesie und Prosa, 1864, 203 ff.; ferner Hauck, Kirchen-
geschichte Deutschlands II 148. 764. 12°) Thomas a Celano. Leg. I c. 29 p. 80.
121) Mystik im Heidentum und Christentum 128. 122) Vgl. Edv. Lehmann.
Mystik 116 ff.; Söderblom, Religionsproblement 271 f.; W. Koepp, Johann Arndt
11. Bei Bona, Ventura suchte Luther Belehrung über die Einigung der Seele
mit Gott durch Kontemplation und mystisches Gebet. Tischr.. Weim. I 72.
123) Vgl. z. B. die echt mystische Gebetsbitte in Luthers Betbü-hlein von 1520
(Erl. 22. 26 = Weim. 10 II, 401): „Gib uns eine vollkommene ledigliche Ge-
lassenheit, geistlich und weltlich, ewiglich imd zeitlich." 124) Inst. Rel. Christ
I 907. 917. 12ä) Die Herausstellung dieser Tatsache isi ein Verdienst von
Alt haus (Evangelische Gebetsliteratur im Reformationsjahrhundert 1014).
vgl. o. S. 11. Vgl. auch W. Koepp, Johann Arndt 12 ff. 1SS) Vgl. W. Koepp,
Johann Arndt, bes. 176. 255 ff. 264. 286.
II. Allgemeine Charakteristik der beiden Haupttypen der persönlichen
Frömmigkeit.
M James. Varieties of Religious Experience Lect. IV — VII. '-) James 166 ff.
8) Söffding, Religionsphilosophie 255 ff. 4) Eucken, Wahrheitsgehali der
Religion. 5) Söderblom. Studi.-l av religionen 72 ff.; Religionsproblemenl
inoin Katolicism och Protestantism 1910. 238 — 283; 444 — 471; Uppenbarelse
(föredrag) 1910; Tieles Kompendium 16 ff. 221 f.: Communion with Deifcy, EIRB
III 738 ff.; Natürliche Theologie and allgemeine Religionsgeschichte 95 ff. Söder-
blom erbiicki indei Unterscheidung dieser beiden Typen die „wichtigste Distinktion
der gesamten höheren Religionswissenschaft überhaupt". Fresenius, l^cr Ver-
such einer mystischen Begründung (\cr Religion und die geschichtliche Religion
(Diss.) 29 nach einer persönlichen Mitteilung. 6) Dogmengeschichte I\" 1.
310 f. Aura. 3. Über den Unterschied der beiden Typen vgl. auch A. W. Erbkam,
Geschichte der protestantischen Sekten im Zeitalter der Reformation 1848 Ein-
leitung; I. A. Eklund, Nirväna. En i-eligionshistorick andersökning 191 ff.;
A. Harnack, I >ie Bedeutung der Reformation innerhalb der allgemeinen Religions-
geschichte (Reden und Aufsätze II) 297 ff.; W. Koepp, Johann Arndt 17:> ff.
") siu«li(, av religionen 7_': vgl. Religionsproblement 243. 246 ff. Bj Suidas
(Lexikon II !'-':'• e •■!. Bernhardy) erklärt: (ivot^Qia ixty&q naget i<) tobg «xoioyia^
[iviii' rö un'iiia xal utidevl tavta itujyetofrat. *b) Oelsus bei Orig. <•. Cels. \ II 39;
ProcL Theol. Plat. I 3; Dionys. de myst. theol. c. 3. Vgl. Tholuck Blütenlese
aus der morgenländischen Mystik 1. 6. 10. ") Bes. S. 5. 293 i'C der genannten
Schrift. Koepp unt srscheidel völlig zutreffend das .mystische' Eilement in der
Religion von der Mystik <l. h. der .mystischen Sonderreligion'. Vgl. Loofs.
Dogmengeschichte 4 186 :'. Über Mystik vgl. ferner Edv. Lehmann. Mystik
iip Heidentum um! Christentum (NG-) 1918 :: J. Zahn, Einführung in die- christ-
524 Anmerkungen zu Seite 249 — 252
liehe Mystik 1918 a; Friedrich v. Hügel, The Mystical Element of Religion as
studied in St. Catherine of Genoa 1908; R. W. Inge, Christian Mysticism 1899;
Personal Idealism and Mysticism 1907; J. Pacheu, Introduction a la psychologie
des mystiques: le mot et la chose 1901; Psychologie des mystiques chretiens
1911,3; J. Chapman, Mysticism (Christian), ERE IX 90 ff.; E. Boutroux, La
Psychologie du mysticisme, Revue blanche 1902. 15. mars p. 321 ff. ; H. Aschkenasy,
Grundlinien zu einer Phänomenologie der Mystik, Zeitschr. f. Philosophie und
phil. Kritik 1911. Bd. 142, S. 145 ff.; Bd. 144, S. 146 ff.; W. Fresenius, Mystik
und geschichtliche Religion 1912; W. Koepp, Mystik, Gotterleben und Protestan-
tismus 1913; A. Merx, Idee und Grundlinien einer allgemeinen Geschichte der
Mvstik 1892; A. Tholuck, Blütensammlung aus der morgenländischen Mystik
1825 Einl. ; W. Herrmann, Verkehr des Christen mit Gott 1908 5 Einl. ; W. James,
The Varieties of Reliscious Experience; R. Ott-;, Das Heilige 1917; Texte zur
indischen Gottesmystik (RStV) I 1917, II 1918. Einl.; E. Troeltsch, Sozialleh/en
der christlichen Kirchen 1911, 850 ff. ; E. Rohde, Psyche 1903 II; R, A. Nicholson,
The Mystics of Islam 1913; Thomasius- Seeberg, Dogmengeschichte II * 1889,
261 ff.; A. Harnack, Lehrbuch der Dogmengeschichte 1910 4 (besonders Bd. III);
W. Preger, Geschichte der deutschen Mystik im Mittelalter 1874 — 93; A. Hauck.
Kirchengeschichte Deutschlands V 1, 1911; .T. Bernhart, Bernhardinische und
Eckhartsche Mystik in ihren Beziehungen und Gegensätzen 1912; L. Zoepf, Die
Mystikerin Margaretha Ebner 1914 ; G. Siedel, Die Mystik Taulers 1911 ; H. Heppe,
Geschichte der pietistischen Mystik in der katholischen Kirche 1875; Geschichte
des Pietismus und der Mystik in der reformierten Kirche 1879; A. Ritschi, Ge-
schichte des Pietismus 1880, 6. I0) Lieder hsg. Nelle 135. ll) Vgl. o. Anm. 8.
Die Wendung vom .Verschließen' der Augen ist sehr häufig; z. B. Albertus Magnus,
De adhaer. Deo 2. i (Opp. 37, 524. 527); Tersteegens Lieder hsg. Nelle 110. 117;
Imitatio Christi I 20, 6. 8: III 1, 1. 126. Vgl. zum folgenden Plato, Phaed. 83 A.
Eckhart hsg. Pfeiffer 480, 1 ff. ia) De adhaer. Deo 2 (37, 524). 13) Vgl. Albertus
Magnus, De adhaer. Deo 4 f. (31 p. 527). 14) Offenbarungen I 44 hsg. Morel 21.
15) Leben c. 32; hsg. Bihlmeyer 94. 16) Lieder hsg. Nelle 117. 17) Die religiöse
Erfahrung als philosophisches Problem; vgl. Zoepf, Margaretha Ebner 8 f.
18) Plato, Phaed. 67 C. Rohde, Psyche II 181 f. 19) Plotin. Enn. VI 9, 11.
ao) De adhaer. Deo 5 (31 p. 527). 21) Pfeiffer 570; Büttner II 44 f. 22) Leben,
e. 49 i. ; 108. 174. hsg. Bihlmeyer. Der Gedanke des Entwerdens wird von Mechtild
von Magdeburg in folgenden sinnigen Versen ausgesprochen:
.,Du solt minnen das niht.
Du solt fliehen das iht (— Etwas).
Du solt alleine stan
Und solt zu nieman gan,
Du solt sere unmuessig sin
Und von allen dingen wesen fri" (Offenb. I 35).
■») Yogasütra Fatanjalis 1 .2; H. Beckh, Buddhismus II s. Index. 24) Z. B.
Marabotto, Vita e dottrina Celeste della B. Caterina da Genoa c. 14 p. 38; c. 30 p.
83; Eckhart, Pfeiffer 574; Büttner II 50. -5) Tao-teh-king c. 2. 43; übs. J.
Grill 76. 99. a6) Heiler, Buddhistische Versenkung 21 f. 27) Do adhaer,
Deo 4 (31 p. 527). 28) a. a, O. 3 (p. 525). 28b) Vgl. H. Koch, Pseudo-
dionysius Areopagita 66 ff. ; A. Harnack, Der Eros in der altchristlichen Literatur,
Sitz.Ber. d. Preuß. Ak. Wiss. 1918 phil.-hist, Kl. 81 ff.; Merx, Idee und Grund-
linien einer allgemeinen Geschichte der Mystik 1892; R. Otto, Texte zur indischen
Gottesmvstik, Einleitungen; Heiler. Buddhistische Versenkung 58 ff. a9) H.
Scholz, Glaube und Unglaube in der Weltgeschichte 1911, Anh. 197 ff. 30)
Pfeiffer 484; Büttner I 9. 31) De adhaer. Deo c. 12 (31, 535 f.). ") De div.
nom. c. S f. ") Über die Ekstase vgl. Martin Buber, Ekstatische Konfessionen
XI ff. ; Oesterreich, Die religiöse Erfahrung als philosophisches Problem 18 ff. ;
P. Beck, Die Ekstase. Ein Beitrag zur Psychologie und Völkerkunde 1906; H.
Wündisch, Die Frömmigkeit Philos 1909, 60 ff.; H. Koch, Pseudodionysius
Areopagita 135 ff. ; W. Kroll, Lehre des Hermes Trismegistos 355 ff. ; Zoepf.
Die Mystikerin Margarethe Ebner 41 ff.; Joseph Zahn, Einführung in die christ-
liche Mystik 1908. 462 ff. 34) S. F. Heiler. Die buddhistische Versenkung 35 ff.;
Anmerkungen zu Seite 252 — 260 525
dortsei bst S. 84 f. alle weitere Literatur. 35) Theresa, Leben erzählt von ihr
selbst Kap. 4. 18. 20. 25. 34. übs. von Ida Kahn- Hahn 81. 231. 234 ff. 253.
263. 322. 459. 36) Vgl. die Sammlung ekstatischer Selbstbekenntnisse von
Martin Buber, Ekstatische Konfessionen. 37) Enn. VI 9, 10 ff. 38) Cheru-
bimischer Wandersmann IV 11. 39) Enn. VI 9. 10 (ed. Müller II p. 454).
*<>) Buber 217. 41) Journal intime II 157. 42) = Anm. 39. 43) Buber 217.
44 ) Das Heilige 5 ff. ") Brhad-Aranyaka-Upanishad I 4, 10; Chändogya-
Upanishad III 14; VI 8 ff. 46) Nicholson. JRAS 1906 I. 237; The Mystics of
Islam 150 f.; vgl. ebenda 17. 119. J. Hammer- Purgstall Geschichte der schönen
Redekünste Persiens 1818, 190; Goldziher, Vorlesungen über den Islam 156. 163 f. ;
Tholuck, Blütenlese 105. 209. 281. 47) Enn. VI 9, 9. 48) Didymus. De trin.
3, 41 ; Mi PG 39, 984 A. Vgl. Anrieh, Antikes Mysterienwesen 89. 49) Marabotto
c. 14 p. 38; vgl. ebenda: ,,11 mio essere e Dion non per sola partieipazione ma
per vera transformazione e annichilazione dell' esser proprio." 50) Cher.
Wandersmann I 92; VI 134; vgl. VI 129. 51) Lettres spirituelles. II 187 bei
Heppe, Geschichte der quietistischen Mystik; ähnliche Formeln bei Weinreich,
ARW XIX 165 ff. 52) Phaed. 80 A; 95 C; Tim. 41 C; 42 B; Soph. 216 B;
Theaet. 176 B; Rep. 6, 500 D; 10, 611 E, 613 A. 63) Chronik der Anna von
Munzingen, Freiburger Diözesanarch. XIII 180. 54) W. Koepp, Johann Arndt
271. s5) Anguttara-Nikäya ed. Päli-Text-Society V p. 320 und öfter. 6«) Vgl.
P. Volz, Mose 1907, 80 f. : ,,Die israelitische Religion ist als die Religion des Willens
zu bezeichnen, ebenso wie ihre genuinsten Anhänger als ausgesprochene Willens-
menschen .... Auch die Propheten sind Willensnaturen, sie wollten auf den Willen
einwirken, den Willen neu machen." Kierkegaard, Tagebuch 1855 (Venator, Aus den
Tiefen der Reflexion 98): ,,Nur ein Willensmensch vermag ein Christ zu werden."
37) Walch II 1104. 68) Er]. 48, 5; 49, 23; 63, 125. 59) Weim. 10 III, 214.
•°) Erl. 47, 367. 61) EH. 63, 124. 62) Walch I 1685 f. 63) Spamer, Texte
aus der deutschen Mystik. 64) Staupitz, Von der willigen Nachfolge des Leidens
Chiisti 78. 65) Ausl. d. 16 Art., CR 2, 88. 66) Beck, Ekstase 38: „Gott
ist für den Mystiker nur der Name für sein Erleben." Über das Verhältnis von
religiösem Erleben und Gottesvorstellurg vgl. Höffdiug, Religionsphilosophie
167 f. ; über den Gottesbegriff der Mystik B. Saint Hilaire, De l'ecole d' Alexandrie
1845, XLV f. 67) Numenios bei Euseb. Praep. Ev. XI 2; Hotin. Enn. VI 9, 5;
Poimandres IV 5 (Kroll, Hermes Trismegistos 340); Clem. AI. Paedag. I 8, 71.
S8) Enn. III 8, 9; V 3, 11. 13; 4. 1 ; VI 9, 5. 69) De adhaer. Deo 4 (31 p. 526).
70) Chändogya-üpan. VI 2. 71) Pfeiffer 320. 72) Leben c. 51; Bihlmeyer
177; ebenso Angelus Silesius, Cherub. Wandersmann I 83. 73) Pfeiffer 320.
74) Enn. I 7. 1; 8, 2; V 3, 11 f. 75) Enn. V 3, 13; VI 7, 41. 76) Buber
216. 77) Spamer, Texte zur deutschen Mystik 96. 78) Brhad-Aranyaka-
Upan. II :;. 6. Vgl. Angelus Silesius, Cher. Wand. IV 21: ,,Was Gott ist, weiß
man nicht; er ist nicht Licht, nicht Geist; Nicht Wahrheit, Einheit, Eins, nicht
was man Gottheit heißt; Nicht Weisheit, nicht Verstand, nicht Liebe, Wille,
Güte; Kein Ding, kein Undintr auch, kein Wesen, kein Gemüte." Vgl. auch
Kroll. Hermes Trismegistos 12 ff. 7») Enn. V 5, 6 (II 186); vgl. I 7, 1. 80)
Cher. Wand. I 111. 81) Pfeiffer 532. 8i) Mutat. nom. 14. ") Enn. V 3,
13; 5, 6. Vgl. Basilides bei Hippolyt. VII 20; Kroll, Hermes Trismegistos 20 f.
84) Iren. adv. haer. I 11, 5; weitere Stellen bei Kroll, Hermes Trismegistos 8;
H. Koch, Pseudodionysius 131. 8S) Tao-teh-king c. 1. 14. 25. 41, übs. Grill
75. 85 ff. 98. 86) Pfeiffer 288. 87) Enn. VI 9, 11 (II 455). 88) Mutat.
nom. 54, post Cain 19. 89) Euseb. Praep. ev. XI 18, 20. Weitere Stellen bei
Kroll 9. 90) Enn. I 7, 1 (I 55); VI 6, 6; 7, 17 vgl. V 3, 12; vgl. Numenius
bei Euseb. Praep. ev. XI 18, 8. 91) Harnack, Dogmengesrhirht *• III* 111.
92) Senn, in Oant. 215, 16. 9S) Cher. Wand. I 76. 94) Geistliche Lieder hsg.
Neue 132. 90) Enn. VI 9, 11 (II 455). ••) Opif. mund. 8; vit cont. 1 (p. 476
ed. Mangey). 97) Enn. I 8, 2; VI 9, 6 (II 499). 98) Enn. I 7. 1 (I 55). Vgl.
Kroll, Hermes Trismegistos :;:; II. 99) Macarius, Hom. 31, 1. 3. ,0°) Augustin.
Boliloqu. I 7. 101) Vgl. Koepp, Johann Arndt 219. 10i) II 59; 111 11;
VI 11 3. 103) Kap. 62; übs. GrüL 110. 104) Oltramare, La formule bouddhique
des douze causes 47 bei Beckh, Buddhismus II 127. 10G) Buddhismus 1 L23.
10t) Vgl. Beckh, Buddhismus II 111 ff.: Heiler, Die buddhistische Versenkung
.">2(i Anmerkungen zu Seite 2i>0 — 27*
35 it., 84 ff. I0:) Strauch, Margaret ha Ebner und Heinrich von Nördlingen
142. 108) Texte zur indischen Gottesmystik 1917/8; siehe besonders die Ein-
leitung. 109) [mit. Christ. III 21, 1. no) Weim, 40 I. 360. U1) Vgl.
Edv. Lehmann, Mystik 56 f.: X. Söderblom, Natürliche Theologie 97 ff.; Werden
des Gottesglaubens 2<»7 ff. u2) August. Conf. I 4. 6. ll3)'Erl. 15, 252.
"*) Vgl. R. Otto, Das Heilige. 11S) Erl. 36, 2:57. n6) Erl. 1, 247; 2, 270;
7. 159. 168; 12, 354f.; 15, 330. 532; 18, :ill 1 ff.: 11. 246; 60, LH; Weim. 40 1,
300 = Walch VIII 2040 f. 11T) Vgl. Samuel Eck, Religion und Geschichte.
l18) Enchiridion p. 67 ed. BJabinger; O. Scheel. Die Anschauung Augustins über
Christi Person und Werk 437. ll»)Harnack, Dogmengeschichte III 121 ff. ,80)W.
ILeiriimnii. Verkehr des Christen mil Gott, Einleitung. 121) Senn. 261, 7.
Vgl. O. Scheel a. a. O. 450 ff. I22) Vgl. Albert. Magn. De adhaer. Deo 2 (31,
524): Per hominein (Christum) in Deum, per vulnera. humanitatis ad intima
divinitatis suae." 123) Lehen c. 13; Bihlmeyer 34. Vgl. J. Zahn, Christus
in der deutschen Mystik 191S (Universitätsrede), der jedoch den geschichtslosen
mystischen Symbolismus nicht klar herausstellt. 124) Wernle, Einführung
ins theologische Studium 91. Vgl. .loh. Keim. Babylonische und biblische Gottes-
idee 272 ff. ,25) Erl. Opp. Exeg. XIX 76 = Walch V 785 f. 126) Erl. 20 J.
L62; Opp. Exeg. XXII 15 = Walch VI 75 f.: Walch VI11 07: Erl. 47, 322.
12~) Zit. Söderblom, Tieles Kompendiuni 521. 12x) The Mystical Elemenl of
Religion II 266. ,29) J. Zahn, Einführung in die christliche Mystik 81.
l30) Erl. 15. 358. Vgl. B. H. Grützmacher Wort und Geist. Eine historische und
dogmatische Untersuchung, Leipzig 1902. 130 b) Vgl. Seeberg, Dogmen-
geschichte II s 453 ff. l31) Ausg. Büttner S. 70. ,32) Loofs, Leitfaden der
Dogmengeschichte ' 320. l33) Sermo 81, 0; Loofs a. a. O. 396. 134) Eckharts
Lateinische Schriften bsg. \'. Denifle, Archiv f. Literatur- und Kirchengeschichte
des Mittelalters 1886, 002. 13S) De hier. eccl. VI 3. 5: Mi PG 3. 530; H. Koch
174 ff., (t. Anrieh. Das antike Mysterienwesen und sein Einfluß auf das Christen-
tum 25. 136) R. O. Franke, Dighanikäya (QRG) 1013 p. X: Beckh II 20 ff.
'") Söderblom. La vie future d'apres le Mazdeisme 373. Vgl. R. Otto. Texte
zur indischen Gottesmystik I 112. 138) Erl. 7. 71. 13B) Erl. 41, 83; 52,
15 und öfter. 140) Am 4. 0; Hos 5. 4: Jes 10, 22: Jer :>>, 7 ff. )41) Erl. 13,
302: 10. 142; 1*. 20: 50. 241. 142) Hans Haas, Amida Buddha unsere Zuflucht
(Texte zum japanischen Sukhavati-Buddhismus) 1910. ,43) Vgl. Koepp,
Johann Arndt 1X6 ff. 220 f. ,41) Seelenburg IV 1; Zahn. Einführung 218;
vgl. Prancois de Sales, Int roduetion ä la vie devote IV 13. 14S)Brhad-Aranyaka-
Dpanishad IV 4. •>:'>. 146) Dhammapada 39; Suttanipata 520; Bhag.-Gitä
il 50. 147) Erm. VI 7. 34 (II 406). 148) Offenh. III 14; hsg. Morel 70; vgl.
1 44 S. 22. '*•) Maximen, Anhang zu Madame Guy on, Ströme übs. v. Kosegarten,
Stralsund J.S17, 150. 15u) Pfeiffer 486; Büttner II 12. ,61) Buber 26.
152) Vgl. Volz, Mose 81. 153) Helm. Babylonische und biblische Gottesidee 347:
vgl. 344 ff. Vgl. auch Jak 1 27. «*) Erl. 63, 1 25. 155) Erl. 8, 65 ; f . ; I 2, 175 f.
l5B) VgL Ernst Troeltsch, Soziallehren da- ein ist liehen Kirchen und Gruppen
(Ges. Schriften I) 1911. »•») Soliloqu. I 7. 1B8) De adhaer. Deo 8 (31 p. 531).
Vgl. Elsbeth S t a g e I in der Lebensbeschreibung einer mystischen Nonne (Mezzi
Sidwibrin) avisgesprochen: „Und mit Worten und mit Wandel tal sie recht, als
niemand wäre denn sie und Gott." E. Schiller, Das mystische Leben
der Ordensschwestern zu Töß, Diss. 1903, 2 1. 1S9) Maximen übs. v. Kosegarten
a. a. O. 1C0) De sacr. Abrah. 15 (Mangey I 173). Ähnliche Äußerungen hel-
lenistischer Mystiker bei .Anrieh. Das antike Mysterienwesen 69 ff. 161) Nichol-
son, Mystics of Islam '.'>'!. 162) Vgl. Jos. Hörmann, Untersuchungen zur grie-
chischen Laienbeichte 1913. 1G3) Heppe, Geschichte der quietistischen Mystik
337. 1M) Haas, Amida Buddha 38 ff. 166) Beckh, I 22 f. 166) Tiele,
Geschichte der Beligion im Altertum II 166. 167) Hos 1, 2; 9, 1; Jer 3, 1 ff.;
Hes 16, 15 usw. 168) Brief an Spalatin 1520 (Endres II 328); vgl. II 344 f.;
Weim. 7, 280 f. 834 f. 169) Religion der Griechen, Kleine Schriften II 330.
170) Soziallehren der christlichen Kirchen 864 ff.; vgl. Koepp Johann Arndt 291.
171) Vgl. Heiler, Bedeutung der Mystik für die Weltreligionen 10 ff.; Söderblom,
Tieles Kompendium 288. 290. 17i) Leben c. 20, übs. Hahn-Hahn 256. » 73) Enn.
VI 9. 9 (II 453). 17«) Pfeiffer 549 f.; Büttner II 14. 17S) Yasna 30, 10. 15;
Anmerkungen zu Seite 278 — 2S9 527
33, 3: 51, 5; Tiele, R. A. II 95 f. 1T6) Vgl. Höffding. Religionsphilosophie
übs. Bendixen 278 f.; Wernle, Einführung 406 f. 1TT) Vitae Patrum V 3 bei
Hörmann a. a. O. 27. 17S) ..Der griechische Personalismus mit seinem Ziel
der seligen Kontemplation schloß keine direkten Antriebe zur Gesellschaft in
sich, der geistlichen Anarchismus der Einsiedler war sein höchstes Ziel. Die
lateinische Anschauung von den zu einer societas durch gemeinsames Handeln
sich verbindenden freien Personen lehrte die Freiheit im Gemeinschaftsleben zu
betätigen und zu suchen." Seeberg. Dogmengeschichte II 2 433. 179) Vgl.
Söderblom, Kallet in När stunderna växla och skrida I 177 ff.; Birgitta och
reformationen (föredrag) 1916. 180) Söderblom. Tieles Kompendium 529.
181) Tiele. Geschichte der Religion im Altertum II 333; vgl. II 165. 182) Vgl.
J. Hauri. Das Christentum der Urgemeinde und das der neuen Zeit 1901, 17. 24.
183) N. Söderblom. La vie future d'apres le Mazdeisnie ä la lumiere des croyances
paralleles dans les autres religions, etude d'eschatologie comparee (Ann. Mus.
Guimet) 1901. 280—441. Vgl. Fr. v. Hügel, The Mystical Element II 1S2 ff.;
Eternal Life. Edinbourgh 1912. 184) zit. Petr. Lomb. Sent II dist. 38 c 1; vgl.
Feuerbach, Wesen des Christentums 228 ff. ; Theogonie, Ges. W. IX 192 ff.
186) Vgl. Beckh II 121. ,86) Cherub. Wand. VI 247: vgl. V 68. 187) Erl.
47, 369. 188) Tiele. R. A. II 162. 189) Erl. 21. 183. 190) Buber 26.
191) Erl. 21, 182. 192) Vgl. Loofs, Dogmengeschichte * 181 ; Hauri, Das Christen-
tum der Urgemeinde und der Neuzeit 22 f. ; Koepp, Johann Arndt 287.
III. Das Gebet in der Mystik.
*) In Tim 64 E p. 209 ed. Diehl. 2) A. a. O. 65 E p. 213. 3) De prof.
relig. II 72. 4) Pfeiffer 544 f.; Büttner II 5. 5) Deutsche Gebete, ausgevr.
v. Br. Bardo 1917, 163. 6) Tholuck, Sufismus 106. 7) Cassian Coli. IX 31.
8) Goldenes Büchlein 178. 9) Cher. Wand. IV 140. 10) In Tim. 65 E p. 213.
n) Margaretha Ebner erzählt : „Ich ging in den Chor und wollt mein Paternoster
(so nennt sie ihr eigenes mystisches Gebet) sprechen und fing es an. Da ward
mir eine so große Freude und Gnade, daß ich nimmer beten mocht,
und ward auch gebunden auswendig, daß ich mich nicht verwalten mocht."
Strauch 146; vgl. 48. 67. 71. 12) Div. am. 14 ed. Zagoraeus II 62 b. 13) Über
den Gegenstand der Meditation s. Vischnusmrti 97 (SBE VII 287 ff.); David
v. Augsburg. Die vier Fittiche geistlicher Betrachtung (Pfeiffer I 348 ff.); Ignatius
v.. Loyola, Exercitia Spiritualia zahlr. Ausg. Petrus v. Alcantara, Goldenes
Büchlein 2:'» ff.; Leben der hl. Theresa übs. v. Hahn 81. 134. 162. 169; Francois
de Sales, Lntroduction I 9 ff. Über die Betrachtung des Lebens und Leidens
Christi David v. Augsburg a. a. O. I 341 ff. ; Zopf, Margaretha Ebner 56 ff. 116 ff. ;
Wilms. Beten der M> st ikei 'innen 113 ff.; Puccini. Vita della Maddalena de' Pazzi
33 f. 41 ff. — Das Gebet der Adelheid Langmann (Strauch. Offenbarungen der
A. L. 80 ff.) stellt eine Betrachtung des Lebens Christi dar: an tue Meditation
über eine bestimmte Einzelszene schließt sich eine mystische Gebetsbitte an,
deren Inhalt eine Beziehung auf den Betrachtungsgegenstand aufweist. li) IL'ei-
: i . Die buddhistis« he Versenkung 13 ff. 1S) Wahres Christentum II 20, S. 265.
