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HAVELOCK ELLIS
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Die Mediciu der Naturvölker.
Die
Medicin der Naturvölker.
Ethnologisclie Beiträge
zur
Urgeschichte der Medicin.
Von
Dr. Max Bartels,
Sanitätsrath in Berlin.
Mit 175 Original-Holzschnitten im Text.
Leipzig.
Tli. Grieben's Verlag (L. Fernau).
1893.
Vorwort.
Die erste Anlage zu dem vorliegenden Buche liatte den Stoä'
zu einem Vortrage abgegeben, welchen ich in der Berliner Gesell-
schaft für Natur- und Heilkunde im März 1892 hielt. Der für
die fertiggestellte Abhandlung gewählte Titel möge aber nicht in dem
Leser die Erwartung hervorrufen, dass ihm hier etwas geboten
werden solle, was den überreichen Stoff vollkommen erschöpft. Bei
der Zersplitterung des Materiales, das in Sitzungsberichten, in Zeit-
schriften und in Reisebeschreibungen der gesammten civilisirten Welt
sich findet, ist es selbstverständlich eine Unmöglichkeit, allen ein-
schlägigen Angaben nachspüren zu können. Es ist auch nicht in
allen Fällen möglich gewesen, auf die Originalveröffentlichungen
zurückzugehen, da sie in vielen Fällen nicht zu erlangen waren;
und namentlich von den Indianer-Stämmen des westlichen Ame-
rika ist Vieles nach den ausführlichen und ausgezeichneten Citaten
von Hubert Howe Bancroft gegeben worden. Soweit es aber irgend
auszuführen war, bin ich stets auf die ursprünglichen Quellen zu-
rückgegan gen .
Es unterliegt für mich gar keinem Zweifel, dass manches Reise-
werk etc. von mir übersehen sein wird, in welchem sich vielleicht
die eine oder die andere recht brauchbare Angabe über unseren
Gegenstand befinden mag. Besonders wird dieses bei der Literatur
vergangener Jahrhunderte der Fall gewesen sein. Der zur Zeit
verarbeitete Stoff erstreckt sich aber schon über die ganze bewolmte
Erde, und er dürfte wohl schon hinreichend sein, um nichts Wesent-
liches von den Anschauungen der Naturvölker auf medicinischem
Gebiete übergangen zu haben.
VI Vorwort.
Es liegt nicht in der Absicht dieser Schrift, die Krankheitsarten
zu besprechen, welchen die Naturviilker unterworfen sind, und wie
dieselben bei ihnen verlaufen. Solche Untersuchungen gehören in die
^^'erke über medicinische Geographie. Hier soll wesentlich nur er-
örtert werden, was für medicinische Anschauungen unter niederen
Cultur Verhältnissen herrschen und was für Mittel und Wege die
Naturvölker benutzen, um sich mit den Krankheiten abzufinden.
Eine erhebliche Förderung meiner Bestrebungen gewährte mir
die freundliche Erlaubniss des Herrn Geheimen Regierungsraths
Professor Dr. Adolf Bastian, die Schätze des königlichen Museums
für Völkerkunde in Berlin für meine Zwecke benutzen zu dürfen.
Ich spreche ihm meinen besten Dank dafür aus, sowie auch seinen
Assistenten, den Herren Professoren Grünwedel und Grube und den
Herren Doctoren von Luschan, Müller und Seier.
Auch dem Herrn Gustos Franz Heger vom k. k. Naturhisto-
rischen Hofmuseum in Wien, sowie dem Herrn Naturalienhändler
Vmlaujf in Hamburg bin ich zu grossem Danke verpflichtet, dem
Letzteren, dass er es mir freundlichst gestattete, interessante ethno-
graphische Gegenstände seines Besitzes photographisch aufzunehmen,
wobei mir Herr Capitän Adrian Jacohsen in liebenswürdigster Weise
behülflich war.
Einen ganz besonderen Dank habe ich noch Fräulein Jtdie
Schlemm auszusprechen, deren kunstgeübte Hand mir unermüdlich
geholfen hat, das in Betracht kommende Material in Malereien und
Zeichnungen festzulegen, so dass es mir neben meinen photographischen
Aufnahmen stets bei der Arbeit zur bequemen Verfügung stand.
Eine grosse Anzahl der benutzten Veröffentlichungen ist in eng-
lischer, holländischer oder italienischer Sprache geschrieben.
Da dieselben nicht Jeglichem geläufig sein mögen, so habe ich zur
grösseren Bequemlichkeit der Leser die zahlreichen Citate aus aus-
ländischen Schriften durchgängig in deutscher Übersetzung gegeben,
auch der besseren Gleichmässigkeit wegen die in französischer
Sprache veröffentlichten. Um endlose Wiederholungen zu vermeiden
und den Text nicht unnütz schwerfällig zu machen, sind ihm die
Namen der benutzten Autoren für gewöhnlich nicht eingefügt. Im
Anhang IH aber kann man leicht bei dem Namen des betreffenden
Volkes auch denjenigen des Berichterstatters finden, so dass keinem
Vorwort. VII
der Autoren sein Recht geschmälert werden soll. Im Anhang II
sind ihre Schriften in alphabetischer Ordnung aufgeführt.
Der bildlichen Ausstattung des Buches ist eine ganz besondere
Sorgfalt gewidmet, und viele der ethnographischen Gegenstände
werden hier zum ersten Mal in der Abbildung vorgeführt. Dem ent-
sprechend ist auch die Figurenerklärung mit grosser Genauigkeit
ausgearbeitet. Einzelne von den Illustrationen sind aber auch anderen
Ver()ffentlichungen entnommen. Selbstverständlich findet sich dann
stets die Ursprungsstelle ausführlich bemerkt.
Die Durchmusterung und die Ordnung und die monographische
Verarbeitung der weit zerstreuten Einzelangaben, wie das vorliegende
Buch sie bietet, bildet ein vollkommen neues und bisher noch un-
verwerthetes Capitel aus dem grossen Bereiche der Geschichte der
Medicin, welches zwischen der Geschichte der medicinischen Wissen-
schaften und der Geschichte der Volksmedicin das vermittelnde
Zwischenglied bildet. Als ein erster"') Schritt auf diesem bisher noch
unbebauten Gebiete muss dieser Abhandlung noch Vieles an Voll-
ständigkeit und sicherer Abrundung fehlen. jMöge sie trotz dieser
Mängel dem Leser eine willkommene Gabe sein.
*) Einen ersten Vorstoss bildet die kleine Schi-ift von Ä. BoucJiinet:
Les Etats primitifs de La Medecine. 88 Seiten. 8'\ Paris 1891. Die-
selbe ist mir erst nach Drucklegung dieses Buches bekannt geworden.
Berlin, 21. Juli 1893.
Dr. Max Bartels.
Inhaltsverzeichniss.
Seite
Vorwort V
I. Einleitung 1
1. Die Quellen zu einer Vorgescliiclite der Medicin 3
II. Die Krankheit 7
2. Das Wesen der Krankheit 9
3. Die Krankheit ist durch Dämonen bedingt 11
4. Das Aussehen der Krankheitsdämonen 13
5. Die Geister Verstorbener als Ursache der Krankheit 18
G. Dämonische Menschen als Ursache der Krankheit li)
7. Thi.ere im Körper als Ursache der Krankheit 21
8. Fremde Substanzen im Körper sind die Krankheit 23
9. Die Krankheit verursacht durch einen magischen Schuss .... 25
10. Die Krankheit entsteht als Strafe 27
11. Krankmachender Zauber 2!)
12. Krankheit entsteht durch Ortsveränderung oder Verlust von Körper-
bestandtheilen 36
13. Die Krankheit entsteht durch den Willen oder die gnädige Eügung
der Gottheit 39
14. Sympathetische Uebertragung als Ursache der Krankheit .... 4()
15. Böse Winde als Ursache der Krankheit 41
16. Natürliche Krankheitsursachen 42
17. Der böse Blick 43
18. Rückblick 44
III. Die Aerzte 45
19. Die Medicin-Männer 47
20. Die sociale Stellung der Medicin-Männer .... 49
21. Uebernatürliche Fähigkeiten der Medicin-Männer 50
Inhaltsverzeichniss. IX
Seite
22. Auffallendes Benehmen der Medicin-Männer 52
23. Weibliche Aerzte 52
24. Die Vertheilung der Medicin-Männer 53
25. Consultationen und gemeinsame ärztliche Behandlung 54
26. Brodneid 55
27. Die Wohnung des Arztes 55
28. Aerztliche Honorare 56
29. Gefahren des ärztlichen Berufes 59
30. Verschiedene Arten der Medicin-Männer und die Specialisten . . 61
31. Das Hülfspersonal des Medicin-Mannes 66
32. Die Amtstracht 67
33. Die Beweggründe für das ärztliche Studium 75
34. Die Vorbereitung zum ärztlichen Studium 78
35. Das ärzthche Studium 79
36. Das ärztliche Examen und die Approbation 81
37. Der Eintritt in die Mide-Gesellschaft 83
38. Das kanonische Alter der Medicin-Männer 86
39. Die fachmännische Fortbildung approbirter Aerzte 87
40. Medicinische Lehrbücher 88
41. Rangstufen der Medicin-Männer 90
42. Krankheit und Lebensende des Medicin-Mannes 92
IV. Die Diagnostik der Naturvölker 93
43. Erkennungsmittel der Diagnostik 95
44. Die Krankheitsnamen 96
45. Krankheits-Eetische und Amulete 97
46. Verbotszeichen 98
V. Die Medicamente und ihre Anwendung 103
47. Die Medicinal-Droguen 105
48. Medicamentös behandelte Krankheiten 108
49. Die Beschaffung der Arzneimittel 108
50. Die Bereitung der Arzneimittel 109
51. Die Aufbewahrung der Arzneimittel 111
52. Die Züchtung der Arzneipflanzen 113
53. Das Einnehmen der Medicin 114
VI. Die Arzneiverordnungslehre der Naturvölker 117
54. Abkochungen und Umschläge 119
55. Einreibungen, Salben, Pflaster und Pulver 119
56. Abführmittel und Klystiere 120
57. Brechmittel 121
58. Inhalationen 123
X Inhaltsverzeichniss.
Seite
59. Einschlürfungen und Einträufelungen 123
(iO. Pillen 124
61. Die hautröthenden Mittel 124
02. Die Narcotica 125
()3. Das Bepusten und Bespeien 127
G4. Die Impfung 128
VII. Die Wasserkur 131
(15. Kalte Bäder 133
06. Warme Bäder und Trinkkuren 134
67. Schwitzkuren 135
08. Das Dampfbad 137
VIII. Massagekuren 143
09. Die legitime Massage 145
70. Die versteckte Massage 146
IX. Verhaltungsvorschriften für den Kranken 151
71. Die Diät 153
72. Sonstiges Verhalten 154
X. Die übernatürliche Diagnose 157
73. Laien diagnosticiren die Krankheit 159
74. Der Medicin-Mann stellt die Diagnose 161
75. Die Diagnose wird von Geistern gestellt 162
76. Prognose und Semiotik 167
XI. Die übernatürliche Krankenbehandlung 171
77. Opfer und Gebet 173
78. Die Trommel als Handwerkszeug des Medicin-Mannes 176
79. Die Rassel und andere musikalische Instrumente als Handwerkszeug
des Medicin-Mannes 178
80. Medicin-Sack und Medicin-Steine 180
81. Das Heraussaugen der Krankheit 183
82. Das Aufsuchen des Locus afFectus 186
83. Das Herausnehmen der Krankheit 187
84. Der Exorcismus durch den Medicin-Mann 189
85. Das Ausräuchern der Krankheitsdämonen 191
86. Der Exorcismus durch übernatürliche Gehülfen 192
87. Das Eangen, Festbannen und Vernichten der Krankheitsdäniouen . 194
88. Das Bemalen und das IJmmalen des Kranken 196
Inhaltsverzeicliniss. XI
Seite
89. Das Zurückholen der Seele oder des Schattens 200
90. Das Zurückbringen geraubter Körpertheile 204
91. Die sympathetische Krankenbehandlung 205
XII. Einzelne Capitel der speciellen Pathologie und
Therapie 207
92. Die Augenkrankheiten 209
93. Die Ohrenkrankheiten 212
94. Geisteskrankheiten und die Epilepsie 212
XIII. Die Gesundheitspflege und die Epidemien 219
95. Die private Gresundheitspflege 221
96. Die Amulete 225
97. Die öffentliche Gesundheitspflege 235
98. Der Schutz vor der Berührung mit den Iniicirten 237
99. Die Unterbringung der ansteckenden Kranken 239
100. Die Versorgung der ansteckenden Ki-anken 241
101. Die Unterbringung der nicht ansteckenden Kranken 242
102. Das Schicksal der Schwerkrauken, Siechen und Krüppel .... 246
103. Die Flucht vor der Seuche 248
104. Die Grenzsperre für die Seuche 250
105. Das Vertreiben der Epidemien 254
106. Die Todten 257
107. Die Assanirung der Wohnplätze 259
XIV. Die kleine Chirurgie 263
108. Das Blutsaugen 265
109. Das Scarificiren 267
110. Der Aderlass 268
111. Das Schröpfen 269
112. Die Ritual-Operationen .... 271
113. Kosmetische Opei-ationen 272
114. Die Entfernung fremder Körper und die Behandlung der Abscesse 274
115. Die Zahnheilkunde 276
XV. Die grosse Chirurgie 279
116. Allgemeines 281
117. Die Wundbehandlung 282
118. Die Behandlung der Schusswunden 284
119. Die Blutstillung 285
120. Das Glühen 286
XII " Inhaltsverzeichniss.
Seite
121. Knochenbrüche und Verrenkungen 289
122. Der Krankentransport 291
123. Amputationen 292
124. Die Bruchschäden 294
125. Operationen an den männlichen Harn- und Geschlechtsorganen . 296
126. Operationen am Halse und Trepanationen 299
127. Der Bauchschnitt oder die Laparotomien 305
Schlusswort 309
Anhang I. Erklärung der Abbildungen 313
Anhang II. Verzeichniss der benutzten Schriften 335
Anhang III. Verzeichniss der geographischen und Völkernamen 345
I.
Einleitung.
Bartels, Mediciu der NuturVülkoi-.
1. Die (Quellen zu einer Vorgeschichte der Mediciii.
J)iis letzte halbe .lalirhimdert hat in dem Studiuiii der Geschichte ganz
gewaltige Unnvälzungen hervorgerufeD. AVir haben gelernt, dass keineswegs aus-
schliesslich das geschriebene und uns überlieferte Wort die wahre und
einzige Quelle der historischen Wissenschaft ist, sondern dass — ganz al)-
gesehen davon, dass man hier liisweilen absichtlichen Fälschungen und ten-
denziösen Entstellungen begegnet — auch noch ganz andere Quellen von
uns erschlossen werden müssen. Es ist uns mit zwingender Gewissheit die
l^hatsache zum Bewusstsein gekommen, dass der Mensch nicht plötzlich und
unvei-mittelt in denjenigen Zustand der gesellschaftlichen Kegelung und
(yultur eingetreten ist, welchen man kui'zweg als „die Geschichte" be-
zeichnet hat, d. h. von dem uns geschichtliche Nachrichten aufgezeichnet
worden sind, sondern dass bereits tausende von Jahren vor jeglichem ge-
schriebenen Documente die Menschheit ihre „Geschichte" hatte, dass sie
ihre socialen Gesetze besass, ihi"e religiösen Institutionen, ihre Künste und
Wissenschaften, von denen der geschi-iebene Buchstabe auch nicht die leiseste
Andeutung auf uns hat gelangen lassen.
])urch das deutliche Bewusstwerden cheser neuen Thatsache entwickelte
sich eine ganz neue Disciplin, die Urgeschichte. Das Quellenmaterial,
aus welchem sich diese aufbaut, ist im Avesentlichen ein vierfaches. In
erstei- Linie sind es naturgemäss die zufällig gemachten oder die zielbewusst
gesncliten antiquarischen Funde, welche die prähistorische Archäologie
zu erläutern hat.
Von hoher Bedeutung sind aber auch gewisse Sitten, Gebräuche und
Anscliauungen der heutigen niederen Volksschichten imd namentlich des
Landvolkes, welche sich als sogenannte „Ueberlebsel" aus längst vergangener
Vorzeit kennzeichnen. Zu ihrer Erklärung hat die Volkskunde einzutreten.
Als dritten Factor haben wir die aufmerksame Betrachtung der Lebens-
weise der heutigen Naturvölker zu nennen, welche uns heute noch ver-
schiedenartige Culturstufen vorführen, auf denen einstmals auch die histo-
rischen Völker gestanden haben, bevor sie den culturellen Höhepunkt ilirer
Entwickelung erreicht hatten. Hier uns das nöthige Material herbeizn-
scbaüen ist die Sache der Ethnologie.
Die vierte Quelle endlich, die wir benutzen müssen, bietet sich uns in
der vergleichenden Sprachforschung dar, welche aus l)estimniten Wort-
bildungen und Buchstabenformen bedeutungsvolle Rückschlüsse auf vei'-
gangene Gulturverhältnisse zu machen gelehrt hat.
1*
4 1. Einleitung.
Diese selben Quellen nun. Avelcher wir für die Antängc der Gescliiclitc
und der Culturgeschichte im Allgemeinen bedürfen, müssen wir auch zu
Bathe ziehen, wenn wir die Gesihiclito s))ocieller Oulturgeliiete zu studiren
beabsichtigen. Auch die Medicin bat ihre Vorgeschichte, welche ihre
Schatten noch weit in das Leben der heutigen Völker hineinwirft. Aber
von einem systematischen Studium derselben ist bisher noch nicht die
Eede gewesen. Allerdings stehen uns auch hier bereits manche vereinzelte
Bausteine zur Verfügung, aber sie bedürfen noch ganz erheblich der Ver-
mehrung, und vor allen Dingen der sorgtältigen Sammlung, Zusammenstellung
und Vergleichung. "Wir wollen nun zusehen, von welcher der vorher g(^-
nannten vier Quellen Avir für die Urgeschichte der Medicin die aus-
giebigsten Aufschlüsse zu erwailen haben.
Von der vergleichenden Sprachforschung sind wir l)isliei' am
spärlichsten bedient worden. Das hat aber vielleicht darin seinen Gnind,
dass ihr noch nicht hinreichend präcise Fragen vorgelegt worden sind.
Recht beachteuswerthe Resultate verdanken wir bereits der Wissen-
schaft des Spatens. Wir werden (birauf hier aber nur ganz beiläufig
zurückkommen können.
Das Material, das uns die Volkskunde geliefert hat, ist ein sehr
reichliches, jedoch zu seiner Verwerthung für die Urgeschichte der Medicin
bedarf es noch einer ganz besonders sorgtältigen Kjritik und Vorsicht.
Denn nicht Jegliches, das uns in der Volksmedicin entgegentritt, spiegelt
uns die Anschauungen und Maassnahmen der auf einer primitiven Cultur-
stufe stehenden Menschen, oder mit anderen Worten prähistorische üeber-
lebsel wieder, sondern nicht Wenige sind die Ueberreste alter Magistral-
Medicin, welche, von den Aerzten schon längst verworfen und vergessen,
allmälüich in den Wissensschatz der sogenannten Bauern-Doctoren gelaugt
sind, und bei diesen nun mit echter Bauernzähigkeit haften.
Endlich haben wir- noch von der Ethnologie zu sprechen. Dieselbe
bietet, wie für die Cultui'geschichte im Allgemeinen, so auch für die Ur-
geschichte der Medicin die allerwichtigste Fundgrube dar.
Wir begegnen bei den Natm'völkern überall der auffälligen Erscheinung,
dass sie in gleichen Lel)enslagen zu ganz gleichen oder selu' ähnlichen
Maassnahmen und Anschauungen gelangen, ganz gleichgültig, ob sie im
hohen Norden, ob sie am Aequator, oder ob sie in einer gemässigten Zone
Avohnen. Das ist es, was Adolf Bastian als den Völkergedauken be-
zeichnet hat. Kleine Varianten können, wie es Avohl selbstverständlich ist,
nicht ausbleiben, wie sie die umgebende Natur l)edingt. Ob ein Volk in
dem Hochgebirge wohnt, oder an dem Strande des ]\[eeres, ob es ein Wald-
uud Jägervolk ist, oder ein Hirten- und Steppenvolk, oder eine fischende
und seefahi-ende Nation, das bedingt, wie man wohl begreifen wü'd, gewisse
Localfärbungen in ihren Mythen und in ihrer Dämonologie, sowie in ihren
alltäglichen Lebensgewohnheiten. Al)ei- der Kern ihrer Anschauungen bleibt
doch im Grossen und Ganzen der gk^iche. Nicht wenige dieser Völker-
gedanken spielen auch noch in dem Leben der heutigen Culturvölker
eine wichtige RoHe, und ihnen nachzuspüren und ihren psychologischen
^iisammenhang darzulegen, darin liegt die hohe Bedeutung der modernen
Ethnologie.
Tu Bezug auf die primitiven Anfangsstadien der Medicin erötihefc
1. Die Quellen zu einer Vorgeschichte der Medicin. 5
lins das Stiidiiim der Ethnologie vielerei Ausblicke. Wir lernen die Auf-
fassung niederer Volksstämme von dem "Wesen und von den Ursachen
der Krankheiten kennen, wir erfahren, in welcher Weise die Aerzte oder
Medicin-Männer zu ihrem eiutlussreichen Berufe ausgebildet werden und
was für ein Hülfspersonal, entsprechend unseren Heilgehülfen u. s. w., sie
nöthig haben. Wir finden auch bei manchen Völkern, z. B. bei den Ein-
geborenen Australiens, sowie bei vielen nordamerikanischen Indianer-
stämmen u. s. w., bereits die Errungenschaft der modernsten Neuzeit, nämlich
weibliche Aerzte.
Die Behandlungsmethoden der Medicin-Männer besitzen vielfache Analo-
gien mit denjenigen, welche wir heute noch die Heilkünstler unserer Land-
bevölkerung ausführen sehen. Es sind Gebetsformelu, Besprechungen, Be-
schwörungen und Drohungen, aber wohlweislich verl)uuden mit der innerlichen
])aiTeichung medicamentöser Tränke, mit der Anwendung einer Kaltwasser-
methode, oder von Dampfbädern, von Hautreizen, Scarificationen und Blut-
entziehungen, oder namentlich von der Massage. Eine hervorragende Bolle
spielt auch überall bei den Naturvtilkeru eine der allerneuesten Erolierungen
der modernen Therapie, nämlich der Hypnotismus und die Suggestion. Sie
harren noch eines eingehenden Studiums und der Bearbeitung durch einen
ethnologisch geschulten Neiu-opathologen.
Um sich nun eine Vorstellung und ein klares Bild von den medicinischeu
Begriffen und Kenntnissen der Naturvölker zu machen, muss man auf ver-
schiedenartige Dinge sein Augenmerk richten, auf ihre Dämonologie, auf
den Wortlaut ihrer Beschwörungen, auf ihre Medicamente, ihre Speise-
verbote und ihre Reiuigiiugsgesetze, auf ihre Verbotszeichen und ihre Feste
und Tänze. Dass die directen Berichte der Beisenden, sowie der unter
diesen Volksstämmen lebenden Aerzte, Missionare und Regieriingsbeamten
ebenfalls eine hervon'agende Berücksichtigung verdienen, das l)iauchen wir
kaum erst hervorzuhelien.
II.
Die Krankheit
2. Das Wesen der Krankheit.
Wer mit dem mediciuischen Wissen und Können der Naturvölker sich
zu bescliäftigen beabsichtigt, der darf den Versuch nicht unterlassen, zuvor
darüber ins Klare zu kommen, was für Anschauungen bei denselben über
die Natur und das Wesen desjenigen Zustandes bestehen, welchen man
mit dem allgemeinen Worte Krankheit zu bezeichnen pflegt. Was ist
nach dem Glauben der Naturvölker die Krankheit und wie ent-
steht dieselbe? Das sind die beiden Cardinalfi"agen , welche in erster
Linie beantw^ortet werden müssen. Denn eine sehr grosse Zahl von thera-
])eutischen INIaassnahmen müssen vollkommen unverständlich für uns bleiben,
wenn wir nicht in diese Begriffe einzudringen und uns im Geiste hinein-
zuversetzen im Stande sind. Sehr vieles, was uns widersinnig und gedankenlos
aussieht, wird uns verständlich und muss uns als ein ganz logisches und
wohldurchdachtes Vorgehen erscheinen , sobald wir einen hinreichenden
Einblick gewonnen haben, was die Naturvölker sich unter der Krankheit
und ihren Ursachen vorstellen, und manches Schlaglicht wird dabei gleich-
zeitig auf die sympathetischen und ähnliche Curmethoden geworfen werden,
wie sie uns auch heutiges Tages noch in der Volksmedicin der Culturvölker
entgegentreten.
Wenn wir nun auf die erste Frage wieder zurückkommen: was ist
Krankheit? so ist man gewöhnlich sehr schnell mit der Antwort bei der
Hand, indem man sagt: Kj*ankheit ist der Einfluss böser Geister. Nun hat
es ja allerdings seine Richtigkeit, dass vielfach die Naturvölker die Krankheit
mit den Dämonen in eine bestimmte ursächliche Verbindung bringen. Wir
finden dieses in Amerika, Asien, Oceanien und Afrika und. wenn wir
genau hinsehen, auch in Europa.
Dass dieses hier auch die Ansicht der Gebildeten war. das Ix'weist
folgender Ausspruch von Martin Luther:
,,Ueber das ist khein Zweyfel, dass Pestilentz und Filier und ander
schwer Krankheyten nichts anders sein, denn des Teufel werkhe."
Aber wenn w'ir die Sache eingehender betrachten, so kommen wir mit
einer solchen Erläuterung leider doch nicht viel weiter. Denn es entsteht
natürlicherAveise sofort die neue Frage, was ist das für ein Einfluss und
wie äussert er sich? Es bleibt daher nichts anderes übrig, als den Versut-h
zii machen, sich doch noch etwas tiefer in diese Gedankengänge der Natur-
völker hinein zu versetzen, soweit das immerhin noch spärliche Material
10 II. Die Krankli.'ir.
t^s gestnttct. (las uns dmcli l^ciscndc und andcic w isscnscliat'tliclic Boo])acIitor
zugänglich goniaciit woi'dcn ist.
Da zeigt es sich denn sehr bald, dass es nicht allein die dämonischen
Einflüsse sind, durch welche die sogenannten Wilden die Krankheiten
hcrvorgerutcn glauben, sondern dass hier auch noch eine ganze Reihe anderer
Pactoren in A^^irksanlkeit treten. Wir müssen diese Factoren jetzt einer
gesonderten Betrachtung unterziehen, indem wii- noch einmal uns die FVage
vorlegen, was ist nach dem Glauben der Naturvölker die Krankheit?
Die ei'st(^ zutreffende Antwort lautet: die Krankheit ist ein Dämon
(es können al)er auch gleichzeitig mehrere sein). Hier schliesst sich gleich
eine zwiMte Auffassung an: Die Krankheit ist der Geist eines Ver-
storbenen. Die Krankheit ist abei- auch ein '^l^hicr oder der Geist
fines Thieres: und endlich ist die Krankheit aiicli das Sangen oder
Zehren eines dämonischen MensclnMi. Man könnte nun allerdings
hier den Einwand erheben, dass dieses doch im Grunde genommen eigentlich
alles als untei- den Begriff der Dämonen fallend anfgefasst werden kann.
Denn sie alle umschlingt doch ein gemeinsames Band und die Geister der
A ersto]'benen sowohl, als auch die in den Köi'])ei' des Kranken eingech'ungenen
Thieie und deren Geister und ganz besonders auch die dämonischen Menschen
wird man doch immerhin in den Sammellx'gi-itt' der l)ösen Geister einzureihen
berechtigt sein.
Aller wir sind mit unseren Definitionen der Krankheit auch noch nicht
zu Ende uiul es zeigt sich, dass Avir gar nicht selten verschiedenen Krank-
heits-Defiuitionen bei demselben Yolke begegnen. Es ist das ein recht
<l(Mitlicher Beweis dafür, dass ihnen ihr*^ Dämonen-Theorie doch nicht alle
ihnen zur Beobachtung kommenden Kraidvlieitsfälle in befriedigender Weise
zu erklären vermochte.
Die Krankheit ist, um in unseren Betrachtungen fortzufahren, ferner
etwas Belel)tes, ein Animatuni. welches nicht genauer präcisirt wird.
Jn den Beschwr»rungsformeln der deutschen Volksmedicin wird es mit der
Fähigkeit begabt, nmherzuwandern und auf gestellte Fragen Eede und
Antwort zu stehen. 80 heisst es in einer von Frischhier citirten Be-
schwörung aus Bürgersdorf bei Welilau in der Provinz Preussen, un»
,.das Geschoss". eine Erkrankung. l)ei welcher necrotische Knochensplitter
ansgestossen werden, zu liesprechen:
Christ//^ ging- auf einen hohen Berg,
Er liegegnete dem Gf e s c h 0 s s.
Geschoss, wo gehst du hin?
Ich gehe, den Menschen die Knochen ausbrechen,
Das Blut aussaugen.
de seh CSS, ich verbiete es dir,
Gehe wo die Glocken klingen
Und die Evangelien singen!
Auch dieses kann man allcMifalls noch in die Dänmiiengruppe ein-
rangiren.
Die Krankheit ist ferner ein Fremdkörper, der. sichtbar oder
nnsichtbar, auf oder häufiger in des Kranken Körjier sich befindet.
Die Krankheit ist aber auch ein Gift.
Die Krankheit ist die Ortsverändeiung eines Körperbestand-
3. Die Krankheit ist durch Dämonen bedingt. 1 1
tlieiles. welch letzterer entweder überhaupt den Körpeiverlässtodeiiniu'rhall)
desselben sich an eine falsche Stelle begiebt.
Die Krankheit ist dann auch noch der übernatürliche Verlust
eines Körperbestandtheiles.
Die Krankheit ist aber ferner auch eine Behexung, eine Verfluchung,
eine Bestrafung, der "Wille oder ein Geschenk dei- (üötter u. s.w.,
aber mit diesen letzteren Rrklärungen treten wir eigentlich schon in die
zweite Frajie ein. nämlicli in dicieniffe: Wie entsteht die Krankheit?
3. Die Krankheit ist durch Dämonen bedingt.
Um zu erforschen, w^as für eine Vorstellung sich die Natui'völker von
der Entstehung der Krankheit machen, wird es am zweckmässigsten sein,
in erster Linie die dämonischen Einflüsse näher zu erörtern. Denn es
braucht, nach dem im vorigen Abschnitte Besprochenen, wohl kaum erst
daraufhingewiesen zu werden, dass für gewöhnlich mehrere Entstehungs-
ursachen für die Krankheiten verantwortlich gennicht zu werden pflegen.
Als das AVerk der bösen Geister, oder durch den Einfluss der
Dämonen entstanden, werden uns die Krankheiten von den Karaya-
Indianern in Brasilien, von den Eingeborenen der Mentavej-Insel in
Indonesien, von Dorej und Andai in ISTeu-Guinea, von Siam, vom
westlichen Borneo. von Mittel-Sumatra und auf den Inseln Buru und
Serang, sowie auf den Kei-. den Tanembar- und Timorlao-Inseln
imd vom Seranglao- und Gorong-Archipel u. s. w. berichtet. Dieses
..AVei'k" oder dieser ..Einfluss'*' ist ohne allen Zweifel in den allermeisten
Fällen die Besitzergreifung des betreffenden Menschen, welche in der Weise
stattfindet, dass der böse Geist in den Körper hineinfährt und nun ist er
also die Krankheit.
An eine solche Besitzergreifung durch einen Dämon, beziehungsweise
(^in Hineinfahren desselben in den ihm verfallenen unglücklichen Menschen,
also an eine Besessenheit des Kranken, glauben die Koniagas und andere
Eingebonie von Alaska und Britisch-Columbien, die ChippeAvay-
Indianer, die Austral-Neger in Victoria, die Siamesen, die Niasser
und die Einwohner von Anibon und den Uliase-Inseln. Es soll
hiermit aber nicht gesagt sein, dass nicht aucli noch sehr viele anderem
Völkerschaften an eine Besessenheit in Ki'ankheitsfällen glauben; aber
vcm den genannten Volksstämmen liegen mir directe Nachrichten hier-
über vor.
Die Phi Fob sind Dämonen in Siam. welche von den Zau])ererii
besonders gezüchtet werden, um sie dann in die Körper ihrer iMitmenscheii
zu jagen. Auch die bösen Geister Bahang fahren doif in die Menschen
und zerfressen ihnen die Eingeweide.
Die Eingeboi'cnen von Victoria Ijetonen es besimders. dass selbst
))ejah]fe uinl weise Männer von den Krankheitsdänionen besessen werden
können.
12 II. Die Krankheit.
Eigentluiiiilicli ist die AuffassuTiuj der Mosquito-Tndiauer, dass der
Dämon nur von dem erkrankten Körpcrtheile Besitz ergriffen habe.
Es kannten übrigens auch bereits die Assyrer und Akkader Dämonen,
welche von besonderen Körpertheilen Besitz ergriffen. Das ersehen wir aus
einer Beschwörungsformel, welche der Thontafel-Bibliothek des Assurhan-
habal (des Sardanapal der Hiliel) aus dem Königspalaste von Ninivdi
entstammt. Es heisst darin :
., Gegen (.len Kopf des Menschen richtet seine Macht der fluchwürdige Idpa.
Gegen das Leben des Menschen der grausame Namfur,
Gegen den Hals des Menschen der schändliche Utfiq.
Gegen die Brust des Menschen der verderbenbringende .-//a/,
Gegen die Eingeweide des Menschen der böse Gigim,
Gegen die Hand des Menschen der schreckliche Telal."^
Die Bewohner des Seranglao- und (irorong-Archipels lassen nicht
den Dämon selber, sondern dessen Schatten in den Kranken hineinfahren.
der dann die Eingeweide des unglücklichen Menschen verzehrt.
Eine ganz besonders reiche Ausbildung hat diese Dämonologie bei den
Singhalesen auf Ceylon erfahren. Dieselben erkennen sogar für eine
ganze Reihe von einzelnen Kranklieitssymptomen besondere Dämonen an.
So haben sie z. B. die Teufel der Blindheit, der Taubheit, der Krämpfe,
der einseitigen Lähmung, des Zitterns, der Fieberhitze, der Fieberphantasieu
u. s. w. Wir werden auf dieselben später noch zurückkonimen.
Aber nicht in allen Fällen fährt der die Krankheit verursachende böse
Geist in den Körper des von ihm auserkorenen Mensclien hinein. Bei den
Annamiten greift der Dämon die ^NFenschen an. er attackirt sie, und
macht sie dadurch krank.
Unter den zahlreichen Kranklieits-Dämonen in Siam leben die wilden
Teufel Tili Du in den Wäldern. ..Diese fallen meist von den Bäumen
auf die Vorübergehenden herab, da sie zornigen Gemüthes sind und sich
für Gesetzwidrigkeiten rächen oder strafen wollen.'' Auf diese AVeise er-
zeugen sie die Malaria-Erkrankungen. Eine andere Art der Wald-Dämonen.
Avelche den Namen Phi Disat, d. h. Dreckteufel, tragen, stellen im Dickicht
Netze aus. Wen sie in diesen unsichtbaren Netzen fangen, der verfällt in eine
schwere Krankheit, gegen Avelche die ärztliche Kunst sich machtlos erweist.
Nur durch kräftige BeschAvörung vermag hier Hülfe gebracht zu Averden.
In Süd-Australien schlägt der Dämon, gewöhnlich in Menschen-
gestalt, sein auserwähltes Opfer. So hatte ein Eingeborener angegeben, es
sei in der Nacht ein anderer Schwarzer gekommen und habe ihm einen
Schlag in das Genick versetzt; darauf sei derselbe in einer Flamme zum
Himmel aufgeflogen. An der bezeichneten Stelle hinten am Halse entwickelte
sich bei dem Manne ein grosses Blutgeschwür.
Die Marokkaner fassen die Cholera als einen Dämon auf, der die
von ihm ausgewählten Opfer schlägt.
Die Harai'i in Central- Afrika benennen die von uns als Hexenschuss
bezeichnete rheumatische Erkrankung mit dem Namen Teufelsschlag.
Auch eine Stelle aus dem Buche Hiob (2, 7) ist hier der Erwähnung
weith. Sie lautet:
4. Das Aussehen der Kraiiklieitsdämoneii. 13
Da fuhr der Satan aus vom Angesichte des Herrn und schluii; lHoh mit
l)('<sen Schwären vou den Fusssohlen an bis auf seinen Scheitel.
Der Begriff der Besessenheit ist den europäisclien Völkern w;ihr-
scheinlicli erst durch die l)il)lischen Vorstellungen zum Bewusstsein gekommen.
])(mn Erzählungen vou Besessenen treffen wir ja in dar Bibel wiederliolentlich
an, und wie tief dieselben in dem Geiste gläubiger Gemüthei- zu haften vei--
niögen. das haben allbekannte Vorkommnisse der allerjüngsten Zeit in
liinrei eilender Weise dargethan. Dass aber diese Art der Auffassung dem
deutschen Volke wenigstens eine künstlich .-lufgepfropfte ist, das beweist,
Avie ich glauben möchte, zur (Jenüge der auch heute noch zu Beeilt bestehende;
Sprachgebrauch. Die Krankheit ist allerdings belebt, sie ist eine Persönlichkeit,
welche man ganz wohl untca- die Schaar der bösen Geister einordnen kann;
id)er sie fährt nicht in (hm Menschen hinein, sondern sie tritt von aussen
an ihn heran, sie jiackt fast oder ergreift ihn, sie wirft ihn nieder, sie
schlägt ihn. sie rüttelt, schüttelt und reisst ihn, sie nagt und zehrt an ihm,
sie liricht ihm die Glieder, sie tödtet ihn, oder sie lässt ihn Avieder los,
•SO dass der Mensch ihr glücklich entrinnt.
4. Das Aussehen der Kraiikheitsdämoiieii.
J)en Teufel soll man nicht an die Wand malen; das ist ein Satz, (h?r
auch bei den Naturvölkern zu Recht zu bestehen scheint. Nui- in sehr
seltenen Fällen wenigstens begegnen wir bildlichen Darstellungen von den
Dämonen, welche die Krankheiten veranlassen. Für gewöhnlich scheint
dann ein besonderer therapeutischer Z^veck mit diesen Darstellungen aci-
buudeii zu sein. Es hat den Anschein, als wenn man den Dämonen ihr
eigenes hässliches Bildniss zeigen wolle, um sie vor sich selber erschrecken
zu lassen und sie auf diese Weise zu vertreiben, ähnlich Avie man avoIiI (Üii
eigensinnig schreiendes Kind vor den Spiegel führt, damit es sich vor
seinem eigenen verzerrten Gesicht entsetze und so ,,der Bock hinausgejagt
Averde".
So haben Avir wahrscheinlich gewisse Masken aufzufassen, die in
scheusslicher Form mit greller Bemalung ])estinimte Krankheitsteufel
zur Darstellung bringen. Vielleicht glauben die Leute aber auch, dass die
Dämonen ihre Macht und ihren Einfluss verlieren, wenn sie sich davon
ül)erzeugen. dass die Menschen, die sie überfallen Avollen. sie entdeckt und
si«; richtig erkannt lial)en. dass diesen genau ihr Aussehen und ihre Gestalt
bekannt ist, ganz ähnlich Avie in dem deutscheu Märchen d;is Rumpel-
stilzchen sein Anrecht an sein auserkorenes Opfer verlqr und nichts
auszurichten vermochte, als es hört, dass man seinen Namen Kennt.
Die Singhaleseu glauben an eine ganze Anzahl von Dämonen, welche,
wie Avil- bereits oben gesagt haben, besondere Stadien und Symptome der
Kiankheiten zu Stande ])ringen. Sie Averden durch Holzmasken dargestellt,
abscheulich verzerrte jMenschengesichter. bemalt mit grellen Farben, blau,
gelb, grün, roth, braun u. s. av. Sie sind Trabanten des Mahnkola Yakscha
(Fig. 1) und 18 von ihnen sollen nach Freudenberg die verschiedenen Stadien
der Saunileda oder ^Vlaj an leda d.h. des Unterleibs-Typhus bedeuten.
14
FI. hie K raiiUlioit.
Sannijä ist ilir gpincinsjmu'i' jSaiiic. was nach Grünwedel*) soviel be-
deutet als convulsivisclie. krankhafte Zustände, welche in Folge von Störungen
der (h"ei Huniores der altindischen ^Vfediciu entstehen.
Wir haben einige dieser Sannijä schon genannt. Es mögen noch ein
paar andere liier ihre Erwilhuung ünden. Da ist der Gulmasannijä . der
Teufel der AVurmkra iikheiten. der Wdtasannijä, der Teufel der rheuma-
tischen Schmelzen, der Kanasannijd. dvi Teufel, durch welchen der
Kranke sein (Tesicht einbüsst,
der Nagäsannijä {Fig. 2), der
Teufel, welcher Schmerzen ver-
ursacht, die denen des Bisses
der Brillenschlange ähidich sind.
d(U' Dschalasannijd der Teufel
durch den der Leil) des Kranken
kalt wkd u. s. w.
Diese Masken werden zur
Beschwörung der Kraukheits-
Dämouen in der Weise benutzt,
dass der Medicin-Mann , in
diesem Falle der sogenannte
Teufelstänzer, sich eine ganz
schmale Hütte errichtet mit
einer grossen Anzahl von
Nischen, in deren jeder er eine
dieser Masken aufstellt. Vor der
^Nlaske errichtet er einen kleinen
Altar, auf welchem er dem Dämon
opfert, wälu-end der Kranke auf
einer Tragbahre vor ihm liegt.
Xach dem Opfer nimmt der
Teufelstänzer die betreffende
Maske voi' das (lesicht und
tanzt um den Patienten, bis er
schliesslich bewusstlos, also
wahrscheinlich hypnotisii't, zu
Boden fällt. Er wird dann
nach Hause getragen und nun
niuss der Ki^anke geheilt sein.
Holzmasken, welche Krauk-
heits-Dämonen mit verzerrten
die Onondaga-lndianer in
Fig. 1. Mahäkola Yakschu mit seinen 18 ihn
begleitenden Krauliheits -Dämonen.
(Singhalesen).
Mus. f. Völkerkuude Berlin. Xach Photographie.
Menschengesichtern darstellen, haben auch
Nord-Amerika (Fig. ;j u. 4). Dieselben sollen die bösen Geister Uondol
bedeuten, welche iXvn Menschen Krankheiten und Unglück bringen. Sie
weixlen durch Tänze verstihnt und durch Speise- und Tabaksopfer. Dann
aber beschützen sie die Menschen und bewahren sie vor Kiaukheit sowohl.
als auch vor Bche.xunü- und Bezaul)ei-ung.
*j In nächster Zeit wird eine Monographie ühev diesen Gegenstand von
Herrn Grünwedel als Supplenientheft zu dein Internationalen Archiv für
Ethnographie in Leiden erscheinen.
4. Das Aussehen der Krankheitsdtuuoneu
lö.
Bildliche Duistclluiigeii vou Diiiuoiien der Krankheit findeu wir auch
bei den wandernden Zigeunern des südöstlichen Europii s. Dieselben glaubeiu
dass Ana, die schöne Königin der Iveshalyi oder
Feen, sich wider ihren Willen mit dem abscheulichen
Könige der Lo(;olico, der Dämonen, vermählt und
ihm neun Kinder geboren habe. Das sind die
neun Mise^'e. die Bösen d. h. die Dämonen, welche
Krankheiten bringen. Sie gingen mit einander
Ehen ein und haben unzählige Kinder gezeugt,
welche ähnliche Eigenschaften Avie die Eltern be-
sitzen. Hieraus erklären sich die vielfachen Varia-
tionen im Verlaufe der Krankheiten.
Um sich vor diesen Dämonen zu schützen,
luuss man seinen Leib oder seinen Arm mit einer
besonderen Binde umgeben, in welche das Abbild
des Dämons in bestimmten Farben von der Zauber-
frau hineingenäht ist. Auch in kleine Holz-
täfelchen brennt sie die Dämonenfiguren mit einer
glühenden Nadel ein.
Diese neun Dämonen sind Melalo , der
Schmutzige, von der Gestalt eines weitaus-
sclireiteuden kleinen Vogels mit zwei Köpfen. „Alle
Krankheiten, bei denen Paroxismus, Bewusstlosigkeit. aultritt, werden dem
Melalo zugeschrieben, der entweder im Leibe des Krauken haust, oder
Vig 2. ya{/äsaiaiijä,
Krankheits - Dämon
der Singhalesen, wel-
cher Schmerzen verur-
sacht, die denen des
Brillenschlangenbis-
ses ähnlich sind.
Mus. f Völkerkunde Berliu.
Nach Photographie.
Eig 3. Holzmaslie der
Ononda<ja-In<lianer, einen
Krankheits-Däraon dar-
stellend.
Mus. f- Völkerkunde Berlin.
Nach Photographie.
Fig. 4. Holzmaske der
Onondaga-Indianer, einen
Krankheits-Dämon dar-
stellend.
Mus. f Völkerkunde Berlin.
Nach Photographie.
seinen Nebel darin zurückgelassen hat." Lih/i, die Schleimige (Fig. 5),.
liat die Gestalt eines Fisches mit einem langbehaarten Menschenkopf.
„Wenn sie in den Körper eines Menschen hineinschlüpft und wieder
16
II. Die Krankheit.
Tgulo,
Fig. 5. Lilt/i,
Krankheits Dämon
Zigeuner.
Nach r. Wlislocki.
der
Jiller seiner Geschwister.
Appetitlosigkeit ii. s. av,
lierauskonimt. so lässt sie iu seinem Leibe eines ihrer sclih'imigen Haare
ziu'ück, wodurch eben die schleimige Krankheit entstellt." Tatarrhe und
Kuhr werden von ihr verursacht.
der Dicke, der Fette, ..hat die (7esta.It einer kleinen Kugel,
welche dicht mit kleinen Stacheln besetzt ist. Wenn
er sich im Leibe des Menschen herumrollt, so verur-
sacht er die heftigsten TTnterleil)ss('hnierzeii: l)esouders
hal)en schwangere AVeiber viel von ihm zu leiden.'"
Tgaridyi, die Heisse. die Glühende, „hat die
Gestalt eines kleinen Wurmes, dessen Lei!) dicht mit
Haaren besetzt ist. Im Leibe des ISfenschen lässt
sie einige Haare zurück, woduicli die ..Hitze'', das
Kindbettfieber entsteht."
Shilalyi, die Kalte. ..erzeugt im Menschen das
kalte Fieber und hat die Gestalt einer kleinen weissen
Maus, die unzählige Füsse besitzt."
Bitoso, der Fastende, ist der unschuldigste
Denn er verui'sacht nur Kopf- und Magenschmerzen,
,.Er hat die Gestalt eines vielköpfigen kleinen
Wurmes , der in dem betreffenden
Körpertheil durch seine ungemein
laschen Bewegungen Schmerzen ver-
ursacht. Dieselbe Form besitzen auch
seine Kinder, die ebenfalls weniger ge-
fährliche Ki'ankheiten erzeugen, wie
Zahnschmerzen, Bauchgrimmen. Ohren-
sausen. Wadenkrämpfe u. s. w."
Lolmisho, Rothmaus, macht die
Ausschlagskraukheiten und hat. wie
schon sein Name besagt, die Gestalt
einer kleinen rothen Maus.
Mincesh'c^ die vom weiblichen Geschlechtstheile, vei'ursacht die
Krankheiten der Genitalien sowohl hei den Frjiuen, Avie bei den Männern,
mit Einschluss aller venerischen Erkrankungen. Sie ruft diese Ki-ankheiteu
dadurch hervor, dass sie des Nachts als ein haariger Käfer über den Tveib
des Menschen hinwegkriecht.
Poreskoro, der Geschwänzte, ist der neunte und letzte dieser Krank-
heits-Dämonen. Er sowohl als auch seine Kinder sind hermaphroditischen
G eschlechts. Cholera, Pest und andere Epidemien sind die Krankheiten,
welche sie bringen. Auch die Seuchen unter dem Vieh werden von dieser
Sippe verursacht (Fig. 6). „Der Foreskoro hat vier Katzen- und vier
Hundeköpfe, ferner einen Vogelleib und einen Schlaugenschweif.'' Brechen
Epidemien aus, so wird sein Bild mit glühender Xad(4 in ein Holztäfelchen
eingebrannt und dieses dann ins Feuer geworfen.
x\uf den Kei-Inseln wird ebenfalls ein dämonisches AVesen figürlich
dargestellt, welches von den Eingeborenen als Bringer der Krankheiten
betrachtet wird. Es ist die ülar Näga (Fig. 7), eine drachenartige, liegende
Holzfigur mit dickem Kopf und phantastischen H(iniern und mit einem
Fig. 6.
foreskoro, Krankheits-Dämon der
Epidemien. Zigeuner.
Nach V. Wlislocki.
4. Das Aussehen tler Kiauklieitsdäiuoneu. 17
l;iiig<'ii Schwänze. Vor sich hat sie (miic kleine Schale von Holz, in welclu'
man die Opfergaben legt, din-ch (he man die Ki'ankheiten ahzuwehnMi
bemüht ist.
Dei- Krankheitsbringer (\n- AI tai -Völker ist dei- schi-ecklicln^ Erlik
Fiff. 7. ülar-naga, Kranklieits-Dämon der Kci-Insulaner.
Mus. f. Völkerkunde Berlin. Nach Photographie.
Kan. der Beherrscher (hn- Unterwelt, dessen Aussehen eine von Radlojf
gegeltene Beschwörungsformel der Schamanen mit folgenden Worten schild<>rt:
„Du Erlik^ auf schwarzem Rosse
Hast ein Bett aus schwarzem Biber,
Deine Hüften sind so mächtig.
Dass kein Gürtel sie umspannt,
Deinen Hals, den allgewalt'geu,
Kann kein Menschenkind umfangen;
Spannenbreit sind Deine Brauen,
Schwarz ist Deines Bartes Fülle,
Blutbefleckt Dein graues Antlitz.
0, Du reicher Kan EiHk.
Dessen Haare strahlend funkebi.
Immer dienet Dir als Eimer
Eines todten Menschen Brust.
Menschenschädel sind Dir Becher,
C-rrünes Eisen ist Dein Schwert.
Eisen Deine Schulterblätter,
Funkelnd ist Dein schwarzes Antlitz.
Wellend flattern Deine Haare.
Bei der Thüre Deiner Jurte
Stehen viele uiächt'gc Throue.
Einen ird'nen Dreifuss hast I)u.
Eisern ist Dein Jurtendach.
Keitest den gewalt'gen Ochsen.
Zum Bezug für Deinen Sattel
Reicht nicht eines Pferdes Haut,
Helden stürzen, reckst die Hand Du,
Pferde stürzen, wenn den Bauchriem,
Fürchterlicher, Du mir festzielist!
0, Erlik, Erlik^ mein Vater!
Was verfolgest Du das Volk so?
Sag", was Helltest Du zu Grund es?
Bartels, Medicin der Naturvölker. 2
18 II. Die Kiaiikheit.
Schwarz, wie Russ ist stets Dein Antlitz.
Finster glänzend, wie die Kohle,
0, Erlik, Erllk, mein Vater!
Von Geschlechtern zu Geschlechtern
In dem langen Lauf der Zeiten
Ehren wir Dich Tag' und Nächte,
Von Geschlechtern zu Geschlechtern,
Bist ein hochgeehrter Führer!"
5. Die Greister Verstorbener als Ursache der Krankheit.
Au die böseu Greister scliliesseu wir u;iturgemäss die Seelen der Ver-
storbenen oder der Vorfahren als die Krauklieitsbringer. beziehungsweise
als die Krankheit selber au. AVeuu in dem Tode die Seele vou dem Kör-
])er scheidet, so fliegt sie iu vielen Fälleu unstät in der Luft umher und
ist eifi-ig bemüht, vou Neuem iu einem Körper sich eine andere Behausung
zu sueheu. Gelingt ihr dieses, so wird derjenige, der nun von ihr beseelt
wird, in seinem ganzen körj)erlichen (Tleicligewichte beeinträchtigt, — er
wird krauk. Eine solche Anschauung finden Avir z. B. bei den Dacota-
Indianeru und in ähnlicher Weise auch in Ambon und den Uliase-
Inseln. Aber nicht nur der Wunsch, wiederum ein körperliches Substrat
zu besitzen, veranlasst die Seelen der Vorfahren als Krankheitserreger in
die Menschen zu fahren, sondern auch der Zorn über allerlei Vernachläs-
sigungen und Versündigungen des jetzigen Geschlechts. Wenn wir davon
zu sprechen haben werden, dass die Krankheit als eine Strafe auftritt, so
werden wir uns noch einmal mit diesem Gegenstande beschäftigen müssen.
Die soeben besprochenen Anschauungen herrschen vornehmlich auf den
zahkeichen InselgrupiDcn des malayi scheu Archipels. Die Namen tüi-
diese Art umherschweifender Geister wechseln, im Wesentlichen aber kommt
es immer auf die gleichen Gedankengänge hinaus.
Bei den Papua der Geelvinkbai in Neu-Guinea darf eine soeben
ziu" Wittwe gewordene Frau lange Zeit hindurch das Haus nicht verlassen ;
denn wenn sie es thäte und hierbei anderen Ijegegnete, so glaubt man, dass
der Geist ihres verstorbenen Gatten diesen eini^ Krankheit anhauchen würde.
Eüi- ganz besonders gefährlich werden die Geister unter besonderen
Umständen Gestorbener erachtet, so namentlich die Geister von den un-
glücklichen Weibern, welche Avährend der Entbindung oder im Wochenbett
ihr Leben lassen mussten. Aber auch die Geister von Schwangeren und
auch von Jungfrauen, sowie von todtgeborenen oder gleich nach der Geburt
gestorbenen Kindern können den Ueberlebenden grosse Gefahren bringen.
„Die Annamiten fürchten die Con Runh oder Con Lön. Es sind
das die Geister todtgeborener oder in sehr zartem Alter gestorbener Kinder,
welche immer bestrebt sind, sich zu verkörpern (Ion bedeutet in das Leben
eintreten) und welche, wenn sie in einen Kör])er eingedrungen sind, unfähig
sind, zu leben. Man nennt ihren Namen nicht in der Gegenwart von
Frauen, da man fürchtet, dass sie sich sonst an diese machen möchten, und
eine Neuvermählte hütet sich in dei- gleichen Furcht, von einer Frau etwas
5. Die Geister Verstorbener als Ursache der Krankheit. 19
anzunehmen, oder ein Kleidungsstück zu tragen, welche bereits einmal oder
gar mehirmals unrichtige Wochen gehalten hat." Es bedarf besonderer Maass-
nahmen, um sich von den einmal an der Familie haftenden Con Bank zu
betreien.
Ehelos gestorbene Mädchen bringen in Griechenland Kindern den
Tod, in Siam tödten sie diejenigen, welche sie bei ihren Tänzen überraschen.
Auch in Serbien tanzen die Seelen von Jungffauen und tödten die Jüng-
linge; es müssen aber Bräute gewesen sein. In Ann am veriu-sachen sie
( leisteski-ankheiten, wie wir später noch sehen werden. In Indien fährt
der Geist einer im Brautstande Verstorbenen in den Körjaer der späteren
Frau ihres einstigen Bräutigams und redet aus ihr heraus und zwar lau-
ter Uebles gegen ihre Nachfolgerin.
In hohem Maasse gefüi'chtet sind die Geister der während der Entbin-
dung gestorbenen Frauen. Auf Java suchen dieselben in Ki'eissende zu
fahren, und diese werden dann wahnsinnig. In dem Seranglao- und Go-
rong-Archipel, auf Amhon und den Uliase-Inseln, auf den Kei-Inseln
und auf der Insel Djailolo werden sie zu bösen Geistern, welche die
Kreissenden quälen und deren Entbindung zu verhindern suchen. Auf
J)jailolo, auf den Kei-Inseln und ebenso auch auf Selebes stellen sie
auch den Männern nach, um dieselben zu entmannen und sich auf diese
AVeise für die Befi-uchtung zu rächen, welche sie ins I^nglück gestüi"zt hat.
Auch die vorher erwähnten Geister der Neugeborenen in Annam werden
von dem Geiste einer Avährend der Niederkunft gestorbenen Frau gehütet,
gewiegt und ausgesendet, um ihren schädlichen Einfluss auszuüben.
Bei den Ewe-Negern an der Sklavenküste werden die bei der Ent-
bindung verstorbenen Weiber zu Blutmenschen.
Im Wochenbett gestorbene Fi^auen werden in Borueo und auf Nias
ebenfalls zu Dämonen, welche auf ersterer Insel überhaupt als Plagegeister
der Lebenden umherschwärmen, auf Nias aber hauptsächlich den Kreissen-
den und den Schwangeren nachstellen und den letzteren die Frucht im
Mutterleibe tödten, so dass dieselben abortiren.
In Annam fahren die Geister der eben an den Pocken Gestorbenen
in ihre Verwandten und macheu sie dadurch ebenfalls pockenkrank. Das
gilt aber nur für die schweren Formen dieser Krankheit: die leichten schreil^t
man natürlichen Ursachen zu.
In Mittel-Sumatra herrscht der Glaube, dass die dem Menschen
Krankheiten bringenden Buschgeister, Hantoc, aus dem Blute von solchen
Personen entstehen, welche durch irgend einen Unfall verwundet und dabei
ums Leben gekommen sind.
Die Seelen der Gehängten, der plötzlich Verstorbenen, oder der durch
die Pest dahingerafften ^Menschen Averden in Siam zu den Dämonen Phi-
Tai-Hong.
6. Dämoiiisclic Menschen als Ursache der Krankheit.
Audi dämonische Menschen vermögen Bj'ankheiten zu verursachen.
Wir dürfen sie nicht verwechseln mit Zauberern, welche ebenfalls, wie wir
sehr bald sehen werden, allerlei Ki-ankheit erzeugen können. Die dämo-
nischen ]\renschen dagegen bringen nicht durch Zauberki'aft. welche in di(^
o *
20 II. Dio Krankheit.
Fei'iic wiikt. soudeni (lincli cigciieii (liicctoii Angriff aiii' (h'ii auserkoreueii
Körper die Ki-niiklieit zu Staiido. Ein gutes Heispiel für ihre Thätigkeit ist
i\ov allbekannte Vanipyr, und auch der Wehrwolf ist hierbei" zu rechnen.
Wir müssen einen Ilebergang zu diesen Anschauungen })ereits in dem
vorbei- angeführten (Tilauben der Ewe-Neger erl)lieken. nach weh'hem die
im Wochenbett verstoi'benen Weiber zu Hhitinenschen werden. Solch einen
Blutmenselien ba])en wir uns dodi zweifellos ganz ähnlich zu denken wie
einen Vampyr. oder noch bc^sser. wie den sogenannten Doppelsauger des
pommerscheu Landvolkes. Die Vorstellung aber, dass lebendige Men-
schen in dieser AVeise nnheilbringend wirken können, findet sich bei d(Mi
eingeborenen INIalayen von Mittel-Sumatra. Hier führen solche dänio-
]iische ]V[ens('ben den Namen Paläsieq.
..Die Paläsieq. sagt van Hasselt, sind eigentlieb keine (reister. son-
dern Menschen, welche die Macht haben, den K()|)f mit dem Halse oder
auch die Eingeweide von ihrem Körper zu trennen, so dass die Theile ein
selbstständiges Ganzes bilden, das meistens Kaclits den Körper verlässt, um
umherzuschleichen, wo Jemand gestorben, verwundet, ei-mordet oder geboren
ist, um da das Blut aufzulecken. Unter das Hans, worin ein Kind gel)oren
ist, legt man darum allezeit Doi'nbüscbe. um die Paläsieq abzuAvehren.
Ist Jemand verwundet und kann ]uan das ausströmende Blut nicht stillen,
dann heisst es: .,der Paläsieq hat an der AVunde gesogen"; dadurch ist
diese unheilbar gewoi'den und der- Verwundete mnss sterben.*'
„Es besteht ein grosser Abscheu vor einer Heirath mit Jemandem, der
Paläsieq ist. aber dennoch, sagt der Malaye, kommen diese Heirathen vor,
Aveil man es nicht immer weiss. Der Paläsieq hat tbe Macht, sich un-
sicbtliar zu machen, jedoch ist er dann an seinem Geräusch zu erkennen."
An der Loango-Küste können bestimmte Zauberei" unsichtbar bei
Nacht ihre Opfer Ix^schleichen und ihnen, gleich einem Vampyr. das Blut
aussaugen.
In der Provinz Cueba in Mexico gal) es nach den Berichten von
Oviedo eine ausserordentliche Plage, welche durch dit^ erschreckliche Aus-
dehnung des Saugens schaudererregende Folgen herbeiführte. Die Personen,
Männer und Frauen, Avelche diese dämonische Gewohnheit anfingen, wurden
von den Spaniern Chupadores genannt. Sie gingen des Nachts aus, um
bestimmte Einwohner zu l)esuchen. An diesen sogen sie stundenlang und
wiederholten dieses Nacht für Nacht, bis endlich ihre unglücklichen Opfer
so dürr nnd abgemagert waren, dass sie in vielen Fällen vor Ei'schöpfnng
starben.
Es erinnert dieses alles an einen auch heute noch bestehenden Aber-
glauben der Süd-Slaven, bei welchen diese däiiKmischen Menschen aber
keine besondere Gruppe des Volkes bilden. Bei ihnen hat jegliches Weib,
das zur Hexe geworden ist. die Fähigkeit und die Gewohnheit, derartiges
Unheil anzurichten. Allerdings muss sie nach dem Glauben der Mon-
tenegriner, um diese Fähigkeit zu erlangen, zuvor ihr eigenes Kind ge-
fressen haben. „Ueberfällt wo eine Hexe einen Schläfer," schreibt Krauss,
„so versetzt sie ihm mit ihrer Zaubergerte vorerst einen Streich über die
linke Brustwarze, Avorauf sich der Brustkorb von selber öffnet. Die Hexe
j'eisst nun das Herz heraus, frisst c^s auf, und die Wunde in der Brust
wächst von selber gleich wieder zu. blanche ausgew<'idete Menschen ster-
7. Tliiere im Kia'per als Ursache der Krankheit. 21
heil auf der 8telle, auck^re Avieder sclileppeii ilir Dasein noch einige Zeit
weiter, soviel Lebensfrist ihnen die Hexe nach der That noch zu beschei-
den ilir gut befunden, ja sie l)estimmt ihnen noch die besondere Todesart,
an wek'her sie sterben müssen. Zuweilen betlieiligen sich auf einmal mehrere
Hexen an solchem Mahle."
7. Thiere im Körper als Ursache der Kraiiklieit.
Die Krankheit, aufgefasst als ein Thiei'. (bis in den menschlichen Körper
gerathen ist. finden wir wiederum l)ei sehr vielen A'ölkerschaften. Sehr richtig
sagt bereits van Hasselt, dass dieses Thier im (Truude genommen dann
<loch weiter nichts ist. als ein böser Geist, der eben in dieser Gestalt sich
verkörpert hat. Darum sjirechen auch in solchen Fällen die Dacota-In-
dianer bisweilen nicht von einem Thiere selbst, sondern von dem Geiste des
betreffenden Thieres. Diese Thiere können nicht nur kleine, wirbellose Thiere
sein, sondern auch Reptilien und Am])hibien. Yögel und sogar Säugethiere.
Ja als ein Curiosum müssen wir es hier anfügen, dass die Dacota-In-
dianer selbst eine Besessenheit durch einen Baum für möglich halten.
Unter den Thieren, welche als Krankheit in den menschlichen Körper ein-
dringen, steht bei weitem in Bezug auf die geographische Verbreitung obenan
der Wurm. Entweder ist es nur ein einzelner, oder es sind deren gleich
mehrere. Wir müssen es natürlicherweise unentschieden lassen, in wie weit
(üne wirkliche Naturbeobachtung zu einer solchen Aulfassung der Krank-
heit beigetragen hat. Es kann ja doch keinem Zweifel unterliegen, dass
bei den in nicht zu kalten Klimateu lebenden Völkern die Wunden, welche,
wie wir später sehen werchMi. sehr häufig ohne jeglichen Verband gelassen
werden, den Eliegen zum Absetzen ihrer Eier dienen und sich daher sehr
bald mit Fliegenlarven, d. h. also nach dem allgemeinen Sprachgebrauch e
mit Wlirmern bedecken werden. Sd haben die Verletzten also Würmer
aus ihrem Köqier hervorkriechend siciitbailich vor Augen, und das Brennen
und Schmerzen der Wunde mögen si(> wohl als durch diese unschuldigen
Thiere verursacht betrachten. Auch das gelegentliche Abgehen von Hel-
n»inthen Imngt ihnen wohl die Ueberzeugung bei, dass ihr Körper von Wür-
mern bewohnt sein könne, und es ist dann doch nur ein Schritt, dass bei
grösseren Leiden die kleineii Würmer sich in ihrer Phantasie auch zu
grösseren Thieren entwickeln.
Izidlanga, d. h. Fresser, nennen die Xosa- Iv affern solche Thiere im
Körper.