'") Alb. Magn. De adhaer. Deo c. 5: Gertrud, Exerc. spir. (Revelationes Ger-
trudianae ed. monachi Solenmenses). 17) TilLmann, Gebet nach der Lehre
der Heiligen 11 394 IT. ,h) Leben c. 12: ed. Bihlmeyer 34. ''•') Strauch 85.
20) Ep. 130, 20 a«l Prob.: „Dicuntur fratres in Aegypto crebras quidem habere
orationes, sed eas tantum brevissimas et raptim quodamrnodo Laculatas." Bei-
spiele mystischer Stoßgebete hei Gertrud, Leg. div. piet. 111 1!) (Revel. 1 p. 219),
Margaretha Eibner, Offenb. hsg. Strauch 109. 117. Alphons v. Liguori hei Till-
mann II ::.">.s. 2<) Ph. Meyer, Athosklöster ZKG XI 423. ■■) Nicholson,
Mystics of Islam 15. ™) Predigten hsg. Vetter 101. 24) Pfeiffer 1 375.
25) Leben e. 15; ILalm 203. [gnatius v. Loyola geriet beim Gebet in eine so tiefe
Sammlung, daß ihm das Beten des Breviers fast unmöglich wurde; er ließ sich
deshalb vom Papste von dieser Verpflichtung dispensieren. Tillmann 1 17.
26) Enn. V 1,6 ed. Müller II 146, inuakeaanivoig ov Xöytp yeyovfy uXXä i>] tyvyjj
ixTelvaair l.atnohg eig ioyJtv TiQÖg ixelvov. ,7) Macar. H'oin. S (Mi PG \\\ 527 ff.):
Chapmann, Mysticism (Christian) E3RE IX 91. ") Coli. IX 25, Mi PL 1!>.
SOI. '•) Discours I 38 bei Seppe, Geschichte der quietistischen Mystik
528 Anmerkungen zu Seite 289 — 297
471. 30) Teresa, lieben c. 5 S. 88. 31) Predigten Taulers ed. Vetter 155;
Tersteegen, Briefe I 184. 33) Johann v. Kreuz, SMS XVIII 402; Leben der
h. Theresa c. 6 S. 96. 33) De serm. dorn, in monte sec. Mt. II 11; in ps. 37,
14. 34) Teresa, Camino de perfecion 86 (22); Escritos I 346; SMS 2, 187;
vgl. Poulain, Die Fülle der Gnaden I 1909, 68 ff.; F. Chatel de l'oraison mentale,
Löwen 1909; Ludovic de Besse, Die Wissenschaft des Gebets, übs. Regensburg
1909. 35) Francois de Sales, Introduktion II 1, 2. 8. 36) De or. 27. 62 (Mi
PG 79, 1173. 1180). 37) Meyer, ZKG XI 418 ff. 38) Predigten hsg. Vetter 68.
3e) In einem Weisheitsbuch aus dem neuen Reich heißt es: „Bete du mit einem
wünschenden Herzen, in welchem alle seine Worte verborgen sind, so tut er deinen
Wunsch und hört." In einem Hymnus an Thot heißt es: „Du süßer Brunnen
für den Durstenden in der Wüste; er ist verschlossen für den, der redet, er ist
offen für den. der schweigt. Kommt der Schweigende, so findet er den Brunnen."
Erman, Ägyptische Religion 99; vgl. Breasted, Development of Religion in Ancient
Egypt 349 ff. 40) Aeye oiyij, aiyfi, oiyt}, av/xiiokou &eov Cüvtog äq&äaiov.
Dieterich, Mithrasliturgie 6. 42. 41) .ha ocy/jg xaSaoäg xal zGtv tisqI aiiov
xafra(><l>v IvvoiGw ihntaxevofiev aizöv Apoll. Tyan. bei Euseb. Praep. ev. III 3;
cfr IV 13. 42) Uä otyijg /uövrjg {ftoanevezat, Ps. Jambl. de myst. VIII 3.
Weitere Beispiele H. Koch, Pseudodionysius Areopagita 127 ff., H. Schmidt .
Veteres philosophi quomodo iudicaverint de precibus 66 f.; Kroll, Die Lehren
des Hermes Trismegistos 335 ff. ; Norden, Agnostos Theos 343 ff. 43) Ein
Süfi sagt: „Wer Gott kennt, ist stumm." Nicholson, Mystics of Islam 71.
Vgl. Jalal ed-din Rumi bei Edv. Lehmann, TR 293. **) Cher. Wand. I 240:
II 19; IV 11. 45) Geistl. Lieder hsg. Nelle 17 f. ; vgl. 23. 46) Traite de l'amour
VI 1 p. 330 f. 47) Offb. II 24 ; Morel 48. 48) Traite VI 1 p. 327. 49) Heppe
47; vgl. 55. 71. 85. 60) De or. IX 2. 5l) Serm. 73, Mi PL 39, 1887. 62) De
or. 35 (Mi 79, 1173). ") De fid. orthod. 3, 26. Die mystische Gebetsdefinition
wurde auch von Luther übernommen; z. B. Eil. 21, 166: das Gebet ist „eine
Aufhebung des Gemüts oder Herzen zu Gott." 64) Predigten, Vetter 67. 101.
") Briefe I 1, 126. 56) Predigten, Vetter 67. 67) Hom. 33, 1; übs. Stiefen-
hoferBKV. S8) Hom. 31, 1. 3. Vgl. Nilus, De or. 9, 11 (Mi 79, 1169). 59) Dir.
am. 12, Zagoraeus II 79 b. 90) Offb. V 21, Morel 145. ") Strauch. Marga-
retha Ebner 162. 62) III 15, 4; 23, 10; IV 16, 2. 63) Nelle 108. S4) Wahr.
Christ. I 12 f. 17 f. 21; III 8 (S. 49. 53. 68. 72. 81. 453). Vgl. Nilus de or. 36
(Mi p. 1176). 65) Sohl. I 5 f. 88) Div. am. 3, 5; Zagoraeus II 61 a; 40 b. z.
87) Im. III 5, 2; 23, 8; 25, 4. S8) Wahr. Christ, I 8. 41 ; II 23 (S. 36. 167. 273).
*8) Briefe I 1, 242. 70) Tileston, Great Souls at Prayer 165. Vgl. Nilus, de
or. 37, (p. 1176) 71) = Anm. 66. 72) Offb. V 37, Morel 211. 73) Offen-
barungen hsg. Strauch 83. 74) De elev. mentis. Opp. II p. 414; vgl. Soliloqu.
anim. 3, I p. 208. 75) Wahr. Christ. II 8 S. 219; vgl. I 4 S. 21. 7$) Im. III
15, 4; 21, 2. 77) Nelle 2. 129. 132 f. 78) Tileston a, a. O. 10. 79) Strauch
162 f. 8°) Stirn, am. III 17. 81) Im. III 15, 3. 82) Conf. X 29. 83) Nelle
50. 71. 111. 84) Sohl. I 6 f. 85) Orat. 2, Mi PL 158, 862. 86) Im. III
27, 5. 87) Missale Romanum, Grat. act. post. missam. 88) Wahr. Christ. I
24 S. 94. 89) Nelle 128. 90) Solu. I 5. S1) Hymnus adoro te, Missale
Romanum. 92) Tileston a. a. O. 35. 93) Conf. X 29. 94) Offb. II 3,
Morel 27. 95) Staupitz, Von der Nachfolgung des willigen Sterbens Christi.
Anh. S. 109. 137. 96) Tileston 35. 97) Pope, Tiruväsagam 48. 88) Or.
17, Mi 158, 895. 99) Missale Romanum a. a. O. 10ü) Im. III 5,6; Sohl. 8;
opp.Ip.224. 10)) Wahr. Christ 123 (S. 91). 102) Briefe II 3, 312. 103) Offb.
VII 21, S. 239. 104) Pope 75. 105) Div. am. 1; Codex Monacensis graecue
177 fol. 210 a. 10«) Goldenes Büchlein 155. 107) Strauch 162. 108) Wahr.
Christ, III 1, S. 434. 109) Nelle 3. 67. no) Conf. I 5. in) Pope 83.
112) Im. III 21, 4 f. lia) Div. am. 1 ; Cod. Mon. graec. 177 fol. 209 a. 114) Offb.
hsg. Strauch 81. 116) Sohl. I 5. "•_) Pope 83. 117) Div. am. 19; Zagoraeus
II 45 b. 118) Exerc. 5; Revelationes I p. 660. 119) De elev. ment., opp. II
p. 401 f. iao) Briefe I 1, 242 f. 121) Strauch 162. 122) Staupitz a. a. O.
Anh. 111. 137. 123) Div. am. 19; Zagoraeus II 45 b. 124) Pfeiffer I 374.
125) Offb. IV 5. S. 100. 126) Vishnu-Puräna V 23.; Monier Williams, Indian
Wisdom 520. 127) Pope 70. 12s) Im. III 21, 3. 129) Goldenes Büchlein
Anmerkungen zu Seite 297 — 309 529
156. 13°) Buber, Ekstatische Konfessionen 15. 131) Exerc. 4; Revelat. I
p. 646. 655. 13a) Nelle 155. 159. 172. 133) Strauch 165 f. 134) Pope 248 ff.
135) Exerc. 6; Revel. I p. 677. 136) Büchlein der ewigen Weisheit c. 24; Bihl-
meyer 313. Vgl. auch das Gebet der Katharina von Genua, Marabotto c. 49
p. 151. 137) Im. III 48, 3; Sohl. 7. 20 (I p. 222 f. 303). 13a) SMS 18, 374.
*39) Enn. V 5, 8 (Müller II 189). . 140) Enn. I 6, 7. 141) Nelle 1. 142) Conf.
IV 1; Sohl. I 2 ff. 143) Or. 17; Mi 150, 894. 14*) Böhmer, Analecta 69.
145) Acta B. Franc. 1, 15 ff., ed. Sabatier p. 4. 14s) Im. III 34, 1. 147) Leg.
div. piet. III 66; Exerc. 5. 6; Revel. I p. 243. 659. 681. 148) Pfeiffer I 362.
149) Im. III 21, 1 f.; de elev. ment., Opp. II p. 410 f. 1S0) Goldenes Bümlein
155. 151) Via perf. c. 22; SMS II 189. m) Div. am. 2; Zagoraeus II 59 a.
*53) Offb. I 8. 12. 20; III 2 (S. 8 ff. 62). 154) Pope 5 f. 15S) Conf. I 4.
»") Div. am. 15; Cod. Mon. graec. 177 fol. 232 b. 15') Pfeiffer I 362. 366.
158) Vishnu-Puräna 12; Monier Williams Indian Wisdom 498. 159) Deussen,
Sechzig Upanishads 328. 160) Pope 49. 1<51) Puccini, Vita della b. Maddalena
de' Pazzi 158. 16a) Conf. V 1. 183) Or. 17, Mi 150, 894 f. 164) Böhmer,
Analecta 23 f. 16s) Im. III 49, 5. 168) E. W. Roth, Das mystische Leben
der Nonnen von Kirchberg bei Sulz, Alemannia 21 (1893) 127 ff.; Wilms, Beten
der Mystikerinnen 53 ff. 167) Pope 40. 1S8) Leben c. 25; Hahn-Hahn 331.
169) Exerc. 6; Revel. I 678 f. 681 f. 17°) Goldenes Büchlein 160. 171) Buber
17. 172) Sohl. I 5; Conf. X 6. 173) Act. B. Franc. 9, 62, ed. Sabatier 36.
174) Marabotto c. 3 p. 10. 175) Exerc. 4; Rev. I 654. 17S) Puccini, Vita
della B. Maddalena de' Pazzi 161. 177) Soliloqu. I 5. 178) Im. III 17, 2. 4.
179) Exerc. spirit. hebd. 4. 180) Leben c. 21 S. 275 übs. Hahn-Hahn; Weg
der Vollkommenheit c. 55 (32); SMS 2. 230 f. 181) Briefe 1 2, 182. 182) Tileston
109. 183) Pope 91. 276. 184) FR II 1, 676. 185) Otto, Vishnu Näräyana
50. 184) Nelle 2. 47. 134; vgl. 106. 109. 120. 135 f. 187) Geistliche Gedi-hte
hsg. v. Knapp 128. 188) Exerc. 6; Rev. I 677. 189) Im. IV 9, 1. 190) Wil-
son, Selected works I 271. 191) FR II 1, 676; Grierson, JRAS 1903, 457.
19a) Nelle 9; vgl. 118. 193) Greith, Deutsche Mystik im Predigerorden 144 f.
194) Offb. VI 12, Morel 186. 195) Offb. VII 51 S. 265. 19S) Div. am. 14. 17;
Zagoraeus II 6 a. 62 b. 197) Conf. XI 2; XII 2. 198) Act, B. Fr. 9, 37 ff.
ed. Sabatier p. 35 ff. Der Heilige erklärt Bruder Leo diese Gebetsworte: ,,Quando
ego dicebam: Quid es tu etc videbam abyssum infinitae bonitatis divinae
et profundum lacrimosum vilitatis meae. Proptera dicebam: Quid es, Domine,
summe, sapiens et summe bone et summe clemens, ut visites me, qui summe
vilis et vermiculus unus modicus abominatus et despectus sum." Vgl. Dionysius
Cartesianus, de pass. Domini art 1 (opp. XXV 27): ,,Ad orationem exigitur atque
in ea includitur consideratio majestatis ac pietatis divinae, defectuositatis quoque
propriae." 199) Imit. Christ. III 3, 6. 20°) Exerc. 4; Rev. I 655. 201) Div.
am. 17; Zagoraeus II 6 a. 202) Pope 226. 276. 203) Buber 15. 204) Leben
c. 18 S. 228. a06) Nelle 28. 20S) Div. am. 20 ; Zagoraeus II 46 b. a07) Exerc.
3; Revel. I 634. ao8) Vgl. Weinreich, ARW XIX 165 ff. 209) R. Otto,
Vishnu Näräyana I 88 f. 210) Leidener Papyrus (Dieterich, Abraxas 196;
Reitzenstein, Poimandres 17); Gebet des Astrampsychos (Reitzenstein 242);
ophitisches Evangelium (Epiphan., Haeres. 26, 3; Reitzenstein 242; Kroll, Hermes
Trismegistos 47; vgl. 44); Markus (Irenaeus I 7, 2; Anrieh, Das antike Mysterien-
wesen 89). 211) J. Hammer-Purgstall, Geschichte der schönen Redekünste
Persiens mit einer Blütenlese aus 200 persischen Dichtern, Wien 1818, 190.
212 ) Rubäjjät bei Goldziher, Vorlesungen über den Islam 156. 213) Nicholson,
Mystics of Islam 150 f. 214) Buber 139. 216) ARW XIX 165 ff. 216) Offb.
III 5 S. 66. 217) Nelle 2. 218) Masnavi; Tholuck, Blütenlese 105; vgl. Edv.
Lehmann, Mystik 166. 219) Serm. :S32; ep. 130, 9. 20. 25; 237, 7; Conf. XI 2.
220) Bust an; Tholuck, Blutenlese 241. aai) Masnavi, Thohuk 124. 2") Pfeiffer
445 f.; Büttner II 101 f. Vgl. hiezu H. Denifle, Meister Eckharts lateinische
S hilft en und die Gnmdnns, hauung seiner Lehre, Archiv f. Literatur- und Kirchen-
geschichte des Mittelalters II Berlin 1880, 516. a23) Pfeiffer 544; Büttner II 4.
Vgl. die Handschrift des ,, großen Tauler": „Was ist des abgeschiedenen Herzens
Gebet? Die abgeschiedene Lauterkeit kann nicht beten. Denn wer betet, der
begehrt etwas von Gott, daß ihm etwas werde oder daß ihm Gott etwas abnehme.
Das Gebot 34
530 Anmerkungen zu Seite 309 — 310
Nun begehrt das abgeschiedene Herz gar nichts. Es hat auch nichts, dessen es
begehrt ledig zu werden. Darum steht es ledig allen Gebetes und sein Gebet
ist nichts anderes denn ein Einförmigsein mit Gott." A. Spamer, Texte aus der
deutschen Mystik des 14. und 15. Jahrh. 1912, 114. 224) Marabotto c. 6. 49 p.
17. 153. 225) Ps. Jamblich de myst. V 26 p. 236 ff. ed. Parthey. 220) Tholuek.
Sufismus, sive Persarum theosophia pantheistica 103. 227) Traitö VI 1 p. 327.
228) Die Gebetsskala des Pseudo- Jamblich (demyst V 26) und Proclus (In Tim
64 f. p. 211 f.) wurde zuerst von H. Koch, Pseudodionysius Areopagita 178 ff.
behandelt, im Anschluß an ihn von H. Schmidt a. a. O. 50 ff. 229) Algazäli,
Quadr. princ. cod. man. pers. 45 bei Tholuek, Sufismus 103 f. 230) Barth
Religions of India 225 nach Wilson, Selected Works I 163; Buber 6. 231) Ein
Ansatz zur Aufstellung seiner Gebetsskala findet sich bei Makarius, der dem
„einfachen Gebet" d. i. der Bitte um Gnade und Hilfe das „wahre und ungestörte
Gebet", „das Gebet im Geist und in der Wahrheit", d. h. die mystische oratio
mentalis überordnet, Hom. 31, 4. 7; 19, 2. 3. 8. J. Stoffels, Die mystische Theo-
logie Makarius des Älteren 1908, 144. In der abendländischen begegnet uns die
Idee eines Stufenganges des Betens zuerst bei Joannes Cassianus Coli. IX 25,
Mi PL 49. 801 f. (vgl. o. S. 289), der dem mündlichen Vaterunsergebet ein höheres
mystisches Gebet folgen läßt, Augustinus (de quant. anim. 70 ff.) konstruiert
eine siebenfache mystische Skala, deren letzte Sprosse die „visio atque contem-
platio veritatis, perfruetio summi et veri boni" darstellt. Es handelt sich jedoch
um keine spezifische Gebetsskala. Die Siebenzahl dürfte auf antikes Vorbild
zurückgehen; vgl. die xXi(ja$ km&nvlos der Mithraslehre. Origenes, Contra
Cels. VII 22. Dieterich, Mithralsliturgie 183. Die Skala des Bernhard
v. Clairvaux (de scal. claustr. 7) ist keine spezifische Gebetsskala, aber berührt
sich mit den Gebetsskalen späterer Mystiker. Bonaventura (Itin. mentis ad
Deum 1) unterscheidet, entsprechend den sechs Tagen des Schöpfungswerkes,
„sex gradus illuminationum" oder „potentiarum animae", auf denen der Mensch
zur „quies contemplationis" aufsteigt. Diese mystische Skala ist ebenso wenig
wie die des Augustinus und Bernhard eine „Gebetsskala" im Sinne Davids
von Augsburg oder Teresas. Die erste vollständige Gebetsskala
stammt meines Wissens von einem deutschen Mystiker des 13. Jahrhunderts;
sein Traktat über „die sieben Staffeln des Gebetes" ist bei Pfeiffer, Deutsche
Mystiker des 14. Jahrhunderts I 387 ff. abgedruckt. W. Preger (Geschichte der
deutschen Mystik im Mittelalter II 1881, 17 ff.) erklärte den Franziskaner David
von Augsburg für den Verfasser. P. D. Stöckerl O. S. F. (Bruder David von
Augsburg, Veröff. d. kirchenhist. Sem. München 1914, 205 f.) hat den Nachweis
erbracht, daß dieser deutsche Traktat die Übersetzung eines lateinischen Traktats
des David von Augsburg ist, der den Titel führt: „septem gradus orationis"
(cod. lat. Monac. 9667, 97 ff.); die deutsche Übersetzung kann jedoch erst dem
14. Jahrhundert entstammen, da sie die Spuren der Eckartschen Mystik auf-
weist. Eine ähnliche siebenstufige Gebetsskala findet sich im „Buch der sieben
Grade" (Th. Merzdorf, der Mönch von Heilsbronn, Berl. 1870, 69 — 125). — Eine
besondere Bolle spielen die Gebetsstufen in der nachreformatorischen Mystik.
Die Gebetsskala der hl. Theresa (vgl. RE XIX 523 f. ) deckt sich in den Grund-
zügen mit jener mittelalterlichen Gebetsleiter. Die Gebetsskalen des Johann
vom Kreuz (Abh. von den Dörnern SMS XVIII 402 ff.), Franz von Sales (Traite
1. VI f.), P. Lacombe (Heppe 104; vgl. 461), Madame Guyon (Moyen court et
tres facile de faire oraison), Alfons von Liguori (Tillmann II 427) zeigen einen
ähnlichen Aufbau wie die Gebetsskala der Teresa, Eine weniger ausgebildete
Gebetsskala findet sich bei Johann Arndt, Wahres Christentum II 20, S. 262 ff.
Die ausführlichste Beschreibung der mystischen Gebetsstufen findet sich bei
dem Jesuiten Scaramelli, Anleitung in der mystischen Theologie aus dem Ital.
Regensburg 1855, I 2, 4 — 211. Schon der eine Umstand, daß er nicht weniger
als zwölf Grade des übernatürlichen Gebetes unterscheidet, zeigt, daß er zu künst-
lichen Begriffsspaltungen fortschreitet, die den älteren Mystikern großenteils
fremd sind. Über die Gebetsstufen s. auch A. Poulain, Die Fülle der Gnaden 1
1909, 11 ff. 302 ff. Saudreau, Les degr^es de la vie spirituelle (Angers 1S97 2,
deutsch v. A. Schwabe 1901 ) war dem Verfasser nicht zugänglich. 232) Räjendra
Lala Mitra, The Yoga Aphorisms of Patafijali, Calcutta 1883; P. Garbe, Sämkhya
Anmerkungen zu Seite 310 — 326 531
und Yoga 1896, 43 ff. ; Beckh, Buddhismus II 46 f. ; Heiler, Buddhistische Ver-
senkung. 23s) Beckh, Buddhismus II 15 ff. ; Heiler, Buddhistische Versenkung
1918. 44 f. "*) Ep. 11,3 (A. Ries, Das geistliche Leben nach der Lehre des hl.
Bernhard 1906, 172 ff.): „servus, mercenarius, filius, sponsa". 235) Thom. a.
Cel. Leg. II 61 p. 241: ,,Iöi (im Gebet) respondebat iudici, ibi supplicabat patri,
ibi colloquebatur amico, ibi colludebat sponso." 286) Cher. Wand. II 255:
„Fünf Staffeln sind in Gott: Knecht, Freund, Sohn, Braut. Gemahl". 237) Die
meisten Literaturnachweise für die folgenden Ausführungen in den obigen An-
merkungen 228—233. 238) Guyon 7 ; vgl. Leben der h. Theresa 154. 2S9) Tho-
mek, Sufismus 103. 24°) Gold. Büchl. 139. 241) SMS 18, 402. 443. a42)
Leben c. 13 S. 186: V2l. 81, 134. 179. 243) Leben c. 12 S. 163. 244) Moyen
14. 24fl ) Leben e. 14 S. 187 tf. 24s) SMS 18, 409. 247.^ Guyon veranschaulicht
diesen Übergang von dem gefühlsbetonten Meditieren in die reine gefühlsmäßige
Stimmung mit einem drastischen Bilde: ,,11 faut que l'äme avale par un petit
repos amoureux ce qu'elle a mäche et goüte." Moyen S. 248) SMS 18, 409.
249) Leben 188; vgl. 196. 202. 250) Leben c. 16 S. 212 ff. 218. 251) Moyen
18 ff. 252) A.ng. Nik. IV p. 117: Beckh 61 f. 253) Heppe 465 f. 264) Bubei.
26. 2ä5) Briefbüchlein 10; Bihlmever 391. 258) Pfeiffer 544; Büttner II 3.
257) Leben c. 8. 27 S. 124. 345. "6) Moyen 22 f. 259) De mag. 2. 260) Pre-
digten hsg. Vetter 101. •") Leben c. 12, übs. Hahn-Hahn 164 ff. 282) Moven
7. 2«3j Eth. ; cod. Coisl. 291 f. 225 (zit. Holl, Enthusiasmus und Bußgewalt 73).
ac4)Nelle7. 265) In Tim. 65 Ep. 212. 206) De myst. V 26 p. 237. 287) Im.
64 B p. 211. 268) De or. 3 f. (Mi PG 79. 1168); vgl. 34. 54, p. 1173. 1177.
268) Eth. 2. zu. Holl. Entmisiasmus 73. 27 ') Z. B. II .,, 3. 27 ) Leben Kau. 6
ff. S. 96, 101. 126 f. 162. 272) Introduetion VI 1. 273) Briefe I 1, 7. *74)
Numenios bei Euseb. praep. ev. XI 2. Plotin. Enn. VI, 6 (II 147); VI 7, 34
(II 406): 9, 11 (II 450). ■»■) Sym. eth. 5 a. a. O. 252 (Holl 39): pöyos &y&
/j.6v<i) 3vvd)v iw (fut( Div. am. 1; cod. Mon Gr. 177 fol. 210: ö tuöyog noög novor.
27f) Nelle 139. 141. 152. 277) Ep. 140. 09. 2'*) De serm. Dom. in monte
sec. Matth. II 14; ep. 130, 17 f. 21. 2'°) De div. nom 3. 1 bei H. Koch, Pseudo-
dionysius Areopagiia 183. 29°) Buber 6. 2S1) Cher. Wand. II 38; III S3
Die Varianten des mystischen Gebets
J) Enn. I 0, 7; VI 9, 11. 2) Oldonberg, Lehre der Upanischaden 1915.
") Pope. Tiruväcagain XXXV; R. Otto, Vishnu-Närayana 100. 108. *) Mithras-
liturgie 179. Vgl. Reitzenstein, Die hellenistischen Mysterienreligionen 1910,
28 ff. 5> De abstin. IV 6. sv Cumont, Dir orientalischen Religionen 114.
7) Met. XI 21. 8) ARW VII 398. 9) Vgl. Anrieh, Das antike "Mysterien-
wesen 114 f.; vgl. 188 f. 10) Ps. Jamblich, de myst. III 5 p. 111 unterscheidet
ausdrücklich drei Stufen des GoHeserlebnisses: 1. die bloße , Gegenwart' des
Ciöttlichen (/ueiovaia), 2. die , Gemeinschaft' mit ihm (xoivavia), 3. die
volle ,Einigung' {ii><ooig). ll) Offb. IV 8 S. 102. 12) Vgl. Wilms, Beten
der Mystikerinnen nach den Chroniken der Dominikanerinnenklöster 97 ff.
Über den täglichen Kommunionempfang der Katharina von Genua s. F. v. Hügel,
The mystical dement I 11 ! ff. Über die Sehnsucht der Mystikerinnen nach dem
Kommunionempfang vgl. Maria von Oignies, Acta Sanctorum ed. Bolland..
Juni IV 661 A. Charakterist isrh ist die Bemerkung ihres Biographen a. a. O. :
.Idem erat ei vivere et corpus Christi sumere". 1S) TUlmann. Gebet nach der
Lehre der Heiligen I 491. 14) Siehe F. Laib und F. J. Schwarz. Studien zur
Geschichte des Altars 1857, 27 ff. 59 ff. 72 tf. ; Schnütgen, Eine neuentdeckte
fUfharistische Taube. Jahrb. d. Vereins v. Altertumsfreunden im Rheinland 83
(Bon:i 1887) 201 ff.; J. Hertkens, Das mittelalterliche Sakramentshäuschen.
Eine kirnst histoi is<-he Studie 1 'JOS. :'. ff.; F. Kaible. l).-i- Tabernakel einst und
jetzt. Eine historisi he und liturgische Darstollung der Andacht zur aufbewahrten
Eucharistie hsg. v. E. Krebs 1908; lijö Hirn, The Sacred Shrine. A study in
the poetry and art of the catholic church, London 1912 c. IX: The Tabernacle.
Über die Aussetzung des ,AUerheiligsten' s. J. U. Thiers, Exposition du ?arcement
de l'autel, Paris 1677; Gihr, Wetzer und Weite, Kirchenlexikon I 1713 ff.
1S) KU 11 2720. »•) Acta San. t. Jim. ed. Holland, tom. IV 660 E; vgl. 613 A.
645. 068 B. ») Act. Samt. April, tom I 110 B (freund!. Hinweise von Dr. Her-
mann Scbneller-München). ••) Raible a. a. O. 218. '•) K. Schröder, Dei
532 Anmerkungen zu Seite 326 — 334
Nonne von Engltha.1 Büchlein von der Gnaden Überlast 1871, 18; Wilms a. a. O.
105. ao) J. König, Chronik der Anna von Munzingen, Freiburger Diözesan-
archiv 13 (1880) 159. 161. 163,; P. W. E. Roth, Das mystische Leben der Nonnen
von Kirohberg bei Sulz, Alemannia 21 (1893) 115. 142; F. Vetter, Da? Leben
der Schwestern zu Töß 1906 (Deutsche Texte des Mitt. hsg. Preuß. Ak.) 82.
8l) Strauch 8 f. Vi. 27; vgl. 89. 92. 96 f. 105. 130. 143. 22) Hrsg. v. K. Schröder
1871, 13. »») F. Vetter, Das Leben der Schwestern zu Töß 1906, 27: Wilms
105; Greith 383. Vgl. Raible 207 ff. 24) In 1 Cor. hom. 24 (Mi PG 61, 200).
Weitere Stellen Anrieh, Das antike Mysterienwesen 181 f. 25) Strauch 8.
Vgl. Chronik der Anna von Munzingen, Freiburg. Diözesanarch. XIII 165.
26) Büchlein der Weisheit c. 23; Bihlmeyer 291. ^ 27) Denifle, Blumenlese deut-
scher Mystiker 1873, 381. 28) Chronik d. Anna v. Munzingen 161; F. Krebs.
Die Mystik in Adelshausen, Festgabe für H. Finke 1904, 69. Beachtenswert
ist die Feststellung von F. v. Hügel, daß Katharina von Genua diese Tabernakel-
devotion nicht kannte, sondern nur eine eueharistische Mystik im Zusammenhang
mit dem Kommunionempfang. The mystical element I 116. 29) Pfeiffer I
378. 30) Missale Romanum, Praeparatio ante Missam; Gratiarum actio post
Missam. 31) Hymnus Adoro te, Miss. Rom. a. a. O. 32) Büchlein der ewigen
Weisheit c. 23; Bihlmeyer 303. 33) IV 4, 1; 16, 2. 31) A. a. O. 23 S. 303.
3B) IV 14, 2. S8) A a. O. 23 S. 295. 3') IV 4, 2; 16, 2; 17, 1. 38) Miss.
Rom. a. a. O. 39) Strauch 163. 40) IV 3, 1 f.; 13, 1; 16, 3. 41) Miss.
Rom. a. a. O. 42) Pfeiffer I 379. 43) Div. am. 14, Zag. II 63 b. 44) IV
1,9; 11, 2. 46) IV 3, 1; 16, 2. 4S) Miss. Rom. a. a. O. 47) IV 1, 10. 13;
2, 2. 48) IV 4, 5. 49) Miss. Rom. a. a. O. 80) IV 2, 1. 3. B1) Div.
am. 3, Zag. II 60 b. 82) Fehrle. Kultische Keuschheit im Altertum 3 ff.;
Farnell, Greece and Babylon 1911, 265 ff. ; Anrieh, Das antike Mysterienwesen 77.
«) Ds. 236. 54) Dümmler, Philol. N. F. 56 (1897), 22 ff. = XI. Sehr. II 2^9 ff.;
Liebknecht, Zur Volkskunde 396. 511. 85) S. Parthey. Abb.. d. Berl. Ak. d.
Wiss. 1865, 109 ff.: Reitzenstein, Poimandres 142. 226 f. 66) A. Jeremias,
Allgemeine Religionsgeschichte 57 ; Farnell a. a. O. 265 ff. ; Hartland Ritual and
Belief 266 ff. 67f Dieterieh, Mithrasliturgie 123 f. 88) Tert. ad. ux. 6.
89) Vgl. R. Reitzenstein. Hellenistische Mysterienreligionen 1910, 20; Dümmler 29
= II 236. 60) Bei den afrikanischen Ewe heißt der Priester eines tro (Geist)
..Frau des trö". Spieth, R. 10. Die Priesterinnen galten bei den Griechen als
Frauen oder Geliebte des Gottes, dem sie dieDten. Fehrle 12. 61) Vgl. die
Formel: i'äe vv/xifie, /alge viov <fcög. Firmic. Matern, de err. prof. rel. 104,
28 f. (ed. Halms); Dieterich a. a. O. 122. 62) Vgl. Thomasakten 11 ff.;
Bennecke, Neutest. Apokryphen 484 ff. 63) Wilpert, Die gottgeweihten Jung-
frauen 7; Hieronymus epist. ad Eustochium. 64) Ad ux. 4. S5) Ep. ad.
Eustoch. 25 ff. 96) F. Probst, Lehre und Gebet in drei ersten christlichen
Jahrhunderten 293 ff. 87) Orig. Comm. in Cant. opp. ed. Lommatsch 15, 100;
Loofs, Dogmengeschichte 4 202 f. 68) Macar. Homil. 8; Ep. 2. Vgl. W. Riedel,
Die Auslegung des Hohen Liedes in der jüdischen Gemeinde und der griechischen
Kirche 1898. 89) Vgl. Ph. Funk, Jakob v. Vitry, Leben und Werke 1909,
118 f. 70) Vgl. A. Ritschi, Geschichte des Pietismus 1880. 71) Vgl. Pfister,
Die Frömmigkeit des Grafen Zinzendorf. 72) Rud. Otto, Vishnu-Närayana
149, Söderblom, Tieles Kompendium 349 f. 73) Macauliffe, The Sikh Religion
VI 209. 212. 74) L. Zoepf, Die Mystikerin Margaretha Ebner 1914, 70 ff.
7S) Maria Ogniacensis, Act. Sanct. Jun. IV 659 E ed. Bolland. ; Margaretha Ebner,
Offenb. hsg. Strauch 105. 136; L. Zoepf a. a. O. 119 ff.; Chronik der Anna von
Munzingen, Freiburger Diösesanarchiv XIII 176. 180. Vgl. E. Wechßler, Das
Kulturproblem des Minnegesangs I 1909; bes. c. 12: Minne und christliche Mystik
242 ff. Über den Einfluß der höfischen Poesie auf Mechthilds Dichtung s. H.
Stierling, Studien zu Mechthild v. Magdeburg Diss. 1907. E. Schiller, Das mystische
Leben der Ordensschwestern zu Töß 1903, 56 ff. 78) Cher. Wand. III 23 ff.;
IV 1 ff. 77) Tholuck, Blütenlese 128 (Jaläl ed-dtn Rümi, Masnavi); Rudolf
Otto, Vishnu Näräyana 149. 78) O. Pfister, Hysterie und Mystik bei Marga-
retha Ebner, Zentralblatt für Psychoanalyse I (1911) 468 ff.: E. Lucka, Drei
Stufen der Erotik 1916 8. 79) Fehrle 15 ff.; Dieterich, Mithrasliturgie 130 ff.
80) Vgl. Söderblom, Religionsproblemet 262 f. 81) Brh. Ar. Up. IV 3. 21.
Anmerkungen zu Seite 335—352 533
82) Enn. VI 7, 34 (Müller II 406). 83) Vgl. die grundlegende Unterscheidung
von sexuellem Begehren und seelischer bzw. metaphysischer Erotik bei Emil
Lucka, Drei Stufen der Erotik. 84) Vgl. die Schilderungen der siccitas bei
Bernhard in Canticum serrn. 54: Seuse, Büchlein der ewigen Weisheit 6; Teresa,
Leben c. 20 S. 258 ff. 85) Vgl. Bernhard serm. 32. 86) F. H. Dalberg.
Gttagovinda oder der Gesang Jäyadevas, Erfurt 1802. 87) Offb. I 54 S. 22.
88) Zarathustra (Taschenausg. Leipzig 1906) 78. 89) Strauch 21. 86 ff. 90 f.
Vgl. Puccini. Vita della B. Maddalena de' Pazzi 160 f. 90) Offb. V 13 S. 140.
81) III 21. 1 ff. u. ö. •■) Hase. Katerina v. Siena. Ges. W. V 158. 93) Buber
103. 94) Strauch 109. 136 u. ö. 85) I 44. 52; III 1; V 11. 21. 35; VII 38
u. ö. 96) Bihlmeyer 92. 174. 395. 541. 548 usw. 97) Geistl. Ged. 12. 20 ff.
88. 102. 96) Bihlmeyer 496. ") Le Poesie del B. Prate Minore Jacopone
da Todi, Venedig 1617 p. 717. 10°) Offb. I 23: III 23; V 17; VII 38 (S. 13.
88. 142. 253.. 101) Exerc. 3 ff.; Bevel. I 637. 646. 662. 102) Strauch 165.
103) Poesie del Jac. p. 840. 104) Offb. II 25, S. 49. 51. 105) Exerc. 3; Revel.
I 633. 108) Büchlein der ewigen Weisheit c. 8, Bihlmeyer 230. 107) Ausgew.
Gedichte übs. v. Schlüter- St ork 1864. 315. 108) Minnebüchlein; BihlmeyeT-
548. 109) Leben c. 34 S. 452. 110) A. a. O. 548. in) III 5. 5. 11S) Leben
c. 50, Bihlmeyer 174. 113) Offb. I 44; II 25 (S. 22. 52). 114) A. a. O. '87.
116) Offb. I 44 S. 22. 116) Leben S. 452. 117) Buber 206. 118) Leben c.
39 S. 538. 119) Strauch 140. Diese an ein mittelalterliches Volkslied an-
klingende Wendung kehrt mit geringen Variationen in den Schriften der Braut-
mystiker sehr häufig wieder. Mechthild v. Hackeborn, Liber spec. grat., Rev.
Gertr. Mecht. II 10. 140. 233; Strauch, Offenbarungen der Adelheid Langmann
46; ds. Marg. Ebner 146; Zoepf, Marg. Ebner 72. 120)Vgl. Heppe, Geschichte
der quietistischen Mvstik 1875; E. Lehmann. Mvstik 124 ff. 121) R. Otto.
Vishnu Näräyana. 122) Heppe 59. 123) Leben S. 158 f. 204. 291. 124)
Moyen 21. 126) Introduction IV 13. 126) Moyen 23. Vgl. Francois de Sales
a. a. O. IV 13 f.: Traite IX 5. 127) Moyen 21. 128) Prop. 25; Heppe 275.
129) Heppe 83. 110 ff. 130. 130) Heppe 463. 131) Heppe 140. 132) Prop.
21; Heppe 275. 133) Heppe 471. 134) Heppe 40. 135) Heppe 48. 136)
Lettres spirituelles I 173; Heppe 470. 137) Stellen bei Heppe 467 f. 138) Ge-
bete großer Seelen 137. 139) Traite IX 4: Heppe 56. 140) Heppe 336 f.
141) Prop. 14 f. ; Heppe 273. 142) Cher. Wand. I 19. 75. 91. 174. 143) Heppe
59. 471. 144) Francois de Sales, Traite IX 14. 146) Brief an Mad. Chantal,
Heppe 47. 148) Heppe 471. 147) Heppe 83. 148) Buddha 368. 149)
Buddhismus II 57 f.
IV. Das Gebet in der prophetischen Frömmigkeit.
') Vgl. Deißmann 97. 2) Vgl. Deißmann 99; Von der Goltz 22 ff.; Wernle-
Jesus 55. 363; Aug. Werner. Jahrb. f. prot. Theol. 1881, 390. 3) Letzte Be-
trachtungen übs. Liebusch 41. 4) Erl. 64, 289 f. 5) Böhmer, Bekenntnisse
21. *) Aufzeichnungen und Briefe des ersten Quäckers übs. v. Stähelin 14.
7) Gra. :e abounding, Works II 25; vgl. II 9. 8) Oeuvres II 26 ff. 9) Die
Lesart bei Justin scheint dem ursprünglichen Wortlaut des Gebets am nächsten
zu kommen. Über das dieses Gebet motivierende Erlebnis vgl. Von der Goltz
12 ff.: Weiß. Schriften des Neuen Testaments I 322 f. 10) Pred. am 5. S. n.
Ost.. Erl. 2 262. Il) De or.. Inst. rel. ehr. CR 1 (29) 904. li) Zu Gen 44.
is (Walch 11 2418). 1S) Tischr. 15. 3 (Erl. 59. 3); Buchw.-Kaw. 6, 259.
14) Zu Lk IS. 31 ff. (Erl. 1, 248). »») Zu Mt 7. 7 ff. (Erl. 43. 290). 10) Tischr.
15, 1 (Erl. 59. 1); Buchw. Kaw. 3. 214. 16b) instit. rel. Chr., CR I 907.
17) Zu Gen. (Walch 1 1672. 1808 f. II 42. II S3Ü. 2114 ff.); Ev. Lk IS (Erl. 1, 249).
18) Walch II 2115. 19) Zu Gen. (Wald) 11 241S). ") Discours touehiin;-
prayer, Works l 143. 2°b) Buchw.-Kaw. 8, 216. ") Zu Gen. (Walch I
1908 fl. -014; II 204-1); Erl. 21. 161; 43, 177. «) Cirace, II 9. ") Pr. a.
5. S. n. Ost. (Eil. 2. 27:'»): Tischr. 15. 10 (Eil. 59, 8); Erl. 8, 36: 23. 240: 50, 1 10.
M) Disc., I 448. ■») CR 1, 908; vgl. Calvins Lebenswerk in seinen Briefen 11
176. "b) BuchW.-Eaw. 3, 289. ae) Disc, 1 444. *') 1 Sin 1, 15: Pa
42, 5; 62, 9; 142, :, : Klgl 2, 19. 2Ö) Zu Mt 6, 5 ff. (Eil. 43. 173); 7. 7 ff. (EH.
43, 288). 29) CR 1, 903. 917. 919. 30) Disc, I 144: vgl. 631. ") Am..
534 Anmerkungen zu Seite 352—368
u. Briefe 16. 122. 215. 163. S1 b) Letzte Betrachtungen übs. Liebusch 68.
8a) Disc, I 443. ") Buchw.-Kaw. 3. 214. 34) Grace, II 7. S5) Zu Gen
34. 18; Walen IL 2418; Pr. a. 5. 8. n. Ost. (Erl. 2, 272). 36) Aufz. u. Briefe
263. 37) Disc, I 448 ff. 38) Zu Mt 7, 7 ff. (Erl. 43, 286 f.) gekürzt; vgl.
Calv. CR 1, 936. 39) Zu Gen 34, 18 (Walch II 2418); Tischr. 26, 34 (Erl. 60,
107); vgl. zu Jo 17 (Erl. 50, 161 ff.). '°) Söderblom. När stunderna växla I 59.
")Erl. 43, 290; 59, 6. *a) CR 1, 936. 43) Pharisean and Publicain, II 677;
Disc., I 448; vgl. 454. *4) Grünberg. Spener II 165. 4S) Wie man beten
soll, für Meister Baibier (Erl. 23, 221). 46) Aufz. u. Briefe 90. *7) Söderblom
a. a. O. I 49. *8) Deißmann 96; vgl. von der Goltz 23. 26. 49) Aufz. u.
Briefe 90. ft0) Vermahnimg zum Gebet wider die Türken (Erl. 32. 88); Zu
Jo 16, 23 (Erl. 12, 160^. 81) P. Sabatior. Vie de St Francois d' Assise 1894 ».
212. 51 b) Theologische Ethik III 496. 62) Ausl. d. Vaterunser f. einfältige
Laien, Erl. 21, 161. 6S) A. a. O. 166. 51) .T. Otter. Bettbüchlein, 1541 bei
Althaus, Evangelische Gebetsliteratur 36. 63) Zu Mt 6, 5 ff. (Erl. 43, 178)
gekürzt. 6S) Erl. 64, 289 f. 67) Ausl. d. Vat. f. einf. Laien. EH. 21, 160.
ä8) CR 1,922. 69) Buber 221. 60) CR 1, 922. 61) Ps 3, 5: 6, 9; 28, 2, 6;
31, 23 usw . 62) Mk 15. 34 ; Mt 27. 16 ; Hebr 5 , 7. B3) Böhmer 21. 64) Kolde,
Luther (Unsere Religiösen Erzieher II) 21. ,s) V. Dietrich an Melanchthon,
Walch XVI 213S. 66) Disc, I 451. 67) Zu Gen 17, 19 (Walch I 1675); Tis.hr.
15, 46; Weim. 1, 340. 68) Zu Gen 30. 22 (Walch II 843); zu Gen 34, 18 (Walch
II 2414); Pr. a, 5. S. n. Ost, Erl. 12, 159. R9) Disc, I 451. 70) S. K. Öster-
reich, Einführung in die Religionspsychologie 1917, 49 ff.; H. Weinel, Die Wir-
kungen des Geistes und der Geister im nachapostolischen Zeitalter 1899, 71 ff.
71) Erl 1, 248; 12, 158; 23, 18; 43. 175. 177. 183. 289. 291. 72) Zu Mt 6,
5 ff. (Erl. 43. 174). 73) CR 1, 917. 74) Ausl. d. 21. Art, CR 2 (89), 223.
74 b) CR 1, 910. 7ä) Leben c 13 S. 178. 75b) CR 1, 904. 76) CR 2, 226.
77) Zu Gen 19. 18 (Walch I 1906). "b) Buchw.-Kaw. 3. 214. 78) CR 2.
224 ff. 79) Erl. 2. 265; 12, 15S f.: 21, 180. 225; 23, 18; 35, 356; Walch II
2418. 80) Erl. 38. 367. 81) Achmed ibn Tajmija, Buch des frommen Wortes
übs. v. Wiesel 26. ■■) Ys. 44; vgl. 31, 14 ff. 83) Grace, II 7. 84; H.
Cohen, Der Begriff der Religion im System der Philosophie 1915. 104. Si b ) Letzte
Betrachtungen übs. Liebusch 22. 85) Zu Ps 51 (Erl. 37, 396). 86) Grace,
II 25. 87) Forme de prieres ecclesiastiques CR 6 (34), 178. 182. 88) Wiesel
26. 47; Koran II 286. 89) Tischr. 15. 13 (Erl. 59, 41). 90) CR 6, 177.
91 ) Oeuvies II 32. 92) CR 6, 182. 93) Oeuvr. II 28. 93 b) Erl. 22, 21 f.
28 = Weim. 10 IL 395 f. 404. 94) Wiesel 43. 48. 9S) CR 6, 178. 95 b) Be-
rach. jer. 7 d bei Perles Boussets Religion des Judentums kritisch untersucht 99.
96) Ausl. d. Vat. f. einf. L.. Erl. 21, 193 f.; Erl. 22, 30 = Weim. 10 II, 405 f.
°7) Tagebuch (20. 1. 1839) oei Gottsched, Buch des Richters 102. 97b) Berach.
7 d bei Perles a. a. O. 99. 97 c) Erl. 22, 22 = Weim. 10 II, 396. o;d) Erl.
22, 26 = Weim. 10 IL 400 f. 97 e) Walch X 1692. 97*) Tischr. 15, 48;
Weim. 1. 340. A98) O. Dioelius, Vaterunser 10. ••) Eph. 1, 16 f.; 3, 16;
Phil 1, 9; Kol 1. 9; 2 Thess 1, 11. lt0) Mart. 8, 1; vgl. 5, 1. 10° b) Buchw.-
Kaw. 8, 417 f. 101) Lebenswerk in seinen Briefen Nr. 204. 206; vgl. Nr. 246.
,02) Grünberg, Spener I 372. 103) Mart, 5, 1 ; 8. 1. Wenn uns in den Gebeten
mittelalterlicher Mystikerinnen, wie der Mechthild von Magdeburg (Offenb. V
35. 37) die universelle Fürbitte begegnet, so liegt hier eine Durchbrechung des
asozialen mystischen Prinzips und ein Einfluß des prophetischen Frömmigkeits-
geistes und der kirchlichen Liturgie vor. iosb) Vorwerk, Gebet und Gebets-
erziehung 101. 103c) Buchw.-Kaw. 6, 128 f. 104) Die Geschichtlichkeit
dieses Logion steht außer Zweifel, obgleich das Wort nur bei Lukas überliefert
ist und nur in einem Teil der Handschriften steht. Die Textgeschichte dieses
Wortes ist ein Analogon zu der Überlieferung der Johannes-Perikope von der
Ehebrecherin, die in den meisten Handschriften ausgemerrt ist. Die dogmatische
Polemik, welche in der Urgemeinde gegen das Judentum einsetzte, nahm daran
Anstoß, daß Jesus für die verblendeten Juden, die ihn ans Kreuz si hlugen, betete.
Vgl. Deißmann 99; von der Goltz 21. 104b) Friedrichsen, Geheiliget werde
dein Name, Theol. Tidskrift VIII (1916); vgl. Theol. Lit. Zeitung 1918, 3109.
Anmerkungen zu Seite 369 — 387 535
105) 1 Kor 16, 22; Apok 22, 20; Did 10, 6. Vgl. Deißmann, Paulus 1911, 80,
106) Weingarten. Revolutionskirchen Englands 95. 107) Pr. ü. Lk 21, 25 ff.
(Erl. 18. 369), Tischr. 15, 43 (Eil. 59, 30); vgl. Vorr. zur Erkl. v. Gen 1—25,
Walen I Weim. 2. 97, Buchw.-Kaw. 1. 268; 8. 217. 107 b) Predigten ausgew.
und übs. v. H. Schottenmüller Berlin 1901, 118. 108) Schon beim Völker-
apostel spielt die Bitte um Verbreitung des Gotteswortes eine bedeutsame Rolle.
Eph 6, 18; Kol 4, 2; 2 Thess 3, 1 f. 10») CR 6 (34), 173. 178. »») Disc,
I 446. ni) Oeuvr. II 30. 112) Vgl. Aug. de serm. Dom. in monte sec. Mt II
25 ff. ; weitere Stellen bei Tillmann. Gebet nach der Lehre der Heiligen II 99 ff.
n3) Mand. IX 7. 8. 114) Aug. ep. ad Prob. 130. 12; Thom. S. Th. II 2, q. 83
a. 6. Ilä) Zu Gen 25, 21, Walch II 43; zu Mt 7, 7 ff.,, Er]. 43. 287. 116) Tischr.
48, 28 (Erl. 61, 436). 117) Tischr. 15. 11 (Ed. 59, 12). 118) Tischr. 15, 11.
34 (Erl. 59, 9. 25); M. Rade, Luthers Leben, Tat-n und Meinungen 1890, 643.
(Freuncll. Hinweis v. Kirchenrat Prof. D. Engelhardt.) 119) Lebenswerk in
seinen Briefen I 284. 373. 120) Tageb. 1S49 bei A. Bärthold. Sören Kierkegaard
1906, 38. 121) Wiesel 26. 40. m *>) Theol. Ethik III2 494. 121c) Aus
der Welt des Gebets 125. 12ld) Verkehr des Christen mit Gott 156 f. "» e)
Predigten II 107. 122) Disc, I 456. Dving Savings. Works I p. XIV. 123) Oeuv.
II 34. 124) Zu Gen 19, 18, Walch I 1906. * 125) A. a. O. 1907; Ausl. d. Vat.
f. einf. L. (Erl. 21, 163). 126) EH. 64, 289. 12?) V. Dietrich an Melanchthon
Walch XVI 2138. 128) Erl. 32. 89 f. 129) CR 6 (34). 182. 130) Vgl. Ps
<i. 6; 30, 10; 115. 17: Jes 38, 18 f. 131) CR 6. 182. 132) Goldziher I 3U4.
133) Tischr. 15, 4 (Erl. 59, 5); Rade, Luthers Leben 643. 134) Tischr. 48, 28
(Erl. 61, 436). 136) Zu Gen 25, 21 (Walch II 42). »•) CR 6, 182. 137) Erl.
12, 165; 16. 69; Walch XI 1241 ; Buchw.-Kaw. 8. 202. Rade, Luthers Leben 643.
138) Walch XVI 2138. 139) Zu Mt 7. 7 (Eil. 13. 289). 14°) CR 6, 176.
'") Tischr. 15, 11 (Erl. 59, 9). 142) Buchw.-Kaw. 5. 251 ; Erl. 32, 87. 143) CR
6, 182. 144) S. Köberle, Gebetserhörung im A. T. 262 ff. l*s) CK 6. 182.
145b) Letzte Betrachtungen übs. Liebusch 21. u«) Jo 14, 13; 15. 16; 16, 23.
S. u. Kap. H. Abs. 6. 117) Pred. 5. S. n. O.. Ed. 2. 268. 147b) Disc. 1 I I.'..
,48) Jes 63, 15 f.; 64. 7. 149) Erl. 2. 268. 15ü) CR 6. Im'. 151) Tischr.
48, 28 (Eil. 61, 436). 152) Conf. X 28. 1M) Erl. 1, 248; 37. 387. 154) CR
i>. 172. 155) Bab. Sanhedr. 105 a bei Goldziher 314. 15C) Vgl. von der Goltz
a. a. O. 58 ff. 157) Erl. 1, 249; 64, 289. 138) Zu Gen 25. 21 (Walch I 42.
842 f.); Ausl. v. Lk 18 (Erl. 1, 246 ff.); Tischr. 15. 42. 49 (Erl. 59, 30. 3:'.). l38 *>)
Tagebuch 1849; Venator, Aus den Tiefen der Reflexion 21. 159) Goldziher
313. 160) Wiesel 29. 42. 52. 16°b) Letzte Betrachtungen übs. v. Liebusch
20 f. 161) Böhmer a. a. O. 21. 162) Zu Ps 4. 2 (Walch IV 455); zu Ps 51
(Erl. 37, 387); zu Mt 7. 7 (Erl. 43. 290): Ed. 23, 74. 163) Oeuvr. II 29. 104)
Wiesel 42. 165) Zu Ps 51, 7. Eil. 37, 390 f.; Eil. 47. 325. i««) CK 6. 181.
107) Oeuvr. II 28. 168) Vgl. Aug. Serm. 115 de verb. ev. 18. 1: „Fides fundit
orationem, fusa oratio etiam ipsi fidei impetrat firinitatem." 1G9) Smend,
AH testamentliche Reugionsgeschichte 255. 17°) Wellhausen, Israelitische und
jüdische Geschichte 143. 17°b) Vgl. Le Roy, Gebetsleben im Psalter, M. Past.
Th VII (1911) 149. 17° c) Letzte Betrachtungen übs. Liebusch 59 ff. 171) Ed.
64, 289 f. 1T2j Zu (u-n 19, 18 ff.: 25. 21: 32. !) ff. (Walch I 1!)12; II 43, L104).
>73) Disc, II 456. ,:1; Lebenswerk in seinen Briefen II 176. 17S) S. <>. S. 14.
::ti7 f. 176) Ausl. d. Vat. f. einf. Laien, Erl. 21. 225. 177) Wiesel 12. "») Zu
Ps26,2, Erl. 38,367; V. Dietrich an Melanchthon Walch XVI 2138. 179)Tn»st-
brief a. d. Christ. -/.. Oschatz, Erl. 55. 2. l80) Hist. v. Leid. u. Sterb. Chr.,
Erl. 2, 29. l") FB II 1,678. VgL Kabir, Hymns ; Macauliffe, The Sikh Religion
VI 197. 202: Ott,.. Vishnu Näravana 51 f. i") Zu Ps 111'. 2 (Ed. 40, 253).
,82b) CK 1. !»:}7. 182c) Erl. M. .17. ,83) Mk. 11. Wl II'.: .Mi .!(>. 36 IT.. Lk
•21, 39 ff. Vgl. von (\rr Goltz I»i ff.: Deißmann 98; Sshleiermacher, Predigten
1 32. 184) Von der Goltz 29 ff.; ftfonrad, Aus der Welt des Gebets 54. 18S)
Tischr. 15. I (Bd. 59, 5). i8B) Tischr. 48, 28 (Ed. 61, 436). 187) Ausl. d.
Vat. f. einf. Laien, Bd. 21. 221 f. 188) Oeuvr. 11 33. ,89) Zu Ps lü7. :;.