An einen A\'^urm als Personification der Krankheit glauben die Sioux
und einige ihnen benachbarte 1 ndianer-Stännne. aber auch die Central-
Mexicaner. I'eiiicr die Harrari in Afrika, die Siamesen. (he Aaru-
Insulaner und die Eingeborenen von Selebes und von Mittel-Sumatra:
ebenso auch die vorher schon erwähnten Xosa-Kaffern.
Die Annaniit(Mi l)etrachten einen Wurm im Körpei- als das AVesen
und die Irsache der asthmatischen Beschwerden. Dieser W^urm hat die
fatale Gewohnheit, bei dem Tode seines AVirthes dessen Körper zu verlassen
und sich einen der Verwandten oder der Freunde des Verstorbenen als
neue AA'ohnung auszusuchen. Die Folge dieses Aberglaubens ist, dass einen
22 IL Die Krankheit.
sterbendeu Asthmatiker die Ficiijule luid Vorwinultcii im Stii-lie lassen und
froniden Leuten seine letzte Pflege ül)ei-trageit.
Ancli Hioh klagt in seiner Krankheit:
Mein Fleiscli ist um und um würmiclit.
Vm\ ähnlieh tritt in dem deutschen Volksglauhen der AVui'in oder
melirere AVürmer im Körper ganz unverkennljar als die Krankheit auf. Am
hekanntesten ist das Panaritium. der Wurm am Finger; ein audi den
Si anlesen geläufiger Begriff. Aber auch sonst noch treffen wir melirfach
auf AVimner als das Wesen der Krankheit, was namentlich in manchen
Beschwörungsformeln recht deutlich zu Tage tritt.
Es heisst in einer Beschwörungsformel für ein krebsartiges (beschwur,
wclclie in Xeudorf bei Graudenz gebräuchlich ist:
Der Herr ging zu ackern auf des Herrn Acker,
Er nahm drei Fuhren im dürren Wacker ii,
Er fand drei Würmer.
Der erste hiess Gehwurm,
Der zweite hiess Streitwurm,
Der dritte hiess Haarwurm,
Alle Würmer haltet ein.
Lasset ab von des Nächsten Fleisch und Bein.
Bei den Klamath-Indianern und ebenfalls bei den Sioux und den
Xosa-Kaffern kann das Thier aber auch ein Insect, bei den Cential-
]\[exicanern eine grosse xVmeise sein. Den Frosch als Ki'ankheit treffen
wir bei den Klamath- und den Karok- und anderen Indianern Xord-
Califoinieus, die Schlange bei den Klamath, den Karok uucj^bei den
Eetar-Insulanern, die Eidechse bei den Xosa-Kaffern und die'Schild-
kröte bei den Dacotas.
Ein Yogel, und zAvar im Kopfe des Kranken, veranlasst auf Eetar
die Epilepsie, und auf den Tanembar- und den Timorlao-Inseln die
Epilepsie und die Geisteskrankheiten. Wir Deutsche sind also nicht be-
rechtigt, uns auf die Neuheit unseres Gedankens etwas einzul)ilden.
Ein Holzspecht ist es bisweilen bei den Twana-, den Chemakum-
nnd den Klallam-lndianern, Avelcher am Herzen seines Opfers herumpickt.
Wenn es dem Arzte in Slam gelingt, die höchst gefährlichen Krank-
lieits-Dämonen Phi Xin aus dem Kör^ser des Patienten herauszutreiben, so
sieht mau, wie sie in der (restalt eines schwarzen Yogels, einer Krähe ähn-
lich, von dannen fliegen. Dann darf der Arzt aber nicht von dem Kranken
gehen, denn wenn er ihn verlassen würde, so kehrt im Augenblick der dä-
monische Yogel in seine vorige Behausung zmiick und zerhackt dem Pa-
tienten die Eingeweide und dann erfolgt unausbleiblich der Tod.
Auch bei den Klamath-Indianern in Oregon werden bisweilen
verschiedene Yögel als die Biinger der Krankheit verantwortlich gemacht.
Sie rühmen sich dessen selber in Beschwörungsgesängen. So lautet der Eine:
„Ich, der junge Holzspecht, habe Krankheit herbeigebracht."
Ein andei-er heisst:
„Die von mir. der Lerche, gebrachte Krankheit breitet sich überall aus."
I
S. Fremde Substanzen im Kriryter sind die Krankheit. 23
Ancli der Kranich und mehrere Enten treten als Krankheitserreger auf:
„Die gebrachte Krankheit kommt von mir, dem jungen Wäkash-Kranich."
„Eine Krankheit ist gekommen, und ich, die Wä-u'htuash-Ente, habe sie
hervorgerufen. "
Die Mämaktsu-Ente und die Mpampaktish-Eute singeu jede:
„Bauchschmerz ist die Krankheit, welche ich mit mir bringe."]
Aber auch noch grössere Tliiere können im Körper des erki-ankten ^leii-
schen stecken, entweder in Substanz oder als Geist des Thieres. Das kann
bei den T^vana-. den Clieniakuni- und den Klallam-Indianeru ein
Eichhörnclieu. bei den Sioux-lndianeru ein Stachelschwein sein,
auf den Luaug- und Serniata-Iuselu ein Bock, auf deu Inseln Leti,
]\roa und Lakor eine Ziege, in den beiden letzten Fällen als Hervorbringer
der Epilepsie.
Die Otter wird bei den Klainath-iudiaueru für die Pocken verant-
wortlich genuicht. Der Mediciu-Mann singt bei der Beschwörung in ihrem
Namen:
„Die Pocken, von mir gebracht, der Otter, sind bei Euch,"
und der Chor fällt dann ein:
„Der Otter Schritt hat den Staulj aufgewirbelt."
Bei den Dacota -Indianern kann das in deu Körper des Patieuten
eingedrungene Thiei- sogar ein Hirsch sein, oder ein Bär,
Ein Bär wird auch deu Twana-Iudiauern, sowie den Chemakum
und den Klallam von bösen Zauberern in das Herz gesclückt. um an ihm
zu fi'essen und sie auf diese Weise ki-ank zu machen.
Hier schliesst sich ein Glaube der Sianiesen, der Karen und der
J.aoten an. ül)er welchen Bastian berichtet hat:
..Die Zauberer der Laos sowohl wie die der Karen sind wohlerfahren
in der Sai Khun genannteu Zauberkunst, indem sie sich auf die Haut
eines Büffels oder eines Ochsen setzen uud dieselbe dui'ch Hexerei kleiner
und kleiner zusammenschrumpfen lassen, so dass sie zuletzt zu weniger als
Handbreite reducii't wird. Dieses conipnmirte Stück wird dann in Wasser
aufgelöst, und wenu mau davon gegen einen Menschen spritzt, so erfolgt
der Tod, da in dessen Innerem sich die Haut Avieder zu der m'sprünglicheu
Form eines Ochsen oder Büffels aufbläht und so deu Körper zerreisst. Beim
Verbrennen der Leiche eines so Getödteten bleibt ein Klumpen zäher Masse
unverkohlt zurück, und die Siamesen bestechen oft die Bestatter, ihneu
ein Stück davon zu verschaffen, denn wer ein Stück davon gegessen hat,
bleibt für die Folge gegen solchen Zauber geschützt."
8. Fremde Substanzen im Körper sind die Kranlilieit.
Von diesen Anschauungen ist es eigentlich nur noch ein Schritt bis zu
dem. Glauben, dass die Krankheit ein in dem Inueren des Patienten stecken-
der Fremdkörper sei. Diese Fremdkörper werden bei verschiedenen Volks-
stämmen den Leidenden und iliivr Umgebung ad oculos demonstrirt. indem
der Arzt sie aus ihrem Köi|h r heraussaugt und sie dann aus seinem Munde
21
II. Die Kraiiklioit.
/um V^)rscli('in hriugt (Kii;-. s). T^ci-nrtigc Ycrkürpcruiigcii dvv Krankhcdt
sind /. B. Strolilialinc bei den Austialiici^iciii in Victoria, Holzstücke
in Vic-toria. Süd-Autstralicn. anf den Aaru-Inscln und auf den Tn-
s(dn Eotar. Lcti, ISIoa und Lakor; ehw Bohne bei den Xosa-Katfcrn,
Dornen auf den di'ei zuletzt ifeiuinnten Inseln und auf Selebes. Ein
ErdklunijxMi ist es auf Eetai-. ein Stückchen Kohle in Süd-Australien,
ein Eisenstück bei uoid.inieiika nischen Indianern, ein Korallen-
stück auf den Kei-Tnseln, Muschelschalen auf den letzteren uinl auf
Leti, Moa und Lakoi-. Nordanierikanische Indianer sehen als die
verkörperte Krankheit auch bisweilen die Krallen eines Thieres an, die
T'atzen eines Bären, die Stacheln des StachelscliAVfiins, die Einge-
borenen Victorias ein Stück Opossumfell. Fischgräten sind die Krank-
lunt häufig auf Eetar. auf licti, Moa und Lakor, auf den Aaru- und
Kei-Inselu, Knochenstücke auf den Kei- Inseln und den Inseln Buru
und Eetar. bei den Sianiesen, bei den Australnegern in Süd-Austra-
lien und Victoria, sowie bei den Klaniath-1 ndianern und bei verschie-
denen Stämmen in Britisch-r^)lumbien. Als ein Stein
markirt sich die Krankheit auf Selebes, Eetar. Leti,
Moa. Lakor, den Kei -Inseln, in Siam und bei den
Ipurina-Indianern in Brasilien, aber auch bei sehr
vielen nordamerikauischen Indianer-Stämmen.
Bei den letzteren ist die Sache aber wohl noch ein
wenig anders aufzufassen. Der einer besonderen Ordens-
verbindung angeliörige Arzt bringt allerdings, wenn er die
Krankheit von dem Patienten fortgenommen hat, einen
Stein aus seinem Munde lieiwor, aber es ist jedesmal
derselbe, der ausserdem auch noch zu anderweitigen
Ceremouien gebraucht wird. Und da nun bei gewissen
Stämmen sich die vier verschiedenen Grade dieses
Ordens unter anderem auch durch die Form dieser Steine
untei'scheiden (für welche übrigens auch Schneckenhäuser
in Kraft treten), so wird man, wie ich glaube, Avohl den
Vorgang so auffassen müssen, dass die dem Ivi'anken
Fig. 8. Krallen imd entnommcMie. nicht nähei' substantiirte Ki-ankheit dui'ch
Fellstücke, welche der ({[^ übernatürliche Kraft des Arztes in dessen ^Nfunde
Klamath'-In dianer gl«it'hsam zu der Form des betreifenden Steines coagulirt,
dem Kranken aussaugt, aber dass nicht etwa dieser Stein (oder das Schnecken-
^"'- filriif '""'^' liaus) selber als Krankheit in dem Körper des Leidenden
Nach Photographie gesesscu habe.
Wir tinden auch noch bei anderen Völkern, dass die Krankheit. \v(^nn
man so sagen darf, als ein körperloser IVemdkörper aus dem Patienten
entfernt und dann fortgeworfeu oder ausgespieen Avird; so bei denBilqula,
den Isthmus-Indianern, den Bakairi in Brasilien und den Eingr-
borenen in Süd- Australien und Victoria.
Einer besonderen Art eines fremden Stoffes, welcher die Krankheit
vcriusachen kann, hal)en wir noch zu gedenken. Die Ni asser nämlich
glauben, dass die Bela, die bösen Geister, gewisse Stoffe, namentlich Asche
auf den Kör])er Averfen, wodurch dann Stiche und Hautausschläge entstehen.
Hieran erinnei't ein Zauber (\vv A nstra1n(^trei' in Victoria.
9. Die Krankheit veimrsaclit dunli einen ma.i^ischen Scbnss. 25
„Ein Stück Baniiiiinde wird in die Hand gcuoninien und heisse Asche
Avird nach der Hiniinelsgegeiid geworfen, wo man weiss, dass der feindliche
Stamm higei't. und ein Gesang wird angestimmt und alle Vögel iu der Luft
Averdcm anfg<'f()i'dert. (li(^ Asche fortzutragen und sie auf den bestimmten
]\Iann fallen /u lassen. Die Asche verursacht es. dass sein Fleisch ver-
tiocknet, und der ]\Iann verdorrt und wird wie ein abgestorbener Baum.
Er ist nicht fähig, sich umherzubewegen, und endb'ch stirl)t er."'
9. Die Krankheit verursaclit durcli einen magischen Schuss.
Einer l)esonderen Art von Fremdkcirper müssen wir noch gedenken,
das ist das in den Körjjcr des Kraid<en eingedrungene magische Ge-
schoss. Dasselbe kann eine ( Jewehrkugel sein oder ein Stein, ein Geschoss
von Stroh oder eine Kugel von Haaren. AVir tinden dasselbe bei vei'schie-
(hnu'u 1 ndianei-Stännnen duicli unsere Berichterstatter erwähnt.
So glauben die 1 purina- 1 ndiauer iu Brasilien, dass ihre M<'dicin-
AEänner im Staiule sind, Abwesende durch ihre mit magischer Kraft begab-
ten Medicin-Steine zu verletzen uiul zu tödten. Der Mediciu-Mann wirft sie
in der entsprechenden Richtung, in welcher er den Auserlesenen vernrnthet,
gegen diesen. Derselbe emptindet dann sofort einen heftigen Stich. Avie von
einei- Wes])e. und von dieser Zeit an siecht er laugsam dahin und stirl)t.
Von den Creek-Indianern l)erichtet Caler Swan im Jahre 1700:
..Stiche in der Seite und rheumatische Schmerzen, welche bei ihnen
hantig sind, Averden oft als AVirkung magischer Wunden betrachtet. Sie
glauben fest, dass ihre Feinde unter den Indianern die Kraft besitzen,
sie. Avenn sie im Schlafe liegen, auf eine Entfernung von .")()() Meilen zu
schiessen. Sie beklagen sich oft, dass sie von einem ChoctaAV oder
ChicasaAv aus der Mitte dieses A'olkes geschossen Avorden sind, und sie
schicken oder gehen direct zu der erfahrensten Aerztin. um Hülfe zu
suchen. Die erfahrene Frau erzählt ihm, dass das, Avas er beobachtet hat,
wirklich Avahr sei, und beginnt ihn auszufragen und die Cur zu machen.
Jn diesen Fällen ist Ritzen und Schröpfen das Heilmittel; oder, Avas oft
statttiiulet. sie saugt an dem befallenen Theile mit ihreiu Munde und bringt
vor seine Augen ein Fragment einer Kugel, oder Stücke von Stroh, Avelche
sie vorsorglich in ihrem IMunde verborgen hatte, um den Glauben an das-
jenige zu befestigen, was sie versichert hatte; darauf werden Avenige magische
^Franke verordnet, und dei" Patient ist gesund gemaciit."
Eine an Brustfellentzündung leidende Cliocta w-1 ndianerin war nach
der Aussage des Aledicin-AIannes von einem Zauberei' mit einer magischen
Kugel von Haaren geschossen Avorden.
Die Zauberei- der TAvana-. der ( Mi ein a k ii ni - und (h'r Klailani-
I II dianer vermögen ihren Ojifern eine magische Kugel oder einen Stein
in das Herz zu schiessen. Hierdurch erzeugen sie Krankheit und endlich
den Tod. und es ist ein ganz feststellender Glaube, dass wenn man das
Herz eines Verstorlieiien öffnet, man den Freiiidkclrper noch (h-iriii zu tinden
v(^rmag.
Die Eingeborenen von N'ancouver haben einen ähnliciieii ( Hauben.
Jacohsen hörte vom Alissioiiar Croshy. dass ein junger Indianer seiner
St.ition einst einen Medicin-AIann neckte. Dieser rief ihm im Zorne zu:
26 n. Die Kranklioit.
,.Du wirst in sechs A\'oclirn sterben." Dci- junge INlann wurde stiller und
stillei" er legte sich hin und wurde krank und ^var fest davon überzeugt,
dass der Medicin-^NFann ihm einen Stein in das TTci/ geschossen liabc.
Aller Zuspruch war vergeblich und noch vor dem Ablaufe des gestellten
Tennines führte seine Melaucholic zum Tode.
Die Eingeborenen von Xord - (! ipjjsland in Australien sclnuMbcn
eine Reihe ihrer Ei-krankungen. welche sie Tundung nennen (Brust-
attectionen und heftige Schmerzen im iVbdonien). dem bösen Geiste IJrewin
zu. Dieser wirft den ^Menschen das spitze Ende seines Murraw-un. seines
Wurfstockes, in den Körper, imd um diesen wieder zu entfeiiien, muss man
einen monotonen, drohenden Gesang anstimmen, welcher lautet:
.,0 Brav in, ich vermuthe, Du hast Tunduug gegeben oder das Auge
(d. h. das scharf umgebogene Ende) des Murrawun."
Wem fiele hier})ei nicht unser Hexenschnss ein, der l)ei den Ein-
wohnern von Wales als Elbenschuss bezeiclmet wird. In Irland
brauchten die Bauern Feuerstein-Pfeilspitzen in Silber gefasst. die sie als
Eiben-Pfeile (Elf-arrows) betrachteten, als Amulet gegen den Elbenschuss.
Nilsson erzählt, dass die Lappen von den benachbarten Stämmen
für zauberknndig gehalten wurden. ..Sie wussten dies und drohten dem-
jenigen, der ihnen nicht geben wollte, was sie verlangten, einen Gan auf
ihn zu schiessen. Die Gaue bestanden nach Mone in Idäulicheu flügellosen
lusecten. w'elche der zauberkundige Lappe in einem ledernen Säckchen in
der Nähe seiner Götterbilder zu bewahren pflegte. Wollte er einem Xeben-
inenschen Schaden zufügen, so schoss er einen Gan auf ihn. und alsobald
fühlte das gedachte Individuum einen jähen Schmerz (Lappenschuss). der
bisweilen in langwierige, bösartige Ivi'aukheit überging."
Den homerischen Griechen vor Ilium brachte Apollo mit seinem
Geschosse tödtliche Ivi-ankheit (I, 43 — 53).
.,Ihn hörete Phöbos Apollon,
Und von den Höh'u des Olymp os enteilet er, zürnenden Herzens,
Er auf der Schulter den Bogen und wolilversclilossenen Köcher,
Laut erschollen die Pfeil' an der Schulter des zürnenden Gottes,
Als er einher sich schwang; er wandelte, düsterer Nacht gleich;
Setzte sich drauf von den Schüfen entfernt, und schnellte den Pfeil ab:
Gi'aunvoll aber erklang das Getön des silbernen Bogens.
Nur Maultliier' erlegt' er zuerst und hurtige Hunde;
Doch nun gegen sie selbst das herbe Geschoss hinwendend,
Traf er, und rastlos brannten die Todtenfeuer in Menge;
Schon neun Tage durchflogen das Heer die Geschosse des Gottes."
Im Buche Hiob begegnen wdr ebenfalls der Auffassung dei- Krankheit
als eines göttlichen Geschosses. Hiob klagt (6. 4):
..Denn die Pfeile des Allmächtigen stecken in mir."
und 34, 5. 0 wirft ihm sein Freund Eliliu von Buss vor:
„Denn Hioh hat gesagt: Ich bin gerecht, iind Gott weigert mir mein
Recht. Ich muss liegen, ob ich wohl recht habe, und bin gequälet von
irieinen Pfeilen, ob ich wohl nichts verschuldet habe."
Aber selbst noch in der christlichen Kunst des 16. Jahrhunderts finden
wir die Beweise dafür, dass die Vorstellung eines schiessenden Gottes in
i
10. Die Krankheit entsteht als Sti-afe. 27
dem Bewusstsein des Volkes noch immer lebendig geblieben war. So be-
findet sich in der Bnrgkapelle des Schlosses Brück bei Lienz in Tirol
<'in dem 10. Jahrhnndert entstammendes Frescogemälde. ant' welchem (ilott
Vater vom Himmel heral) auf die Menschen mit einem Bogen schiesst.
Die Mutter Gottes tritt aber dazwischen und breitet ihren Mantel über
ihren Schutzbefohlenen aus und nun Termögen die göttlichen Pfeile ihren
]\Iantel nicht zu durchdringen, sondern sie verbiegen sich, indem ihr Schaft
sich zickzackförmiii zerknickt.
10. Die Krankheit entstellt als Strafe.
Die Auffassung, dass die Krankheit eine göttliche Strafe sei, entsiiiicht
bekanntermaassen vollkommen gewissen modernen Anschauungen. Im Jahre
1H66 hal)e ich selber einem Gottesdienste beigewohnt, bei welchem der
(leistliche einer K];inkenanstalt den flu- das Vaterland verwundeten Soldaten,
deren einem beide Augen weggeschossen waren, auseinandersetzte, dass ihre
Verwundungen die wohlverdiente Strafe für ihre persönlichen Sünden seien.
Im Buche Hioh (33, 19—21) lesen wir:
„Er (Gott) strafet ihn mit Schmerzen auf seinem Bette und alle seine
(rebeine heftig, und richtet ihm sein Leben so zu, dass ihm vor der Speise
ekelt und seine Seele, dass sie nicht Lust zu essen hat. Sein Fleisch ver-
schwindet, dass er nicht wohl sehen mag, und seine Beine werden zer-
schlagen, dass man sie nicht gerne ansiehet."
Nicht Avenig überraschend ist es, wie ganz ähnliche Anschauungen weit
über den Erdball verbreitet sich bei den Naturvölkern wiederfinden. Es
lelirt dieses ein Blick in das uns zu Gebote stehende Material. Als eine
Strafe Allahs erscheint die Krankheit auf dem Seranglao- und Gorong-
Archipel. Es kämpfen hier aber sichtlich noch die uraltheiduische Tradition
und die der Bevölkenmg aufgeph-opfte muhammedanische Auflassung mit
einander. Denn sie nehmen an, dass Allah, über ihr Vergehen erzüi-nt.
den krankheitserregenden Dämonen die Erlaubniss giebt, in die Menschen
zu fahren und von ihnen Besitz zu ergreifen.
Auch schon bei den alten Akkaderu treffen wir l)estimmte Dämonen
als die Vollstrecker des göttlichen Zornes an. Dieselben werden folgender-
maassen beschworen :
„Sieben sind's! Sieben sind's!
Sieben sind es in des Oceans tiefsten Gründen!
Sieben sind es, Verstörer des Himmels!
Sie wuchsen empor aus des Oceans tiefsten Gründen, aus dem (ver-
borgenen) Schlupfwinkel.
Sie sind nicht mäuidich, sind nicht weiblich;
Sie breiten sich aus, gleich Fesseln;
Sie haben kein Weib, sie zeugen nicht Kinder;
Ehrfurcht und Wohlthun kennen sie nicht!
Gebet und Flehen erhören sie nicht!
Ungeziefer, dem Gebirge entsprossen.
Feinde des Eä;
Sie sind die Werkzeuge des Zorns der Götter.
28 ir. Dio Kiaiikhoir.
Die Landstrasse störend, lassen sie auf dem \Vei;e sicli nieder:
Die Feinde, die Feinde!
Sielien sind sie! Sieben sind sie! Sieben (zweiniul) sind sie!
(leist des Himmels! dass sie beschworen seieii!
Geist der Erde, dass sie beschworen seien!"
Wir müssen abci- nucli liier wiederum das l'mch Hiob (2. B) iintulii-eii.
wo es heisst:
„Der Herr s})racli zu iloni Satan: Siehe da, er sei in Deiner Haml.
doch schone seines Lebens."
Auch anf den Inseln Leti, Moa und Lakoi- und auf "einigen benacb-
l)arten Inseln erscheinen die Ki'ankheiten als Strafe der (Jottheit oder auch
als eine Strafe der Geister der Verstorbenen, welche dann, wie es den
Anschein hat, bisweilen wohl selber als Krankheitsdänion in die Menschen
hineinfahren. Die (rründe nun, warum die Krankheiten als Strafe über die
sündicje Menscldieit vei-hän^t werden, lässt nmnche überraschenden Züpje tief
etliischen Gefühles und ])ietätvoHei- Anhänglichkeit an die Vorfahren er-
kennen.
Die Geister der Verstorbenen strafen mit KrankhtMt. wenn man ihnen
nicht l)ei dem Begräbniss eine hinivichende Ausrüstung mitgegeben oder
wenn man ihre Gräber schändet (Buru), wenn nuin ihr Andenken vei-
nachlässigt und sie nicht hinreichend mit Speise versorgt (Serang, Keisar.
Ticti, Moa, Lakor, Anibon und die Uliase-Tnseln, Aaru-Inseln,
Watubela- Inseln), wenn man das Hausdach übei- ihrem Opferplatz defect
werden lässt (Leti, Moa, Lakor).
Auch bei den Zulu und Basutho machen die Vorfahren die Ueber-
lebenden krank, um sie für Kränkungen und Beleidigungen /u bestrafen.
Hier handelt es sich nhev nicht um Vernachlässigungen micli dem Tode,
sondern um solche Beleidigungen, welche ihnen bei ihren Lebzeiten zugefügt
wurden und die nicht in entsprechender Weise gesühnt worden sind. Eine
Vernachlässigung der Geister, denen bei der Erlegung eines Bären oder
eines Hirsches nicht ein entsprechendei- Antheil gegeben Avorden ist, bringt
auch den nordamerikanischen Indianern Krankheiten. Auf Selebes
genügt es hierzu, einen bösen Geist in seiner Buhe gestört zu haben, und
auf den Kei- Inseln folgt Krankheit darauf, w^enn man einen Wawa-Bauin
(Ficus altimeralao Eixl.) schändet, oder an ihm seine Xothdurft verrichtet.
Die Maya-Völker Central-A merikas glaTd)ten, dass eine Krankheit
die Strafe sei für ein Verl)rechen. das nicht eingestanden wurde. Auf
Eetar, Ambou und den Uliase- Inseln strafen die Vorfahren mit Krank-
heit, wenn man ihr einstiges Eigenthum vergeudet; auf Anibon, den Uliase-
fnseln und Serang, wenn man die ]{eli([uien vi-räussert. oder auch wenn
man die althergebrachten Institutionen nicht befolgt; ebenso auf Keisar.
Auf Nias entsteht ein starkes Halsübel, wenn man sich mit dem Dorf-
oberhaupte zankt, und Diarrhoe und Magenschmerz nach dem Genuss ge-
stohlener Früchte. Auf den Kei-Inseln treten E])i(lemien auf, wenn
die regierenden Häupter sich Ungereclitigkeiten zu Schulden kommen lassen,
auf Nias. Avenn das Dorfoberhau])t die bei ihm in Veiwahrung gehaltemm
normalen Maasse und Gewichte fälscht; und darum ist bei dem Ausbruch
einer Epidemie die erste Maassnalnne. sich von dem Zustande dieser (icwichte
11. Krankiiiaclieiider Zaiil)oi'. '29
Tiiid M.iasse zu übcrzeiigcn. Wer iiul" den "Watul)pl;i-1 iiselu seine Dorf-
«fenosseii betrügt, wer auf Selel)es einen falschen Eid schwört, wer auf
den Kei-lnsehi Ehitschande treibt, wer auf Nias mit seinei- Frau wählend
der (ii-.t vidi tat verbotenen Ihng.-inm' hat. und wer auf Eetar verbotene Speisen
isst. (h'r wird ebenfalls mit Krankheit l)estraft. Aber auch seinen Eändeni
kann der Vater Kr;inkheiten l)ringen. wenn er, während die Mutter mit
ihnen schwanger ist. gCAvisse Handlungen vornimmt oder gewisse Nahrungs-
mittel geniesst. Es resultirt hieraus eine grosse Anzahl von Euthaltungs-
vorschriften für den Ehegatten einer schwangeren Frau, wie wir ihnen bei
schi- vielen Völkern begegnen.
Auch dem Lojingo-Neger sind Zeit seines Lebens bestimmte Dinge
/u essen verlioten, dem Einen dieses, dem Anderen jenes, ganz ähnlich wie
der Indianer und der Australier sein Totem-Thier nicht essen darf.
Wird dieses als Quixilla bezeichnete Verbot übertreten, so ist Erkrankung
des Uebertreters die ganz unausbleibliche Strafe.
Eine l)esondere Form der Bestrafung mit Krankheit treffen wir
ebenfalls hauptsächlich auf den Inseln des malayischen Archipels.
Hier besteht vielfach die Sitte, das Betreten oder die Beschädigung be-
stimmtei' Feldmarken durch ein besonders geformtes und mit Segenssprüchen
geweihtes Zeichen zu verbieten. Wer nun ein solches Verbotszeichen nicht
respectirt, der verfällt einer ganz bestimmten Krankheit, welche durch die
Form des Ver])otszeichens für Jedermann kenntlich gemacht ist. Wir
werden später hiervon noch eingehend zu sprechen haben.
11. Krankmachender Zauber.
Unendlich erfindungsreich ist der menschliche Geist in Versuchen,
seinen Nebenmenschen Schaden zu bringen: und so treffen wir auch die
(omplicirtesten Maassnahmen. durch welche ein verhasster Gc^gner ki-aiik
gemacht oder gar getödtet werden soll. Für gewöhnhch wird cm langsauKJs
Dahinsiechen bezweckt, und nur selten handelt es sich um directe Ver-
giftungen. IMeistentheils ist es irgend eine Form der Behexung, der Be-
zauberung oder das Auslegen eines magischen Giftes, welches nur in eine
gewisse Nähe von dem auserkorenen Opfer zu gelangen braucht, um seine
schädlichen Wirkungen zu entfalten. Die Bezauberungen jedoch sind auf
unglaubliche Entfernungen hin wirksam, und von dem unfehlbaren Eintreten
des gewünschten Erfolges ist der den Zaulier Ausübende fest überzeugt,
tbenso wie sehr häufig irgend ein Erkrankter keinen Augenblick darüber
im Zweifel ist. dass er seine Leiden den Zaubermanipulationen irgend eines
Feindes in der Ferne zu verdanken ha1)e. Wii- müssen versuchen, einige
(lieser Zaubereien näliei" kennen zulernen; es könniHi allerdings die magischen
Schüsse der i))urina-. der Creek- und der Choctaw-ludianer u. s. w..
>()wie der Hexen- und Fiappenschuss mit in diese (iruppe gei-eclinet
Avei-dcn.
An wiikliclie Vergiftungen durch böse Menschen, welche Krankheit
hervorrufende Ingredienzien in das Essen niisclien. irlaubt man auf Sei ebes.
30
TT. T^if Ki-anklieit.
Auch iu dem Seiau j^lao- und Goroug-Archipel wird die Krankheit
unter Umständen für die Folge einer Yergiftung durch feindsehge Stammes-
genossen gehalten, und man hedient sich dagegen eines nach ganz bestimmten
Voi-schriften gefertigten Gegengiftes. Auf der zu den '^Pancynbar- und
Timorlao-Iuseln gehörigen Insel Selaru macht man (Jebrauch von einem
Gift, das von Fischen und Schalthieren hergestellt wird. Auf Ambon und
den iniase-Inseln benutzt man eine leinzerkleinerte Strychnus-Art, welclic
man dem Essen bciiuisclit; sie verursacht
Schwindel, Erbrechen und Leibschmerzen
und endlich den Tod. In dem Seranglao-
nnd Goroug- Archipel wird die mit Kalk
vermengte feingestossene Leber der Manga-
rat-Schlauge dem auserlesenen Opfer mit
der Nahrung beigebracht. Die Folge davon
ist ein böser Husten, au welchem der Kranke
langsam dahinsiecht. Die Marokkanei-
suchen ihren Mitmenschen ein zehrendes
Leiden und endlich den Tod zu bringen,
indem sie ihm gestossene Eierschalen, Koj)!-
schinn und abrasirte Haarstop])eln in die
Speiseu mischen. Auch der Zusatz von
zerkleinerten Fingernägeln und dem Mehle
von einem ]\Ienschenknochen hat den gleichen
Erfolg. Auch ist es schon genügend, den
Mehlbrei, der von dem armen Opfer ver-
zehrt werden soll, mit der Hand eines eben
(Testorbenen dirrchzurühren.
Von den B a 1 1 a k e r n in S u m a 1 1- a besitzt
das Berliner Museum für Völkerkunde
einen mit Schweinshauern und einer mensch-
lichen Figur verzierten Topf (Fig. 9) mit
L einer Medicin, welche für so giftig gilt, dass
schon ihr Geruch eine Vergiftung verursacht.
Sie soll aus Menschenfleisch hergestellt
werden.
Die Narrinyeri in Süd-Australien
dagegen haben nach Taplin gar keinen
Begriff von einem Gifte. ..Ungleich anderen Australiern kennen sie kein
giftiges Gras oder keine giftige Pflanze. Sie sind sein- erstaunt, wenn
sie hören, dass che Europäer Jemandes Tod durch etwas bedingt betrachten,
das in seinen Magen gekommen wäre. Sie halten den Tod stets als durch
Zauberei bedingt."
Es wurde bereits gesagt, dass die Naturvölker auch an eine auf gewisse
Entfernung hinwirkende Vergiftung glauben. So wurde z. B. Mofat von
(Mnem Beamten eines kranken Betschuanen-Häupthngs mitgetheilt, der-
selbe würde nun bald geheilt sein, da zwei seiner Diener, welche man in
der Nachl)arschaft seiner Wohnung habe Gift ausstreuen sehen, soeben ge-
speert worden wären.
Auf der Insel Serann'. auf den Kei-Iuseln luid ini A aru- Archipel
Fig. 9. Guri Guri, Gif t topf der
Battaker.
Mus. f. Völkerkunde Berlin.
Nach Photographie.
11. Ivraiikiuachender Zaiiber. 31
.uräbt mau iiulieilhriiiiieude Gegenstände in die Erde, und wenn dann das
auserwählte Opfer beim Darüberhiusehreiteu diese Stelle mit dem Fusse
berührt, so liricht bei ihm die beabsichtigte Krankheit aus. Als &ank-
heiten, welche in Serang auf diese Weise verursacht werden köuuen, werden
atifgefilhrt ßlutspeien, Bauchkrämpfe, Ausfallen der Zähne u. s. w. Dieses
zauberhatte Vergraben von krankmachenden Gegenständen hat auf Tanembar
und den Timorlao- Inseln den Sinn, dass sie, wenn der Unglückliche
auf die Stelle tritt, wo sie vergraben wui'den, in seinen Körper hineinfahren
und nun die Krankheit sind. Es werden zu diesem Zwecke unter dem
Murmeln von VerAvünsclmngen Dornen, Fischgräten, JMuschelstücke oder
spitze Steine vergraben. Man sieht, dass es von dieser Art der „Vergiftung"
nur noch ein Schritt ist bis zu der Behexung oder Bezauberung. Wir
müssen diese als einen internationalen Aberglauben hinstellen, denn wir
begegnen ihm in allen tiiuf Welttheilen.
Eine solche, Kiankheit hervorrufende Bezauberung ist bisweilen mit
unglaublich einfachen Hülfsmitteln, gewöhnlich aber nur mit einem com-
l)licirteren Aj)parate auszuführen. In beiden Fällen aber bedarf es dabei
liäufig noch entweder eines besonderen Zauberwortes oder einer dem
Bezaubernden innewohnenden, übernatürlichen Kraft. Der Fetissero oder
Endoxe, d. h. der Zauberer an der Loango-Küste braucht nui' des
Nachts nackend umherzugehen und Verwünschungen gegen Jemanden aus-
zustosseu, so wird derselbe erkranken.
Bei den Aunamiten kann es schon hinreichend sein, einen Nagel
in einen der Hauspfosten oder der Schiflfsplanken des zu Schädigenden ein-
zuschlagen, und wenn der Besitzer eines neuen Hauses sich krank fühlt, so
fahndet er sofort auf solch einen Zaubernagel.
Der Zauber püegt für gewöhnlich um so leichter ausführbar zu sein,
wenn es dem Bösewicht gelingt, etwas von der Person, die er Icrank zu
machen wünscht, in seinen Besitz zu bringen. Auf dieser Anschauung
beruht die bei den Naturvölkern weitverbreitete Sorgfalt, ihre Nägelabschnitte,
ausgekämmte Haare, ja selbst ihren Speichel u. s. w. so zu vernichten oder
zu verbergen, dass Andere ihrer nicht habhaft werden können.
Eine Austral-Negerin in Victoria schrieb ihre fieberhafte Er-
krankung dem Umstände zu, dass ein von ihr bestimmt bezeichneter Schwarzer
iiir tiüher einmal Haare abgeschnitten habe und diese nun verbrenne. Ein
anderer Schwarzer schnitt Jemandem, von dem er etwas besorgt haben
wollte, einen Büschel Haare ab und drohte, ihn durch Verbrennen derselben
krank zu machen. Avenn er ihm nicht willfahre. Auf Serang kann mau
dui'ch das Begraben von etwas Haaren und weggeworfenem, ausgekautem
Pinang schwere Kopfschmerzen, von Haaren mit bestimmtem Baumhaiv,
Bein wunden hervorrufen. Das Verbrennen der Haare und Nägelabschnitte
unter entsprechenden Verwünschungen macht auf denLuang- und Sermata-
Inseln Schwellungen des Kopfes und der Hände, das Verbrennen der
Excremente erzeugt auf Serang Blutdiarrhoe. Auf Eetar kann man
Jemanden krank machen, wenn man sich von seinem Speichel oder von
seinem Haar etwas verschaffen kann. Dieses Avird unter dem Sprechen
von Besclnvörungsformeln in i'othe Leinewaud gewickelt und in einer be-
stimmten Grotte niedergesenkt; dabei ruft man die bösen Geister an, das>i
sie die betreffende Person krank machen sollen.
32 TL Dio Kranklieit.
Ks ist ;il)w 1)(M ('iuij>('n \'()lk('ni Miich seliou j^cnüj^oiul. etwas in seine
(liewült /u bringen, was mit dem auserkorenen Opfer in Berührung gewesen
ist, so z. B. ein Fussst;ipfen. ein Rest seiner Malilzeit^-odei- ein Stück seines
Kigentliums, um den scliiidlielieii Zauber zu volltulu'en.
So vermag man die soeben von der Insel Eetar Ix'scbriebene He/,au])erung
anstatt mit den genannten Körperbestandtheilcii aucii ebenso gut mit etwas
Pinang. den der Betreffende .•iusgek;nit b;itte. odei' ;iucb mit einem Stiiek
seiner Kleidung anszuiubicn.
In dem Seranglao- und (lorong- Arebipel niniuit mau den Kuss-
stapfen, welchen der Krankzumachende zurückgelassen hat, und vermischt
ihn mit Daniarharz. Dann wird die Mischung verbriinnt, wo])ei der
Zaubernde sprechen muss:
„Feuer verbrenne seine Beine, so dass sie gänzlich verzehrt sind.'"
Das Opfer bekommt hierdurch unheilbare Geschwüre.
G-anz besonders ausgebildet finden wir diesen Zauber mit S])eiseresteii
bei den Narrinyeri in Süd- Australien.
George Taplin berichtet von ihnen:
„Die Narrinyeri glauben, dass Krankheit durch Hexerei veruisacht
Averden könne. Jeder Erwachsene ist beständig auf der Suche nach Knochen
von Enten. Schwiineii oder anderen Vögeln, oder von Fischen, nanu^ns Ponde.
deren Fleisch ein Anderer gegessen hat. Hiermit übt er seinen Ngadhungi
genannten Zauber aus. Alle Eingeborenen tragen daher Sorge, die Knochen
der Thiere, deren Fleisch sie gegessen haben, zu verbrennen, um sie nicht
in die Hände ihrer Feinde gelangen zu lassen; aber trotz dieser Vorsicht
werden diese Knochen für gewölndich von Krankheitsn)acliei-n erlaugt.
welche ihrer bedürfen.'"
,,Hat Jemand solchen Knochen gefunden, z. B. den Schenkelknochen
einer Ente, dann glaubt er Macbt über Leben nnd Tod des Mannes, der
Frau nnd des Kindes zu besitzen, welche das Fleisch hiervon verzehrt haben.
])er Knochen wird präparirt, indem ei- etwas wie ein Spiess geschabt (zu-
gespitzt) wird. Dann wird ein kleiner runder Klumpen gemacht, indem
mau etwas Fischthran und rothen Ocker zu einer Paste mischt und darin
das Auge eines Murray-Stockfisches und ein kleines Stück Fleisch von
einer menschlichen Leiche einschliesst. Diesei- Klumpen wird auf die Si)itze
des Knochens gesteckt und eine Umhüllung darüber gebunden, und das
Ganze Avird in die Brust einer Leiche gesteckt, damit es durch die Be-
rührung mit den Zersetzungsprodukten todtbringende Ki-aft erhalte. Wenn
es hierin einige Zeit verblieben ist, so nimmt man an, dass es zum ( Jebrauche
fertig sei und. es wird fortgelegt, bis es gebraucht Avird. Treten Umstände
ein, welche den Zorn des Kraukheitsmacheis gegen die Person erregen.
Avelche das Fleisch des Thieres gegessen hatte, von dem der Knochen
stammt, so steckt er sofort den Knochen in die Erde l)eim Feuer, so dass
der vorhererAvähnte Klumpen allmählich schmilzt; hierbei glaubt er fest, dass
wie dieser schwindet, er bei der betreffenden Perst»n. wenn sie auch noch
so weit entfernt sei, Krankheit errege. Die vollständige Schmelzung nnd
Abtropfung des Klumpens wird als den Tod verursachend betrachtet."
„Ist Jemand krank, so l)etrachtet er gemeinhin die Ki-ankheit als die
AVirkung des Nuadliuni>i und bemüht sich, den Ki-anklieitsmaclier aus-
11. KraiikmacliPiider Zauber. 33
fiudig zu niacheii. AVenn er ihn lierausgcfundeii zu haben glaubt, dann
steckt er auch ein Ngadhungi in die Erde am Feuer zui- Wiedervergeltuug,
falls er einen Knochen besitzt, dessen Fleisch sein Feind gegessen hat.
Besitzt er keinen, so versucht er, einen zu borgen."
Von der zu der Neu-Hel)i'iden-(Jrup]u^ gehörigen Insel Tana be-
lichtet Turner einen ganz iihnlicheu Glauben. Er sagt: .,Als die Avaliren
Götter von T.ma müssen die Krankheits-Macher betrachtet werden. Es
ist überraschend. Avie diese Leute gefürchtet werden und wie fest man glaubt,
dass sie Leben und Tod in ihren Händen haben. Man ist überzeugt, dass
diese Männer Krankheit und Tod zu bringen vermögen durch das Ver-
bi-ennen von dem. was Nahak genannt wird; Nahak bedeutet Müll, aber
hauptsächlich S[)eisereste. Alles Derartige verbrennen sie oder tragen es
in die See, damit es nicht den Krankheits-Machern in die Hände fällt.
Diese Burschen sind stets bereit und betrachten es als ihren speciellen Be-
ruf. Alles zu dem Nahak Gehörende, das ihnen in den Weg kommt, auf-
zunehmen und zu verbrennen. Findet ein Krankheits-Macher zufällig ein
Stück Bananenschale. so nimmt er es auf. wickelt es in ein Blatt und trägt
es täglich um seinen Hals gehängt. Das Volk staunt ihn an und Einer
raunt dem Anderen zu: ..Er hat etwas, er Avill Nachts Einem etwas thun."
Abends schabt er etwas Baunn-inde, vermischt sie mit der Bananenschale,
wickelt Alles fest in ein Blatt, wie eine Cigarre und bringt das eine End(^
an das Feuer, um es schwälen und allmählich verbrennen zu lassen."
.,Wird Jemand krank, so glaubt er, dass es durch das Verbrennen von
solchem Abfall verursacht wurde. Anstatt auf Medicin bedacht zu sein,
ruft er Jemanden, dass er auf dem ]\ruschelhorn Idase, das zwei bis drei
englische Meilen weit gehört werden kann. Der Sinn hiervon ist, dass der
^[ann, von dem er annimmt, dass er durch das Verbrennen des Speiseabfalls
(He Krankheit verursache, auf diese Weise aufgefordert werde, mit dem Ver-
brennen einzuhalten: und es ist eine Zusage, dass den anderen ]Moi-gen
ein Geschenk gelu'acht werden wird. Je grösser der Schmerz, desto stärker
wird das Muschelhorn geblasen, und wenn die Schmerzen nachlassen, so
nimmt man an, dass der Krankheits-Macher freundlich genug ist. mit dem
\'erbrennen inne zu halten. Dann richten die Freunde des Kranken ein
(reschenk für den ^Morgen her: Ferkel. Matten, ^Nfesser. Hacken. Perlen,
Walfischzähne n. s. w."
„Manche von dei' Ivrankheits-Macher-Zunft sind stets bei-eit. Geschenke
zu nehmen und sie versprechen, ihr Bestes zu thun. um einer erneuten
Verbrennung der Speisereste vorzubeugen. Aber der arme Kranke hat
einen neuen Anfall in der Nacht und er glaubt, dass wieder sein Nahak
verbrannt wei'de. Das Muschelhorn wird wieder geblasen, andei-e Geselu'iike
werden gebracht, und so fort."
Eine Cond)ination des Fusssta])fen-. Haar- und Speichel-Zaubers hat
Tennent bei den Tamilen auf Ceylon kennen gelernt. Derselbe ist aber
sehr gefährlicher Natur, denn es sind dazu auch die Köpfe von Kindern
<'rforderlich. Diejenigen von Knaben verdienen den Vorzug, namentlich
wenn diese für den genannten Zweck eigens getödtet worden sind. Zni'
Noth thun es aber auch die Köpfe von Kindern, die eines natürlichen
Todes starben. Bei einer Haussuchung, welche bei einem dieser Zaubei-
ärzte vorgenommen Avurde. fand man einen li'isch vom Eumpfe abge-
Bartols. Medicin der Natuivölker. 3
34 IT. Die Krankheit.
schnittoncn Kiiidcrkoj)!'. Bei ferneroni Suclieu fand man dann auch den
Kunipl' unter Küihen versteckt, und aussei-deni wurden noch die Reste
mehrerer anderer Kinderleichen aufgefunden. -*
Um den Zauber auszuführen, wird der Schädel von seinen Weichthcnlen
eutblösst und gewisse Figuren und cab])alistische Zeicluui auf ihm angc-
l)raclit. in welche der Name des für die Bezauberuug auserwählten Opfers
eingefügt wird. Von des Letzteren Fussstapfeu wird dann der Sand mit
etwas von seinen Haaren und seinem Speichel zu einem Brei zusammen-
gemengt und auf einer Bleiplatte ausgebreitet. Diese und den Schädel
bringt darauf der Zauberarzt durch vierzig Nächte zum Begräbniss[)latze
des Dorfes und ruft die bösen Geister an, dass sie die betreffende Person
vernicliten möchten. Je mehr der Brei auf der Bleiplatte eintrocknet, desto
nu'hr verdorrt der Bezauberte, und endlich ist nach dem allgemeinen Glaulx-n
der Tamilen sein Tod ganz unvermeidlich.
Dass auch den Akkaderu und den Assyreru solch eine Bezauberung
mit dem Fussstaiofen, sowie auch mit dem sogleich zu erwähnenden mensch-
lichen Ebenbilde nicht unbekannt war, beweist uns wiederum eine Beschwörung
aus Sardanapals (Assurh anhahals) interessanter Hymnensammlung:
..Der Zauberer hat mich durch Zauber bezaubert, er hat mich durch
seinen Zauber bezaubert!
Die Zauberin hat mich durch Zauber bezaubert, sie hat mich durch ihren
Zauber bezaubert !
Der Hexenmeister hat mich durch Hexerei behext, er hat mich durch
seine Hexerei behext!
Die Hexe hat mich durch Hexerei behext, sie hat mich durch ihre
Hexerei behext!
Die Zauberin hat mich durch Zauber behext, sie hat mich durch ihren
Zauber behext!
Derjenige, der Bildnisse anfertigt, entsprechend meiner ganzen Erscheinung,
der hat meine ganze Erscheinung bezaubert.
Er hat den mir bereiteten Zaubertrank ergriffen und meine Kleider ver-
unreinigt.
Er hat meine Kleider zerrissen und sein zauberisches Kraut mit dem
Staub meiner Füsse vermengt!
Dass der Eeuergott, der Held, ihre Zaubereien zu Schanden machen
möge
»«
Wie wir bei der Verbrennung der Haare und der Nägelabfälle u. s. w.
eine Vernichtung nach dem Satze pars pro toto vor uns haben, so gehört
fast in das gleiche Gebiet der Zauber, welchen wir als einen symj)athischen
Schmelzprocess bezeichnen können. Wir finden ihn z. B. bei den Austral-
negern in Victoria.
„Irgend etwas, das dem verurtheilten Mann gehört, wird aufbewahrt;
vielleicht ist es ein Speer. Dieser wird zerbrochen oder mit einer Axt in
kleiiu; Stücke zerschlagen; die Stücke werden in einen Beutel gethan und
(üeser wird an das Feuer gehängt. Ein Gesang wurde gesungen; der Len-
Ba-morr wird angefleht, die Hitze zu dem wilden Schwarzen überzuführen,
sodass er welk wird und stirbt."
Aehulich ist auch die Schmelzung des vorher beschriebenen Zaultci-
khunpens der Narrinyeri und der Tana-1 nsuhuuM-.
11. Krankmachender Zauber. .35
Bei derartigen Ideenassociationen liegt es nun sehr nahe, dem aiis-
erwählten Feinde in effigie Schaden zuzufügen. Hier bieten uns wiederum
die "Wilden in Victoria ein gutes Beispiel. Bei ihnen muss der Medicin-
Manii ein Holzmodell desjenigen Körpertheiles anfertigen, an welchem der
Feind unter grossen Schmerzen erkranken soll. Dieses Modell wird an
das Feuer gehängt und stark erhitzt, unter dem Absingen bestimmter
Gesänge.
Ju dem Babar- Archipel fertigt man zu ähnlichem Zwecke eine
menschliche Figur aus einem Koliblatt und schneidet dieser unter Ver-
wünschungen den Kopf ab. Derselbe wird mit etwas Wachs zusammen in
ein Ei gethan und dann verbrannt. Im Aaru-Archipel wird solch ein
Menschenbild aus einem Harz gemacht und unter Verwünschungen in die
See geworfen, während man auf Anibon und den Uliase-Inseln solche
Figur hoch in einen Baum schleudert. Ein ähnlicher Zauber ist auch in
der zuletzt angeführten Beschwörungsformel der Akkader und Assyrer
erwähnt. Auf Ambon und den Uliase-Inseln wird auch wohl der Name
der betreifenden Person aufgeschrieben und in den Baum geschleudert, was
doch auch eine Art der Krankmachung in effigie ist. Eine Austral-
negerin in Victoria, welche fieberkrank war, erklärte, dass sie dahin-
siechen müsse, weil ein Schwarzer ihren Namen in einen Baum geschnitten
habe. Sie liiess Murran, was Blatt bedeutet, und man fand wirklich, dass
die Figur von Blättern in einen Grummibaum geschnitten war. Sie erlag
ihrer Krankheit.
Wie sich die Annamiten das Siechthum und die Todesart denken,
welches diu-ch solche Bezauberung beigebracht wird, das erfahren wir durch
die Aufzeichnungen von Landes:
„Die Patienten fühlen unbestimmte Schmerzen, anhaltenden Kopfschmerz,
Erstarren der Glieder; sie verlieren die Besinnung, ihre Gliedmaasseu
werden steif; sie fühlen eine Kugel oder eine Stange im Inneren ihres
Körpers, sie hören auf, zu essen und zu schlafen, und ihre Kräfte schwinden.
Die Augen und ihre Haut werden gelb, die Hände bedecken sich mit
schwärzlichen Flecken, der Bauch schwillt an und schliesslich platzt er und
verbreitet einen schrecklichen Gestank."
AVenn man glaubt, das Opfer einer solchen Bezauberung zu sein, so
kann man bei einigen Völkern durch einen Gegenzauber das Unheil ab-
wenden oder es sogar auf denjenigen übertragen, der es veranlassen wollte.
Die Australneger sind aber noch vorsichtiger. Sie lassen es womöglich
gar nicht bis zu der Ausübung des Zaubers kommen, sondern sie suchen
die für sie bestimmten Zaubermittel dem Besitzer abzukaufen oder gegen
solche auszutauschen, welche sie selber besitzen und mit denen sie dem
Anderen Schaden zufügen könnten.
Wir müssen noch die Frage aufwerfen, vermögen denn nun solche Zauber-
manipulationen in Wirklichkeit einen Schaden anzm-ichten ? So absonder-
lich dieses auch erscheinen mag, so können wir diese Frage doch nur mit
einem entschiedenen ja beantAvorteu. Natürlicher Weise sehen wir hier da-
von ab, dass die Naturvölker allerlei Krankheit, deren Ursache sie nicht zu
erklären im Stande sind, auf derartige Bezauberungen zurückzuführen pflegen.
Der Schaden ist in Wirklichkeit vorhanden und er ist wesentlich begründet
in der tiefen Gemüthsveistimmung der Betrotfenen. Dadurch werden sie, Avie
3*
36 IL Die Kraiikhoit.
Brongh Smith von doii Austriiliicjisoni Victorias sai^t. so gcscliwiicht in
iliron Kräften, so hültios. dass die Krankheit, so leicht sie aiicli sein inaj^.
nicht selten mit dem Tode endet. Aueli die ohenerwähnte fieherkranke
Murran sagte ihren Tod vorher, und Taplin eizäldt von einein Narrinveri
in Süd- Australien Folgendes:
..Als sich vor einiger Zeit ein Schwar/er meiner Bekanntschaft unwohl
fühlte und glaubte, dass dieses durch Beliexung entstanden sei. riel) er sich
zum Zeichen der Verzweiflung mit Euss ein. nahm seine Waften. ging und
zündete zwei Feuer an und theilte sein(M" ganzen Familie mit. von wem
er behext zu sein glaubte. o])wohl di(^ beti'ett'ende Person ungefähr vierzig
^Nfiles von ihm entfernt wai"." Er war von seinem herannahenden Tode
so fest überzeugt, dass er seine zum Feuer gerufenen Verwandten auifor(h'rt(>.
seinen Tod an dem Stamme zu rächen, der denselben verschuldet hai)e.
Die vorhergehenden Seiten haben wohl l)ereits gezeigt, wie weit der
(ilaube an solch einen krankmachenden und tödtenden Zauber verbreitet
ist. Auch auf den Inseln der Südsee ist er heimisch. Von den Neu-
Hebriden. von deren Insel Tana wir schon gesprochen haben, sagt
Samuel Ella:
,.Auf den Inseln Tamoia und Erromanga giebt es mehr Krankheits-
macher als Aerzte. welche ein wahrer Schrecken für die Eingeborenen sind.
So gross ist die Furcht vor ihrer eingebildeten Macht und ihren Mani-
])u]ationen. dass den Insulanern das Leben durch stete Angst und Sorge
verbittert ist.''
Auch hier, wie in Australien, muss man sorgfältig jeden Speiserest
und jedes abgelegte Kleidungsstück verbrennen, weil es sonst als ein ver-
hängnissvolles und vernichtendes Zaubermittel l)enutzt werden könnte, um
seinen einstigen Besitzer zu Grunde zu lichten. Derartiges Krankmachen
durch Bezauberung ist bekanntlich auch in den verschiedensten Theilen
von Afrika bekannt. Das Herausspüren des Schuldigen ist ein einträgliches
Verdienst der dortigen Medicin-Männer. und der Unglückliche, der als der
IMiäter bezeichnet wird, pflegt ohne Gnade getödtet, oder wenigstens seinen-
gesammten Habe beraubt zu av erden. Bisweilen aber ist es ihm gestattet,
durch ein Gottesurtheil seine Unschuld zu beweisen.
12. Krankheit entsteht durch Ortsyeränderuns; oder Verlust von
Körperbestandtheilen.
Wir haben weiter oben bereits augegel>en, dass hei den Xatm'völkern
als Ursachen für die Entstehung von Krankheiten auch die Ortsverände-
rung eines Körjierbestandtheiles odei' der vcillige Verlust (Mues solchen
anerkannt werden.
In erster Linie müssen wir dabei einer Auffassung der Ohii)pe\vay-
Indianer gedenken, welche annehmen, dass die Leiden in dem sclmierz-
haften Theile dadurch hervorgerufen wären, dass die Galle in diesen Theil
eingetreten sei.
Im deutschen Landvolke, namentlich in den Al[)enläuderu, spielt
bekanntlich die Ortsveränderung der Gebärmutter eine gi'osse Rolle. Sie
kann in di(^ Höhe steigen, als sogenannte H ebeni nttci'. und sie kann so-jar
12. Kiaukheit entsteht durch Ortsveräiideruiig etc. 'M
der Fniu im Schlafe, wenn diese den ^fnnd offen hält, auf diesem Wege
iu Gestalt einer Kröte heruuskrieelien.
Bei den Aiistralnegern in Vietoria spielt der Verlust des Niereu-
fettes eine grosse Rolle, und wieder ist es das Buch Hioh (19, 17), das uns
hierhei in die Erinnerung kommen muss, wo der Vielgeplagte klagt:
„Meine Xieren sind verzehrt in meinem Schooss."
Wem in Victoria das Nierenfett geraul)t wii'd. der ist einem
sicheren Tode verfallen, wenn es dem Medicin-Manue nicht gelingt, ihm
dasselbe wieder zu schatten. Derjenige, der das Nierenfett rauht, ist gewilhn-
lich ein wilder Schwarzer, oder vielmehr der Geist eines solchen, also mit
anderen Worten ein Dämon. Der Medicin-Mann sucht in einem magischen
Fluge diesen Geist zu en-eichen, ihm das Nierenfett abzujagen und es dem
Eigenthümer wieder ziu'ückzul)ringen. Stirbt ihm aber der Patient, so sagt
er den Angehörigen, dass dei' dämonische Schwarze das Nierenfett liereits
verzehrt hatte, bevor er ihn zu erreichen vermochte.
Einen solchen Kranken, welchem das Niereufett geraubt worden war,
hatte Ihomas Gelegenheit zu beobachten. Der Beraubte war auf der Jagd
gewesen, als ihm das Unglück zustiess, und er wurde nach seiner eigenen
Aussage sehr schwach und war niu- mühsam im Stande, zum Lager seiner
Freunde zurückzukriechen. SoAvie er bei seinem Mi am sass, erzählte er
seinen Freunden, was ihm begegnet sei, und die Männer versammelten sich
und setzten sich um ihn her. Sein Bruder und ein Freund stützten ihn in
ihren Ai'men, da er plötzlich sehr schwach wui'de, und hielten ihm den Kopf
aufrecht. Todtenstille herrschte in der Versammlung. Die Weibei' nahmen
die Hunde in Verwahrung und hüllten sie in ihre Felle ein. Als sich
Thomas in diesem Stadium dem Lager näherte, sah er nur wenige ghm-
nu-nde Lichtei" am Boden. Keine Stimme war zu hören, während unter
gewöhnlichen Verhältnissen fröhliche Stimmen, das Knacken von Zweigen,
das Bellen der Hunde und alle die anderen Töne eines giossen Lagers
gehört wui'den. Ein alter INIann, der Thomas' Ankunft bemerkte, trat zu
ihm. und warnte ihn, die Miams zu besuchen, wenn einem Manne von
einem wilden Schwarzen das Nierentett (Marm-l)u-la) fortgeuommen sei.
Thomas' eigene Diener hatten ihn abhalten wollen, heranzukommen, und es
war überall deutlich, dass eine feierliche und ernste Handlung von den
Eingeborenen vorgenommen würde. Als Thomas verharrte, sagte ihm der Alte,
dass er nicht sprechen dürfe, dass er leise auftreten, keine Zweige zertreten
und sonst kein Geräusch machen dürfe. Wie nun Thomas diesen Vorschriften
folgend herantrat, fand er die Schwarzen rund in Kreisen um den la-anken
und wie sie glaubten, sterbenden Mann sitzend; die ältesten Männer bildeten
(h'U innersten Kieis. die im Alter nächsten den zweiten und die jungen
^länner den äussersten.
Dem ]\Ledicin-Manne gelang es, dem Geiste des wilden Schwarzen das
Xierenfett wieder abzujagen und es dem Ki-anken wiederum au die richtige
Stelle zu setzen. ,.Der Kranke erhob sich, zündete seine Pfeife an und
rauchte i-uhig in der Mitte seiner F]-eunde." Er wai- geheilt.
Als fernere wesentliche Bestaiidtlicile des Körpers werden aufgefasst
die Seele und der Schatten.
Die (ieister dei' in Annam verstorl)enen Jungfrauen vergnügen sich
II. Dio Krankheit.
'"^ ^iV'.
in den Zweigen der Bäume und lassen ein sonderl)ares Lachen hören. Sic
erscheinen den A^driihergelicnden niiter verscliiedenen CJ estalten, und wenn
dieselben die Uidvlngheit besitzen, ihnen zu antworten, flieht ihre Seele aus
ihrem Körper und sie werden ii-rsinuig. Dieser TiTsinn ist ein besonders
schwerer und trotzt nicht selten allen Heilungsversuchen.
In Selebes glaubt man die E])ilepsie dadurch bedingt, (hiss die Seele
zeitweilig aus dem .Köri)(n- tli(^lit.
Wenn in Nias die bösen Geister von dem Körper Besitz ergreifen
und auf diese Weise in ihm die Krankheit verursachen, so ermöglichen sie;
dieses nur, indem sie so lange die Seele verjagen.
Die Fetissero der Loango-Neger haben in ihrem Leibe einen Zaul)er-
sack, durch Avelcheu sie das Leben der Erkrankten an sich ziehen.
Auf den Watubela-Tnselu wird in bestimmten Krankheitställen die
Seele des Erkrankten von den Dämonen gefangen gehalten. Auch in
Sumatra finden wir Aehnliches. Hier liat dei-
Mensch zwei Seelen, und ward er krank, so ist
die eine derselben von einem bösen Geiste ent-
führt worden. ..Das Leiden ist von kürzerer
oder längerer Dauer, von minder odcu' mehr
ernstlicher Art, je nach der Länge der Zeit,
Avelche die Seele in der Gefangenschaft zubringt,
und der Qualen, denen sie ausgesetzt ist." Denn
der Körper des Patienten empfindet die Qualen
und die Pein, w^elche die Seele durch die Plage-
reien des bösen Geistes zu erdulden hat.
In dem Seranglao- undGorong-Archijx'l
legen bisweilen böse IVlenschen ein Matavuli-Blatt,
auf welches sie eine gegen einen ihrer Genossen
gerichtete Yerfluclmng geschrieben haben, unter
eine Leiche. Auf diese Weise versuchen sie
die Seele des Betreffenden zu entführen und
l)ei dem Todten festzuhalten. Hierdui'ch vei-
fällt der Unglückliche einer laugsamen Er-
schöpfung und endlich dem Tode.
Auf den Hervey-Inseln benutzen böse
Menschen einen Seelenfänger, um die Seele
ihres Feindes zu fangen (Fig. 10). Es ist nach
Plejte eine ungetähr drei Meter lange Schnur
aus Cocosfasern, an welcher schlingenförmig
Stricke befestigt sind. Man hängt dieses Ge-
räth an einem Baume auf. 1)ei dem das Opfer vorüber muss, und verbirgt
es im Laube. Erblickt der Betreffende nun das Instrument, so glaul)t er
fest, dass seine Seele in demselben hängen geblieben ist, „und regt sich da-
durch so auf, dass er krank wird vor Angst und Schrecken und bald stirbt.
Wie die Eingeborenen sagen, ist dieses Instrument ein ])robates Mittel,
uiu Jemanden aus der AVeit zu schaffen."
Auf Ambon und den Uliase-Iuseln, sowie auf Buru machen die
Dämonen die Menschen krank, indem sie entweder ihre Seele oder ihren
Schatten fortführen. Bisweilen al)er zieht auch der Schatten die Seele au
Fig. 10. Seelenfänger der
Hervev-Insulaner nach Plei/tc
13. Die Krankheit entsteht durch den Willen der Gottheit. 39
sich und daraus resiiltirt el)enfalls Krauklieit, his die Seeh^ Avieder von dem
Schatten fort und an ihren Platz zurückgebracht ist.
Die Niasser glauben, dass die schwersten Krankheiten dadurch zu
Stande kommen, dass die Gottheit den Schatten verschlingt, welchen die
Menschen unter dem Himmel werfen. Wenn dann gleichzeitig die bösen
Geister sich des Schattens bemächtigen, welchen die Menschen unter die
Erde werfen und densel])en verzehren, so müssen die Kranken sterben,
fangen die bösen Geister den Schatten und fi-essen ihn. so verfällt der
INIensch ebenfalls in Krankheit. Er kann jedoch aus derselben noch errettet
Averden, wenn nicht die Gottheit auch den anderen Schatten verschlingt.
Die bösen Geister haben für diese Jagd auf die Schatten besondere Hunde
mit rückwärts gedrehtem Kopfe; sie sind unter dem Namen „Lufthundc"
bekannt.
13. Die Krauklieit entstellt durch den Willen oder die gnädige
Fügung der Gottheit.