Walch l\'li7l 1. 190) Ilist. v. Leid. u. St. Chr.. Ed. 2. 3(1 f. IU1) CK 1. 936.
l02) Disc, 1 446. ,<l3) Erl. 14, 172 f.. 22. :\2r,. '») Tagb. 1851 hei Gottsched,
Buch des Richters 90. 193) Vgl. Angelue Bilesius, Cher. Wand. 1 294: ..Wir
536 Anmerkungen zu Seite 387 — 407
beten: es gesehen', mein Herr und Gott, dein Wille! Und sieh, er hat nicht Will,
er ist ein' ewge Stille. 196) Religionsphilosophie 114. Vgl. Men^goz, Gebets-
problem 62. 197) Schriften des Neuen Testaments I 2 1907", 466. 198) Ver-
kehr des Christen mit Gott, im Anschluß an Luther dargestellt, 1886, 155.
199) CR 1,917. 200)Ausl. d. 21. A., CR 2, 233. 201) Calv. CR I 917. 202) Roe
1, 8; 1 Kor 1, 4. 5; Eph 1, 15 usw. 203) Conf. II 7. 204) 3. Pred. a. Chris«,
(Erl. 1, 79). 2°8) Zu Ps 68, 19 (Erl. 17, 318). 209) Oeuvr. II 28. 30. 206 b) Geistl.
Lieder hsg. Nelle 5. 207) Deißmann 95. 208) Wiesel 30. 208 b) Die-
selbe Formulierung fand ich nach Erscheinen der Erstauf läge meines Werkes
bei W. Koepp, Johann Arndt 263. 280. 20S) Baudissin, ,, Gott-schauen" in
der alttestamentlichen Religion, ARW XVIII 173 ff. 21°) Erl. 1, 247; 2, 270;
60, 111. 2n) Zu Mt 21 (Erl. 44, 246). aub) Letzte Betrachtungen übs.
Liebusch 21. 212) CR 1, 904. 213) Zu Gen., Walch I 43; Erl. 2, 263.
ai4) CR 2, 224, 227. 216) Disc, I 457; Pharisean, II 677. 21«) Oeuvr. II 28.
21 7) Tagb. 1848 bei Venator, Aus den Tiefen der Reflexion 120. 218) Zu Gen
25, 21 (Walch II 43). 218b) Dying Sayings, Works I p. XIV. 21») CR 1,
919. 220) Zu Mt 6, 5 ff., Erl. 43, 172 f. 221) CR 2, 348. 222) CR 1, 919.
228) B. Duhm, Jesa ja 2 245. 224) Dan 6, 10 ; Job 3, 10 f. ; Ap. G. 19, 9. 225) Mk
1, 35; 6, 41; Lk 6, 12; 9, 18. 28. 226) Zu Mt 6, 5 ff., Erl. 43, 173. 227) CR
2, 227. 348. 228) Tischr. 15, 1. 34 (Ed. 59, 1. 3. 25). a29) Walch I 1675.
1912; Walch II 43; Zu Gen 30, 22 (Walch II 843), 34, 18 (Walch II 2414);
Erl. 23, 340; Erl. 49, 316; zu Mt 6, 5 ff. (Erl. 43, 173); Ev. a. 5. S. n. Pf. (Erl.
12, 158); Tischr 15, 1 (Erl. 59, 2). 15, 28 (Erl. 59, 22). 23°) Tischr 15, 30 (Erl.
59, 23). 231) Ev. Lk 18 (Erl. 1, 248 f.); zu Gen 17 (Erl. 35, 356). 23a) Zu
Gen 19, 18 ff. (Walch I 1906 ff.). 233) Zu Gen 19, 18 ff. (Walch I 1908); 30,
22 ff. (Walch II 843). Buchw.-Kaw. 1, 303 f. 234) Tagebuch 1848 bei Venator
119. 284b) Abschiedsworte (Ausgew. Sehr. 7) 100. 23*o) Goldenes A-B-C,
hsg. v. Zyehlinski 46. 23* d) Philo, Quis rer. div. her. 6, 21; ed. Cohn- Wend-
land III p. 2. 6; ed. Mangey I 473. 476. 236) J. Hörmann, Untersuchungen
zur griechischen Laienbeicht 35; vgl. 56. 66. 189 ff. 204 f. 243; Holl, Enthusias-
mus und Bußgewalt 185. a3S) Leben c. 39, Hahn S. 529; vgl. ebenda S. 99.
527. 237) Tiele, R. A. II 105. 238) Mk 14, 30; 15, 34; Mt 6, 9; 11, 26; Jo 11,
41; 12, 27; 17. Vgl. Dalman, Worte Jesu I 157; von der Goltz 11 f.; Söderblom,
♦Jesu Gudsnamn in När stunderna växla II 24 ff. ; W. Engelhardt, Gott unser
Vater. Eine neutestamentliche Studie 1912, 7 ff. 239) V. Dietrich an Melanch-
thon (Walch XVI 2138). 240) Zu Gen 20, 17 f. (Walch I 2046); Ausl. d. Vat.
f. einf. L. (Erl. 21, 163); zu Mt 6, 5 ff. (Erl. 43, 174. 181); Erl. 49, 313. 24>) Ausl.
d. 21. A., CR 2, 224. 242) Zu Jo 14 (Erl. 49, 114). 243) Vgl. von der Goltz
58 ff. 166 ff. 244) Zu Gen 19, 18 (Walch I 1912); Pr. Jo 16, 23 ff. (Erl. 2,'268);
zu Mt 7, 7 ff. (Erl. 43, 291); Tischr. 15, 1 (Erl. 59, 2). 248) Zu Gen 17, 19 (Walch
I 1672); 19, 18 (Walch I 1912); 32, 9 (Walch II 1106); zu Mt 6, 5 ff. (Erl. 43, 175.
181); 7, 7 ff. (Erl. 43, 288, 291). 246) Zu Gen 19, 18 ff. (Walch I 1910); Ausl.
d. Vat, f. einf. Laien (Erl. 21, 225). 246b) CR 1, 909. 247) Erl. 21, 227;
Serm. v. Gebet, E 16, 69 ff.; Ev. a. 5. S. n. Ost, (Erl. 12, 155. 167). 248) An
Melanehthon Walch XVI 2137 f. 249) Erl. 21, 160. 249b) Perles,
Boussets Religion des Judentums kritisch untersucht 103. 25°) Zu Gen 20,
17 (Walch I 2044); zu Mt 6, 5 ff. (Erl. 43, 171 ff.); Ausl. d. Vat. f. einf. Laien.
Erl. 21, 161. Anw. f. Meist. Baibier, Erl. 23, 221; Weim. 9, 134. 2sa) Zwingli,
Ausl. d. 21. Art. (CR 2, 223. 228), 46. Art (2, 352). 28a) Paradoxa 205.
250. 263) Disc., I 450; Dying sayings, Works I p. XIV. 264) Grünberg,
Spener II 165. 288) Disc, I 444. 448. 461. 286) Aufzeichn. u. Briefe 90;
vgl. 23. 262 f. 287) Weingarten, Revolutionskirchen Englands 29 f. 288) Ev.
a. 5. S. n. Ost. (Erl. 2, 273; Erl. 12, 157); Ausl. d. Vat. f. einf. L. (Erl. 21,
227). Zu Luk 18, 31 (Walch XIII 539); Buchw.-Kaw. 5, 439 f. 259) Zu
Mt 6, 5 ff. (Erl. 43, 177); Tischr 15, 4 (Erl. 59, 5). Buchw.-Kaw. 3, 213 f.;
Walch VII 740. 2*°) Ausl. d. 21. A., CR 2, 225. 261) Paradoxa 249.
a") Ep. ad Prob. 130, 12. "») Ausl. d. Vat. f. einf. Laien, Erl. 21, 162.
Buchw.-Kaw. 6. 134; Weim 10 II, 376. a«4) CR 1, 935. a«) Theol. Ethik
III 2 496.
AmnerkungeD zu Seite 411 — 422 537
G. Das individuelle Gebet großer Männer (Dichter und
Künstler).
J) ARW XV 133. 2) Fragments d'un Journal intime I 224 ; II 222. 3) Heppe,
Quietistische Mystik 469. l) Buber, Ekstatische Konfessionen 22. 6) Entw.
z. Mahomet 1772/3. 6b) Fragments d'un Journal intime II 124. 6) Be-
kenntnisse hsg. v. O. Fischer 1912, 203. 7) Memoiren einer Idealistin 1876
III 168. 8) Rabbi Nachman, ARW XV 130. 8*>) Fragments I 87. II 93.
124. 290. 9) Fragments I 43. 9b) Fragments 1 87. II 27. 97. 124. 221.
290. 10) Lebenserinnerungen hsg. v. A. de Lagarde 21 ; vgl. Amiel, Fragments
II 87. ») Memoiren III 168. M) Fragments II 104. 13) Fragments II 8.
14) Fragments II 8. 202. 15) Sehnsucht (H 3, 12); Werther II (H. 14, 96).
16) Mahomet. Nachthymne (Hempel 8, 45). Die Goethezitate entnahm
ich aus Th. Vogel, Goethes Selbst Zeugnisse über seine Stellung zur Re-
ligion 1888. 1T) F. Kerst, Beethoven im eigenen Wort 1904, 23. 18) Elegie
(H. 1, 187); Ganymed (H. 1, 164). 18b) Fragments II 318. 19) Künstlers
Morgenlied (H. 2, 184). 19b) H. Benzmann, Moderne deutsche Lyrik
(Reklam) 226. 294. 20) Geyer-Rittelmeyer. Leben aus Gott 313.
n) Lebensabend einer Idealistin 1898, 172. 22) Fragments I 40; II 318.
23) Lebenserinnerungen 21. M b) Kerst a. a, O. 168. "c ) Briefe und Reden
übs. v. M. Stähelin, Basel 1911, 527. 23d) Nach der Übs. des Verf. freundlich
umgedichtet von Frau Pfarrer Frieda Meyer- Stoß (Fessenheim). 24) Gebete
großer Seelen 46. 69. 115. 25) L. Nohl, Beethovens Leben II 387; Gebete
großer Seelen 105. 26) F. Campe, Reliquien von Dürer 1828, 128 f. 27) Leben
übs. v. Goethe 1803. I 304 f. (Freundl. Hinw. v. Un. Prof. Dr. AI. Fischer).
a8) Nohl a. a. O. II 133 f. 401; III 109. 29) Tagebücher I 255. 30) Leben
I 303. 31) Kerst a. a. O. 188. 32) Gebete großer Seelen 23. 32b) Sämtl.
Werke, Leipzig I 110. "») Tageb. I 223. 34) Meine grüne Erde, Dresden
1904, 36. Zahlreiche Dichtergebete finden sich bei H. Kluge. Auswahl deutscher
Gedichte 1913, aus der die oben angeführten nicht ausdrücklich zitierten Gedichte
entnommen sind. (Freundl. Hinweis von stud. phil. H. Heintze); ferner bei P.
Eberhardt, Das Buch der Stunde, Eine Erbauung für jeden Tag des Jahres ge-
sammelt aiis allen Religionen und aus der Dichtung, Gotha 1915; A. Bartels.
Eine feste Burg ist unser Gott. Deutsch-christliches Dichterbuch 1916.
H. Das gottesdienstliche Gemeindegebet.
1) Ad. Köstlin, Geschichte des christlichen Gottesdienstes 1887 (zeichnet sich
durch feine Charakterisierungskunst aus); Rietschel, Lehrbuch der Liturgik I
1900; BT. Hering, Liturgie RE XI 538 ff.; Art. Liturgy, Jewish Encyclopedia
VIII 132 ff. ; Baumgarten, Gebet (liturgisch) RG G II 1 166 ff. ; Baumstark, Liturgien
KH II 677 ff. ; P. Drews, Gottesdienst RGG II 1570 ff. ; Petersen. Agende RGG I
224 ff. ; C. J. Nitzsch, Praktische Theologie II Bonn 1848. 327 ff. ; Theod. Harnack,
Einleitung und Grundlegung der praktischen Theologie I. Erlangen 1877; Th.
Kliefoth. Liturgische Abhandlungen, Schwerin 1858 ff.; J. Smend, Der evan-
gelische Gottesdienst, Göttingen 1904; Fr. Rendtorff, Geschichte des christ-
lichen Gottesdienstes unter dem Gesichtspunkt der liturgischen Erbfolge. Eine
Grundlegung der Liturgik, Gießen 1914; Karl Anton, Angewandte Liturgik
(Prakt.-theol. Handbibl. hsg. N'iebergall), Göttingen 1918 (überaus reichhaltig
und sehr bedeutsam); F. Chr. Achelis, Das liturgische Gebet, M PastTh V 1909.
VI 1910, 176 ff.; Quardini, Vom Geist der Liturgie (Ecclesia orans) 1918. Als
Sammlungen liturgischer Gebetstexte seien erwähnt: H. A. Daniel, Codex litur-
gii us ecclesiae universae I Romanae, II Lutheranae, III Beformatae atque
Anglicanae, IV Orientalis, Leipzig 1847 ff. ; C. Giemen, Quellenbuch zur praktischen
Theologie I, Gießen 1910. H. Hering, Hilfsbuch zur Einführung in das liturgische
Studium 1888; Liturgische Texte in den ,, Kleinen Texten für theologische Vor-
lesungen und Übungen" hsg. v. H. Lietzmann 1909 ff. (zahlreiche Einzelhefte);
F. E. Brightman, Liturgies Elastern and Western I: Eastern Liturgies 1896;
Griechische Liturgien übs. v. U. Storf, eingel. v. Th. Schermann BKV 5, 1912;
von der Goltz, Gebe! in der ältesten Christenheit 1901, Anhang. Weitere Hin-
weise bei Köstlin, Rietschel und hei A. Baumstark, Die Messe in Morgenlande
1906. a) Vgl. Wellhausen, Israelitisch« und jüdische Geschichte 189 4, 163
538 Anmerkungen zu Seite 422 — 430
Dalman, Gottesdienst, synagogaler, RE 7. 7 ff'., II. L. Strack, Synagoge RE 19,
223 ff.; W. Bousset, Religion des Judentums im neutestamentlichen Zeitalter
1903, 149 ff.; K. Kohler, Über Ursprung und Grundformen der synagogaleh
Liturgie, Monatsschr. f. Gesch. u. Wiss. d. Judent. 1893, 441 ff. 489 ff. ; J. Elbogen,
Studien zur Geschichte des jüdisch. -u Gottesdienstes 1907; Ds., Der jüdische
fiottesdienst in seiner geschichtlichen Entwicklung 1913, bes. 232 ff. (beste Mono-
graphie über den Gegenstand); dort S. 12 f. die weitere Literatur. 3) Die
Synagogen sind in Ägypten seit 230 v. Chi'., in Palästina seit der Makkabäerzeit
sicher nachweisbar (Joseph. Ap. I 22; Bell. .Jud. VII 3, 3); aller Wahrscheinlich-
keit nach ist ihre Entstehung bald nach der Rückkehr aus dein Exil anzusetzen.
Vgl. Elbogen, -I. <i. 244, 440 ff. 552. 554. 572; Bousset, Religion des Judentums
149 f. 4) Vgl. Schwab, Hastorische Einführung in das Achtzehngebet 1913;
Elbogen, J. G. 27 ff. 4 b) Perles, Gebet im Judentum (Jüdische Skizzen) 156 f.
s) Schwab a. a. O. 14. Vgl. Elbogen J. G. 250 ff. 6) Vgl. Suringar J. W.,
De publicis veterura Christianorum preeibus Lyon 183:'); abgedr. bei Volbedimj;
J. E., Thesaurus coinmentationum selectarum . . . illustrandis antiquitatibus
christianis inservientium, 1840 I 290—343; Th. Harnack, Der christliche Ge-
meindegottesdienst im apostolischen und altkatholischen Gottesdienst 1854;
F. Probst, Lehre und Gebet in den drei ersten christlichen Jahrhunderten 1871;
L. Duchesne, Origines du eulte chretien 1889; E. von der Goltz, Gebet in der
ältesten Christenheit 1001; Cabrol H., Le livre de la priere antique 1900; übs. v.
Pletl: Die Liturgie der Kirche 11)00; R. Pfender, De la priere juive ä la priere
chretienne ]!io:; : Cabrol, Introduction aux etudes liturgiques', Paris 1907; Dic-
tionnaire d'archeologie chretienne et de liturgie. Paris 1907 ff.; P. Drews,
Studien zur Geschichte des Gottesdienstes: I Zur Entstehungsgeschichte des
römischen Kanone 1902; II Untersuchung über die klementinische Liturgie im
8. Buch der apostolischen Konstitutionen 1906; Krieg, Gebet liturgisches, Gebets-
formularien in Kraus. Realenzyklopädie der christl. Altertümer I 503 ff. (mit
Hinweis auf zahlreiche ältere Literatur,). 7) Vgl. P. Drews. Untersuchungen
zur Didache [V: Die eucharistische Feier, Zeitschr. f. neut. Wiss. 1904 (5)75 ff. ;
Th. S -hermann, Die Gebete in der Didache. Pestschr. f. A. Knöpfler 1906, 225 ff.;
<i. Klein, Die Gebete in <h-v Didache, Zeitschr. f. neutest. Wiss. IX (1908) 132 ff.
•) Von der Goltz 195. 198 ff. 200 f. 8) Baumstark 85 f. ,ü) Th. S hermann,
Der liturgische Papyrus von Der-Balvzeh. Eine Abendmahlsliturgie des Oster-
rnorgens (TU 30, 1 b) 1910; übs. BKV 5, 120 ff. n) Wobbermin, Altchristliche
liturgische Stücke aus iU^v Kirche Ägyptens (TU N. F. II 3) 1890; Drews, Über
Wobbermins „altchristliche liturgische Stücke" usw., ZKG XX 292 ff. 415 ff.;
Storf, Griechische Liturgien (BKV 5) 140 ff. 12) IL Achelis, Die Canones
Ifippolyti (TU VI 4) 1891, 38 ff. 13) Hering a. a. O. 42 ff.; BKV 5, 32 ff.
14) Probst, Liturgie des vierten Jahrhunderts und deren Reform 1893; Die abend-
ländische Messe vom 5. bis zum 8. Jahrhundert 1890; Baumstark, Liturgien
KH 077 f.; Drews. Gottesdienst BGG II 1573 f. 15) Baumstark, KH II
077 f. 16) Vgl. Rietschel, Liturgik I 412 ff.; Köstlin 195 ff. 17) La forme des
prieres ecclesiastiques, CB 6 (34) 172 ff.; vgl. Rietschel I 414 ff.; Köstlin 208 ff.;
Erichson, Die calvinische und die alt straßburgische Gottesdienstordnung 1894;
H. Waldenmaier, Die Entstehung der evangelischeu Gottesdienstordnungen Süd-
deutschlands im Zeitalter der Reformation, Leipzig 1910. 18) Erl.22, 151 ff.;
Bering L30 ff.; vgl. Rietschel 1 409 ff.; Köstlin 153 ff. 19) Vgl. Rietschel I
421 ff.; Köstlin 176 ff. 19b) Vgl. N. Söderblom, Svenska kyrkans kropp och
själ, Stockholm 1917. 20) London 1559 (Ausg. v. A. J. Stephens, London
1849—1852.) Vgl. Rietschel 1 418 ff. ; Köstlin 212 ff. 2°b) Rendtorff, Geschichte
des christlichen Gottesdienstes 44. 21) Vgl. Köstlin 221. ") Köstlin 224 ff.
mit interessanten Beispielen; Petersen, RGG I 220. 23) Petersen a. a. O.
227 f.; vgl. Köstlin 245 ff. "b) Fr. Sputa, Zur Reform des evangelischen
Kultus, Göttingen 1891, 77. -') Wiener, Das Gebet 147. ") Vgl. A. Zillessen,
Ein Kapitel vom liturgischen Gebet, EFr 1909. 391 ff.; von der Goltz, Unser
Gebet (Zur Agendenreform III) DE 1911. 330 ff. 26) Roeder, Urkunden zur
Religion des alten Ägypten 02. ") Vgl. Justins Andeutung über die Mithras-
mysterien (Apol. I 00). Eine Zusammenstellung solcher Formeln bei Dieterich.
Mithrasüturgie 213 ff. 2S) Grünert, Gebet im Islam 1911; Becker C. IL, Zur
Anmerkungen, zu Seite 430 — 443 539
Geschichte des islamischen Kultus, Der Islam III. E. Mittwoch, Zur Entstehungs-
geschichte des islamischen Gebets und Eäütus (Abh. d. Berl. Akad. d. Wiss.
phil.-hist. Kl.) 1913. 28b) Roussel, De la priere chez les Hindous. Museon
VIII 564; Dilger, Gebet der Hindu, Ev. Missionsmag. 1892, 58. 28) FR II 1,
280; Söderblom. Tieles K. 355. 30) Clemens v. Alexandrien nennt Strom.
VII 6 die Gemeinde ,,die Versammlung der den Gebeten Obliegenden, die gleich-
sam nur eine gemeinsame Stimme und eine Meinung haben". 31) Tischr.
15, 1 (E 59, 2). 32) DE 1914. 331 f.; vgl. Gebet in der ältesten Christenheit
256. 33) Geyer und Rittelmeyer, Leben aus Gott 293. a4) Bousset, Religion
des Judentums 151 ff. ; Sehürer, Geschichte des Volkes Israels im Zeitalter Christi
II 376. Näheres s. Elbogen, J. G. 154 — 198. Für den Islam s. Mittwoch a. a. O.
29. ff. 3S) Justin. Apol. I 65. Vgl. Tert, Apol. 39 : Const, Ap. VIII 5. 36) Erkl.
der Gen. 13. 4 (Walch I 1263). 36b) Praktische Theologie I 626. 36 c) Zur
Reform des evangelischen Kultus 33. 3$d) Angewandte Liturgik 137.
37) Schürer II 378; Elbogen, J. G. 488 ff. Mittwoch a. a. O. 22. Über das freie
Laiengebet im Urchristentum Köstlin 9. 3S) Apol. I 67: ..Hierauf erheben
wir uns alle zusammen und senden Gebete empor ; . . . wenn wir dann unser
Gebet beendet haben, wird Brot, Wein und Wasser herbeigebracht und der Vor
st eher schickt Gebete wie Danksagungen empor". 39) Von der Goltz 180
40) Kalb. Kirchen und Sekten der Gegenwart 306. ") Vgl. Th. Harnack 156 ff.
von der Goltz 177 ff. ; Elbogen. J. G. 243. i2) Derselbe Ausdruck in der Agypt
Kirchenordnung, Achelis 69. *3) Hiezu Th. Harnack 278; von der Goltz 181
vgl. die ägyptische Kirchenordnung (Achelis 69): ..nach dem Vermögen jedes
einzelnen soll er (der Bischof) beten." 44) Baumstark 24; vgl. Th. Harnack
156 f. 45) Vgl. Köstlin 65 f. <3) Achelis 69. 47) ..Jeder, der Liturgien
aufschreibt, vergeht sich so, als würde er die Thora verbrennen" lautet ein tal-
mudisches Axiom (Tosefta Schabb. XIV 4). Elbogen, Studien 1. Vgl. ds., J.
G. 265: ..Soweit der W ortlaut der Gebete m Frage kommt, dürfen wir sagen,
daß da noch so gut wie alles im Flusse; selbst am Ende unseres (des amoräisehen)
Zeitalters sind noch immer auffallend wenige Gebetsstucke in ihrem Wortlaute
bestimmt." Über die Aufzeichnung der Synagogengebete s. ebenda 271.
4S) Von der Goltz L81. *9) Althaus 1. 50) Defensio pro populo Anglicana
zit. P. Christ, Lehre vom Gebet nach dem Neuen Testament 183 f. Vgl. Wein-
garten, Revolutionskirchen Englands 28 f. 51) Vgl. Kalb a, a. O. 197. 288.
326. 395. K. Oesterreich, Einführung in die Religionspsychologie 54. ") Wein-
garten 391 f. nach Barcley, Apologia 226 f. S3) Grünberg, Spener II 137.
i4) Wernle. Einführvmg ins theologische Studium 485. 54b) Praktische Theo-
logie I 473. Vgl. Achelis. MPastTh VI (1910) 177; Spitta, Zur Reform des evan-
gelischen Kultus 35. 64 c ) Vgl. Quardini. Vom Geist der Liturgie 11 f. 55) Vgl.
W. Wiener. Das Gebel 1885, 143; von der Goltz, Gebet (historisch) RGG II
1148. BC) DE 1914, 332. 57) Liturgik I 564 f.; vgl. Baumgarten, Gebet
RGG II 1107; Wiener, a. a. O. 1 17. 87 b) Vgl. Th. Harnack, Praktische Theo-
logie I 474. 68) Neh 9, 5; Berach. VII 3; S hürer II 377. 69) Achelis 57.
ä0) Const. Ap. VIII 6 ff. 10 f. 13 i. 61) Cyrill. .Ter. Cat, myst, V 4: Sm tag
y.uoöCuc; — t/oper Tigug zw xvoiov — ei<xaoiaHiG<i)ti£V tq> xvotip — äi-iov xal dixaiov.
Agypt. Kirchenordn. Achelis 48 ff.; Const. Ap. VIII 12; Cypr. de or. dorn.
31. 42) Elbogen, J. G. 494 f.; Sc-hürer II 384 f. 83) Augustin. Ep.
178. Vgl. die zahlreichen Responsorien in der Markus-Liturgie, der ältesten
griechischen Liturgie und die antiphonischen Litaneien der gallikanischen Liturgien
(Duchesne, Origines du eulte chretien 189 ff.) 61) Vgl. Drews, Liturgische
Formeln RE XI 553 ff.; Elbogen, J. G 495. 85) Tert. de or. 27; Drews a. a. O.
549 IT.: Greiff 75. 60) Drews a. a. O. 551 f. *7) 1 Kor 16, 22; Did 11, 6;
Apok 22, 20. 68) Drews a. a. O. 5 15 IT.; Greiff 76; von der Goltz 160 f.; Elbogen,
J. <-. 495 f. ") 1 ehr 16, 36; Neh 8. 16; vgl. Ps 11, 1 ! ; 72, 11); 89, 53; 100.
48; Schürer II 530. 70) V-l. 1 Clem34; Apok 4, 8. ;i) Vgl. Ägypt. Kirchen-
ord. Achelis 58: Cyrill. Jer. Cat. V L9. 71^) Vgl. Quardini, Vom Geisl der
Liturgie 16. Wechselseitige Rezitation des Bchma durch Vorbeter und Gemeinde
. Ellbogen, J. G. 196 f. ") Über den Chorgesang s. Th. Harnack a. a. O. 159 ff. ;
Köstlin 180 ff.: Duchesne, <> iginca du eulte chretien Ki7 ff.; .1. Böhmer, Auf den
Spuren eines Gesangbuchs der Crchristenheit MPastTh XI 11 (l'.ü'Ji :::;l> (f.;
540 Anmerkungen zu Seite 443 — 471
Harnack, Prakt. Theologie I 479 ff.; Nitzsch, Prakt. Theologie II 1, 340 ff.; A.
Thürlings. Historisches über die Entwicklung des Volksgesanges in der Kirche,
Internat, kirchl. Zeitschr. VII (1917) 341 ff.; über Hymnus und Kirchenlied s.
Art. Hynms (Greek-Christian usw.) ERE VII 5 ff.; Art. Kirchenlied RE X 399 ff.;
RGG III 1283 ff. (dort alle Literatur); über das gottesdienstliche Lied im Juden-
tum s. Elbogc-n, J. G. 206 ff.; 502 ff. T3) Vgl. die Schilderung der Taufmesse
bei Justin (Apol. I 65): „Der Vorstehe?1 sendet dann Lob, Preis und Dank
zum Vater empor." 74) eiO.oyrjös 6 &e6q Roe 9. 5; 2 Kor 1, 3; 1 Petr
l, 3; XdQig t& »e(J> Roe 7, 25; 1 Kor 15, 27; 2 Kor 2, 14; 8, 16; 9, 15. 76) Vgl.
P. Drews, Über Gebrauch und Bedeutung des Wortes eucharistia im kirch-
lichen Altertum, ZPTh 20 (1898) 97 ff.; Th. Schermann, ev/afiioxia und eöxaQi-
aielv in ihrem Bedeutungswandel bis 200 n. Chr., Philologus 59 (1910) 382 ff.
76) Schürer II 384. ") Greiff 124 ff. 78) Greift 129. '») Bäum-
st ark, Das eucharistische Hochgebet und die Literatur des nai hexilischen
Judentums, Theol. und Glaube II (1910) 357 ff. 80) Baumstark, Messe im
Morgenland 129. 8l) Probst. Liturgie der drei ersten Jahrhunderte 59 ff.;
Baumstark, Theol. u. Gl. II 353 ff.; P. Drews, Gottesdienstliche Studien 2/3,
14 ff. 71 ff. 97 ff. 108 ff. 82) In besonderer Ursprüngliehkeit erscheint das
heilsgeschichtliche Dankgebet in der Basiliusliturgie (Brightman 324 ff.; BKV 5.
269 ff.). Auf die neutestamentlichen Heilsfakta beschränkt sich das Formular
des Präfationsgebetes in der Ägyptischen Kirchenordnung, das um seiner Alter-
tümlichkeit besondere Bedeutung beansprucht. Text bei Achelis 51 f. 83) Baum-
stark, Messe im Morgenland 129 f. **) Baumstark 129 f.; Theol. und Glaube
II 355 ff. 85) Wobbeimin Nr. 27. 86) Reformiertes Kirchenbuch hsg. v.
A. Ebrard 1846, 2 ; Calvin, CR 6, 172. 87) Schürer II 384 f. Auch das Kaddisch
beginnt mit zwei eschatologischen Bitten. Vgl. Elbogen. J. G. 93. 88) Wob-
bermin Nr. 1. 89) Brightman 332; BKV 5, 273. 90) Greiff 126. 9°b) Fr.
Hubert, Die Straßburger liturgischen Ordnungen im Zeitalter der Refoimation
Göttingen 1900, 96. 90 c) Heiing a. a. O. 183. BI) Wobbermin Nr. 26.
92) FR II 1, 280. 93) Wobbermin Nr. 23. 94) Stellen bei von der Goltz
333 f. 96) Wobbermin Nr. 27. 96) CR 6, 176. 96b) Abschiedsreden
(Ausgew. Schrift. VIII) 35. 97) Wobbeimin Nr. 25; BKV 5, 143. 98) CR
6, 176. 99) Vgl. den Brief der jüdischen Gemeinde in Elephantine an Darius.
10°) Joseph. Ant. XII 2, 5. 101) In der Kaiserzeit gedachten die Priester drv
Isis des regierenden Herrschers an erster Stelle. Apulejus, Metamorph. XI 1. 7.
Im Freitagsgottesdienst der Muhammedaner wird ebenfalls ein Gebet für den
regierenden Sultan gesprochen. Grünert, Gebet im Islam 33. 102) Brightman
333; BKV 5, 274; vgl. das Gebet „für den allerchristlichsten Kaiser" in der
römischen Karfreitagslituvgie. 103) CR 6, 175. »«) CR 6. 176. 105) Cypr.
ep. 37; ad der. ep. 66; Cyrill. Jer. Cat. myst. V 9. 106) Wobbeimin Nr. 1.
107) Brightman 57; BKV 5, 111. 108) Schürer II 385. 109) Vgl. Drews,
RE XI 547 ff.; von der Goltz 157 ff. no) Vgl. Gal 1, 5; Hebr 13, 21; Const.
Ap. II 22, 11; Act, Thecl. 42; ep. ad Diogn. 12. m) Vgl. 1 Tim 6, 16; 1 Petr
4, 11 ; 5, 11; Apok 1, 6. n2) BKV 5, 129. 113) Achelis 47. 56 ff. 67. 99. 113.
m) Wobbeimin passim. 116) Drews, RE XI 547 f. 116) Brightman 339 f.
117) Von der Goltz 128; Bousset, Kyrios Jesus 102. 285. "») Von der Goltz
124. 119) Jo 14, 13 f.; 15, 16; 16, 26. „Alles Gebet, das nicht geschieht im
Namen Jesu, ist kein Gebet noch Gottesdienst." Luther E 2. 268. 120) BKV
5, 127. 121) Achelis 42; vgl. 59. 62. 122) Wobbermin Nr. 1. 12S) Achelis
57. »■*) BKV 5, 129. 125) Wobbeimin Nr. 18. 26 f. und öfter. 12Bb) Gir-
gensohn. Zwölf Reden über die christliche Religion 192. 126) Vgl. Bousset
a. a. O. 286. 126 b) F. J. Mone, Lateinische Hymnen des Mittelalters I 1853,
42. 75. 229. 127) Euseb. H. E. V 2S; vgl. VII 30. 128) Näheres s. Rietschel I
562 A. 4. 129) Rietschel I 561. 130) Baumstark, KH II 678. m) Berach.
6a f.; Elbogen, J. G. 260. 132) Dial. e. Tryph. 117. 133) Strom. VII 5, 31;
weitere Hinweise bei von der Goltz 165. 134) Von der Goltz 117. 135) Ign.
ad Eph. 5, 2; Ambros. in ep. ad Rom. c. 15: „Multi enim minimi dum congre-
gantur unanimes, fiunt magis, et multorum preces impossibile est, quod non
impetrent." 13S) Pred. 17. Sonn. Trin., Erl. 20 II, 224: Buchw.-Kaw. 5, 524 f.
137) Diels, Parmenides 17; Dieterich, Mithralsliturgie 93. Vgl. H. v. Soden.
Anmerkungen zu Seite 471 — 495 541
Mvaxr\oiov und sacramentum in den ersten zwei Jahrhunderten der Kirche,
Zeitschr. f. neutest. Wiss. 1911 (12) 188 ff.; Anrieh, Das antike Mysterienwesen
und sein Einfluß auf das Christentum 156 ff. 138) Vgl. Köstlin 58 ff., besonders
die feinsinnige Charakteristik des orientalischen und römischen Meßgottesdienstes
61 f. 100 f., die sich im Grundgedanken mit der vorliegenden deckt; ferner K.
Seil, Katholizismus und Protestantismus, Leipzig 1908, 153 ff. 13°) Drews
RGG II 1574; vgl. Söderblom, DE 1916, 119. 14°) Vgl. Köstlin 142 ff.
141) Elbogen, J. G. 233 f. ; vgl. Bousset, Religion des Judentums 153 f. 14a) Köst-
lin 198. 143) DE 1916, 119. 144) Vgl. Dieterich a. a. O. 93: „Das ist das
Wesentliche der Liturgie, daß der Gläubige oder die Gläubigen in ihr oder durch
sie in ein Verhältnis zu ihrem Gott treten durch ein bestimmtes sakrales Tun
und bestimmte sakrale Formeln. Das juvai^Qioy enthüllt dem /^vavrig
irgendwie ein Geheimnis des Göttlichen: die kultische Beziehung des Menschen
zu Gott ist die Hauptsache." 144b) Vgl. Anton, Angewandte Liturgik 124 f.
,45) Vgl. Rietschel I 35. 38; Köstlin 154. 145b) Praktische Theologie I 626.
116) Vilmar, Zur neuesten Kulturgeschichte Deutschlands II (1S58) 128. Weitere
ähnliche protestantische Urteile über den evangelischen Gottesdienst bei Het-
tinger, Apologie IV8 (1900) 256 f.
J. Das GebetalsPflichtundgutesWerkinden Gesetzes-
religionen.
x) Schürer, Geschichte des Volkes Israel im Zeitalter Christi II 382 f.; Stade-
Bertholet, Bibl. Theologie II 424; Bousset, Religion d. Judentums im neutest.
Zeitalter 1903, 155; R. Pfender, De la priere juive ä la priese chrätienne 7 ff.;
O. Holtzmann, Die täglichen Gebetsstunden im Judentum und Urchristentum,
Zeitschr. f. neutest. Wiss. 1911 (12) 93 ff.; Elbogen, Studien zur Geschichte des
jüdischen Gottesdienstes 1905; Der jüdische Gottesdienst in seiner geschicht-
lichen Entwicklung 16 ff. 245 ff. ; Mittwoch, Entstehungsgeschichte des islamischen
Gebets (Abh. d. Berl. Ak. d. Wiss. phil.-hist. Kl. 1913) 7 ff. a) Grünert, Gebet
im Islam 1911; E. W. Lane, Sitten und Gebräuche der heutigen Ägypter übs. v.
Zenker 1852, I 65 ff. ; Mittwoch a. a. O. 1 ff. 3) Spiegel, Avesta II p. LXXXII ;
E. Lehmann, Zarathustra II 104 ff. 4) Achelis, Canones Hippolyti 117 ff.;
ähnlich Tert. de or. 25; Cypr. de or. 34 f.; vgl. Ciem. Alex. Strom. VII 7, 40;
Orig. de or. 12. 5) Vgl. K. Müller, Christentum und Kirche Westeuropas (HKG
I 4, 1) 267 f.; Behringer, Die Ablässe. 6) Berach. 29a; Weber, System der
altsynagogalen Theologie 41. ') Yasn. 19, 12 ff.; Spiegel II 296. 8) Wen-
sinck, Der Islam IV 232 ff. 9) Sprenger, Laben und Lahre Muhammeds I 1861,
324. 10) Berach. 290 bei Döller, Gäbet im Alten Testament 13. ll) Spiegel
II p. LXXXII; 247 (Vend. 29, 73 f.); III 7 (Khord. Av. 6, 1). 18) E. Leh-
mann, TR 266. 13) Grünert 30. 14) R. Pischel, Leben und Lehre des Buddha
(NG) 1906. 72. 15) Wiesel, Achmed ibn Tajmija 7. 16) Weber a. a. O. 40.
17) Midrasch zu Levit., Sifr. 80 a bei Weber a. a. .O 40. 18) Grünert 33;
Mittwoch a. a. O. 20. 19) Yasn. 19, 9 ff.; Spiegel II 95 f. so) Vgl. Weinel,
Paulus 53. 21) Siehe Perles, Boussets Religion des Judentums kritisch unter-
sucht 101 f.; Gebet im Judentum (Jüdische Skizzen) 158. 22) Berach. 12 b.
bei Weber 41. Vom Ahuna van ya heißt es: „Selbst mit Auslassung, mit Nach-
lässigkeit hergesagt, ist es gleich zehn anderen Hauptgebeten." Yasn. 19, 8;
Spiegel II 95. ") Vgl. Wildt, Gebet in Wetzer und Weite, Kirchenlexikon
V 142.
Das Wesen des Gebets.
l) Da Costa Guimaraens, Le besoin de prier RPh 54 (1902) 394. ») Tylor,
Anfänge der Kultur II 394. 3) Vgl. o. 8. 135 ff. 180 f. 199. 319 f. 397 ff. 107 f.
R. Rothe, Theologische Ethik I 2 1<S07, ISO ff.; Söderblom, När stunderna växla
147 ff. *) Predigten 1843, IL 6. 9. * b) När stunderna, växla 1 37. 4°)Ge-
b tsproblem 62. 5) Zu Ps 18 (E 38, 171). 9) Mechthild v. Magdeburg,
Offenb. V 13. 7) Wahres Christentum 1120 (p. 266). ») Joann. Ohrysost.
Contra Anomaos VII 7. Mi PC 48, 700.
Register.
Ägypter 7. 16. 43. 73. 81.
83. 86. 100 ff. 113. 115.
137I M.2f. 151 f. 157.
160. 162 ff. 222. 235. 250.
289. 323. 430. 503 f. 515.
5 1 7 *•
Ainu 45. 54. 58 f. 67. 69.
76. 86. 95. 107. 1 11. 114.
127. 507.
Araber 71. 81. 103 t'. 14.'.
144.
Assyrer s. Babylonier.
Australier 39. 51. 72 f. 85.
98. 114. 118. 1 20 f. 124 ff.
138. 141 ff. 508. 516.
Babylonier 7. 16. 58 f. 61.
63.68 f. 72.86. 88. 100 ff.
115. 127 f. 134. 137 f.
140 ff. 152 f. 157. 160.
162 ff. 235. 331. 507.
510 ff. 518.
Bantu stamme 16. 44—47.
50—103. 1 10—128. 134.
136 f. 141. 143 ff. 150 ff.
ISS- '59- x68. 222. 506 f.
509. 515.
Birmanen 50. 54. 59. 63 f.
74. 77. 87. 90. 104. 111.
1 14. 120 ff. 125. 137. 14s.
153 ff-
Buschmänner s. Pygmäen.
Chinesen 16. 45. 68. 70. 73.
82. 84. 87. 100. 105. 107.
116. 136. 152 ff. 162. 350.
508 f. 516.
Gallier s. Kelten.
Germanen 101. 103 f. 162.
512. 516.
Griechen 6 f. 17.43.47. 54.
58. 59. 63. 71 ff. 76 f.
80 f. 85 ff. 91. 95. 98 ff.
1 12 f. 117 t'. 128. 136 f.
141 f. 144. 154. 157 f.
I. Völkerverzeichnis.
162 f. 168. 183. 191 ff.
321. 235. 250. 507. 511.
515 ff. 519. 526. 532.
Hindu 7. 17. 62 f. 66 f. 82.
91. 103 f. 113. 207. 233.
310. 323. 430. 512 f. 539.
Inder 7. 57. 68 f. 77 f. 88.
100. 103 f. 107. 115. 138.
141. 154. 157. 162 f. 235.
250. 457.
Indianer mittelamerikani-
sche 51 f. 59. 62 f. 76 f.
86. 90. 92 ff. 113 f. 120.
123. 127 f. 136. 142 ff.
146. 154. 158. 160. 509.
Indianer nordamerikani-
sche 52. 5s. 59- 61 f. 64.
67 f. 69. 76. 78. S6 f.
89 f. 92. 101. 112. 1 14.
116. 1 19 ff. 126. 141 ff.
146. 157. 229.
Indianer südamerikanische
49. 52. 70. 98. 101. 141 .
146. 506.
Indogermanen 16. 73. 77.
116. 121. 144. 508. 514.
Indonesier (Batak usw.) 44.
48. 50. 53. 58 f. 62 ff. 67.
69. 72. 75 ff. 81. 83. 87 f.
95 ff. 1 10 f. 114. 116. 120.
123. 128. 143. 150. 152 ff.
158. 160. 509. 515. 517.
Israeliten 8. 17. 45. 55. 58 f.
68. 71. 73 f. 79. 91. 96.
100 ff. 115. 133. 136 ff.
137. 144 f. 163. 185 ff.
191. 198. 221. 256. 263 f.
278 f. 390. 422. 442. 446.
459. 479- Sl3- S. auch
Sachverzeichnis: Juden-
tum, Synagoge.
Japaner 103. 269.
Kanaanäer 17. 103. 115.
275.
Karthager 142.
Kelten 101 f. 161. 512.
Litauer 112. 513.
Madagassen 49. 90. 120.
.Mazedonier 168.
Melanesier 54. 61 f. 117.
143. 150-
Mexikaner 47. 115. 138. 157.
162. 164. 168. 170 f. 517.
Nordafrikaner 44. 54. 59.
61 ff. 67 f. 90. 93 ff. 101 .
146. 151. 511.
Ostjak en 48.
Perser 102. 103. 104. 107.
Auch Mazdaismus (Sach-
verzeichnis).
Peruaner 61. 76. 104. 157.
162. 184.188 f. 235. 511 f.
Phöniker 143. 162.
Polynesier( Südsee) 61. 63 f.
74. 76. 82. 88. 97. 112.
120. 123. 127. 136.
Pygmäen 45. 48. 54. 60 ff.
69. Si f. 91. 95 ff. "8.
120. 123. 141. 150. 489.
508 f. 514.
Römer 6 f. 43. 45. 47. 51.
54. 55. 58. 68. 71. 80. 86.
89. 100 ff. in ff. 115.
128. 138. 141. 144. 150 ff.
157. 162. 194. 430. 507 .
510 f. 514 ff.
Samaritaner 104. 138.
Semiten 6. 16. 73 ff. 80.
103. 1 16. 144 f. 200. 400.
509.
Sumerer 59. 61. 65. 73. 90.
100 f. 103 f. 127. 142 f.
145. 152. 157. 162. 168 f.
174. 223. 509. 515. 517.
Syrer 50. 80.
Personen- und Autorenverzeichnis
543
IL Personen- und Autorenverzeichnis.
Abraham 233. 256. 395.
Achelis 537 ff.
Achmed ihn Tajmija 505 f.
534-
Adami 6. 510. 518.
Adelheid von Hiltharthau-
sen 302.
Adelheid Langmann 293.
296. 527.
Äschylus 58. 83. 85. 117.
128. 136. 141. 191 f. 195.
197 f. 507. 510. 516. 520.
Albertus Magnus 224. 234.
251 f. 259. 272. 288. 522.
524. 526 f.
Alexander v. Haies 36.
Alfons v Liguori 288. 314 f.
527: 53o. '
Algazäli 20. 286 f. 309t.
3i4f. 316. 530.
Althaus 2. 4. 11. ^2. 504 ff.
523. 534. 53.).
Ambrosius 444. 540.
Amiel 253. 411 ff. 537.
Anienophis 111. 184.
Amenophis IV. Ichenaton
33. 184 ff. 189 f. 430. 519.
Arnos 19. 29. 237. 261. 272.
348. 397. 422.
Angela von Foligno 307.
Angelus Silesius (Johann
8cheffler)249. 253 f. 259t.
280. 285 ff. 289. 310. 320.
333 f. 344. 525. 535.
Anna v. Munzingen 525.
532.
Anrieh 512 t. 525 t. 529.
53i f- 54'-
Anselm v. Canterbury 32.
234. 241 . 294 f. 299. 301 f.
Anton K. IX, 14. 434. 537.
54i.
Antonius (Mönchsvater)
286.
Apollonius v. Tyana 204 f.
528.
Appi'I 7. I06. 506. 5IO ff.
515 "-
Apuh us 47. 138. 324. 540.
Aristänctos 508.
Axistophanes 48. 76. 512.
Aristoteles 96. I99, 212.
262. 511 f. 520.
Arndt Joh. 1. 225. 227.
234 f. 246 ff. 287. 292 ff.
495- 53"-
Am im 520.
Arnold Gottfried 10 f. ?4_\
Arnoux 506. 508. 510.
Arrian 199 f. 5 18 ff.
Arsenius 270.
Artemon 466.
Assurbanipal 166.
Aschkenasy 517. 524.
Aston 512.
Athenäus 196. 506 ff. 514.
51/- 520.
Augustinus 16. 20 f. 29. 33.
35. 105. 224 f. 228. 234 f.
241 ff. 245. 260 ff . 267.
209. 272. 278. 280. 282 f.
284 ff. 288 f. 292 ff. 299 ff.
305. 308. 318. 320. 327.
333- 347- 357- 37i. 376.
390. 399. 407. 489- 5°5,
513. 516. 523. 525 f. 530.
535- 539-
Ausfeld 7 f. 507. 5 10 f. 514.
516 f. 519 f.
Bärthold 535.
Balmer 507 ff. 511. 514.
Bank 517.
Bartels 537.
Barth 530.
Baruch 368.
Basilius 426. 455. 460. 464.
54o.
Batchelor 45. 506 ff. 513 f.
Baudissin 498. 536.
Bau mann 511.
Baumeister 184. 519.
Baumgarten 497. 537. 539.
Baumstark 447 ff. 451.
537 ff-
Bäyazid 236. 297. 305.
Beck Fr. O. g. 13.
Beck P. 525.
Becker 506 f. 510. 538.
Beckh 260.345. 511. 524 ff.
53i.
Beethoven 20. 410. 414 f.
418. 493.
Behringer 541.
Beissel to.
Beneke 521.
Benzmann 537.
Bergaigne 518.
Bergk 520.
Bernard 8.
Bernhard v. Clairvaux 33.
223. 234. 242 f. 244 f.
. 263. 2-jt,. 284 f. 310.
315. 320. 332. 444. 473.
530 ff.
Bernhart J. 524.
Bertholet 502. 541.
de Besse 528.
Bias 520.
Biedermann 3.
Bihlmeyer 502 f.
Birgitta von Schweden 279.
Bismarck 20.
Bissing 511.
Blumentritt 511.
Böhme Jakob 20.
Böhme K. 9.
Böhmer 505. 52T. 529. 533ff,
539.
Böllenrücher 517.
Bolliger 15.
Bona Kard. 341 f.
Bonaventura 29. 234. 242.
286. 288. 294 f. 321.
329 f. 333- 523- 53°-
Bonhöffer 521.
Bourquin 504.
Bossuet 273. 344.
Bousset 9. 235. 523. 527.
534- 538 ff.
Boutroux 517. 524.
Braig 413.
Breasted r64. 517 ff. 528.
Brigaud 125. 513 f.
Brightman 537. 540.
Brinton 12. 96. 507 ff. 514-
516 ff.
Brünnow 517.
Brugsch 515.
Brun 508 ff.
Brunnhofer 519.
Buber 522. 524 ff. 529 ff-
534- 537-
Buehberger 497.
Buddha 16. 19. 197- 232 f.
269. 274. 276 ff. 512.
Budge 516.
Buhl 8. 499.
Büttner 498. 521 ff. 526 t.
529. 531-
Bunyan 19. 28 f. 35 f. 225.
235. 246. 347 f- 35° ff-
357 f- 361. 363- 369. 372-
376. 383- 387- 394 f- 405-
522.
Burckhardt 506 f. 516.
Bumouf 7.
Butzer 428.
Buxtorf 511.
Cabrol 511. 538.
Caird 23.
1 iaitanya 310.
' laldesaignes 8.
Callaway 118. 507 ff. 514.
vif«.
544
Personen- und Autorenverzeichnis
Callimachus 103. 195. 196.
512.
Calvin 20. 32. 36. 245. 276.
278. 347- 350- 354. 357-
359. 363-365 ff- 369. 37i.
373 f. 376. 379- 383- 385.
387. 389 f. 394 f. 403-
407. 428. 533. 540.
Campe 537.
Canisius 33.
Carlyle 279.
Cassian 289. 527. 530.
Cathrein 510.
Cato 517.
Cellini Benv. 417 f.
Celsus 523. 530.
Chantal Mad. 244. 273. 290.
34i. 343-
Chantepie de la Saussaye
105. 509. 513. 518 f. 520.
Chapmann 10. 524. 527.
Chatel 528.
Chetelat 6.
Cheyne 8.
Christ 2. 9. 505. 539.
Chrysostomus 326. 426. 464.
.495- 541-
Cicero 151. 512. 517.
Claudius M. 105. 210.
Clemen 537.
Clemens v. Alexandrien 9 f.
101, 204. 208 f. 213. 215.
222. 234. 259. 327. 466.
513. 516. 525. 539. 54i.
Clemens v. Rom 29. 332.
368. 425. 436. 440. 445 f.
453- 4S6-4S8. 460 ff. 465.
Codrington 117. 508. 515 f.
Cohen 362. 534.
Cohors 11.
Columbus 20.
Collitz 519.
Combe 517.
Comte Aug. 212 ff.
Cornill 237. 522.
Crawley 512.
Cromwell 20. 28. 415. 505.
Crusius O. 78. 518.
Cumont 17. 151. 505. 510.
514. 517I 521. 531.
Curtiss 506. 509 f. 513.
Cyprian 36. 472. 539 ff.
Cyrillv. Jerusalem 539 f.
Dalberg 533.
Dalmann 507. 536. 538.
Daniel 139. 452.
Daniel H. A. 537.
Dante 20, 34.
Daremberg 7. 511.
Daressy 5 1 7.
David v. Augsburg 288.
297. 30° f- 3"- 3'4- 316.
328 f. 527. 530.
Deißmann 1. 4 t. 9. 16. 26.
31- 34- 355- 505 f- 523-
533 ff-
Delitzsch 105. 503.
Demetrius 206 f.
Denifle 526. 529. 532.
Deubner 517.
Deussen 522. 529.
Deuterojesaia 264. 395.
Dibelius 10. 12. 520 t. 534.
Dickinson 6.
Diderot 206. 214 ff.
Diels 471. 540.
Dieterich A . 323. 471. 497
506. 513. 516. 528 ff. 538.
54o f.
Dietrich Veit 28. 357. 373 f.
403. 521. 534 ff.
Dilger 7. 539.
Diogenes 204.
Dionysius Areopagita 233.
249. 252. 267. 282. 285.
.320 f. 333. 399. 522.
Dionysius Cartesianus 529.
Diotegenes 214.
Döller 8. 105 f. 507. 509.
511. 513. 516.
Döllinger 9. 522.
Dorner 15. 215 t. 521.
Dorsey 86. 123. 141. 507 ff.
514 ff. 522.
Doufays 507 ff.
Drews 537 ff.
Duchesne 538 f.
Dümmler 512. 532.
Dürer 20. 417.
Dürr 14. 215. 521.
Duhm 536.
Durkheim 35. 506.
Ebbinghaus 521.
Eberhardt 537.
Eck Sam 2. 526.
Eckart Meister 20. 217. 234.
244. 249 t. 258 f. 266 f.
270. 277. 279. 282 f. 284.
295. 3°8. 3J7f- 333- 524.
.53o.
Eisenstein 8.
Eitrem 106. 5 12 ff.
Eklund 523.
Elbogen 8. 474. 511. 5 38 ff .
Eleazar 460.
Elias 237. 356.
Else v. Neustadt 254. 337.
Emerson 41 1. 414.
Endemann 516.
Engelhardt 535 f.
Epiktet 204. 206 f. 213.
218. 304. 520.
Epiphanius 512. 522. 529.
Erasmus 33.
Erbkam 523.
Erichson 538.
Erdland 508 f.
Erman 7. 166. 183. 190.
509 ff. 517 ff. 528.
Esra 423. 436. 446. 452.
Eucken 248. 523.
Euripides 195. 199. 509 f.
Farnell 4. 13. 141. 192.
506 ff. 516. 519 t. 532.
Faßmann 506. 508 ff. 515 ff.
Fechner 1.
Fehrle 512. 515. 532.
Fenelon 244. 342 f.
Ferid-ed-din- Attär 2 36. 2 7 1 .
282. 317. 412.
Feuerbach z. 25. 42. 202.
280. 513. 516. 527.
Fichte 202 f.
Fischer AI. V, VIII, 537.
Fischer R. 512.
Foucart 509. 515. 518.
Fox 19. 29. 347 f- 352f-
355- 395- 405.
Frank Seb. 224. 227. 405 f.
Franke R. O. 526.
Franz v. Assisi 19. 21. 28 f.
36. 223. 232 f. 242 f. 278.
283 ff. 299. 301 f. 305.
347- 357- 4". 529.
Franz v. Sales 234. 244.
273. 288. 290. 310. 315.
319. 341 ff. 526 f. 530.
533-
Frazer 510. 513. 516.
Fresenius 523 f.
Frey tag 507t. 517.
Friedländer 510. 514.
Friedrich Wilhelm III. v.
Preußen 429.
Friedrichsen 534.
Fries Mission. 508.
Frobenius 125. 515.
Funk 532.
Gamaliel 479.
Garbe 530.
Gebhardt 145. 506. 509 f.
516.
Geibel 417.
Geldner 518.
Gennep van 514.
Gerade 84. 505. 510.
Gerhardt P. 33. 222.
Gertrud v. Helftä 30. 242 f.
258. 288. 296 f. 300. 302.
304 t. 338 ff. 527. 533.
Personen- und Autoreuverzeichnis
545
Gesenius 50g.
Geyer 212. 433. 521. 337.
539-
Giberti 326.
Gihr 53 r.
Gilg 15.
Gilhodes 122. 155. 506 ft.
5i4i- 517.
Girgensohn 4. 226. 466. 540.
Goethe 20. 34. 411 f. 414 f.
537-
Götze 1 1 .
Goldzieher 8. 106. 5 10 ff.
516. 525. 529. 535.
Goltz E. v. der 2. 9. 11. 16.
432. 435. 440. 505. 521.
S23. 533 f- 536 ff.
Gottsched 534.
Gräbner 506.
Graig 517.
Grandgeorge 523.
Graßmann 518.
Gray 517.
Grebaut 517.