Haben wir in dem vorigen Abschnitt bereits die untrüglichen Beweise
gefunden, dass die Naturvölker ethischer Empfindungen durchaus nicht
haar sind, so tritt dieses noch um so deutlicher hervor bei zwei ferneren
Entstehungsm'sachen der Krankheiten. Als die erste haben wir die Auf-
fassung zu l)ezeichnen. dass die Krankheit entstanden wäre, weil es so der
A\^ille der Gottheit sei. Es ist das ein Glaube, welchen wir auf der Insel
Bali autreffen. Derselbe ist wahrscheinlich bereits wesentlich beeinflusst
durch den Fatalismus des Islam. Und so anerkennungswerth auch diese
(i! Ottergebenheit ist, so hat sie doch auch ihre nicht unerheblichen Nacli-
theile. da ein Versuch, der Erkrankung vorzubeugen, natürlicher Weise
gleichbedeutend sein würde mit einer Auflehnung gegen den göttlichen
AVillen. Aus diesem Grunde widersetzen sich diese Insulaner auch beispiels-
weise der Pockenimpfung, denn sie nehmen an. dass es der unumstössliche
Wille der Götter sei, dass eine bestimmte Anzahl von Menschen von den
Pocken ergriifen würde. Die Dewa Madjapahit sind es, welche ihnen die
Pocken bringen, und wer sich ihrem Willen zu widersetzen sucht, der muss,
Avie sie glaul)en, nach dem Tode tausend Jahre harren, bis es ihm vergönnt
Avird, in die himmlische Glückseligkeit einzugehen.
In manchen, allerdings nicht sehr häufigen Fällen av erden auch von
den Loaugo-Negern plötzliche Todesfälle als der Ausfluss göttlichen
Willens aufgefasst. Sie gel)rauchen dann den Ausdruck gläubiger Ergeben-
heit: „Zambi tumesi", d. h. „Gott hat ihn gerufen"'.
Noch absonderlicher Avill uns eine zAveite Auffassung erscheinen, welche
in der Ivrankheit. und zwar ebenfalls Avieder in den Pocken, nicht allein den
Ausriuss des göttlichen AVillens, sondern sogar eine göttliche Begnadigung
erblickt. Auch dieses ist wiederum bei einigen Eingeborenen der Insel
Bali der Fall. Es erklären sich hieraus eine Anzahl von Redensarten,
Avelche sämmtlich für den Begriff" „von den Pocken l)efalleu sein" gebraucht
Averden. Derartige Iledewendungen sind „begnadigt sein", ..ein Geschenk
der Götter haben'", „durch die Götter geehrt sein".
40
II. Die Kriiiiklioit.
..Diese Aiiscliiuniiiir. tiiiit Jacobs, «iein wir die olji^cii Aiii:;)l)en ver-
danken, hiii/ii. scheint rein lii nduiscli /u sein und man findet sie aueli bei
den meisten IJuddliistcn
wieder. Ein cliiuc-
sisclies Mädchen z.B.hat
caetei'is ))aiil)us inchr
Aussiclit auf eiue Ver-
heirathuni?, wenu ihr das
( Jesicht (hircli die Pocken
mit Nai'hen Ixuk'ckt ist."
Audi hei deuB h e e 1 s
in Kads('h])utana er-
liölien nach il/oore Pocken-
narben the weil)hche
Schönheit, und sie siiul
eine Galx' (h-r Göttin
Matha, welche in der
Xachbarschaft jeghchen
Dorfes einen Tempel odi'r
einen grossen heiligen
^\ '""WKMK^' ^' Hl ^^^^^^' 3Iatha-kn-thiiu
^\ .^^^^^^^j/> xsV;^ ,' 'ifll gj genannt, besitzt. Bis-
Aveilen Avird sie als eine
glotzäugige Holztigui'
dargestellt, welche mit
Klitterwerk verziert ist ;
hä,ufiger aber Avird sie
nur als ein rothbem alter
Stein verehrt. Tausende
von Weibci'n und Kin-
dern nahen ihr mit
Opferga b( ■ n ; a her das
(4ebet bezieht sich nicht
darauf, dass sie die Be-
völkerung verschonen
soll, sondern sie erflehen
nur einen milden Be-
such von ihrer Seite. Aber den \'erlust nur eines Auges rechnen sie aiu'h
noch zu den mild(Mi Fällen.
Fig. 11. Goldener Pt'eilring, Srbwert und Steine, alte Erb-
stücke der Fürsten von Pasiiiipai (Sumatra), deren
Anblick die Kinder krank macht.
Nach ran Jlasselt.
14. Sympathetische IJehertraguii^ als Ursache der Krankheit.
Trotz dieser zahlicichen iMöglichkeitoi, welche den Natui'kindern zur
Verfügung stehen, um den Ausbruch einer bei ihnen aufgetretenen Krauk-
lieit zu erklären, ist ihnen das doch Alles noch nicht genügend und sie
suchen in manchen Fällen für bestimmte Erkrankungen auch noch nach
anderen Entstehungsursachen. J)ie eine derselben, die zauberhafte Ueber-
tragung der eigenen Krankheit auf einen Anderen, haben wir bereits in dem
A])schnitte. wdclier von (Umi Bezaubernni,''en handelt, ei'wähnt. War es
15. Bö.sc Winde als Ursache der Kraiiklieit. 41
liier immer der Zaubernde, welclu'r die Erkrankung verursadit hatte, auf
den der Bezauberte die Krankheit zurückzuzauberu vermochte, so finden
wir bekanntermaassen in der deutsclieu Volksmediein allerlei Versuche,
sich von einer Krankheit dadiuch zu befreien, dass man sie auf irgeiul
einen ganz unschuldigen Nebemnenschen biniUjerwandern lässt. Man heftet
sie durch gewisse Beschwörungen an (icld oder andere Dinge, welche des
Jvranken Eigenthum sind. Das wird irgendwo an öäentUcher Stelle nieder-
gelegt, und wenn es Jemand aufnimmt, so nimmt er damit die Krankheit
auf sich und der Andere ist geheilt.
Eine andere Art von Krankheitsursache lernte van Hasselt in Pasimpai
in Mittel -Sumatra kennen. Es waren sorgfältig verwahrte Erbstücke
(Fig. 11), Avelche unter Umständen zu Heilzwecken (Henten. Sie durftoi
nicht zu ebener Erde aufbewahrt werden, da der Glanz, welcher von ihnen
aussti'ahlt, nachtheilig auf die Gesundheit der Kinder einwirken würde.
Die nordamerikanischen Indianer glauben auch, dass Jemand da-
(kirch erkranken könne, dass er einen unglücklichen Namen trage. Wenn
dieses als die Ursache der Krankheit erkannt ist, so muss scmu Xauie ge-
ändert werden.
15. Böse Winde als Ursache der Krankheit.
Auf den Luang- und Sermata-lnseln, sowie auf Buru, Anibon
und den Uliase-Inseln werden für den Ausbruch von Ki'ankheiten bis-
weilen „böse Winde" verantwortlich gemacht. Auf der Insel Eetar glauben
die Eingeborenen, dass die Pockenkrankheit auf der Insel Alor ihren Woliii-
sitz habe, und dass die Winde sie ihnen von dorther herüberführten, damit
sie diejenigen Männer tödte. welche innerliall) eines bestininiten Zeitraunu^s
einige Aloresen umgebracht hal)en.
Auch den Indianern Nord- Amerikas ist der Gedanke ganz geläufig,
dass die Winde etwas mit der Verbreitung der Ki-aukheiten zu schaffen
hätten. Es spricht sich das in Beschwörungsgesäugen der Medicin-Männer
aus, welche uns Gatschet von den Klamath-Indianern in Oregon zu-
gänglich gemacht hat. Stets tritt. in diesen Gesängen der Medicin-Männer
die übernatürliche Gewalt, an welche die BescliAvörung gerichtet ist, selbst-
redend auf. So begegnen wir daselbst z. B. dem Gesänge des Westwindes:
„Ich, der Westwind, hoch über der Erde
Blase ich als ein verderblicher Windstoss."
Der Kegensturni singt:
„Die von mir hervorgerufene Kraidvheit ist angelaugt,
Ich bin der Sturm und Wind, und dies ist mein Cxesaug."
In einem anderen Gesänge heisst es:
„Wer, möcht ich wissen, bläst aus meinem Munde?
Die Krankheit geht aus von meinem Munde;"'
lind wieder in einem anderen:
.,Was für ein Ding blase ich umher?
Die Krankheit blase ich riny-s in die Luft."
42 TT. Die Kranklicit.
Bei den nlton Türken sc^heinen iUmliclie Ansc-liauungen fgeherrscht
zu haben, denn es heisst in einem uijfnriselien Friede vom .[alire lOOi):
„Der Besprecher giebt es viele,
Die des Windes Krankheit heilen.
An die mnsst Du, Herr, Dich wenden,
Von der Ivrankheit heilen Sprüche."
Aueli iu Cambodja Innugt man den Wind mit der Krankheit in Vei-
l)iuduug. Man rauss auf seiner Hut sein, damit man ilin nicht beh-idigt.
Denn ein solclies Vorgelien straft er damit, dass er Anschwellungen und
Geschwüre entstehen lässt.
16. Natürliche Kranklieitsursachen.
Wir nähern uns mit dieser schon halb meteorologischen Auffassung dei-
Ivraukheitsentstehung bereits den weniger übernatürlichen Yorstellungen
von den Ursachen der Krankheiten. Unter den letzteren ist zu erwJihnen.
dass auch einzelnen Naturvölkern beieits das Bewusstsein aufgegangen ist.
dass dui'ch eine unzweckmässige Ernährung Ka'ankheiten entstehen können.
So glaubt man auf den Luang- und Sermata-Inseln, dass Erkrankungen
diu'cli schlechte Nahrung hervorgerufen Averden können, und in dem Seran-
glao- und Gor ong- Archipel schiebt man den Ausbruch der Lepra, des
Aussatzes, auf eine unzweckmässig gewählte Ernährung. Dahin gehört
der übermässige Gebrauch von spanischem Pfeffer, sowie von einer be-
stimmten Fischart mit rothem Kopfe und vom Tintenfisch (Octopus).
Die Annamiten schieben das übermässige Dickwerden der Bäuche bei
jnngen Kindern darauf, dass die Mutter fortgefahren hal)e, sie zu säugen,
wälu-end sie sich bereits wieder in anderen Umständen befand.
Körperliche Ueberanstrengung kennt man als Ursache von Er-
krankung auf den Seranglao- und Gorong-Iuseln. Es wird dieselbe
ebenfalls für eine der Ursachen der Lepra gehalten. Für die Entstehung
des Kropfes macht man auf Buru das viele Klettern auf Bäume ver-
antwortlich.
Eine Ansteckung erkennen die Einwohner von Tanembar und den
Timorlao-Inseln, die Kei-Insulaner und die Karayä-Indianer in
Brasilien an, die letzteren bei der Lungentuberkulose. An eine Vererbung
der Krankheit glaubt man auf Serang, auf Keisar, auf Leti, Moa und
Lakor, auf Tanembar und den Timorlao-Inseln, sowie auf den Kei-
und Aaru- Inseln. Es ist in hohem Grade interessant zu sehen, welclni
Krankheiten diese Insulaner für erblich betrachten. Es sind auf Keisar,
»Serang und den Aaru-Iuseln der Aussatz, auf Leti, Moa und Lakor,
auf Tanembar und den Timorlao-Inseln die Epilepsie und auf den
letzteren Inselgruppen und den Kei- Inseln die Geisteskrankheiten. Man
sieht, dass uns hier trotz aller sonstigen Absonderlichkeiten doch wiederum
ein Stück recht guter Naturbeobachtungen entgegentritt.
17. Der böse Blick.
43
17. Der böse Blick.
Wir dürfeu es nicht unterlassen, schliesslich noch einer weitverbreiteten
Ursache nicht selten todtbringender Krankheit zu gedenken, das ist der
böse Blick, das malocchio der Italiener. Für mich hat es den An-
schein, als ob man zwei verschiedene Arten des bösen Auges unterscheiden
müsste, welche man als den beabsichtigten und den unabsichtlichen bösen
Blick bezeichnen könnte. In ihrer Wirkung sind sie beide gleich. Wessen
Auge von ihnen getrolien wird, dem ist
Unheil, Krankheit und Siechthura gewiss
und der Tod kann hiervon die Folge sein.
Der Unterschied ist aber darin zu suchen,
dass der Eine mit der magischen Kraft
seines Blickes absichtlich und bewusst
seinem Mitmenschen diesen Schaden zu-
fügt, während dem Auge des Anderen
der Fluch, die unglückliche Gabe an-
haftet, das Unglück zu bringen, ohne
dass er selber es weiss und beabsichtigt.
Diese letztere Auffassung scheinen
wohl zum Theil die südeuropäischen t^,. -,n » ^^^i m- ^ a
-^^..,, , . AI • lAi- 1 11 ^^" • -^i^iiiet der iurkeu gegen dea
bösen Blick. (Constantinopel.)
Vierfach vergrössert.
Im Besitz des Verfassers.
Völker zu besitzen. Absichtlich schleu-
dert den bösen Blick der Medicin-Mann
der Sahaptin-Indianer, sowie der
Klamath, der Waskows, der Cayuse und der Walla-Walla. Ge-
senkten Hauptes muss man bei ihnen vorübergehen, damit man nicht von den
ki-ankheitbringenden Strahlen ihres zornfunkelnden Auges getroffen werde.
Auch die Laoten fürchten sich vor dem bösen Blick bestimmter Leute.
Abwehrende und den Zauber
des bösen Blickes unschädlich-
machende Amulete finden wir bei
manchen anderen Volksstämmen.
Am bekanntesten ist hier die Fica
der alten Römer, die kleine Nach-
bildung einer Faust, deren Daumen
zwischen dem Zeigefinger und dem
Mittelfinger steif gerade hervor-
gestreckt ist. Eine kleine gläserne
Hand, aber mit sämmtlich aus-
gestreckten Fingern, tragen noch
heute die Türken in Constan-
tinopel (Fig. 12), und auch bei den
Juden in Marokko ist es Sitte,
kleine Hände aus Messingblech
(Fig. 13) mit ausgestreckten Fingern an der Kopfbedeckung der Knaben zu
befestigen, um sie vor dem schädlichen Einflüsse des bösen Blickes zu
bewahren. Die Cyprioten versehen sich in der gleichen Absicht mit einem
gläsernen Knopfe, welcher in blauer und gelber Umrandung eine weisse
Mittelfläche mit schwarzem Mittelpunkt besitzt und so eine entfernte Aehu-
lichkeit mit dem Bilde eines Auges darbietet (Fig. 14).
Fig. 13. Amiilet der
Marokkanischen
Juden gegen den bösen
Blick.
Mus. f. Völkerkunde
Ber li n.
Nach Photographie.
Flg. 14. Amulet der
Cyprioten gegen den
bösen Blick.
Im Besitz des Verfassers.
44 TT. T>ir Krankheit.
Bei den Klamatli-Tndianein verinögeu unter Uiiiständeii Be-
sdbwönings-Gesänge gegeu den Zauber des bösen Blickes zu belfeu. Die
Harrari in At'rikn trinken dagegen die Abkochung einer Damasnianii
genannten Pflanze.
18. Rückblick.
Wir bal)en in den vorbeigebeuden Seiten den Versuch gemacht, an-
nähernd die Vorstelhmgen kennen zu hörnen, welche die Naturvölker sich
von dem Wesen und den Ursachen der Krankheiten gebildet haben. Einen
vollständig klaren und erschöpfenden Einblick hier erlangen zu können, ist
wohl überhaupt ein Ding der Unmöglichkeit. Denn in den meisten Fällen
werden sich diese uncivilisirten Stämme wohl selber nicht vollständig klar
über diese doch immerhin etwas abstrakten Begriffe sein. Und sicherlich
können und wollen sie dem Europäer nicht Alles mittheilen, was sie von
diesen Dingen denken und empfinden. Das Eine haben wir aber zu er-
kennen vermocht, dass nicht bei allen Völkern diese Begriffe so scharf
präcisirt und abgegrenzt erscheinen , wie wir es im Interesse einer klaren
Uebersichtlichkeit vornehmen mussteu. AVir haben wohl gesehen, Avie sich
die Anschauungen nicht «selten verschieben, vermischen und in einander
übergehen. Aber ist denn das bei unserer Volksmedicin etwas anderes?
Wer aus unserem Landvolke würde wohl im Stande sein, erschöpfend und
klar uns auseinander zu setzen, was er sich unter den Ki'ankheiteu vor-
stellt und wie er glaubt, dass sie zu Stande kommen? In der Mehrzahl
der Fälle werden seine Vorstellungen hiervon höchst unklar und verworren
sein und es wird ihm an der rechten Ausdi'ucksweise gebrechen, um uns in
seine Empfindungen einzuweihen. Trotz dieser Unvollkommenheit jedoch
durften unsere Untersuchungen nicht unterbleiben. Denn ganz nothAvendig
bedürfen wir ihrer, wie wir bereits im Anfange erwähnt haben, um allerlei
Maassnahmen zu verstehen, welche zur Beseitigung der Krankheit und zur
Wiederherstellung des Patienten unternommen Averden. Und Vieles. Avas
uns vorher sinnlos vorkommen musste, und avo Avir nicht zu begreifen ver-
mochten, Avarum man nun gerade zu solchen Hülfsmitteln seine Zuflucht
nimmt, Avird uns dann ganz überlegt und Avohl durchdacht erscheinen müssen,
obgleich es natürlicher Weise oft nach unseren civilisirten Anschauungen
und Kenntnissen vollständig unzureichend ist und nicht selten dahei- auch
den angestrebten Zweck verfehlt.
III.
Die Aerzte.
19. Die Medicin-Mäniier.
Wenn wir einen Blick auf unser Landvolk werfen, so sehen wir, dass
überall eine einzelne Persönlichkeit sich aus der Gruppe der Gaugenossen
hervorhebt, welcher in allerlei Nöthen und Gebresten des Leibes und nicht
selten auch der Seele das allgemeine Vertrauen entgegengetragen wird.
„Er kann mehr, wie Brodessen,'' lautet in Deutschland die ständige
Redensart und es ist damit für jeglichen Eingeweihten deutlich ausgesprochen,
dass demselben, ganz abgesehen von einem höheren Wissen und Können,
auch noch übernatürliche Kräfte innewohnen und dass. er mit übernatürlichen
Gewalten in unmittelbarer Beziehung steht. Ganz das Gleiche finden wir
a,uch bei den Naturvölkern, nur dass hier ganz offen zu Tage tritt, was in
unserer modernen Yolksmedicin mehr oder weniger verstohlen sein Dasein
fristet. Damit ist es nun natürlicher Weise aber nicht ausgeschlossen, dass
man in Kleinigkeiten sich selber hilft, und es wird uns dieses von den
Eingeborenen Süd- Australiens auch noch besonders bestätigt. Wenn
aber Jagor von den Igorroten der Philippinen und von Rosenherg von
den Mentavej- und Aaru-Insulanern und von den Einwohnern von
Dorej an der Südwestküste von Neu -Guinea berichtet, dass es besondere
Aerzte bei ihnen nicht gäbe, sondern dass ein Jeder sich selber hilft, so
müssen wir hierfür wohl doch erst noch eine genauere Bestätigung ab-
warten. Es widerspricht das so sehr der menschlichen Natur, und wir
sehen selbst bei den culturell so tief stehenden Australnegern einen
wohl ausgebildeten ärztlichen Stand, so dass es mir doch der Wirklichkeit
mehr zu entsprechen scheint, wenn wir annehmen, dass es den genannten
Reisenden zufälliger Weise nur an der günstigen Gelegenheit gemangelt
hat, die Aerzte in Funktion treten zu sehen, und dass sie desshalb auf
einen gänzlichen Mangel derselben irrthümlich geschlossen haben. Es
widerlegt sich übrigens nach wenigen Absätzen von Bosenherg schon selber,
wenn er von den Doresen sagt:
.,Piiester giebt es nicht, wohl aber Zauberer, welche Beschwörungen
machen, Zaubereien verrichten und Kranke heilen."
Deutlichei' kann das Vorkommen eines besonderen ärztlichen Standes
doch wirklich kaum bestätigt werden.
Bei den Weddah, den wilden Ureinwohnern von Ceylon, gehen Paul
und FritiS Sarasin so weit, dass sie ihnen überhaupt jegliche Spur medi-
cinischer Kenntnisse absprechen und dass die Fälle, die das Gegentheil be-
weisen, ihre Erklärung darin landen, dass hier der Verkehr mit Tamilen
und Sinsi;haleseu den Weddah diese Kenntnisse übermittelt habe. Auch
48 TIT. Die Aeizto.
hier liegt Aviilirscliciiilicli ein Intliuin v<^)i': denn gerade die angetiilirtcn
IVranssnaliuieu (Bcniit/nng von liindcn und Auflegen von Blättern), wclelic
<leii Beweis dafür liefern sollen, dass die Weddah sie von den Tamilen
und Singhaleseii erlernt haben, stellen so elementare (Tedankengänge
dar, dass wir sie bei den verschiedensten, auch ganz tiefstehenden Natui-
völkern wiederfinden und dass Avir daher, Avie mir scheinen Avill, durchaus
nicht genöthigt sind, sie Ixm d<Mi Weddah als etwas von anderswoher
T'eberliefertes anzusehen. Denn auch dem ])rimitivsten menschlicben Geiste
wohnen diese (ledankengänge inne.
Die Krankheiten w(>rden, wie wir oben ausführlich eröi'tei't haben.
ül)erwiegend als veranlasst durch überirdisclie Wesen angesehen. Es ist
in Folge dessen ganz naturgemäss und logisch, dass man Hülfe und Heilung
in Krankheitsfällen nur von solchen Menschen zu erwarten berechtigt ist,
Avelche in den Besitz von übernatürlichen Kräften gelangt sind. Avelche im
Stande sind, mit den betreft'enden (leistern, seien es nun Gottheiten. Ahnen-
geister oder Dämonen, in unmittelbaren Verkehr zu treten, ihren Willen
und ihre Absichten zu erforschen, ihren Zorn zu besänftigen und ihren
UnAvillen zu versöhnen, oder auch sie zu bannen, sie zu verjagen und ihrer
Herr zu Averden. Nun ist die Krankheit nicht das einzige Ungemach, das
dem Menschen zustossen kann. Man Avill aber vor jeglichem Unglück ge-
schützt sein, man will Erfolg und Gedeihen in seinen Unternehmungen
haben, Segen im Landbau, reiche Beute auf der Jagd, Glück im Kriege,
und in Folge dessen muss man ernstlich bemüht sein, mit den überirdischen
Gewalten, den Segenbringenden soAvohl als auch den Verderblichen, in
gutem Einvernehmen zu verharren. Der eigenen Kraft vertraut man nicht.
Wiederum bedarf man dazu einer mächtigeren ^Mittelsperson, und da kommen
nun natürlicher AVeise in erster Linie Avieder diejenigen Personen in Betracht,
deren übernatürliche Fähigkeiten, deren Beziehungen zum Reiche der (leistei-
Allen bereits hinreichend bekannt sind.
So erklärt es sich in einfacher Weise, dass Avir bei den Naturv()lkei-n
ausserordentlich häufig die ärztlichen und die priesterlicheu Funktionen in
denselben Händen sehen. Es ist der Arzt, der die priesterlichen Vemch-
tungen übernimmt, oder der Priester, Avelcher die Kranken heilt; denn die
Behandlung der Kranken Avird zum Gottesdienst und strenge, rituelle Vor-
schriften sind mit ihr verbunden. Der Verkehr mit den Geistern ist im
Sinne der Naturvölkei- ja ein Gottesdienst. Denn auch die Dämonen können
segenliringend wirken, Avenn man sie sich zu verbinden vermag, damit sie
dem Feinde Verderben bringen. Und der Arzt und Priester, der sie
hierzu veranlasst, Avird auf diese AVeise gleichzeitig auch zum Zauberer.
T^nd zum Seher und Wahrsager Avird er, Avenn ihm die Geisterwelt die
Zukunft oflfenhai't, ihm die Jagdgründe anzeigt, avo dem hungernden Volke
sich reiche Nahrung bietet, und ihn vorhersehen lässt. ob ein geplanter
Eroberungszug dem Stamme zum Glück ausschlagen Avird, oder zum Ver-
derben. Diese Funktionen sehen Avir daher dauernd sich durch einander
schieben und die Reisenden melden uns medicinisches Wirken bald vom
Arzte, bald vom Priester, bald vom Wahrsager und vom Zauberer. T^ml
für geAvöhnlich sind das immer die gleichen Perscinlichkeiten. welche bald
in der einen, bald in einer der anderen Funktionen von den Beiichterstattern
lielauscht Averden konnten.
20. Die sociale Stellung der .Mediciu-Männer. 4!)
Zwei Ausdrücke sind es iianieiitlicli, mit welelieii wii- die Ti-ä<>;ei-
dieser verschiedenartigen Funktionen hezeiclinet finden. Das eine Mal
werden sie Schamanen i>(>ti;miit. das andere ^Nfai Medicin-Mänuer. Dei-
«M'stere Ausdruck entstammt den nordasiatischen Yölkerscliaften. der
letztere ist bekannte]- Maassen den noi'damei'ikanischen Indianern
<'ntnommeu, weh-lie mit dem französischen Worte medecine aUes l)ezeich-
Tieten. was von ihnen als unbegreiflich und übernatürlich angesehen wurde.
I )ie übrigen Ausdi'ücke. die wii- wohl nocli antreffen, wie Doctor. Zaidx'rer,
Hexer, (laukier und Tasclicnsjjiclei- sind dagegen verschwindend und jeden-
falls um Vieles uim(M'ignetei-.
20. Die sociale Stellung der Medicin-Männer.
H]nts])reciiend den iji das (iffentliche und private Leben tief eingreifenden
\'erpflichtungen. welche ihren Händen anvertraut sind, ist die Stellung dei-
Medicin-Männej- im Allgemeinen eine l)esondere. bevorzugte und angesehene.
Dass sie im Volke wenig in Ansehen stehen, ist sicherlich eine grosse
Ausnahme, von Rosenberg berichtet dieses von Andai an der Xordwestküste
\eu-Guineas. Audi was derselbe Autoi' von der Insel Nias angiel)t.
dass dort die Aei'zte leben und arbeiten, wie j<m1 er Dorfbewohner, und dass
sie keinesweges ein höheres Ansehen geniessen. das ist nn'ndestens unge-
Iträuchlich.
Füi' gewölmlicl) ist. wie gi'sagt. ihr Ansehen und ihr EinÜuss sein-
gross. Sie finden bei den Zulu, wenn sit' auf dei' Wanderung sind, überall
eine giite Aufnahme: sie werden bei den Dacota- 1 ndianei'n stets mit der
grössten Ehi'fiu'cht behandelt und mit den besten Dingen vei'sehen. sie
sind bei den Ipurin a- 1 ndianern undbei den Austra hungern von Victoria
die einflussreichsteu Personen des Stammes, lu Ijiheria sind sie die Kath-
geber der regierenden Häu])ter in Kriegs- und Fi-iedenszeiten. In Victoria
sind sie die ausschlaggebenden Personen in der Vertheilung des Landes,
in Gi})psland ordnen sie die Wanderungen und Versannidungen des
Stammes an. Höchst eintlussreich ist auch ihre Stellung bei den von
Serpa Pinto besuchten (Tanguella-Xegern in Caquingue. obgleich liei
diesen die ^Iedicin-]\ränuer. die Wahrsager und die Zaul)erer gesondei'te
Stände bilden. Ariele heilige Handlunge]i dürfen hier nur in der (Tregenwai't
des ^ledicin-ManiH's vorgenonnnen werden, und in Fragen von Wichtigkeit
Liilt seine Stimme mehr sogar, als diejenige des AVahrsagers. Ki- s])richt
-i'ine Entscheidung abei- niemals aus. ..ohne vorher gewisse Ceremouien zu
\ eranstalten. die sogenannten medicinischen Gebräuche, zu denen er bald
PHanzeu, bald Menschen- oder Thierlilut vei-wendet."
Das allerhöchste Maass von Ansehen, das der ]\Iedicin-Mann geniessen
kann, berichtet Turner von einer bestimmten Gegend von Samoa. Hier
w urd(^ ein alter ]\lann als die Incarnation des Gottes Taisumalie (d. h. die
sanft anschwellende Fluth) angesehen, der als Medicin-Mann in der Familie
"wirkte. Die Nachbarn zogen ebenfalls in ihren Krankheiten zu ihm. Sein
Hau])tmittel war. den befallenen 'Pheil mit Oel zu reiben uiul dann mit
Bartels, Medicin der Naturvölker. -4
nO 111. Die Aevzto.
iiusNci'stci' Kial't seiner Htiiinnc liiiit' ]M:il d.is \\'()it Taisumaiie /u schreien
nnd sü ihn fünf Mnl zu rufen, dass er komme und heih'. AVenn das ge-
schehen war, wurde der Kranke enUass(Mi. um die Heihing abzuwarten.
Trat die Genesung ein, so gab die Familie hierfür ein Fest, goss für den
Gott eine Schale voll Kawa auf die P^rde, dankte für die Heilung und die
Gesundheit und betete, dass er fortfaliren möge, seinen Rücken zum Schutz«^
ihnen zuzukehren, sein Antlitz aber gegen die Feinde dei' Familie.
Die Kranken bi'ingen den ^Medicin-Männein ein unbedingtes Zutrauen
entgegen; das finden wii' im malayischen Archipel, sowie durch ganz
Amerika und Australien. Aber kein Vertrauen wird bei den Zulu
in einen Arzt gesetzt, welchei' sich einer Fettleibigkeit zu erfreuen hat.
Mit grosser Genugthuung rühmten die Eingeborenen von Victoria in
einem Falle, in Avelchem der Medicin-Mann einen scheinbar Sterbenden
durch schleunige Zmiickbringung des ihm gestohlenen Nierenfettes geheilt
hatte, „wie schnell ein Arzt ihres Volkes eine Krankheit heilen könne,
welche ein weisser Arzt für unheilbar Ijetrachte."
Wir sehen, die Einbildung ist es, oder wie man heute sagen würde, die
Auto-Suggestion, welche bei den Naturvölkern allerlei Krankheiten ent-
stehen lässt, und durch die geschickt ausgetuhrte Suggestion ihrer Medicin-
Männer werden sie geheilt.
Die Medicin-Männer der Chippeway- und der Winuebago-Indianer
werden auch bei den Nachbarstämnien als besonders erfahren und leistungs-
fähig angesehen, und von Liberia berichtet Büttihofer. dass in einzelnen
Ki'ankheiten selbst AVeisse, die bei den europäischen Aerzten keine Hülfe
gefunden hatten, sich der Behandlung der eingeborenen Medicin-Männer
anvertraut hatten und von ihnen geheilt worden waren.
Bei den Indianer-Völkern müssen die Medicin-Männer auch ge-
schickte Taschenspieler sein; bei den nordwestlichen Stämmen wenigstens
müssen sie, bevor sie die Krankenbehandlung beginnen, stets erst ein interes-
santes Zauberstück ausführen, um den staunenden Zuschauern ihre über-
natürliche jNlacht zu l)eweisen. In Ann am werden sie als ungebildet, aber
als sehr eneriiiseh Ix'zeichnet.
21. Ucberiiatürlicbe Fähigkeiten der Medicin-Männer.
Ihr intimer Verkehr mit der Geisterwelt begabt die Medicin-Männer
aber auch mit ganz besonderen Fähigkeiten. Sie können das Leben bringen,
aber auch den Tod, und diese ül)erirdische Kraft wird ihnen selbst nicht
selten zum Verhängniss. Allerlei wunderbare Dinge weiss man sich von
dem übernatürlichen Verkehre der Medicin-Männer mit der Geisterwelt zu
berichten, und sorgsam sind die Aerzte darauf bedacht, diesem Glauben
bei dem Volke hinreichende Nahrung zu geben. In Victoria behaupten
sie. dass sie alle Dinge über und unter der Erde kennen, sie behaupten,
dass sie Alles wissen, und sie beschreiben den Stammesgenossen nicht selten,
was bei irgend einem fernen Stamme zur Zeit gemacht wird. Die Meewocs
in Central-Californien glauben, dass ihre Medicin-Männer auf der
Spitze ehies Berges sitzen können, fünfzig INIeilen weit von einem Manne,
den sie zu vernichten wünschen, und dass sie den Tod desselben dadurch
21. UebernatürlicLe Fähigkeiten der Mediciii-Mäniier. 51
herboizufiihren im Stande sind, dass sie mit ihren Fingei'spitzeii ein magisches
Gift ihm entgegenschnellen. Bei den Indianern Süd-Californiens be-
fehlen sie den Elementen, blicken in di(> Znknnft nnd vermögen sich nach
ihrem Belieben zu verwandeln.
Wenn bei den Dacota-Indianern der Arzt längere Zeit ohne Praxis
ist, so hat er grosse Unbequemlichkeiten von der Unrulie der Geister in
ihm zu erdulden. Um die Geister zu beruliigen nimmt er bisweilen Blut
aus dem Arme irgend einer Person und trinkt dasselbe. So ist es denn
kein Wunder, dass auch Furcht die zagenden Gemüther beföUt, wenn sie
dem Medicin-Mann gegenübertreten. Wer ihn bei den Klamath-
In dianern zu einem erkrankten Familiengliede ruft, der bleibt vor der
Thür der Hütte stehen, welche voll ist der überirdischen Wesen. Die
Männer in Yictoria fürchten sich, sie anzutasten, und fügen sich daher
allen ihren Anforderungen; die Weiber zittern vor ihnen, weil sie sie ver-
wunden, ihnen das Nierenfett rauben, sie unfi'uchtbar machen und ihre
Kinder tödten könnten. Die Sahaptin-Indianer sterben häufig aus Furcht
vor des Medicin-]\[annes bösem Blick, und auch bei den Wascow-Indianern
wird geglaubt, dass, gegen wen er seine grässlichen Blicke schleudert, dem
sicheren Tode veifallen sei. Man muss daher in ihrer Gegenwart sein Haupt
abwenden oder verbergen, um ihren erzürnten Blicken zu entgehen. „Wenn
einer von dem Gedanken erfasst ist, berichtet Älvord, dass er von einem
Medicin-^Nfanne schrecklich angeblickt worden ist. so siecht er dahin, zehrt
ab, oft verweigert er zu essen und stirbt durch Yerhungern und Melancholie.*-
Auch die Schamanen der sibirischen Volksstämme gemessen beim
A^olke ein ganz besonderes Ansehen; aber sie sind, wie Radloff sagt, viel-
mehr gefürchtet als geliebt.
Die alten Peruaner hatten nach von Tscliudi zwei Arten von Priestei-
ärzten, die Sonkoyox und die Kamaska. Der erstere Name bezeichnet
„die Muthigen'-. oder „die ein Herz haben", der letztere Name bedeutet „die
Fähigen", oder ..die Geschickten".
Missionar Johl in Emdiseni-Petersberg in Kafferland giebt an,
.,dass die Kaffern von einem igqira (Kafferdoktor) meinen, derselbe reite
des Nachts auf einem Pavian herum und behexe die Leute und das Vieh."
„Er hat den impundulu, den die Kaffern fürchten. Er soll ein Vogel
des Donners sein, etwa gleich dem ishulogu. Dann aber meinen die
Heiden, es sei ein Traum (ipupa), oder umgekehrt, der ipupa sei der
ishologu oder impundulu, der die Leute des Nachts beschleiehe und ihnen
allerlei des Nachts ins Ohr sage."
Als der INIissionar den Zauberdoktor fi-agte: Sage mii-, was ist impun-
dulu? da antwortete er: ,.Das kann ich nicht; das ist ein Ding, welches
kein Ding ist, welches che Heiden fürchten. INFan sagt, es ist der Blitz.
Ich habe das Ding aber Jioch nicht gesehen."
^ Bei den Mincopies auf den i^ndamanen wird dem Medicin-Manne. dem
Oko-pai-ad (d. h. Träumer) die Fähigkeit zugeschrieben, durch Träume
mit den guten und bösen unsichtbaren Mächten in Verbindung zu stehen,
und ebenso die Geister der Verstorbenen oder derjenigen Leute, welcln^
krank sind, zn seilen.
ä2 in. l>io Aoi/.ro.
22. Auffallendes ßeiielimeii der Mediciii-JIäiiiier.
hl \'ic't()ri;i tiilircii die ^Mcdiciii-Miiiuicr ein ;(l)s()n(lcrlicli('s Lehen,
um den Ghiuben an ihre ühei'iitlische (Icwalt rciie /u eilialten: ..sie essen
j^etreimt und zu uugewölinliclu'H Zeiten, sie schlafen, wenn die Anderen
wachen, und sie behaupten, hmse Wanderungen zu nnteiiiehnien. wenn die
Anderen im Lager aHe im Schhife liegen. Selten jagen und fischen sie.
oder thun irgend eine Arbeit. Sie machen eigenthiini liehe (ileräusche in
der Nacht, wandern fort und suchen ihr \"()lk zu ei-schrecken. J)urch ihre
Khigheit und Verschmitztheit und durcli ihre (4eschiclclichkeit. den Zufall
zu benutzen, indem sie Waclu^ halten, wenn die Andei'en schlafen, erhalten
sie sich ein T^ebergewicht ülx'i' die Mitgliedei- ihres Stammes und sie vei-
stehen es. angenehm zu leben und Vortheil von ihrer fremdartigen Lebens-
weise zu ziehen."
Die Baksa der Kiigisen haben iji ihrem (benehmen etwas Affek-
tirtes und Unnatürliches. Einer dersellten, welchen Badloff sah. führte st»'ts
fromme Bedensarten im Munde. „Bei jeder Handlung, die er unternahm,
wie Trinken. Niedersetzen u. s. w., seufzte er ein lautes „Bismillah'" (Ln
Namen Gottes) vor sich hin. und jeder Bede, (he er that, fügte er ein „Wal-
lahi. Billahi" („Bei Gott") hinzu, was bei den Kirgisen nur einige
ganz alte Leute zu thun pflegen. Mancher Baksa soll immer einen geistig
G-estörten nachahmen, und stets Grimassen schneiden, als ol» er. wenn ei-
aiu'h nicht die Beschwrn'ung ausführt, von bösen Geistern besessen sei.'"
Den Th;iy phiip der Annaniiten ist eine besondere Diät vor-
geschrieben. Sie dürfen kein Fleisch vom Büffel oder vom Hunde gemessen
und sie müssen sich des Genusses einer kleinen Bfiauze (rau giäp ca) mit
hei'zförmigen Blättern enthalten, welche einen Geruch nach Fischen hat.
Die Ganga. d. h. die Medicin-Männer der [joango-Neger. dürien
nuj' an bestimmten Blätzen Wasser trinken und dieses auch nur zu ganz
bestimmten Stunden des Tages oder der Nacht. Ihre dem Fetisch ver-
mählte Frau muss ihnen dasselbe herbeiholen. Ihr Küchenzettel ist ein
sehr l)eschränkter, da sie eine Anzahl von Yierfüsslern und Fischen auch
nicht einmal mit ihren Augen erblicken dürfen. Vielfach leben sie von
Wurzeln und Kräutern, jedoch ist ihnen rohes Thierblut zu trinken erlaubt.
xHles was die Fetischfi-au des obersten Ganga bei Tage erblickt hat. muss
sie des Nachts ihrem Gatten berichten, Aveil sie sonst in Krankheit vei-
fallen und die Zauberkraft des Fetischs verderben würde.
23. Weibliche Aerzte.
Die Funktionen des Medicin-Mannes sind nicht nui' auf das männliche
Geschlecht beschränkt; wir finden es bei den Naturvölkern weit verbreitet,
dass auch die Weiber d«'n ärztlichen Beruf ergreifen. Das Avird uns be-
richtet von den Aschanti, von den Negern in Loango und in Lubuku
und von den Zulu, ferner von Bali, Boi'ueo undSelebes, von Australien,
sowie von vielen nordamei'ikanischen Indianer-Stämmen. Auch in
Sibirien können Weiber die Schamanenwürde ei-langen. In No)d-
24. Die Vei-theiluno- der Mediciii-Mäiiner. 53
Calitoriiieu und bei deu Creck-I udiauerii .sulleii sie sogar zahlreicher
sein, als die männlichen Aerzte. Bei den Dacota finden sie sich neben
den männlichen Aerzten in jedem Dorfe. Bei den Central-Californierii
liiugegen ist \veil)hchen Personen die ärztliche Praxis untersagt.
Auf den Aaru- Inseln. aufLeti, Moa und Lakor, bei den Kouiagas
in Nordwest-Amerika, bei den Pinias in Mexico und bei den Central-
Atexicanern scheinen diese weiblichen Aerzte den männlichen gegenüber
sich nicht in einem Zustande der Gleichbei-echtigung zu befinden, sondern
mehr eine Eolle zu spielen, wie bei uns die kuiplüschenden alten Weiber.
kSie werden übrigens auch wirklich hier in den Berichten immer als „alte
AVeiber" bezeichnet, und von Sumatra wird gesagt, dass sie mehr Heb-
ammen wären. Audi die Kirgisen pfiegen sich, l)evor sie den Medicin-
Afaun rufen, den Händen alter AVeiber anzuvertrauen.
Die voll anerkannten weibhchen Aerzte haben bei den AVaskow-
ludianerii aber doch nicht das gleiche Ansehen, wie die Medicin-Männer;
sie sind nicht so sehr gefürchtet und sie haben nicht wie diese willkürliche
(Trewalt über Leben und Tod. In Vancouver hat man ebenfalls das
Institut der weiblichen xA-erzte, jedoch werden dieselben den Medicin-Mäuuern
zweiten Ranges gleichgeachtet und nur bei geringen Krankheiten gerufen.
A'^or ihren Geschlechtsgenossinnen haben die weiblichen Aerzte aber doch
mancherlei voraus. Bei den Aschanti scheinen sie vor und nach der
Hochzeit die Erl;iul)niss zu hal)en, ihre Gunst an Jeden zu verschenken,
der ihnen beliebt. Bei den Topantunuasu in Central-Selebes dürfen
sie nicht heirathen. Sie repräsentiren einen besonderen höheren Stand und
sie werden von ihren Dorfgenossen unterhalten. In Central-Amerika
ist nur ihnen der Zutritt zum Schwitzhause gestattet, der den gewöhnlichen
Weibern streue- untersaut ist.
24. Die Vertheiluiig der Medicin-Männer.
Es liegen uns einige Angaben vor n})vy das numerische A'erhältniss
des ärztlichen Standes. FauUtscIike schreibt: „Aerzte giebt es in grosser
Anzahl in Harrär und es ist diese Stadt auch bei den Cxalla als der Sitz
(hn- höheren Medicin geachtet."
Auch in Bali finden sie sich in grosser Menge, und in Annam sind
sie in deu westlichen Provinzen zahlreich, namentlich in Chaudoc und
Hatien. Als zahlreich werden sie auch bei den AVinuebago -Indianern
erwähnt, sowie bei den alten Araya-A-^ölkern. Bei den Karaya und
l])urina in Brasilien finden sich in jedem Dorfe mehrere. Bei den
Dacota werden ö bis 27) niännhche und weibliche Aerzte in jedem Dorfe
jingegeben. In Nias Jiat jedes Dorf von einiger Bedeutung je einen eigenen
männlichen und einen weil)liclien Arzt, während kh^nere. die nahe bei
einander liegen, diese Personen meist gemeinsam besitzen. Fm westlichen
Borneo sollen die Zauberärzte selten sein. Selten sind sie auch bei den
Süd-xAustraliei-n i]i der nächsten Nachbai>;chaft des Port Lincoln; der
berühmte Kukuta-Stamm im Nordwesten soll al)er sehr viele solclie
Mech'cin-AIänner besitzen.
;">4 III. Die Aerzte.
25. Coiisultatioiieii und gemeinsame ärztliche Belitindlun^.
Das Verhalten der Collegen unter einander finden wii- duichaus nicht
überall gleich. Die Einrichtnng der Consnltationen in zweifelhaften und
hesonders schwierigen Fällen ist ihnen keineswegs unl)ekiinnt. nnd daians
folgt, dass auch eine gemeinsame Behandlung vorkonnnt.
Bei den Mosquito-In dianern pflegen die Aerzte bei Epidemien zu
consultiren und sich ihre wichtigen Träume gegenseitig mitzutheilen. Der
Thay-phäp der Annamiten ruft für die Behandlung seiiu^ Collegen herhei
und präsidirt dann den für die Heilung uothwendigen Ceremonien. Von
den Niassern schreibt Modigliani: ..Und wie bei uns in schweren und
zweifelhaften Krankheiten mehrere Aerzte zur Consultation gerufen werden.
so werden hei den Xiassern jedesmal mehrere Ere zum Ivi'auken geladen,
weil, wenn einer von ihnen einen Bela (Geist) zum Beschützer hat, dei-
mächtiger und geschickter ist, als derjenige, welcher die anderen Magier
beschützt, sich der Kranke jedenfalls besser befinden könne."
In Victoria.'' wo die Consnltationen ebenfalls gebräuchlich sind, waren
in einem bestimmten Falle neun weibliche iVerzte gemeinsam zu der Be-
handlung zusammengekommen.
Bei den Lo an go -Negern sind Consnltationen mehrerer Medicin-Männer
ebenfalls gebräuchlich, und w^enn dieselben in ihren Ansichten nicht über-
(nnstimmeu, so wird ein älterer als Superarbiter herbeigerufen, dessen Aus-
spruch dann entscheidend ist.
Auch bei den Persern sind Consnltationen eine ganz gewöhnliche
Erscheinung. PolaJc sngt:
„Erkrankt ein Grosser des Reichs, so haben viele Pei'sonen ein Interesse
daran, zu wissen, ob er bald wieder genesen, oder ob er das Zeitliche segnen
Averde. Sie Alle schicken desshalb ihren Arzt zu dem Kranken, selbst der
Schah den Seinigen, und diese oft sehr zahlreiche ärztliche Versammlung
hält zur aidjeraumten Stunde eine Consultation. Nachdem durch die Dienei-
Nargileh und Kafiee herumgereicht worden, wird die Sitzung eröffnet. Der
Beilie nach tritt Jeder an das Lager des Patienten, fühlt mit wichtiger
IVfiene dessen Puls, indem ei' dabei gewöhnlich einige Bedensarten von dei-
Anamnese und dem Status i)raesens fallen lässt, und erkundigt sich genau,
Avas für Speisen, besonders welche Suppe der Kranke am Tage vorher zu
sich genommen, ob er Saures oder Süsses genossen habe. Hierauf ent-
spinnt sich zunächst unter den Anwesenden ein hitziger Kampf, inwiefern
die Krankheit als eine „heisse" oder als eine „feuchte'' zu chissificiren sei.'*
Bei einer grossen Meinungsverschiedenheit Hess der Patient (in diesem
Falle der Grossvezier selber) die Aerzte in den Garten führen. Sie lagerten
sich auf einem dicken Filzteppich und wurden mit Tliee. Kaftee und Nar-
gileh gestärkt. „Uebrigens nahm die Debatte ihren Fortgang. IVIancher
schlei^pte dicke Folianten herbei und suchte seine Ansicht Schwarz auf
AVeiss zu begründen. In der Hitze des Gefechts fielen auch mitunter scharfe
AVorte, die man jedoch dem Eifer für das Wohl der „Ersten Person" zu
( Jute hielt." Der Kranke liess dann einen Priester höheren Ranges rufen,
welcher feierlich den Koran aufschlug und aus diesem die Entscheidung
fällte, welcher der sich gegenübei'stehenden Ansichten vom Patienteri Folge
zu geben s(>i.
2G. Brodneid. 27. Die Wohnung des Arztes. .^5
•2ü. Brodiieid.
Aber auch eine zweite Eigeiuii't moderner Civilisatiou ist kndei' den
Naturvölkern ebenfalls nicht fremd geblieben, das ist der Brodneid und die
HerabsetzAing und Verdächtigung des concurrirenden Collegen.
80 gewinnen die Medicin-]\ränner der Australneger Victorias ihren
Einfluss „durch grosses Selbstlol). nnerniiidliches Schwatzen und manche
geschickte Herabsetzung Anderer."
Diese Herabsetzung geht bisweilen so weit, dass dem Patienten sogar
die Tödtung des Concurrenten angerathen wird. So pflegen bei den Sa-
haptin-Indiauern. Avenn Jemand ärztlich liehandelt wird, Rivalen oft die
Furcht der Patienten zu erregen, damit der behandelnde Arzt getödtet
werde. Auch bei den Stämmen in Oregon di^ängt sich wohl ein anderer
Arzt an den Kranken heran und fi-agt ihn, warum es ihm nicht gut ginge.
„Vielleicht arbeitet Dein Arzt an Dir mit seinem unheilbringenden Zaul)er."
AVenn dann der Kranke seinen VerAvandten hiervon Anzeige macht, so
wird der behandelnde Arzt dem Tode nicht entrinnen.
Den Indianern in Britisch-Columbien ist die Auti-eizung zum
jMorde eines ärztlichen Rivalen ebenfalls nicht fremd. Aber hier geschieht
es nur in Folge des Selbsterhaltungstriebes. Denn der Arzt, dem ein
Patient gestorben ist, sucht die Angehörigen desselben zu ülierreden, dass
der böse Einfluss eines missgünstigen Concurrenten dieses traurige Schicksal
verursacht habe. So entgeht er der Hache und jener wird getödtet.
27. Die Wohnung des Arztes.
Die Ausnahmestellung, welche die Aerzte unter ilu'em Volke ein-
zunehmen pflegen, zeigt sich l^isweilen auch bereits durch die äussere Er-
scheinung ihrer "Wohnung an. Die Hütten der Medicin-Männer bei den
K 1 am ath -In dianern in Oregon sind z. B. dadurch kenntlich, dass an
ihnen ein Fuchsfell als Berufszeichen befestigt ist, das sie an einer schräg-
gestellten Ruthe baumeln lassen. In West-Borneo liegen vor dem Hause
der Aerzte gewöhnlich zwei kleine, rohe Baumstämme mit ausgeschnittenen
und gefärbten Schlangenköpfen an den Enden. Dieselben scheinen die
Hantu (Geister) vorstellen zu sollen. Bisweilen geben die ]\Iedicin-Männer
diesen Ungeheuern zu fi-essen, und sie wissen dann die Speisen mit solcher
OJeschwindigkeit verschwinden zu lassen, dass das Volk fest davon über-
zeugt ist, dass wirklich die Geister die ihnen vorgesetzte Mahlzeit vei--
zehrt hätten.
Die AVohnungen von den Aredicin-AJänneiii der Betschuanen sind
nach Holuh dai'an kenntlich, dass sich in ihnen Fussdecken befinden, welche
aus dem Fell der gefleckten Hyäne (Hyäna crocata) gearbeitet sind. Xwi
diesen halten sie ihre Sprechstunden ab.
Die Afedicin -Männer der Anuamiten haben in ihrer Wohnung
mindestens zwei oft sehr kümmerliche Altäre. Der eine ist den Geistern
geweiht, der andere den oberen Gottheiten der Sekte. Die Altäre bestehen
aus einem Tisch, über welchem die Tafel mit dem Namen des Meisters
;')() III. Die Aerzte.
dieses Standes auti!,('h:iiigt ist. mit einer hiselirit't. welche nach dem ( Jeburts-
jalire des jMedicin-Maimes . des Tliay pliäj). wechselt. Davor sind einige
(Jetasse mit 0|)ier^al)en aus Blumen und Früchten bestehend aut'ji;estellt,
teraer ein Kohlenhecken, Rasseln. Räuciieiiict'ässe und ^riomnieln. Zu den
Seiten stehen Leuchter und einel u/ald von Lan/eii und vdii Fla.ujien. Ausser-
dem betiudeu sich doi-t die Tafeln von Kindern, welche dei- Th;iy jihap
von bösen Geistern befreit hat, und welche che Eltern nicht in ihren Häusern
aufbewahren können. w(»il dieselben unn'eei;Li:net sind. Dahinter bemei'kt
man eine Art von vierseitigem Brunnen, welcher die Hi'ille darstellt: hier
müssen die Soldaten des Medicin-Manm*s. d. h. die ihm dienstbaren Geistei-
ihre Widersacher hineiutauchen. Vor der Tafel stehen in bestimmter Reihen-
folge kleine Puppen, welche diese dienstbaren Geister vorst(^llen. und dei-en
jede ihren besonderen Namen hat; es können fabelhafte Wesen sein, oder
auch historische Persönlichkeiten, Helden der Sekte u. s. w.
In Marokko, Tnnis und Tripolis sieht num die Heilkünstler, wie
(^uedenfeldt berichtet, auf den Märkten in der Oeffnung ihres kleinen. Giti'in
genannten, dachförmigen Wanderzeltes sitzen. Ein Paar geschriebene Büchei',
seine Reiseapotheke, bestehend in einigen Gläsern fi'agwürdigen Inhalts,
soAvie die Glüheiseu nebst Kohlenbecken und Handblasel)alg, sowie eine
grosse Scheere, einige Messer, ein Tintenfass und eine Rohrfeder bilden die
Ausrüstung.
Von dei- Wohnung der persischen Aerzte tinden wir bei Polak die
folgende Schilderung.
..Entweder in seinem Hause odei' im nächsten Bazar hat der Arzt
einen Laden (Mahkemeh). wo er die ihn besuchende Kundschaft empfängt.
Dei" Boden ist mit einer Rohrmatte oder mit Filz bedeckt; in Schränken
an den Wänden steht eine Anzahl Schachteln, Krüge und Flaschen mit
europäischen Etiketten versehen und mit Latwergen, Pillen und Elixiren
i^etiillt.-
28. Aerztlichc Honorare.
Es wirtl gewiss nicht ohne Interesse sein, auch ül)er die Honorar-
verhältnisse dieser wilden Collegen, sowie über ihre Vermögenslage einiges
in pj]-fahrung zu bringen. Wir haben bei den Au stralnegern in Victoria
bereits gesehen, dass die Medicin-Männer sich nicht bei den Arbeiten ihres
Stammes betheiligen. Si(^ benutzen vielmehr in geschickter AVeise die abei-
gläubische Furcht ihrer Stanimesgenossen und lassen sich durch deren Gaben
und Geschenke erhalten. Das kann man aber eigentlich nicht auffassen
als ein ärztliches Honorar. Ein solches müsste doch immerhin für direkte,
ärztliciie Hülfsleistungeu gegeben worden sein. Solche unregelmässige Gaben
müssen wii- aber allerdings ebenfalls dem Eiidvommen der ^Medicin-Männer
hinzurechnen. Die australischen Aerzte erhalten ü])rigens auch noch
besondei-e Geschenke bei der Behandlung von Krankheiten. Bei derHonorai-
frage treffen wir vielfach den Grundsatz, dass überhaupt nur dann bezahlt
wii-d. wenn die ärztliche Behandlung von Erfolg gekrönt w^ar. Das ist
z. I). der Fall Ix'i den Zulu, bei den Annamiten, bei den Koniagas in
Xnj(| west- A nieri ka und bei den Greek- 1 ndianern. Auf den Aaru-
28. Aerztlichn Honorare. ö7
Inseln und in Alaska niuss ein vorausbe/aliltei' Preis wieder /uriick-
«■ezalilt werden, wenn dei- Kranke nicht am Leben bleibt.
Bei den Isthnins-lndianern richtet sich der Preis der Behandhing
je nach der »Schwere des Krankhcntsfalles. Die alten May as brachten ihren
Aerzten liereits (lesclienke. wenn sie sie zum Kraidcen riefen. Auch bei
den Creek-Indianern sind Geschenke gebräuchlich, und wenn der Arzt
die Behandlung fortsetzen soll, so müssen dieselben täglich wiederholt
werden. Als ganz besonders erwünschte Gabe wird hier ein Hund als
Opferthier betrachtet. Ausserdem (H'hält er aber als Honorar eine reichliche
(xabe an Häuten und Vieh. Die Dacota-Indianer i)flegeu ihren Arzt
freigebig voi-ausznbezahlen. Die Medicin-iMänner der Natal-Kaffern haben
den Gel)raucli. wohl gewitzigt dadurch, dass es Sitte ist. nur zu bezahlen,
wenn dei- Kranke geheilt wurde, sich eine Summe von zehn Schilling im
Voraus geben zu lassen unter dem Vorwande, dass sie hierfür Medicin
kaufen müssten. Für die vollendete Kur erhalten sie ausserdem noch einen
( )chsen. Auch bei den Aerzten der Perser wird gegen die Empfangnahme
des Receptes sogleich das ärztliche Honorar entrichtet.
In Liberia ist die Hülfe des Arztes l)illig. aber es müssen allerlei
Gpfergaben gegeben werden, welche theils vergrahen. theils im Flusse ver-
senkt werden müssen; einen Tlieil derselben aber niuss der Patient dem Arzte
übergeben, damit sie „verkauft" würden. Diese l)ehält der xArzt dann für
sich. Reis und ein weisses Huhn spielen dabei eine grosse Rolle. Billig
ist auch der malayische Arzt in Sumatra, der für wenige Scheidemünze
seine Kunst zum Besten giebt. Etwas theurer wird schon die Saclie auf
der Insel Keisar. wo dem Medicin-Manne die Hälfte des Opferthieres zu-
kommt. Gewöhnlich ist ein Schaf fiu' das Opfer auserseheu. Bei den
Betschuanen und bei den Xosa-Kaffern wird von dem Arzte bald eine
Ziege, ))ald ein oder mehrere Ochsen als Opferthier gefordert, au denen er
natürlicher AVeise einen hervorragenden Autheil hat. Holuh sagt von den
Betschuanen. dass der Medicin-Mann Heissig schweisstreibende Mittel
verordnet. Ei' weist dabei den Kranken an, .,sich in seinen besten Kaross
(Eellmautel) oder in eine gekaufte Wolldecke zu hüllen; und nachdem das
.Mittel seine Schuldigkeit gethan hat, erscheint der Doctor. um den Kaross
oder die Decke mit dem Schweisse, dem transpirirten Krankheitsstoffe „ein-
zugral)en", d. h. sie in Besitz zu nehmen, während der Kranke froh ist. den
(rrund seines T'ebels aus dem Hause entfernt zu wissen. Der Patient würde
es nie wagen, dieselbe zurückzufordern, sollte er auch nach seiner Genesung
die Frau Doctorin mit seinem Schakalmantel in den Strassen des Dorfes
herumstolziren sehen."
Der Baksa der Kirgisen erhält als Lohn die i)esten Stücke vom
Opfermahle und das Fell des geschlachteten Thieres. Reiche Leute geben
al)er noch Extra geschenke, ein lebendes Schaf oder einen neuen Rock.
Ell x\nnani wird das ärztliche Honorar vorher ausbedungen. Die Cur
ist nicht unter "2(1 Piaster, und reiche Leute pflegen noch viel mehr zu be-
zahlen und den Arzt ausserdem noch mit Kleidern zu beschenken. Zu
den für die Heilung nothwendigen Opferceremonien sind bestimmte Tücher
erforderlich, welche dem ^Nfedicin-Manne und seinem Gehülfen verbleiben.
Für den Ersteren sind sie roth. für den Letzteivn weiss. Sie dürfen zu
irgend welchen häuslichen Zwecken benutzt werden, aber Hosen darf sich
58 III. Die Aerzto.
der Arzt nicht (l.•^•;nl^ t'ci-tiucn lassen: das wäre oine T^nohrorhiotiirkcit .^m'";!'!!
die (t pister.
T'e])er die Boiiorare der Aerzte in Siani berichtet Bastian nach einem
siamesischen Mannscripte: „Nach ärzthcher Taxe muss dei- aus einer
Krankheit genesene Patient den Reis der Satisfaction gehen, und an
Oehl für die Kosten der Arzeneien zwei Bath (Tikal) zalden, sowie sechs
Sahing znr ,.Sühne". Ansserdem wird eine Scliüssel mit Confect nnd ein
Schweinskopf zugefügt."
Die Aerzte des Königs erhalten je nach ihrem Range einmal im. Jahre
das Gehalt in Kauris zugemessen und zwar der Vornehmste fünf Pfund
(400 Tikal), die Nächsten drei Pfund ..und so im Verhältniss al)wärts bis
zu fünf Tamlüng (20 Tikal)."
lieber die älteren Zeiten in Japan erhalten wir durch Wernich folgen-
den Bericht: ..Gesetzlich war der i'Lrzt ganz rechtlos; er durfte kein Honorar
fordern, sondern er war ganz auf die Grossmuth der Kranken angewiesen.
die ihr „Geschenk", wie es noch bis in die Jetztzeit heisst, willkürlich be-
messen durften. Der 32. Abschnitt aus den hundert Gesetzen des lye- Yasu.
des Gründers der letzten Slogun-Dynn^iie, spricht sich darüber aus, Avie folgt:
„.,Weil die Menschen dieser Welt nicht von Krankheiten fi-ei sein können,
haben die Weisen des Alterthums voll Mitleid die Heilkunde geschaffen.
Wenn deren Jünger nun auch die Krankheiten geschickt heilen und Er-
folge hahen. so dürft ihr ihnen doch keine grossen Einkünfte verleihen,
denn sie Avürden im Besitze derselben nothwendiger Weise ihren Beruf ver-
nachlässigen. Ihr sollt ihnen aber, so oft sie eine Cur gemacht haben,
eine der Grösse ihres Erfolges entsprechende Belohnung geben.""
„Das dürftige Honorar ist etwa das zwei- bis vierfache des Medica-
mentenpreises, der dem Arzte ebenfalls erstattet Avurde; für Beides aber
hatte er sich höflich zu bedanken. Es galt für unanständig, das Geschenk
zu unterlassen, doch existirte kein Rechtstitel, der dem Arzte beim Ein-
treiben seiner Forderung behülflich gewesen wäre. Consultirte der Kranke
den Arzt in dessen Hause, so hatte er ihm überhau]»t nur die Medicin zu
bezahlen."
Bei den Ganguella-Negern wird die Kur als kostspielig bezeichnet.
Theuer ist die ärztliche Behandlung auch bei den Negern von der
Loango-Küste. Hier muss der Medicin-lVJann erst untersuchen, welchei'
in den Fetisch eingeschlagene Nagel die betreffende Krankheit verursacht
hat. Das kostet Geld. Diesen Nagel muss er dann herauszieh (>n und dem
Fetisch die Wunde heilen. Das kostet abermals Geld. Dann erst kann
er daran denken, nun auch den Patienten wiederherzustellen; und hierfür
muss natürlicher Weise nun wiederum eine Zahlung geleistet werden.
Auf den Aaru-lnseln erklärt bisweilen der Arzt, dass die Krankheit
<larin ihre I'rsache habe, dass die YorfahrcQ des Erkrankten den Vorfahren
eines bestimmten anderen Arztes etwas schuldig geblieben sind. Diese
Schuld lässt sich dann der jetzt behandelnde Arzt von dem Ki'ank<Mi dreifach
oder vierffich bezahlen.
Cianz besondcM's theuer scheinen die Aerzte der Indianer zu sein.
Bei den Ccaitral-Californiern und den Winnebagos wird von den er-
pressendsten Forderungen gesprochen. Ein Nord-Californier forderte ein
Pferd als Honorar, und die Dacota-Tndianer tieben oft ein Pferd für
29. Gefahren des ärztlichen Berufes. 59
eine ganz kleine Hülfsleistuug und sind bereit, Alles was sie besitzen und
was sie auf Credit bekommen können, hinzugeben, damit der Arzt sie be-
handele. Ein Arzt der Navajö in Arizona erhielt für eine neun Tage
währende grosse Heilceremonie ein sehr reichliches Geschenk an Pferden
und ausserdem für sich und alle seine Gehülfen für die ganze Zeit Nahrung
in Hülle und Fülle, bestehend aus Suj^pe, Maisbrei, Getreidekuchen und
Hammelbraten. Dem Arzte während der Zeit der Behandlung auch das
Essen zu liefern ist übrigens auch bei den Sioux-Indianern und bei den
Niassern der Gebrauch. Die Letzteren müssen ausserdem noch viele
Hühner und Schweine opfern und dadurch werden in Nias die Krank-
heiten so kostspielig, dass man nicht selten Leute trifft, welche ihr ganzes
Vermögen erschöpft haben oder sogar in Sklaverei gerathen sind, um die
Schulden zu bezahlen, in welche sie sich gestürzt hatten, um sich die Hülfe
der Medicin-Männer zu verschaffen.
Bei den Zulu reisen geschickte Aerzte von Ort zu Ort durch das
Land und bleiben häufig durch Alonate. oder selbst Jahre lang unterwegs.
Als reiche Leute, im Besitze grosser Viehheerden pflegen sie dann nach
Hause zurückzukehren.
Die ärztlichen Visiten sind bei diesen Völkern aber auch von besonders
langer Dauer, so z. B. in Sumatra. Die Winnebago-Aerzte widmen
sich ihrem Patienten Tag und Nacht, und die Aerzte der alten Maya ver-
liessen ihren Kranken erst, wenn er geheilt oder gestorben war. Bei den
Medicin-Männern der Indianer dauern die ärztlichen Ceremonien häufig
Tage lang, und an jedem dieser einzelnen Tage ist der Medicin-Mann in
angestrengtester Thätigkeit. Aehnliches ist auch von den Australiern, sowic^
\on den Kirgisen und von den Süd- Afrikanern zu berichten.