Gregor d. Große 512.
Gregor v. Nyssa 10. 426.
466. 496. 509.
Gregor VII. 427.
Gregor v. Tours 5 1 i>.
Greßmann 518.
Greiff 8. 105. 509. 511 ff.
516. 539 f.
Greith 529. 532.
Griersan 529.
Grimm Jakob 12. 71. 105 f.
506 ff. 511 ff.
Grimme H. 513.
Grube 506. 508 f. 516 f.
Gruber 12.
Grünberg 534. 536. 539.
Grünert 8. 538. 541.
Grützmacher 526.
Grupp Gg. 505. 512 ff.
Gruppe 194. 517. 519«
Gudea 61. 65. <><->. i-7-
144 f-
Guimaraens da Costa 6. l J.
489. 508. 541.
Guiton 9. 15.
Gunkel 5 [9.
( Mistav Adolf 20.
Gutmann B. 500. ;>.
Guyau 209. 214. 216.
Guyon de 1.' Mothe Mad.
30. 207. 227. 2],-\. 24-t-
254. 258. 266. 273. 889.
311. 315 f. 3 iS f. 3-' !-
341 ff. 41 1. 526. 530 I.
ti.ias H. 52(>.
Habakuk 3 5 < t t.
Das Ooboi
Habermann 33.
Hahn Th. 506 ff. 516. 536.
Hahn-Hahn Ida v. 498 ff.
Hamberger 507 ff. 510. 514.
Hammar 514.
Hammer-Purgstall52 5. 529.
Hanna 64. 79. 137.
Hardy Edm. 509 ff.
Harlez 511.
Harnack Ad. 236. 242. 504.
523 f. 525.
Harnack Th. 439- 47°-
537 ff-
Harris 8.
Hart 414.
Hartland 514 f. 532.
Hartmann Ed. v. 15. 23.
42. 203. 211. 215. 506.
509. 515-
Harvey 28.
Hase 505. 521. 533.
Hasan Basri 273.
Hastings 497.
Hauck 497. 523.
Hauri 527.
Haydn 20.
Hebbel 418 f.
Heckenbach 106. 512 t.
Heckewelder 507 f. 510.
Hermann 33.
Hefele 10. 522.
Hegel 23. 279.
Hehn 517 f. 526.
Heiler 7. 346. 511. 520. 522.
524ff- 531.
Heinrich v. Nördlingen
273-
Heinrich v. Zütphen 368.
Hempel 537.
Hennecke 532.
Heppe 521 f. 524 t'. 527.
53o f. 533- 537-
Heraklit 211.
Hering 537 t. 540.
Hermann F. 2. 509.
Hermas 371.
Herodot 199. 506. 512. 520.
Berondas 55. 58. 76 t. 95.
98. 516.
Herrinann VV. 15. 228. 371.
389. 524. 526.
Bertkens 531.
Hesiod 194 f. 506. 509. 519.
Bestennann 506.
Hettinger 1. 541.
Bieronymus 332. 532.
Hildegard v. Bingen 273.
Billebrandt 518.
Bindenburg 20.
Hiob 29. 60. 184. 560 f.
Hippolyt 506.
Hirn Irjö 531.
Höffding 239. 248. 3S8. 523.
525; 527.
Hoenicke 504.
Hörmann J. 526 f. 536.
Hofmayr 122. 126. 506 ff.
5U ff.
Holl 531. 536.
Holm 125.
Holtzmann 9. 541.
Holwerda 183. 519.
Homer 34. 38. 59. 68. 80.
84 f. 91. 139. 183. 187.
189. 191 f. 506 f. 510.
5 16 f. 5 1 9 f. 522. 528.
Horaz 508. 510.
Hosea 221. 422.
Hotzy 10.
L'Houet 58. 510.
Howitt 508. 511. 515.
Hubert 540.
v. Hügel 233. 236. 265 . 524.
527. 53i f-
Hume D. 202.
Hurel 507.
Hus 368.
Husain al Hallädsch 302.
306.
Husserl 24.
Huttier 10.
Ichenaton s. Amenophis IV .
Ignatius v. Antiochien 432.
436. 444. 465 f. 468.
Ignatius v. Loyola 29. 207.
223. 278. 288. 303. 321.
347 f- 357- 359 f. 379.
527.
Inge 524.
Irenäus 278. 472. 529.
Irle 506 ff. 514 f.
JacoponedaTodi 333. 337 f.
533-
Jacobowsky 414.
Jakobus (Apostel) 570. 398.
406. 426.
Jalal-ed-din-RümJ 225 f.
230. 236. 306 ff. 419. 528.
5 3--
Jamblich 310. 314. 316.
319. 52S. 530 f.
James W. I. 21. 248. 372.
520. 523 f.
Jastrow 7. 107. 183 f. 507 lt.
512 ff. 518 t'.
.Jensen 518.
Jephtha 79.
Jeremia 29. [41. 189. 257 f.
245. 266. 274. 348 f. 357-
359. 360. 368. 375 ff-
35
546
Personen- und Autorenverzeichnis
375 f. 380 ff. 395. 397.
401. 419. 422 ff. 475.
Jeremias A. 532.
Jesaia 256. 395. 404. 422.
Jesus 5. 9. 12. 16. 19 f.
21. 27. 31. 34. 36. 197.
223. 233 f. 235. 239 ff.
244. 257 f. 261 ff. 269 ff.
276. 278 f. 281 f. 287.
318. 347 ff- 355 ff- 36o.
362. 366. 368 ff. 375. 377.
385 ff. 391. 396 ff. 401 ff.
406 f. 419. 421. 424. 446 f.
449 ff. 453 ff. 463 ff. 468.
470 f. 475. 534.
Jevons 13.
Joannes Damascenus 229.
291.
Johann v. Kreuz 244. 273.
298. 310 f. 314 ff- 333-
527 f. 530.
Johann v. Neumarkt 33.
Johannes (Evangelist) 233 f.
257. 272. 283. 385. 398.
464.
Josephus Flavius 429.
Josue 137. 237.
Jülicher 9.
Juliana v. Lüttich 326.
Juncker 9.
Junod 53. 84. 150. 155. 222.
5o6ff. 514. 517. 521.
Justin 222. 433. 435 f. 443.
456. 533- 538 ff.
Juvenal 204.
Juynboll 514.
Kabir 19. 333 535-
Kähler M. 8.
Kägi 518.
Kalb 539.
Kalthoff 521.
Kant 1 2. 202 f. 208 ff . 2 1 5 ff.
218. 494. 520.
Katharina v. Emmerich
3i4.
Katherina v. Genua 19.
234. 254. 258. 270. 273.
283 ff. 302. 309. 529.
53i f-
Katherina v. Siena 28. 223.
258. 337-
Kautzsch 2. 503.
Kegel M. 8. 33. 505.
Kerst 537.
Keschub Chunder Sen 431.
Keysser 5 14 f.
Kierkegaard 19. 26. 265.
283. 347. 366. 371. 377.
387. 394- 400. 525.
Kilger 506.
King 500. 511. 515 f. 517 ff-
Kinsrsley 86. 121. 1 23 f.
145. 506 f. 515.
Kirsch 10.
Kittel 2.
Klapper 1 1. 505.
Kleanthea 206.
Klein 538.
Kliefoth 537.
Kluge 537.
Koch-Grünberg 146. 506 f.
509. 516.
Koch Hugo 233. 524 ff. 528.
53o f-
Köberle 8. 16. 71. 509. 535.
Koenig 9. 532-
Koepp 504. 522 ff. 525 ff.
536.
Köhler 2. 15
Körner Th. 419.
Köstlin 537 ff.
Kohler 5*38.
Kolde 534.
Konfutse 202. 209. 213. 235.
Kopernikus 494.
Kopp 254.
Kraus F. H. 511 ff 538.
Krebs 531 f.
Krepp 249.
Krieg 538.
Kroll 515 f. 521 f. 524 f.
528 f.
Kropf 506 ff. 513 f.
Krüger 505 f.
Kruijt 514.
Lactantius 141.
Lacombe P. 270. 272 f.
314 f. 342. 530.
Lagarde P. 411. 413 f.
Laib 531.
Land 521.
Lane 541.
Lang Andr. 72. 112. 118 f.
121. 513. 515.
Langdon 166. 5 16 ff.
Lange A. 514.
Langloh-Parker 70. 507.
509 f. 514 ff-
Laotse 221. 235. 249. 252.
254. 259 f. 322. 513.
Lasaulx 6.
Lasch 515.
Laurent de la Resurrection
223. 341 f. 345.
Lefebure 517.
Lehmann Edv. 13. 23.
105 f. 167 f. 182. 244.497.
511 ff. 519. 523. 526.
528 f. 533. 541.
Lehmann H. 13.
Lehmann W. 502 f.
Lehner 510 f. 514.
Leistle 504.
Lermontow 415.
Lesetre 8.
Lessing 279.
Leuba 25.
Liebknecht 532.
Lieblein 517.
Uunggren 8.
Livius 510. 512 f. 516.
Loofs 523. 526 f. 532.
Lope de Vega 418.
Lopez Greg. 343.
Lucian 138.
Lucilius 142.
Lucius 507 ff. 512.
Lucka E. 14. 532 f.
Ludwig A. 518.
Luthardt 1 1 .
Luther 1. 10. 16. 18. 21.
28 f. 31 f. 35 f. 222 f.
227 f. 231 ff. 234 f. 244 f.
255 f. 261. 264. 268. 271.
275. 278. 283. 347 f.
350 ff. 353 f. 359 f. 363 f.
366 ff. 372 f. 376. 379 ff.
382 f. 386 ff. 390. 393 ff.
398 f. 401 f. 404 ff. 428.
432 f. 444- 468. 477. 495.
504. 523. 528. 536. 540.
Lydus 518.
Maaß 510.
Mac Coy 86.
Macauliffe 532. 535.
Macrobius 512.
Magdalena v. Pazzi 301 f.
325-_
Makaiius247. 289. 292. 332.
525. 527. 529.
Malachia 401.
Mänikka Väschagar 33.190.
226. 233. 236. 258. 284.
295 ff- 300 ff. 303. 305.
323.
Mansfeld 507 f. 510. 512.
Marabotto 28. 273. 505.
524 f. 529 f.
Marett 13. 119. 514.
Margaretha Ebner 30. 260.
273. 288. 292. 294. 297.
326. 329. 336 ff. 341. 527.
532 f.
Margreth 9.
Marie v. Oignies 326. 531 f.
Mariette 5 1 1 f .
Marillier 13.
Mark Aurel 48. 136. «94-
506 f. 517. 519.
Markham 519.
Personen- und Autoren Verzeichnis
547
Maury A. 146.
Maximus Tyrius 203 f. 208 f.
213 f. 471. 520.
Mechthild v. Hackeborn
533-.
Mechthild v. Magdeburg 28.
30. 228. 243. 251. 258.
270. 284. 290. 292 ff. 295.
300 f. 304. 307. 322. 325.
333- 336 ff. 341-495- 524.
532 ff. 541.
Mechthild Tuschelin 327.
Meiners 12. 105 f. 506.
509 ff. 513.
Meinhof 506 ff. 511.
Melanchthon 28. 36. 245.
37i. 373 f- 398.
Melanges 520.
Menegoz IX, 2. 11. 15 t.
212. 217. 476. 495. 521.
536.
Merensky 55. 507 ff. 515.
Merx 524.
Merzdorf 530.
Meschler 2.
Methodius 332.
Metzger 513.
Meyer Ph. 52;.
Meysenbug M. v. 411 f.
4M.
Micha 422.
Michel 9.
Michelangelo 20. 416.
Migne 497.
Milton 405. 438.
Misch 505. 523.
Mittwoch 8. 521. 539. 541.
Mörike 419.
Molinos 234. 249. 266. 322.
34i ff.
Mone 540.
Monier Williams 528 f.
Monod 2. 35. 400. 459.
Monrad 22. 35. 371. 535.
Monsabre 15.
Montalembert 4.
Montanus 254. 522.
Moor 513.
Morel 505. 524. 528 f.
Momad 504.
Mose 21. 221. 233. 237. 250.
266. 271. 347. 366. 374.
392. 394- 397- 4^.
Mott 477.
Müllonhof 523.
Müller .!. (!. 506. $og ff.
Müller K. 54'.
Müller Max VI, 3. 23. 118.
'59. 497- 508. 518. 522.
Müller Missionar 506 f. 512.
514 ff-
Müller W. A. 512 f. 515.
Münzer 427.
Muhammed 19. 31. 139.
223. 232. 234. 236. 239.
250. 266. 273. 281. 361.
363. 365. 37i. 373- 378 f-
384. 391. 505.
Musculus 23- SOS-
Musters 512.
Myhrman 517.
Nachman 537.
Nägelsbach 6. 193. 506.
509 f. 512. 519 f.
Nahum 261.
Nanak 236. 304. 384.
Nassau 85. 123. 125. 506.
510. 514. 516.
Naville 513. 517.
Neander 10.
Nebukadnezar 127.
Nehemia 401.
Neuhauß 507 ff. 514 f.
Newmann 20. 293. 295. 303.
Newton 20.
Nicholson 522. 524 ff. 529.
Niedeck 6.
Nietzsche 336.
Nilsson 13.
Nilus Sinaita 35. 222. 225.
247. 291. 319. 528.
Nimbäditya 306.
Nissen 516.
Nitzsch 537. 540.
Nohl 537.
Norden 7. 518. 528.
Nordenskiöld 5 14 f.
Novalis 1.
Numenios 259 t. 525. 531.
Ökolampad 453.
Österreich 251. 524. 534.
539.
01denberg7. 152. 164 f. 172.
179. 181. 345. 507- S09.
516 ff. 522. 531.
Ollendorf 505.
Oldendorp 509 f.
Oltramare 260. 525.
Origenes 9 f. 15. 20. 36. 217.
224. 234. 241. 290. 327.
332. 399- 444- 452. 454-
464- 523. 53«. 532. 54'.
Qrpen 508. 511. 515.
Ostermann 13. 504.
Otter J. 534.
Otto R. IX, 132. 253. 261.
506 f. 512. 515. 523. 526.
529. 53' ff-
Otto W. 497.
Ovid 71. 509. 512. 516. 518.
Pacheu 524.
Palmer 3.
Parkinson 507. 509.
Parthey 530. 532.
Pascal 19. 29 f. 226. 228.
246. 347. 349. 355. 364.
369. 372. 379 f. 386. 390.
394.
Paulitschke 146. 505 ff. 516.
Paulsen 212.
Paulus 9. 16. 19. 21. 27.
31. 105. 227. 232 ff. 240 ff.
244. 255 ff. 266 f. 269.
271 ff. 281. 283. 332.
347 ff. 353. 358. 366 t.
370 f. 389 t. 395-398.401.
421. 425. 432 ff. 444. 446.
453.463 ff. 466. 469. 475.
Pausanias 512.
Perlee 238. 424. 504. 523.
534. 536. 538. 541.
Perry 5 1 o.
Peters 10. 511.
Petersen 5 37 f.
Petronius 512.
Petrucci 341. 343.
Petrus v. Alcantara 286.
288. 295. 297. 300. 302.
311. 321. 527.
Petrus Lomb. 527.
Pfanner 12.
Pfeiffer 498. 521. 524 f.
527 ff.
PfenderR.9. 523. 538. 541.
Pf ister 532.
Pf leiderer 15. 23. 75.
Philippot 15.
Philo 233 f. 249. 257. 259 i.
262. 273. 402. 536.
Pinches 517.
Pinckert 517.
Pindar 191. 196. 520.
Pischel 181. 519. 541.
Plath 508 f. 513. 516 f.
Plato 72. 138. 191. 193. 195.
200. 221. 233. 241. 251.
254. 260. 506. 509. 512.
519. 524.
Plinius 48. 466. 512. 517.
Plotin 16. 20. 26. 221. 229.
2^. 235. 241. 249. 253 f.
258 ff. 270. 277. 284 f.
289. 298 f. 317. 323. 335.
396. 419. 421. 512. 524 t'.
53'.
Plutarch 196. 506. 517.
5'9 f.
Püllux 506.
Polykarp 367. 464.
548
Personen- und Autorenverzeichnis
Pomptow 518.
Pope 528 ff.
Porphyr 221. 322. 517. 521.
Poulain 10. 528. 530.
Powell 515.
Pratt 13.
Preger 524. 530.
de Presscnse 504.
Preuß 5. 507. 510. 513 f.
Si6f. 532.
Probst 532. 538. 540.
Proclus 286. 3 10 f. 314 ff.
319 f. 507. 523. 530.
Puccini 527. 520. 533.
Pusey 294.
Pythagoras 205.
Quardini 14. 537. 539.
Quintilian 517.
Räbia 258. 273.
Radau 143. 515. 517 ff.
Rade -,3^.
Raffael 493.
Raible 531 f.
Räjendraläla Mitra 530.
Rärnänuja 20. 233. 249.284.
Ramrnohun 431.
Ramses II. 184.
Ranson 1 3.
Raum 121. 126. 506. 508.
510. 5 14 ff.
Rauwenhoff 15.
Rechenberg 511.
Rehm 8.
Rehse 506 ff. 511 ff. ^14.
516.
Kcinick 417.
Reisner 517.
Reitzenstein 529. 531 f.
Remy 8.
Rendtorff 428. 538.
Reville 509. 520 f.
Rhabanus Mau nie 466.
Ridley 514.
Riedel 532.
Ries A. 531.
Riehm 512 t.
Rietschel 440. 511. 537 f.
540 f.
Ritsch] 249. 279. 524. 532.
Robert König v. Frankreich
33-
Roberts 520.
Robertson 35.
Roeder 184. 5 06. 5 10. 517 ff.
538.
Rohde 192. 275. 519. 524.
Roskoff 510.
Roth 529. 532.
Rothe 1 f . 222. 356. 371.
407. 504. 522. 541.
Roussel7. 57. 507. 513. 539.
Rousseau 206. 208. 411 f.
Routledge 51. 55. 70. 120.
505 ff. 514 f.
Le Roy 66. 150. 153. 159.
506 ff 514! 517- 522.
535-
Roy Henry 8. 504 f.
Ruskin 41 1.
Sa'adi 308.
SabatierAug. 1 f. 15 f. z^.
71. 218. 230. 505. 529.
Sabatier Paul 356. 534.
Saarschmidt 513.
Saint Ililaire 525.
Saleur 515.
Salomo 137. 225.
Samter 106. 513. 519.
Samuel 237. 366.
Sankara 282. 284. 317.
Sapper 146. 505 ff. 513 ff.
Sarasin 70. 505. 5081. 513.
Saubertus 8.
Saudreau 530.
Savonarola 226 t. 348. 353.
362. 369.
Scaramelli 530.
Scheel 242. 523. 526.
Schell 20.
Scherer W. 523.
Scherman Luc. 512 f. 518.
Schermann Th. 9. 537 f-
540.
Schiele 497.
Schiller E. 526. 532.
Schlatter 3.
Schkopp 514.
Schleiermacher 1. 11. 15 f.
20. 35. 217. 429.467. 504.
535-
Schlüter-Stork 533.
Schmidt B. 10.
Schmidt E. 507 f. 510. 517.
Schmidt Fr. 15.
Schmidt G. 511 f.
Schmidt Heinr. 7. 520.
Schmidt H. 8. 515.528.s30.
Schmidt Leop. 6. 197. 506 f.
5J4- 519*.
SchmidtWilh.4S.96. 118 f.
506 ff. 5 14 ff.
Schmöger 8.
Schneider 506 ff. 514. 516.
Schneller 531.
Sehn üt gen 531.
Schoemann 6.
Schollmeyer 5 1 7.
Scholz IX. 524.
Schopenhauer 42. 210. 506.
Schrader <o8 f.
Schröder J. J. 8.
Schröder K. 531.
Schröder Leop. 510. 514 f.
Schüler 419.
Schürer 539 ff.
Schulte 509.
Schultze 106. 513.
Schurtz46. 52. 506 ff . 513 f.
Schwab 538.
Schwarz F. J. 531.
Seh war tz E. 511.
Scotus Eriugena 233.
Seder Elia Rabba 404.
Seeberg 248. 500. 523 f.
526 f.
Segers tedt 513.
Segond 14.
Seligmann 507. 509 f. 514.
517.
Seil 504. 541.
Seneca 15. 203 f. 206. 208.
211 f. 213. 217. 507. 510.
Serapion v. Thmuis 426.
453. 456. 458. 462. 464 ff.
Servius 507. 5 1 3 f .
Seuse3i. 244. 251. 259.263.
273. 283 f. 288. 298. 318.
327 f- 333- 337 ff- 340 f.
4ii. 533-
Seydel 15.
Sibree 49.
Siebeiis 6.
Siedel 524.
Simyan 15.
Simons 12.
Siminel 522.
Simonides 195.
Sittl 7. 507. 5 10 ff. 516.
Skeat 48. 125. 506. 515.
Smend 511. 522. 535. 537.
Smet de 93. 5n.
Smith K. 6. 78. 509 f. 5 12 ff.
5i5 f.
Snedorf 6. 518.
v. Soden 540.
Söderblom VIII f. 9. 20. 23.
61. 1 19 f. 235. 239. 248 f.
354 f. 474. 491. 497- 5°5 ff-
513 ff. 519. 522 f. 526 f.
532. 534- 536- 538 f. 54i.
Sokrates 193 ff- 203 ff. 520.
Solon 196.
Sophokles 60. 78. 85. 190.
197-
Spamer 525. 530.
Spener 355. 367. 405. 429.
439- 534- 536. 539-
Spencer 514.
Spiegel 513. 541-
Spieth 506 ff. 513 ff. 532.
Personen- und Autoienverzeichnb
549
Spinoza 22. 211 ff.
Spitta 433. 538 f.
Sprenger 541.
Spurgeon 225. 400. 504.
522.
Stade 136. 507. 510. 512.
515. 521. 541.
Stähelin 498. 533.
Stagel Elsbeth 31. 273. 326.
526.
Stanley 70.
Statius 499.
Staupitz 258. 525. 528.
Stäudlin 1 1 f. 520.
Steindorff 5 1 3 f.
Stengel 511 f. 514. 519.
Stephanus 368. 466.
Stevens 515.
Stevenson 508. 510. 516.
Stiefenhofer 528.
Stierling 532.
Stobäus 520.
Stöcker 1 530.
Stoffels 530.
Stolz 1. 209. 226. 228. 520.
Storf 537 f.
Strabo 512.
Strabo Walafried 102. 512.
Strack 538.
Stratmann 506.
Strauch 526 f. 528 f. 532 f.
Strong A. L. 14. 469.
Suarez 36.
Sudhaus 7.
Sugawora no Michizane 208.
Saidas 523.
Sujol 15.
Suringar 538.
Symeon der neue Theologe
29. 33. 247. 284 f. 287.
292 ff. 300 f. 304. 306.
318 f. 324. 329 f.
Tacitus 103. 510. 512. 516.
Tanner 92. 146. 1:07. 510.
516.
Tauberth 1 1.
Tauler 234. 244. 246 f. 249.
279. 284. 288 f. 291 ff.
318. 327. 333. 527 f.
Teroteegen 19. 29. 33. 223 ff.
227. 229 f. .-35. 244.
246 ff. 250. 285. 290 ff.
299. 303 ff. 307. 318 f.
342.
Tcrtullian 36. 138. 278. 332.
436 f. 512. 516. 539.
Theel 8.
Thekla 332.
Theodor (Neuplatoniker)
286.
Theognis 60. 90.
Theresa di Jesu 30. 35. 207.
223. 225. 234. 244. 258.
265. 270. 273. 277. 283 f.
289. 300. 302 f. 305. 310 f.
316. 318 ff. 321. 333.
339 ff. 343 f. 359. 400.
525. 528. 530. 533.
Thiers 531.
Tholuck 35. 372. 520. 522 ff.
527. 529 ff.
Thomas v. Aquino 3. 20.
33. 36. 225. 234. 242.
284 f. 291. 295. 324.
328 ff. 333. 371.
Thomas v. Celano 33. 223.
243. 310. 362. 521. 523.
53i.
Thomas v. Kempen 30. 207.
225. 234. 242. 244. 247.
273. 277. 289. 292 ff.
299 ff. 302 ff. 319. 324.
328 ff. 333. 337. 339 ff.
519.
Thomasius 524.
Thomin 15.
Thürlings 540.
Thureau - Danging 508 ff.
515 f. 521.
Tibull 68.
Tiele 1 f. 12. 16. 2^. uo.
5=6 f. 536.
Tileston 528 f.
Tillmann 527. ^o. 535.
Tillv 20.
Toland 215.
Trede 512.
Troeltsch 276. 504. 522. 524.
526.
Tscharnack 497.
Tulsi-Däs 233. 236. 249.
3031.
Tsehwang-tse 253. 259.
Tylor 6. 12. 50. 72. 118.
490. 506 ff. 513 ff. 522.
S4i.
Unland 413.
Ungnad 518.
Usener 108. 513 t. 517.
Valentin 516.
Valeriua Flaeeus 103.
Varro 517.
Vedder 507t. 514. 517.
Veit 15.
Venator 505. 525. 535 f.
Vergil 138. 512. 516. 520.
Vettei 528. 531 f.
Vettius 211. 520.
Vierkandt 13.
Vierordt 5 12 f.
Vilmar 476. 541.
Van Vloten 521.
Vogel 537-
Volland 511.
Vollbeding 511. 538.
Voltaire 205 f. 209 f. 213.
520 f.
Volz 521. 525 f.
Vorwerk 11. 14. 504 f. 523.
, 534-
Voullieme 7. 105. 511 ff.
515-
Wachsmuth 5 1 2.
Wächter 106. 512 t.
Waddell 512.
Wagner 477.
Waitz 508 ff. 514. 516.
Walch 497. 503.
Waldenmaier 538.
Walleser 515.
Wallin 363.
Walter G. 10.
Walther 15. 504.
Warneck 53. 72. 75.84. 123.
155. 506 ff. 5 13 ff.
Weber F. 516. 518 f.
WeberO. 164. 166. 183. 516.
Wechßler 532.
Weinel 9. 16. 27. 505. 534.
541.
Weingarten 535 f. 539.
Weinhold 1 06. 5 1 2 f .
Weinreich 307. 525. 529.
Weinrieh 15.
Weiß Joh. "388. 533.
Wellhausen 2. 237. 380.
5 10 ff. 522. 535. 537.
Wensinck 8. 106. 513. 541.
Werner 9. 533.
Wernle 239. 439. 504. 526 f.
J33- 539-
Westermarck 1 2. 507 ff. 5 1 5.
Westphal 105. 137. 513. 515.
Wichern 29.
Wiedemann 7. 164. 173.
510.
Wieland 521.
Wiener 539.
Wiesel 8. 505. 534 t. 541.
Wilburgis v. Neuburg 326.
Wildt 541.
Wilkinson s 1 2 f .
Will Marg/326.
Willmann 504. 520 t.
Wilma 10. ^27. 529. 531 f.
Wilpert 532.
Wilson 529 f.
Windisch 522. 524.
Winternitz 7. 167. 173. 184.
51 7 ff.
350
Personen- und Autorenverzeichnis — Sachverzeichnis
Wirz 14.
Wissowa 152. 1 5 5 f. 5 1 7 f.
Wobbermin 14. 504. 538.
540.
Wünsch 7. 497. 507. 509 f.
515 f-
Wundt 13. 25. 39. 115. 161.
164. 506. 514. 518 f.
Wuttke 510. 514.
Xenophanes 202 ff.
Xenophon68. 191. 193. 195.
197- 506. 513. 519 f.
Yajnavolkya 270.
Yämuna Muni 236. 303.
Zahn 310. 507 ff. 523 f. 526.
Zarathuschtra2 5o. 271. 278.
281. 347. 400.
Ziegler K. 6. 498. 507.
Ziethen 20.
Zillessen 538.
Zimmern 166. 512 f. 517 ff.
Zinzendorf 304. 333. 337.
340. 444.
Zoepf 524. 527. 532.
Zwingli245. 259. 347. 359 f.
389. 394 «• 401. 40$ f.
428. 443. 536.
III. Sachverzeichnis.
Abendgebet 43. 62. 67. 92. 151. 154. 193 f.