39. Oefaliren des ärztlichen Berufes.
Es hat aber doch auch seine Schattenseiten, bei den Naturvölkern die
ärztliche Praxis auszuüben. Dass unter Umständen, wenn die Behandlung
keinen Erfolg hatte, die im Voraus gegebene Bezahlung wieder zurück-
erstattet werden musste, das haben wir bereits gesehen. Auch eine Ent-
schädigungssumme muss l)isAveilen den Hinterbliebenen noch entrichtet
werden, z. B. bei den Indianern in Britisch-Columbien.
Aber man traut, wie bereits oben erwähnt worden ist, den Medicin-
Männern auch die Fähigkeit zu, durch ihre Zauberkräfte den Tod zu bringen.
Wenn ihnen daher der Kranke stirbt, so macht man sie für seinen Tod
verantwortlich. In Sumatra suchen sich dann die Medicin-Männer heraus-
zureden und sagen, die Geister waren dem Kranken nicht geneigt. Die
Twana-, Chemakum- und Klallam-Indianer behaupten dann, dass
mehrere Dämonen von dem Kranken Besitz ergriffen hätten, und dass nur
jeder einzeln zu vertreiben sei. Die Dacota-Indianer schieben den Miss-
erfolg auf die Sünden des Volkes. Auch die Ipurina-In dianer und die
Eingeborenen von Victoria und Süd- Australien wissen sich zu helfen
und behaupten, dass ein Zauberer eines feindliclien Stammes, welcher mäch-
tiger ist, als sie, ihnen die Kur vereitelt ha])e. Die Mosquito- A erzte um-
(Kl III. J)ii' Acrzte.
j^olicii den Ki;iiik('ii mit ullci'h'i YcrlKttcii. deren unscliuldiife Uehcrtretuiig
durch Vorühcrgcliciide iliiKMi hei niiniiickliclici" Hehaiidluiiu; eine erwünschte
Ausrede bietet.
Die Haidah und die ('oluiuhianer jedoch, sowie die Califoruier
und die Creek- und Oregon-Indianer lassen niclit mit sich s])asseu.
Stiibt der Kranke, so hat des INfeihcin-lMannes Zauber ihn getödtet und
desshalb muss dieser ebenfalls getödtet werden. Ja die Nord-Calit'ornier
gehen so weit, dass wenn auch der Gestorbene überhauj)! nicht ärztlich be-
liandelt woi'den ist. man den Tod desselben dennoch den Medicin-Milnnern
in die Schuhe schiebt und den ersten Besten derselben tödtet, dessen man
hai)hatl werden kann. Gewöhnlich ist es ein ]\[edicin-i\Iann eines anderen
Stammes, und für die Tödtung desselben sind sie dann \ei-]itlichtet. ein
Reugeld zu l)ezahl('n. Alvord berichtet aus Oregon:
„Alle Ermordungen unter ihnen, von denen ich erfahren konnte, ge-
schahen in dieser A¥eise, und drei Aer/te wurden in den letzten vier Monaten
bei verschiedenen Stämmen, nicht über 40 Miles von hier entfernt, getödtet."
So kann es uns nicht wundern, zu vernehmen, dass der Medicin-Mann ([(n'
Nord-Californier zuweilen doch sich weigert, die Behandlung zu über-
nehmen, obgleich man ihm die hohe Honorarforderung bewilligt hat. Und
in Ann am verlassen manchmal die Aerzte ihre Kranken, um sich einer
späteren Verantwortlichkeit zu entziehen, bisweilen allerdings auch, weil sie
bei einer etwaigen Heilung des Kranken die Rache der Geister zu fürchten
haben, von denen sie den Patienten beü'eiten.
Auch von den Kindern der Thäy phäb glaubt mau, dass sie in Folge
dieses Ingrimms der Dämonen entAveder überhauiit bald sterben oder schwäch-
lich und elend sind, und dass, Avenn der Arzt einen Pockenkranken heile,
die Pocken auf seine Kinder übergehen.
Selbst bei den Persern findet man, wie Folak berichtet, noch ganz
ähnliche Anschauungen :
,,Wenn ein Patient unter der Behandlung des Arztes stirbt, so verliei't
Letzterer nicht nur allen Anspruch auf Honorar, sondern man legt ihm
auch direct die Schuld an der eingetreteneu Auflösung zur Last; denn es
herrscht die Ansicht, dass ohne Zuthun des Arztes der Kranke nicht ge-
storben wäre. Sobald daher ein Krankheitsfall tödtlich zu enden ch'oht,
pflegen die Aerzte sich zurückzuziehen, wodurch dem Ki'anken und seiner
Pamilie gewissermaassen officiell angekündigt Avird, dass das Ende nahe sei.
Macht unglücklicher Weise der Ai'zt. Aveil er nicht weiss, dass der Kranke"
bereits verschieden ist, noch einen Besuch im Hause so kann er leicht in
Gefahr komm(m, von den AVeibern und dem Gesinde thätlich misshandelt
zu werden. Aus diesem Grunde unterhält jedei' jjractische Arzt in der
Umgebung seinei- gefährlichen Patienten Spione, die ihn sofoi't von dem
unglückliclHMi Ausgang in Kenntniss setzen."
Das Amt des JVIedicin-Mannes in Oregon ist. wie Alvord richtig sagt,
,,ein gefährliches, aber auch ein machtvolles und geehrtes Gewerbe, und
weil dieser Beruf mit Gefahr ausgeführt wird, so erhält er, wie der Soldaten-
stand, hiei'durch eineji besonderen Heiz. Sicher ist. dass ich nicht erfahi'en
habe, dass di(^ (lewohidieit. die Aeizte zu tödten, bei irgend einem Stamun^
(hizu geführt habe, (be Xo\izen v(»n diesem Stande zui'ückzuschi-ecken."
30. Verschiedene Arten der Medicin-Mänuer und die Specialisten. Hl
30. Verschiedene Arten der Medicin-Männer und die Specialisten.
Wir hüben oben l)ereits ffesehen. dass die Thätigkeit der Aerzte auch
hei den Naturvölkern keine unumstrittene ist. Hal)en sie doch in nicht
wenigen Fällen ihren Ruhm und ihre Arl)eit in ganz äiinlicher Weise wie
bei uns mit einer Anzahl alter Weiber zu theilen. Aber auch männliche
( Hii'pt'uschei' tauchen auf", und wenn z. B. in Doi-ej auch noch ..erfahrene
i.eute'' um Ratli gefragt werden, so steht das (loch kaum auf einer
anderen Stufe.
Bei den Persern gciiört eine gewisse Summe nicdici nischer Kenntnisse
zu dem Wissensschatzt' jinles (ie])i]deten. ..Darum fehlen medicinische Bücher
auch in keiner Haus])il)liotliek. Durch die Ijectüre derselben verleitet, halten
sich viele Laien für berufen, bei Ki'aidvheitsfällen in der Familie initzu-
spiTchen und äi'ztlichen llath zu ertheilen. Selbst Damen glaui»eii sich
zur Yei'ordnung von H<'ilmitteln berechtigt."
Bei den Mincojjies auf den Andamanen übernimmt nicht selten die
Khegattin oder eine andere YerAvandte die Behandlung des erkrankten
Mannes.
Auch bei den alten Peruanern Hess sich das gemeine Volk ,,in der
Hegel von alten Weibern curireu. oder Einer gab dem Anderen irgend einen
Bath oder Keilmittel aufs Gerathewohl, so dass die Epidemien schrankenlos
wüthen uiul ihre zahllosen ()])fer dahinraffen konnten."
In Alaska macht man allerdings mit dem Curpfuscher nicht viel
Federlesens. Hat hier ein Unberufener Jemanden behandelt . und ist der-
selbe der Ki'ankheit erlegen, so wii'd der selbstbewusste Curpfuschei" ohne
( inade umgebracht.
Man wird hiermit aber nicht vei'wechseln dürfen, dass es bei manchen
Volksstämmen wirklich verschiedene Kategorien von Aerzten giebt. Obcman
in dieser Beziehung stehen ohne allen Zweifel die Xosa-Kafferu. bei denen
Kropf nicht weniger als acht verschiedene Arten von ..Doctoreu" aufzählt.
Allei'dings haben zwei derselben mit der Heilkunde eigentlich nichts zu
tliun: es bleiben, wenn wir von diesen absehen, aber immerhin doch noch
--echs Arten übrig. Bisweilen allerdings sind mehrere dieser Arten in der-
Ncllien Person vereinigt. Für gewöhnlich aber handelt es sich wirklich um
dift'ei-ente Perscinlichkeiten.
Der erst(^ derselben ist der Amag(|ira oluxa. d.h. wörtlich ..Doctor
des Spatens", wobei man sich ..zum Wurzelgraben'' zu ergänzen hat. Wii"
würden also sagen ..Kräuterärzte". „Sie haben eine grosse Kenntniss von
lieilbiingenden I\i-äutern gegen Kraidvheiten und besomlei's gegen die Bisse
<ler giftigen Schlangen und anderen Gewürms. Sie geben nur ^fedicin und
beschuldigen nicht dei' Zauberei, sondern sie meinen, die Ki-aidvheit käme
\iin dem Ultili, dei- sich im Wasser aufhält."
Als zweite (jlrui)])e müssen wir die ..Doctoreu des Zumachens. des
\ erstopfens" hinstellen. Dieselben gehören gleichzeitig auch der ersten
(iruppe an. Sie versto])fen das Herz eines Menschen, der sich häufig
Hexereien zu Schulden kommen Hess. ..damit er nicht an solche Sachen
denke. Sie gei)en einem solchen Medicin und waschen ihn. wofür der ge-
doctei-te Mann eine Kuh schlachten und Vieh für seine T'ur bezahlen muss.
versteht sich, nur wenn Heilung erfolgt ist."
(iL! II [. Die Aer/Av.
Die dritte Gru])!)«' bilden die Amaii(iii:i wokupata, welche durch
Auflegen von Kuhdünger die in den Körper des Patienten hineingezauberteu
Frenidk(ii-])cr und Thiere herausziehen.
Es folgen dann die Aniagqira a-wokuinljulula, welche dadurch den
Kranken heilen, dass sie die Zauherniittel. mit welchen ihm seine Krank-
heit angehext wurde, herausriechen.
Die fünfte Gruppe Avird oft durch die gleichen Leute wie die vorigen
vertreten. Es sind die Isanuse oder Amagqira abukali. d. h. .,die
scharfen Doctoren". Ihres Amtes ist es, denjenigen herauszuriechen,
der die schadenbringende Hexerei ausgeführt hat. ..Die dabei statttiudend(?
Versammlung und Ceremonie heisst Umhlahlo, ein politisches AYerkzeug
der Häui^tlinge, um sich vpn irgend einem einflussreichen Mann, der ihnen
im Wege steht, zu befreien."
Die sechste Gruppe endlich wird repräsentirt durch den xAmagqira
awokukafula, welcher auch Amatola genannt wird. „Er hat das grosse
nationale Opfer beim x\uszuge in den Krieg darzubringen, um durch dieses
und Amulete die Kiieger uuverwundl)ar zu machen. Diese Leute haben
einen einträglichen, aber auch sehr gefährlichen Beruf." Denn wenn ihre
schützenden Amulete nicht die erwartete Wirkung gehabt haben, so werden
sie getödtet, sobald mau ihrer habhaft wird.
Wenn uns diese Fülle des Heilpersonales im ersten Augenblick auch
etwas überraschend vorkommen mag, so möchte ich doch hier wiederum
eine Parallele aus der deutschen Yolksmediciu beibringen. Nach Fossel
ist nämlich das Bauernvolk der Steiermark selbst noch den Xosa-
Kaffern über. Denn in die ärztliche Praxis theilen sich: 1. der Bauern-
doctor (Harnbeschauer), 2. die Doctorin, 3. die Hebamme, 4. der
Bruchrichter (Beinbruchdoctor), 5. der Chirurgus, 6. der Zahn-
reisser. 7. der Schmied, 8. der Abdecker, 9. die Aderlass- und
Schröijf-Männer und Weiber, 10. der Abbeter, 11. der Krämer.
12. der Apotheker, 13. der Pfarrer. Aber Alle kommen erst dann an
die ßeihe. wenn der eigene oder der Familienrath zu der Behandlung
nicht mehr ausreichen will.
Wir sehen hier in den Beispielen von der Steiermark und den Xosa-
Kaffern sich bereits Specialitäten im ärztlichen Stande herausbilden. So
etwas lässt sich aber auch anderwärts nachweisen. So hat man nach von
Rosenberg auf Nias weibliche Aerzte, welche sich nur mit Frauenkrankheiten
abgeben, und ganz etwas Aehnliches besteht bei den Loango-Negern.
Von der Lisel Bali schreibt Jacobs:
„Personen, welche sich mit der Heilkunde beschäftigen, sowohl männ-
liche als weibliche, findet man unter den Baliern in grosser Anzahl und
Verschiedenheit, ja man hat sogar Personen, die sich speciell mit einer
einzigen Krankheit beschäftigen, beispielsweise eine Specialität für Bauch-
krankheiten. Seine hauptsächlichste Thätigkeit besteht im B,eiben und
Kneten des Bauches der Kraidceu und zwar allein bei aufgetriebenem Leibe,
Oolica flatulenta, Ascites und bei Hernia inguinalis. Diarrliöe, Dysenterie
und andere Darmkrankheiten behandelt er aber nicht."
Ein sehr ausgebildetes Specialistenwesen finden wir auch an der Lo-
ango-Küste. Hier hängt dasselbe damit zusammen, dass ganz bestimmte
Fetische die Heilung l)estimmter Krankheiten bewirken. Da nun diese
30. Verschiedene Arten der Medicin-Männer und die Specialisten. (58
Fetische aber verschiedeneu Zauberpriestern unterthan sind, so muss mau
sich in einem Ivianklieitsfalle an denjenigen Gang a um Hülfe wenden, dem
der heilende Fetisch für die beti-etfende Kiankheit dienstbar und zu Willen ist.
Auf Samoa hat nach George Turner ..jegliche Krankheit ihren besonderen
Arzt".
In Koetei auf Borneo finden sich ausser den männlichen und weil)-
licheu Aerzten auch noch Personen, welche zu Heilzwecken die Geister und
Hall)götter in sich aufzunehmen vermögen, damit dieselben dann durch sie
handeln können. In Annam hat man neben dem durch Beschwörungen
heilenden Thäy phäp auch noch den Thäy ngäi, einen Zauberer, welcher
Krankheiten verursachen kann, dieselben dann aber auch wieder gegen ent-
sprechende Bezahlung heilt. Die Siamesen haben ebenfalls mehrere Arten
der Aerzte (Mo), die Mo Luang, die Aerzte des Königs, die Mo Khong
(Jhao, die Aerzte des Adels, und die Mo Basadon, die Aerzte des Volkes.
J)azn gesellen sich die Krankheitsbeschwörer. Bei den Narrinyeri in
Fig. 15. Midi nach einem
Musikbrett der Chippeway-
Indianer.
Nach Hoffman.
Fig. 16. Mide, dessen Herz mit
Kenntniss von den heiligen Medi-
anen der Erde erfüllt ist. Nach
einem Musikbrett der
Chippeway-In dianer.
Nach Hoffman.
Süd-Australien scheinen zwei Arten von Aerzten zu existiren, deren
Thätigkeit aber im Ganzen eine ähnliche ist. In Liberia finden wir den
Kräuterdoctor neben dem Zauberarzt, und in Lubuku in Afrika
fungirt neben dem Medicin-Manne ein l)esonderer Beschneider.
Bei den nordamerikanischen Indianer-Stämmen treten vier Arten
von Aerzten auf. Der eigentliche Arzt in unserem Sinne ist der Muskeke-
winince. Neben ihm fungirt der Jossakeed oder Jes' akkid, der Hell-
seher, welcher ausser anderen Dingen auch die Ursache der Erkrankung
und das zur Herstellung nothwendige Heilmittel anzugeben vermag. Vor-
nehmer wie sie beide ist der Mide, der durch übernatürliche Mittel heilende
Medicin-Mann (Fig. 15, 16). Diese Mide bieten eine der allermerk-
würdigsten Erscheinungen dar. Sie bilden eine geschlossene Gesellschaft
mit geheimen Erkeunungszcichen, welche von den südlichen Staaten Nord-
Amerikas bis in die nördlichen Provinzen verbreitet ist. Die Gesellschaft,
Mide' wiwin genannt, ist eine Aj"t Gelieimbund. Sie hat viel- (Jrade.
«14
in. Dio Aomo.
(leren jeder seine hesondeivn (lelieininisse besitzt, die von den .Mitgliedern
;uif das Sorgsamste gewahrt werden. Wenige Ansei'wäldte nnr ei'ivMclieii
den liöclisten (Ji'ad. .Vucli W'eilter kTninen nacli Fli'tVdlnng der notli-
wendigtMi V()rl)ei'eitungen Mide werden. IJisweilen werden grössere ( 'ere-
monien ant'get'ülut. welelie mit dem Namen AI edici n-Tä nze l)ezeielinet
/n werd(Mi ptlegen (Fig. 17). Von weither sti(imen da/u (he Mitgliedei- des
Ordens /nsamnu'n. Es liandelt sich dalx'i entwcih'r um (he feiei-Helie Anf-
nalime von n«Mien ('an(hdaten in den (^r(h'n. oder um die /,anhei-hatt(^ Heihmg
eines Kranken, der dann die Kosten des Festes zn tivigen iiat.
Die vierte Gruppe der indinnisclieii Aerzte i'epiiisentiren che Waheno.
Es ist das eine wenig augeseliene Abart dei' M ide-(T!esellsehaf't. die
sicli meist aus solchen Individuen ickrutiit. weh-he bei den ]\Iide keine
Aufnahme get'undeu liabeu. Ihre Feiei'lichkeiten tin(h'n Nachts gegen die
Zeit (h>s !Moi-gengrauens statt, wovon sie ihren Xann-n eriialten habeji s(dlen.
:-^'^^*^?f*l^
Fig. 17. Medicin-Tanz der Winnebago-Tiulianer.
Nach Schoolcrnft.
Die Kai'oks in Calit'ornien haben nach Mason zwei Arten von
Schamanen, die AV urzel- Aerzte. welche nnt Triidcen und Umschlägen
behandeln, und die bellenden Aerzte. welche die Krankheit heraussaugen.
Die Letztere]!, meistentheils AVeiber. heulen wie ein Hund vor dem Patienten
und bellen Stunden lang.
Von den Sonkoyox und den Kamaska der alten J-*ernaiier ist be-
i-eits weiter oben die Rede gewesen; sie beschäftigten sich nicht riiit dem
gemeinen Volke, sondern sie practicirten nur in den höhei-eu Gesellschafts-
schichten. bei den liöliei'en Beamten, den Priestern, den Adligen und den Inka.
Bei den Kirgisen muss der Baksa seine Thätigkeit mit dem Mulla
tiieilen. welcher mit Koranspi'ücheii die l\i'aid<heiten behandelt. In einem
30. Verschiedene Arten der Medicin-Männer und die Specialisten. 65
uigurischen Liede des 11. Jahrhimderts wird der Kam oder Miikasiiu,
der Schamane, dem Arzte gegenübergestellt:
„Soll der Kam Dir aber nützen,
Miisst Du, Herr, ihm Alles glauben:
Seine Worte liebt der Arzt nicht.
Er entfernt von Mukasim sich."
In Indien ist es derHakiiii (Barbier), der Jurrah und derBaidja,
welche sich in die Praxis theilen. In Persien gemessen das höchste An-
sehen die Haekim taebib, die gelehrten i^erzte. Ganz ähnlich, wie
bei uns im Mittelalter, liefassen sie sich nicht mit der Chirurgie. Diese ist
dem Dscherah vorbehalten, von welchem man erwartet, dass er nicht
schreiben kann. Als Schröpfer, Brenner, Rasirer und Masseur schliesst
sich ihnen der Dallak an, und endlich
kommen noch die Gliedereinrenke r.
die Schikeste-baend, welche ähn-
lich wie bei unseren Bauern ganz un-
gebildeten Standes sind. Aber eine
Art von Specialisten haben wir noch
zu erwähnen, das sind die Augen-
ärzte, die Kehäl. Diese haben es
verstanden, den Ruf ihrer Geschicklich-
keit bis nach China auszubreiten.
Uebrigens haben auch die Marok-
kaner eine besondere Zunft der
Augenärzte.
Bei den alten Japanern unter-
schied man zwischen den Yolksärz-
ten und den Fürstenärzten. „Beide
Kategorien hatten schon in der Art,
wie sie für die Recrutirung ihres Stan-
des sorgten, vielleicht nur das Gemein-
same, dass für beide die Söhne von
Aerzten das Hauptmaterial abgaben.
Bereits der sonst erforderliche Nach-
wuchs ist aber in seiner Abstammung
ein grundverschiedener. Während für die Volksärzte derselbe aus den
unteren der Samurai -Kaste subordinirten Classen der Ackerbauer, Hand-
werker und Kaufleute herkam, treten in die Zahl der Fürstenärzte die-
jenigen Samurai-Söhne ein, welche wegen körperlicher und geistiger Ge-
brechen untauglich zur Erlernung des Kriegerhandwerks waren und von
ihren Vätern, als der Nachfolge im eigenen edlen Berufe unwürdig, der
Versorgung durch den niedrigei-en Beruf übergeben wurden. Hierbei concur-
rirte dann der Priesterstand gewissermaassen mit dem ärztlichen, indem
jenem die imbecilen, geistig schwach beanlagten oder verwahrlosten, diesem
diejenigen Söhne zufielen, welche verwachsen, hinkend oder sonst ver-
unstaltet, nie unter den Ki'iegern hätten erscheinen dürfen. Dieser Art der
Standeswahl war denn auch die Anschauung, die beide Kategorien von
ihrem Berufe hatten, sehr entsprechend. Die Volks ärzte, deren Väter
Bartels, Medicin der Naturvölker. ' 0
Fig. 18. Maske des Medicin-Mannes der
Atna-Indiane r.
Museum f. Völkerkunde, Berlin.
Nach einem Aquarell.
(;o
III. Die Aerzte.
noch eiiuMii der iiicMlrijiercii Stiiiule MUiuehört liuttcii. l)etr;iclitoteu ihren
Eintritt in den freien Stand als eine Erliöhnng und strebten (h'rselbeu mit
Eifer nach; die Fiirstenärzte verfielen gewissermaasseii einer H erabsetzunji;,
wenn sie in ihren neuen Stand einti'aten und betrachteten denselben ihr
Leben lang als ein nothwendiges Uel)el und als eine jeder weiteren be-
sonderen Anstrenunnii" un\\iiiili<;(' Sinecnic."
31. Bas Hülfspersoiial des Mediein-Mannes.
Es Avurde weiter oben bei der Besprechimg der ärztlichen Cousulta-
tioueu bereits darauf hiugewieseii, dass bisweilen mehrere Aerzte gemeiusani
die Behaudlung des Patienten übernehmen. Aber auch abgesehen von dieser
collegialen Unterstützung l)edürfen
die Aerzte nicht selten zu ihren
therapeutischen Maassnahmen eines
besonderen Hülfspersonales. Auch
dieses müssen wir jetzt versuchen,
kennen zu lernen. Bei der soeben
( iwähuten gemeinsamen Behandlung
sahen wir es bisweilen, dass. ähn-
lich Avie bei unseren chirurgischen
Operationen, dem einen der Aerzte
der Hanptantheil an der Behand-
lung zufällt, während che anderen,
()l)wohl sie ihm gleichberechtigte
(Jollegen sind, doch mehr eine Ai"t
von assistirenden Funktionen über-
nehmen. Das findet namentlich bei
den Tliäy phäp der Annamiten
und bei den Heilceremonien der
Mi de bei den Indianern statt,
von denen wir noch ausführlicher
zu sprechen haben werden.
Vielfach dort, wo betäubende
Musik eine wichtige E-oUe bei der
Kg. IH.
Maske des Medicia -Mannes
Atna-Indianer.
Museum f. Völkerkunde, Bevliu.
Nach einem Aquarell.
der
ärztlichen Behandlung spielt, er-
blicken wir besondere Musikanten in
der Umgebung des Arztes. Entweder sind es seine Schüler und Eleven, oder
es ist eine Art von dienendem Personale. Bisweilen a1)er hat es auch den
Anschein, als wenn irgendwelche Stannnesgenossen, z. B. die Freunde und
Verwandten des Erkrankten, die Funktion der Musikanten übernehmen.
So scheint es an der Loango-Küste der Fall zu sein, und auch bei den
Ostjaken. und bei den Indianern von Britisch-Columbien und dem
AVasiiington-Territorium findet Aehnliches statt.
Aber auch in anderer Weise haben die Schüler den Medicin-Mann
zu unterstützen, so z. B. in Annam bei den Opferungen, bei den Koniagas
durch Mitrufen dei- Beschwöi-ungen. und bei den Mi de der Navajö-
82. Die Amtstracht.
67
In di au er durch Herstelluug der spätei- uoch zu erwähueuden Bilder auf
dem gegiätteteu Erdhoden der Medioinhütte. Ausserdem sind hier noch
l)estimmte junge Leute als sogenannte Läufer und Tänzer angestellt.
Bei den Tungusen lässt sich die Schamanin ihr Handwerkszeug von
jungen Burschen vorantragen, während „junge Weil)er und Dirnen ihr im
Singen ])ehülflicli sein müssen."
Der Arzt in Buru l)e(hirf zuvor einei'
hellsehenden Frau, welche feststellt, durch was
und auf welche Weise die Krankheit zu Stande
gekommen ist, und ähnlich niuss hei den
Ganguella-Negern der AVahrsager zuerst
entscheiden, ob Geister oder Zauberer die
Krankheit verursacht haben. Erst wenn diese
wichtige Frage entschiedeu ist, wendet man
sich an den Arzt. Nocli grösserer Hülfe be-
darf in wichtigen Fällen der Medicin-Mann
der Annamiteu. Er selber ist des Lesens
unkundig, und deshalb unterstützt ihn stets
ein Schriftgelehrter, welcher die Beschwfirungs-
fonneln mit lauter Stimme vorliest. Ausser-
dem aber helfen ihm noch zwei Personen, von
denen die eine hellsehend ist und über das Be-
nehmen der beschworenen Geister Auskunft
giebt, während der andere Assistent mit be-
stimmten Figui'en hantiren muss, welche für
die Ceremonie nothwendig sind. Wir kommen
hierauf noch wieder zurück.
Einen wichtigen Gehülfeu des ärztlichen
Standes, namentlich in allen Leiden der Wei-
ber, bilden, ganz ähnlich wie bei unserem Land-
volke, die als Hebammen fungirenden Frauen,
darauf ein. da ich in meiner Bearlieitung des Werkes von Ploss: Das
Weib in der Natur- und Völkerkunde ganz eingehend und ausführ-
lich dieses umfangreiche Thema behandelt habe.
Fig. 20,
Medicin-Mann der B a ■
sutho.
Nach Photographie.
Ich gehe hier nicht näher
32. Die Amtstracht.
Die grosse Wichtigkeit der ärztlichen Maassn ahmen, bei denen es sich
um nichts Geringeres handelt, als mit den Göttern und Dämonen in directen
Verkehr, ja nicht selten sogar in erbitterten Kampf zu treten, macht es
wohl verständlich, dass der Medicin-Mann oder Schamane nicht in seiner
alltäglichen bürgerlichen Ei-scheinuug in eine so feierliehe HandluDg ein-
treten kann. Er bedarf dazu einer besonderen Ausschmückung, welche, ab-
gesehen von der häufig recht phantastisch zusammengesetzten Amtstracht,
nicht selten auch noch in grotesker Bemaluug und bisweilen in grauen-
erregender jMaskirung besteht. In einer Anzahl der uns zu Gebote stehenden
Berichte ist nun allerdings von einer solchen Amtstracht nicht die 'Bede.
Ob sie bei deu betreuenden Völkerschaften wi]'klich uicht in Gebrauch ist.
68
III. Die Aerzte.
raüsson wii- nntürlicher Weise daliingostellt sein lassen. Von den Mediciu-
Männern der Mabunde in Süd- Afrika sagt Uolub allerdings, dass sie mit
Ausnahme ihres hohen Alters durch keine besonderen Abzeichen kenntUch
gemacht sind. Einige andere Volksstäninie scheinen sicli mit der Bemalung
Fig. 21. Medicin-Mann der Atna-Indianer. Modell mit echter Ausrüstung.
Vorderansicht.
Museum f. Völkerkunde, Berlin. — Nach Photograpbie.
allein zu begnügen, während bei wieder anderen ausser der Bemalung auch
noch die festliche Amtstracht in Anwendung kommt.
Bei den Indianern von Britisch-Columbien führt Bancroft an, dass
sie bei der Ausübung ihrer ärztlichen Funktionen ..häufig grotesk bemalt"
32. Die Amtstracht.
69
erschienen. Es hat hiernach also tk)ch den Anschein, als wenn die Be-
malung bei ihnen nicht ein unumgängliches Erforderniss wäre. Bei den
Mosquito-Indianern timgiren die Sukias, „das Gesicht in grässlicher
Weise bemalt."
Der Medicin-Mann, derKimbunda. hei den Negern in Lubuku be-
dient sich keiner besonderen Amtstracht; .,er beschmiert sich höchstens mit
rother oder weisser Pemba, wenn er seine Kuren ausführt.-
Die Bemalung des Medicin-Mannes beobachtete auch Bastian an der
Loango-Küste. „Der G an ga hockte vor dem Kranken, damit beschäftigt,
sich das Gesicht zu bemalen, roth die Nase, gelb die Stirn, schwarz die
Backen, und wurde er in dieser Operation von seiner neben ihm sitzenden
Frau unterstützt."
Die höchste Vollkommenheit in der Ausbildung der Bemalung trefiVn
wh- aber bei der in so vielen Beziehungen merkwürdigen Mide-Brüderschaft
der nordamerikanischen Indianer
an. Hoffman hat uns ganz neuerdings
hierüber genaue Aufklärungen gegeben
und wir verdanken ihm die Farben-
skizzen von nicht weniger als zehn
verschiedenen Bemalungsarten des Ge-
sichts, deren Farben und Muster sämmt-
lich ihre ganz bestimmte rituelle Be-
deutung besitzen.
Ausser den Bemalungen kommt
nun für die Medicin-Männer bei vielen
Volksstämmen auch noch eine wirk-
liche Amtstracht hinzu, diu'ch welche
sie sich sofort von den übrigen um den
Kranken beschäftigten Stammesgenos-
sen unterscheiden. Bei den Ganga
der Loango-Neger ist dieses Abzei-
chen der Wüi-de eine Federmütze. Die
Federn, aus denen dieselbe gefertigt
wird, stammen von einem solchen Vo-
gel, dessen Fleiscli dem Mediciu-lNIanne
zu essen verboten ist.
'§M
Fig. 22. Maske des Medicin-Mannes der
Atna-Indianer.
Museum f. Völkerkunde, Berlin.
Nach einem Aquarell.
Zauberärzte derBasutho sah }Fa«^e/;<aww in Nord-Transvaal (Fig. 20).
„Phantastische Gestalten, mit einem aus Muscheln und aufgeblasenen Schaf-
blasen und anderem Zierrath wunderlich gestalteten Kopfputz, am Leibe
allerlei Zaubermittel, ein grosses Kuhhorn, augefüllt mit Medicin. ausserdem
Antilopenhörner und kleine Büchscheu, auch die Zauberwürfel."
Holuh macht von den Medicin-Männern der Betschuanen folgende
Beschreibung: „Als Heilküustler erkennt man sie in der Oeffentlichkeit an
einem aus Pavianfell (Cynocephalus Babuin) verfertigten Mäntelchen. Manche
tragen um den Hals an Schnüren oder Riemchen verschiedene Säugethier-,
Vögel- und Reptilienknochen, doch immer auch vier, meist aus Elfenbein,
zuweilen aus Hörn geschnitzte, mit eingebrannten Zeichnungen versehene
Stäbchen und Pflöckchen, welche "Würfel darstellen und zur Diagnose be-
nutzt werden."
70
III. Die Aerzte.
Die Altujcr tmi-iMi iiacli Hadloff h('\ dein ScIiMiiKiiiisircii eine von dei-
gewölniliclieii nicht sehi' iihweielicnde l^i'Melit: ..einen ott'encii Roek mit einem
Fig. 23. Medicin-Mann der Atna-Indianer. Modell mit echter Ausrüstung.
Hinteransicht.
Museum f. "Völkerkunde, Berlin. — Nach einem Aquarell/
Brustlatze aus Tliieriell und eine ruthe Mütze mit einer Birkhuhnteder.
Die Schamanen der am nördlichen Altai wohnenden Schwarzwald-
Tntaren. der Sclior und <]('r Teleuten besitzen ül)erhaupt keine be-
H2. Die Amtstracht. 71
stimmte Tracht, sondern schanianisireii in iiirer ii,('\vühnhcli('n l\lci(hinij;'.
Bei den "Wald-Tunguseu hingegen nnd anderen ost-sibirischen Völker-
schaften ist das Schamanenkk'id anf Eücken, Brnst nud an den Armen mit
Aielen eisernen Beilängen in Form von alk-rlei Thiergestalten besetzt, die
liei jeder Bewegnng des Köi'pers (bu'ch Aneiii;in(h'rsclil;igen ein st;ii'kes Gre-
khapper hervorbiingen."
Solch einen mit Eisenwerk behängten Schnnianenrock mit dazugehörigem
„gehörntem Kasket" fand Fallas bei den Kamasehi nzen vor. V(m den
Sagajern sagt er. dass der Schamane sich nur durch seine Kopfbedeckuug
unterscheide. Dies(dl)e war gefertigt ..von lotheni Tuch, mit Fuchsfellen
verbrämt, mit Scldangenköpfen besetzt, und ol)en mit einem Busch Eulen-
federn, am Rande aber mit allerlei Streiten Zeug. Hermelinfellen und der-
gleichen geziert."
Fig. 24. Mütze des Medicin-Mannes der Haidah -Indianer.
Museum f. Völkerkunde, Berlin. — Nach einem Aquarell.
Ein Schamane der Katschinzeji. ein Anfänger, hatte nocii keine
Schamaneumütze. Er hatte, wie Pallas berichtet. ..nur biintausgenähte
lederne Strüm])fe. und am Leil)e einen engen ganz beschmutzten Kittel, von
bunt gedinicktein l)anni\vollenen Zeuge (Kitaika) an. worauf über den Schultern
ein rother Querlapixni. wie ein Kragen, angemacht war. und von demselben
lo Bänder herabbingen (Sysim). Die Bänder aber waren aus grünen, gelben,
i'otheu, blauen, schwarzen und bunten, auch mit unechtem Golde durch-
wirkten seidenen und baumwollenen Läppchen also an einander gesetzt, dass
keiner dem anderen gleich sähe."
Eine sehr eigeinirtige Erscheinung bildet der Medicin - ]\Iann der
A tu a -In dianer (Fig. 21. 2H), wenn er sich in seine Amtstracht geworfen hat.
Die Schultern deckt der icich oi-namentirte Mantel, dessen stilisirte Wolfs-
und Vogelköpfe und grosse Augen in blauer, blassgellier und schwarzer
Farbe einen phantastischen Eindruck bervorruien. (ierade au dei- den
72 III. Die Aerzte.
Xackpii (leckenden Stelle ist ein jirosses Mensclienaiitlitz mit offeuem Mimde
und uni:;eheui-en Zälmen ant'genilht (Fiif. 23). Auf dem Kopfe trägt er eine Art
von Helm oder die mit Fuehsfell verbiiimte j\rüt/.e (Fig. 24). Das Gesicht wird
dui'ch eine bunte Holzmaske verdeckt, von denen eine ganze Garnitur ihm für die
einzelnen Fälle zui- VeiTügung steht (Fig. 18, 19, 22, 20). Diese Masken stellen
Fig. 25. Medicin-Mann der Schwarzfuss-Indianer.
Nach Catlin.
aber nicht die Dämonen der Krankheit dar. Um den Hals wird der weite
Ring von Cedernbast gelegt, das besondeic Abzeichen seiner Würde. Aber
auch noch ein zweiter Halsring (Fig. 27) wird dem ersten hinzugetiigt. Au
ihm hängt eine grosse Anzahl ])friemenartiger Knocheninstrumente, von
denen eins odei' mehrere die robc Forin einer Fischotter besitzen. Dieses
32. Die Amtstracht.
73
heilige Thier spielt als Schutz- und Hülfsgeist der Medicin-Mänuer eine
ganz besonders wichtige Rolle. Die Pfriemen, welche die Fischotter dar-
stellen, sind Amulete des Medicin-Mannes, während die anderen ihm als
Kopfkratzer dienen (Fig. 28); denn er darf mit seinen Fingern seinen Kopf
nicht berühren.
Um den Nacken ist eine Art von kui'zer Pelzboa gelegt, welche jeder-
seits in einen buntfarbigen Wolfskopf von Holz ausläuft. Ausserdem hat
der Medicin-Mann sich noch allerlei Amulete in Holz, in Stein und in
Knochen umgelegt, unter den Letzteren solche, die dazu dienen, des Patienten
Seele zu halten. Es ist ein ornamentirter Knochen, der jederseits in einen
geöffneten Thierrachen ausläuft.
Fausthandschuhe decken die
Hände und um die Hüften ist ein
schürzenartiger Gürtel gelegt, der
ebenfalls mit einem Gesichte verziert
ist; lange, schmale Lederstreifen
hängen von ihm herab, und an ihrem
freien Ende sind die hörnernen Hufe
von Hirschen befestigt.
Von anderen nor d- amerika-
nisch en Indianern ist am bekann-
testen die Tracht geworden, welche
George Catlin bei dem Medicin-
Manne der Schwarzfuss-India-
ner am Yellowstone River an-
getroffen hatte (Fig. 25). Seine Skizze
ist in viele volksthümliche Schriften
übergegangen.
,,Sein Kopf und Körper waren
ganz mit der Haut eines gelben Bä-
ren bedeckt, dessen Kopf ihm als
Maske diente, und dessen Klauen
ihm auf die Handgelenke und die
Knöchel herabreichten. Dieser An-
zug ist das seltsamste Gemisch von
(TCgenständen des Thier- und Pflan-
zenreichs. An der Haut des gelben
Bären, welcher hier selten vor-
kommt, daher als eine Ausnahme von der regelmässigen Ordnung der Na-
tur und folglich als grosse Medicin betrachtet wird, sind Häute von man-
cherlei Thieren befestigt, die ebenfalls Anomalien oder Missbildungen und
daher Medicin sind; ferner Häute von Schlangen. Fröschen und Fleder-
mäusen, Schnäbel, Zehen und Schwänze von Vögeln. Hufe von Hirschen,
Ziegen und Antilopen, mit einem Worte, etwas von Allem, was in diesem
Theile der Welt schwimmt, fliegt oder läuft."
Die Amtstracht eines Medicin-Mannes der Choctaw-lndianer wird
uns bei Schoolcraft beschrieben:
„Er kam, gekleidet in die Felle wilder Thiere. Die Tatzen des Grizzly-
Bären schmückten seinen Hals, die Tatzen vom Elenthier. der Wildkatze,
Fig. 26. Maske des Medicin-Mannes der Hai-
dah-In dianer, ein Fabelthier vorstellend.
Museum f. Völkerkunde, Berlin.
Nach einem Aquarell.
74
III. Die Aerzte.
dem Falken und Adler Avaren ebenfalls an verschiedenen Stellen der Ge-
wandunir befestigt. Die Heliees der (^liren waren eingekei'bt. wie eine Säge.
Seine Ohren zierten Ringe von :i Zoll im Durchmesser. In diesen herab-
hängenden Rillgen waren kleiue Muscheln lose befestigt, und ein mit Muscheln
geschmückter Riug war auch in seiner Nase aufgehängt. Die Säume seiner
KliMdung wai-en mit Muscheln befranzt. mit Seldangenzähnen und Kla])pei-
schlangenschwänzen.''
Die Anzüge, die Masken und die übrigen CJeräthschaften der Medicin-
Männer von Vaneouver werden im\ c\i Jacohsen nicht in seinem Hause auf-
Ix'wahrt. sondern irgendwo in einem Ge-
l)üsch. Die Eingel)orenen kennen den
Versteck, aber sie Avagen es nie. diese
Sachen zu berühren.
Von den Masken der Aei'zte bei
den Singhalesen haben wir im vierten
Capitel bereits auslührlicheu Bericht er-
stattet. Wir brauchen daher an dieser
Stelle nicht Aviederum daranf zurückzu-
kommen.
Wenn der junge Candidat der Me-
dicin in Persien ausgelernt zu haben
glaid)t, so „vertauscht er die Tataren-
niütze mit dem Turban, lässt sich das
Haupt ganz kahl scheeren, umgürtet sei-
nen Leib mit einem breiten ShaAvl. in dem
eine Rolle Papier und ein Tintenfass
steckt, trägt einen hohen Stab und Pan-
toffeln von grünem Chagrinleder, geht
mit gemessenen, pathetischen Schritten
einher, spricht in salbungsvollem Tone,
oder murmelt, Avährend er einen grobkör-
nigen Rosenkranz durch die Finger glei-
ten lässt, a r a b i s c li e Gebetformeln. Durcl i
die Strassen sieht man den Arzt gewöhn-
lich auf einem ^Nfaulthiere reiten, welches
er zu diesem Zweck dem Pferde vorzieht."
Der Baksa der Kirgisen trägt, im
Gegensatze zu seinen ganz rasirten Stain-
raesgenossen, nur die Mitte des Kopfes glatt rasirt, Avährend er die Haare
auf den Seiten des Kopfes etwa fünf Finger breit über den Schläfen und
den Ohren stehen und ungefähr drei bis vier Zoll herabhängen lässt. In
der Kleidung nntersclieidet er sich nur dadurch, dass er ein etwas höheres
Kapsel als die Uebrigen trägt und an demselben einen Federl)üs(hel b<'-
festigt.
Fig. 27. Halsring des Medicin-Maunes
der Haidab-Indianer.
Museum f. Völkerkunde, Berlin.
Nach Photographie.
33. Die Beweggründe für das ärztliche Studium. 75
33. Die Beweggründe für das ärztliche Studium.
Wir müsseu nun noch zu erfahren suchen, was hei den uncivihsirten
Nationen für einen jungen Manu die Veranhissuug al)giel)t, sich dem ärzt-
h'cheu Berufe zu widmen. Auch Averden Avir zu untersuchen hahen. auf
welche Weise seine wissenschaftliche und technische Aushildung stattfindet
und wann und unter welchen Bedingungen schliesslich seine A])])rohation
erfolgt. Es tritt uns hierl)ei mehrfach die Angabe entgegen, dass der junge
Mann sich deshall) dem mediciuischen Studium zu widmen beschliesst,
weil auch sein Vater dem ärztlichen Stande angehcirt. und diese Erblich-
keit der ärztlichen Kunst lässt sich bisweilen durch mehrere Generationen
\ erfolgen.
Solch eine Erblichkeit des ärztlichen Berufes finden Avir bei den Zulu
und den Betscliuanen in Süd-Afrika, sowie bei den Japanern und bei
einer Anzahl a^ou Indianer-Stämmen, den Sahaptins. den Nez-Percez.
den Caj'use. den Walla Wallas und den AVascows. Die vier zuletzt ge-
nannten Nationeu lassen aber auch bisweilen die Töchter den Beruf des
A^aters erben. Hingegen treten, wie es den Anschein hat. nicht sämmtliche
Kinder in des Vaters Fussstapfen, sondern der Vater trifft hierfür unter
ihnen noch eine besondere Auswahl. Nach Avas für Grundsätzen er hierbei
Aerfährt, und was für Umstände es sind, welche ihn in dieser Beziehung
dem einen Kinde A^or dem anderen den Vorzug geben lassen, das Avird uns
aber leider nicht berichtet.
Auch bei den sibirischen Völkern ist die SchamanenAvürde erblich
und sie geht auch hier bisAveilen aou dem Vater auf die Tochter über.
..Das Charakteristische für das Schamanenthum, sagt Badloff, das diese
]ieligionsriehtung von anderen unterscheidet, ist der Glau1)e au die enge
Verbindung, die zAvischen den jetzt lebenden Alenschen und ihren längst
verstorbenen Almen bestellt. Der Glaube an die Kraft dieser Verbindung
veranlasst eine ununterbrochene Verehrung der Vorfahren. Unter solchen
Umständen konnte nur derjenige als Priester, als Schaman. auftreten und
Avirken. der in eine engere Verliindung mit seinen Vorfahren zu treten ver-
mochte, oder mit anderen Worten, es war hier nur ein erbliches, den
Familien angehöriges Schamanenthum möglich."
Bei manchen Volksstämmen sind es gcAvisse Absonderlichkeiten der
(reburt oder besondere Erlebnisse. Avelche dafür den Ausschlag geben, dass
der junge Mensch sich dem ärztlichen Berufe Avidmet. So schreibt man
in Liberia den Zwillingen ganz besondere Heilkräfte zu. und dieses ist die
Uisache. Avarum die meisten von ihnen Aerzte Averden. In jSTias ergreifen
(li(^ mit den Füssen voran Geborenen eine S})ecialität. nämlich die Behand-
lung der Verrenkungen, für deren Einrenkung man ihnen ganz besonders
glückliche Prädis])Ositionen zuschreibt. Ein Unlall mit glücklichem Aus-
gange Avar für einen Australneger in Victoria die A^eranlassung. Arzt
zu Averdeu. Er sass auf dem hohen Aste eines Gummibaumes und sägte
denselben ab, Avährend ei- auf dem peripheren Ende ritt. Natürlicher Weise
stürzte er schliesslich mit ihm herab. Aber (m- bliel) unverletzt und das
genügte, dass seine rjandsleute ihn fortan als (>inen Afedicin-Mann be-
trachteten.
76 III- Die Aerzte.
Bei den Dieyerie in Süd-Australien werden diejenigen jungen
Leute Aerzte, welche als Kinder den Teufel gesehen haben. Dieser Kutchie
genannte Teufel erscheint den Betreuenden in einem beängstigenden Traume
oder er belästigt sie als Alp. Die Lagergenossen sind dann überzeugt,
dass der Teufel diesen Leuten erschienen sei und dass er ihnen die Macht
und Fähigkeit mitgetheilt habe, Kranke zu heilen.
Wenn bei den nord amerikanischen Indianern zwei Personen
gleichzeitig träumen, dass eins ihrer Kinder oder ein Freund sich in einem
schlechten Gesundheitszustande befindet, dass etwas besteht, was ihn ver-
hindere, weiter zu leben, so ist das ein Zeichen, dass er für den Orden der
Mi de ausersehen ist.
Die Eingeborenen von Victoria haben den Glauben, dass sich die
Len-han-morr, d. h. die Geister verstorbener Aerzte, diejenigen Leute aus-
suchen, welche sie zu Aerzten machen wollen. Sie treffen im Busche mit
Solchem zusammen und unterweisen ihn in allen den Künsten und Kunst-
griffen, welche ihm für seinen Beruf nothwendig sind, damit er grossen Ein-
fluss in seinem Stamme gewinne.
Bei den Bilqula im nordwestlichen Canada ist die "Würde des Medicin-
Mannes ein freiwilliges Geschenk der Gottheit. Dieselbe lässt den Aus-
erwählten in eine Krankheit verfallen, und während seines Leidens gie])t
^^A ihm Snq einen Gesang,
^.ffH^^'' ^' ^- ^'^^ Beschwörungs-
fiftiiP* formel, die er im tief-
sten Geheimniss bewah-
ren muss.
Fig. 28. Kopfkratzer des Medicin-Mannes der Von den X o s a -
H a i d a h - 1 n d i a n e r. K a f f e r n berichtet Kropf:
Museum für Völkerkunde, Berlin. — Nach Photographie. -r» t^ ^ • i i
,,Der Doctor wird nach
der Meinung der Kaffern durch übernatürliche Kraft zu seiner Kunst be-
rufen und erlangt, wie er vorgiebt, seine Kenntniss von den medicinischen
Eigenschaften der Pflanzen, der Hexen und Hexenmittel diu'ch Offenbarung,
die ihm die Geister zu Theil werden lassen. Der oder die Insanuse
(meistens ein altes Weib) gelangt zu solchem Berufe durch seine oder ikre
eigene Krankheit. Wenn solch ein betrügerisches, geschwätziges Weib
krank wird, so sagt sie, sie könne die Ki^äfte des Wassers, der Erde, des
Himmels, der Pferde u. s. w. sehen und werde dadurch in Unruhe versetzt.
Diese ihre Aussage muss dann nebst der Krankheit dem Häuptling be-
richtet werden, damit dieser alles wisse. Die bereits promovirten Doctoren
dieses Standes, die sich in dem Stamme befinden, werden zu Rathe gezogen,
und wenn sie sich entscheiden, dass der Mann Beruf hat, so muss für ihn
ein Stück Yieh zum Opfer gebracht werden. Darauf geht er einige Zeit
in die Einsamkeit."
Der zukünftige Schamane der sibirischen Volksstämme erhält, wie
uns Badloff berichtet, „vom Vater nicht etwa Unterricht oder Unterweisung^
auch bereitet er sich auf diesen Beruf nicht vor, nein, plötzlich kommt über
ihn die Schani anenkraft, wie eine Krankheit, die den ganzen Menschen er-
greift. Das durch die Kraft der Vorfahren zum Schamanen bestimmte
Individuum fühlt plötzlich eine Mattigkeit und Abgespanntheit in den
Gliedern, die sich durch ein heftiges Zittern kund thut. Es überfällt ihn
33. Die Beweggründe für das ärztliche Studium. 77
t-in heftiges, imnatürliches Gälmeu, ein gOAvaltiger Druck liegt ihm auf der
Brust, es di'ängt ihn plötzlich, heftige, unarticulirte Laute auszustossen,
Fieberfi-ost schüttelt ihn, er rollt heftig mit den Augen, springt plötzlich
auf und dreht sich wie besessen im Kreise herum, bis er scliAveissbedeckt
niederstürzt und in epileptischen Zuckungen und Krämpfen sich am Boden
wälzt. Seine Gliedmaassen sind ganz gefühllos, er ergreift, was ihm unter
die Hände kommt, und verschluckt absichtslos Alles, was er mit den Händen
gefasst hat, glühendes Eisen, Messer, Nadeln, Beile, ohne dass ihm durch
dieses Yerschlucken irgend welcher Schaden geschieht. Nach einiger Zeit
giebt er das Verschluckte trocken und unversehrt von sich."
Radloff hat, wie er angiebt, dieses allerdings nicht selber gesehen, aber
sehr glaul)würdige Personen, welche Augenzeugen solcher Scenen gewesen
sind, haben ihm dasselbe mitgetheilt.
Höchst absonderlich und phantastisch ist die Ansicht der Dacota-
In dianer über die Entstehung ihrer Medicin-Männer.
„Dacota-Medicin-Männer treten nicht in die Existenz unter den
gewöhnlichen Wirkungen der Naturgesetze, sondern nach ihrem Glauben
erwachen diese Männer und Frauen zuerst in bewusster geistiger Existenz
in der Form beschwingter Samen, so wie diejenigen der Distel, und sie
werden durch den geistigen Einfluss der „Vier "Winde" durch die Luft-
regioneu geweht, bis sie gelegentlich zu' dem Wohnort irgend eines Taku
Wahan gebracht werden, von welchem sie in innige Gemeinschaft aut-
genommen werden. Hier verbleiben sie, bis sie mit dem Charakter und den
Fähigkeiten dieser Klasse von Göttern, deren Gäste sie zufällig sind, ver-
ti-aut gemacht wurden, und bis diese sie selbst mit ihrem Geiste durchtränkt
haben und sie bekannt geworden sind mit allen den Gesängen, Festen und
Tänzen und Opferriten, welche die Götter für nöthig halten, den Menschen
aufzuerlegen. Auf diese Weise gehen einige von ihnen dui'ch eine Folge
von Begeisterungen durch verschiedene Classen von Gottheiten, bis sie voll
geheiligt und für die menschliche Incarnation vorbereitet sind. Besonders
sind sie mit den unsichtbaren Wakan-Ki-äften der Götter begabt, ihrer
Kenntniss und ihres Könnens und ihrem allgegenwärtigen Einfluss auf
Geist, Instinkt und Leidenschaft. Sie sind unterrichtet, Krankheiten bei-
zubringen und sie zu heilen, verborgene Ursachen zu entdecken, Geräth-
schaften für den Kiieg zu arbeiten und ihnen die Tomwan-Ki^aft der
Götter mitzutheilen, und ferner eine solche Anwendung von Bemalungen
zu machen, dass sie vor der Macht der Feinde zu schützen im Stande sind.
Dieser Process der Inspiration wird bezeichnet als „Träumen von den
Göttern". So vorbereitet, und ihre primitive Form behaltend, eilt der
Halb-Gott wieder fort auf den Schwingen des Windes, über die Länge und
Breite der Erde, bis er sorgfältig den Charakter und die Gebräuche aller
verschiedenen Stämme der Menschen beobachtet hat; dann seinen Wohnort
Avählend, tritt er ein, ohne eine Mutter zu bekommen, und zu passender
Zeit erscheint er unter den Menschen, um sein geheimnissvolles Vorhaben
zu erfüllen, für das die Götter ihn bestimmt haben."
Nach dem Glauben der Loango-Neger ist ihr erster Medicin-Mann
ein Zauberer gewesen, der nach abgelegtem Geständniss, dass er die be-
treff'ende Erkrankung verursacht habe, dennoch dem über ihn verhängten
Todesui'theil glücklich entging. Er erreichte dieses durch das Versprechen,
78 III. Die Aeiztf.
die ihm b(^k;iiiiiten Znuboi'inittcl fortan /um Besten dei' iNlcnscliheit und
nicht mein- zu ihrem Seliaden in Anwendunu; zu l)rini<;(^ii.
34. Die Vorbereitung zum ärztlichen Studium.
Dem Eintritt in das ärztliehe Studium pflegen mancherlei körperliche und
geistige Vorbereitungen vorherzugehen. Fasten uiul Beten, Waldeinsamkeit
und Hallucinationen spielen dabei eine hervorragende Rolle. Durch Fasten
und Beten erlangen die dem Bilcpila benachbarten Stämme die ärztlichen
Fähigkeiten. Durch ti'ühzeitiges Fasten und Ti'äumen niuss sich der Indianei'-
.lüngling in Nord-Amerika zu der Caudidatur tür die Mi de -Brüderschaft
vorbereiten. Im Busche ist es, also in der Waldeinsamkeit, wo, wie wir sahen,
bei den Australnegern der Geist des verstorbenen Medicin-Mannes dem von
ihm ausgewählten Candidaten erscheint, um ihn in allem iM^öthigen zu unter-
weisen. Der Candidat der Nez-Percez nmss sich in die Einsamkeit dei-
Berge zurückziehen und er erhält daselbst von dem Wolfe die nöthige
Anleitung. Bei den Ipurina-Indiauern wird der junge Mann von seinem
Lehrmeister in den Wald geschickt, und drei Monate lang niuss er daselbst
verweilen, strenge Diät haltend und hauptsächlich von bestimmten Blättern
lebend. Seine Einsamkeit ist keine ganz vollkommene, denn ein Begleiter
wird ihm mitgegeben, der ihn zu überwachen hat, damit er sich keinen
Diätfehler zu Schulden kommen lasse. So lange harrt er im Walde aus.
bis ihm die grosse Unze erscheint. Von dieser wird er entweder ver-
schlungen, oder sie giebt ihm die vollständige Unterweisung in der ärzt-
lichen Kunst, so dass er als ein fertiger Medicin-Mann in sein Heimaths-
(lorf zurückkehrt.
Die zukünftigen Medicin-Männer der Waskows, der Cayuse und der
Walla-Wallas beginnen ihre Candidatur bereits in dem 8. bis 10. Lebens-
jahre. Sie werden dann ausgesendet, um in einer Hütte oder auf der Erde
zu schlafen. Hier erhalten sie dann die Besuche ihres guten Geistes
lamanoise, der ihnen in der Gestalt eines Bären, eines Büffels, eines
Adlers oder irgend eines anderen wilden Thieres erscheint und ihnen wichtige
Mittheilungen macht. Kehren sie am anderen Morgen zurück und haben
sie keine Erscheinung gehabt, so muss in den nächsten Nächten der Versuch
wiederholt werden und zAvar unter strengstem Fasten, bis sich der Geist
herablässt, zu erscheinen. Dann muss das Kind dem Arzte erzählen, was
es gesehen und vernommen hat und dieser beginnt dann den Unterricht,
wobei er das Kind zuerst unterweist, wie es diesen guten Geist herbeizu-
nifen vermöge, damit er ihm in allen Unternehmungen den nöthigen Bei-
stand angedeihen lasse.
Der zu der ärztlichen Candidatur zugelassene Xosa-Kaffer begiebt
sich auf einige Zeit in die Einsandceit und verweilt in seiner Hütte, ohne
sich roth zu bemalen oder ein üasirmesser an sein Haupt kommen zu
lassen. Mit der Aussenwelt hält er keine Gemeinschaft, sondern er giebt
sich ganz dem Unterrichte der Geister hin. Paviane, Leoparden und
Schlangen, namenthch die fabelhafte Schlange Icanti und der Blitzvogel
u. s. w. sind, wie die Leute glauben, sein Verkehr. Von ihnen träumt er
und sie unterstützen ihn in seiner Arbeit. Ei- behau])tet, dass die vei-
'S'). Das ärztliche Studium. 79
storbeiuni Häuptlinge mit Schilden ausgerüstet zu ihm kämen und mit ihn»
ledeten. Er langt in seiner Hütte an zu tanzen und sagt, dass ein Mann
;in seiner Beunruhigung Schuld sei; der Geist des Häuptlings habe ihm
l)efohlen, denselben herauszuriechen. Kropf fügt hinzu: ..ob die Ki-ankheit
wirklich oder simulirt ist, kann ich nicht sagen, genug, solcher Mann sieht
ganz ausgemergelt aus."
In Sumatra glauben die Leute, dass Jemand übernatürliche Eigen-
schaften, den Alemoe, sich anzueignen vermiige, mit welchem die Heilkraft,
sowie Unverwuudbarkeit und ungewöhnliche Vortheile im geschäftlichen
Verkehr-e verbunden sind, wenn e]- Tage lang in einem Korbe sitzt, der
von einem Balken des Hauses herabhängt. Dabei darf nur ein Minimum
von NMliruug von ihm verzehrt werden und unter anhaltendem Singen von
„La iläha illa' llali"
muss er in seinem Herzen von den Geistern die Unverwundbarkeit erbitten.
Beginnt der Korb zu schaukeln, so ist das der BeAveis, dass nun der Geist
in den Candidaten gefahren ist. Zur Probe wird er dann mit Lanzen und
Schwertern gestochen und dann soll die AVunde sich schliessen und auf-
hören zu bluten, sobald der Verletzte mit der Hand darüber wischt.
Hungern und Fasten und Ueben-eizungen des Nervensystems sind es
also, welche die zukünftigen Medicin-Männer in Zustände versetzen, die an
gewisse Formen der Hysterie erinnern und welche ohne allen Zweifel ganz
nahe verwandt mit der Hypnose sind. Es werden uns noch mancherlei
Beispiele hiervon begegnen. Und so erscheint es auch natürlich, dass von
Hause aus mit einem reizbaren Nervensysteme behaftete Individuen ganz
besonders geeignet für die ärztliche Candidatur erscheinen. So sagt auch
Ehrenreich von den Karayä-Indianern Brasiliens: „Zauberarzt kann
jeder werden, der sich den dazu uothwendigen« Kasteiungen unterzieht;
nervös augelegte Individuen. Epileptiker u. s. w. sind natürlich besonders
dazu geeignet." Auch von einer Schamanin der Tungus en, deren persön-
liche Bekanntschaft Pallas machte, erzählten ihm die Leute, „dass sie als
Alädchen lange Zeit in einer Art närrischer Melancholie gelebt habe.'-
Es erklärt sich hierdurch vielleicht auch zum Theil, dass unter der
Xachkomnieuschaft der Medicin-Männer wiederum für diesen Stand ge-
eignete Inthviduen sich vorfinden. Denn in vielen Fällen wird doch wahr-
scheinlich die nervöse Reizbarkeit des Yaters sich auf eins oder mehrere
seiner Kinder vererben und diesen so die Uebernahme des väterlichen Be-
rufes um so mehr erleichtert sein.
I
35. Das ärztliche Studium.
AVenn diese Vorbereitungszeit, welche man vielleicht ganz passend als
die Zeit der Berufung bezeichnen könnte, nun glücklich überstanden ist,
dann beginnt in der Mehizahl der Fälle nun erst der eigentliche Unterricht.
Der Candidat schliesst sich an einen Medicin-ALinn an, allein oder gemeinsam
mit mehreren Genossen, und nun erhält er erst noch mancherlei Unter-
weisung, und durch die Assistenz bei seines Lehrherrn Heilproceduren wird
tr auch allmäbHch in (he ])raktische Technik der Heilkunde eingeführt. So
80 III. Die Aerzte.
treffen wir denn ;incli nicht selten die Mediein-Männer. wenn sie ihre ärzt-
Hche Thätigkeit :uisül)en, von ihren Eleven hegleitet, wohei sie auf die eine
oder die andere Weise den mächtigen Meister unterstützen.
You den Ere der Niasser wird es durch v. Bosenberg besonders be-
tont, dass einige von ihnen die l^ähigkeit besässen, ihre ärztlichen Kennt-
nisse auch Laien mitzntheilen und diese so zu Medicin-Männern heran-
zubilden. Nicht jedei- Zauberarzt also kann einen Docenten abgeben; es
scheinen dazu noch ])esondere geistige Veranlagungen nothwendig zu sein. Und
hierbei spielt wahrscheinlich Avohl nervöse Reizbarkeit eine hervorragende Rolle.
Der Ganga, der Zauberarzt der Lo an go -Neger, unterrichtet seinen
Schüler hauptsächlich in der Herstellung der Mi longo, d. h. der Zauber-
Medicinen. Dann aber lernen sie auch das Prophezeien und eignen sich die
Macht über einen bestimmten Fetisch an. Der Meister aber vermag mehreren
Fetischen, oft bis zu zehn, zu gebieten. Bei einer ärztlichen Behandlung,
welcher Bastian beiwohnte, sass der Student hinter seinem Lehrer und war
emsig bemüht, alle die wdlden und krampfhaften Bewegungen, welche dieser
ausführte, genau in der gleichen "Weise nachzumachen.
Das Amt der Mediein-Männer bei den Betschuanen ist, wie wir
früher schon gesagt haben, erblich; doch werden, wie Emil Holub berichtet,
auch wissbegierige junge Männer zu Doctoren herangebildet. „Der Aspirant
hat als Honorar seinem Lehrer eine Kuh (gegenw^ärtig zumeist andere Objecte
im gleichen Werthe), oder, falls derselbe in den Diamantfeldern Mali (Geld)
verdient hat, 4 — 7 L. St. zu geben und wird darauf sofort in die Lehre
genommen. Der medicinische Lehrcurs beginnt mit dem Ausgraben (das
„Graben" bildet einen wichtigen Begriff und eine wichtige Manipulation bei
vielen Ceremonien der Betschuanas) der Heilkräuter, wobei er von seinem
Lehrmeister durch Wald und Flur "geleitet, über die Species der Pflanzen,
die zur Benutzung gelangenden Theile, sowie über die Jahres- und Tages-
zeit, zu w^elcher die Pflanze ausgegraben werden muss, belehrt wird. Die
gesammelten Pflanzentheile werden sodann getrocknet, geröstet oder zer-
stampft und dann ein Pulver oder Absud derselben als Heilmittel erklärt,
wobei gewisse Sprüche und Formalitäten bei der Zubereitung wie bei der
Verabreichung zu beobachten sind, welche von den Aerzten bei der Be-
handlung w^ohlhabender Leute unter grossem Lärm inscenirt werden. Den
letzten Lehrcurs bildet die Belehrung über das Werfen der ..Dolos", d. h.
der Zauberwürfel.
Der Schüler des Thäy ^jhäp in Annani muss einige Jahre einem
Meister folgen. Er begleitet diesen und unterstützt ihn in der Ausübung
seiner Funktionen. Er ordnet den Opfertisch und spielt während der Be-
schw^örungsceremonien den Gong und die Rassel und lernt auf diese AVeise
die nothwendigen Maassnahmen.
Im Gegensatze zu den Schamanen des Altai -Gebietes muss der an-
gehende Baksa der Kirgisen „von einem erfahrenen Mitgliede der Zunft
unterrichtet werden, und erst nach längerem Zusammenleben ertheilt der
Lehrmeister dem Schüler seinen Segen. Während der Lehrzeit begleitet
der Schüler den Lehrer zu den Beschwörungen, ist ihm behülflich und über-
nimmt selbst einen Theil des Gesanges oder Rasseins mit dem Assa. Wenn
zwei Baksa zusammenwirken, so ist immer der eine der Lehrer und der
andere der Schüler."
3fi. Das ärztliche Examen und die Approbation. 81
Bei der Mi de -Brüderschaft nmss der Caudidat immer wieder seine
Avährend strengen Fastens ihn erfüllenden Träume dem Oberhaupte des
Ordens mittheilen, und wenn diese Vorbedeutungen gute sind, so wird er
Hufgefordert, in seineu Yorhereitungen und Bestrebungen fortzufahren, bis
man ihn für hinreichend vorbereitet für den Eintritt in die Brüderschaft
hält. Dann wird er, durch ein Dampfbad geheiligt, einigen älteren Ordens-
brüdern zur ferneren Ausl)ildung anvertraut, und von ihnen wird er in die
grundlegenden Geheimnisse eingeweiht, welche die Kunst des Heilens und
glücklichen Jagens, die Kraft der Beschwörungen und die Unschädlicli-
machung des Zaubers umfassen.
In seltenen Ausnahmefällen finden wir bei den Zulu Medicin-Männer.
welche als Autodidakten zu betrachten sind. Auch von der oben bereits er-
wähnten Schamanin derTungusen behaupteten dieses ihre Landsleute mit
besonderem Stolze; jedoch traten Andere diesem entgegen und sie Avussten
uuch den Schamanen namhaft zu machen, bei dem sie ihre Ausbildung er-
Imlten hatte.
"Von der ärztlichen Ausbildung in Persien sagt Polak: „Nur hier und
<la versammelt ein einzelner in Arabicis bewanderter Arzt einen kleineu
Kreis von Schülern um sich, denen er privatim einige Capitel aus dem
Canon der Abu Ali Sina (Avicenna) und dessen Interpretation nach dem
Schaereh-Asbab des Ibne Zel-eriah mehr in sprachlicher, als in stofflichei-
Hinsicht unentgeltlich exponirt. In den allermeisten Fällen jedoch nimmt
der angehende Mediciner ohne jede theoretische Vorbildung Dienste bei
einem practischen Arzt und schreibt sich dessen Eecepte ab." Nach kurzer
-Zeit ist die Ausbildung vollendet.
36. Das ärztliche Examen und die Approbation.
Nach glücklich erfolgter Ausbildung und Vorbereitung folgt dann natur-
gemäss die Approbation des jungen Mediciners. Aber bei manchen Volks-
stämmen geht derselben noch ein besonderes Examen vorher.
Der kleine Candidat bei den Waskow-Indianern Canadas gilt
schon von vornherein für durchgefallen, wenn er, aus der nächtlichen Ein-
samkeit zurückgekehrt, die Seinigen um Essen bittet.
An der Loango-Küste ziehen sich die Ganga zu gewissen Zeiten
mit ihren Schülern in das Innere des Waldes zurück, um dieselben ein-
zuweihen. Der Betretung dieses Waldes wird dann durch Verbotszeichen
gewehrt. Nur die den Fetischen vermählten Frauen dürfen die Männer auf
bestimmten Wegen besuchen.
Bei den Xosa-Kaffern niuss der Caudidat, wie oben erzählt, zur
Vorbereitung einsam in seiner Hütte verweilen. Ist diese Zeit, für welche
sie den Namen Ukutwasa. d. h. Neu werden, gebrauchen, endhch vorüber,
so treten die Aerzte zusannnen. um auf Geheiss des Häuptlings den jungen
Mann einem Examen zu unterwerfen, wozu der nächste schwere Krankheits-
fall benutzt wird. Hier muss er zeigen, ob er im Stande ist, den Patienten
Avnederherzustellen. oder denjenigen, der gehext hat, herauszuriechen. Hat
er das zuwege gebracht, so erfolgt seine Approbation in etwas absonderlicher
Weise. Das Kraut oder die Wurzel, deren Eigenschaften die Geister ihm
Bartels, Medicin der Naturvölker. ö
S2
III. Die Aerzte.
ortV'iihart liabcii. wird in Stücke gescliuitten und in Wasser ■■•ekoclit. Diese
Abkoelmnjf giesst ihm dann der voriu^hniste der Medicin-Männer über den
Ko})!". und diese Ceremouie beweist dem Volke, dass sie von jetzt al) in
ihm eine «^('schickte und geeignete Persönhehkeit zu erblicken haben, um
die Heilkunst oder die Kunst des Ausrieclums von Hexereien auszuüben.
Es kanu dem Candidaten aber auch die A[)})r()l)ati()n verweigert werd(;n.
Dann muss er sich noch weiteren Unterricht ertheihm lassen und ist ge-
zwungen, sich später noch einmal einer Prüfung zu unterziehen. Bin noch-
maliges Durchfallen macht ihn jedoch untauglich tiir den ärztlichen Stand.
Wenn in Ann am der junge Medicinei- sich für
tahig hält, selbständig zu practiciren, so macht er
seinem Lehrmeister ein (leschenk. beli'agt die Grott-
heit durch Verbrennen eines au dieselbe gerichteten
Gebetes, und w^enn dann ein günstiger Tag ausgewählt
ist, so wird ein Einführungsopfer dargebi'acht. Dei-
Lehrmeister überreicht dem Candidaten dann ein
Diplom, durch Avelches ihm die Herrschaft über eine
gewisse Anzahl von Generalen und Soldaten über-
tragen ward. Unter diesen Truppen sind Geister zu
verstehen. Gleichzeitig giebt er ihm das Handwerks-
zeug des zauberärztlichen Standes: eine Tafel, einen
magischen Stab, ein Schwert, ein Gefäss. ein Ttimtam
und eine Glocke. Das Diplom ül)ei-trägt dem neuen
Meister das Recht, gleichzeitig aber auch die Vm-
pflichtung, Ki'ankheiten zu verjagen, um allgemeinen
Frieden zu bitten, mit einem Worte sich fiir die Wohl-
fahrt des Volkes nützlich zu erweisen. Gleichzeitig
wird ihm ein besonderer Name ertheilt, Avelcher nach
seinem Geburtsjahre wechselt und für alle in dem-
selben Jahre Geborenen der Gleiche ist.
Bei den Sibiriern sind es die Geister der V^(»r-
fahren selbst, welche dem jungen Candidaten die
Approbation ertheilen. Wir liahen oben bereits ge-
sehen, wie sie ihn plötzlich in Krankheit verfallen
lassen, um ihn lur den Beruf des Schamanen vorzu-
bereiten, .,Alle diese Leiden, sagt Radioff, werden
immer stärker, bis das so geplagte Lndividuum zu-
letzt die Schamanentrommel ergreift und zu schania-
nisiren beginnt. Dann erst beruhigt sich die Natur; die Kraft der Vor-
fahren ist in ihn übergegangen und er kann jetzt nicht anders, er muss
schamauisiren.*'
„Widersetzt sich der zum Schamauen Bestimmte dem Willen der Vor-
fahren, weigert er sich, zu schamanisiren , so setzt er sich schrecklichen
Qualen aus, die entweder damit enden, dass der Betrefi'ende entw-eder alh'
Geisteskraft ül)erhaupt verliert, also blödsinnig und stumpf Avird. oder dass
er in wilden Wahnsinn verfiUlt und gewöhnlich sich nach kurzer Zeit ein
Leides authut oder im Paroxysmus stirbt.''
Aloord berichtet über die Approbation eines ärztlichen Canchdaten bei
den I ndia II er- Stämmen Oreiions:
i^e^jy.
Fig 29. Holzfigur, den
Schamaneo-Candidaten
darstellend. Golden
(Sibirien).
Mus.f.Völberkunde, Berlin.
Nach Photographie
37. Der Eintritt in die Mide-Gesellschaft,
83
„Wenn der Novize die Mauuljarkeit erreicht hat, so wird er iu die
lieilige Professiou in einem Mediciu-Tanze eingeführt, welcher theilweise von
rehgiösem Charakter ist oder eine Art von Gottesdienst für ihre Idole.
Diese Idole sind die (ieister verschiedener Thiere.
Hie hewegen sich im Tanze, diese Thiere vor-
stellend, wie das Brüllen des Büffels und das
Heuleu des Wolfes. Ein interessanter Fall wui'de
mir, als im letzten Winter passirt, von einem Augen-
zeugen beschrie])eu. Der Novize wollte den Elch
imitiren, der von seiner Jugend an der gute Geist
und der Scliutzgenius seines Lebens gewesen war.
Zu bestimmten Jahreszeiten hat der Elch die Ge-
wohnheit, sich im Schlamme zu wälzen. Der In-
dianer goss mehrere Eimer Wasser in eine ver-
tiefte Stelle, in dem Ringe, in dem getanzt werden
sollte, und nachdem er wie der Elch gei)fiffen hatte,
wiirf er sich nieder, um sich in der Lache zu wälzen.
Während der Ceremonie der Einführung singen
einige von den Hauptärzten gewisse Gesänge und
Incantationen, und suchen durch l)estimmte Voi'-
nahmen, welche dem Mesmerismus nicht unähnlich
sind, den Candidaten in einen Schlaf zu versetzen.
Wenn er aus diesem Schlafe erwacht, so wird er
für fähig erklärt zu der Praxis in seinem ei'habenen
und mächtigen Berufe.'^
Bei den Golden in Sibirien niuss der älteste
Schamane, wenn Jemand die Schamanenwürde er-
langen will, dessen Figm* in ungefähr einem halben
Meter Höhe in Holz schnitzen. AVenn die Figur
vollendet ist. so hat der Candidat (Fig. 29) oder die Fjg. 30. Holzfigur, die Scha-
Candidatin (Fig. 30) die Schamanen würde erlangt. manen-Candidatia darstellend.
Es scheint mir hierin eine versteckte Art von Golden (Sibirien).
Approbationsrecht ver])orgen zu sein; denn wenn
der Ober-Schamane die Candidaten nicht zulassen
will, so braucht er ja. nur ganz einfach die Vollciiduni
unterlassen.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin.
Nach Photographie.
Fignr
37. Der Eintritt in die Mide-Cresellscliaft.
Die (Kandidatur für den Mide-Orden der nordamerikauischen
Indianer währt, wie es scheint, nicht immer in allen Fällen die gleiche
Zeit. Unterschiede in den Fähigkeiten dei- einzelnen Candidaten, vor allen
J)ingen aber auch Verschiedenheiten in ihren Vermögensverhältnissen scheinen
bier eine wichtige Rolle zu s])iele]i. Es nniss der neu Einzuführende näm-
lich reiche Geschenke an Kleidung und Waffen als eine Ai't von Eintritts-
geld bezahlen, und bei dem Hiuaufrückeu in einen höheren Grad müssen
immer grössere Galten überliefert werden, so dass oft ein Jahre langes
Sparen nothwendig wiid. um das ei'wüiisclite Ziel zu erreichen. Ueber dns
84 III. Die Aerzte.
Rituale der P]intuhriing liej^cn uns iiltcrc X;iclii-iclit(Mi voi- von Schoolcraff
imd ferner solche von W. J. Hoffman ;nis do' ;ill('ijüni>st('ii Zeit. Die Ein-
führung wird zu einem grossen öHentlicIicn Feste des g;in/en Stammes.
Ausführliche Vorbereitungen gehen A'orher. Dem besonderen Protector des
Caudidaten sendet Letzterer die Speisen zu einem Schmause zu, zu welchem
er drei Collegen ladet. Diesen theilt er den AVunsch des Candidaten mit,
rühmt ihnen seine Fähigkeiten, zäldt ihnen die Einfuhrungsgeschenke auf
und gewinnt sie so zu seiner Unterstützung für die Ceremonieu an dem
feierlichen Tage. Nach der nöthigen Vorbereitung durch Fasten rauss der
Candidat nun mit seinen Meistern mehi'ere Tage ein Sclnvitzbad nehmen
und zwar deren vier, wenn er vier Meister hat. und acht, wenn ihn acht
Mide einführen sollen. In dem letzteren Falle dürfen dann zwei Schwitz-
bäder an einem Tage genomiuen werden. Beschwörungsgesänge und Unter-
weisung füllen die Zeit in der Schwitzhütte aus. Unterdess eilen Bot(^n
diu'chs Jiand, um die Ordensbrüder zum Feste zu laden. Ein mit Federn
geschmückter Stock wird ihnen als Einladungszeichen übergeben. Diesen
bringen sie zum Feste mit, und wer durch ernste Krankheit verhindert ist,
zu erscheinen, der nmss den Stock gleichsam als Quittung senden: wer
aber ohne triftige Gründe ausbleibt oder zu spät zum Feste erscheint, der
verfällt in eine hohe Strafe.
Beim Dorfe wird jetzt für das Einführungsfest an geeignetem Platze
die Medicin-Hütte errichtet. Die Bezeichnung als Hütte ist eigentlich nicht
genau; es ist nur eine rechteckige Einzäunung nach Ai't einer Hecke aus
dichten BaumzAveigen gebildet. An jeder Schmalseite ist in der Mitte eine
Eingangsöffnung freigelassen. Ein Dach besitzt das Bauwerk nicht. Ein
aufgerichteter Pfahl im Inneren der Hecke wird am Festtage mit den Ge-
schenken des Candidaten behängt.
Bis zu dem angesetzten Tage haben die Geladenen sich versammelt
und nach Landsmannschaften ihre Lager errichtet. Am Einführungstage
selbst nehmen sie in der Umzäunung die ihnen angewiesenen Plätze ein.
Die vier oder acht einführenden Mide kommen darauf im Gänsemarsche in
den Festraum hinein (Fig. 31). Ihnen voran geht der Candidat mit den
Geschenken an einer Stange; dabei singen sie:
„Sieh mich au! Sieh mich an! Sieh mich an!
Wie ich vorbereitet bin!"
Es werden dann allerlei Umgänge gemacht, Gesänge gesungen u. s. w.
Aus dem reichen Ceremoniell kann nur Einzelnes herausgehoben werden.
Einer der acht Mide hält eine Eede über die Kraft der Hülfsgeister (Ma-
nidos), zu heilen und krank zu machen, eine Kraft, welche auch den Mi des
gegeben ist und von Generation auf Generation übertragen wird. Dann
folgt ein Umgang des Candidaten, der Jeden der Anwesenden einzeln be-
grüsst. Unter dem Gesänge der Mide:
„Ich vermag einen Geist zu tödten mit meinem Medicin-Sack,
Grefertigt aus der Haut des männlichen Bären!"
kniet der Candidat auf einem Blanket nieder, die einführenden Mides um-
wandern ihn, immer im Gänsemarsch, begrüssen ihn mit dem Titel „Ni-
kanug". d. h. ,.College"'. und der Vorderste hält ihm den Medicin-Sack
37. Der Eintritt in die Mide-Gfesellschaft.
85
entgegen, als wenn es eine Büchse wäre, die er abfeuern wollte. Mit dem
Rufe: „Ho ho ho ho! ho ho ho ho! ho ho! ho ho! ho!" thut er. als
wenn er schösse. Der Candidat zittert und ist nur verwundet. Die acht
Mi de marschiren vorbei, der Nächste tritt an die Spitze und die Sache
wird wiederholt. Jedesmal vermag der Schuss mit dem Medicin-Sack dem
Cnndidaten nur eine Verwundung beizubringen. Beim achten Umgange
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tritt derjenige Mi de an die Spitze des Zuges, der den zuvor im Gesänge
gefeierten Medicin-Sack aus Bärenfell trägt. Bevor er schiesst, hält er
folgende Rede:
„Behalte diesen Medicin-Sack, welcher auf mich gekommen ist von meinem
( Trossvater durch meinen Vater; mein Vater sagte mir, dass ich niemals
meinen Erfolg vermissen würde mit seiiier Hülfe. Aber ich bin alt: helft
86 III. Die Aerzte.
mir. meine Binider, dass ich die Kraft habe, zu schiessen, zn feuern auf
diesen Mann, der hier auf seinen Knieen liegt; er hat ein rothes Zeichen an
seinem Herzen: ich will gehen und auf dieses schiessen und meine Medicin
wird nicht verfehlen, ihr Werk zu thun."
Dann erfolgt der Schuss und der Oandidut stürzt zu Boden, als wäre
er todt.
Nun entstellt ein grosser Tunnilt. und unter dem Schall der Trommeln
und Rasseln wird der die Geschenke tragende Pfosten umtanzt; die acht Mi de
werfen ihre Medicin-Säcke auf den Todten; dann richten sie ihn mit An-
strengung auf die Füsse und schreien ihn an: „Yä ha! ya ha!" Da er-
wacht der Todtc; er erhält einen Heiltrunk und nun ist er wieder völlig
gesund. Er begrüsst dann jeden Einzelnen mit dem Rufe Nikanug (Col-
lege) und singt darauf:
„Ich ebenfalls, ich bin ebenso, wie die Mide sind."
Dann muss er den Medicinstein verschlucken, wovon wir später noch
sprechen werden. Nun hat er das Recht, an den Mi de- Schmausen Theil
zu nehmen, und um dies zu beweisen, nimmt er etwas Speise und vertheilt
darauf mit kurzer Dankesrede die Geschenke an die acht einführenden Mide.
Nächstdem ist er noch verpflichtet, seine Mide-Kraft zu beweisen. Zu
diesem Zwecke macht er acht Umgänge um den Festraum und streckt nach
jedem einen der acht einführenden Mide durch einen Schuss mit dem
Medicin-Sack todt zu Boden. Er ruft die Getödteten darauf in das Leben
zm'ück und ein allgemeiner Medicin-Tanz beschliesst die Feier. Der Can-
didat ist nun eingeführt, aber der Unterricht wird danach noch fortgesetzt.
Uebrigens finden sich je nach dem Indianer- Stamme bei diesen Ein-
tührungsfesten kleine Abweichungen.
38. Das kanonische Alter der Medicin-Männer.
Auch über das Lebensalter, in welchem die Medicin-Männer ihi^e ärzt-
liche Praxis auszuüben beginnen, liegen uns vereinzelte Nachrichten vor.
Die ersten Anfänge des ärztlichen Studiums werden, wie wir sahen, sehr
häufig schon in fi'üliem Knabenalter begonnen. Bei den Cayuse, den
Walla-Walla und den Waskows in Oregon muss der Candidat erst die
Mannbarkeit erreicht haben, ehe er als Novize eingeführt werden kann.
Bei dem Dieyeri-Stamme in Süd-Australien wird es nicht für geeignet
gehalten, dass die jungen Candidaten vor dem vollendeten zehnten Jalire
die ärztliche Thätigkeit übernehmen: niemals aber dürfen sie practiciren,
bevor die Besclmeidung an ihnen ausgeführt ist.
Bei den Onkanagan in Britisch Coluinbien werden die Aerzte
geschildert als „Männer, welche gewöhnlich schon den Meridian ilires Lebens
überschritten haben".
Die Medicin-Männer der Mabunde am Zambesi sind, wie Holuh
bei'ichtet, nicht durch besondere Kennzeichen, sondern nur durch ihr hohes
Alter von dem ülmgcMi Volke zu unterscheiden.
I
39. Die fachmännische Fortbildung approbirter Aerzte. 87
39. Die fachmännische Fortbildung approhirter Aerzte.
So wie bei uns der practische Arzt wohl gern einmal seine Müsse be-
nutzt, um Krankenhäuser zu besuchen. Vorlesungen zu hören oder sich an
wissenschaftlichen Cursen zu betheiligen, um hier und da ihm zum Bewusst-
sein gekommene Lücken in seinem Wissen und Können wiederum aus-
zufiillen, so fühlen auch die Medicin-Männer bisweilen das ßedürfniss, ihre
magische Heilkraft imd ärztliche Kunstfertigkeit von Xeuem wiederum zu
stärken und zu kräftigen.
Die Medicin-Männer der Nez-Percez- Indianer ziehen sich unter
solchen Umständen von Neuem, ähnlich vne in ihrer Studienzeit, in die
Berge zurück und pflegen dort Berathungen mit dem Wolfe. Die süd-
californischen Aerzte stärken sich diuTli den Verkehr mit übernatürlichen
Wesen. Auch der Medicin-Mann der Klamath-Indianer in Oregon
hat seinen übernatürlichen Lehrmeister. Gatschet schreibt darüber:
..Fussspuren, nicht grösser als diejenigen eines Baby, werden bisweilen
in den höheren Bergen des Cascade Range geftmden. Die Indianer
schi-eiben sie einem Zwerge zu, Namens Ndhnias, dessen Körper allein von
dem Beschwörer des Stammes gesehen werden kann. Der Zwerg giebt
ihm seine AuAveisung ftir die Heilung von Krankheiten oder Anderes und
inspirirt ihn mit einer höheren Art von Kenntnissen."
Darum besitzen die Klamath-Indianer auch einen Beschwörungs-
gesang „von dem Zwerge'*.
Der Wer-raap der Australneger in Victoria wii'd von dem Len-
ba-moorr, dem Geiste des verstorbenen Medicin-Mannes, dem er seine Aus-
})ildung zu verdanken hat. von Zeit zu Zeit besucht und er erhält von dem-
selben Hülfe und Unterweisung. Bisweilen finden Nachts diese Besuche
Statt und der gespenstige Gast theilt dann dabei dem Arzte mit. dass
irgend eine bestimmte Person aus der Horde erkrankt sei und versorgt ihn
mit den Mitteln, deren er zu der Behandlung bedarf.
Der Thäy phäp der Annamiten befehligt eine grosse Schaar von
dienstbaren Geistern, welche er in militärischer Weise in Armeecoiiis und
Regimenter getheilt hat. Scheint ihm sein Heer nicht stark genug, so be-
giebt er sich während hundert auf einander folgender Nächte um Mitternacht
an einen einsamen Ort, wo er sich bei dem Scheine der Kerzen und bei
dem Klange des Mo, Reis und Salz nach allen Himmelsrichtungen wer-
fend, magischen Anrufungen überlässt. Diese Operation, welche zum Zweck
hat, neue Truppen a.uszuheben, ftihrt den Namen Luyen binli, oder in
der Vulgärsprache Rü ma. Die Geister erscheinen dem Thäy phäp unter
den erschrecklichsten Gestalten. Wenn er sich aber nicht schrecken lässt,
so wird er schliesslich zu ihrem Herrn. Nun gehorchen sie seinen Befehlen
und kämpfen lür ihn gegen die bösen Geister. Dafiir ernährt er sie und
besoldet sie vollständig wie ein wirkliches Kriegsheer, aber mit Geld aus
Papier.
8s
III. Die Aerzte.
40. Mediciiiische Lehrbücher.
Auch das Vorkommen niedici-
uischer Lehrbücher wird uns von
einzelnen Volksstiimmen bestätigt.
So erzählt van Uasselt, dass er sich
in Alahanpandjang in Mittel-
S u m a t r a mit vieler Mühe und
grossen Kosten die Copie eintT
Handschrift über die Entstehung-
und die Heilung von Krankheiten
vei'schafft habe, welche das Eigeu-
thum eines berühmten eingeborenen
Arztes war, der aus dem Manind-
jauischen stammte. Zum grössten
Theile bestand dieses Lehrbuch in
einer Aufzählung von bösen Geistern,
durch Avelche die Krankheiten ver-
ursacht werden und von den lan-
gen, sinnlosen Beschwörungsformeln,
welche hergesagt werden müssen, um
den Einfluss dieser Dämonen zu
l)re('hen.
Jacobs fand bei den Eingebore-
nen von Bali eine Art von Heil-
mittellehre , welche den Namen
Oesada führt. Auch hierin finden
sich die für jede Krankheit noth wen-
digen Beschwörungsformeln, ausser-
dem aber auch viele inländische Ke-
cepte sowohl für innerlichen, als auch
tür äusserlichen Gebrauch. Auch \on
den Annamiten behauptet Landes f
dass ihre Medicin- Männer Bücher
besässen, in denen durch Wort und
Bild die nothwendigenBeschwörungs-
ceremonien zur DiU'stellung gebracht
worden sind.
.,Das medicinische Buch Klian-
t h a r a X a , schreibt Bastian von
Siam, handelt von den verschiede-
nen Krankheiten, und hat jeder der-
selben die Figur desjenigen Dämon
oder Gottes beigefügt, dem Sühn-
opfer zu bringen sind. In den ana-
tomischen Figuren der über das
Massiren handelnden Bücher werden
die Ansätze der Sen (Sehnen oder
4(1. Medicinische Lehrbücher.
89
Nerven), die je nach dem Leiden zu berücksichtigen sind, mit Punkten
l)ezeichnet. Die Mehrz.ilil der medicinischen Bücher wurden von den Ere-
miten verfasst."
Bei den Harrari fand PaulitschJce Heilkräuterbüchei'. von deren einem
er Einsicht nehmen konnte. Wiederholenth'ch hat sie die ägyptische
Regiening durch Massenverbrennungen zu vernichten gesucht.
Ein Zauberarzt der Tamilen in Ceylon war des Leichenraubes be-
schuldigt worden. Eine bei ihm vorgenommene Haussuchung, von der
schon in einem früheren Abschnitte die Rede war, hatte auch die Richtig-
keit der Anklage bestätigt. Man fand bei dieser Gelegenheit auch eine
Receptsammluug zur Herstellung schädlicher Mischungen und Gifte und
ausserdem ein Manuscript mit Zauberzeichen und an „Siva den Ver-
iiichter" gerichteten Beschwöningsformeln „für alle mir denkbaren Fälle:
um die Liebe eines Weibes zu verflihren; um eine Entzweiung zwischen
dem Gatten und der Gattin zu bewirken; um Abort hervorzurufen; um von
einem Dämon besessen zu machen; um Krankheiten zu verursachen; um
den Tod eines Feindes zu veranlassen. In der beträchtlichen Sammlung
von Hausmitteln war unter den zahllosen Recepten,
um Krankheiten zu verui'sachen , auch nicht ein
(nnziges. um sie zu heilen."
Sehr eigenthümlich und von hervorragendem
ethnographischen Interesse sind gewisse Tafeln mit
bildlichen Darstellungen, deren die Medicin-Männer
der nordamerikanischen Indianer sich bedienen,
und zwar sowohl die Mide, als auch die Wabeno.
Sie werden mit dem Namen Musikbretter (Fig. 32)
bezeichnet und sie enthalten einen zusammenhängen-
Fig. 33. Medicin-Hütte,
vom grossen Geiste erfüllt.
Von einem Musikbrett der
Wabeno der nordamerika-
nischen Indianer.
Nach Schoolcraft.
den Cyklus von bildlichen Darstellungen. Diese in
bunten Farben hergestellten Bilder sind nicht von
Schriftzeichen begleitet, und sie besitzen selber nicht
etwa die Bedeutung einer Bilderschrift nach Art
der ägyptischen Hieroglyphen. Jeder Bilder-
cyklus gehört zu einer abgeschlossenen, rituellen Feier, zu einem Medicin-
Tanze; jedes Bild stellt einen einzelneu Act des Medicin- Tanzes dar
und erinnert den Medicin-Mann nicht allein daran, was er mit seinen Ge-
nossen in diesem Acte auszuführen hat, sondern es ruft in seinem Geiste
auch das Erinnerungsbild wach für den ein für allemal feststehenden Gesang,
welchen er in diesem Acte absingen niuss. Bestimmte bildliche Darstel-
lungen zeigen ihm au, dass in die feierliche Handlung eine Pause, ein
Zwischenact, eingeschoben werden soll. Der Text für diese Gesänge ist
ebenso, wie die Melodie, feststehend, und der Sänger muss beides vorher
sicher auswendig gelernt haben, damit der Anblick der betreffenden Malerei
ihm beides in die Erinnerung zurückruft.*)
Es möge hier ein Beispiel gegeben werden: Wir sehen in der ersten
Figur eines solchen Musikbrettes (Fig. .33) einen hohen Bogen, unter welchem
sich ein grosser, breitbeinig stehender Vogel mit ausgebreiteten Flügeln l)e-
*) Eine ganz genaue Erläuterung des in Eig. 32 abgebildeten Musi^ -
brettes wird im Anhang I bei der Erklärung der Abbildungen gegeben.
90 III. Die Aerzte.
findet. Dio EiHlcutunfr diosos Kildos ist min folpjonde: Der Hoj^en stellt den
Festiaum für den Medicin-Tanz dar. die sogenannte Medicin- Hütte. Sie ist
^}\u/. erfüllt mit dc^r Gegenwart des grossen Geistes, welcher, wie versichert
wird, mit Flügeln zu der Erde herabkam, um die Indianer in diesen
Ceremonien zu unterrichten. Diese Bedeutung der Abbildung ist dem Mi de
ohne Weiteres verständlich und ei weiss nun auch sofort, was er hierbei
zu singen hat. Vjs lautet:
„Des grossen Geistes Hütte — ihr Iiabt ^■oll ihr gehört — icli will sie
betreten. "
Auch was rituell hierbei vorgeschriciben ist. wissen die Mi de. Dei-
Gesang wird wiederholt; ihr Führer schüttelt dabei die B-assel. und jedes
Mitglied der Gesellschaft streckt flehend eine Hand gen Himmel. Alle
stehen still, ohne zu tanzen; die Trommel wird l»ei diesem einleitenden
Gesänge nicht geschlagen.
Das Alles lehrt das eine Bild, natürlicher Weise aber nur füi- den-
jenigen, der genau in diese Geheimnisse eingeweiht ist und fest die feier-
lichen Gesangestexte im Kopfe hat. Ganz ebenso verhält es sich nun aucli
mit den folgenden Bildern, und für jede ihrer Ceremonien sind, wie gesagt,
besondere Musikbretter vorhanden. In ihren Besitz zu gelangen ist natür-
licher Weise sehr schwer. Auch für die Pausen in den Gesängen haben
sie besondere gemalte Zeichen.
41. Rangstufen der Medicin-Männer.
Die Medicin-Männer sind in ihrer Stellung und in ihrem Einflüsse
nicht alle einander gleich, wie wir bereits weiter oben bei der Besprechung
der Concurrenz und des Brotneides gesehen haben. U eberall wohl wird
Alter, Geschick und Erfahrung den einen Arzt dem anderen überlegen er-
scheinen lassen. Und sicherlich wird der Meister wohl auch noch lange
Zeit nach ihrer Approbation die Anerkennung seiner Schüler finden. Wir
treffen aber auch ganz l)estimmte Angaben darüber, dass bei einzelnen
Völkern sich höherstelnmde Aerzte aus dem Kreise ihrer Collegen heraus-
heben. Es wurde ja schon bei der Besprechung des ärztlichen Examens,
das der Mediciual-Candidat der Xosa-Kaffern ablegen muss, darauf hin-
gewiesen, dass schliesslich der „vornehmste'' der examinirenden Aerzte dem
glücklich bestandenen Examinanden zum Zeichen dep Approbation die be-
stimmte Abkochung über den Kojjf giessen muss.
Den vielen Zauberärzten der Lo an go -Küste steht der Ganga-Kunga
vor. Er sendet die anderen Ganga, seine Schüler, zu Curen und Pro-
phezeiungen aus. Seine Wohnung befindet sich ausserhalb des Dorfes am
AValdessaum. Dort wird er von seinen Frauen bedient, deren vornehmste
seine Mahlzeiten an einem abgelegenen Theile des Waldes zubereitet und
dieselben dann, mit Palmblättern bedeckt, damit Niemandes Augen darauf
fallen, ihm in die Hütte bringt, woselbst er das Mahl verzehrt, ohne von
einem Fremden gesehen zu werden.
Wenn an der Loango- Küste bei einer äi-ztlichen Consultation der
älteste Ganga, dessen Stimme bei Meinungsverschiedenheiten den Ausschlag
41. Raugstufen der Medicin-Männer. 91
gieht. lierausfiudet, dass t^iiier der Medicin-Mäuuer eiue imrichtige Diafjuose
gestellt hat, so entzieht er ihm auf einige Zeit die Erlauhniss, die ärzthche
Praxis auszuüben. Es ist das eiue Disciplinargewalt, welche bei anderen
Naturvölkeni unbekannt zu sein scheint.
Auch bei den Schamanen in Sibirien haben wir Rangunterschiede
zu verzeichnen, je nach der ihnen innewohnenden Ea*aft und Fähigkeit, bei
ihren Beschwörungsceremonien in höhere Himmel einzudringen. Es giebt
Schamanen, welche bis zum siebenten der siebzehn Himmel durchdringen
können, während andere sich bis zum zehnten, ja einzelne sogar bis zum
zwölften Himmel zu erheben A^ermögen. In besonders wichtigen Fällen
werden die Ijctzteren oft aus weiten Entfernungen herbeigeholt.
Bei den Xosa-K affern begegnen wir ebenfalls einer sonst, wie es
<leii Anschein hat, fast unbekannten Eigenthümlichkeit. nämlich eines be-
si^nderen Ehrentitels eines bestimmteu Arztes. Es handelt sich um den-
jenigen Mediciu-Mann. welcher dem Hofe des Königs zugetheilt ist. Der-
selbe führt den besonderen Titel: „Stab des Reiches." Es giebt daselbst
Mach Kropf Häuptlinge, welche niemals ausgehen, ohne von einem Arzte
Itegleitet zu sein.
Ueber die Rangverhältnisse der japanischen Aerzte lesen wir bei
Wernich Folgendes: ..Sehr selten, aber nicht ganz unerhört war es, dass
Yolksärzte, nachdem sie berühmt geworden waren, in den Rang der
Fürstenärzte vorrückten; besonders scheint eine Ernennung solcher Volks-
y.n Siogun- Aerzten mehnnals stattgefunden zu haben. Alle Fürsten-
ärzte waren in den Mechanismus der bestehenden Rangklassen eingefügt,
so dass die niedi'igsten Dainiio- Aerzte hinter den berittenen und vor den
Fuss-Samurais rangirten, welche dieDaimios begleiteten. Höhere Dai-
iiiio-Aerzte besassen eine der 15 bis 20 Rangstufen der Samurais, die
höchsten gewöhnlich die vierte Rangstufe, Avelcher im Uebrigen die Leib-
wache der Fürsten angehörte. Die gewöhnlichen Daimio-Aerzte wm'den
zur f). bis 7. Rangstufe gerechnet. Die Siogun -Aerzte standen in ganz
ähnlichen Verhältnissen. Die wirklichen Leibärzte zählten zum reichs-
uninittelbaren. kleinen Adel, besassen ein Schloss und ein kleines Gut und
waren dem Siogun direct unterthan. Unter den verschiedenen Rangclassen
der Siogun -Aerzte scheint ein lebhaftes Avancement stattgefunden zu haben,
auch genossen sie den Vorzug, durch besondere Titel fiir ihre Verdienste
ausgezeichnet zu werden, deren Verleihung etwa der des Professorentitels
an Künstler und Gelehrte bei uns analog war. Die Mikado-Aerzte end-
lich hatten den höchsten Rang unter den Aerzten; es gab ihrer etwa 50.
darunter 20 höhere und ein ganz hoher, der grosse Einkünfte hatte und
.sogar eine Art von Discijdinargewalt über seine Collegen ausübte. Die
Fürstenärzte bildeten so eine Art wohlgegliederter Hierarchie, die auf ilrre
Berufsgenossen aus dem Volk hoch herabblicken konnten; denn jeder
Samurai stand den Volksclassen wie der Herr den Dienern gegenüber."
Die Krone in Bezug auf dieses Titelwesen müssen wir aber den Sia-
mesen zuerkennen. Wir sahen ja schon, dass sie ausser ihi-en Zauber-
ärzten drei verschiedene Arten der Mo, der eigentlichen Aerzte haben,
diejenigen des Königs, die der Adligen und die des Volkes. Von den
Mo Luang, den königlichen Aerzten, werden einige zu Chao Krom er-
nannt; andere erhalten den Titel Palat Krom, noch andere werden Phra-
92 III. Die Aerzte.
Luang oder Khun-müm oder Phantavai. Das sind also nicht weniger
als fünf verschiedene Titelklassen. Dazu kommen nun noch die 7ai Regie-
rungsdiensten ausgehobenen Phrai Phon Luang, welche in der Medicinal-
Behörde einen um den anderen Monat in ihrer Arbeit abwechseln. ,,Sie
müssen die ]\[agazine der Arzneien bewahren und andere sind beauftragt.
Heilkräuter zu sammeln."'
42. Krankheit und Lehensende des Medicin-Mannes.
Im Allgemeinen hören wir nichts darüber, was denn ein Medicin-Mann
untei'nimmt. wenn er selber einmal von Krankheit befallen wird; ob solch
ein Erkrankter dann nach der bekannten Aufforderung handelt: Arzt, hilf
Dir selber!
Nui* einmal sind wir der Angabe begegnet, dass die Aerzte, die Kunkie.
von dem Dieyerie-Stamme in Süd-Australien, wenn sie erkranken, sich
einen anderen Kunkie herbeirufen lassen, um von diesem geheilt zu
werden.
Wenn nun die Tage des Medicin-Mannes erfüllt sind und er aus
diesem u-dischen Leben scheidet, so ist es wohl nicht sehr zu verwundem,
dass wir hier und da auch noch besonderen mystischen Anschauungen über
sein Verhalten nach dem Tode begegnen. Von einer derselben haben wir
bereits gesprochen. Es war der Glaube der Australneger von Victoria.
dass der Geist eines verstorbenen Medicin-Mannes als Len-ba-moorr weiter
existire, im "Walde neue Schüler heranbilde und diesen auch noch später
in ihrer ärztlichen Thätigkeit helfend und berathend zui" Seite stehe. Die
Medicin-Männer der Dacota -Indianer kehren nach ihrem Tode in die
Wohnung desjenigen Gottes zimick, der sie bei Lebzeiten beseelt hatte.
Darauf durchlaufen sie eine neue Incarnation, um einer anderen Generation
zu dienen, entsprechend dem Willen der sie beheiTschenden Gottheit. Vier
Incaniationen (vier ist die heilige Zahl) haben sie auf diese Weise durch-
zumachen; dann kehren sie in ihr ursprüngliches Nichts zurück.
Wenn auch der Ipurina-In dianer Nichts über das Fortleben seines
Medicin-Mannes nach dem Tode zu erzählen weiss, so ist doch auch hier
das Sterben desselben von Fabel und Aberglauben umrankt. Diese Leute
sind nämlich fest davon überzeugt, dass die Seelen ihrer sterbenden Medicin-
Männer im Feuer zu dem Himmel auffahren.
IV.
Die Diagnostik der Naturvölker.
r
43. Erkeniiuiigsmittel der Diagnostik.
Bei deu phantastischen uud vielfach mit Mysticismus durchsetzten An-
schauungen, welche die Naturvölker von dem Wesen der Krankheiten und
von deren Ursachen besitzen, ist es wohl ganz naturgemäss, dass wir von
ihren Kenntnissen und ihrer Unterscheidungsfälligkeit der einzelnen Krank-
heitsarten keine allzu hohe Ausbildung erwarten können. Vollständig fehlend
ist dieselbe aber wohl nirgends mehr, und selbst bei solchen Volksstämmen,
welche unter den uns bekannt gewordenen Naturvölkern auf der aller-
niedrigsten Stufe civilisatorischer Entwickelung stehen, treffen wir dennoch
schon eine Unterscheidung, wenn auch nur weniger, verschiedenartiger Krank-
heiten an. Um diese diagnostischen Kenntnisse der Naturvölker kennen zu
lernen, giebt es nun mancherlei Wege und Hülfsmittel. Schon die ver-
schiedenen Ursachen, aus welchen nach dem Glauben desselben Volkes die
Krankheiten entstehen sollen, legen uns die Vermuthung nahe, dass ihm
bereits gewisse Unterschiede in den Krankheitserscheinungen zu vollem
Bewusstseiu gekommen sind. Das wird noch deutlicher natürlicher Weise,
wenn wir in seiner Sprache besondere Ausdrücke für besondere Symptomen-
complexe antreffen.
Auch ihren guten Geistern und ihren Fetischen haben wir eine ganz
eingehende iVufmerksamkeit zu schenken. Denn häufig wird diesen die
Kraft uud Fähigkeit zugeschrieben, den getreuen Jünger vor einer oder
der anderen ganz bestimmten Krankheit zu beschützen. Ganz ähnlich ver-
hält es sich mit den Anmieten und Talismanen. Darum bieten auch sie
für unsere Untersuchungen ein höchst erwünschtes Material.
Es schliessen sich ferner an die Medicamente. welche von den be-
treffenden Volksstämmen als Specifica gegen bestimmte Ki-ankheiten be-
trachtet werden, und endlich folgen noch die Verbotszeichen, denen die
Zauberkraft inne wohnt, dem Uebertreter des Verbotes eine ganz bestimmte
Krankheit angedeihen zu lassen. Auch 'die Beschwörungsformeln sind hier
nicht zu unterschätzen, denn auch in ihnen werden uns bisweilen speciell<>
Krankheiten namhaft gemacht. Alle diese Dinge müssen wir nun eiüc:-
näheren Betrachtung unterziehen.
9() IV. Die Diai'iiustik der Naturvölker.
44. Die Krankhcitsiiameii.
Eiulieiniische Krankluntsiiaiucn liefen uns von verschiedenen Natur-
völkern vor. Einige dieser Krankheiten , wie Yaws, Beriberi, Ainhuni
u. s. Av.. sind in ihrem Wesen und in ihren Erscheinungen wiederholenthch
von Fachniännern studirt worden. Bei einei' Reihe von anderen Namen
steht es zieniHch fest, mit welcher der auch bei uns vorkommenden Er-
krankungen sich die durch diese Namen bezeichneten Krankheiten decken.
Manche andere Krankheit aber, für welche uns die von den Eingeborenen
gel)rauchten Bezeichnungen l)erichtet Averden. sind l)is jetzt noch nicht mit
irgend einer unserer Krankheiten mit Sicherheit zu identificiren und harren
noch eines genaueren Studiums.
Uns interessirt es an dieser Stelle nur, dass die Naturvölker überhaupt
solche verschiedenartige Krankheitsnamen besitzen. So av erden uns z. B.
von den Australnegern in Victoria nicht weniger als fünf derselben
berichtet. Es ist dabei aber noch nicht ausgeschlossen, dass sie nicht noch
einige mehr besitzen.
Hier uns helfend beizuspringen würde die Sache der vergleichenden
Sprachforschung sein. Denn so, wie diese Kj-ankheitsnamen jetzt uns vor-
liegen, sind sie für uns nur ein sinnloser Schall. Erst die Linguistik wird
es vermögen, uns hier das richtige Yerstäudniss anzubahnen. Denn es unter-
liegt für mich keinem Zweifel, dass diese Worte eine ganz bestimmte Be-
deutung besitzen, dass sie diejenigen Symptome der durch sie bezeichneten
Erkrankungen zum Ausdruck bringen, welche diesen Kindern der Natur
als die am meisten in die Augen springenden erschienen sind. Finden wir
bei uns doch in der Volksmedicin ganz das Gleiche. Es mag hier nur
an Krankheitsnamen wie Rothlauf, Herz wurm, Brustgesperr, Mehl-
mund, Kriebelkrankheit u. s. av. erinnert werden. Bei den Naturvölkern
Avird dieses kaum anders sein, und die grosse Bedeutung der Analyse ihrer
Krankheitsnameu für unsere Beurtheilung ihrer diagnostischen Fähigkeiten
liegt somit Avohl auf der Hand.
Dass ihre Krankheitsnamen Avirklich etwas Bestimmtes zu bedeuten
haben und ein auffallendes Symptom der Erkrankung zum Ausdi'uck bringen,
dafür liefert uns ein Bericht von der Oster-Insel den Beweis. Hier
kommt eine Krankheit vor, welche die Eingeborenen mit dem Namen Kino
bezeichnen, und die entstehen soll, Avenn die Leute über die Felsen längs
der Küste bei Tahai gehen. An dieser Stelle Avächst eine saftreiche Ranke,
von Avelcher wahrscheinlich die Füsse zerschnitten und abgeschunden Averden.
Die Bedeutung des Wortes Kino ist „krachender Fuss". Es erinnert
diese Bezeichnung übrigens an den in der Provinz Preussen üblichen
Krankheitsnamen Knarrl)and, welcher für eine schmerzhafte Behinderung
der Bewegungen des Fusses im Gebrauche ist.
Auch von den Annamiten ist etAvas Aelmliches zu berichten. Dieselben
bedienen sich für die verschiedenen Krankheitsstadien der Pocken verschie-
dener Bezeichnungen. Das erste Auftreten des Ausschlags nennen sie Nen-
bong oder Nenhue; das bedeutet „Ausbruch der Blumen". Die Pusteln
bezeichnen sie mit dem Schmeichelnamen Ong, d. h. ,,Grossvater^*:
dieses ist gleichzeitig auch ihre euphemistisehe Bezeichnung für den Tiger.
45. Krankheitsfetisclie und Amulete.
97
Füi' die Eiterung in deu Pockenpusteln gebrauchen sie nicht das gewöhn-
Hche Wort, was Eitern bezeichnet, sondern das Wort giu-o-ng, was „sich
ausbreiten, sich entwickeln" heisst. Die Abschuppung
bezeichnet das Wort xuong, was wörtlich heisst „her-
untersteigen". Das hängt mit der von ihnen gemachten
Beobachtung zusammen, dass die Desquamation am Kopf
und Oberkörper zuerst beginnt und von oben nach unten
ihren Fortgang nimmt.
Die Lampongschen Aerzte in Sumatra theilen
die Krankheiten in fünf Classen ein, in die Oepas, die
Pasowan, die Tjelor, die Sekedi und die Tjatjar.
Von den Oepas giebt es drei Unterarten (Oepas ngison,
panas und angin), denen je nach ihren Erscheinungen
die verschiedenen Bauchkrankheiten mit Blutabgang zu-
getheilt werden. Jede erfordert eine besondere Behand-
lung. Die Pasowan werden durch die Geister verursacht,
und Durchfall und Cholera gehört zu ihnen. Sekedi ist
eine Krankheitsgruppe für sich und bezeichnet den Aus-
satz, während Tjatjar die Pocken sind. Die Krank-
heitsgruppe Tjelor mit den sechs Unterarten Tjelor
boeroeng, boenga, halibambang, mais, malikas
schliesst hauptsächlich die verschiedeneu Fieberformen
Fig. 34. Verbotszei-
chen, um den Ueber-
treter blind werden
zu lassen. Serang.
Nach Riedel.
und widadari,
1 sich. Tjelor
halibambang ist das kalte Fieber, mais, das kalte Fieber in heftigem
Grade, widadari das Fieber in Folge eines Beischlafes, malikas das heisse
Fieber u. s. w.
45. Krankheitsfetische und Amulete.
Fetische, welche ganz bestimmte Erkrankungen zu heilen vermögen,
werden unter anderen von den Loango-Negern verehrt. Aber sie können
auch ebenso die Kj^ankheit bringen, und um so mehr muss man ihnen den
Hof machen, um sie bei guter Laune zu erhalten. Bastian führt uns die
Folgenden an: Lembe hilft gegen Kj-ankheiten des Kopfes, Lubangula gegen
Augenkrankheiten, Tonse macht Schlaflosigkeit, ümsasi verursacht und heilt
die Fieberhitze, Tschimbuko macht
Lähmungen, indem er sein Opfer
1>ei dem Genick ergreift. Eonde
Mamba . durch eine männliche
Figur mit grossem Bauche dar-
gestellt, heilt die Ki^ankheiten des
Bauches. Mokisso Mamhili. der
ebenfalls durch eine sehr dick-
bäuchige männliche Figur repräsentirt wird, verursacht die Bauchwasser-
sucht. Imbika endlich, in der Gestalt eines Sackes, heilt die venerischen
Krankheiten.
Etwas sehr Aehnliches findet sich auf Nias. Hier giebt es eine ganze
Reihe von Geistern, Adii genannt, welche, wenn man ihnen opfert, bestimmte
Krankheiten zu heilen vermögen.
Bartels, Medicin der Naturvölker. 7
Pig 35. Verbotszeichen, um dem Uebertreter
Ichthyosis zu verursachen. Serang.
Nach Riedel.
98
IV. Die Diagnostik der Naturvölker.
Hör Adii Tombali zaniri, ein Stück Cocusstainiu mit roh ausgesclmit-
tt'iu'iu ^lenscheugesicht, heilt epileptische Krumpfe; der Adn Lailuwu ^vir(l
bei Augeukraukheiteu augerufen; Ada Tamahörou
heilt Halsühel, Adü Si lahogo Mageuschmerz uud
Diarrhöe. Der Adü Mbali mbali vermag den
Schwindel zu beseitigen, und der Adü Lawulo höngo,
eine Holzfigur mit einem Nagel im Kopf, ist gegen
schwere Kopfübel gut. Bei Fieber muss man sich
an den Adü Tabagösa und an den Adü Fangola
mbechu wenden. Adü Fangüru schützt vor Pocken.
Der Adü Oba, eine rohe Figur mit flacher Nase,
heilt das nächtliche xlufschrecken der Kinder, und
Adü Famo ni amaho'o stillt deren Nasenbluten. Der
Adü Folägi Boro (Fig. 8G) endlich beseitigt Leib-
schmerzen; er wird durch zwei Holzsplitter mit Ge-
sichtern an den Enden gebildet; durch die Splitter
ist ein Stock hindurch gesteckt.
Ob wir nun hier in den Namen der Adü uud
der Fetische zugleich auch die Namen der ent-
sprechenden Krankheiten zu erkennen haben, welche
Fig. 36.
Adü Folagi Höro, Schutz-
geist gegen Leibschmerzeu.
Nias.
Nach Modigliani
von ihnen geheilt oder hervorgerufen werden, dies zu
entscheiden würde wiederum die Sache dei- Lin-
guisten sein.
Von Amuleten uud Talismanen vermögen uns
an dieser Stelle nur diejenigen zu interessiren.
welche nicht im Allgemeinen vor Unglück uud somit auch vor Erki'ankung
schützen, sondern welche ganz bestimmte Krankheiten verhüten oder, wenn
sie bereits ausgebrochen sind, sie heilen
sollen.
Derartige Talismane sind uns durch
Adrian Jacobsen von den Golden und
den Giljaken in dem Amur-Gebiete
bekannt geworden. Gliederschmerzen
und Schmerzen des Kreuzes spielen
dabei eine hervorragende B-oUe. Auch
vom malayischen Archipel, und zwar ebenfalls von Jacoftsew mitgebracht,
liegen uns eine Reihe von TaHsmauen vor. Allen diesen aber, sowie den
Verbotszeichen und den Beschwörungsformeln, sollen besondere Abschnitte
gewidmet werden.
Fig. 37. Verbotszeu lien, um dem Uebertreter
die Kiefer versteifen zu lasseu. Serang.
Nach Riedel.
46. Verbotszeichen.
Es ist ein auf den Inseln des malayischen Archipels weit ver-
breiteter Gebrauch, dass die Eingeborenen ihren Grundbesitz vor Betretung
und Beschädigung und namentlich ihre Felder und ihre Baumpflanzungen
vor Beraubung dnrch ein sogenanntes Verbotszeichen, ein Matakau, zu
schützen verstehen. Im Principe ist es also dasselbe, als wenn unser Laud-
mann vor seinem Acker oder seiner Wiese auf einer Stange einen Stroh-
46. Verbotszeichen.
9'J
wisch aufpflanzt. Aber ein viel tieferer Sinn, eine viel gewaltigere Schiitz-
kraft wohnt dem Matakaii-Zeichen inne. Schon seine Aufpflanzimg ist
mit ganz besonderen Förmlichkeiten verbunden. In manchen Fällen müssen
die Dorfältesten erst die Erlaubniss dazu ertheilen; oft aber macht es auch
der Besitzer allein. Ein Opfer wh'd dargebracht, ein beschwörendes Gebet
wird gesprochen, und nun hat das Verbotszeichen die gewünschte Ki^aft.
Eines der Verbotszeichen, deren mau sich auf der Insel Eetar zu bedienen
pflegt, wird das „Beutelthier- Verbotszeichen" (Naur lau) genannt. Das-
selbe besteht aus drei Stangen, welche mit jungen Kaiapablättern an ein-
ander gebunden sind. Auf die mittelste steckt man das aus den Fasern
der Areug-Palme gefertigte Bild eines Beutelthieres und setzt eine Eier-
schale obeiulrauf. Unter das Bild wird ein Fruchtzweig von Capsicum
Fig. 38. Verbotszeichen, um dem üebertreter den
Leib schwellen zu lassen. Leti.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin. — Nach Photographie.
Fig. 39. Verbotszeichen, um dem
Üebertreter die Eingeweide zu ver-
drehen. Luang.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin.
Nach Photographie.
fastigiatum gebunden. Um den Hals von dem Beutelthier, das man als
beseelt ansieht, bindet der Mann dann ein Koliblatt, bestreicht dasselbe
mit Sirih-Speichel und spricht dabei die folgende Beschwörung:
„Verbotszeichen von dem Beutelthier! ich habe Dich hier aufgepflanzt!
Leute, welche kommen, um Früchte vom Artocarpus incisa zu stehlen, um
Früchte von der Kaiapa zu stehlen, um Sirih zu stehlen, um Früchte von dem
Pinang zu stehlen, die sollen es in ihre Eingeweide kriegen; ihr Körper soll
krank werden, gänzlich, sie sollen ihre Lagerstätte mit ihren Excrementen,
mit ihrem Urine besudeln; kein Heilmittel, von wem auch immer, soll sie
heilen; sie müssen sterben!"
Nun haftet der Fluch an dem M atakau, und wer das Verbot zu über-
treten wagt, der ist der dem Verbotszeichen anhaftenden Zauberkraft ver-
fallen. Das Unglück ereilt ihn, oder die Krankheit, welche dm-ch die Macht
100
TV. Die Diagnostik der Naturvölker.
der Beschwöruug. die bei dem Aufstellen des Matakau gespioclieu wurde,
dieses Letztere mit seinen magischen Klräften dem Uebertreter bringen
muss. Was fiir ein Unglück, was für eine Erki'ankung dieses ist, das zeigt
die besondere Form des IM ata kau an: Deutlich und nicht zu verkennen
fiii* Jedermann ist diese Symbolik plastischer Darstellung. Mächtig und
wirkungsvoll ist aber auch ihre schützende Kraft, denn Niemand zweifelt
daran, dass wenn er es Avagen sollte, das Matakau zu übertreten, unfehlbar
der Fluch sich au ihm vollziehen würde.
Derartige Unglücksfälle, welche die Matakau-Uebertretung mit sich
bringt, sind z. B. dass der Ungehorsame vom Casuar zu Tode getreten, vom
Crocodil gefi'essen werden, oder eines plötzlichen Todes sterben solle u. s. w.
Uns können an dieser Stelle natürlicher Weise nur solche M atakau -
Zeichen interessii'en, in Avelche die verhängnissvolle Kj-aft hineinbeschworen
ist, dem Fi-evler bestimmte Krankheiten zu bringen. Die hohe Wichtig-
keit und Bedeutung derselben für die Beurtheilung der diagnostischen Fähig-
keiten dieser Volksstämme liegt nun wohl deutlich genug auf der Hand.
Denn naturgemäss werden diejenigen, welche Matakau-Zeichen aufpflanzen.
Fig. 40. Verbotszeichen, um dem Uebertreter
Blutdiarrhoe zu verursachen. Serang.
Nach Riedel.
Fig. 41. Verbotszeichen, um dem Ueber-
treter Schmerzen in den Gliedmaassen
zu verursachen. Serang.
Nach Riedel.
diesen doch immer nui- solche Erki-ankungeu hineinzuzaubern suchen, welche
ihnen aus eigener Erfalu'ung und aus direkter Beobachtung bekannt ge-
worden sind und welche sie als ganz besonders quälend, als intensiv schmerz-
haft oder als hochgradig gefährlich zu betrachten pflegen. Und somit ge-
winnt ihre Kenntniss auch eine grosse Wichtigkeit liir die medicinische
Geographie.
Manche dieser Matakau-Zeichen lassen es nach ihrer äusseren Fomi
gar wohl begreifen, wie es dem ftii" solche Dinge geschulten Auge sofort
verständlich werden kann, was für eine Erkrankung oder welches Kj-ank-
heitssATuptom dem verwegenen Uebertreter droht.
Eine kleine menschliche Figur (Fig. 34), aus deren Augen je ein langer
Spahn hervorragt, soll anzeigen, dass der Uebertreter bhnd werden wird;
eine Kalebasse (Fig. .38) mit sich stark verdickendem Bauche droht dem
Frevler ein Anschwellen seines Leibes an; ein Stäbchen mit zwei daran
befestigten windschiefen Palmenblättern (Fig. 39) zeigt an, dass ihm die
Eingeweide verdreht werden sollen; ein Stäbchen mit eingeschnittener
schuppenartiger Verzierung (Fig. 35) besagt, dass er che Ichthyosis bekommen
Avürde. Das ist eine Zeichensprache, der auch wir noch zu folgen vermögen.
46. Verbotszeichen.
101
Eine tiefere Vertrautheit mit den Geheimnissen dieser Symbolik gehört
aber schon dazu, die folgenden Verbotszeichen richtig zu deuten. Ein horizon-
taler Stab trägt auf vier Stacheln je einen kleinen Ring von einem Palmen-
blatt gefertigt (Fig. 40). Das heisst, der Uebertreter soll von Blutdiarrhöe
befallen werden. Ein gleicher Stab, der auf drei Stacheln je sechs über
einander angebrachte Palmenblattringe trägt, soll Schmerzen in den Glied-
maassen erzeugen (Fig. 41). Fünf solche Ringe auf dem Stabe, deren jeder
Pig. 42. Verbotszeichen, um dem Ueber-
treter Schwellung der Testes zu verur-
sachen. Serang.
Nach Riedel.
Kg. 43. Verbotszeichen, um dem Ueber-
treter böse Schwären zu verursachen.
Serang.
Nach Riedel.
eine vorspringende Spitze hat, verursachen dem Frevler blutigen Urin ; zwei
auf einander liegende horizontale Stäbe, deren einer den anderen überragt
(Fig. 37), zeigen an, dass ihm die Kiefer versteifen sollen. Es lassen sich
liier noch mehr Beispiele bringen: Augenkrankheit, Rückenschmerz, Schwel-
lung der Testikel (Fig. 42), böse Schwären (Fig. 43) und Hinsiechen des
Körpers werden auf ähnliche Weise angedroht. Aber die obigen werden,
denke ich, genügen, eine Anschauung dieser Dinge zu geben, so dass wir
von der genaueren Beschreibung dieser übrigen Abstand nehmen können.
V.
Die Medicamente und ihre
Anw^endung.
47. Die Medicinal-Droarueii.
Von Reisenden und von Botanikern sind uns vielfache Mittheilungen
.u;eniacht worden über allerlei Rinden, Wurzeln, Früchte und Blätter, welche
sie in dem Heilmittelschatze der uncivilisirten Völker aufgefunden haben.
Es liegt aber nicht in unserer Absicht, die Liste derselben hier aufzuzählen.
Ein Theil dieser Medicinaldroguen ist in gleicher oder ähnlicher Species
auch bei uns in den Apotheken gebräuchlich; andere sind uns zum Theil
in ihren physiologischen Wirkungen unbekannt, theils auch sind wir über
ihre chemischen Bestandtheile noch nicht unterrichtet. So würde ihre Auf-
zählung zeitraubend sein, aber
auch ohne Zweck und Nutzen. ,-^fflifliffiiiBii
Den Pharmakologen aber mag
ihr Studium recht dringend an
(las Herz gelegt Averden; denn
mancher therapeutische Schatz
mag hier noch im Verborgenen
schlummern. Uns war die Be-
kanntschaft mit diesen natür-
lichen Heilmitteln von Wichtig-
keit, weil sie uns ein Hülfsmittel
bot, um die diagnostischen Kennt-
nisse der Natiu'völker zu be-
urtheilen. Einiges über das hier-
«hirch gewonnene Resultat wollen
wir hier nicht mit Stillschweigen
übergehen.
Die Zahl dieser Medicinal-Droguen, deren Verzeichnisse mii* zugänglich
sind, ist eine recht verschiedene. Und dennoch sind die Beobachter sicher-
lich immer ernstlich bemüht gewesen, hier alles zusammenzubringen, was
nur irgend zu ihrer Kenntniss gelangt war. Uebergehen müssen wir natür-
licher Weise solche Naclirichten, avo nur so nebenher hier und da eine
einzelne Pflanze als therapeutisch verwerthet angeführt wird; nur die wirk-
lichen Verzeichnisse können berücksichtigt werden.
, Da haben wir nun erstens ein Verzeiclmiss von der OsterinseL Mit
Recht wird die hier einheimische Pharmakopoe von Thomson als eine sehr
beschränkte bezeichnet, denn Arrowroot, eine Distel und eine Nachtschatten-
i.rt bilden den ganzen Arzueimittelschatz. Erheblich zahh-eicher sind nun
Fig. 44. Medicin-Büchse, in Holz geschnitzt.
Bonerate.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin. — Nach Photographie.
106
V. Die Medicamente und iln-e Anwendung.
V<i
schon dieji'uigeu Mediciualprtan/en. welche die Kaiok- 1 ndiancr in Noid-
Californien gebrauchen. Es sind 13 Arten. Von den Twanu-. den
Cheniakuni- und den Klallam-Indianern werden uns 18 Arten auf-
geführt. Aus dem Seranglao- und Gorong-Archipel wird von 25 Droguen
berichtet. Bowditch konnte von den Aschanti 34 zusammenstellen.
Auf der niederländischen Expedition nach Mittel- Sumatra fand
man daselbst 38 Droguen im Gebrauch. Von den Chippeway-Indianern
führt Hoffmann öG INIedicinal-Droguen auf. und Paiditschke fand l)ei den
Harrari (if» und darunter 3 für Veterinäre Verwendung. Am reichhaltigsten
ist ein bei Sclioolcraft veröffentlichtes Verzeichniss, in
welchem sich 89 Medicinaldroguen zusammengestellt
finden. Dieselben werden von den nordamerikanischen
Indianern benutzt und zwar im Besonderen von den
Dacota. den Creek. den Winnebagos und den
Chippew^ays.
Aber auch das, was der alte Paulini mit dem Namen
..heylsame Dreck-Apotheke" bezeichnet hat, finden
Avir untei- den Medicamenten der Naturvölker. Und
überraschen ward es uns nicht, denn auch heutigen
Tages noch ist ja unsere eigene Volksmedicin voll von
dergleichen Medicamenten. Wir könnten höchstens ver-
wundert sein, dass wii- nicht häufiger auf derlei un-
appetitliche Mittel stossen. Es möge hier nur erinnert
werden an die Excremente des Dalai Lama. Auch Pillen
von Taubenkoth kommen vor und zwar bei den Indi-
anern von Süd-Californien. Koth w'ird als Mittel zu
Umschlägen von den Dieyerie in Süd - Australien
benutzt. Den menschlichen Urin oder Pferdeharn als
Heiltrank finden w ir bei einzelnen Stämmen, den Ersteren
in Canada, den Letzteren bei den Annamiteu. In
Persien wird der Bärenurin vielfach in den Apotheken
gefordert. Unter den Süd -Australiern von Adelaide
ist Frauenharn als äusserliches Mittel bei allerlei Krank-
heiten hochgeschätzt.
Fig.45.Zieffenhornmit j^^ Anuam wurden die ausgefallenen Milchzähne der
Arznei. Battaker. Z' . t-^- t t
Museum f. Völkerkunde, Kinder ZU Medicameuteu verarbeitet. Die Indianer von
Nach Photographie. Cauada benutzen nach der Aussage eines Eingeborenen
zuweilen gekochtes Menschenfleisch als Medicin. Das Blut
eines Menschen als Heilmittel innerlich zu nehmen, ist bei ihnen ebenfalls in
Gebrauch, und das Gleiche finden wir bei den von Serpa Pinto besuchten
Ganguella -Negern in Afrika. Von den Letzteren Avird bisweilen auch
das Blut von Thieren benutzt. Der innerliche Gebrauch von Menschenblut
in Krankheitsfällen ist „sehr gewöhnlich" bei den wilden Stämmen vom
Maclay-River in Queensland. Das für diesen Zweck nothwendige Blut
gewinnen sie dann folgendermaassen: „Die Frau des Kranken besorgt ein
hohles Conjeboi-Blatt und ein starkes Stück Strick aus festgeflochtenem
Opossum-Fell gefertigt. Sie zieht dann den Strick mit GcAvalt rückwärts
und vorwärts über ihr Zahnfleisch, bis dieses schrecklich verletzt ist und
profus blutet. Sie speit das Blut, wenn es ausfliesst. in das Conjeboi-Blatt,
47. Die Medicinal-Drogueu.
10"
und fährt fort ihr Zahnfleisch zu l)earl)eiten, bis sie eine erhebliche Menge
Blut hat, welches dann von ihrem kranken Manne hinunter geschluckt wird."
Diese Leute nehmen aber auch das eigene Blut als Heilmittel ein. jedoch
ptlegen sie es dann zuvor zu
kochen.
In dieser Zusammenstellung
dürfen wir den Speichel nicht
vergessen, dei- ja auch noch unter
den Heilmitteln unseres Volkes
eine hervorragende Stelle ein-
nimmt. Bei den Naturvölkern
cifahren wir nichts darü])er, ob
es wie bei nnserer Landbevölke-
rung auch der „nüchterne Spei-
chel" sein muss. Wii* finden ihn
namentlich in Nias in Anwen-
dung. Hier heilt er, mit gelösch-
tem Kalk gemischt auf die Stirn
gestrichen, Kopfschmerzen; es ist
aber nöthig, dass er von Jeman-
dem stammt, der Sirih gekaut
hat. Das gleiche Mittel, ohne
den Kalk, ist im Stande, das
Jucken bei Hautausschlägen zu beseitigen. Auch gegen Fie])eranfälle reiben
sie solchen Sirih-Speichel ein.