479 ff-
Abendmahl 8. Eucharistie.
Abhängigkeit, Gefühl der 42 f. 45. 65. 72.
78. 81. 84. gof. 105. 126. 130 ff. 140.
144. 147. 191 f. 206. 340. 351 f. 378 f.
389. 392. 402.
Ablaßwesen 480. 484.
Achtzehngebet s. Schmone-Esre.
Adoration s. Anbetung.
Ägyptische Kirchenordnung 426. 437. 441.
464. 480. 538 f.
Ästhetisch 76 f. 185 ff. 298 ff. 392. 410.
492 f.
Affekte 42. 46. 50. 91 ff. 98 ff. 108. 132.
134. 139. 145- !98. 229. 251. 254. 267.
284. 286 ff. 299. 318. 334 ff- 339. 34i.
350 ff- 354ff- 372. 380 ff. 385 ff. 389. 402.
405. 413. 418. 431 f- 436-
Affekte, Unterdrückung der 193. 197.
251 f. 258. 267. 289. 292. 309 ff. 370.
388. 4".
Affektlosigkeit 204. 207. 251 ff. 267. 284.
286 f. 292 f. 314 ff. 318. 328. 342. 358.
387.
Agende 429 f. 437 f. 467.
Agni 286. 296 ff. 304 f.
Agnostizismus 19.
Agnus Dai 466.
Ahnenkult 61. 63. 69. 76. 81 ff. 98. nof.
122. 127 f. 130. 134 ff. 141. 144. r$o.
168. 222. 507. 514.
Aliuna vairya 481. 483. 541.
Ahura Mazda 282. 361. 400. 481 f. 483.
Allah 139. 273. 288. 389. 482.
Alleins s. Pantheismus.
Alleluia 442.
Almosengeben 479 f. 483.
Altar 103. 106. 222. 325 f.
Altarsakrament s. Eucharistie.
Altes Testament 8 ff. 249. 347. 352. 370.
375. 385. 400 f.
Altkatholische Kirche 474.
Altruismus s. Fürbitte.
Amen 35. 383. 442 f.
Amon-Ra 115. 171 f. 178. 188.
Anbetung 46. 59. 99 ff. 109. 172. 207. 223.
286. 301. 323 ff. 392. 395. 412 f. 490.
491 ff.
Andacht 412. 484. 491. 493 ff.
Andachten, katholische 473.
Androgyne Götter 133. 331. 515.
Anerkennungsopfer 73. 96.
Anglikanische Hochkirche 429. 451.
Animismus 9. 46. 7^. 108. 118. 131.
Annunaki 127. 171. 179.
Anrufung 58 f. 81. 149. 153. I79-337-348 f-
463 f.
Anthropomorphismus der Gottesvorstel-
lung 46. 72. 81. 120. 130. 133. 149. 179 f.
188 f. 191. 199. 202. 210. 213. 317. 331.
34o. 377- 393 f- 490.
Antike Religion 12. 18. 39. 45. 49. 56. 67 f.
72. 75. 83. 100. 115. 126. 133 ff. 150 ff.
157. 161 ff. 191 f. 194.. 200. 233. 249. 422.
425.
Antiphonie 441.
Anu 142. 171.
Apatheia s. Affektlosigkeit.
Aphrodite 115. 197. 199.
Apokalyptik 278. 369.
Apollo 59. 199.
Apostolische Konstitutionen 425. 439 f.
447 ff. 454 ff- 538 f.
Arbeitsgesänge, primitive 48 f. 55.
Arianer 426. 464.
Artemis 59. 116. 199 f.
Aschern vohu 481. 483.
Askese 57. 162. 193. 258. 268. 278. 280.
285. 370. 411.
Asklepios 95. 116. 138. 141.
Athene 81. 193. 199.
Atman-Mystik s. Upanischaden.
Aton 184 ff.
Audition s. Vision.
Aufklärungszeit 203. 205 ff. 245 f. 429 f.
Ausbreiten der Arme 101 f. 105. 511.
Ausschütten des Herzens 58. 217. 287.
352 f. 358 f. 371 f. 417- 486.
Aussprache 29. 89 t. 246. 287. 331. 379 ff.
415. 3
Autobiographie 29. 223. 273. 326.
Autorität 265. 478.
Sachverzeichnis
551
avatära 323.
Ave Maria 480. 482. 485.
Avesta 102. 163. 277 t. 347. 361. 481 f.
Ba'alim 115. 276. 281.
Bachantinnen 160.
Barfüßigkeit, kultische 104. 106.
Bauern, Rsligion des s. Volksfrömmigkeit.
Ba-u (Göttin) 175.
Banngeister 110. 114. 136. 141.
Beamte im Kult 151 ff. 162.
Beichte s. auch Sündenbekenntnis 88.
Bekenntnisformeln 481.
Bellona 80.
Benediktiner 279.
Berührung eines heiligen Objekts 103 f.
106. 492.
Beschimpfung der Götter 84.
Beschwörung s. Zauberspruch.
Beschwörungshymnus 164 f. 518.
Betrachtung s. Meditation ^Kontemplation.
B^wußtseinszustände 251 f. 258 f. 286.
Bhagavadgitä 249. 260. 269. 299.
Bhakti-Mystik 233 ff. 249 f. 284 f. 323. 348.
Biblische Frömmigkeit 233 ff. 241 ff. 269 f.
282. 347 f. S. auch prophetische Fröm-
migkeit.
Binden u. Lösen 106. 177.
Bischof 426. 435.
Bittgebet 60 ff . 174 f. 189. 194 ff. 203 ff.
215 f. 246. 291 ff. 360 ff. 380 ff. 432.
454 ff. 482. 507.
Bittgebet, generelles 67. 174. 189. 197. 205.
Bittgebet, um ethische Werte 66 f. 194 ff.
199. 204 f. 365 f. 416. 456.
Bittgebet um irdische Güter s. Eudämonis-
mus.
Bittgebet um religiöse Werte 66. 292 ff.
328 f. 338 f. 360 ff, 416 f. 452 ff.
Bittgebet, Verwerfung des 318. 343 f.
Blut 74. 108.
Brahma 255.
Brahmanismus 57. ggf. 150. 154. 163.
S. auch Veda, Rigveda 165 f. 471.
Brahmanaspati (ßrhaspati) 170. 175.
Brahmasamaj 431. 457.
Brautmystik s. Mystik erotische.
Brautverhältnis zu Gott 255. 272. 310 f.
318. 320. 331 ff. 400. 409. 490.
Breviergebet 480.
Buddhismus 7. 36. 197. 207. 221. 230 ff .
248. 255. 258. 260 f. 264. 268 ff . 274 ff.
284 f. 311 ff. 319. 322 f. 345 f. 421. 482.
486. 489. 493- 53 1-
Bundeslade 136 f. 158.
Bußgebet ggf. 134. 153. 362 f. 378. 452 f.
Bußpsalmen Sg. 164. 166. 175 ff. 362.
Bußwerke 480.
Causa sui 120. 171.
Ceres 1 12. 142.
Charismatiker 271. 276. 27g. 400. 435. 440.
471.
Chassidim 357. 411 ff.
Chorgebet, -gesang 443. 540.
Christentum 9. 100 ff. 194. 233 ff. 248.
263 f. 282. 324 f. 345. 387 f. 424 ff. 479 f.
Christentum als Religion des Gebetes 9.
235 f. 430 f.
Christologie 9. 263 f. 426. 465 ff.
Christus, Gebet zu 240 f. 465 f.
Chthonische Götter 66. 103. 128. 136 f.
Christusmystik 240 f. 287. 317. 324 f.
332 f. 337 ff. 531.
Common Prayer, Book of 405. 428.
Completorium 93.
Credo S.Glaubensbekenntnis apostolisches.
Dämonen 874. 106 f. nof. 115. 125. 130.
422. 506.
Danken 44 f. 95.
Dankgebet 44 t. 95 ff. 117. 123. 215. 301 f.
330. 344. 349. 352. 372. 389 f. 444. 463 f.
467.
Dankopfer 97. 121. 193. 468.
Dekadenz, religiöse 18. 126. 162. 181.
Deismus 126 ff. 211.
Demeter 51. 63. 114. 157. 195. 19g.
Demut 8g. gi. 304. 402.
Deuteroaomium 71. 137 f. 422 f. 47g.
dhyäna s. Versenkung.
Diana 116.
Diaspora jüdische 273. 423. 475.
Dichter 20. 33 f. 3g. 164 f. 410 ff. 487. 4gi .
Didache 368. 424. 435 f. 441. 444. 446. 454.
479-
Dionysos 47. 158. igg.
Dogma 2. 3. 233. 265.
Dogmengeschichte 5.
Dominikanerinnen 11. 531.
Doxologie 425 f. 442. 444. 463 f.
Drehung beim Gebet 101. 106.
Drohung an Gott 84 f. 373.
du'a 31. 102. 479. 508. 516.
Dualismus 281 f.
Durchsehnittsfrömmigkeit 20 f. ^^. 34 t.
274- 475 f- 485.
Dürre geistige s. siccitas.
Ea (Gott) 171.
Egoismus 44. 66. 69 f. 173. 340. 342.
Ehrfurcht 46. 5g. 8g. gi. 145. 228 f. 2g8.
474 ff- 484 f- 49i.
Eid 7g f. 123. igg.
Einfühlung VI. 21 f. 31 f.
Einigung 193. 220. 2^1 ff. 25g. 271. 279.
284 ff. 289 f. 296 f. 314 ff. 323 ff. 330«.
335. 392 f. 397. 4^2. 469. 474. 492.
S. auch Ekstase 523.
Einsamkeit 26. 35. 56. 230 f. 252.297.3g6.
Einwirkung des Menschen auf Gott g4.
13g f. 180 f. 210 f. 214. 31g f. 397 ff. 419.
467 f. 4g 1.
552
Sachverzeichnis
Ekstase 47. 106. 193. 230 f. 252 fr. 258 ff.
207. 270 f. 277 ff. 286. 288. 296. 304 ff.
3<39f. 311 f. 3 1 6 f. 325. 342. 353. 411.
486. 524 f.
En-lil (Gott) 127. 170. 175 ff.
Entblößung im Kult 104. 512 f.
Enthusiasmus 47. 241 f. 252. 271. 287. 41 1.
432. 435 *•
Epitheta der Götter 81 f. 153. 160. 167.
507.
Epos, religiöses 164. 167. 159. 176. 446 ff.
Erbauung 432.
Erde (Gottheit) 91. 110. 114. 142.
Ergebung 93 t. 206 ff. 217. 228. 238. 246.
302 f. 368. 384 ff- 419 f. 468.
Erkenntnistheorie 24. 202.
Erleuchtung 268. 293 f. 328. 349. 362.
Erlösung s. Heil.
Erlösungsreligion mystisehe 190. 193. 200.
237. 248.
Erntedankgebet 45. 117.
Erotik, religiöse s. Mystik, erotische.
Ersatzopfer 74 f.
Erstlingsopfcr 96. 117. 123. 130 f. 194. 213.
Eschatologie s. Reich Gottes.
Esotherisch 275 t. 429.
Ethik 202 f. 269 f.
Ethnologie IL 38 f. 118.
Eucharistie 11. 240. 324fr 424. 427. 435.
442. 444. 47° ff- 532.
Eudämonismus 60 ff. 70. 91. 148. 193 f.
189 f. 194. 196. 202 ff. 307. 340. 370 f.
414. 484.
Evangelische Kirchen 427 f. 432 f. 436f.
451" ff. 457. 459 ff. 467. 474 ff- 54i.
Exerzitien 56. 321. 527.
Exil, jüdisches 237 f. 348. 382. 390. 422 f.
431- 475- 538.
Familienvater 54. 154. 517.
Fasten 479 f. 482.
Feindesliebe 197. 368. 461.
Feldgottheiten 109. 114. 136. 143.
Feste 151. 164. 450 ff. 456 f.
Fetisch in. 114. 136. 141. 143.
Feuer (Gottheit) 62. 69 f. 7$. 1 14. 126. 141.
Fluch 66. 106. 193. S. auch Rachegebet.
Folklore s. Volksfrömmigkeit.
Frage an Gott 58 f. 176. 350 f. 359 ff. 380 ff.
Fragebogen in der Psychologie 13. 20.
Frau, Stellung im Kult 54.
Freundschaftsverhältnis religiöser Männer
und Frauen 273.
Freundschaftsverhältnis zu Gott 143. 199.
310. 320. 333 f. 400.
fruitio dei 252. 311 f. 338.
Fürbitte 44. 69 ff . 195 f. 204. 214. 240.
348 f. 352. 366. 414. 421. 458 ff. 534.
Fürbitte für den Herrscher 69 f. 1 74. 460.
54o.
Fürbitte für die Toten 70. 462.
Furchtaffekte 42. 145 f. 350 f. 355 f. 379 f.
402. 478. 484 f.
Gäthas s. Avesta.
Ga-tum-dug (Göttin) 143.
Ge s. Erde.
Gebärde s. Gebetsgestus. . .
Gebärdensprache 98.
Gebet, anhaltendes 89. 368 f. ^76 ff.
Gebet, Anlaß zum 41 ff. 151. 164 ff. 184.
224 f. 285 ff. 348 ff. 431 ff. 484 f. 488 f.
Gebet, bedingtes 206. 215. 386 f.
Gebet, formelhaft gebundenes 40. 150 ff.
288 f. 354. 437 f. 480 ff. 538.
Gebet, freies 39.48 f. 194. 220 f. 288. 354 ff.
405. 425 ff. 436. 439. 472. 539.
Gebet im Namen Christi 240. 375. 465. 540.
Gebet als gutes Werk 479 ff.
Gebet, Geschichte des 4. 11. 237 f. 422.
Gebet, gemeinsames, s. Gemeindegebet.
Gebet, gesetzliches 405 f. 479 ff.
Gebet, die dem Gebet zugrunde liegende
Gottesvorstellung 131 ff. 179 f. 199.
209 ff. 220 ff. 317 f. 393. 467 ff. 482.
Gebet, Inhalt des 7. 58 ff." 153. 168 f. 185 ff.
194 ff. 203 ff. 228 f. 290 ff. 328. 337 ff.
343- 358. 414 ff- 444 ff- 481.
Gebet, inneres, s. Gebet, wortloses.
Gebet, lautes 7. 27. 133. 148 f. 357. 505.
Gebet, leises 7. 152. 472.
Gebet, literarisches 1 1. 27 ff. 203 ff. 355 ff.
Gebet, liturgisches 32. 150 ff. 159 t'. 240.
421 ff. 48 1. 537.
Gebet, mechanisches 154 f. 231. 404 ff.
484 f. 54i.
Gebet, Motiv ^uni s. Gebet, Anlaß.
Gebet als Pflicht s. Pflichtgebet.
Gebet, metaohysische Rechtfertigung des
216 f.
Gebet, nachgeahmtes in der Dichtung 35 f.
Gebet ohne Unterlaß 208 f. 223 ff. 410. 521.
Gebet, pädagogische Wertung des 200 f.
216 f.
Gebet, regelmäßiges 43 f. 151. 193 f. 353 f.
479-
Gebet, spontanes 33. 48 t. 220. 224 f.
352 ff. 411 f. 415 f. 436. 439.
Gebet, sprachliche Termini für 72. 99 ff.
109. 508.
Gebet, Urform des 38. 127.
Gebet, verdienstliches 405. 479 ff. 487. 491.
Gebet, das im G. sich äußernde Verhältnis
zu Gott 139 ff. 153. 180 f. 188 f. 199. 210.
319 f. 397 ff- 414. 419. 467 f- 490.
Gebet an viele Götter 128. 153. 179. 181.
198. 5 J5-
Gebet, wortloses 11. 27. 36. 75. 98 f. 225 f.
235. 247. 273. 298 f. 339 f. 342. 355- 4i4.
527 f- 530.
Gebet u. Zauberspruch 8. Zauberspruch.
Gebet, Wertphilosophie des 13.
Sachverzeichnis
553
Gebet, Wesen des 486 ff.
Gebet, Wirkungen des 13. 228 f.
Gebet, das zentrale Phänomen der Religion
218 f. 494.
Gebetbuch 33. 246. 321. 428.
Gebetlose Stämme 39. 48 f. 1 24.
Gebetsanleitung 30 f. 34 f. 231. 320 ff. 407.
422. 432.478. 485. 487.
Gebetsanrede 58 f. 84. 121. 140. 153. 168.
337 f- 407- 4ö'4.
Gebetsdichtung 33. 157 ff. 416 f. 419.
Gebetserhörung 15. 35. 91. 140. 155. 181.
397 f. 468. 516. 528.
Gebetsformen, Mannigfaltigkeit der.
Gebetsformel 7 f. 38. 41. 49. 55. 57. 69.
100. 128. 150 ff. 165. 181. 194. 233. 287.
354 ff. 404 ff. 425 ff. 430. 437. 470. 472.
476. 479 f. 486. 488. 517.
Gebetsformulare 32. 34. 152. 424 ff. 436 f.
539-
Gebetsgespräeh 51 f. 337.
Gebetsgestus u. -haltung 6 f. 36 f. 41. 75.
98 f. 149. 321. 407. 440 f. 480. 504 f.
Gebetshandschuh 105.
Gebetsideal, philosophisches 15. 202 ff.
220 f. 321. 346. 365. 377. 486. 488. 491 ff.
Gebetsideal, religiöses 35. 69. 232. 235.
404 ff. 422. 485.
Gebetskritik, philosophische 7 f. 202 ff.
220 f. 371. 486. 520.
Gebetsleben 221 f. 410 ff. 521 f.
Gebetslied, primitives 157 ff.
Gebetsnorm 203 ff. 228 f. 382 f. 389 f.404ff.
Gebetsort 135 ff. 149. 229 t'. 394 t'.
Gebetsparadigmen 22 f. 407. 425 f. 436.
Gebetsrichtung 135 ff.
Gebetsriemen 105. 485.
Gebetssprache 148 f. 240. 440 f.
Gebetsstimmung 145 ff. 287.
Gebetsstufen 7 f. 268. 309 t. 530.
Gebetssurrogat 207 f.
Gebetstheologic 36. 216 f. 388 f.
Gebetstypen 1 2 f. 486 ff.
Gebetsübung 224 f. 354.
Gabetsversammlung s. Gemeindegebet.
Gebetszustand s. Gebet, wortloses.
Gefühllosigkeit, religiöse s. siccita6.
Gegenwart Gottes 24 t. 135 ff. 149. 210.
221 f. 224 f. 262. 290 f. 295 f. 311 f. 316.
318 f. 332 ff. 329 f. 336. 342. 345. 35of.
393 '• 4<>7- 474 ff. 4«9 f. 492.
Geist, Heiliger 224. 255. 353. 405. 439.
Gelassenheit s. Krgebung, Indifferenz.
Gelübde 49 f. 64. 78 f. 97. 103. 145. 153.
269. 27},.
Gemeindegebet 9. 2 1 f . 154 f. 240. 368.
421 ff. 479 ff. 487.
Gemeinschaft, religiöse 21. 24 f. 44. 53.
272 ff. 421 ff. 478 ff. 527. 539.
Genießen Gottes s. fruitio dei.
Genius s. Schutzgott.
Genius, religiöser 19. 24 f. 32 t. 38. 148 f.
200. 217 f. 220 ff. 410 ff. 478. 486. 488.
Genugtuung 480.
Gesang 55. 152. 159. 165 f. 443. 540.
Geschichte, Bedeutung für die Frömmigkeit
233 f. 262«. 279 f. 375- 380. 446.
Geschichtsphilosophie 15. 262 t. 450.
Geschlechtliche Vereinigung mit Gott 331 f,
335-
Gesetz, religiöses 21. 265. 478 ff.
Gesetzesreligion 163. 235. 250. 274. 478 ff.-
Gesetzmäßigkeit des Weltgeschehens 210.
Gitagovinda 336.
Glaube 255 ff. 265. 271. 285. 352. 379 ff.
416 f. 535.
Glaubensbekenntnis, apostolisches 481.
Gleichmut s. Ergebung, Indifferenz.
Gloria 437. 440. 466.
Glossolaie s. Zungenreden.
Gnade 224. 268. 272. 311 f. 353. 379 ff.
416 f.
Gnosis,Gnostiker 233 f. 259. 282.331 . 333f.
Götterbild, -statue 74. 85. 87. 103 f. 106.
in. 135 ff. 141 f. 161 ff. 210. 323 ff. 331.
Gottesbegriff, -Vorstellung 209 f. 259 ff.
488 f. 525. S. auch Gebet, die dem Gebet
zugrunde liegende Gottesvorstellung.
Gottesdienst, s. Gemeindegebet, Liturgie.
Gottesglaube, Entstehung des 42 f. 129 ff.
Gotteshaus s. Tempel.
Gottesliebe 188 f. 207. 252. 286. 293 f..
302 f. 3ioff. 316. 328. 335 ff. 342 f.
Gottesreich s. Reichgotteserwartung.
Gute Werke 75. 405 f. 478 ff.
Gut u. Bös, jenseits von 269 ff . 281.
Gruß 46. 80 f. 82 f. 100. 117 ff.
Haar 74. 107.
Händeerheben s. Ausbreiten der Arme.
Händefalten 103. 105 ff. 321. 512.
Händehaltung beim Gebet, s. Gebetsgestus.
Händeklatschen 102. 105.
Händekreuzen 103. 106 f. 321.
Händeverhüllung 105. 107.
Häuptling 54. 57. 70. 86. 108. 117. 145-
150. 154. 514.
Hauptentblößung 104 ff.
Hauptverhüllung 104. 107 ff.
Hausgottesdienst 476.
Heil 228. 262 ff. 293. 328. 362 ff.
Heilgötter 112.
Heilige Objekte 46. 103 f. 130. 132. 322.
475. 482 f. 492.
Heiligenkult 69. 75. 79. 104. 130. 132.
Heilsgeschichte 264 f. 279. 446 ff. 481.
Heilsgewißheit 256. 349. 422. 431 f. 445 f.
Heilsskala 268. 286. 291 ff.
Heilstaten Gottes 262 ff. 269. 375. 446 ff .
Heilsverlnngen 220. 272. 349. 422.
Henotheisnius 171 ff. 182 t'.
554
Sachverzeichnis
Heroenkult 115. 130. 178.
Hestia 195.
Hesychiasten 288.
Heulen beim Gebet 86 f. 149.
high gods s. Höchstes Wesen.
Himmel als Sitz Gottes 119 f. 138.
Himmelsgott s. Höchstes Wesen.
Hinayäna 248.
Hiang-bien-schangti 124. 199.
Höchster Wert 46. 260. 334 f. 409. 491 ff.
S. auch summum bomum.
Höchstes Wesen (der kultarmen Völker)
48 f. 59 f. 69 f. 72. 74. 84. 86. 88. 91.
95 f. 118 ff. 129 ff. 133 ff. 138. 141 ff.
146. 170 f. 178 ff. 199. 5 14 f.
Höfisches Verhältnis zu Gott 181.
Hoffnung 42. 91. 351. Vgl. Zuversieht.
Hohes Lied 332 f. 336. 532.
Homerische Hymnen 183.
Hosanna 442.
Hüpfen beim Gebet 102. 106.
Haitzilopochtli (Gott) 169.
Huldigung 80 f. 153. 171 ff.
Humanität 205.
humilis 103.
Hybris (Übermut) 66. 200.
Hymnen 6 f. 33 f. 39 t. 47 i. 69. 80 f. 133.
157. 233 f. 243. 288. 323. 325. 391. 444.
466.
Hymnen, literarische 33L iS2ff. 235.
332 f. 41 1 f. 486. 493-
Ich, Ichbewußtsein 47 f. 141. 268. 272. 286.
316. 334 f. 350 ff. 361. 414.
igvara 323.
Idealreligion 25. 202.
Idol s. Götterbild.
Idololatrie 210. 324.
Imitatio Christi s. Thomas v. Kempis
(Namenverzeichnis).
Independenten 274 f. 368. 405.
Indifferenz 207. 252. 284. 293 f. 308. 3 i4ff.
341 ff. 370. 387 f.
Individualpsychologie 13. 16.
Individualismus 232. 272 ff.
Indra 169 f. 178.
Inkas, peruanische 184. 187 f.
Inkubation 1 04.
Inspiration, künstlerische 24 t. 410.
Inspiration, religiöse 24. 182. 265 f. 353.
410. 415.
Intellektualismus V. 4 f.
Intervention von Göttern 128.
Interzession 126 ff. 134 f.
Irrationaler Charakter der Religion V. 19.
147 f. 219 f. 494 f.
Ischtar 116. 142. 164. 171. 175 ff. 178. 331.
Isis 116. 143. 151. 178. 324. 460. 540.
Islam 8. 75. 81. 99 ff. 104 f. 101. 128. 235 f.
149. 265 f. 274. 278. 315. 432 f. 334. 474.
478 ff. 516. 539.
Jahwe 58 f. 71. 73. 79.91. 115. 136 f. 515.
Jenseitshoffnung 67. 70. 279ff.297.332.527.
jhäna s. Versenkung.
Jubelruf 45. 47. 160. 164 ff. 349.
Judentum, nachexilisches 75. 128. 163.
235. 265 f. 274 ff. 396. 401. 404 ff. 431.
445 ff- 453 ff- 474- 478 ff. 521. 54o.
S. auch Synagoge, Talmud.
Jungfräulichkeit 331 f.
Jupiter 71. 124. 136. 140. 516.
Juridische Auffassung des religiösen Ver-
hältnisses 152. 156.
y.akvxäya&la 192.
Kanonische Bücher 182. 265.
Kathartik s. Reinigung.
Katholisch, Katholizismus 11. 41. 69. 75.
116. 241 ff. 265. 276. 279. 345. 427 t.
471 ff. 478 ff.
Keuschheitsopfer 133. 331. 513. 515.
Kind, göttliches 333 f. 337.
Kindschaftsverhältnis zu Gott 90 f. 120 f.
141 ff. 146 f. 149. 181. 238. 310. 320.
375 ff. 401 f.
Kirchenjahr 426 f. 450 f. 456.
Kirchenlied 3. 19 f. 444.
Kirchensprache 151 f. 427 f. 471 f. 475.
Kirchenväter 203. 233 f.
Klage im Gebet 42. 59 f. 175 ff. 338 f. 351.
359 f. 382.
Klagehymnen 134. 166. 175 ff. 190.
Kleidung, liturgische 153.
Klopfen an die Brust 103.
Klopfen auf die Erde 103. 136.
Klöster, Klösterfrömmigkeit 1 1. 233. 241 ff.
276. 332 f. 479.
Knechtschaftsverhältnis zu Gott, s. Unter-
tanenverhäl tni s .
Knien 105. 107.
Körperhaltung beim Gebet, s. Gebets-
haltung.
Kommunion 7^. 325. 471 f. 531 f. S'auch
Eucharistie.
Kommuniongebete 325 f. 467.
Konfession 29.
Kontemplation 46. 94. 189. 207. 215 f.
241 f. 252. 264. 268. 279. 286. 298 ff.
308. 314. 321. 323. 329. 341. 348. 357.
360. 376. 384. 391 ff. 396 f. 41 1 ff- 467 ff.
486. 490. 492 ff. 527.
Kontrasterlebnis 286. 296 ff. 304 f. 394.
Konzentration 284. 290 ff. 309 f. 314. 317.
328 f. 337. 341. 358. 492.
Koran 479 ff.
Kosmogonie 161. 164. 169 f.
Krankheitsgeister 60. 84 f. 112. 114.
Krieg, heiliger 274.
Kriegsgötter 112. 114. 168 f.
Krischna 285. 333.
Kult 17. 122. 123 t. 274. 323 ff. 422 f.
475 f- 541-
Sachverzeichnis
555
Kulthymnus 33 f. 53 f. 128. 159 ff- 221.
250. 429 f. 440. 467. 486. 488. 491. 518.
Kultlied, primitives 157 ff. 162 ff.
Kultur 19 f. 22 f. 38 ff.
Kultur u. Religion 115. 192. 200. 276 ff .
Künstler, künstlerisches Schaffen 20. 24 f.
35. 233 f. 410 ff. 487. 492 f.