Aus dem Thierreich treten uns auch mancherlei merkwürdige Droguen
entgegen, z. B. Fischthran bei den Ostjaken gegen Verstopfung, sammt
ihren Federn verkohlte Turteltauben gegen allerlei Krankheiten in Laos,
geschabte Hörner vom Beb und vom Axis-Hirsch in Tonkin gegen In-
continentia urinae und Spermatorrhoe. Tigerknochen und Tigerzähne
brauchen die Annamiten gegen den Keuchhusten; die
Brühe eines Affenkopfes wird in Laos gegen die Pocken
angewendet, und bei den Ostjaken rühmt man das Herz
und die Galle vom Eisbären als Heilmittel gegen Kinder-
krankheiten und Syphilis. Gegen Schweissfüsse lassen
die xA-unamiten Schuhe aus Elephantenhaut tragen. Auf
der Insel Flor es benutzt man gegen Kopfschmerzen einen
Batu bawi genannten rundlichen Stein, welcher angel)-
lich aus dem Gehirn des Stachelschweines stammen soll
(Fi
Fig. 46. Medicinlötfel der Singhalesen.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin. — Nach Photographie.
.6- i-)-
Von den Medicamenten der Marutse in Süd-Atrika
Fig. 47. Stein, angeb-
lich aus dem Gehirn
des Stachelschweins
Mittel gegen Kopf-
schmerzen. Flores.
Mus. f. Völkerkunde.
Berlin.
Nach Photographie.
sagt Holub: v^oii thierischen Stoffen gebraucht mau
Knochenstaub, gebranntes Knochenpulver, die Schuppen
des Schuppenthieres
thiere und thierische Excremente u. s. w. Aus Büffelfett gearbeitete Arm
ringe und Brustbänder sollen gewisse Ki-ankheiten bannen und gegen
menschliche Nachstellungen schützen."
die Riechstoffe enthaltenden Drüsen gewisser Säuge-
108
V. Die Medicamente und ihre Anwendung.
48. Medicainentös behandelte Krankheiten.
Entsprechend diesen immerhin nicht ganz kleinen Ziffern ist auch die
Anzahl der Krankheiten, gegen welche diese Mittel von den betreffenden
Naturvölkern in Anwendung gezogen werden, keine ganz geringe, und somit
können wir auch nicht umhin, ihnen auch die Fähigkeit zuzutrauen, eine
ganze Menge verschiedener Krankheiten doch schon recht wohl zu unter-
scheiden. Fast wäre es ja auch unnatürlich, wenn es nicht so sein sollte.
Das müssen wir ohne Weiteres zugeben, wenn wir uns nun einmal näher
ansehen, welche Krankheiten es denn nun eigentlich sind, welche hier haupt-
sächlich in Betracht kommen. Da stehen obenan Fieberfi-ost und Fieber-
hitze, Durchfälle und Verstopfung, Magenverstim-
mung, Kopfschmerz, Nasenbluten, Leibschmerzen
und Rheumatismus. Es folgen Verbrennungen.
Wunden und Hautausschläge, Pocken, Dysenterie,
Epilepsie und Geisteskrankheiten. Aber auch Augen -
und Ohrenleiden, Asthma, Husten, Schwindsucht und
Lungenentzündungen, allerlei Frauenleiden, Hernien
und Blasensteine werden beobachtet, kurz wir würden
sehr unrecht thun, die diagnostischen Fähigkeiten
der Naturvölker uns gar zu gering und unbedeutend
vorzustellen. Wir wollen darauf verzichten, hier alle
die Krankheiten namentlich aufzuführen, gegen welche
sie besondere Heilmittel in Anwendung ziehen. Auf
einige dieser Erkrankungen aber werden wir an
späterer Stelle wieder zu sprechen kommen.
49. Die Beschaifung der Arzneimittel.
AVenn wh' nun auch, wie schon oben gesagt,
die Verzeichnisse dieser von den Naturvölkern be-
nutzten Medicinal-Droguen hier nicht wiederholen
wollen, so wird es doch nicht ganz ohne Interesse
sein, zu erfahren, in welcher Weise diese Volks-
stämme respective ihre Medicin - Männer sich das
Material für ihre Medicameute verschaffen, wie sie
die Letzteren sich herstellen und wie sie dieselben
aufbewahren.
Schon bei dem Einsammeln des Rohmateriales
müssen einige Vorschriften sorgfältig beobachtet wer-
den. In der Landschaft Kroe in Ost-Sumatra kann
das Einsammeln sowohl, wie auch das Bereiten der Heilmittel nur an ganz
bestimmten Tagen vorgenommen werden, und es müssen dabei von dem
Medicin-Manne gewisse Gebetformeln gemurmelt werden, welche er auch
später bei der Behandlung des Kranken wiederholt. Auf Tanembar und
den Timorlao-Inseln erfolgt das Einsammeln in grosser Gesellschaft. Alle
Sammelnden und ihre Begleiter müssen bei dieser Gelegenheit beten:
Fifr, 48. Ziegenhorn mit
Arznei, ßattaker.
Mus. { Völkerkunde, Berlin.
Nach Photographie.
r»(i. Die Bereitunir der Arzneimittel.
109
„0 Dudilaa! lass mich sehen, dass diese Blätter, einst getx'unken,
gut sind!''
In dem Seranglao- und Goroug- Archipel benutzt man einen Ex-
tract von den Blättern der Nipa friicticans gegen das Erysipelas. Bevor
man die Blätter abpflückt, muss man einen silbernen Eing unter dem Baume
vergraben und dabei folgende Formel sprechen:
„Sei mir gegrüsst, o Prophet Loqman, der Weise! Ich lege hier den
Ring nieder und nehme Dein Heilmittel."'
Hat man die Blätter aber abgepflückt, dann wird der Ring wieder aus-
gegraben.
Hier mag daran erinnert werden, dass nach den Vor-
schriften der altindiscben Medicin bei der Präparirung
des Quecksilbers für Heilzwecke folgendes Gebet gesprochen
Averden musste:
„ Ugra, ich grüsse Dich und, o Ugra, ich biete meine
Ehrfurcht dar! Goraksha, Ishivara, Sarva, Schiva und Badra,
ich grüsse Eure verschiedenen Eormen, und ich bitte um
Euren gnädigen Beistand, damit diese Medicin wirksam werde !'•
In Keisar wird dem Baume, von welchem der Medicin-
]\iaun die Heildi'ogue nahm, nach glücklich erfolgter Heilung
ein Dankopfer dargebracht.
An der L o an go- Küste bedarf es für die Beschaffung
der Medicin nächtlicher Beschwörungen, bei denen dann
die mit ihren geheimen Namen angerufenen Fetische in der
Gestalt von Hunden, Ziegen u. s. w. dem Ganga er-
scheinen und ihm die nothwendige Arznei, sowie den Ort,
wo sie zu finden ist, bezeichnen.
Die in Koetei in Borneo als Medicinal-Drogue ge-
brauchten Raoen-Kräuter werden des Nachts dem Tliau
ausgesetzt, um ihre Heilkraft zu erhöhen. Auch in Cam-
bodja glaubt man an eine Heilwirkung des Nacbtthaues.
INIan breitet dort in kühlen Nächten in der trockenen
Jahreszeit des Abends ein weisses Banmwollenstück über
das Gras. Des Morgens ringt man es aus in den Phtel,
ein Gefäss von Metall, welches jede Familie besitzt. Dieses
Thauwasser mit dem flüssigen Harze des Baumes Thbeng
gemischt, giebt ein erfrischendes Getränk gegen innerliche
Hitze.
Fig. 49. Stäbchen
mit 12 Stücken Cal-
mus-Wurzel. zum
Heiltrank f. Wöch-
nerinnen dienend.
Golden.
Mus. f. Völkerkunde
Berlin.
Nach Photographie.
50. Die Bereitung der Arzneimittel.
Bei den Indianern Nord-Amerikas, und zwar bis nach Alaska
hinauf, wirkt nicht die Drogue an und für sich, sondern durch des Medicin-
Manues Zauberkraft wird ihr erst die Heilwirkung mitgetheilt. Alle Natur-
producte, welche er sich ftir seinen medicinischen Gebrauch dienstbar zu
machen beabsichtigt, müssen in geheimnissvoller "Weise gekocht, umgerührt,
gescliüttelt und filtrirt werden, und Rasseln mit der Zauberrassel, SununeB,
11" \'. Die Medicaiueiite uucl ilire Anwendung.
]\[uriiieln und Siiii^eu von Beschwöniiigen müssen alle diese Processe be-
gleiten. Hierdurch erst erlangen sie die rechte und heilkrältige Wirksamkeit.
Jacohsen erzählt von den Indianern des Copp er- River: „Die Mediciu-
Mänuer machen ihre Zaubermittel oder die Einweihung der Anmlets auf
folgende Weise. Der Schamane wirft sich zunächst in seine festliche Tracht,
die aus einer Art Schürze besteht, die mit Vogelschnäl)eln oder de^n Füssen
der wilden Gebirgsziege behängt ist. Er bemalt sein Gesicht, bedeckt seinen
Kopf mit einer Art Hut odei- je nach der Medicin, welche er machen Avill,
mit einer Maske und nimmt seine Rassel in
die Hand. In der Mitte des Hausraumes wird
ein grosses Feuer entzündet, um welches er in
Gegenwart herbeigeströmter Einwohner seinen
Tanz ausführt."
„Wenn die Siamesen ein Arzneimittel
bereiten, so befestigen sie, wie Bastian be-
richtet, an den Rand des Gefässes mit my-
stischen Worten beschriebene Papiere, um zu
verhindern, dass die Pet-Fhaya-Thong (gewiss»^
böse Luftgeister) die Kraft des Heilmittels in
der Ausdünstung hinwegnehmen."
Auch bei den Gauguella-Negern, welche
Serpa Finto besuchte, muss der Mediciu-Mann.
während er seine Arzneien mischt und zu-
1)ereitet, eine Anzahl v(m Ceremonien aus-
führen und bestimmte Beschwörungsformeln
hersagen, ohne welche die Medicin ihre Wir-
kung verfehlen würde; und etwas ganz Aehn-
liches berichtet I/oZmö von den Betschuanen:
,.Die gesammelten Pflanzentheile werden sodann
(/"" ' ■w^^m getrocknet, geröstet oder zerstampft und dann
' ein Pulver oder Absud derselben als Heilmittel
erklärt, wobei jedoch gewisse Sprüche und
Formalitäten bei der Zubereitung, wie bei der
Verabreichung zu beobachten sind."
Kg. 50. UmUochtenes Büffelhorn, Besonderer Gehülfen bedarf man dabei
aus dem besessene trinken müssen. ., ^^ i » n -»r-
Boj-neo. auch zuweilen. 00 muss der Arzt der Mi-
Mus. f. Völkerkunde, Berlin. naugkabaucr in Sumatra in Ivi-ankheits-
Nach Photographie. fallen siebenerlei bestimmte Stoffe zusammen-
l)ringen, jedoch darf er sie nicht selber zurecht-
machen, sondern das muss durch eine reine Frau geschehen, d. h. dui-ch
eine Frau, welche im Augenblick nicht ihre Menses hat. Auch ein be-
rühmtes Volksmittel auf dem Serauglao- und Gorong-Archipel, das
in keinem Hause fehlt, muss von besonderen Personen hergestellt werden.
Es ist ein geweihtes Gel, das als Antidotum gegen Vergiftungen dient.
Man fertigt es aus einer jungen rothen Kaiapa, welche Morgens von der
Sonne beschienen ist. Ein Knabe muss sie Freitags pflücken, der noch
keinen geschlechtlichen Umgang gehabt hat. Das Gel wird dann von einem
Mädchen zubereitet, welches rein ist und zuvor gebadet hat, und endlich
muss der Geistliche noch einige Segenssprüche darüber beten.
öl. Die Aiiibewahruno; der Arzneimittel.
111
51. Die Aufbewahrung der Arzneimittel.
Sie werden
aus dem Fell eines ganzen Thieres
Die Medicin-Männer der nordamerikanisclien Indianer pßegen einen
Theil ihrer Droguen sorgfältig zu trocknen und dann in ihren Mörsern zu
pulverisii'eu. So sind die Stoffe dann unkenntlich geworden,
dann in Thierfellsäcken oder Blasen aufbewahrt, welche
undurchlässig für die Luft und zum Theil auch für das
Wasser sind. Diejenigen von dem Kacoon, von der Otter
(Fig. 51) und von dem Stinkthier sollen auf die darin
Mufbewahrten Heilmittel noch ganz besondere Kräfte und
heilsame Eigenschaften übertragen.
Der Beutel ist
gemacht, mit den Haaren nach aussen, und oft mit
Perlen und Stachelschweinstacheln verziert. Dem i^ul-
verisirten Medicamente sind oft noch andere Stoffe bei-
gemischt, um seinen Geruch und Geschmack zu ver-
decken und es so für den Laien unkenntlich zu machen.
Es ruht aber auch ein eigener Zauber auf diesen
Medicin - Beuteln. Niemals unvorbereitet darf sie der
Medicin-Mann öffnen, sondern zuvor muss er durch die
Ceremonie eines Dampfbades die nöthige "Weihe hierfür
erhalten. Wenn ein Medicin-Mann längere Zeit auf der
Reise war und wenn er annimmt, dass die Pflanzen in
seinem Medicinsacke durch Feuchtigkeit oder andere Fm-
stände gelitten haben, „so construirt er eine Hütte, geht
in dieselbe, sein Weib macht Steine heiss, bringt sie
hinein und trägt Sorge, dass der Dampf (durch Auf-
giessen von Wasser erzeugt) gut darin bleibt. Der Mann
raucht, singt, spricht einige Gebete und kommt heraus.
Dann bereitet er ein Fest für den Abend oder für den
nächsten Tag vor. Er ladet zuerst einen anderen Me-
diciner ein, zu welchem er sagt, dass er nöthig habe,
seine Pflanzen zu prüfen, dass er im Begriffe stehe, ein
Fest zu geben, zu welchem er ihn bitte, einzuladen, wer
ihm beliebt. Dieser Letztere macht die Einladungen nach
seinem Gefallen, ohne Ansehen der Person, gleichgültig
ob Mediciner oder nicht, allein Männer. Die Eingeladenen
treten ein, dem Laufe der Sonnenbewegung nach, ihren
Weg zur Hütte machend. Sie setzen sich und jeder stellt
eine leere Schüssel vor sich hin, welche er mitgebracht
hat; Pfeifen Averden vorbereitet und der Befehl, sie zu be-
nutzen, wird abgewartet. Der, welcher das Fest giebt, sagt
kanagakana, jeder einzelne wiederholt kanagakana,
zündet an und raucht. Während das Eauchen im Gange ist, nimmt der-
jenige, der mit den Einladungen beauftragt war, den Kessel, geht herum
und füllt die Schüsseln. Der Unternehmer macht eine kurze Erzählung in
Bezug auf die Besichtigung seines Medicin-Sackes und endet mit dem Worte
kanagakana, welches jeder wiederholt, und dann beginnen sie zu essen:
Fig. 51. Medicin-Sack
der Missouri-Indi-
aner.
Mus. f. Völkerkunde,
Berlin.
Nach Photographie
1 12
V. Die Medicamente und ihre Anwendung.
aber bevor sie den ersten i\[undvoll lierunterschluckeu, speit jeder ein kleines
Stück vor sich auf die Erd(\ für die Geister. Die Schüssebi Averden dann
umgekehrt und alle ziehen sich still zurück, gemäss dei- vorgeschriebenen
Ordnung. Hier bleibt nm- mit dem Unternehmer derjenige zurück, der mit
den Einladungen betraut war. Sie inspiciren dann den Sack gemeinsam
geheimnissvoll und ohne dass irgend Jemandem von der Familie gestattet
ist. Kenntniss von dieser Operation zu haben." {Sciwolcraft.) *
Einen Medicin-Beutel tragen auch die Ganga bei den Loango-
Negern. Er ist mit einem rothen Tuch umwunden und mit Glöckchen
behängt und enthält Steine, Muscheln, Nüsse, Horustücke, Schlangenzähnc^
u. s. w., von denen kleine abgeschabte Theilchen als mächtige Medicin be-
trachtet werden. Der Medicin-Beutel eines Medicin-Mannes der Basutho
Avird in Fig. 20
vorgeführt.
Auch bei den
Australnegern
von Victoria
tragen die Medi-
cin - M änner ihre
Medicin - Steine
und ihre Zau-
berknochen vom
Emu in einem
Belang genann-
ten Beutel. Sie
dürfen ihn nie
aus den Augen
lassen, denn so-
lange sie ihn
behüten, können
sie niemals von
Ki-ankheit be-
follen werden.
Aber manchmal
ist sein Len-ha-
moorr, sein über-
natüi'licher Beschützer, mit dem Medicin-Manne unzufrieden und führt diese
Schätze aus dem Beutel in denjenigen eines anderen Medicin-Mannes über.
Dann ist von dem ersten die Kraft gewichen, er verfällt in Krankheit und
ist in kurzer Zeit todt.
Das Berliner Museum für Völkerkunde besitzt in seinen Samm-
lungen mehrere Gefässe. die zum Aufbewahren von Medicamenten dienen.
Von der Insel Keisar ist es ein einfaches, schmuckloses Holztöpfchen und
ein mit eingeschnittenen Ornamenten versehenes Holzgefäss (Fig. 44).
Von der Mündung des Kapuas in Borneo ist es ein Hörn in
einem hübschen, polychromen Rohrgeflecht (Fig. 50). Aus ihm trinken
die von den Sangiang, den Luftgeistern Besessenen Arac. Von den
Battakern in Sumatra stammen zwei Ziegenhörner (Fig. 45, 48)
mit einem reich geschnitzten Deckel. Sie sind mit Arznei gefiillt und die
Fig. 52. Perlen-Halsband der Zulu-Kaflern in Natal, mit
daranhängenden Medicamenten und Antilopenhörnerspitzen, welche
Arzneien enthalten.
Im Besitz des Verfassers. — Nach Photographie.
52. Die Züchtung der Arzneipflanzen. 113
Schnitzerei des Deckels stellt ein menschliches Figürclieu dar, welches auf
einer anderen reitet. Eine kleine Vase mit sehr zauberkräftiger Medicin,
welche angeblich aus Menschenfleisch gefertigt ist, rührt ebenfalls von den
Battakern her (Fig. .04). Auch sie ist mit einem Deckel verschlossen,
welcher einen Reiter zu Pferde trägt. Diese Figur soll den Panguhi balang,
d. h. den Geist der Medicin. darstellen.
Einer absonderlichen Art, die Medicinen aufzubewahren, begegnen wir bei
den Zulu-Kaffern von Natal. Ich verdanke dem Herrn Missionar Pro^esÄ;^
ein Halsband (Fig. 52) derselben, das aus schönen erbsengrossen, opakgelben
Perlen gefertigt ist. In unregelmässigen Abständen sind allerlei Dinge zwischen
den Perlen befestigt, das Stück eines Entenschnabels, Holz- und Wurzelstücke
und namentlich eine Anzahl von zugeschnittenen Spitzen von Antilopen-
hörnern. Diese Hörner sind es nun, welche zur Aufbewahrung der Medicinen be-
istimmt sind und zwar enthält ein jegliches ein Medicament gegen eine andere
Krankheit. Aber auch die Wurzelstücke u. s. w. sind gleichfalls wichtige
Arzneien und auch sie müssen bei
bestimmten Leiden herhalten. /k^
Die Schamanen der Golden k^.^
in Sibirien lassen füi' die AVöch- t^«
uerinnen einen Heiltrank aus der •: % ^
Wurzel des Kalmus abkochen. ^^. ^„^^^Kf
Die dazu nöthigen Wm^zelstücke ^^^äib,»__ mm^^^^K/Kt
geben sie dem Ehemann der Pa- ^^^^^^^^Ä^HBHHII^^^^
tientiu zu Zwölfen auf ein Stab- ^^^^^ßuf^jBU/m^
eben aufgereiht (Fig. 49). -^^^Bl^^^^^^ ^^
Bei den Singlialesen flu- _,. ~ „ ,. . ,..». , , ^ . ,
, .1 1 T -rv 1 Flg. 53. Medicmloffel der Singhalesen.
den wir besondere Loöel zum ^ Nautilusschale.
Einnehmen der Medicin. Theils Mus. f. Völkerkunde, Berlin. — Nach Photographie.
sind es Abschnitte aus Nautilus-
schalen (Fig. 53), theils auch sind es niedere runde oder gestreckt herz-
förmige Schälchen aus einem sehr hart gebrannten Thou (Fig. 4G).
52. Die Züchtung der Arzneipflanzen.
Für gewöhnlich sind diese in der Heilkunde benutzten Droguen dem
Pflanzenleben in Wald und Feld, das die Naturvölker rings umgiebt, ent-
nommen. Auch ihre Nutzpflanzen kommen zur Verwerthung, wie Reis,
Pisang, Cocus, Pfeffer u. s. w. Es kommen aber sogar Beispiele vor, wenn
auch nur vereinzelt, dass bestimmte Pflanzen ganz speciell für den medici-
nischen Gebraucli angepflanzt werden. Wir treffen dieses bei den Anna-
initen und in Sumatra.
Die Eingeborenen von Mittel- Sumatra brauchen den in Palmöl ge-
kochten, milchweissen Saft einer Cactuspflanze, welche den Namen Soedoe-
soedoe führt, zu Einträuflungen l)ei dem Ohienlaufen der Kinder. Dieser
Oactus wird besonders von ihnen angepflanzt, damit sie den Saft für den
genannten Zweck zu ihrer Verfügung haben.
Die annamitischen Zauberärzte gebrauchen vielfach ein Knollen-
gewächs, dem sie besondere magische Wirkungen beimessen. Diese unter
Bartels, Medicin der Naturvölker. 8
TU
V. Die Medicamente uml ilne Anwendung.
(lern Nanu'n Ngui bekaimutc Pflanze wäclist wild in den Bergen, aber der
Zauberarzt züchtet sie auch heimlich in seinem Hause oder im Felde. In
bestimmten Zwischenräuni(>u muss er dort, wo er sie angepflanzt hat, seinem
Schutzgeist einen weissen Hahn opfern. Er legt denselben mit gebundenen
Füssen nieder und spricht bestimmte Beschwörungsformeln. Am anderen
Morgen findet er dann nichts mehr von dem Hahn vor. als die Federn.
53, Das Eiimehmeii der Mediciii.
Um den Medicamenten die nöthige Kraft zu verleihen, müssen schon
])ei dem Einsammeln der Droguen, Avie wir sahen, gewisse Gebete gesprochen,
l)ei der Bereitung bestimmte Beschwö-
rungen gemurmelt werden. Aber auch
bei dem Eingeben der Medicin wieder-
holen sich bisweilen ähnliche Dinge.
So betet man auf Keisar zu Mahka-
rom manouwe, vordem man die Arznei
einnehmen lässt, dass er eine günstige
AVirkung veranlassen möge. Wenn
mau im Seranglao- und Gorong-
Archipel ein Kind Curcuma - Saft
gegen Verstopfung trinken lässt, so
niuss man dabei sprechen:
„In dem Namen des gütigen Got-
tes. Ich glaube an Gott, seine Engel,
seine Gesandten, seine Bücher und an
die Vorherbestimmung, und dass das
Gute sowohl, als das Böse von Gott
kommt."
Bei den uordamerikanischen
Indianern berichtet Schoolcraft von
einer Art von Medicin-Männern, welche,
wenn sie sich vorbeireitet haben, dem
Ivranken die Arznei einzugeben, sich
an dieselbe wenden, als wenn es eine
empfindende Person wäre und sagen:
„Du bist geschaifen worden für
den Gebrauch des Menschen; Du sollst
die Pflicht erfüllen, für welche Du be-
Fig. 54. Gefäss mit sehr zauberkräftiger stimmt worden Ijist ; Du sollst den
Medicin der Battaker. Körper dieses Mannes reinigen; Du
sollst wirken gleich einem, der rein-
fegt und reinigt alles, was an ihm
schadhaft ist; und wenn Du zu kräftig bist, so sollst Du zurückkehren aus
des Patienten Körper, ohne ihm Schaden zu thun."
Als eine der originellsten Erscheinungen wohl verdient es hervorgehoben
zu werden, wenn wir sehen, dass der Medicin-Mann die von ihm dem Krauken
Museum für Völkerkunde, Berlin.
Nach Photographie.
53. Das Emnehmen der Medicin. 115
bereitete Arzuei mit diesem gemeinsam selber einnimmt. Dieses beobachtete
Matthews bei einer grossen Heil-Ceremonie der Navajö -In dianer, dem so-
genannten „Gesang gegen die Berge", von welchem früher bereits die
Rede war. Bei dem einen Akte dieser Feierlichkeit besprengte der Medicin-
Mann mit einer Abkochung Kopf, Brust und Augenbrauen der in besonderer
Weise gemalten Gottheiten und gab darauf der Patientin in zwei Absätzen
davon zu trinken. Auch ihre Begleiterin musste zwei Schluck davon nehmen,
und schliesslich nahm der Medicin-Mann selber in zwei Absätzen davon ein.
Die Zuschauer erhielten den üeberrest und sie trockneten sorgfältig die
Schüssel aus, damit kein Tropfeu verloren ginge.
8*
VI.
Die Arzneiverordnungslehre der
Naturvölker.
54. Abkochungen und Umschläge.
Es bleibt uns jetzt noch zu untersuchen übrig, in welchen Formen und
in Avelcher Weise die Naturvölker ihre Medicamente anzuwenden pflegen.
Hier steht wohl entschieden obenan das Decoct, die Abkochung, welche
sie aus allerlei Wurzeln, Rinden, Blättern u. s. w. herzustellen wissen. Für
gewöhnlich sind diese Abkochungen zu innerlichem Gebrauche bestimmt;
bisweilen aber werden sie auch als medicamentöse Waschung u. s. w. an-
gewendet. Der Pflanzenaufguss, das Infus, ist wunderbarer Weise nur in
Ausnahmefällen anzutreffen. An Häufigkeit dem Decocte am nächsten
steht der Umschlag, das Cataplasma. Dasselbe wird aber in anderer Weise
hergestellt als dieses bei uns gebräuchlich ist. Saftreiche Blätter oder voll-
saftige Wurzeln werden feingestampft bis sie einen Brei bilden, und diesen
legt man dann dem kranken Theile auf. Anstatt die Drogue zu zerstampfen.
Avird sie in manchen Fällen auch gekaut, um dann, mit dem Speichel innig
vermischt, zur äusserlichen Anwendung zu gelangen. An diese Cataplasmen
i^chliesst sich an das Auflegen heissgemachter oder auch kühler Blätter
und die Applikation von heisser Asche. Mit beiden sucht man ähnliche
therapeutische Erfolge zu erzielen, wie mit den Umschlägen.
So wird in Mittel-Sumatra bei asthmatischen Beschwerden ein Tabaks-
blatt mit warmem Oel auf die Brust gelegt. Die Süd-Australier wenden
das Auflegen heissgemachter Blätter gegen den Tenesmus bei Durchfällen
an. Die Karok-Indianer in Nord-Californien heilen damit Rheuma-
tismus und die Eingeborenen der Insel Engano wenden sie gegen Ge-
schwüre an. In Selebes und auch in Victoria dienen frische Blätter,
kühl aufgelegt, als ein gut wirkender Wundverband.
55. Einreibungen, Salben, Pflaster und Pulyer.
Dass die Naturvölker auch Oele und thierische Fette zu Einreibungen
benutzen, das wird uns kaum zu überraschen vermögen. Aber auch medica-
mentöse Salben stellen sie sich her und wenden sie bei Wunden, bei Ver-
brennungen, bei Hautausschlägen und dergleichen an. Je nach der den
betreifenden Volksstamm umgebenden Natur sind diese Fette natürliche!"
Weise von verschiedener Art. Cocosöl dominirt im Süden; Fischthran und
Bärenfett tritt dafür im Norden auf. Die Fette sind zuweilen auch aus
giftigen Thieren hergestellt und werden dann auch zur Bekämpfung der
120 VI. Dio Arziioiverordnungslehre der Naturvölker.
(hu'cli iluis Tliier hcrvürgcruteueu Ycrgiftuiig angewendet. So ist bei den
Central-Mexicanern Scorpionenöl im Gebrauch, und bei denCariben wird
ein aus Schlangenköpfen gewonnenes Oel als Antidotuin gegen Schlangen-
l)isse angewendet. In Mittel-Sumatra wird Ijei Hals- und Brustschmer/cen
etwas Sirih-Kalk aufgeschmiert. und zwar geschieht dieses gewölmlicli in
der Figur eines Kreuzes.
Ausser mit den Salben sind die Naturvölker auch mit der Anfertigung
und Herstellung von Pflastern Avohl vertraut, wozu sie bisweilen bestimmte
Baumharze als geeigneten Klebestoff verwen-
den. Solche Pflaster werden nicht nur bei
äusserlichen Krankheiten aufgelegt, sondern
auch bei innerlichen Leiden recunirt man zu-
w^eilen auf ihre Hülfe. Eine eigenthünüiche
Gewohnheit der Y a m a m a d i und einiger
ihnen benachbarter Indianerstämme Bra-
siliens mag hier angeschlossen werden. Die-
selbe besteht darin, dass sie sich den kranken
Körpertheil mit Yo gelfedern bekleben lassen.
Die Anwendung des Medicaraentes in Pulver-
Kg. 55. Ring aus Gelbholz- ^orm als äusserliches Mittel scheint eine ziem-
stücken, Mittel gegen Fieber liehe Seltenheit zu sein. In gewissen Fällen
und Kopfschmerzen. Flor es. kommt sie aber bei den Dacota-In dianern,
Mus. f. Völkerkunde, Berlin. -i-itt - j /-i i
Nach Photographie. sowic bei den Marrari und am Longo und
auch bei den Australnegern vor.
Grobe Stückchen Gelbholz, zu einem Halbringe vereinigt, dadurch, dass
man sie auf einen Faden aufzieht, werden auf der Insel Flores äusserlich
gegen Fieber und Kopfschmerzen gebraucht (Fig. 55).
56. Abführmittel und Klystiere.
Zahh'eiche Abführmittel sind den Xaturvölkern wohlbekannt und auch
Stomachicis begegnen wir zuweilen bei ihnen. Manche Yolksstämme ver-
fügen sogar über eine gewisse Abwechslung in ihren Abführmitteln; wenig-
stens wird uns von mehreren ihrer Droguen berichtet, dass sie dieselben
ihrer abführenden Wirkung wegen in Anwendung ziehen. Auch die Hand-
habung der Klystiere ist einzelnen Yölkern nicht unbekannt, z. B. den Bil-
qula, den Dacota-Indianern und den Negern von Liberia. Sie be-
dienen sich dazu eigens construirter Spritzen, und als Injectionsflüssigkeit
werden bisweilen Decocte benutzt.
Die Chorotegans machen Eiugiessungen von Decocten mit Hülfe
eines besonderen Rohres.
Die Klystierspritze der Liberia-Neger (Fig. 50) ist eine sich flaschen-
halsartig verjüngende Kalebasse; die Bihiula giessen Haifischthran ein mit
Hülfe eines Salzkrautrohres; als Mundstück hierzu bedienen sie sich des
Flügelknochens von einem Adler. Auch die alten Maya-Yölker machten
vdii Klystieren einen ausgiebigen Gebrauch.
Abführmittel sowohl, als auch Klystiere bringen die Perser häutig in
Anwendung. Als Instrument für Letztere dient nach Folak ein sehr hoher
57. Brechmittel. 121
Trichter mit abgeruudeteni imd wie ein Katheter umgebogenem Ende. „Ver-
möge des Luftdiaicks stürzt die Flüssigkeit mit brodelndem Geräusche in
das Rectum. In keinem Hause fehlt dieser Trichter; gewöhnlich ist er von
Glas, bei reichen Familien von Silber mit einer Vorrichtung zum Auseinander-
schraul)en." Sehr complicirt sind die Vorschriften über die zum Klysma oder
als Abführmittel auszuwählenden Stoffe, sowie ül)er die am Abfülu'tage ein-
zuhaltende Diät. „An dem Tage, an welchem der Perser zum Abführen
einnimmt, ist er in geschäftlichen Angelegenheiten nicht zu sprechen, sondern
lehnt alle diesfallsigen Zumuthungen mit den Worten ab: „Ich habe Medicin
genommen." Beamte und selbst Minister entschuldigen damit ihr Nicht-
erscheinen bei Hofe, oder die Unterlassung von
.Berufsgeschäften."
Die Min CO pi es auf den An dam an en essen,
wenn sie Verstopfungen zu beseitigen wünschen,
die Bienenlarven, welche sich in den Honig-
w^aben vorfinden.
Der Cimosität wegen müssen wir noch eines Fig. 56. Klystierspritze für
Abführmittels der W in nebago -Indianer ge- '\ach B»«n ^'
denken, das ist die Rinde des weissen Hollunders.
Die abführende Wirkung hat diese aber nur, w^enn der Medicin-Mann sie von
oben nach unten schalet, d. h. von den Zweigen nach der Wurzel zu. Schabt
er sie aber in umgekehrter Richtung, also von der AVurzel aufwärts gegen
den Stiel, so wirkt sie nicht abführend, sondern als Brechmittel.
57. Brechmittel.
Brechmittel Avenden die Naturvölker vielfach an, aber nicht alle sind
medicamentöser Natur. Das Erbrechen wird von den Naturvölkern als ein
wichtiger Heilfaktor angesehen, und eine ganze Anzahl von pflanzlichen
Brechmitteln stehen ihnen zur Verfügung. Auch das Trinken von See-
wasser wird von ihnen mit gutem Erfolge als Emeticum benutzt, z. B. von
den Haidah-Indianern und von den Eingeborenen einiger Südsee-Inseln.
Aber auch mechanischer Hülfsmittel bedient man sich zuweilen. Die
Karayä-Indianer in Brasilien fertigen sich extra für diesen Zweck
Holzstücke (Fig. 57) von etwas über Fingerlänge und von der Dicke eines
Daumens. Dieselben werden vorn ein Wenig abgeschrägt und dann im
Feuer angekohlt. Dies Holzstück wird tief in den Schlund eingeführt, Ins
die erwünschte Wirkung erzielt ist. Die Dacota-Indianer kitzeln sich
bisweilen zu gleichem Zw^eck den Schlund mit einer Vogelfeder.
Nicht in allen Fällen hat das absichtliche HervoiTufen von Erbrechen
die Bedeutung einer therapeutischen Maassnahme. Die soeben erwähnten
Karayä-Indianer rufen täglich in der geschilderten Weise Erbrechen
hervor aus prophylactischen oder hygieinischen Gründen. Sie sind der An-
sicht, dass es nöthig sei, täglich den Magen von dem überflüssigen Speisen-
ballast zu befreien, um sich gesund und leistungsfähig zu erhalten. Auch
in Ecuador soll Aehnliches gebräuchlich sein. Es erinnert dieses in etwas
an jene Zeit, die nur wenige Jahrzehnte hinter uns liegt, avo auch bei uns
]22
^^I. Die Arzneiverordnuiiffslehre der Xaturvölker.
jjännntliclie Kinder am Soniiabeiid oder wenigstens einmal im Monat durcli
ein Brechmittel ihren Magen entlasten mussten.
Eine hervorragende Rolle spielt bei den In dianer- Völkern und nament-
lich bei deren Medicin-Männern eine besondere Art des künstlich provo-
cirten Erbrechens, die man als das rituelle Erbrechen bezeichnen könnte.
Ich meine hier nicht das bei ihren Heilmanipulationen unter "Würge-
bewegungen erfolgende Hervorbringen von Fröschen, Schlangen und anderem
(lethier, von Holzstücken. Knochen, Scherben u. s. \v. oder von ihren
magischen Medicin-Steinen, welche sie als das die Krankheit darstellende
Princip aus des Patienten Körper heraussaugten. Hier ist ein wirkliches
Erbrechen gemeint, das durch das Einnehmen eines besonderen Emeticum
absichtlich hervorgerufen wird. Wir haben dasselbe Avohl aufzufassen als
einen religiösen Reinigungsakt, als eine weihevolle Vorbereitung des mensch-
lichen Körpers für die Aufnahme der unsterblichen Gottheit, ganz ähnlich.
wie man durch strenges Fasten sich
bereitet, wenn man in nähere Be-
ziehung zu den Göttern zu treten
wünscht.
Matthews hatte die Gelegen-
heit, bei einem grossen Medicin-
Tanze der Navajö- Indianer in
Arizona etwas derartiges zu be-
obachten.
Es handelte sich hier um eine
Heilungsceremonie, welche als „der
Gesang gegen die Berge" be-
zeichnet wird und welche neun volle
Tage in Anspruch nahm. Am vier-
ten Tage hatte jeder, der da wollte.
Mann oder "Weib, zu der Medicin-
Hütte Zutritt. Sie setzten sich auf
die Erde, und vor iedem Theil-
?tt^!nA°nl'^Ä.Sf^''*"F''"'''°^"^^^^^^^^ nehmer war ein kleiner Erdhaufen
Erregung von Jirbrechen. Karaya- Indianer. ^ i ta • •
Mus. f. Völkerkunde, Berlin. - Nach Photographie, aufgeschüttet. Dann muSSten Sie 6111
Brechmittel einnehmen, das aus fünf-
zehn verschiedenen Pflanzenarten gemischt war. Die Erdhaufen dienten zur
Aufnahme des Erbrochenen und wurden nach erfolgter Wirkung in be-
sonderer Weise hinausbefördert. Danach bestreute der Medicin-Manii die
Anwesenden mit Medicin.
Auch Niblack berichtet von den Küsten-Indianern des südlichen
Alaska, dass sie sich für Gottesgerichte und besondere Ceremonien durch
Brechmittel vorzubereiten pflegen.
Myron Ells wohnte einer Kraiikenbehaudlung der Twana-Indianer
bei. Der Medicin-Maun sass der Krauken gegenüber. Sein Haupt dauernd
auf und nieder schwingend, sang er, begleitet von dem Gesänge der An-
wesenden, seine Beschwörungen. Nach zwölf Minuten begann er heftig über
sich hin auf die Erde zu erbrechen. Dann kam eine Pause von wenigen
Minuten, worauf der Mediciii-Mann sich abwusch und dann hei der Patientin
die Saugecur begann.
58. Inhalationen. — ö9. Einschlürfungen und Einträufelungen. 123
Wie bereits gesagt, werden aber auch die Einetica sehr vielfach als
wirkliche Heilmittel angewendet bei allen möglichen Magenverstimmungen,
auch l)ei denjenigen, welche nur als Begleiterscheinung einer allgemeinen
Infectionskrankheit aufgefasst werden müssen. Das Eingeben von Brech-
mitteln, um Gifte aus dem Magen wieder zu entfernen, ist einigen nord-
araerikanischen Indianer- Stämmen geläufig.
58. Inhal ationen.
Mancherlei Pflanzen werden auch als Medicamente zur Inhalation ge-
])raucht. Bisweilen findet diese Inhalation in der Form von Räucherungeu
statt, welche mit der betreffenden Pflanze ausgefühii werden. "Wir finden
diesen Gebrauch in Amerika bei den Dacota, den Karoks und den
Navajo, in Afrika bei den Aschanti und in Harrär, in Asien bei den
Tataren. Kopfschmerz, Epilepsie, Husten und Erkältungen sind die
Krankheiten, welche diese medicamentösen Räucherungen behufs der Inha-
lation veranlassen. Die Harrari räuchern aber auch den Körper mit ge-
Avissen Medicamenten, um Ausschläge, Pocken und Fieber zu heilen.
Eine andere Form der Inhalation haben die Karayä-Indianer in
Brasilien. Sie fertigen aus bestimmten Arzneistoff"en eine Riechessenz,
mit welcher sie Kopfschmerzen zu bekämpfen suchen. Die Harrari pulveri-
siren eine bestimmte Drogue und halten sie Epileptischen und Tobsüchtigen
unter die Nase. Ein anderes Pulver ziehen sie in die Nase ein, wenn sie
vom Teufelsschlag, d. h. vom Hexensclmss befallen sind oder wenn sie an
Schlaflosigkeit leiden, und auch beim Schnupfen und Husten junger Mädchen
lassen sie ein Schnupfpulver benutzen, das aber aus der Asche einer be-
stimmten Medicinalpflanze l)esteht.
59. Emschlürfimsen und Einträufelunffen.
'»
Es ist von hier nur noch ein Schritt zu den feuchten Einschlürfungen
in die Nase, die wir als eine Ai't der Nasendouche anerkennen müssen.
Wir finden dieselben wiederum in Harrär, sowie bei den Aschanti und
den Keisar- Insulanern. Bei Allen ist Kopfschmerz die Veranlassung; bei
den Harrari ausserdem auch Nasenbluten. Auf Keisar ist solch Koi)f-
schmerz eine ganz kostspielige Sache. Der Medicin-Mann nimmt die Blätter
eines Quarree genannten Baumes, stampft diese fein, wäscht den Kopf
damit und lässt den Kranken auch die Feuchtigkeit mit der Nase auf-
schnaufen. Wird man gesund, dann ist mau verpflichtet, ein Schaf zu
schlachten. Ein Stück von dem Ohr, die Lippen und die Leber werden
gekocht und mit etwas Reis und Sirih-Pinang auf einen Teller und dann
mit einem Umschlagetuch darunter auf eine Reiswanne gelegt. Der Marne
bringt dieses durch einander und wirft es unter den Baum, von wo er die
Heilmittel geholt hat. Den Teller und die Reiswanne bringt er zurück,
während er das Umschlagetuch behält. Die Hälfte des geschlachteten Schafes
erhält er »leichzeitii]^ als Antheil. die andere Hälfte wird gebraucht, um
124 VI. D\v, Arzneiverordnuiigslehre der Naturvölker.
den Blutsvorwaiulton . wclcho don Krnnkon versorgt haben, eine Malilzoit
/n bereiten.
Die Nasendonclie der Aschanti beschreibt Bowditch tblgendermaassen :
„Ein Mann khigte sehr über Kopfschmerzen, und eine seiner Frauen
brachte ihm ein Decoct von Kräutern und ein hohles Stück Holz mit zwei
Höhren, die sie ihm in die Nasenlöcher steckte, dann den Kopf zurück-
lehnte und den Decoct hineingoss, den er alsdann durch den Mund wieder
von sich gab."
Auch in das Ohr und in die Augen werden von den Naturvölkern Ein-
träufelungen gemacht. Wir wollen davon aber erst später sprechen, weil
Avir den Erkrankungen dieser Organe einen besonderen Abschnitt widmen
wollen.
60. Pillen.
Besonders interessant ist es mir erschienen, dass wir in dem Arzneieu-
schatz dieser uncivilisirten Volksstämme auch einige Mal der Pillenform
begegnen. Pillen fertigen die Australneger von Victoria aus einer
Baumrinde zur Bekämpfung der Dysenterie. Die Indianer Süd-Cali-
forniens rollen den Kotli der wilden Tauben zu Pillen und gebrauchen
diese gegen Gonorrhoe. Die Dacota- Indianer und die benachbarten
Stämme wissen Pillen aus dem Cambium gewisser Bäume herzustellen und
sie heilen damit dyspeptische Zustände. Die Kunst des Pillendi-ehens war
auch den alten Völkern Neu-Spaniens bekannt. Sie benutzten als Klebe-
stoff das Guttapercha, in welches sie das wirksame Medicament hineinkneteten.
Pallas fand heilige Pillen, aus Tibet eingeführt, bei den Kalmücken im
Gebrauch. Vornehme und Reiche führen sie beständig bei sich und nehmen
sie in schweren Krankheiten ein, wenn der Tod fast unvermeidlich scheint.
Sie dienen dazu, die Seele von dem Zeitlichen zu entfernen und zu heiligen.
Sie sind von Erbsengrösse und sehen schwarz aus. Ihre Wirkung soll eine
abführende sein.
Bei den Persern stehen gewisse Pillen in hohem Ansehen, welche aus
Bernstein, Ambra, Rubinen, Gold und gestossenen Perlen gefertigt werden.
Sie dienen als Aphrodisiaca.
<>1. Die hautröthendeii Mittel.
AVir haben l)ereits eine ganze Anzahl von Medicamenten-Gruppen be-
sprochen, die wir in dem Arzneischatze der Naturvölker fanden. Es mögen
aber noch zwei derselben hier angeführt werden, nämlich die Rubefacientia
und die Narcotica. Die ableitende und häufig schmerzstillende Wirkung
der hautröthenden Mittel ist den uncivilisirten Volksstämmen wohlbekannt.
Manche Anwendung erhitzter Blätter oder heisser Asche ist in diese Rubrik
zu bringen. Die Süd-Californier verstehen es, aus Nesselstengeln eine
Paste zu bereiten, welche, auf die blosse Haut gelegt, Blasen zieht, be-
sonders wenn der Patient sieh dabei dicht au das Feuer setzt. Die Nieder-
Californier benutzen ebenfalls die Nessel als Rubefaciens, aber sie peitschen
damit den kranken Köi-pertheil oder sie setzen Ameisen an denselben. Die
62. Die Narcotica. 125
Chippeway- und Cieek-Iudianer haben einige Pflanzen im Gebrauch,
deren Saft eine hautreizende Wirkung besitzt. Die Einwohner von Tonga
und Samoa wenden den Saft eines Rankengewächses an. der so scharf ist.
dass seine Wirkung derjenigen eines AetzkaH ähnlich ist. Diesen die Haut
röthenden und reizenden Mitteln am näclisten verwandt sind dann die Scarifi-
cationen und gewisse Methoden des Glühens. Ihre Verbreitung ist eine sehr
ausgedehnte. Da sie aber als ein, wenn auch nur kleiner akiurgischer Ein-
griff zu betrachten sind, so sollen sie erst später in dem der kleinen
Chirurgie gewidmeten Capitel ihre Besprechung finden.
62. Die Narcotica.
Um nun auf die Narcotica zu kommen, so ist die Anwendung von
Opium und Hanf Haschisch oder Dacha als ein betäubendes Rauchmaterial
ja schon vieltach besprochen worden und allbekannt. Beide Stoffe sind
aber nur als Genussmittel aufzufassen und werden meines Wissens niemals
aus therapeutischen Gründen angewandt. Es kommen aber auch Medica-
mente vor, welche die Naturvölker nun wirklich in der ausgesprochenen Ab-
sicht verordnen, um Schmerzen zu betäuben oder eine Art von Narcose her-
vorzurufen. Die Tataren und Kasaken am Jenes sei bereiten aus den
Zweigen und Blättern einer Alpenrose (Rhododendron Chrysanthum), welche
sie von den Koibalen bekommen, ein Decoct, zu welchem Zweck sie die
Pflanze „in einem wohlverdeckten oder lieber verschmierten Topf im Ofen
schmoren" lassen. „Auf diese Weise bekommen sie, sagt Pallas, einen starken,
bittern braunen Trank, welcher eingenommen den Kranken in eine fieber-
hafte Hitze und Art von Trunkenheit, ja Sinnlosigkeit setzt, während
welcher sich in denjenigen Gliedern oder inneren Theilen, welche mit
Schmerzen oder Fehlern behaftet sind, ein unaufhörliches Ivrübeln spüren
lässt. Der Rausch vergeht aber geschwinder als der von starken Getränken
entstehende, lässt weder Kopfweh, noch die allergeringste Unpässlichkeit
nach, und gemeiniglich spürt der Kranke nach einer einzigen oder der zweyten
Portion den behafteten Theil ganz gesund und hergestellt. Während der
Hitze, welche die Arzuey erweckt, haben die Ki'anken starken Durst; trinken
sie alsdann kaltes Wasser, so erfolgt ein heftiges aber heilsames Erbrechen,
welches besonders bey Zufällen im Uuterleibe dienlich befunden wird. Sonst
brauchen es die Kasaken fast wider allerley rheumatische Zufälle und
wider chronische Gliederschmerzen, die es unter heftigen Krübeln unfehl-
])ar genesen soll.''
Eine Narcose zum Zweck der Ausftihrung einer Operation hat Felkin
in Uganda in Central-Afrika beobachtet. Hier machte ein eingeborener
Operateiu' an einer Ki-eissenden den Kaiserschnitt. Zuvor aber hatte man
die Patientin durch Banana-Weiu in einen Zustand von halber Betäubung
versetzt.
Ein weit verbreitetes Narcoticum, um sich von Schmerzen zu be-
freien, ist der Tabak. Die Eingeborenen von Mittel- Sumatra ver-
ordnen bei Erkältungen des Kopfes eine Cigarre zu rauchen, die Dacota-,
die Creek- und Winnebago-Indianer u. s. w. lassen bei asthmatischen
Beschwerden eine Pfeife Tabak rauchen. Auch die südlichen Mexicaner
12G VI. Die Arzneiverordnungslehre der Naturvölker.
bekämpfen das Asthma ebeuso, aber sie wenden die Tabakspfeife auch bei
rheumatischen Schmerzen an.
Die Ipurina-Indianer in Brasilien erzielen durch den Tabak eine
vollständige Narkose. Unheilbare Kranke werden auf diese Weise betäubt
und in den Fluss gestürzt, um bei dem Wassergeist Heilung zu finden.
Auch zu dem Zweck einer absonderlichen Operation narcotisirt der Medicin-
Mann dieses Volkes den Patienten in gleicher Weise. Er saugt ihm dann
die Eingeweide aus dem Körper und setzt ihm dafür thierische ein. Wenn
dann der Kranke wieder erwacht, so ist er vollkommen davon überzeugt,
„nunmehr den Magen, die Leber u. s. w. eines Schweines oder sonst eines
Thieres in sich zu haben."
Aber auch noch ein anderes Mittel, um eine Narcose hervorzurufen
darf man, wie ich glaube, nicht unterschätzen, das vielfach von den Natur-
völkern angewendet wird. Der betäubende Lärm der Rasseln und Trommeln,
der monotone Gesang des Medicin-Mannes und seiner Gehülfen, die sich
dauernd wiederholenden gleichförmigen Bewegungen des Arztes, sein häufig
erwähntes Schwingen der Hände, dies Alles muss eine Wirkung auf den
Patienten ausüben, welche wir nur als eine hypnotisirende zu bezeichnen
vermögen; ein Weisser hat es selbst an sich empfunden. Er hatte einem
Medicin-Maune der Guyana-Indianer Kopfschmerzen vorgeheuchelt, um
die Art seiner Behandlung kennen zu lernen.
Den bei ihm in der dunklen Hütte hervorgerufenen Zustand schildert
er mit folgenden Worten:
„Einer fi'eiwilligen Bewegung entzogen, erschien es mir, als wenn ich
einem endlosen unaufhörlichen Getöse ausgesetzt sei, das ständig hinauf-
schwoll; meine einzigen Gedanken waren darauf gerichtet, das Wunder zu
ergründen, das die Ursache des Geräusches bildete: ein angenehmer, indessen
fruchtloser Versuch, um sich dessen zu erinnern, ob je zuvor eine Zeit be-
standen, in der es kein Geräusch gegeben. Wenn hin und wieder das Ge-
räusch füi* Augenblicke verschwand, nämlich dann, wenn der Peaiman
(der Thiergeist) vermuthlicher Weise entschwunden war durch's Dach, oder
wenn er nur von grosser Entfernung aus gehört werden konnte, erwachte
ich halb besinnungslos. Aber sobald er auch zurückkam und das Geräusch
anschwoll, verfiel ich allmählich mehr und mehr in einen Zustand von
Betäubung. Als am Morgen das Getöse geendet hatte, erwachte ich all-
mählich. Ich brauche wohl kaum hinzuzufügen, dass mein Kopf nichts
weniger als curirt war von seinen Schmerzen."
In den Krankengeschichten, welche uns berichtet werden, ist wieder-
holentlich davon die Rede, dass die Patienten wie todt, oder wie sterbend
zui' Erde fallen. Wenn sie dann bald darauf wie zu einem neuen Leben
erwachend sich erheben, sich die Pfeife anzünden und rauchen und fi-öhlich
mit den Ihrigen plaudern, so kann ihr lebloser Zustand doch nur entweder
ein erheuchelter gewesen sein, oder eine wahre Hypnose. Ich glaube be-
stimmt, dass es das Letztere ist.
03. Das Bepusten und Bespeieu. 127
G3. Das Bepusten und Bespeien.
Wir haben uoch zweier besonderer Arten der therapeutischen Maass-
nahmen zu gedenken, das ist das Bepusten und das Bespeien. Wem fiele
bei dem Bepusten nicht seine Kindheit ein, wo die liebende Mutter gegen
die schmerzende Stelle pustete und nun theils diu-ch das Kühlende des Luft-
stromSj theils durch die Ablenkung der Aufmerksamkeit die Schmerzen ver-
trieb. So wird auch in Mittel- Sumatra den Fieberkranken der Kopf
bepustet, um ihnen Kühlung und gleichzeitig eine Linderung der Kopf-
schmerzen zu bringen. Auch in Canada und in Victoria ist das Be-
pusten der Kranken gebräuchlich, und in Alaska pustet ihnen der Medicin-
Mann in Mund und Nase. In diesen Ländern hat das Bepusten, wie es
scheint, aber nur den Zweck, den Krankheitsdämon aus dem Körper zu
entfernen. Die Körperstelle, welche der Mediciu-Mann der Eingeborenen
von Victoria zum Bepusten auswählt, ist der Bauchnabel seines Patienten.
Mit dem Bespeien, das wir hauptsächlich im malayischen Archipele,
aber auch in Victoria im Gebrauche finden, hat es scheinbar eine andere
Bewaudtniss. Man möchte glauben, dass es sich hier ausschliesslich um
eine therapeutische Maassnahme handelt. Denn wenn wir von den Austral-
negern absehen, so werden in allen Fällen ausnahmslos bestimmte Pflanzen-
theile gekaut, bisweilen mehrere gemeinsam, nach Art einer gemischten
Medicin, und auf des Patienten Körper gespieen. In Mittel-Sumatra
benutzt man sogar verschiedene Medicamente bei verschiedenen Krankheiten,,
denen aber immer einige bestimmte, für alle Fälle gleiche Grundstoffe bei-
gemischt werden müssen.
Die Medicin-Männer in Victoria benutzten zum Bespeien nun aller-
dings nur einfaches Wasser, aber gerade bei ihnen kann die therapeutische
Absicht dieses Verfjihrens nicht dem geringsten Zweifel unterliegen. Die
Patienten nämlich, bei welchen sie diese Ai't der Behandlung anwenden,
sind die Fieberkranken, deren Körper sie von oben bis unten mit einem
Sprühregen von Wasser aus ihrem Munde berieseln. Dass die Verdunstung
desselben mit einer starken Wärmeentziehung verbunden sein muss und
dass in Folge dessen die Fieberhitze verringert werden kann, das liegt wohl
klar auf der Hand. Von den Eetar -Insulanern wird in ähnlicher Weise
der Bauchschmerz behandelt, und in Bali werden die geschwollenen Drüsen
der Kinder mit gekauten Medicamenten bespieen, bei einer dem Ziegen-
peter ähnlichen Krankheit. Hier hat man für ein durch Bespeien geheiltes
Organ einen ganz besonderen Ausdruck.
Ob es aber bei den übrigen malayischen Inselvölkern, welche hier
in Betracht zu ziehen sind, sich ganz allein um rein therapeutische Ab-
sichten ihrer Medicin-Männer handelt, das muss doch schon ein wenig
zweifelhaft werden, wenn wir erfahren, welche Krankheiten es denn eigent-
lich sind, die in Mittel-Sumatra in der geschilderten Weise behandelt
werden. Es sind Phantasien, Irrsinn und zeitweilige Bewusstlosigkeit, also
alles Krankheitserscheinungen, welche so recht eigentlich dem Eindringen
böser Geister in den Körper zugeschrieben werden. Sollte hier nicht der
Gedanke verborgen liegen, dass die, man könnte sagen, unehrerbietige Art
der Darreichung des Medicamentes zur schnelleren Vertreibung des Dämons.
128 VI. Die Arznei verorduungslehre der Xaturvölker.
beuut/t werden soll? Hier führen uns die Einwohner von Koetei in
Borneo w^ahrscheinlich auf die richtige Spur. Sie beschmieren und be-
speien ihre kleinen Kinder unter dem Mui'meln bestimmter Gebete fort-
dauernd mit gewissen Medicinen. ,.um die bösen Geister zu verjagen'*. Am
deutlichsten ausgesprochen aber finden wir diese Anschauung auf Ambon
und den Uliase-Iuseln. Man benutzt hier als Medicament zum Zerkauen
lauter scharfe und aromatische Substanzen, Muscatnuss , Gewürznelken,
Gember u. s. w. Wenn man nun hiermit den Kranken liespeit, so wall
man theils durch die hierin liegende Beleidigung, theils aber auch durch
das Prickeln, das die Medicamente hervorrufen, den l)ösen Dämon nöthigen,
dass er den armen Patienten verlässt.
Bei einer Behandlung der klopfenden Kopfschmerzen auf Bali sollen
die geheiligten Symbole des männlichen und des weiblichen Principes die Ver-
treibung der Ki-ankheit unterstützen. Jacobs führt aus einem medicinischen
"Werke dieser Insel die folgende Verordnung gegen dieses Leiden an: „Alte
Sirih-Blätter. deren Blattnerven parallel laufen, 7 Stück, Wurzeln von
Gamougan (Zingiber amarineus) drei Stück, auf deren jedem man erst
mit einem Messer die Form eines Penis einkratzt; eine rothe Zwiebel, worin
vorher die Form einer Vulva ausgeschnitten wird. Dies Alles muss fein-
gekaut und mit diesem Speichel die Stirn bespieen werden.'*
Die S am 0 an er glauben, wie Turner berichtet, dass Krankheit durch
den Zorn irgend einer bestimmten Gottheit entstände, und die Freunde des
Elranken rufen die Hülfe des Oberpriesters des Dorfes an und gewähren
ihm jede Forderung, um den Unwillen der Gottheit zu sühnen. Häufig ver-
langt er, dass sie ihre Sünden bekennen. Zum Zeichen der Reue nimmt
dann jedes Familienglied etwas Wasser in den Mund und speit es gegen
den Patienten.
64. Die Impfung.
Auch die subcutane Methode treffen wir zweimal bei den Natiu'völkern
an und zwar beide Male in der Form der prophylaktischen Impfung. Es
ist ihnen auch sehr w^ohl bekannt, dass diese Schutzkraft keine dauernde
ist, sondern dass sie nach einer gewissen Zeit wiederum verloren geht.
Dann muss die Impfung wiederholt werden. Weniger als zehn Jahre waren
es in dem einen Fall, für welche die Schutzkraft erhalten sein soll. Es
handelte sich um ein Präservativ-Mittel gegen die Bisse von giftigen Schlangen,
welches die Buschneger in Surinam mit Erfolg sich in Einschnitte hinein-
bringen, die sie zu diesem Zw^ecke sich in die Haut machen. Bei den
Asch an ti, welche ebenfalls sich auf das Impfen verstehen, ist es eine wirk-
liche Pocken-Impfung, welche nach Bowditch auch in den maurischen
Ländern Sitte ist. „Sie nehmen die Materie und impfen den Kranken an
sieben Stellen (die mystische Zahl), sowohl an Armen als Beinen. Die
Krankheit dauert nur wenige Tage und selten stirbt Jemand daran."
Es mag hier daran erinnert werden, dass die Pockenimpfung angeblich
auch bei den Chinesen seit alten Zeiten wohlbekannt war. „Die Alten,
so heisst es in einer von Lockhart citirten chinesischen Schrift, besassen
die Kenntniss der Inoculation der Blattern: sie ist auf uns gekommen von
64. Die Impfung. 129
der Zeit des Tschin-tsung aus der Dynastie Sung (das entspräche dem
Jahre 1014), und wurde von einem Philosophen erfunden. Wenn die Krank-
heit sjiontan ausbricht, so ist sie sehr schwer und oft tödtlich, während sie
durch Inoculation herbeigeführt gemeiniglich mild verläuft und nicht mehr
als ein Todesfall unter zehntausend Fällen vorkommt." Es folgt dann eine
Reihe von Vorschriften über den Bezug der Lymphe, über die Wahl der
Jahreszeit und der Tage, und über das hygieinische Verhalten des Patienten.
Eine Schilderung des Verlaufes und der Wirkung schliesst sich an, und
dann heisst es: „Wenn nach vierzelmtägigem Warten das Fieber nicht er-
scheint, so kann die Inoculation wiederholt werden, wenn die Jahreszeit
noch günstig ist.'*
In P e r s i e n ist ebenfalls das Impfen Sitte und wird von den
Chirurgen und Badern ausgeführt. Sie machen auf der Mitte des Vorder-
arms leichte Hautritze und reiben nach gestillter Blutung die gepulverten
abgefalleneu Impfschorfe hinein. „Die Heilung erfolgt fast immer, doch
bleiben ziemlich ausgedehnte Narben zurück."
Bei den Siamesen war es gebräuchlich, als eine Art der Schutz-
impfung geriebene Pockenschorfe in die Nase zu blasen.
Bartels, Mediciti der Naturvölker.
VII.
Die Wassercur.
9*
65. Kalte Bäder.
lu dem Bespeien der Fieberki'anken mit Wasser, wie wii* es die Mediciu-
Männer in Victoria ausführen sahen, haben wir bereits eine Form der
Hydrotherapie der Naturvölker kennen gelernt, und dass den Anwohnern
des Meeresstrandes und der Ufer von Flüssen und Seen auch die segens-
reiche Wirkung kalter Bäder nicht unbekannt geblieben ist, das wird wohl
Niemanden üben'aschen. Bisweilen scheint man mit diesen Bädern aller-
dings auch einen rechten Unfiig zu treiben und sie in recht uuzweckmässiger
Weise anzuwenden. In Victoria wenigstens sterben viele junge Leute,
wenn sie vom Fieber befallen werden, weil der Medicin-Mann sie veranlasst,
drei- bis viermal täglich im Flusse zu baden. Bei den Skagit-Indianern
in Columbia sah Holmes einen alten Mann in den letzten Stadien der
Schwindsucht klappernd vor Frost nach der Einwirkung eines kalten Bades,
das er bei einer Lufttemperatur von 40 Grad Fahrenheit hatte nehmen
müssen. Auch die Huatstecos haben viele Pockenkranke verloren, weil
sie sie mit kalten Bädern behandelten. Das Gleiche gilt von Mittel-
Sumatra.
Die Moquis und die Pueblos wenden keine kalten Bäder an, während
sie bei den Pimas, den Nieder-Californiern und den Bewohnern der
Insel Saleyer sehr geAvöhnlich sind. Die Dacota, Creeks und Chippe-
ways, die Klamath in Oregon und die Flatheads lassen die kalten
Bäder direct dem Dampfbade folgen. Die Indianer von Honduras
lassen ihre Kranken ein kurzes Flussbad nehmen, und dann müssen sie
sich zum Feuer legen. Die Moquis gehen, wenn sie fieberkrank sind, in
das kalte Wasser und bleiben darin, „bis sie gesund oder todt sind.** Wir
hätten hier also ein Beispiel eines perpetuirlichen Bades. Beiden Winne-
bagos wird als kaltes Bad „irgend ein natürlicher Fluss oder eine Quelle
benutzt, in welche der Kranke in sitzender Stellung gebracht wird, so dass
ihm das AVasser bis zum Kinn reicht; oder wenn solch natürliches Bad
der Entfernung wegen nicht zu beschaffen ist, so wird der Kranke in Blan-
kets gewickelt, und kaltes Wasser auf ihn gegossen; das wird fortgesetzt,
solange es dem Operateur gefällt. Diese Vornahme hat bisweilen einen
günstigen Erfolg in Fällen von Fieber; aber gewöhnlicher ist das Resultat
eine Congestiou zu wichtigen Eingeweiden oder zum Gehh-n."
In ähnlicher Weise pflegen die Dacota-Indianer, die Eingeborenen
von Kroe in Sumatra, die Doreseu in Neu-Guinea und die Ein-
geborenen von Süd -Australien bisweilen ihre Ki'anken kalt zu über-
134 VII. Die Wassercur.
giessen, und in Victoria spritzt ihnen der Medicin-Manu mit den hohlen
Händen "Wasser über den Körper. Eine die Temperatur herabmindernde
Wirkung haben zweifellos auch gewisse Waschungen. Sie werden in Süd-
Californien und von den Dacota-Indianern mit gewöhnlichem Wasser
ausgeführt; in Victoria und auf Buru, bisAveilen aber auch bei den Dacota,
werden besondere Pflanzendecocte hierzu verwendet. In Mittel- Sumatra
und bei den Aschanti macht man diese Waschungen mit kühlenden oder
mit stärkenden Pflanzensäften.
66. Warme Bäder und Triiikcuren.
Ausser den kalten Bädern werden auch bisweilen heisse Bäder in Ge-
brauch gezogen. Das wird aber nur von den Nez-Percez und von den
Indianern Columbiens gemeldet. Allerdings scheinen sie bei diesen
Stämmen ein sehr beliebtes Mittel zu sein.
Auch die Heilwirkung gewisser Thermalwässer ist den Naturvölkern
wohlbekannt, wenn sich zufällig solche Heilquellen in dem von ihnen l)e-
wohnten Gebiete vorfinden. Es mag hier an die heissen Quellen von Neu-
seeland erinnert werden, welche vielfach von den Eingeborenen zum Baden
benutzt werden. Auch die Haidah-Indianer gebrauchen nach Jacobsen
mit gutem Erfolge eine warme Schwefelquelle, um sich von syphilitischen
Erkrankungen zu befreien. In ähnlicher Weise behandeln die Eingeborenen
von Mittel -Sumatra ihre an Krätze und an Hautausschlägen Erkrankten.
Von den Siamesen sagt Bastian: „Kranke in Aynthia baden zur
Heilung in dem Theile des Flusses, der bei dem Kloster Prot-Satr vor-
überfliesst und die Kräfte des Teiches Bethesda besitzt." Auch die Perser
machen von den zahlreichen Heilquellen in ihrem Lande für Badecuren
einen ausgiebigen Gebrauch.
Im Seranglao- und Gorong-Archipel und auf den Babar-Inseln
versteht man es, aus bestimmten Pflanzen medicamentöse Bäder ftii' er-
krankte Kinder herzustellen.
An diese Badecuren schliesst sich der Gebrauch der Heilwasser für
bestimmte Trinkcuren an, wie wir ihn bei den Central-Mexicanern und
bei den Buräten vorfinden. Die Ersteren benutzen ein Wasser, welches
bei Fiebern eine günstige Wirkung ausüben soll, und die Buräten trinken
das Pogromnische Sauerwasser, worüber Pallas Folgendes berichtet:
„Die Buräten bedienen sich desselben wider allerley Ki^ankheiten und
trinken, nach Vorschrift ihrer Lamen, deren jährlich einige hierher kommen
und den Quell mit Gebeten seegnen, gemeiniglich sieben Tage lang, täglich
di'ey bis viermahl zu sieben Schaalen, welche kleinen Spülkummen gleich
sind. Sie werden von dem Genuss des Wassers matt und etwas fieberhaft,
und viele genesen von allerley Zufällen. Von schädlichen oder gar tödt-
lichen Wirkungen wissen die Buräten unter sich nichts, und man sieht
leicht, dass in ein paar Fällen, welche von den Russen erzählt werden,
nur der unmässige Genuss bey vorhergehenden schweren Krankheiten der-
gleichen habe nach sich ziehen können."
Noch einer Art der Bäder haben wir zu gedenken, welche vor nicht
gar langer Zeit auch bei uns noch eine ziemliche Rolle spielte; ich meine
67. Schwitzcuren. 135
die Thierbäder. Sie bestehen bekannte rmaassen darin, dass der Patient
das erkrankte Glied in den noch warmen, frisch geöffneten Leib eines so-
eben geschhichteten Thieres steckt. Nur ein einziges Beispiel für diese
Sitte ist mir bei den Naturvölkern bekannt geworden. Dasselbe betrifft
die Onkanagan-Indianer in Nord-Amerika. Ein verzweifelter Fall
von Schwindsucht wurde von ihnen dadurch angeblich geheilt, dass sie 42
Tage hindurch täglich einen Hund tödteten, ihm den Bauch aufschnitten
und die Beine des Patienten in die noch warmen Eingeweide legten. Aller-
dings wiu'den gewisse Rindenabkochungen von dem Kranken noch ausserdem
gebraucht.
67. Schwitzcuren.
Wir wenden uns jetzt der Besprechung eines Heilfactors zu, welcher
in der Therapie und der Gesundheitspflege der Naturvölker eine hervor-
ragende Stellung einnimmt, das ist die künstlich gesteigerte Körperwärme,
die Transpiration, das Schwitzen. Auf den Inselgruppen des malayischen
Archipels wird dieses vorwiegend dadurch erzielt, dass man den Kranken
dicht au das Feuer legt oder dass man sogar unter seiner Lagerstätte ein
Schwälfeuer entzündet. Diese Methode spielt auch in der Wochenbettpflege
dieser Volksstämme eine bedeutende Rolle und sie ist von mir bereits an
anderer Stelle ausführlich besprochen worden. In Dorej und in Mittel-
Sumatra wird hierfüi' auch ein Liegen in der Sonne in Anwendung gezogen.
Die Australneger von Victoria haben eine besondere Methode, um
heisse Asche auf den Körper einwirken zu lassen. „Wenn es an den Lenden
oder Unterschenkeln sehr schmerzt, so nimmt der Ai'zt einen guten Haufen
vorbereiteter heisser Asche, welche nur von Rinde gemacht ist; der Patient
Avird auf den Bauch gelegt, und der Arzt reibt höchst unbarmherzig die
heisse Asche auf den befallenen Theil, wie ein Schlächter, der Fleisch salzen
will; wenn die Lenden und Unterschenkel schmerzen, wird der Kranke bis
nahe zu den Knieen in den Berg von heisser Asche gesteckt, indessen der
Ai'zt die befallenen Theile mit heisser Asche reibt. Während dieser Vor-
nahme macht der Arzt seine Beschwörungen, wobei er gelegentlich einen
Theil des Staubes mit einem zischenden Geräusche in die Luft schlägt.
Wenn er genügend manipulirt hat, wird der Kranke in sein Gewand ge-
wickelt."
Ein weiteres Mittel, die Transpiration zu erregen, welches vielfach bei
den Völkern Amerikas gebräuchlich ist, bildet der Tanz. Wir düi'fen
hierbei eins aber nicht vergessen; der Tanz dieser Stämme ist nicht wie
bei unserem Volke ein Vergnügen, eine Volksbelustigung, sondern er ist fast
unter allen Umständen eine rituelle Handlung, ein Gottesdienst. Der Er-
krankte s^plber tanzt nicht mit, als Heilfactor kommt der Tanz nicht in
Betracht. Der Medicin-Mann aber und seine Gehülfen müssen sehr häufig
Tänze aufführen, wenn sie den Patienten von seineu Leiden befi'eien wollen.
Trotzdem ist der Tanz auch für das allgemeine Volk von einer grossen
Wichtigkeit, denn er dient als bedeutsame prophylactische Maassregel. So
heisst es bei Bancroft von den Süd-Californiern: „Um das Missfallen der
(liottheit abzuwenden und dem bösen Eiufluss der Zauberer entgesenzu-
136 VII. Die Wassercur.
arbeiten, werden regelmässige Tänze zur Sühne und Abbitte abgehalten,
in welchen sich der gesanimte Stamm vereinigt."
Sehr lehrreich ist hi<'rtur die Erzäldung eines Klamath-Indiauers
in Oregon, deren Mittheilung Avir Gatschel verdanken. Ich will sie in wört-
licher Uebersetzung hier folgen lassen: „Um zu schwitzen während fünf
Tagen sollen wir gehen, um einen Tanz zu haben, die alten "Weiber eben-
falls. Ihr sollt gehen zu einem Schmause, um zu essen. Ich tiirchte, ich
muss machen zu warm. Ijaut müsst ihr singen; bei fünf Feuern habt ihr
zu singen. Ihr, noch dazu, Weiber und Genossen beginnt zu tanzen mit
Anstrengung; nach und nach sollt ihr Uebertluss essen morgen. „^Krank-
heit will herankommen,"" der Schamane so sagt, manche Tamänuash-
Medicin (zu ihm) „„das ist so,"" sagt; „„an Pocken, sagt sie, wird leiden
(das Volk)"", die Tamänuash, gerade so sagt sie. Es ist klagend das
Volk, all erschreckt durch die Pocken. So der Schamane vor dem Schwitzen
spricht: „„Wie viele Esskübel zählst Du? wie viele, schon, Kübel? Zweimal
zehn und fünf; so viel zähle ich.""
„Diese Anordnungen haben den Zweck, das Volk in dem gemeinsamen
Tanzhause zu sammeln zu einem fünf Nächte dauernden Tanze. Der Tanz
wird rings um die Feuer ausgeführt mit meistens übermenschlichen An-
strengungen, in der Absicht, eine profuse Perspiration hervorzurufen und
dadui'ch irgend einer Ansteckung durch Krankheit vorzubeugen. Der Be-
schwörer oder Schamaue ist betraut mit der feierlichen Aufführung aller
Tänze, von denen die meisten einen religiösen Charakter haben. Diese Art
des Schwitzens heisst „Wäla," während das Schwätzen in einem Temaz-
calli oder Schwitzhause „Spückli" ist. Der Kiuks ist eingeführt als alle
diese Worte sprechend. Die Partikel „Mat" bezeichnet die Worte, welche
von einem Anderen als dem Erzähler gegeben werden, i'lks ist der volle
Tisch, Korb oder Kübel, in welchem die Lebensmittel hereingebracht werden;
aber es bezeichnet auch die Nahrung selber und das Tanzfest, bei welchem
sie gegessen wird. Fünffach brennend, weil fünf Feuer brennen. Die jungen
Männer entkleiden sich während der Feier bis zu den Hüften und beginnen
ihren Tanz, nachdem die Weiber einen beendet haben."
,,Yayayä-as (eine Tamänuash-Medicin) bedeutet eine bestimmte
Tamänuash- Zauberkraft, welche den Beschw^örer inspirirt; der Beschwörer
erzählt dem Volke, was die Yaj^ayä-as ihm sagt."
„Der Kiuks erhält die Begeisterung diu'ch die Yayayä-as nur nach
dem Schwitzen; dann kann er dem Volke erzählen, wann die Ki*ankheit
kommen will."
Bei den Dacota und ihren Nachbarn wird bei Krankheiten eine Schwitz-
procedur in Anwendung gezogen, welche von den benachbarten Weissen
als Grund-Schwätzen oder Bodenschwitzen (ground-sweat) be-
zeichnet wird.
„Das wird auf folgende Weise gemacht. Ein kleiner Haufen Klötze
wird auf der für die Operation bestimmten Stelle verbrannt. Wenn die Erde
noch heiss ist, wird eine Aushöhlung gemacht, um den Körper des Patienten
aufzunehmen, in welche er dann gelegt wird, mit der nothAvendigen Kleidung,
um den Schweiss zu absorbiren, welche über den Körper gepackt und Avorüber
heisse Erde gebreitet ward, während nur der Kopf herausragt. Dieser Process
des reichlichen SchAvitzens, bei mehr funktionellen Störungen der GcAvebe,
68. Das Dampfbad. 137
giebt der capillaren Structur einen solchen Impuls, dass die Deposite schnell
entfei'nt werden."
Eine ganz ähnliche Maassnahme hatte Hughan bei den Austral-
negern von Victoria zu beobachten Gelegenheit. „Es wurde ein Loch
in den Boden gegraben von ungefähr ein Fuss Tiefe, auf dessen Boden
dünne Baumrinde gelegt wurde, und auf das Feuer wurden feuchte Blätter
bis zum Rande des Loches gelegt; über dieses Loch stellte sich der völlig
nackte Kranke. Der leidende Körpertheil wird unmittelbar über die Blätter
gehalten und der Hitze des Feuers ausgesetzt, das einen Dampf aussendet,
der nicht entweichen kann, da Opossum-Decken auf das behandelte Indivi-
duum gehäuft werden, dem bald der Schweiss aus jeder Pore quillt".
68. Das Dampfbad.
Die verbreitetste Schwitzprocedur bei den Völkern Amerikas und zu-
gleich die bedeutungsvollste ist aber das Schwitzen im sogenannten Dampf-
bade, in besonders errichteten Schwitzhütten oder Schwitzhäusern. Diese
werden entweder jedesmal für den besonderen Zweck
neu aufgeführt, oder es sind ständige Einrichtungen.
Das Letztere ist namentlich im centralen Amerika
der Fall. Hier sind es auch meistens steinerne Ge-
bäude, bisweilen klein, dass nur ein bis zwei Personen
darin Platz finden, bisweilen aber auch gross und ge-
räumig und einer ganzen Anzahl von Menschen gleich-
zeitig Raum gewährend. In den nördlicheren Gegenden pjg. 53 Schwitzbad der
werden die Schwitzhäuser meistens in Form ganz klei- nordamerikanischen In-
ner Hütten errichtet, mehrere Stangen werden in die ^^„\°'J;,f'e?nem'MSk:
Erde gesteckt, ihre Spitzen bringt man kuppeiförmig brett der Wabeno.
zusammen, befestigt sie in dieser Stellung und deckt Nach sdwoicraft.
den ganzen Bau mit dichtem Blattwerk oder mit
Büffelfellen zu, so dass nur ein lochartiger Eingang und manchmal eine
kleine Luftöffnung fi-eigelassen wird. Den Boden hat man vorher entweder
ausgehöhlt oder geglättet. Man wählt liir die Errichtung solcher Schwitz-
liütten für gewöhnlich eine Stelle hart an einem Seeufer oder an einem
Fluss oder einem Bache aus, um einestheils das zur Erzeugung des
Dampfes erforderliche Wasser l^equem bei der Hand zu haben und um
andererseits in der Lage zu sein, dem Dampfbade schnell ein kaltes Bad
folgen zu lassen.
Die Art der Construction dieser für den besonderen Zweck errichteten
Schwitzhütten richtet sich bisweilen auch nach bestimmten rituellen Vor-
schriften; wir kommen darauf noch zurück (Fig. 58).
Die massiv aufgerichteten Schwitzhäuser werden mit einem aztekischeu
Worte Temescal oder mit dem spanischen Estufa bezeichnet. Stoll
schildert sie uns von den Indianern Guatemalas, bei welchen hierfür
der Quiche-Name Tuli gebräuchlich ist: „In allen den zahlreichen
Dörfern, welche noch indianische Sitte aufrecht erhalten, findet man ge-
wöhnlich hinter dem Wolmhause V)ackofenförmige, halbkugelige Bauten,
138
VII. Die Wassercur.
deren Durchmesser und Höhe mehrere Fuss beträgt. Sie sind aus Stein
oder Lehmziegehi gebaut. Die EingangsöfFnung ist so klein, dass ein
Mensch eben noch durchkriechen kann. Im Inneren, worin sich dem Ein-
gang gegenüber ein Paar als Herd dienende Steine befinden, wird Feuer
angemacht, dessen Rauch durch ein in der Kuppel befindliches Loch ent-
weicht. Gleichzeitig werden drei Schüsseln voll Wasser in den Ofen ge-
stellt, und zwar zwei davon neben das Feuer, damit ihr Wasser sich erhitze,
die dritte aber entfernt davon, da ihr Wasser nicht heiss werden soll.
Wenn das Feuer abgebrannt ist, so kriechen eine oder mehrere Personen
nackend in den Temazcal hinein, löschen die Gluth durch Uebergiessen
mit Wasser; der sich entwickelnde AVasserdampf, dessen Entweichen durch
Verschliessen des Eingangs und des Kamins verhindert wird, erfüllt den
Ofen. Die Badenden haben dünne Zweige irgend welcher Pflanzen bei
sich, welche sie in die Schüsseln mit dem heissen Wasser tauchen und wo-
mit sie alsdann sich
selbst oder Einer den
Anderen schlagen, um
den Ausbruch des
Schweisses zu be-
fördern. In diesem
Dampfbad verweilen
sie etwa zwanzig Mi-
nuten. Das geschil-
derte Yerfahi-en ist
das unter den Po-
konchi - Indianern
von Tactic übliche,
doch glaube ich nicht,
dass erhebliche Ab-
weichungen von dem-
selben anderwärts vor-
kommen. Die hall)-
kugelige Kuppelbaute
ist für den Tuh die ge-
wöhnliche, doch kom-
men auch vierkantige, mit liachem Dach versehene Schwitzöfen vor" (Fig. .59).
Die grössten Schwitzhäuser finden sich nach Bancroft bei den Pueblos
in Neu-Slexico. „Jedes Dorf hat ein bis sechs dieser eigenthümlichen
Gebäude. Ein grosser halbunterirdischer Raum ist gleichzeitig das Bade-
haus, Rathhaus, Berathungshaus , Clubhaus und Kii'che. Es besteht aus
einer weiten Aushöhlung, deren Dach fast in gleicher Ebene mit dem Erd-
boden ist, manchmal ein wenig darüber, und getragen wird von dicken Balken
oder Pfeilern von Mauerwerk. Rund um die Wände laufen Bänke, und in
der Mitte des Estrichs ist ein viereckiger Steinherd für das Feuer. Der
Eintritt geschieht mit Hülfe einer Leiter durch ein Loch in der Decke, das
gerade über dem Feuerplatze angebracht ist, so dass es zugleich als Venti-
lator dient und dem Rauch fi-eien Austritt gestattet. Gewöhnhch sind sie
von runder Form und von grossen und kleinen Dimensionen. Sie sind ent-
weder innerhalb des grossen Bauplatzes errichtet, oder in den Hof ausser-
Fig. 59.
Scliwitzhütte der Indianer von Guatemala.
Nach StoU.
C8. Das Dampfbad.
139
halb desselben eingegraben. In einigen der Ruinen werden sie gefunden,
erbaut auf der Mitte von dem, das einst ein pyramidaler Pfeiler war, und
vier Stockwerke hoch. In Jemez ist die Estufa von einem Stockwerk, 25
Fuss breit und 30 Fuss hoch. Die Euineu von Chettro Kettle enthalten
6 Estufas, jede 2 oder 3 Stockwerke hoch. In Bonito sind Estufas
175 Fuss im Umfange, erbaut aus abwechselnden Schichten von dicken und
dünnen Steinplatten."
In den kleinen Scliwitzhütten der nördlicheren Stämme wird die Ent-
wickelung des Dampfes dadurch hervorgerufen, dass Steine glühend gemacht
und dann mit Wasser Übergossen werden. Bisweilen macht man die Steine
neben der Hütte glühend und bringt sie dann erst in die Hütte hinein,
in anderen Fällen aber findet die Erhitzung der Steine gleich auf dem Boden
Fig. 60. Wöchnerin der Eouquouyennes-Indianer im Dampfbade.
Nach. Crevaux.
der Hütte Statt. Letzteres scheint das häufigere zu sein. Die auf diese
Weise hervorgerufene Entwickeluug des Dampfes wird als eine ganz ge-
waltige geschildert, als „wahrhaft erstickend", und er erzeugt in kui'zer Zeit
eine sehr hochgradige Transpiration. Die Schwitzhütte der Dacota -In-
dianer ist nur 3 — 4 Fuss breit und ebenso hoch; die glühend gemachten
Steine haben jeder einzelne ein Gewicht von 3 — 4 Kilo. Bei den Nez-
Percez hat dagegen die Schwitzhütte bei 3 bis zu 8 Fuss Höhe oft einen
Durchmesser von 15 Fuss. In einer so kleinen Hütte muss der Patient
natürliclier Weise hockend verweilen, während ein Gehülfe ihm die glühenden
Steine mit Wasser begiesst.
Bei den Central -Mexicanern wird der Patient mit den Füssen
voran wie in einen Backofen hineingeschoben und er liegt dann, durch eine
untergebreitete Matte gescliützt, auf den heissen Steinen mit dem Kopfe in der
140 VII. Die Wassercur.
Nähe des Luftloches. lu den grösseren Temescali liegen die Scbwitzendeu
mit den Füssen gegen das Feuer gekelii-t. Bei den Rouquouyennes-
Indianeru in Süd -Amerika wird der Patient oberhalb der Steine in einer
Hängematte gelagert (Fig. 60). Diese Proceduren werden stets vollständig
nackend vorgenommen. Unmittelbar aus dem Schwitzraume mit seiner oft
wahrhaft erstickenden Luft stürzen sich die Indianer in das kalte Wasser
des benachbarten Flusses.
Ln Principe sehr ähnlich ist eine Schwitzvorrichtung, wie sie die Nar-
rinyeri in Süd- Australien bei rheumatischen Affectionen anwenden.
„Sie zünden ein Feuer an und machen Steine heiss, wie zum Kochen. Dann
machen sie eine Art Gestell aus Stangen und der Kranke wird darauf ge-
setzt. Unter das Gestell bringen sie einige der heissen Steine und giessen,
nachdem sie den Ki-ankeu mit Wolldecken bis zum Kopfe eingehüllt und
die mit heissen Steinen bedeckte Stelle ebenso abgeschlossen haben, Wasser
auf die Steine und der Dampf steigt dann unter den Decken auf und hüllt
den Körper der Patienten ein. Diese Behandlungsmethode ist oft sehr er-
folgreich."
In Nord-Californien wird das Feuer im Temescal im Anfange
des AVinters entzündet und darf bis zum Frühjahr nicht erlöschen. Diese
Art der profusen Schweissentwickelung wird gegen allerlei Krankheit an-
gewendet, aber es ist auch eine hervorragend hygieinische Maassnahme, um
sich den Körper gesund zu erhalten. Doch das Schwitzhaus dient auch
rituellen Zwecken, und keine wichtige politische und religiöse Vornahme,
kein Medicin-Tanz , ja nicht einmal die Besichtigung seiner Medicamente
seitens des Medicin-Mannes kann vorgenommen werden, ohne dass zuvor
die speciell bei der Feier Betheiligten die reinigende und heiligende Ein-
wirkung eines Schwitzbades hätten auf sich einwirken lassen. Darum ist
bei manchen Stämmen das Schwitzhaus nur den Auserwählten zugänglich.
Weiber dürfen bei den Schastas und einigen anderen Stämmen nur hinein^
wenn sie dem ärztlichen Stande angehören. Bei den Pueblos schlafen die
Männer im Temescal und die Frauen dürfen ihnen nur das Essen dorthin
bringen. Gottesdienste und Rathsversammlungeu werden darin abgehalten.
Bei den Dacota und den benachbarten Indianern wird die gewöhnliche
Schwitzhütte aus vier Pfosten, diejenige für feierliche Vornahmen aus acht
Pfosten construirt. In letzterem Falle werden auch acht glühend gemachte
Steine hineingebracht. Wenn es sich aber um ein besonders grosses Medicin-
Fest handelt, dann sind für die Schwitzhütte neunzig Pfosten und neunzig
Heizsteine erforderlich .
Ueber die Schwitzhütten erhielt Gatscliet von einer K 1 a m a t h -
Indianerin in Oregon folgenden Bericht: „Das Seevolk hat zwei Arten
von Schwitz-Hütten. Zu weinen über einen Todten, sie bauen Schwitz-
Hütten, den Boden ausgrabend; sie werden gedeckt, diese Schwitz-Hütten,
mit Erde zugedeckt. Eine andere Schwitz-Hütte bauen sie von Weiden,
einem kleinen Cajüten-Fenster ähnlich. Blankets breiten sie über die
Schwitz-Hütte, wenn in ihr sie schwitzen; Wenn Kinder sterben, oder
Avenn ein Ehemann Wittwer wird, oder die Frau verwittwet wird, sie weint
aus Ursache des Todes, gehen schwitzen viele Angehörige, die er zurück-
gelassen hat; fünf Tage schwitzen sie dann. Sammelnd die Steine, sie
machen sie heiss, sie häufen sie auf (nach dem Gebrauch); diese Steine
C8. Das Dampfbad. 141
haben niemals gedient zum Schwitzen. Die Schwitz-Hütte, vor ihr machen
sie sie heiss, heiss wenn sie sind, sie bringen zugleich sie hinein, giessen
auf sie Wasser, sie besprengen. Sie schwitzen dann mehrere Stunden und
wenn sie hinreichend gewärmt sind, so verlassen sie und sie kühlen sich
selbst ab, ohne Anzug, nur baden gehen in einen Bach, Fluss oder See
dabei. Sie wollen schwitzen für lange Stunden, um sich stark zu machen,
so biegen sie nieder junge Fichtenzweige, sie binden zusammen kleine
Baumzweige mit Stricken. Von Weidenrinde die Stricke sie machen. Nach
Hause gehend häufen sie Steinhügel auf, kleine Steine zur Erinnerung an
den Todten, Steine von gleicher Grösse aussuchend."
VIII.
Massagecuren
69. Die legitime Massage.
Einer Behaudlungsmethocle haben wir noch zu gedenken, welche nament-
hch in Japan und in niederländisch Indien eine weite Verbreitung
gefunden hat. Die Japaner nennen sie Ambuk (Fig. 61), die Malayen
Pitjak. Es ist eine regelrecht ausgeführte Massage. Die höchst angenehme
und wohlthätige Wirkung derselben wird uns von den verschiedensten
Seiten bestätigt. Das Gefühl der Ermüdung und Mattigkeit soll schnell
dadurch schwinden und allerlei Schmerzen werden eiligst durch sie beseitigt.
Es möge genügen, wenn wir hier anführen, was Thomsen aus persönlicher
Erfahruno; über diese Maassnahme sagt. Er lernte sie auf der Oster insel
Fig. 61. Massage. Nach einem japanischen Holzschnitt.
Im Besitz des Museums für Völkerkunde, Berlin.
kennen, wo sie mit dem Namen Lomilomi bezeichnet wird: „Bei mehr als
einer Gelegenheit habe ich mich selber von der Thatsache überzeugt, völlig
erschöpft diu-ch Ueberanstrengung, und mich den geschickten Knetungen,
Frictionen und dem Streichen und Drücken der in dieser Behandlung Be-
wanderten überlassend. Der hartfäustige Eingeborene ist keineswegs zart
bei der Operation, sondern mit den Handflächen und Knöcheln traktirt er
gewaltig jeden Muskel und jede Sehne sowohl, wie auch jedes Gelenk und
jeden Wirbel, bis der erschöpfte Patient in einen Zustand von vergessender
Somnolenz sinkt."
Selbst auf die ungünstige Lage der Frucht im Mutterleibe vermögen
geschickte Masseure verbessernd einzuwirken, wie uns mancherlei Angaben
über die malayisclien Völker bestätigen. Dass auch in Persien und in
Bartels, Medicin der Naturvölker. 10
140 VIII. Massagecuren.
der Türkei das Kueteu eine sich dem Bade gewöhnlich anschhessende
Maassnahme ist, das dürfte wohl allgemein bekannt sein.
Von den Samoauern berichtet Turner: „Massage und Einsalbungen
mit wohlriechendem Oel ist bei den eingeborenen Aerzten gewöhnlich und
hierzu werden häufig Zaubermittel gefugt, bestehend aus Waldblumen in
einheimisches Zeug gewickelt und auf einen sichtbaren Platz auf das Dach
über dem Kranken gelegt."
70. Die yersteckte Massage.
Viele Manipulationen der Medicin-Männer nun können wir nicht um-
hin, ebenfalls als eine Form der Massage anzusprechen. "Wenn wir er-
fahren, dass der Medicin-Mann den Patienten mit den Händen knetet und
packt, ihn mit den Fäusten, den Knieen und den Füssen di-ückt, ihn schlägt,
ihn stösst und seinen Körper reibt, während er dabei seine monotonen Be-
schw'örungsgesänge erschallen lässt, so ist das doch eine Massage, die er
ausführt; und wenn wir auch sehr gern anerkennen wollen, dass bei der
Beseitigung der Beschwerden des Kranken die durch des Medicin-Mannes
wundersames Gebahren hervorgerufene Suggestion eine erhebliche Rolle
spielt, so werden wir die Heilwirkung dieser massirendeu Handgriffe doch
auch nicht unterschätzen dürfen.
Wenn einem Siamesen von einem bösen Feinde, gewöhnlich von
einem Laoten, durch Zauberei Dämonen (Phi Phob) in den Körper getrieben
wurden, so lässt er einen Mo -Phi, einen Dämonenarzt rufen, deren be-
rühmteste Cambodjer sind. Dieser vertreibt ihm die bösen Geister ..durch
Fächeln und Beiben mit Heilkräutern". Auch bei den Mincopies auf
den Andamanen ist solch ein Reiben im Gebrauch. Hier übernehmen
die Freunde eines am Fieber Erkrankten den Liebesdienst, ihren kranken
Genossen fortwährend mit grossen Gü' gm a -Blättern zu reiben. ,,Da nur
eine kleine Anzahl dieser Fälle tödtlich endet, so wird ein grosses Vertrauen
in diese Behandlung gesetzt, welche jedenfalls keinen Schaden anzurichten
im Stande ist."
Turner berichtet von der Südsee -In sei Fakaofo oder der Bow-
di teil -Insel. „Abgesehen von dem Gotte Tui Tolelau war hier ein be-
sonderer, Krankheiten verursachender Gott, dessen Priester vom Kranken
Opfer von feinen Matten empfing. Wenn die Freunde des Ki-anken ein
Geschenk zu dem Priester brachten, so versprach er, zu dem Gott für die
Wiederherstellung zu beten, und dann ging er zum KJranken und salbte
ihm den befallenen Theil mit Oel. Er benutzte kein besonderes Oel. Wenn
er sich niedergesetzt hatte, so rief er irgend Jemanden von der Familie,
ihm Oel zu reichen, und nachdem er die Hand in die Schale getaucht
hatte, strich er sanft zwei bis dreimal über den befallenen Theil. Medicin
wurde für den Kranken nicht benutzt. Wenn der Körper heiss war, legten
sie ihn in kaltes Wasser; wenn er kalt w^ar, zündeten sie ein Feuer an
und wärmten ihn."
Die wohlthätige Wirkung eines circulären Druckes, um bestimmte
Schmerzen zu lindern, ist den Naturvölkern wohl bekannt. Ein circulär
um den Kopf gelegtes Band oder Tuch wird fest zusammengeschnürt in
70. Die versteckte Massage.
147
Mittel-Sumatra, sowie bei den Australuegeru vom Port Lincoln und
von Victoria.
Am Yukon-Fluss in Alaska sah Jacohsen die Behandlung eines
an einem epidemischen Schnupfen und Husten (also vielleicht an einer
Influenza) erkrankten Mädchens. „Wälu^end sie schwach und kraftlos dalag,
band der Medicin-Mann einen Lederriemen um ihren Kopf, steckte einen
Stock durch den Riemen und hob den Kopf mit jeder Minute hoch und
senkte ihn wieder hinab. Dabei führte er ein ernstes Gespräch mit dem
Teufel (Tonrak), indem er denselben bald heftig bedrohte, bald ihn flehent-
lich bat, die Patientin zu verlassen, indem er ihm zugleich „Tobaky"
versprach."
Bei den Australiern ist auch ein sehr festes Zuziehen des Gürtels
gebräuchlich, um sich von Schmerzen zu befi'eien. Ein bevorzugtes Mittel
bei den Skagit-In-
dianern in Bri-
tisch - Columbien
in der Lungen-
schwindsucht ist das
Herumbinden eines
Strickes fest um den
Brustkorl) , um auf
diese Weise das
Zwerchfell zu zwin-
gen, dass es tiefe
Respirations - Beweg-
ungen macht, ohne
die Hülfe der Brust-
muskeln in Anspruch
zu nehmen.
Die Mincopies
auf den A n d a m a -
neu haben mehrere
Methoden, bei denen
die circuläre Um-
schliessung des lei-
denden Theiles zur Geltung kommt: ..Gegen Husten kauen sie den dicken
Theil der langen Blätter einer ji-ni genannten Pflanze (Alpinia spec), und
wenn sie den bitteren Saft ausgekaut und heruntergeschluckt haben, binden
sie die ausgekauten Fasern rings um den Hals."
Bei allerlei schmerzhaften Klrankheiten aber umgeben sie den kranken
Körpertheil mit einer besonderen Art ihrer Halsbänder, welche den Namen
Tschon-ga-tah führen (Fig. 62). Diese Halsbänder sind überwiegend aus
Menschenknochen, bisweilen auch aus denen der Scliil(ikröte gefertigt und
ausserdem mit Dentalium octogonum oder Helix-Ai'ten verziert. Die Knochen
sind mit rother Farbe dick überstrichen, so dass sie nur mit ihren Enden jfrei
aus dieser aufgetragenen farbigen Masse hervorsehen. Sie sind auf ebenfalls
rothgefärbte Bindfäden mit Hülfe von Durchbohrungen in ihrer Längsaxe
aufgereiht. Einzelne Knochen sind auch ausserdem noch in rothe Lajjpen ge-
wickelt. Es wird bei diesen Menschenknochen, wie Man berichtet, nicht für noth-
10*
Fig. 62. Tschon-ga-tah, zauberkräftiges Halsband aus Menschen-
knochen. Mincopies (Andamanen).
Mus. f. Völkerkunde, Berlin. — Nach Photographie.
148 VIII. Massagecuren.
wendig erachtet, dass sie einem Erwachsenen augehört haben; auch diejenigen
von Kindern werden als wirksam betrachtet und das in Fig. G2 abgebildete
Tschon-ga-tah enthält unter anderen ein Wadenbein und zwei Schlüsselbeine
von Kindern. Ausgefallene Zähne und Kielerstückej sowie auch die Knochen
schon vor langer Zeit Verstorbener werden ebenfalls bisweilen zu solch
einem Halsschmucke verarbeitet. Der Glaube ist, dass durch die Wirksam-
keit des entkörperten Geistes, dem einstmals diese Knochen angehörten,
dem Träger vor den Dämonen der Ki-ankheit Schutz gewährt wird aus
Dankbarkeit für die Achtung und das Gedenken, was man dem Geiste
dadurch erweist, dass man seine Knochen als Halsschmuck trägt.
Nicht selten borgen auch mehrere Freunde gleichzeitig dem Kranken
ihren Halsschmuck, damit er sein krankes Glied damit umschlingen könne.
Dass die Medicin-Männer bei ihren massirenden Handgriffen für ge-
wöhnlich nicht gerade sehr zart vorgehen, das haben wir schon von den
Oster-Insulanern erfahren. Es wird uns allerdings mehrmals nur von
einem Reiben berichtet, so aus Kroe und Mittel-Sumatra, von den
Yamamadi-Indianern und aus Victoria; aber hier wurde wenigstens
in einem Falle das Reiben mit heisser Asche so gewaltsam vorgenommen,
„als wenn der Schlächter Fleisch einsalzen wolle". Sonst wird vom Pressen,
Kneten und Drücken gesprochen, was mehrmals noch besonders als stark
bezeichnet wird. Nicht nur die Finger, sondern auch die Fäuste, ja selbst
die Kniee werden hierzu benutzt und bei den Narrinyeri in Süd-
Australien wird dieses fortgesetzt, bis der Kranke stöhnt. Der Bauch und
die Herzgrube sind für diese Maassnahmen besonders beliebt. Vielfach
wird auch vom Stossen und Schlagen des Körpers gesprochen, und wenn
man sich klar macht, wie der Medicin-Mann bei seinen Beschwörangs-
versuchen tanzt und umherspringt und immer wieder über den Patienten
herfällt, so kann man es sich ja auch deutlich vorstellen, wie selbst jene
Handgriffe, die er als zarte beabsichtigt, doch einen gewissen Grad von
Gewalt und Heftigkeit erhalten müssen. Es wird uns kaum befremden,
dass bei solch rohem Vorgehen der tödtliche Ausgang öfter beschleu-
nigt wird.
Bei den Australnegern und den Annamiten werden auch die Füsse
zum Massiren gebraucht. Die Eingeborenen von Victoria treten den Bauch
und den Rücken des Kranken, der zu diesem Zwecke bisweilen von vier
Schwarzen gehalten wird. Manchmal geht es sehr roh hierbei zu: der
Medicin-Mann „setzt seinen Fuss an das Ohr des Patienten und })resst
dasselbe, bis dem Banken buchstäblich das Wasser aus den Augen strömt."
Dem Berichterstatter sind aber Fälle bekannt, wo durch diese Gewaltmaass-
regel die völlige Heilung herbeigeführt wurde. Auf einer Handzeichnung
von George Gattin sehen wir, wie der Medicin-Mann der Schwarzfuss-
Tn dianer dem Ki'anken seinen Fuss auf den Bauch gesetzt hat (Fig. 63).
V^on den Australneger-Stämmen am Port Lincoln Avird der Unter-
leib des Kranken getreten, es wird aber ganz besonders hervorgehoben, dass
dieses Treten ein sanftes ist. Sanft tritt auch die Hebamme bei den Anna-
miten den Leib der soeben entbundenen Frau, um so die Nachgeburt zu
entfernen. Sie hält sich dabei an einem Dachljalkeu des Hauses schwelgend
fest und steigert dann allmählich den Druck , so dass die Procedur für die
Frau doch schliesslich eine ganz empfindliche wird.
70. Die versteckte Massage.
149
Aber das Kneten, Reiben und Streichen kann auch ganz sanft aus-
geftihrt werden, namentlich wenn weibliche Hände die Massage vollführen:
Samuel Ella sah oft in den Hütten der Südsee-Insulaner den Ehegatten
oder den Sohn mit dem Kopfe auf dem Schoosse des Weibes liegen, das
langsam und bedächtig mit ihren Händen, oder besser noch mit ihi'en
Fingerspitzen die Stirn, die Schläfen und den Scheitel in ihrem Schoosse
knetete, und dabei leise ein Lied vor sich hin sang. Das wirkte besser, wie
ein Narcoticum. Der Ki-anke schlief ein und wenn er erwachte war die
Neuralgie und der Kopfschmerz verschwunden.
Fig. 63. Medicin-Mann der Schwarzfuss-Indianer, einen Kranken behandelnd.
Nach einer Zeichnung von Catlin im Mus. f. Völkerkunde, Berlin.
Wenigstens im Anfange sanft ist auch eine Art der Massage, welche
die Eingeborenen von Victoria bei Rheumatismus und ähnlichen Be-
schwerden anwenden. Der Arzt setzt sich dem Kranken gegenüber, stimmt
einen eintönigen Gesang an und streicht in Zwischenräumen abwärts über
den befallenen Theil. Allerdings schliesst sich dann diesem Verfahren auch
das Reiben mit heisser Asche und das Schlagen gegen den Körper an.
Im westlichen Borneo haben die Medi ein - Männer die Gewohnheit,
ihre Patienten stundenlang mit einer Art von Steinen zu bestreichen, welche
sie behaupten von den Geistern bekommen zu haben. Es ist wohl hier
nicht zu bezweifeln, dass solch ein Bestreichen, welches mehrere Stunden
ohne Unterbrechung anhält, nicht ohne eine hypnotische Einwirkung auf
den Kranken abgehen kann.
IX.
Verhaltungsvorschriften für den
Kranken.
71. Die Diät.
Au manchen Anzeichen konnten wir bereits erkennen, dass den Natur-
völkern ein gewisses Verständniss für hygieinische und prophylactische Maass-
regeln nicht vollständig unbekannt ist. Und so finden wir auch bei ihrer
Ki'ankenbehandlung einiges, was wir der grossen Gruppe der diätetischen
Vorschriften einziu'eihen vermögen. Nicht Alles erscheint uns hier zweck-
mässig und uachahmungswerth, und vielfachen Aberglauben sehen wir hier-
mit verquickt. Manches aber mag für gewisse körperliche Leiden ganz
rationell und zweckmässig sein, z. B. ihre Brechmittel und Purganzen.
Bei der Besj)rechung dieser im Allgemeinen als diätetisch zu bezeichnenden
Verordnungen beginnen wir zuerst mit der Diät. Prophylactisch spielt
dieselbe eine grosse Rolle während der gesammten Schwangerschaft. Allerlei
Speisen sind sorgfältig zu meiden, weil sie dem im Mutterleibe keimenden
Leben Schaden und Krankheit zu bringen vermögen. Ja selbst auf den
Yater werden diese Speiseverbote ausgedehnt, und eine Uebertretung der-
selben von seiner Seite vermag ebenfalls den Embryo schwer zu schädigen
und dessen Seele zu beunruhigen. Auch nach einem Traume darf man
nicht zu frühzeitig Nahrung zu sich nehmen, weil man sonst den Seinigen
Krankheiten zu bringen vermag. Wir ersehen das aus dem Beschwörungs-
gesange eines Medicin-Maunes der Klamath- In dianer, welcher lautet:
„Deshalb war dieser (der Patient) beschädigt, weil die Mutter nach dem
Träumen in der Frühe gegessen hatte. Nun kehrt er gegen das Geisterland
sein Gesicht."
Den Ipurina -In dianern ist das Harpuniren der Flussrochen ver-
boten, weil der Genuss ihres Fettes Blindheit verursachen soll.
Aber nicht nur als vorbeugende Maassregel, sondern auch in den Fällen
von wirklicher Erkrankung treten uns diätetische Vorschriften mehrfach
entgegen. Bei einer antisyphilitischen Cur ist es den Marokkanern vor-
geschrieben, das "Wasser nur in abgekochtem Zustande zu geniessen. Auch
die Dacota-In dianer halten bei Krankheiten das Wassertrinken für schäd-
lich, weil es Galle erzeuge. Ihre Patienten dürfen nur bestimmte medica-
mentöse Tränke, die schleimig, bitter oder adstringirend sind, zu sich nehmen,
um ihren Durst zu stillen. Die Chippeway verbieten das Wasser, wenn
eine Wolfsmilchart (Euphorbia corollata) als Abführmittel verordnet ist.
Eine Reihe von Todesfällen werden auf die Uebertretung dieses Verbotes
geschoben. Den Australnegern in Victoria verbieten ihre Medicin-
154 IX. Verhaltungsvorschriften für den Kranken.
prämier, wenn sie au Fieber leiden, animalische Kost. Die Indianer von
Honduras setzen ihre Kranken auf eine strenge Diät, welche hauptsäch-
lich aus Iguana-Brühe bestehen soll. Die Neu-Mexicaner unterziehen
sich bei Hautkrankheiten einer Hungercur. Die Dacota-Tii dianer stopfen
ihre Patienten mit Fleisch und starken 8u])pen.
..Nach der Ansicht der chinesischen Aerzte, schreibt Bastian, rühren
fast alle Krankheiten, mehr oder weniger direct, von Flatulenz her, weshalb
die Ja-Lom genannten Medicinen vielfach gebraucht werden, um als Carmi-
native die Winde (Lom) abzutreiben. Hühner und Orangen Averden von
den Siamesen unter diejenigen Dinge gerechnet, die Salong sind, d. h.
dem Kranken schädlich und deshalb von ihm zu vermeiden. Andere Ess-
sachen müssen dagegen bis zum letzten Augenblick eingestopft werden, um
Leib und Seele zusammenzuhalten.'-
Die Eingeborenen der Inseln Leti, Moa und Lakor haben bei der
Kolik Fleisch, Fische, Zucker und spanischen Pfeffer zu meiden. Den
Watubela-Insulanern ist bei dem Aussatz den Octopus (Tintenfisch) zu
essen verboten. Die Pockenkranken in Mittel- Sumatra dürfen nichts
Saures und keinen Pfeöer geniessen, und bei den Annamiten dürfen sie
zur Zeit der Abschuppung keine schuppentragenden Fische essen. Dafür
isst man, um die zurückbleibenden rotlien Flecke schnell zu vertreiben, Krebse
und Krabben. Auch Nudeln dürfen pockenkranke Annamiten nicht essen,
wegen der Aehnlichkeit derselben mit Würmern. Sie fürchten, dass diese
in die durch die Krankheit erweichten inneren Organe in die Leber und
die Lungen eindringen und so den Tod veriu'sachen könnten.
Ein wichtiger Gesprächsstoff bei gemeinsamen Mahlzeiten, sowie ein
Hauptgegeustand der Erörterung bei ärztlichen Consultationen bildet auch
in Persien die Diät. Namentlich sind es Reissuppeu mit den verschieden-
artigsten Zusätzen, welche an dem Abführtage oder in der Reconvalescenz
dem Patienten zu verordnen sind. ..Auf die passende Wahl dieser Ingre-
dienzien, sagt Polalc. Granatäpfelkörner, Pflaumen, Oxymel, Orangen-, Li-
monen- und saurer Traubensaft, Essig, Dill, Linsen, Wicken, saure Milch,
Knoblauch, Tamarinden, Chamillen, Küi'bis u. s. w, wird grosses Gewicht
gelegt, da man jedem einzelnen sowohl, als den verschiedenen Mischungen
eine specielle Wirkung zuschreibt."
73. Sonstiges Verhalten.
Es sind aber auch noch fernere Vorschriften, welche, abgesehen von
der leiblichen Ernährung, den Kranken von ihren Medicin-Männern gemacht
werden. Eine solche treffen wir z. B. bei den Annamiten und wiederum
während der Pocken an. Der Reconvalescent darf nicht barfuss gehen, aus
Furcht, auf Hühnermist zu treten; denn das würde unfehlbar einen Rück-
fall zur Folge haben. Diese und die vorher erwähnte Vorsicht, d. h. die
Vermeidung des Nudelessens, müssen möglichst lange l)eobachtet werden,
mindestens aber während dreier Monate und zehn Tage.
Die Walla-Walla-Indianer in Nord-Amerika weisen ihre Eecon-
valescenten an, täglich mehrere Stunden zu singen. Ob hier che Absicht
vorliegt, die Lunge und die Brustmuskeln zu üben, oder ob es sich allein
72. Sonstiges Verhalte<n. 155
um Beschwörungsgesänge oder Dankeslieder handelt, darüber ist uns nichts
Näheres bekannt. Wenn die Samoaner glauben, dass die Le Sa (das
heilige Wesen) genannte Gottheit in einem Krankheitsfalle versöhnt werden
müsse, so rodet der Kranke als Sühne ein Stück Waldland aus, was
sicherlich für mancherlei Yerdauungsbeschwerden eine unfehlbare Hülfe
schaffen muss.
Das Schlafen des Kranken wird unter Umständen für schadenbringend
angesehen. So Hess eine Indianer-Frau vom Leech Lake, um ihi^en
schwer erkrankten zehnjährigen Sohn wiederherstellen zu lassen, zehn Medicin-
Männer herbeirufen, damit sie den Medicin-Gesang sängen. Jeder musste
;«vier Gesänge anstimmen, und während dieser ganzen Zeit durfte das arme,
kranke Kind nicht schlafen. Die Nieder-Californier wiederholen bei
ihren Schwerkranken zu Haus die Manipulationen, welche sie den Medicin-
Mann haben vemchten sehen. Versucht der Patient aber einzuschlummern,
so halten sie das für den herannahenden Tod, und sie wecken ihn dann
durch Stösse und Püffe, die sie gegen seinen Kopf und seinen Körper aus-
führen, in der Absicht, ihm das Leben nicht entfliehen zu lassen.
Ganz besonders vorsichtig muss sich nach einem in Marokko herr-
schenden Glauben derjenige halten, welchem die Syphilis vertrieben werden
soll. Er muss allein in seinem Zimmer bleiben und darf durch Nichts be-
lästigt und von keinem Gläubiger behelligt und bedrängt werden. In
letzterer Beziehung schützen ihn die Gerichte. Aber auch in geschlecht-
licher Beziehung muss er jegliche Aufregung meiden; nur eine alte Frau
oder ein männlicher Verwandter darf, um ihn zu bedienen, sein Zimmer
betreten. Ist dem Kranken dennoch eine Aufregung nicht erspart geblieben,
so muss man ihn mit Rosmarin durchräuchern, um den Schaden wieder
gut zu machen.
Einer besonderen Maassnahme haben wir noch zu gedenken, welcher
wir auf den Watubela-Inseln begegnen. Wenn hier ein Säugling von
Krankheit befallen wird, so ist die Mutter verpflichtet, die ihm verordneten
Medicamente einzunehmen, damit sie dem Kinde durch die Muttermilch
zugeführt werden.
X.
Die übernatürliche Diagnose
73. Laien diagiiosticiren die Kranklieit.
Phantastisch, wie ihre Auffassung der Krankheit, sind bei den Natur-
völkern auch vielfach die ärztlichen Behandlungsmethoden. Ist die Gott-
heit erzürnt, oder ein Gebot üliertreteu, so ist es die Sache des Medicin-
Mannes, zu bestimmen, durch welche Opfer man ihren Zorn zu besänftigen
und die begangene Sünde zu sühnen vermag. Hat ein Dämon sich des
Kranken l)emächtigt, so muss er verjagt und vertrieben, oder gütlichst über-
redet oder durch Ueberlistung veranlasst werden, die neubezogene Wohnung
wieder zu verlassen. Die entflohene Seele, den entführten Schatten, das
geraubte Nierenfett u. s. w. muss man dem Räuber abjagen und in den
KörjDer des Kranken wiederum zurückbringen, eine liöswillige Bezauljerung
muss man dm-ch kräftigen Gegenzau])er brechen. Ist die Krankheit ein
Fremdkörper oder ein in den Leib des Patienten hineingezaubertes Thier,
so ist es die Aufgabe des Arztes, diese Dinge wieder herauszubefördern.
Hiermit wird bisweilen gleichzeitig auch der Versuch zu verbinden sein, die
Letzteren irgendwo festzubannen, sie zu vernichten und auf immer unschäd-
lich zu machen.
In manchen Fällen ist bei diesen Maassnahmen der Medicin-Mann mit
dem Kranken allein; in der Regel aber sind die Yerwandten und Freunde
zugegen, und zuweilen sogar wird die Krankenbehandlung zu einer grossen
öffentlichen Schaustellung, zu einer rituellen Ceremonie, zu einem „Medicin-
Tanze", wozu nicht nur die Gaugenossen sich einfinden, sondern von weit
und l)reit viel Volks zusammenströmt.
AVir können es der Vollständigkeit wegen nicht unterlassen, hier einige
Beispiele solcher übernatürlicher Heilversuche folgen zu lassen; denn hier
und da sind ihnen Manipulationen beigemischt, welche auch in dem Heil-
mittelschatze der Culturvölker allmählich sich eine vollberechtigte Stellung
erworben haben. Dahin gehört die kräftige Massage, nebst der Hypnose
und der Suggestion.
Soll die ärztliche Behandlung von einem günstigen Erfolge gekrönt
sein, so kommt es natürlicher AVeise vor Allem darauf au, zuvor die richtige
Diagnose zu stellen, sich über die Aetiologie der Krankheit, über ihi-e Ent-
stehungsursache ein klares Bild zu machen, denn hiervon hängt ja doch
ganz wesentlich die Wahl der richtigen Methode der Behandlung ab. Um
diesen Zweck nun sicher zu erreichen, werden von den Naturvölkern ver-
schiedenartige Wege eingeschlagen.
160 X. Die überuatürliclie Diagnose.
Fast inüsste es als überflüssig ersclieinen, wenn wir hier noch zuvor
auf die Erörterung der Frage eingehen, wer denn nun eigentlich diese
Diagnose stellt und ihr entsprechend die Behandlungsmethode auswählt.
Man sollte meinen, dass dieses stets das Amt und Vorrecht des Medicin-
Mannes sei. Für die Mehrzahl der Fälle trifft das nun allerdings auch zu.
wir begegnen aber auch einigen interessanten Ausnahmen von dieser Regel.
Wenn bei den Indianern in Central -Mexico Jemand erkrankt,
so kommen seine Freunde und Verwandten bei ihm zusammen, um über
die Xatur seines Leidens und über die dagegen einzuschlagende Curmethode
eine Berathung abzuhalten. Auch bei den Navajo von Arizona finden
wir etwas ganz Aelmliches. "Wenn hier ein Kranker es für wünschens-
werth hält, dass zu seiner Wiederherstellung ein grosser Mediciu-Tanz al)-
gehalten werde, so ist es auch nicht der Medicin-Mann, der die für diesen
Krankheitsfall geeignete Art des Mediciu-Tanzes bestimmt, sondern die
Freunde und Verwandten des Erkrankten stellen fest, welcher von den ver-
schiedenen Medicin-Täuzen für diese Krankheit von dem Medicin-Manne
inscenirt w^erdeu soll. Das klingt nun sehr absonderlich, und dennoch müssen
wir uns fragen, kommt denn bei uns in Europa gar nichts Derartiges vor?
Sehen wir denn nicht bei unserem Landvolke im Grunde genommen ganz
das Gleiche? Ist es denn nicht auch hier der hohe Familienrath und zwar
vorzugsweise der weibliche Theil desselben, welcher sich um das Kranken-
bett versammelt und auf das Eingehendste deliberirt und erörtert, w^o der
Patient die Krankheit her hat, „wovon es sich angesponnen hat" und wen
von dem grossen Heilpersonale man nun herbeiholen müsse, den Ej'äuter-
mann, den Besprecher, den Gliedersetzer oder die Streichfi^au, oder vielleicht
gar den Pater Kapuziner, um „das böse Wesen" zu vertreiben?
Bei den Samoanern hatten wir schon gesehen, dass es der Priester
ist, welcher den Grund der Krankheit angiebt. Er bestimmt aber zugleich
auch die Opfergaben, welche dem Patienten die Heilung verschaffen werden.
Aber auch wenn bei den Naturvölkern sofort der Medicin-Mann herbei-
gerufen wird, bedarf er doch bisweilen noch einer besonderen Mittelsperson
behufs Entscheidung der Diagnose. Bei den von Serpa Pinto besuchten
Ganguella-Negern am Zambesi wendet man sich zu diesem Zweck zu-
vor erst an den Wahrsager, und nach dessen Ausspruch richtet dann der
Medicin-Mann seinen Heilplan ein. In Buru muss der Arzt ein Weib erst
in einen hypnotischen Zustand versetzen, in welchem sie dann die wahre
Ursache der Erkrankung zu erkennen vermag. Auch der Medicin-Mann
der Annamiten bedarf für die Stellung der Diagnose einer besonderen
Mittelsperson. Es ist das der sogenannte Ngoi kinh, sein ständiger Ge-
hülfe. Auch diesem scheint ein hypnotischer Zustand die Fähigkeit des
Hellsehens zu verleihen. Man setzt ihn hinter einen Banibusschirm, Avelcher
dann dicht mit Decken umhüllt wird. Ein Opfer wird für den Ngöi kinh
dargebracht und darauf zeigt man ihm ausserhalb der Umhüllung irgend
einen Gegenstand, welchen er nun erkennen muss, um dadurch zu prüfen,
ob er nun hellsehend geworden ist. Er spricht in seinem Käfig ein Gebet
und er sieht dann eine leuchtende Klarheit vor seinen Augen niedersteigen,
welche ihn den vorgehaltenen Gegenstand deutlich erkennen lässt. Nun
schreitet der Thäy phäp zur Ceremonie. Unter körperlichen Verrenkungen
lässt er seine Anrufungen erschallen, und nach einiger Zeit erblickt dann.
I
74. Der Medicin-Mann stellt die Diagnose. 161
■wenn die Beschwörungen erfolgreich sind, das Medium einen Schatten,
■welcher von dem Opfer isst. Dieses theilt er nun dem Medicin-Manne und
den an^wesenden Zuschauern mit, denn dieser Schatten ist der Dämon,
welcher die Krankheit verursacht hat. Nun ist der Thäy phai) orientirt
und seine Sache ist es jetzt, mit diesem Dämon fertig zu werden.
Bei den Loango-Negern lässt man nach Bastian in Krankheitsfällen
einen im Prophezeien geschickten Ganga rufen, der sich bei Anbruch der
Dunkelheit vor einem Feuer in Extase versetzt und dann gegen Mitternacht
bewusstlos niederfällt. Bei der Rückkehr zum Leben bestimmt er dann, ob
es ein Endoxe (Zauberer) gewesen, der die Krankheit verursacht, ob ein
Bruch der Quixilles (der ' Speiseverbote) oder ob ein Fetisch der Urheber
sei. Im letzteren Falle miisste dann der Ganga, der für diesen Fall
Specialarzt ist und den die Krankheit heilenden Fetisch besitzt, aufgesucht
werden, „damit er durch entsprechende Ceremonien den beleidigten Dämon
Avieder besänftigt". Dazu niuss dieser letztere Ganga dann erst „von seinem
Fetische in Besessenheit ergriffen werden; und ist dann der Geist zur Be-
geisterung in sein Haupt eingetreten, so spricht dieser aus ihm und ver-
kündet die Heilmittel für den Kranken, die von den Umstehenden auf-
notirt und vor dem zum Bewusstsein zurückgekehrten Ganga, der sich
nach dem Verlassen des Fetischs an Nichts von dem vorher Gesprochenen
erinnert, wiederholt werden".
In einem Tlieile von Samoa wendet sich, wie Turner Ijerichtet, der
Kranke selber direct an die Gottheit:
..Le Sa war au einem Platze eine Hausgottheit und war als ein Tausend-
fuss incarnirt. Wenn irgend Jemand von solchem Thiere gebissen wird
oder anderweitig krank ist, so wird ein Opfer, bestehend aus einer feinen
Matte und einem Fächer dargebracht und der Gott mit folgenden Worten
angeredet:
Herr! Wenn Du erzürnt bist,
Sag' uns den Grund
Und sende Heilung."
Leider wird uns keine Andeutung gegeben, in welcher Weise die Gott-
heit antwortet.
74. Der Medicin-Mann stellt die Diagnose.
Wenn der Medicin-Mann die Diagnose der Erkrankung zu stellen hat,
so bedarf er zu diesem Zwecke bisweilen gewisser zauberkräftiger Maass-
nalimen. Er muss eine Art von Orakel l)efragen, was in verschiedener
AVeise ausgeführt wird. Bevor er die Diagnose stellt, unterwirft der Medicin-
Mann den Patienten bei manchen Stämmen einem Krankenexamen; so
bei den Australnegern in Victoria, bei den alten Maya-Völkern und
bei den Indianern des nordwestlichen Canada. Bei diesen amerika-
nischen Völkern handelt es sich aber im Wesentlichen bloss um ein
Sündenbekenntniss. welches der Medicin-Mann aus dem armen Kranken
herausexaminirt.
Bei den Maya warf darauf der Medicin-^Nfann Loose, um daraus zu
ersehen, welche Opfer für die Wiederherstellung des Erkrankten dargeljraclit
Bartels, Medicin der Naturvölker. 11
102
X. Die übernatürliche Diairnose.
Avenk'u inüssteii. Solch einen Looszanber, um die Ursache der Krankheit
ausfindig zu machen, wenden audi die Medicin-Männer im Seranglao- und
im Ct (»roiig-Arcliipel an. Sie benutzen dazu bestimmte Körner, deren
gerade oder ungerade Anzahl nach dem AVurte die betrefi:'ende
Entscheidung fällt. Auch sonst sind gerade die östlichen Insel-
gruppen des malayischen Archipels das bevorzugte Gebiet
für dieses Diagnosen-Orakel. Genauere Beschreibungen des-
selben liegen nicht vor. Wir erfahren nur. dass man auf
Keisar. auf Romang, Dama, Teun, Nila und Serua für
V «I diesen Zweck ein Ei benutzt; aufEetar und im Seranglao-
\1 und im Goroug- Archipel wird eine entzwei gespaltene Ka-
\b lapa-Nuss um Rath gefragt. Auf Ambou und den Uliase-
Inseln herrscht eine gewisse Auswahl in diesen Orakeln.
Entweder wird die Diagnose mit Hülfe der Durchschneidung
einer Z^viebel oder einer Gemberwurzel gestellt, oder es wird
geraspelte Kalapa-Nuss in bestimmter Weise ausgestreut oder
eine Art von Wasserzauber in Anwendung gezogen. Auf der
Insel Flores nimmt man einen besonderen Bambuszweig mit
daran befindlichen Opfergaben (Fig. 64), den man in's Feuer
hält, um zu sehen, ob ein Geist die Krankheit verursacht hat.
Letzteres wird als erwiesen betrachtet, wenn der Bambus-
zweig im Feuer einen krachenden Ton hören lässt.
Die alten Mexicaner benutzten einen Krystall oder
einen durchsichtigen Stein, um mit seiner Hülfe die Ursache
der Erkrankung zu erforschen.
Der Thäy ngäi der Annamiten, auch eine Art ihrer
Medicin-lMänner, stellt die Diagnose nach den Bewegungen
eines weissen Holzstückes, das er unter Beschwörungen in ein
Gefäss mit Wasser geworfen hat, oder er betrachtet ein Licht
durch die Zwischenräume seiner Finger. Er hat aber auch
noch eine andere Methode der Diagnosenstellung, welche darin
besteht, dass er dem Patienten mehrere Tage hinter einander
ein Brechmittel verordnet. Tritt nach diesem Erbrechen ein^
dann ist es eine gewöhnliche Krankheit, welche mit Medi-
camenten behandelt werden muss. Aber wenn das Brechmittel seine
Wirkung verfehlt, so ist die Krankheit durch Zauberkraft bedingt und es
muss zu Beschwörungen geschritten werden.
Fig. 64. Batu-
buszweig mit
Opfergaben;
zur Diagnose
der Krankhei-
ten. Flores.
Mus.f.Völkerk,,
Berlin. Nach
Photographie.
75. Die Diagnose wird yoii Greistern gestellt.
Aber auch noch schwierigeren Aufgaben müssen die Medicin-Männer
sich unterziehen, um die Diagnose der Krankheit sicher zu stellen. Sie
Ijedürfen dazu der Hülfe der Geisterwelt, mit welcher sie sich zu diesem
Zweck in Verbindung setzen müssen. In Nias begiebt sich dann der
Medicin-Mann allein in den Wald. Hier sucht er mit lautem Geschrei
den Bela, den ihn beschützenden Geist, und lässt sich von ihm einen an-
deren Geist nennen, welcher in der betreffenden Krankheit als Helfer auf-
zutreten geeignet ist. Wenn der Bela ihm nicht behülflich ist, den richtigen
75. Die Diagnose wird von Geistern o-estellt.
163
Hülfsgeist auszuspüreu , dann kann seine ärztliche Behandlung auch nicht
von Erfolg begleitet sein. x4.uf den Luang- und Sermata-Inseln sammelt
der Medicin-Mauu die bösen Geister vor seinem Hause und fordert sie auf,
ilim bekannt zu machen, was die Ursache der Krankheit ist. Hat einer
der Dämonen ihm dieses verkündet, so werden ihm Rinder. Ziegen oder
»Schweine geopfert. Die übrigen bösen Geister aber jagt der Medicin-Mann
durch das Aussprechen von Beschwörungsformeln von dannen. Solche Be-
rathungen mit den Dämonen finden a])er manchmal auch im Beisein der
Kranken oder ihrer für sie um Hülfe bittenden Angehörigen statt. Der
Medicin-Mann der Minangkabauer in Sumatra tritt zu diesem Zwecke
bisweilen hinter einen Vorhang und gebietet dem Krauken und seiner Um-
gebung, das allerstrengste Stillschweigen zu beobachten. Nach einigen
Fig. 65. Consultation des Medicin-Mannes der Sioux- In dianer,
in dessen Medicin-Hütte die Manidos fliegen.
Nach Schoolcraft.
^Minuten erscheinen dem Ai'zte hinter dem Vorhange ein oder mehrere ihm
befi-eundete Geister und man hört ihn nun, wie er diese über das Wesen
der Krankheit um Rath beft-agt und über die Heilmittel, welche er an-
wenden soll. Bald darauf kommt er hervor, erzählt dem Kranken die Ur-
sache seiner Erkrankung und überreicht ihm die nöthigen Medicamente,
nachdem er dieselben bespieen und einen Zaubersegen über sie gesprochen hat.
Das Aufsuchen der Kraükheit durch die Vermittelung von Hülfsgeisteru
hat aber wohl unstreitig seine bedeutungsvollste Ausbildung bei den In-
dianern Nord-Amerikas gefunden, bei den Sioux, den Creek. den
Chippeway, den Winnebagos und den Klamath. Der Vorgang ist
psychologisch nicht vollkommen zu versteh(m. aber wir dürfen bei den Natur-
völkern auch nicht l)ei allen ihren Begriffen' eine gar zu scharfe Lcjgik er-
11*
104 X. Die ül)ernatürliche Diagnose.
warten. Der Patient ist krank, und doch ist ihm die Krankheit fern. Denn
die helfenden Geister, meistens in Thierifestalt, die sogenannten Manidos.
müssen sie suchen in aller AVeit, im K(>ld. im Walde, in den Lüften, im
AV asser und selbst unter der Erde und über den AV^olken. Und dennoch
wird die Krankheit direct aus dem Körper des Leidenden ausgetrieben,
verjagt, oder in anderer A\^eise entfernt und fortgenonnnon.
Uns liegt die Beschreibung solch einer Aufsuihung der Krankheit von
den Sioux-Indianern am Leech Lake vor (Fig. 65).
Acht oben noch belaubte Pfosten, 12 — 20 Fuss hoch, wurden senkrecht
in die Erde ge])fianzt und mit Häuten dicht umkleidet, so dass eine enge,
an einen Schanzkorb erinnernde Hütte entstand. An das Tjaub oben hing
man die Opfergabeu. Au Händen und Füssen gebunden wurde der Medicin-
Mann, der J^s'sakkid, hier hineingeschoben. Neben dem Bau nehmen
die Alusikanten Platz, d. h. die Trommler und die Rassler. Ihnen und der
Hütte gegenül)er sitzen die um Rath fragenden Angehörigen des Kranken
und die Zuschauer. Der Patient selber ist ruhig zu Hause gebheben, häufig
in einem ganz anderen Lager. Der Medicin-Mann fordert aus seiner Hütte
von seinem Gehülfen die Pfeife und ruft ihm zu:
„Lade ein!"
Dieser ruft dann gegen Norden:
„Eule, Du bist eingeladen, zu rauchen!"
Der Chorus des A^olkes bestätigt dieses. So wird in gleicher AVeise
von Osten der Meuabazh (die Schildkröte?), von AVesten der Donner,
von Süden der Schmetterling eingeladen. Nach diesen Einladungen
herrscht Schweigen im Volke. „Sie blicken in die Luft, um zu sehen, ob
die Geister kommen. Der Medicin-Mann singt, die Musikanten stimmen
mit ein, die Hütte erzittert; ein Getöse entsteht. Es sind die Geister.
t welche aus den vier Richtungen des Horizontes kommen; ihrer sind acht,
eine heilige Zahl." A^oran ist die Schildkröte, welche auch gleichsam
den Sprecher für die anderen Geister abgiebt. Jedesmal wenn ein Manido
anlangt, w^ird ein schwerer Schlag gehört, als wenn ein schwerer Gegenstand
zur Erde fiele, und die Hütte wird dadurch heftig erschüttert (Fig. 6G).