Küssen der Idole 103 f.
Kunst 11. 36. 99. 221. 276 f. 321.
Kußhand 103. 107.
Kyrie eleison 437. 442. 467.
Laien 184. 434 f. 471. 480.
Landeskirchen s. Evangelische Kirchen.
Laren 1 1 3 f .
Latreutischer Sakramentskult 325. 473.
Leben, Wille zum 42 f. 148. 220 f. 250. 348.
351. 384. 388. 489.
Lebensgrundgefühl 94. 248. 256. 268.
Leidenschaft s. Affekt.
Liebe 334 f. 492. S. Gottesliebe.
Lied, geistliches, s. Kirchenlied.
Li-ki 163.
Litanei 128. 153. 175. 179. 442. 480.
Liturgie 21. 102. 423 ff. 475. 539. S. auch
Ritual.
Liturgisches Gebet s. Gebetsformel, Ge-
meindegebet, Kulthymnus.
Lobpreis 9. 81. 89. 134. 153. 157 f. 159.
168 ff. 180. 185 ff. 207. 301 ff. 330. 344.
349 f. 372. 391 ff. 4H. 444. 463. 467.
479 ff. 54°.
Lösen s. Binden u. Lösen.
Logos 262.
Lohnmotiv, religiös-ethisches 478. 482.
Lokalgottheiten 113 ff. 129 ff. 135 ff. 141.
178. 198.
Macht s. Zauberkraft.
Madonna 144. 175. S. Marienkult, Mutter-
göttin.
Magie 12 f. 18. 55.68. 71. 104. 106 f. 117.
130 f. 161. 164. 182. 191. 331. 400. 470.
475- 483.
Mahäyäna-Buddhismus 235. 274.
Mahl, heiliges 75 ff. 324. 469. 471.
Makkabäer 423. 431. 538.
Mana s. Zauberkraft.
Mantik 191. 199.
Maranatha 369. 408.
Mirduk 116. 127. 143. 170 f. 174. 178.
Mtrii'nkult 59. 116. 142 f. 149. 473.
Mars 51. 116. 141. 157.
Mirtyivrkult s. Qeiligenkult.
M itirialismus 202. 213.
Mazdaismus 75'. 77. 105. 163. 235. 265. 274.
278 f. 430. 478. 480 f. 483 f.
Meditation 46. 94. 101. 168 f. 176. 185 ff.
214. 228 f. 258. 268 f. 285. 287 f. 309 ff.
318. 320 ff. 354. 397 f- 43^ f- 481. 483 f-
486. 527. 531.
Menschenopfer 7},.
Messe 325. 423 f. 427 f. 437. 472 f.
Messias 272.
Metaphysik 15. 19 f. 24 f. 202 f. 209 ff. 490.
Mienenspiel 99.
Minne s. Gottesliebe.
Mischna 479. 481. 516.
Missale Romanum 440 f. 451. 455 ff. 459.
461 ff. 472 f. 521. 532. 540.
Mission 273 f.
Mithraskult 48. 323. 528. 530. 532. 538.
Mittelalter 11. 18. 235. 241 ff. 250. 274 f.
279. 284 f. 287. 332. 473. 480 f. 530. 534.
S. Katholisch.
Mittelwesen 127 ff. 134.
Mönchtum 273. 278 f. 288. 400.
Mondgott 127 ff. 134.
Monismus 15. 215 f. 281 f.
Monolog 15. 212 f.
Monotheismus 72. 131. 163. 198.
Morgengebet 43. 62. 66. 69. 91. 101. 151.
154. 193. 479 f.
Morgenröte (Göttin) 186. 188 f.
Mortifikation s. Affekte, Unterdrückung
der.
Mundverhüllung 105. 107.
Musik im Kult 159. 165 f.
Muttergöttin 116. 142. 146. 178.
Mysterien 50L 71. 101. 104. 141 f. 289.
470 ff. 525 f.
Mysterienkulte, synkretistisch-hellenisti-
sche 151. 165 f. 223. 233. 282. 285. 322 ff.
331. 333 f- 425. 429 f. 460f.470f.476. 540L
Mystik 11. 13. 23. 30 f. 35 ff. 46. 75. 103.
162. 189 f. 193. 200. 206 f. 220 f. 224 ff.
241 ff. 248 ff. 284 ff. 350. 353. 355. 357 f.
360 f. 368 f. 376 f. 383 f. 386 ff. 392 f.
395 ff. 401. 404. 407 ff. 421. 431 f. 444 f.
462 f. 468 f. 472. 478 ff. 484 f. 490 ff.
523. 530. 534.
Mystik, ästhetisch-romanische 188 f. 410 ff.
492.
Mystik, christliche 23^. 282. 324.
Mystik, erotische 30 f. 241 ff. 255. 285.
317 f. 331 f. 533.
Mystik, eucharistisch-sakramantale 285.
322 ff. 473 f. 532.
Mystik, unpersonalistische 241 f. 251 f.
255 f. 285. 287. 290. 317. 322.
Mystik, personalistisch-theistische 250 f.
255. 261. 285 f. 319. 335-
Mythus, Mythologie 17. 21. 68 f. 135. 147 f.
162. 164 f. 168 f. 195. 517.
X ulnhinende Ritualhandlung 469 f.
Nachahmung, Nachfolge religiöse 21. 388.
488.
Ni 'hstrnliebe 271. 366 f. 458 ff.
Nacktheit, kultische 104. 105 f. 504. 512 f.
Naive Religion 17 ff. 220 ff. 415 ff. 488 f.
Naivität 58. 148. 258.
Nfamen Gottes s. Anrufung, Epitheta.
556
Sachverzeichnis
Nationalreligion 161.
Natürliche Religion 193. 218 f.
Naturbetrachtung, ästhetische 1^2. [85 ff,
39 j f. 411 ff. 492 f.
Naturgeister u. -götter 73. tio. 1131t'.
r iS f. 121 f. 129 ff. 134 f. 141 f. 178. 189.
198.
Naturvölker s. Primitive.
Naturwissenschaft V. 211.
Neigen beim Gebete 101. 106.
Neptun 116. 141.
Neues Testament 9.
Neuplatonismus 200. 203. 233 f. 242 f. 248.
268 f. 282. 285. 290. 309 f. 319. 345. 421.
Neupythoreismus 203. 289.
Niesen 95.
Ninib 169. 174.
Nin-lil 175.
Nirväna 252 ff. 260. 268. 274. 279. 311 f.
316. 346. 487. 493.
Nonnenfrömmigkeit 19 f. 29. 242 f. 272.
285. 326. 331 f. 532.
Numen 46. 132.
Offenbarung 230 f. 261. 264 f. 353. 478.
Offenbarungsreligion s. Prophetische Reli-
gion.
Opfer 45. z.;. 71 ff. 82 f. 85. 96 f. 102. 104.
117 f. 121. 125 ff. 130 f. 133. 136 f. 148.
150 ff. 161 f. 164 f. 168 f. 191. 193 f. 199.
203. 210. 213. 221. 274. 331. 422 f. 427 f.
469. 472. 482. 509 f. 521.
Opfer, geistiges 2i6f. 304. 343. 364. 423.
468. 482 f.
Opfer, Verhältnis zum Gebet 71 f. 221. 468.
509.
Opfergebet 53. 75 ff. 96. 116. 149. 152 ff.
163. 179. 304. 343.
Opfermahl 75.
Optimismus 248. 278. 411.
Orakel 65. 137. 161,
oratio mentalis s. Gebet, wortloses.
Orden s. Klöster.
Orientation s. Gebetsrichtung.
Orphiker 221. 233 f. 250.
Orphische Hymnen 184. 273.
Osiris 168 ff. 178.
Ostkirche n. 324. 400. 427 f. 447. 450 f.
466. 471 f.
Pädagogik des Gebets s. Gobetsanleitung.
Pantheismus 131. 162. 189. 211. 301. 392.
411 ff. 490. 492.
Pantheon 115. 128. 134. 178 f. 191. 198 f.
Parallismus rnembrorum 157. 167.
Parsismus s. Mazdaismus.
Pathologie 13. 333 f.
Patrongötter 112 ff. 129 f. 178. 193. 198 f.
Pessimismus 248 f. 370. 411.
Pfeifen 48.
Pflichtgebet 9. 479 ff . 487. 491.
Phänomenologie 1 3. 24. 489 ff.
Phallische Symbole 331.
Phantasievorstellung 251/. 2S7. 310 f.
334 ff. 342.
Philologie, klassische. 6.
Philosophie V. 7 f. 19 f. 36. 203 ff. 233 t.
258. 265. 278. 336. 492.
Pneumatiker s. Charismatiker.
Pietismus 235. 241. 284. 311 f. 332 f.
Polytheismus 129 t. 141 f.
Positivismus 202. 213.
Präfation 437. 440 ff. 447 ff. 540.
Präsenz Gottes s. Gegenwart Gottes.
Predigt 432 f.
Preußische Agende 429. 451. 461.
Priester 49. 53 ff. 65. 67. 86 ff. 91. 150 ff.
161 ff. 183 f. 203. 223. 430 f. 435 ff.
471 ff. 486 ff. 491. 507. 517. 532.
Primitialopfer s. Erstlingsopfer.
Primitive Religion 12 f. 18. 23. 38 ff. 157 ff.
161 f. 174. 181. 193. 197 ff. 202 ff. 220 ff.
284. 289. 33° f- 334- 34o. 356- 360. 372 ff.
393 ff- 399 ff- 409. 4i5- 422. 430. 434.
436. 468. 475. 479. 486 ff. 491 f.
Primitive Völker 12. 18. 26. 30. 38.
Prophetische Frömmigkeit, Religion 23.
37. 89. 148. 163. 190 f. 200. 220. 224 f.
241 f. 248 ff. 284. 415. 422. 430. 434.
436. 468 f. 478 f. 485. 487. 490 f.
Prophetismus, israelitischer 191 ff. 221.
233 f. 264 f. 269 ff. 273 ff. 347. 349. 366.
370. 400 f. 422. 525.
Prostitution, sakrale 331.
Prostration beim Gebet ioo. 105. 107.407.
Prozession 104.
Psalmen des Alten Testaments 8. 33. 59.
62. 149. 163. 183 f. 189 f. 221. 233. 238.
241 f. 256. 262. 347 f. 350. 355. 357 ff.
370. 373 ff. 379. 382. 384. 389 ff. 397.
401. 411. 423 f. 442. 479. 520.
Psychanalyse 334.
Psychologie VI. 20. 247.
Psychotechnik 259. 269 f.
Puritaner s. Independenten.
Quäker 358. 436. 438.
Quetistische Mystik 36. 233 f. 258. 265 ff.
274. 284 f. 289. 308. 314 ff. 34i ff- 37°-
Rachegebet 64. 66. 193 f. 360.
Rationalismus 4. 210 ff. 235. 429.
Rechtfertigung 256. 268 f.
Reformation, Reformatoren 4. 32. 233, 246.
256. 264 t. 274 f. 346. 402. 404. 427 f.
433- 453- 457- 46i. 47°- 474 ff. 485.
Reformierte Kirche 245 f. 427 f. 453 f.
474 f-
Reformreligion 21. 202. 218. 271.
Reichgottes-Erwartung 264. 272. 277 ff.
369. 377- 397- 409. 421. 424. 43 1 f- 454.
540.
Reinigung 106. 150. 161 f. 164. 177. 191.
292. 328.
Sachverzeichnis
5Ö7
Religionsgeschichte, allgemeine 3. 6. 16. 23.
Religionsphilosophie 15. 24 f. 24S.
Religionspsychologie 13. 16. 20 ff. 24. 34 t.
248.
Religionswissenschaft, vergleichende 12. 17.
Resignation 205 ff. 218. 229. 251. 304. 336.
341 ff. 387 f. Vgl. Ergebung, Indifferenz.
Responsorium 55 f. 240. 383. 442 f. 472.
539-
Rhytmus 157 f. 161. 291. 298. 357. 443.
Rigveda 38. 44. 61. 63. 66. 69. 82. 86. 88.
91. 141. 163 ff. 186.
Ritual 67 ff. 131. 133. 150 ff. 157. 161 ff.
182. 194. 213. 434. 48*6. 510 ff. 517.
Ritus 2 f. 21 f. 69 f. 150 ff. 233. 470 f. 473.
Römische Liturgie 8. Missale Romanum.
Rosenkranz 473. 480 f. 484.
S:ikralstil des UturgischenGebetsiS;. 429 f.
439-
Sakramentalismus 275 f. 322 ff. 430. 470.
531.
salät 7. 101. 430. 432. 434. 479 f.
Sakrament shäusehen 325.
Sämaveda 67. 165.
Sämkhya 233.
Sammlung s. Konzentration.
Sanctus 8. Trisagie.
Schamach (Gott) 126. 170.
Schauen Gottes s. Kontemplation.
Schicksalsmacht Gottes 119. 132.
Schi-king 163.
Schiva 190. 323.
Schlangenkult 114.
Schma 423. 445 f- 456. 479 ff. 539-
Schmone Esre 99. 423. 425. 437. 442. 444 f.
454 f. 458. 473- 479 f.
Schnalzen 47.
Schöpfergott s. Höchstes Wesen.
Schriftlesung 423. 432.
Schuldbewußtsein s. Sündengefühl.
Schutzgeist 102. in. 113. 126. 176 f.
Schwedische Landeskirche 428. 451. 454.
457-
Schweigen, religiöses 54. 289. 342. 516. 528.
Seelenstoff 111. 114. 131.
Segenswunsch 81. 170t.
Sekten, christliche 276t. 368.427. 432. 435 f.
439 f- 455- 474- 47^.
Selbstbeobachtung 21. 35. 247. 258. }io.
358.
Selbstbewußtsein s. Ich.
8 Ibsterkenntnis 364.
Selbsterlösung 268.
Selbstgespräch <m- ->>•
8elbstlob 85 f.
Seibetverurteilung 88. 268. 364. 378 t';.
Selbstzeugnis ig. 22. 34 ff.
Sexualaffekt 334.
siceitM 336. 338 f. 341 f. 355. 524. 533.
Sichniederwerfen b. iVostmtion.
Siebenzahl 530.
Siksch 383.
Sin (Gott) 168. 172.
Sittlichkeit u. Religion 2 f. 86. 88. 93. 187.
192. 229. 259 ff. 268 ff . 281 f. 365. 229.
259 ff. 268 ff. 281 f. 365.
Sitzen beim Gebet 101. 117.
Skepsis 213.
Sola fides 256. 259.
Sondergötter 112 ff. 1291. 506. 513.
Sonnenkult 61 f. 95. 114 f. 128. 138. 142.
169 ff. 184 ff. 194. 512.
Sozialbeziehungen, Reflex von, s. im Ver-
hältnis zu Gott 139 ff. 181. 211 f. 311.
319. 331 f. 401 ff. 469. 490.
Soziologie 16. 21. 24. 262 ff.
Speichel 63. 74. 89. 108.
Speiseopfer 73 f. 130. 133. 179.
Stammesgötter s. Lokalgötter.
Stehen beim Gebet 100. 105. 441.
Sterngottheiten 103. 109. 138. 142.
Stiftshütte 137 f.
Stigmatisierung 29. 299.
Stoa 202 f. 205 ff. 211. 236. 387.
Stoßgebet 49. 288 f. 354 f. 517. 527.
Stundengebet 443. 480.
Sühneritual 164. 175 f.
Sünde. Sündengefühl 88 f. 91. 17(1. 195.
267 ff. 287. 293. 349- 378. 452.
Sündenbekenntnis 88. 176. 262 f. 304. 378.
452.
Sündenvergebung 69. 134. 138. 176. 189.
262. 267. 361 f. 378 f. 390. 452 f.
Süfi, Süfismus 19. 207. 233. 236. 249. 254.
258. 265. 273. 276. 284. 309. 533. 345.
41 1. 421.
summum bonum 242. 251. 260. 286. 290.
298 ff. 311 ff. 319. 329. 334. 340 ff. 346.
358. 391 f. 396 ff. 407 ff. 415-
supplicatio 103.
Synagoge, synagogaler Gottesdienst 423 ff.
430. 432 ff. 441 f. 444. 467. 469. 474 ff .
479- 538.
Synkretismus der Kulte u. Göttervorstel-
lungen 145. 161 ff. 189. 199.
Synkretismus, hellenistisch-orientalischer
Mysterienkulte, synkretistische.
Tabernakel 137. 325 ff. 473. 531.
Tabu, Taburiten 46. 88. 108 f. 130 ff. 137.
153. 177. 422.
Tatigkeitsgötter 1 1 1 ff. [29 ff, 13^. 178.
198.
Tallith 105.
Talmud 8. 437. 4.67. 470 ff. 484. 539.
Tammuz 164.
Tanz 104. [59.
Tuoismus 249 f. 2; ;.
Tellus (Göttin) 1 12. 141.
Tempel 30. 83. 102. 103. 136 ff. 140. 161.
167. 323. 593. 395.
Ö58
Sachverzeichnis
Tempel zu Jerusalem 137 f. 393. 395. 423 f.
482.
Tempelbibliothcken 163. 166. 168.
Terminologie 149.
Theismus 209 f. 216 f. 490.
Theodizee 60. 359 f.
Theologie V. VII. 4. 20. 35 f. 135. 161. 165.
m. 388 f. 485.
Thot (Gott) 171. 178. 528.
Tiergottheiten 110. 114. 136. 143.
Tischgebet 9. 12. 45. 95 f. 154. 193 ff. 214.
391.
Toleranz 274.
Totentiere 109.
Totengeister 75. nöf. 121. 128. 136. 143 f.
191.
Totenklage 48 f. 55. 60. 94. 130 513.
Totenkult 104. 107. 1 16 f. 131. 164. 513 f.
Tradition, religiöse 21. 32 f. 151. 166. 374.
Tränen beim Gebet 80 f. 321. 407.
Tragiker 34. 38. 181.
Trinität 426. 464.
Trisagion 10. 437. 443.
Typen der Religion 23.
Überredungsmittel beim Gebet Soff. 181.
372 ff.
Umgang, sakraler 161. 104. 107t. 505. 513.
Unendlichkeitsmystik s. Mystik, imper-
sonalistische.
Untertanenverhältnis zu Gott 144 f. 149.
199 f- 310- 32°- 4OI>
Upanischaden 19. 233 f. 248 f. 253 f. 258 f.
265. 272 f. 284 f. 301. 322. 325. 525.
Urchristentum 240 t. 265. 274. 278. 358.
368. 398. 432. 435 ff- 443- 456. 47° ff-
474 f. 476- 479.
Urmonotheismus 118. 130.
Urreligion 148.
Urvater s. Höchstes Wesen.
Varuna 124. 175. 177. 179. 189. 199.
Vatergott s. Kindschaftsverhältnis.
Vaterunser 11. 31. 240. 342. 355. 360. 368 f.
377. 406 f. 443. 480 ff.
Veda 7. 68. 86. 115. 150. 152. 160. 162.
164 ff. 431. S. auch Rigveda.
Vedänta 233 t. 248. 421.
Verbeugung beim Gebet s. Neigen.
Verdienstlichkeit s. gute Werke.
Vereinigung mit Gott s. Einigung.
Vergottung 223. 322 ff. 525.
Verhüllung im Kult 104 t. 106 f. 504 f. 5 13.
Verkündigung, religiöse 273 f.
Vernunftreligion, s. Natürliche Religion.
Versenkung VII. 7. 11. 15.' 207. 216 f. 221.
232. 235. 241 f. 268 f. 285. 287. 290 f. 319.
345 f- 358. 41- f- 486. 490. 493 f.
Versenkungsstufen 7. 268 f. 310 ff.
Versöhnungstod Jesu 269. 375. 470.
Vertrauen s. Zuversicht.
Verwandtschaftsverhältnis zu Gott 59.
140 f.
Verzückung 231. 251 f.
Viktoriner 233.
Vision 232. 258. 265. 272. 284. 342.
Vischnu 323. 333.
Vischnu-Puräna 300. 529.
Völkerpsychologie 13. 17. 39.
Volksfrömmigkeit, -religion 9. 13. 17. 38
41. 46. 57. 59. 67. 75. 79. 84 f. 87. 89.
104. 116 f. 145. 178. 191 f. 202. 233. 240 f.
250. 274. 284. 479-
Wallfahrten 75. 137. 140. 480.
Wassergottheiten 114. 128. 136. 141.
Weihgeschenk 74 t. 133.
Weltbürgertum 205.
Weltverachtung 248 f. 258. zjj.
Werte, Wertgefühle 19. 66. 182 f. 185. 192.
251 ff. 262. 272. 277. 287. 298. 304.
34Sff. 361. 409. 411. 467. 483.
Wertphilosophie 15. 24 f.
Wunderglaube 256.
Yajurveda 150. 152.
Yascht 163. 167. 179. 430.
Yenhe hatam 481.
Yoga 7. 101. 233 f. 258. 268. 284 f. 310.
317. 53o.
Zauberer 55. 57. 64. 117. 150.
Zauberkraft 46. 55 f. 73. 108 ff. 117. 130 ff.
156." 182. 231. 393. 483. 491 f. 515.
Zauberspruch 7 f. 12 ff. 38 f. 117. 1 24 f .
131. 150. 152 t. 156. T63. 182. 194. 471.
480. 483 f. 518.
Zauberwesen s. Magie.
Zeremoniell 99 f. 1 54 ff. 426.
Zeus 51. 59. 83. 115. 124. 157. 191. [95 ff-
205, 516.
Zorn Gottes 86 f. 89. 134. 177.
Zungenreden 271. 358. 433. 435.
Zuversicht 59. 89 ff. 189. 220. 223. 238.
241 ff. 255. 262. 268. 281. 284. 362 t.
379 ff- 393- 398 f. 402 f. 4«5- 407. 4i8 f.
484 ff. 486.
Anmerkung des Verlegers. Auf vielfach geäusserte Wünsche hat sich der
Verfasser entschlossen alle fremdsprachlichen Zitate aus diesem Buche ins Deutsche
zu übersetzen. Es war nicht mehr möglich diesen Anhang dem Buche selbst bei-
zugeben, er steht aber allen Lesern des Buches gegen Einsendung des Betrages von
50 Pfg. zur Verfügung. Die Zusendung dieses Nachtrages erfolgt dann entweder
direckt durch den Verlag oder durch eine Buchhandlung.
München Ernst Reinhardt Verlag.
Verlag von ERNST REINHARDT in München
Vom gleichen Verfasser erschien:
Die buddhistische Versenkung
Eine religionsgeschichtliche Untersuchung
von Friedrich Heiler
1918. VI. 93 Seiten. Preis Mk. 3.60
H. L. Held-München im „Reich" Oktober 1918:
„Als eine der verständnistiefsten Arbeiten über den Buddhismus möchte ich dieses
Werk in den Händen aller wissen, denen es ernst ist um die Durchdringung dieses gewal-
tigen mystischen Geheimnisses. Was Heiler an Wissen und eigener Forschung gibt, ragt
weit über das Mittelmass unserer Forderungen. Nicht aber nur die äusseren Bedingungen
eines gelehrten Werkes sind in diesem Buche glänzend «füllt, auch das innere Wesen
dieses Buches zeugt von seinem Schöpfer als von einem Gelehrten, dem das heilige Gut
synthetischer Intuition zur wägenden Verfügung steht."
Luthers religionsgeschichtliche Bedeutung
von Friedrich Heiler
1919. 31 Seiten. Preis Mk. 1.50
Universitätsprofessor P f e nn i g s d o rf -Bonn im „Geisteskampf der Gegenwart"
Januar 1919:
„Unter den vielen Lutherschriften nimmt diese Vorlesung eine hervorragende Stellung
ein. Luther wird in ihr im Gegensatz zur mystischen Religiosität der katholischen Kirche
als Wiedererneuerer des prophetisch-biblischen Typus der Frömmigkeit gewürdigt. Die
scharfe Gegenüberstellung der beiden Religionstypen ist überaus lehrreich und lässt das
Charakteristische in Luthers Art der Frömmigkeit klar hervortreten. Nicht minder lehrreich
ist das Eingehen des Verfassers auf die Einwürfe in der nachfolgenden Diskussion. Wir
haben hier eine Wertung des Reformators, welche die Auffassung eines Janssen, Denifle,
Grisar an Weite und Tiefe der Betrachtung weit unter sich lässt."
Die Bedeutung der Mystik für die Weltreligionen
Ein Vortrag
von Dr. Friedrich Heiler
1919. 32 Seiten. Preis Mk. 150
Professor Niedergall in der „Evangelischen Freiheit" vom 19. September 1919:
„Der Verfasser zeigt auch in dieser neuen Schrift wie wertvoll uns immer mehr
seine Arbeit wird. Ihr Ergebnis ist : die stille und geheime Auseinandersetzung zwischen
Mystik und biblisch-evangelischer Offenbarungsreligion, das eigentliche Thema der inneren
Geschichte des Christentums, wird so enden, dass in der notwendigen schöpferischen
Synthese beider der zweiten das Uebergewicht gebührt, weil sie eine Religion der Per-
sönlichkeit und der Gemeinschaft ist.'1
Vom gleichen Verfasser erschien im Verlag Chr. Kaiser in München:
Das Geheimnis des Gebets, Evangelisches Christentum und
Mystik, Die Gemeinschaft der Heiligen. (Kanzelreden
in schwedischen Kirchen.) Geh. ca. Mk. 1.80.
Jesus und der Sozialismus, Vortrag gehalten am 5. April
1919 zu München im Verband der staatlichen Büro-
angestellten. (Aus der Sammlung „Christentum und
soziale Frage" Heft 3.) Geh. Mk. 1.80.
Verlag von ERNST REINHARDT in München
Glauben und Wissen
Die Geschichte einer inneren Entwicklung
von
August Messer
o. Professor der Philosophie in Giessen
2. Auflage (3.-4. Tausend)
Preis brosch. Mk. 7.20, geb. Mk. 960
„Deutsche Warte" vom 7. August 19t'J:
„Es ist nicht vielen Menschen gegeben, ihre eigene innere Entwicklung so klar zu
überschauen, wie es Messer tut, aber ganz sicher sind es nur wenige, die für einen weiteren
Kreis eine so kristallklare Darstellung dieser Entwicklung zu geben vermögen, wie es die
vorliegende Schrift tut. Durch diese Klarheit, die ein Zeugnis innerer Wahrhaftigkeit ist,
wird das Buch eine überaus wertvolle Gabe für jeden gebildeten Menschen."
„Theologische Revue" 1919 Nr. 12:
„Mit tiefer Ergriffenheit le<;t man dieses originelle Buch, eine Art Autobiographie in
religiös-philosophischer Perspektive, aus der Hand."
Der Edelmensch und seine Werte
Eine Charakterlehre neuer Prägung'
von
Johannes M. Verweyen
Professor der Philosophie in Bonn
295 Seiten. Preis brosch. Mk. 9.20
Luxusausgabe in Hlwd. Mk. 13.20
„Vossische Zeitung" vom !•. November 1SI18 :
„Es ist, als habe Friedrich Paulsen seine Ethik nochmals geschrieben, bereichert
um die Probleme der Menschheit von 1906 — 1918 und verjüngt um eine Generation. Leicht
fliesst der Strom der Verweyenschen Definitionen und Distinktionen dahin, so glatt ent-
wickelt sich diese Ethik des common sen.se, dass der berufsmässige Philosoph kaum irgendwo
Aulass zum Widerspruch hat, dass man oft Binsenwahrheiten zu lesen meint. Dabei übersieht
man doch zweierlei : dass eine flotte Diktion — das Buch „liest sich wie ein Roman" —
die wirklich vollendete Ausformung geistiger Arbeit darstellt und dass diese Bücher ge-
schrieben sind für jene unzähligen Menschen, die moralische Maximen suchen. Für sie
spricht Verweyen zur rechten Zeit das rechte Wort. Seine Ethik ist beweglicher, gegen-
wartsnaher, jugendlicher als die seines Meisters Eucken. . . . Es scheint mir dieses Buch
berufen, Ordnung in den moralisch-amoralischen Hexentanz der Gegenwart zu bringen,
die Indifferenten vorwärts zu stossen, die Zweifelnden zu sichern."
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