Hat der Medicin-Mann alle Manidos versammelt, über welche er zu ge-
bieten vermag, so kann er sie aussenden in die entferntesten Tlieile der
Erde und im Augenblick sind sie zurück und müssen ihm Rede und Ant-
wort stehen. Er tritt mit seinen Manidos in eine Berathung ein; man
hört in der Hütte sprechen. Es herrscht eine grosse Ordnung in der
Discussion, die Geister sprechen nur Einer nach dem Anderen, aber ein
Jeder mit anderer Stimme. Der Indianer, welcher sich Raths erholen
wollte, wendete sich mit seiner Frage an die Schildkröte direct. Diese ant-
wortete aber nicht, und als der Medicin-Mann nach der Ursache hiervon
gefragt w^urde, gab er an, dass die Opfergabe zu gering sei. Darauf erbot
sich der Fragesteller, noch einigen Tabak und Cattun zu geben. Aber noch
immer blieb die Schildkröte stumm. Auf erneutes Befragen, warum sie
nicht sprechen wolle, rief sie endlich:
„Gut denn, alter Knauser, Du musst noch etwas Zucker hinzufügen;
nur dann spreche ich!"
75. Die Diagnose wird von Geistern gestellt.
165
Diese Vorschrift wird erfüllt, man hört die Geister unterhandeln und
endlich, nachdem die Geister hpi und her geflogen, giebt die Schildkröte
Bescheid, was die Ursache der Krankheit sei, und wie man ihr begegnen
müsse.
Bei den Klamath-Indianern in Oregon werden für ähnliche Zwecke
eine grosse Anzahl von Beschwörungsgesängen gebraucht, welche der Medicin-
Mann mit tiefer Stimme vorträgt und manche derselben endlos wiederholt.
Bisweilen singen auch die Anwesenden den einen oder den anderen Be-
schwörungsgesang mit. Der Text des Gesanges ist immer so abgefasst,
als wenn der Manido selber ihn sänge, und er drückt im Allgemeinen
aus, was der Manido verrichtet, um die Krankheit aufzusuchen. Das ist
nun fast immer dem Wesen und den
Lebensgewohnheiten desjenigen Thieres
angepasst, dessen übernatürliches Ab-
l)ild durch den betreffenden Manido
dargestellt wird.
Es mögen aus Gatchefs Zusammen-
stellung hier einige wenige Beispiele
folgen.
Die schwarze Maus singt:
.,Ueber was gehe ich mit meinen
Pfoten?
Meine Pfoten schleichen über das
Haar von der Krankheit."
Der Fischfalke singt:
„Hoch oben in den Wolken fliege
ich und ziehe meine Kreise.
Durch die hellen Wolken trage ich
meine Beute."
Der
lautet:
Gesang des Stinkthiers
Fig. 66. Die Manidos, in die Medicin-Hütte
fliegend, nach der Zeichnung auf einem Musik-
brett der Mide der Chippeway-Indianer.
Nach Hoffman.
„Im Nordwinde tanze ich umher, den Schwanz ausgebreitet, festlich und
fröhlich."
Der Holzspecht lässt sich folgendermaassen hören:
„Der Holzspecht bin ich, haftend fest,
Aufwärts blickend hafte ich am Baumstumpf;
Der Holzspecht bin ich, haftend fest,
Abwärts blicke ich und halte mich selbst."
Der Otter, einer der wichtigsten Manidos, wird folgender Gesang in
den Mund gelegt:
„Der Otter Sprössling, ich tauche in's Wasser,
Wenn ich verschlungen werde von ihm, leuchtet der Grund auf.
Die Erde wird gerüttelt in ihren Gnandfesten. "
166 X. Die übernatürliche Diagnose.
Der Sinn des Gesanges ist nach Gatchet folgender:
„Das Thier hat die Krankheit im Wasser aufgefunden und verfolgt sie
von dort aus bis auf das Ufer. Hier setzt sie das Ufer in Brand und der
Boden wankt unter ihren verheerenden Tritten."
Es ist ja eben die Krankheit, wie bereits oben gesagt, welche die
Manidos ausstöbern und verfolgen, und dass diesell)e fern vom Patienten
ihren Aufenthalt hat, das zeigt ausser dem zuletzt citirten auch der Be-
schwörungsgesang, welcher der Krankheit selber in den Mund gelegt
wird. Er lautet:
„Von Krankheit bin ich hingestreckt,
Ich bin oben in den lichten Wolken."
Jedoch singt die Lerche:
„Die von mir gebrachte, der Lerche, gebrachte Krankheit
Breitet sich überall aus.''
Und die körperlichen Schmerzen singen:
„Ich, die Schmerzhaftigkeit, bin über sie gekommen."
So hat doch also wiederum die Krankheit sich zu dem Menschen
hinbegeben. Wie wir schon oben gesagt haben, die Logik ist nicht bis
in die Einzelheiten durchgeführt.
In Ann am wird zuweilen dem Kranken unter BescliM'örungen und
gewissen feierlichen Maassuahmeu an jeden Finger der linken Hand ein
Papierstreifen angebunden, auf welchem je eine der fünf Dämonengruppen
aufgeschrieben ist. Der Finger, welcher während der Beschwörung zuerst
sich beugt, zeigt die Dämonengruppe an. welcher der krankmachende böse
Geist angehört.
Bisweilen muss der böse Geist sich selber aus dem Körper des Patienten
heraus zu erkennen geben, z. B. in Laos und bei den Annamiten. L^m
ihn hierzu zu zwingen, umbindet der Zauberarzt mit sieben BaumwoUen-
fäden die Daumen und die grossen Zehen des Patienten, spricht seine Be-
schAVÖrungsformeln und tastet mit seinen Fingern drückend den Körper des
Kranken ab, um den Sitz des bösen Geistes ausfindig zu machen. Hat er
die richtige Stelle gefunden, dann bringt er den Dämon zum Schreien, der
nun dui'ch des Patienten Mund auf des Medicin- Mannes Befragen den
Namen desjenigen Zauberers entdeckt, der die Krankheit veranlasst hat.
sowie die näheren Umstände der Bezauberung. Nach gegebener Auskunft
fliegt der Dämon von dannen. Auch in Ann am "w-ird der Dämon nicht
selten vom Thäy-phäp veranlasst, durch den Mund des Krauken Rede
zu stehen, und einer dieser Thäy-phäp in Cholou lässt, anstatt den
Körper des Patienten abzutasten, auf ihm zwei Holzkugeln rollen; wenn
die den Sitz des Dämons berühren, so muss der Letztere sich zu erkennen
geben.
ii). Prognose und Semiotik. 1G7
76. Prognose und Semiotik.
"Wenn mm die Ursache und die Diagnose der Erkrankung glücklich
herausgefunden ist. und wenn der Medicin-Mann den geeigneten Curplan
festgestellt hat, so muss es natürlicher Weise auch noch ein ganz be-
rechtigtes Interesse darbieten, ülier den voraussichtlichen Verlauf der Krank-
heit und über den Erfolg der angeordneten Behandlung etwas Genaueres
zu erfahren. Dass hier nicht minder abergläubische Maassnahmen im Spiele
sind, als bei dem Stellen der Diagnose, das wird uns kaum überraschen
können. Aber bisweilen stossen wir auch auf eine prognostische Angabe
oder auf ein Signum pathognomonicum , denen schon unzweifelhaft ganz
richtige klinische Beobachtungen zu Grunde liegen. Zu diesen Letzteren
haben wir wohl gCAvisse Angaben der Eingeborenen von der Insel Nias zu
rechnen, welche sich über die Prognose der sie plötzlich liefallenden Fieber
die folgenden Ansichten gebildet haben. „Sie glauben, dass sie mehr den
Anfcällen ausgesetzt sind, wenn sie allein in der Pflanzung arbeiten, oder
wenn sie einen langen Weg zu machen haben, oder wenn es regnet und
zu gleicher Zeit die Sonne scheint, oder wenn der Regenbogen erscheint.
Avelchen sie für ein grosses Netz halten, das von den mächtigsten Geistern
ausgespannt wird, um sich der Menschen zu bemächtigen." Danach richtet
sich nun auch die Therapie: ,.Wenn die Anfälle, welche sie packen, leichte
sind, so kann es nützlich sein, den Kranken mit Speichel von denen, die
Sirih gekaut haben, einzureiben, während man gleichzeitig dem Ada Tdba-
gösa ein Opfer von Hühnern und Ferkeln darbringt. Wenn sich aber zu
dem Fieber Delirien gesellen, dann binden sie die vier Füsse eines Schweines
fest zusammen, hängen es an einen zwischen den Pfoten durchgeführten
Stock auf, und nachdem sie es verschiedene Male geschaukelt haben, opfern
sie es dem Adü Fangöla mbechu.^'
Wenn in Siam Jemand am Fieber erkrankt ist, so wird nach Bastian
der Chao, der oberste der Teufel, beschworen „und gefragt, welchen Verlauf
die Krankheit nehmen werde. Zuweilen wird geantwortet, die Krankheit
hat Heilung zu erwarten; zu anderen Zeiten heisst es, die Krankheit wird
zum Theil geheilt werden, aber nicht ganz vorbeigehen."
Auf Samoa wird an einer Stelle der Leatualoa verehrt, der lange
Gott oder der Tausendfuss. „Ein Baum bei dem Hause war die Residenz
dieses Geschöpfes. Wenn irgend Jemand von der Familie krank war, so
ging er mit einer feinen Matte zu dem Baume und breitete sie unter dem-
selben aus, und hier wartete er bis der Tausendfuss hervorkam. Kommt
dieser hervor und kriecht unter die Matte, so ist das ein Zeichen, dass
der Kranke mit Matten bedeckt und begraben werden wird; wenn er aber
oben auf die Matte kriecht, so bedeutet das die Wiederherstellung des
Patienten."
Von den Papua der Geelvinkbai in Neu-Guinea erzählt uns
V. Hasselt, dass sie ihre Ahnentiguren benutzen, um die Prognose der Krank-
heit zu stellen: ..Jede Familie hat ihren besonderen Korwar (Ahnenfigur),
eine nach dem Muster des Mon (des Götterbildes) geschnitzte, aber wesent-
lich kleinere Figur, bei welcher gewöhnlich Schamlosigkeiten vermieden
werden. Ein solcher Kor war bildet das Medium, durch welches der Geist
168 X. Die übernatürliche Diagnose.
eines Abgescliiedeuen mit seinen Hinterbliebenen in Verbindung stellt. Der
Papua nennt dalier ein solelies IJild aueli „Vater'' oder „Mutter'' und identiti-
eirt es mit dem lietreffenden Todten. Die Figur wird mit bunten La])pen
geschmückt; mau bietet ihr Tabak an und verrichtet vor ihr den Seml)ak,
eine Grussform, bei welcher der Papua sich zur Erde neigt und die fest-
geschlossenen Hände an die Stirn i)resst."
..Der Hausvater oder irgend ein Zauberer nimmt naeli der eben er-
wähnten Ehrenbezeigung die Figur in die Hand, redet sie an und er-
kundigt sich, ob man bei dem. was man vor hat, z. B. liei einer Eeise oder
einem Trepang- und Schildkrötenfang. Glück oder Unglück haben Avird,
ob ein krankes Faniilienglied genesen wird u. s. w. Antwortet der Kor-
war nicht, dann ist Alles in Ordnung; spricht er dagegen, d. h. kommt es
dem Fi-agenden vor, als ob die Figur sich bewege, so sieht die Sache be-
denklich aus."
„Besonders in Krankheitsfällen wird derselbe Üeissig zu Rathe gezogen,
Einst fand ich beim Besuche einer schwerkranken Frau am Kopfende ihres
Lagers vier oder fünf Korwars befestigt. Auf meine Fi-agen, ob diese
Alle ihr gehörten, lautete die Antwort: „„Nein, meine Verwandten und
Freunde sind so gut gewesen, mir einige zu borgen."" Ausgediente Kor-
wars aus früheren Zeiten haben ihre Kraft eingebüsst und können verkauft
werden.'^
Finsch sah bei den Gilbert-Insulanern eine Wahrsagerin bei einem
kranken Kinde thätig. Sie legte vier Steinchen in verschiedenen Figuren um
das Lager des Kindes, um danach den Ausgang der Krankheit vorauszusagen.
Auf den Babar -Inseln herrscht, um die Prognose der Krankheit
zu stellen, eine ganz regelrechte Opferschau, welche von dem Medicin-
Manne oder dem Familienvater vorgenommen wird. Eine ganze Eeihe
einzelner Opfergaben wird unter Gebeten auf dem Opferplatze niedergelegt.
Ein Opfertliier, gewöhnlich ein Huhn oder ein Ferkel, wird in ganz be-
sonderer Weise getödtet und auf eine bestimmte Art zerstückelt, und man
ersieht nun aus der Lage der Eingeweide, aus dem Verhalten gewisser
Blutgefässe am Herzen, wie der Verlauf der Krankheit sich gestalten wird.
AVenn z. B. ein Kind am Fieber erkrankt ist, so wird dasselbe gerettet
Averden, wenn das Herz des geopferten Ferkels glatt erscheint; findet mau
aber Knoten am Herzen, dann besteht für das Kind grosse Lebensgefahr.
Die Indianer in Michoacan in dem centralen Mexico haben den
Glauben, dass, wenn sie das Blatt einer bestimmten Pflanze auf eine ge-
schwnirige Stelle des Körpers bringen und dieses an derselben haften bleibt,
dann wird der Kranke sicher genesen; wenn aber das Blatt herunterfällt,
so ist es um sein Leben geschehen. Die alten Maya-Völker sollen mit
Hülfe des Krystalles die Prognose gestellt haben, der ihnen auch schon
für das Herausfinden der Diagnose dienstlich war. AVenn am Congo das
Feuer, an welchem der Medicin-Mann seine Heilceremonien vornimmt,
Funken sprüht, so Avird das als ein günstiges Zeichen angesehen.
Die Eingeborenen von Mittel-Sumatra erfahren zur Zeit einer Pocken-
epidemie durch einen Traum, ob sie der Krankheit verfallen Averden. Wenn
sie im Traume den bösen Geist Ninieq erblicken, der zu ihnen kommt und
ihnen Früchte bietet, so wird die Krankheit sie ergreifen, und an der Art
der Früchte erkennen sie, ob diese Krankheit eine schwere sein Avird.
7G. Prognose und Semiotik. 169
Eine sehr üble Prognose giebt es bei der Pockenerkrankuug eines
Kindes in Annam, wenn man ein unbekanntes Kind erblickt, das in das
Haus zu gelangen sucht. Man niuss das zu verhindern suchen und nie
den Kranken unbeobachtet lassen, auch muss man ihn durch Anmiete u. s. w.
vor dem Eindringen dieses Dämons schützen.
Bei allen Lungenaffectionen ist den Australnegern von Victoria
die semiotische Wichtigkeit des Si^eichels wohlbekannt. Sie beobachten
den Auswurf der Patienten auf das Genaueste und sie widmen dem
Letzteren eine ganz besondere Aufmerksamkeit, wenn sich Blut in dem
Auswurfe zu zeigen beginnt.
Auch hierin haben wir wiederum einen Beweis, wie immer wieder aus
dem Wust phantastischer Begriife vereinzelte gute Naturbeobachtungen
sich Bahn zu brechen vermögen.
XL
Die übernatürliche Kranken
behandlung.
77. Opfer und Oebet.
Wenn diese Vorbereitungen getroffen sind und die eigentliche ärztliche
Behandlung nun beginnen soll, so sehen wir, dass dieselbe in einer grossen
Anzahl von Fällen dui'ch Opfer und Gebete eingeleitet werden muss.
Entweder betet der Medicin-Mann für die erkrankte Person, wie z. B.
in dem Seranglao- und Gorong-Archipel, oder diese betet selber, oder
sie spricht dem Medicin-Manne die von diesem vorgesprochene Gebets-
formel nach. Der "Wortlaut eines solchen Gebetes liegt uns von den
Navajö- In dianern vor. Die Patientin musste folgendes Gebet au den
Berggeist Dsilyi' Neyäni richten:
„Ragender iu den Bergen!
Herr der Berge!
Junger Mann!
Oberhavipt !
Ich habe Dir ein Opfer gebracht!
Ich habe ein Kauchen für Dich bereitet!
Stelle mir meine Beine wieder her!
Stelle mir meinen Körper wieder her!
Stelle mir meinen Geist wieder her!
Stelle mir meine Stimme wieder her!
Stelle all meine Schönheit wieder her!
Mache alles schönheitsvoll vor mir!
Mache alles schönheitsvoll hinter mir!
Mache schönheitsvoll meine Worte !
Es ist vollendet in Schönheit!
Es ist vollendet in Schönheit!
Es ist vollendet in Schönheit!
Es ist vollendet in Schönheit!"
Auch gemeinsame Gebete der ganzen Bevölkerung müssen unter Um-
ständen gesprochen werden, Avenn der Zorn der Gottheit besänftigt werden
soll. Dieses hatte Jacobs einmal auf Bali zu beobachten Gelegenheit.
Es kommt aber auch vor, dass nicht nur in dem Augenblicke der Ge-
fahr die Zuflucht zu den Gebeten genommen wird, sondern dass dieselben
auch vorbeugend im Gebrauche sind, um sich und die Seinen vor Ki'ank-
heit zu bewahren. So haben die Samoaner die Gewohnheit, vor jeghcher
Mahlzeit ein Feuer zu entzünden. Der Aelteste der Familie ruft dann
174
XI. Die übernatürliche Krankenbehandlung.
Irgendemen jiuf, dass er das Feuor anblase, damit es aufflamme; dann bittet
er Alle, stillzuschweigen und spricht darauf laut das folgende Gebet:
„Dieses Licht ist füi' Euch, o König, und Ihr h()heren und niederen
Götter! Wenn einer von Euch vergessen ist, so möge er nicht zürnen; dieses
Licht ist für Euch Alle! Seid dieser Familie gnädig! Gebt Allen Leben
und möge Eure Gegenwart günstig sein. Lasst unsere Kinder gesegnet sein
und sich mehren. Haltet ferne von uns Geldbussen und Krankheiten. Seht
auf unsere Armuth und sendet uns Nahrung zum Essen vind Kleider, um uns
warm zu halten. Treibt fort von uns umherschiifende Götter, damit sie nicht
kommen und Krankheit und Tod verursachen. Schützt die Familie durch
Eure Gegenwart und möge Gesundheit und langes Leben uns Allen be-
schieden sein!"
Aeussere Ansicht. Innere Ansicht.
Fig. 67. u. 68, Schamanen trommel der Burjäten.
Museum für Völkerkunde, 'Berlin. — Nach Photographie.
Bisweilen ist das Opfer allein schon ausreichend, um die glückliche
Wiederherstellung des Ki-anken zu bewirken. Denn durch das Opfer wird
die Sünde gesühnt. Doch muss das Opfer ausreichend sein. Die Gottheit
Nafuana aufSamoa z.B. heilt nur diejenigen, welche feine Matten opfern.
AVer jedoch armselige Opfer bringt, die nur aus geringen Matten bestehen,
dessen Krankheit verlängert sie.
In anderen Fällen aber dient das Opfer nur dazu, dem Krankheits-
dämon für den befallenen Menschen einen anderen Ersatz zu bieten, welchen
er freiwillig als Tauschartikel annimmt, oder der ihn immerhin doch einiger-
maassen zu entschädigen vermag, wenn ihn der Medicin-Mann aus diesem
vertreibt.
Wenn wir die uns zugänglichen Berichte über diese Opfer näher be-
trachten, so finden wir, was uns wohl kaum verwunderlich erscheinen wird,
eine ganze Reihe complicirter Förmlichkeiten. Die Opfergaben müssen aus
besonderen Stoffen zusammengestellt, bisweilen auch noch künstlich gefärbt.
(1. Opfei' und Gebet.
175
vor Allem abei zu bestimmter Zeit und uacli bestimmten Vorschriften dar-
gebracht werden. Es haben aber diese Ritualien im Ganzen doch nur ein
sehr untergeordnetes Interesse für uns und wir können sie daher an dieser
Stelle übergehen. Für uns sind die übernatürlichen Manipulationen bei
Weitem von grösserer Wichtigkeit, welche die Medicin-Männer auszuführen
])flegen, um ihre Patienten von der Krankheit zu befreien.
Ein Gebet, welches die Akkader und die Assyrer an die Sonne
richteten, um Heilung zu erflehen, möge hier noch seine Stelle finden:
„Du leitest in Deinem Lauf das Menschengeschlecht (wörtlich: die Schwarz-
köpfigen),
Lass über ihm leuchten einen heilsamen Strahl, der ihn befreie von seinen
Leiden!
Der Mensch, Sohn seines Got-
tes, hat seine Sünde und
Missethat vor Dir be-
kannt.
Seine Hände und Füsse leiden
grausamen Schmerz, er
wird von der Krank-
heit schrecklich verun-
reinigt.
Sonne! Lass meine erhobe-
nen Hände nicht un-
beachtet!
Geniesse seine Speisen, weise
sein Opfer nicht von
Dir, führe ihm seinen
Gott wieder zu, (auf
dass er eine Stütze ge-
währe) seiner Hand!
Mögen, auf Deinen Befehl,
seine Sünde vergeben,
seine Missethat ver-
gessen sein!"
Fig. 69. Trommel und Trommelstock eines Medicin-
Mannes der Indianer von Portland in Oregon.
Museum f. Völkerkunde, Berlin.
Nach einem Aquarell.
r
Ein Beispiel, dass der blosse Anblick der Gottheit die Kranken heilt,
wird uns von der zu den Ne-u-Hebriden gehörenden Insel Aneiteum
berichtet. Turner erzählt: „Mit anderen Dingen wurde mir 1859 ein alter,
glatter Stock von Eisenholz gebracht, etwas länger und dicker als ein ge-
wöhnlicher Spazierstock. Er hatte seit Alters her in der Familie Eines aus
der Krankheitsmacherzunft gedient, er wurde als die Repräsentation des
(lOttes betrachtet und wurde jedesmal von dem Priester mitgenommen,
wenn er einen Krankheitsfall besuchte. Die Augen des armen Patienten
glänzten bei dem Anblick des Stockes. Alles was der Priester that, war
meistens, dass er vor dem Kranken sass, sich auf diesen heiligen Stock
stützend, ihm eine kurze Rede hielt und ihm sagte, er habe nichts mehr
zu fürchten, und dass er die AViederherstellung erwarten könne."
176
XI. Die übernatürliche Krankenbeliandluni;.
78. Die Trommel als Handwerkszeug des Medicin-Maniies.
Bevor wir aber diese Heilmiiuipulationen einer geuauereu Musterung
unterziehen, müssen wir zuvor nocli das hauptsächlichste Handwerkszeug
der Medicin-Männer kennen lernen, welches sie im Allgemeinen bei diesen
Proceduren nicht entbehren können. Da steht die Trommel obenan, oder
besser gesagt, das Tambourin; denn fast alle die Medicin-Manns-Trommelu,
welche Avir in Sibirien, in Hinterindien und in Amerika finden, sind
Hallitrommeln, nur auf einer Seite mit dem gespannten Leder überzogen.
Ihre Grösse schwankt von der eines Dessert-Tellers bis zu derjenigen eines
kleinen Wagenrades. AVir fin-
den sie mit Fedeini geschmückt
bei den n o r d a m e r i k a n i -
sehen Indianern, na-
mentlich mit denjenigen des
Truthahnes (Fig. 70), welche
sich einer ganz besonderen Hei-
ligkeit erfreuen. Auch allerlei
Klapperw^erk ist daran gehängt,
besonders bei den Völkern S i -
biriens, um den Schall und
das Getöse noch zu verstärken.
Der Steg, an dem sie gehalten
wird, nimmt in einzelnen Fäl-
len die rohe Gestalt eines Men-
schen an. Das ist dann natür-
licher Weise das Bild von
irgend einem mächtigen Geist.
Das Fell der Trommel wird
öfter bemalt. Eine B u r j ä t e n -
Trommel (Fig. 67) trägt innen
und aussen Figm-eu, unter
denen man zweigartige Orna-
mente, sowie Pferde und Stein-
böcke erkennt, aber ausserdem
ist eine primitive Menschen-
gestalt über die ganze Trommelfellfiäche gemalt. Dieselbe erscheint wie
ein schwaches Abbild der Dämonenfigur, welche den Grifi" der Trommel
bildet (Fig. 68).
Aus Portland in Oregon stammt die Trommel eines Medicin-Mannes
(Fig. 69), deren Innenfläche in dem für jene Gegenden gebräucliHchen
Kuuststiele einen Walfisch, einen Adler und den Donnervogel und darüber
den Bogen des Firmamentes zeigt. Eine Medicin-Manns-Trommel aus Mis-
souri ist tambourinartig flach, aber ausnahmsweise auf beiden Seiten mit
Haut überzogen, und mit Schellen und Truthalmfedern geschmückt. Die
eine Seite (Fig. 70) trägt, in rother Farbe aufgemalt, einen Kreis mit Strahlen
und um ihn herum zahlreiche Punkte. Wahrscheinlich soll es die Sonne
mit den Sternen sein. Auf der anderen Seite (Fig. 71) sind zwei kleine
Fig. 70. Flache Trommel eiues Medicia-Mannes der
Indianer von Missouri. Vorderansicht.
Museum f. Völkerkunde, Berlin. — Nach einem Aquarell.
78. Die Trommel als Handwerkszeug des Medicin-Mannes.
1"
Fische und zwei Vögel, wahrscheinlich Manidos. d. h. dienstbare Thier-
geister, zwischen drei roh gezeichneten Menschenköpfen. Die Fische sind
gehörnt; aus dem Schnabel der Yögel geht eine Wellenlinie aus. Beides
soll voraussichtlich ihre übernatürliche Rraft bezeichnen. Von den Menschen-
köpfen ist der eine gehörnt, mit aufrecht stehenden, kurzen Strahlen zwischen
den Hörnern, während die beiden anderen Köi^fe nur diese Strahlenglorie
tragen. Wir haben darin, wie wir aus den uns ihrer Bedeutung nach l)e-
kannten Bildern der Musikbretter entnehmen können, drei Medicin-Männer
im Zustande der Inspiration zu erkennen.
Diese Trommeln sind nicht Musikinstrumente in dem gewöhnlichen
Sinne des Wortes. Sie stellen vielmehr ein wichtiges Heilwerkzeug dar.
denn sie dienen den mächtigen
Geistern zum Sitz. Das kommt
))ei dem Schamanen der sibi-
rischen Völker zum deut-
lichen Ausdi"uck. Mit jedem
Beschwörungsgesange ladet er
einen seiner hülfreichen Geister
ein, in seine Trommel her-
niederzusteigen. Ein deutlicher
Ruck derselben liefert den Be-
weis, dass der Geist diesem
ßufe willig gefolgt ist. Auch
ruft der Geist bei den Altai-
Tartaren durch des Scha-
manen Mund, bevor er in die
Trommel eintritt:
„He, Schamane, da bin ich!"
Mit jedem neu eintreten-
den Dämon wird die Trommel
schwerer und sinkt zur Seite,
und endlich vermag der Me-
dicin-Mann sie nur noch mit
dem Schenkel gestützt zu hal-
ten. Nun ist die Trommel der
Götter voll, und bei seinem
Heilswerk hat der Medicin-Mann jetzt die Dämonen in der Trommel als
seine speciellen Geliülfen zur Seite. Und darum ist auch der Medicin-Mann
um so mächtiger, und um so sicherer ist der Erfolg seiner Behandlung, je
grösser die Zahl der Geister ist, welcher er zu gebieten vermag. Radioff
hat uns mehrere solche Beschwörungsgesange zugänglich gemacht, durch
welche der Schamane der Altai-Tartaren die Geister in seine Trommel
i'uft. Einer dersell)en lautet:
„Komme her, o junge Wolke,
Drückend dies mein Schulterblatt!
Volk und Leute, meine Schulter
Drückend, kijmmet her zu mir!
Täng-Sarif, Du Sohn des Himmels,
Bartels, Medicin der Naturvölker. 12
Fig.
'i\. Flache Trommel eines Medicin-Mannes der
Indianer von Missouri. Hinteransicht.
Museum f. Völkerkunde, Berlin. — Nach einem Aquarell.
17S
XL Die übernatürliche Krankenbeliandlunor.
Uelgöns Sohn, o Kenjidäi!
Du, mein Auge mir zum Schauen,
Meine Hand zum Greifen mir.
Du, mein Fuss, mir zum Enteilen,
Du, mein Huf, sobald ich stolpre,
Meine Rechte führt den Orbu (Trommelstock)
Tönend, komm zu meiner Rechten!"
Ein anderer Geist Avird gerufen:
.,Mit dem Stock aus gelbem Rohre,
Mit dem gelben Falben Du!
Mit dem gelben, seid'nen Zügel,
^lit dem Pelz aus gelber Seide,
Kan Kartysch, des IJelgön Sohn!
Spielend komm zu meiner Rechten,
Die den Orbu schlafend schwingt. "'
Fig.
"2. Eassel des Medicin-Mannes der Indianer in Portland, Oregon.
Museum f. Völkerkunde, Berlin. — Nach einem Aquarell.
Xatüi'licher Weise sind diese Gesäuge für das Studium der Mythologie
und der Dämonologie der betreffenden A-^ölker von einer ausserordentlich
hohen Bedeutung.
79, Die Rassel und andere musikalische Instrumente als Handwerks-
zeug des Medicin-Mannes.
Ein zweites wichtiges Handwerkszeug des ]\[edicin-Mannes. dessen Be-
sprechung wir am geeignetsten hier gleich folgen lassen, ist die Rassel. Sie
tritt uns in den verschiedensten Formen entgegen. Gewöhnlich ist sie durch
79. Die Rassel und andere musikalische Instrumente des Medicin-Mannes. 179
irgend einen hohlen Gegenstand dargestellt, in welchen 8teinchen, Körner
oder dergleichen hineingethau sind, um hei einem Schütteln des Apparates
den rasselnden Ton zu verursachen. Bei den Medicin-Männern der Huna
von Portland in Oregon jedoch ist die Rassel (Fig. 72) ein kiu'zer, mit
Federn geschmückter Stab, an welchem augehängte Hirschhufe und See-
])apageienschnäbel das Rasselgeräuscli erzeugen.
Wahrscheinlich bezieht sich hierauf ein Beschwürungsgcsang der Kla-
luath-Indianer in Oregon:
„Die Füsse eines jungen Hirsches sind mein Medicin-Werkzeug."
Er wird als ..D^i" Frau
(xesang" bezeichnet.
Auch der Bacsa der Kir-
gisen hat einen Stab, an dessen
oberem Ende ein Brettchen mit
daran hängenden Glöckchen an-
gebracht ist. Aehnliche stab-
artige Easseln besitzen auch an-
dere sibirische Völker.
Bei den D a c o t a , den
Ohippeway und den benach-
barten Indianern ist die Me-
dicin-Manns-Bassel ein Kürl)is.
Bei allen heiligen und ärztlichen
Handlungen (Fig. 73), sowie auch
l)eim Bereiten der Medicin spielt
sie eine wichtige Rolle. Gewöhn-
Hch werden mit dem Klange der
Rassel alle BeschAvörungsgesänge
l>egleitet. Sie ist daher ohne allen
Zweifel nach dem Glauben der
Indianer ebenfalls mit über-
natürlicher Ki-aft beseelt.
Einen Feljergang zu etwas
vollkommeneren Formen bildet
aus Holamux in Oregon eine
Kürbis-Rassel, Avelche an einem
langen Handgrifle ])efestigt und
mit einem roh eingeschnittenen Menschenantlitz, das ein Strahlenkranz um-
giebt, verziert ist (Fig. 74). Die allerreichste Entwickelung in der Form
bat aber unstreitig die Rassel bei den so bewunderungswürdig kunstgewandten
Xordwest-Stämmen Xord- Amerikas erlangt. Das Berliner Museum
für Völkerkunde besitzt eine sehr reichhaltige Sammlung derselben. Sie
sind sämmtlich kunstvoll in Holz geschnitzt, und stellen Menschen- oder
\'ogelköpfe oder auch ganz coraplicirte und dann immer geschmackvoll be-
malte Gruppen dar. Jegliches religiöse Fest dieser Indianer erfordert
eine bestimmte Art der Rasseln. Diejenige für den Medicin-Mann der
Haidah-Indianer (Fig. 75) stellt einen grossschnäbligen Vogel dar, den
mythischen Raben, den Bringer des Lichts, den Frheber des Lebens, der
12»^
Fig. 7.3. Medicin-Maua der Dacota- In dianer,
zur Heilung eines Kranken rasselnd.
Nach Schoolcraft.
ISO
XI. Die übernatürliche Krankenbehandluno;-
in dem Sclin:il)('l die Kohle hält. Ein liTosses Antlitz, das seine Brnst ein-
nimmt, soll die Sonne hedenten. Anf seinem Kücken liegt ein kleiner
Mann, sich auf seine Ellenbogen stützend und einen Frosch zwischen den
Zähnen haltend. Das soll der "Wolf sein, der den Tod und das Feuer
syndiolisirt. Ein phantastischer Vogelkopf, entstanden aus dem Gesichte
der Eule und dem Schwänze des Haben, der auf dem hinteren Theile des
Rabenrückens sitzt, beisst in die Zunge des Frosches. Dieses Letztere soll
,.Medicin" bezeichnen, d. h. es soll erkennen lassen, dass die Rassel voll über-
natürliclier Kräfte ist. Die Medicin-]\ränner der Nutka in Britisch-
Colunil)ien Ix'uutzen zum Curiren der Krankheiten sackfiirmige Rasseln
von Kupfer, welche mit Cedernbast verziert sind (Fig. 76).
Von anderen musikalischen Instrumenten sind noch Pfeifen, Becken
und Stöcke zu nennen, und ganz vereinzelt kommt in Buru die Tuba, in
Loango die Guitarre und l)ei den Kirgisen
eine mit Klapperblechen geschmückte violoncell-
artige Geige vor. Alle diese Dinge finden wir
meist in den Händen der Gehülfen des Medicin-
Maunes. Ihre Ver])reitung scheint aber eine nur
beschränkte zu sein. Das Aneinanderschlagen
von Stöcken linden wir bei einigen Indianer-
Stämmen Nord- Amerikas und bei den Ka-
tschinzen; die Becken sind in Nias, Buru und
an der Loango -Küste gebräuchlich, und die
Pfeifen finden wir bei den Win nebago-In di-
anern, den Navajö in Arizona, bei den Ni-
assern und bei den Loango - Negern. Die
vorher erwähnte Geige wird von dem Medicin-
Manne selber gespielt.
Fig. 74. Rassel eines Medicin-
Mannes der Indianer von
Holamux.
Museum f. Völkerkunde, Berlin.
Nach einem Aquarell.
80. Medicin-Sack und Medicin-Steine.
Ein wichtiges Werkzeug des Medicin-Mannes,
das den Schwerpunkt seiner Verbreitung bei den
In dianer- Stämmen von Nord -Amerika hat,
ist der sogenannte Medicin-Sack. Wir dürfen hierbei nicht vergessen, dass
jeder Indianer seinen Mediciu-Beutel besitzt, der ihn wie ein Talisman
dmx'h das ganze Leben begleitet. Wenn er als Jüngling auszieht, um seinen
Totem zu suchen, so A\drd das erste Exemplar seines Totemthieres, dessen
er habhaft wird, abgehäutet, der Medicin-Sack daraus gefertigt und dieser
mit Gras oder Moos gefüllt. Niemals wieder darf er geöffnet werden. Das
ist nun mit dem Medicin-Sacke der Medicin-Mäuner etwas Anderes. Sie
verbergen darin eine Menge von absonderlichen Dingen, denen sie eine
übernatürliche Kraft beilegen. Ihnen ist auch gestattet, den Beutel zu
öffnen, wenn auch nui' nach vorhergegangenem feierlichen Schwitzen. Bei
gewissen grösseren Medicin-Tänzen sind die Mediciu-Männer sogar ver-
pflichtet, sich gegenseitig die Schätze ihres Medicin-Beutels zu zeigen (Fig. 77)
und deren Kräfte aus einander zu setzen. Wie ein Gewehi' wird er bei den
Einführungen von Novizen benutzt, und der aus ihm scheinbar gefeuerte
80. Medicin-Sack und Medicin-Steine.
181
Fig. 75. Kassel eines Medicin-Mannes der Haidah-
Indianer.
Museum f. Völkerkunde, Berlin — Nach einem Aquarell.
iiiagisclie Schiiss streckt den Candidateii bewusstlos zu Boden. Aber auch
ihre wirklichen Medicamente heben sie in dem Medicin-Beutel auf. Stets
sind die Haare des Felles nach aussen gekehrt, oder die Federn, wenn es
ein Vogelbalg ist. Stinkthier und Otter (Fig. .51) sind er]iel)lich bevorzugt,
Medicin-Beutel, wenn auch
nur kleine, sind auch bei den
Aerzteu der Kaff er n und Ba-
sutho (Fig. 20) im Gebrauch.
Sie sind aus gegerbtem Leder
gefertigt, werden gewöhnlich am
Halse getragen und enthalten aller-
lei absonderliche Dinge, Krallen
von Kaubthieren, Hufe von An-
tik»pen , Fusswin'zelknochen von
verschiedenem Wild u. s. w. Diese
(Ueuen ihnen als Würfel bei ihren
geschätzten Wahrsagerkünsten.
In ähnlicher Weise trägt der Medicin-Mann bei den Anstralnegern in
Victoria seineZauberknochen undSteine in einem besonderen Beutel niitherum.
Diesen darf er niemals aus den Augen lassen, wie wir oben bereits berichtet hal)en.
Wir haben che Medicin-Steine schon
erwähnt, welche die Medicin-Männer in
ihi-em Medicin-Beutel tragen. Diese sind
ebenfalls mit übernatürlicher Kraft begabt,
und werden bei feierlichen Gelegenheiten
von den Mediciu-Männern scheinbar ver-
schluckt und ])ald darauf wieder ausge-
Ijrochen, Auch thun die Medicin-Männer
häufig so, als Avenn sie diese Steine aus
dem Körper des Kranken heraussaugten.
Auch kleine Schneckenhäuser und fossile
Conchylien können zu dem gleichen Zwecke
benutzt werden.
Bei den C h i p p e w a y s wei'den sie
Mi'gis (Fig. 78) genannt, und die vier ver-
schiedenen Grade der Mi de- Brüderschaft
unterscheiden sich unter Anderem auch
durch die Form ihrer Mi'gis von einander.
Hier sind es Perlen und die Schalen von
Schnecken, Avelche sich in ihrem Lande nicht
vorfinden; diesell)en müssen also aufdemWege
des Handels in ihren Besitz gekommen sein.
Bei den Ipurina-Indianern in Bra-
silien giebt der Medicin-Mann dem Can-
didaten, der in seine Lehre tritt, einen oder
mehrere kleine Steinchen zu verschlucken,
Ta])ak erregtem Erl)rechen zum Vorschein
körner, offenbar von weit her importirt, dieselben, die bei der Kranken
behandlung scheiiil)ar aus dem Krirper des Kranken ausgesaugt werden.^*
Fig. 76. Kupferne Kassel eines Medicin-
Mannes der Nutka-Indianer.
Museum f. Völkerkunde, Berlin.
Nach Photographie.
,,die er unter
gebracht hat.
heftigem, durch
Es sind Quarz-
182
XI. Die übernatürliche Krankenheliandluiio:.
Der iirztliclic Caiulidiit der 01n])poway hat bei der fcierliclien Cere-
inoiiio seiner Aufiialiiiic in den ^fi de- Orden eine Perle hernnterzusclilnci<en.
Dann scluvitet er rin^s nni die MecHcin-Hütte. welche zu diesem Feste be-
sonders errichtet ist. wobei er dauernd einen bestimmten Kuf ausstösst. bis
er plötzlich hinsinkt, zu husten beginnt und in Convnlsionen verfallt. Die
Perle, die er schluckte, ist die Krankheit; diese erstickt ihn. Mit letztei-
Kraftanstrengung schlejjjjt er sich bis zu der Gruppe der ihn einführenden
Mi des. Hier bringt er unter mühevollen Würgebewegungeu das Kügelchen
wieder aus dem Halse heraus. Die Mi des haben ihn dabei unterstützt und
gemeinsam gerufen: ya aaa ! ya aaa! ya aaa! Nun nimmt er das Kügelchen
aus dem Mund und legt es als seinen Medicinstein in den oberen Theil
Fig. 77. Mide der nordamerikanischeu Indianer zeigen sich den Inhalt ilirer Medicin-Säcke.
Nach Schoolcraft.
seines Medicin-Sackes hinein, um bei geeigneter Gelegenheit davon Gelu'auch
nuichen zu können.
Bei einem Einführungsfeste, das die Mide der Winnebago-Indianer
feierten, mussten nach der Erledigung einiger anderer Ceremonien die Caudi-
daten sich auf eine Decke knien. Acht Medicin-Mäuner marschirten dann
in einer Keihe rings um die Medicin-Hütte mit ihren Medicin-Säcken in
der Hand. Als sie den Umgang vollendet hatten, machten sie Halt und
einer von ihnen hielt eine Rede. Das wird wiederholt, bis alle gesprochen
haben. „Sie schliessen dann einen Ki'eis und legen die Medicinsäcke vor
sich auf den Teppich. Dann beginnen sie zu würgen und Breclianstrengungei>
zu maciien. srch überbeugend, bis ihr Kopf beinahe in Berühi'ung mit ihrem
Medicinsack kommt, in welchen sie vomiren, oder aus ihrem Munde eine
kleine weisse Seemuschel von der Grösse^ ungefähr einer Bohne niederlegen.
Diese nennen sie den Medicin-Stein, und sie behaupten, dass sie ihn in
81. Das Heraussaue-en der Krankheit.
183
ihrem Magen tragen und dass er bei diesen Gelegenheiten ausgebrochen
wird. Diese Steine stecken sie in ihre Medicinsäcke und dann nehmen sie
Phitz am Ende der Laube, entgegengesetzt und mit dem Gesicht nach den
Candidaten.-'
Bei den nordwestlichen Stämmen von Nord-Amerika treffen wir
aber auch ziemlich grosse Steine an, welche als Mediciu- Manns -Steine
bezeichnet werden. Sie haben die Grösse einer Handfläche und darüber;
im Munde können sie also nicht beherbergt werden. Auch sind sie mit
rohen Skulpturen bedeckt. Es sind grosse flach abgerollte Steine, deren
einer aus West-Vancouver den Kopf eines Fisches und vielleicht eines
Frosches eingeschnitten trägt (Fig. 81); ein Anderer (Fig. 79), ebendaher,
zeigt einen Schwertwal und ein nach abwärts gekehrtes Menschengesicht,
und ein Dritter (Fig. 80) mit zwei Gesichtern soll angeblich eine Seeotter
zur Darstellung l)ringen. Alle drei gehören zu der Sammlung des Capitän
Jacohsen im Museum für "Völkerkunde in Berlin.
Etwas Aehnliches findet sich übrigens auch in dem malayischen
Archii^el. In dem westlichen Borneo
besitzen die Medicin-Männer eine Art
von Steinen, welche sie, wie sie be-
haupten, von den Geistern erhalten
haben. Durch eine besondere Kunst-
fertigkeit lassen sie diese Steine schein-
bar von dem Dache ihrer Wohnung
heruntei'fallen. Sie gebrauchen sie für
ihre Heilmanipulationen und bestrei-
chen damit stundenlang den Körper
ihrer Patienten.
Wir wollen im Anschlüsse hieran
noch eine Art der Hülfsinstrumente
erwähnen, welche für den Medicin-
Mann derGiljaken zu den unentbehr-
lichen Eequisiten gehört. Es sind das
aus Holzklötzen gefertigte Menscheu-
figui-en (Fig. 82), welche von unglaublich roher Ausführung sind. Sie stellen
den Schutzgeist des Schamanen vor und haben während seiner Zauljer-
ceremonien ihren Platz am Feuer. Bisweilen haben sie auch noch eine
Anzahl von Untergeistern in ihrer Gewalt. So sehen wir einen solchen
hölzernen Geist, auf dessen Kopfe sich sieben plumpe Zacken befinden.
Das sollen die sieben Hülfsgeister sein, über deren Kraft und Fähigkeiten
der Schamane nun elienfalls verfügen kann.
Fig. 78. Mi'gis, Medicia-Steine der Mide
von Leech Lake.
Nach Ho ff man.
81. Das Heraussaugen der Krankheit.
Die übernatürliche, ärztliche Behandlung der Medicin-Männer scheint
uacli dem Principe des „Doppelt reisst nicht'- eingerichtet zu sein; wenigstens
-eben wir, dass sie gar nicht selten mehrere Methoden der magischen
Therapie zu gleicher Zeit in Wirksamkeit treten lassen. Bei manchen
Stämmen schreiten sie erst dazu, wenn die medicamentöse Behandlung nicht
184
XI. Die übernatürliche Kraiikenbehaiidluug.
/n dem gewünsohtcMi Resultate j^etühi-t hat. Andere Vülkerscliaften aber
faiiij:eii gleich mit d(u- magischen Behaudlung au uud erst, weuu diese iui
Stiche gelassen liat. nehmen sie zu den Mediciunenten ihre Zuflucht. Unter
den mechanischen, magischen Behandlungsmethoden ist das Aussaugen der
Krankheit ganz besonders weit verbreitet. Der Medicin-Mann setzt den
Mund oder sein besonderes Instrument auf den leidenden Köi'pertheil und
saugt mit grosser Anstrengung und Ausdauer, nicht selten stundenlang und
bis es blutet. Dann bringt er unter besonderen Förmlichkeiten dasjenige
aus dem INfunde hervoi-, was die Krankheit verursacht hatte, Holzstückchen.
Dornen, ]\ruschelschalen, Krallen, kleine Knochen, u. s. w. (Fig. 8). Selbst
Würmer, einen Frosch oder eine Schlange saugt er so aus dem Körper
heraus. Ein Beschwörungsgesang des Medicin - Mannes der Klamath-
Indianer lautet:
„Was entferne ich aus meinem Munde?
Die Krankheit ziehe ich aus meinem
Munde.
Was ist das Ding, das ich herausnehme?
Es ist die Krankheit, die ich heraus-
nehme ! "
Nachdem der Medicin-Mann der Clio-
rotegan -Indianer die leidenden Theile
des Kranken geknetet und gesogen hat,
bringt er unter absonderlichen Sprüngen
eine schwarze Substanz aus seinem Munde
hervor, die er als die Ursache der Ki-ank-
heit ausgiebt. Die Freunde des Patienten
nehmen diesen Stofi' und zertrampeln ihn
unter betäubendem Lärm. Hierauf l)ezieht
sich zweifellos auch ein Medicin -Manns-
Fig. 79 Medicin-Manns-Stein,
Vancouver.
Gesang der Klamath-Indiauer
Museum f Völkerkunde, Berlin.
Nach Photographie.
„Was kommt aus meinem Munde?
Eine schwarze Masse hängt von meinem
Munde hernieder."
Bei den Dacota wirft sich der Medicin-Mann neben dem Patienten
auf die Knie nieder und saugt mit „einer Energie, welche übermenschlich
erscheint, wobei er die Kürbisrassel heftig schüttelt. Auf diese Weise pum])t
der Gott, welcher in dem Arzte wohnt, die Krankheit aus dem Leidenden.
Xachdem er so eine beträchtliche Zeit hindurch gesogen hat, richtet er
sich auf seinen Füssen auf in sichtlicher Erschöpfung, derartig heulend,
dass man es, wenn das Wetter still ist, eine Meile weit hört, seine Seiten
schlagend, die Erde mit den Füssen stampfend und schlagend so, als wollte
er sie erzittern machen, und eine Schale mit Wasser an seinen Mund haltend,
bringt er unter einem singenden Blubbern dasjenige hervor und sjjeit es in
die Schüssel, was er aus der kranken Person herausgesogen hat. Diese
anstrengende und ekelhafte Operation wird in kurzen Zwischenräumen auf
Stunden wiederholt." In vielen Fällen ist es al)er immer wieder der „Medicin-
Stein'"', Avelchen der Arzt aus dem erki-ankten Körper saugt. Es wurde
oben schon erwähnt, dass wir diesen dann wahrscheinlich gleichsam als die
coagulirte Krankheit ansehen müssen.
81. Das Heraussaugen der Krankheit.
185
Auch in unsichtbarem Zustande wird, wie ebenfalls oljeu erwähnt,
die Krankheit in manchen Fällen ausgesogen.
Hierüber verdanken wir Ehr enr eich eine Notiz, welche die Ipur ina-
in dianer in Brasilien betrifft: „Bei der Krankenbehandlung, der ich am
Acinam beiwohnte, saugte der Medicin-Mann zunächst an der Körperstelle
des Patienten, die der Sitz des Leidens zu sein schien, und zwar mit solcher
Intensität, dass ein weithin hörbarer klatschender Ton erzeugt wurde und
grosse blaue Flecke, wie nach Application eines trockenen Schröpf kopfes,
sichtbar blieben. Dann brachte er unter lautem Rülpsen ein Steinclien aus
dem Munde hervor, bepustete und beleckte es mehrere Male, rieb es sich
selbst an verschiedenen Körpertheilen, Unterarmen, Unterschenkel und
Achsel, ein und liess es dann sehr geschickt wieder
verschwinden."
„Ehe er das Saugen wieder begann, schlug er
rechts und links mit Händen und Füssen aus. Nun-
mehr kamen andere Körperstellen des Patienten
an die Peihe, Avobei immer ein Stein, wahrschein-
lich immer derselbe, aus dem Munde hervorgeholt
und wegpracticirt wurde. Zum Schluss ging er in
einen Winkel, um ki'äftig auszuspeien, und wieder-
holte dasselbe unter einem Baum vor der Hütte,
trat das Sputum mit dem Fusse aus, und machte,
sich plötzlich umdi'ehend, mit Händen und Füssen
abwehrende Bewegungen."
Die Isthmus - Indianer nehmen vor dem
Saugen bestimmte Medicamente in den Mund, die
Creek. Winnebago und Chippeway u. s. w.
kauen bisweilen eine gelbe Wurzel aus, deren Saft
sie ausspeien, um zu beweisen, dass sie dem Pa-
tienten die versetzte Galle ausgesogen haben. Auf
den A am -Inseln wird die zu saugende Stelle erst
mit kleingekautem Gember bedeckt. Da in dem
malayischen Archipel der Gember, wie wir sahen,
auch zum Bespeien des Ki-anken benutzt wird, um Yis 80. Medicin-Manns-Stein,
den Krankheitsdämon aus seinem Körper heraus- Vancouver.
zutreiben, so müssen wir hier wahrscheinlich auch **"^' Nach^PhotograpMe.'^^^"'
wohl einen ähnlichen Gedankengang vermuthen.
In unsichtbarer Form wird die Krankheit bei den Ist hm us- In dianern
ausgesogen. Der Medicin-Mann stürzt dann plötzlich mit aufgeblasenen
Backen davon und thut, als wenn er etwas ausspuckte. Dann stösst er
Flüche und Yei'wünschungen aus gegen die Krankheit, die er soeben ent-
fernt hat. Bei den Klallams kommt der Medicin-Mann so in Erregung,
dass er den kranken Theil auch mit den Zähnen packt. Um ein Mädchen
von einer Erkrankung der Seite zu heilen, zog er dieselbe nackend aus,
wai'f darauf selber sein Blanket ab und begann zu singen und heftig zu
gesticuliren. Die Assistenten schlugen den Takt mit kleinen Stöcken an
hölzernen Gefässen und Trommeln, wobei sie fortwährend sangen. ,.Nach-
dem sich der Medicin-Mann in dieser Weise ungefähr eine halbe Stunde
hindurcli angestrengt hatte, bis der Schweiss von seinem Kör{)er rann, warf
186 XI. Die übernatürliche Ivrankenbeliandlung.
er s^ich plötzlich auf das junge Weib, hielt ihre Seite mit den Zähnen ge-
])aekt und schüttelte sie für einige Minuten, während die Patientin an
grosser Erschöpfung zu leiden schien. Er verliess dann seinen Platz und
schrie, dass er es bekommen habe, zur selben Zeit seine Hände vor seinen
Mund haltend; danach tauchte er in's Wasser und behauptete, mit grosser
Schwierigkeit die Krankheit, welche er herausgezogen habe, nieder zu halten."
Die Saugekraft der jMedicin-Männer gilt, wie man begreifen wird, als
eine übernatürliche. Es sind die Geister, die sie beseelen, welche durch
ihren Mund diese Wirkung ausüben. Die Dacota glauben, dass es Tliier-
geister sind, die Manidos, welche für die Medicin-Männer das Aussaugen
l)esorgeu, und darauf bezieht sich auch bei den Klaniath-Indianern ein
Beschwörungsgesang :
„Ich, der Käfer, ich beisse und sauge."
83. Das Aufsuchen des Locus affectus.
Für die Saugecur bleibt es sich nun nicht gleich, auf welcher Stelle
der Mund aufgesetzt wird. Wenn eine örtliche Schmerzhaftigkeit nicht den
Locus affectus zu erkennen giebt, so muss
^^<^^k ^^^^^^^^ derselbe sorgfältig aufgesucht werden. Die
^' ^''^ " Aerzte der Schastas in Nord-Californien
■ ; ' -^ werden hierin von einer Collegin unterstützt.
["^^'i^: ''^ welche l)ei dem Kranken wie ein Hund so-
lange bellt, bis sich der Geist hierdurch
l)ewegen lässt, ihr die richtige Stelle an-
zuzeigen. Bei den Dieyerie in Süd-
Australien betastet der Medicin - Mann
sorgfältig den Körper des Ki-anken, bis er
Fig. 81. Medicin-Manns-Stein, vorgiel)t, etwas zu fühlen. Dann saugt er
Vancouver. einige Minuten an dieser Stelle und entfernt
^"'' kI?pSog?apiüe''^'"' sicli danach eine kleine Strecke von dem
Lager. Dabei bricht er ein kleines Stück
Holz ab, das er verbirgt, und kehrt zum Lagerplatze zurück, macht sich
mit einer rothglühenden Kohle die Hände heiss und knetet dann an dem
Körper des Kranken herum, bis er dann plötzlich zu Aller Erstaunen das
kleine Holzstückchen zum Vorschein bringt.
Die in Figur 83 wiedergegebene Zeichnung auf einem Musikl)rett der
Chi pijeway- In dianer zeigt uns einen Medicin-Mann, der einen vor ihm
auf der Erde liegenden Kranken behandelt. In der linken Hand hält er
ein Instrument, entweder die Hassel oder die Trommel. Von seinem Auge
verläuft eine Linie gerade zur Herzgrube des Patienten. Diese bedeutet,
dass er nun den Locus affectus aufgefunden hat. Hier hat der Krankheits-
Dämon seinen Sitz aufgeschlagen und von hier muss er auch vertrieben
oder vielmehr herausgesogen werden.
Bei einer allgemeinen Erkrankung wählen die ]\redicin-Männer der
Eingeborenen von Süd-Australien und Victoria die Magengrube zum
Heraussaugen der Krankheit aus, und l)ei den Indianern von Vancouver
konnte Jacohsen das Gleiche beobachten.
83. Das Hei-ausnehmeu der Ki-ankheit.
187
Der Locus affectus wird aber auch bei anderen Gelegenheiten auf-
gesucht. Die Laoten z. B. Avünschen zu wissen, an welcher Körperstelle
sich der Krankheitsdämon verborgen hat, da er nur von dieser Stelle aus
zu bewegen ist, durch den Mund des Kranken Auskunft zu geben. Zu
diesem Behufe bindet der Medicin-Mann sieben Baumwollenfäden um die
Daumen und um die grossen Zehen des Kranken, spricht seine Beschwö-
rungsformeln und drückt mit seinen Fingern ganz allmählich alle Theile
des Körpers, einen nach dem anderen, bis er die richtige Stelle gefunden
hat. Die Ostjaken suchen füi' das Ansetzen ihrer Birkenschwamm-Moxen
dadurch die geeignetste Stelle herauszufinden, dass sie an dem erkrankten
Theile eine glühende Kohle auf verschiedene Hautstellen bringen. Dort,
wo der Schmerz nicht gleich empfunden
wird, ist für die Moxe der geeignete
Punkt.
sammengekauter
Stelle gelegt wird,
83. Das Herausnelimen der Krankheit.
Das Kneten, Pressen, Drücken und
Streichen, wie wir es in der Massage
kennen gelernt haben, hatte zweifellos
ursi^rün glich auch nur den Zweck, die
Krankheit oder den Krankheitsdämon aus
dem Patienten herauszunehmen. Hierhin
haben wir es zu rechnen, wenn uns von
den Eingeborenen der Inseln Leti, Moa
und Lakor berichtet wird, dass dem
Patienten zuerst der Körper mit Kalapa-
Oel eingerieben und dann ein aus sieben
Sirili- und sieben Piuang- Stücken zu-
Brei auf die kranke
Darüber deckt man
dann ein bezaubertes Tuch und nach
einer Viertelstunde findet man nun in
dem gekauten Brei den Fremdkörper.
welcher die Krankheit verursacht hat. Auf der Insel Eetar und auf den
Kei -Inseln schmiert man den kranken Körpertheil ebenfalls, bevor man den
magischen Fremdkörper aus ihm entfernt, mit kleingekauten Medicamenten
ein; auf der erstgenannten Insel wird die Stelle vorher gekniffen.
Die Indianer Britisch Columbiens verbinden mit dem mechanischen
Fortnehmen der Krankheit gleichzeitig auch das Aussaugen und die gewalt-
same Massage. So heisst es bei Bancroft: „Der Hexenmeister, häufig grotesk
bemalt, tritt in den Kreis, singt einen Gesang, und geht daran den bösen
Geist von dem kranken Manne zu zwingen, indem er beide geljallten Fäuste
mit aller Macht in seine Magengrube presst, und ebenso andere Theile des
Körpers knetet und schlägt, ihn gelegentlich mit seinen eigenen Fingern
stossend, und indem er Blut aus demjenigen Theile heraussaugt, der als
der befallene betrachtet wird. Die Zuschauer schlagen mit ihren Stöcken,
und alle mit Einschluss des Arztes, und oft auch der Patient gegen seinen
Fi^. 82. Hülfsgeist des Schamanen der
Giljaken mit sieben dienstbaren Gei-
stern auf dem Kopfe.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin.
Nach Photographie.
188
XI. Die übernatürliche Krankenbehandluns.
AVillcn, imtcrlialtoii einen unaufhörlielien (lesang oder Geheul. Hier ist
übrigens eine gewisse Methode in der Tollheit, und wenn die Routine a'oII-
endet ist, wird sie von Xeueni begonnen, und dies wird mehrere Stunden
hindui'ch alle Tage wiederholt, bis der Fall entschieden ist. Bei einigen
Stäniinen extrahirt der Arzt schliesslich den Geist, in der Form eines
kleinen Knochens oder eines anderen Gegenstandes, aus dem Körper, oder
dem Munde des Patienten durch irgend ein Taschenspielerkunststück."
Eine besondere Methode, das die Krankheit erzeugende Thier, den so-
genannten Fresser (Wurm, Schlange, Eidechse u. s. w.), aus dem Körper
des Kranken herauszuholen, haben die Medicin-Männer, die Amagrjira
wokupata der Xosa-Kaffern. Es wird zuvor ein Opferthier geschlachtet,
oft in besonders grausamer Weise. Im Jahre 1888 wurde in Mtata ein
Ochse bei solcher Gelegenheit lebendig geschunden und ihm ein Vorderbein
mit dem Schulterblatt abgelöst, „sodass er auf drei Beinen umhertaumelte".
Darauf formt der Medicin-Mann aus Lehm und frischem Kuhdünger einige
Kugeln , an Grösse
einer gewöhnlichen Ke-
gelkugel gleich. Diese
legt er auf die schmerz-
hafte Stelle und dinickt
sie unter Aechzen und
Stöhnen, damit sie die
giftigen Fresser aus
dem Körper saugen
sollen. Dann nimmt
er die Kugel vor den
Mund , bläst daran
herum, als wenn er
jene Dinge heraus-
ziehen Avollte , und
verdreht dabei ganz
schrecklich die Augen.
Im Munde verborgen
hat er sich schon mit
solchen Dingen versehen, die er auffinden will. Merken die Umstehenden,
die sich ja in grosser Furcht und Aufi-egung befinden, nicht genau darauf,
so practicirt er jene Dinge in die Kugeln; sein Aechzen und Stöhnen lässt
nach und er behauptet, dass nun der Kranke genesen sei.
Die Süd-Australier nehmen in unsichtbarer Form die Krankheit von
dem Patienten fort und werfen sie scheinljar in das Wasser oder sie ver-
brennen sie. Die Nieder-Californier versuchen in verzweifelten Fällen,
die Krankheit mit den Fingern aus dem Munde des Patienten heraus-
zuziehen. In gleicher Absicht stecken die Yakis dem Kranken einen Stock
in den Mund, um so die Krankheit aus seinem Magen zu ziehen. Bei
Ehrenreich lesen wir über die Yamamadi:
..Eine Krankenbehandlung, der ich beiwohnte, unterschied sich dadurch
von der gewöhnlichen indianischen Curmethode, dass sie vollkommen laut-
los, ohne Saugen oder Anblasen des Patienten vor sich ging. Die Umgebung
der leidenden Stelle — es handelte sich um eine linksseitige Supraorbital-
Fig. 83. Medicin-Mann der Chippeway-Indianer, den Lotus
aflfectus eines Kranken findend. Von einem Musikbrett.
Nach Iloffman.
84. Der Exorcismus durch den Medicin-Mann. 189
nem-algie — wurde mit der linken Hand gekniffen und gezupft, während
die rechte den Kranken fest im Genick i^ackte. Nach einigen solchen
Griffen blies der Zauberer in die hohle Faust und that, als ob er einen
Gegenstand zwischen den Fingern aufmerksam betrachte. Diesen imaginären
Krankheitsstofi' rieb er sich sodann in die Brustgegend oder die Achsel-
liöhle ein. Nachdem sich dieses Spiel sechs bis acht Mal wiederholt hatte,
Avandte sich der Arzt um. strich sich die Hände an einem Balken ab und
verliess die Hütte. Draussen grub er ein Loch, in welches er Wasser, das
er aus seinem Munde ülier die Hände spülte, abfliessen liess, riel) nochmals
i sorgfältig seine Hand ab und schüttete das Loch wieder zu."
Durch Beschwörungen und Verfluchungen wird der Fremdkörper, be-
ziehungsweise die Krankheit, auf der Lisel Serang und bei den Topan-
tunuasu auf Selebes aus dem Kranken heraus-
geholt.
Auch die Klamath- Indianer haben für diesen
Zweck ihre Beschwörung, den sogenannten Spinnen -
Gesang. Derselbe ist nicht gerade sehr geistreich;
\ er lautet:
„Ich, die Spinne, gehe hinauf.
Aufwärts wandere ich."
Dabei wird ein ovales Stückchen Hirschleder dem CMppeway- Indianer,
Patienten auf die kranke Stelle gelegt, ein Blanket eine Frau heilend,
wird darüber gebreitet und hier hinein zieht sich nun ^«^ einem^Musikbrett der
die Ki-ankheit. Nach Hoffrmn.
84. Der Exorcismus durch den Medicin-Mann.
Yon den ältesten Zeiten l)is zum heutigen Tage und über die ganze
Erde hin hat eine Art der Krankenbehandlung ihre Ausbreitung gefunden,
das ist der Exorcismus, das Bannen und Beschwören und die Austreibung
der Kj'ankheitsdämonen. "Wir haben ja bereits die musikalischen Instrumente
kennen gelernt, welcher der Medicin-Mann hierzu bedarf; es wurden auch
schon manche der Beschwörungsgesänge an geeigneter Stelle angeführt.
AVir finden aber in der Technik sowohl als auch in der Auffassung dieser
Exorcismen noch mancherlei kleine Verschiedenheiten. Wir geben hier zwei
Darstellungen von dem Exorcismus des Medicin-Mannes bei den Indianern.
Die Figuren 83 und 84 sind den Zeichnungen auf einem Musikbrette ent-
nommen, das sich in dem Besitze eines Mi de der Chippeway -Indianer
befand. Figui* 84 zeigt die Behandlung einer Frau und Figm* 83 diejenige
eines Mannes. Beide Medicin-Männner schwingen die Rassel.
Figur 85 giebt eine Krankenbehandlung bei den Mandan-Indianern
nach einer Handzeichnung von George Catlin.
Der Medicin-Mann umtanzt den Patienten, welcher schwach und elend
am Boden liegt. Ganz ebenso, wie auf Figur 63, welche von der Feder
<lesselben Malers eine Krankenbehandlung bei den Schwarzfuss-Indi-
anern zur Darstellung ])ringt. halten Männer, Frauen und fast alle Kinder
die rechte Hand vor ihren Mund. Wollen sie sich vielleicht dadurch
190 XI. Die übernatürliche Krankeubehandlung.
schützeu. tlass der Dämon, der die Krankheit vernrsaehte, wenn er nnn
ans dem Kranken verjagt Avird. nicht in ihren Körper hineinfahre?
Oft reicht die Macht des Medicin-Mannes aus, den Dämon, welcher die
Krankheit macht, und damit diese selber aus dem Körper des Patienten
herauszutreiben. In manchen Fällen muss aher ein hülfreicher Geist für
ihn diese mühevolle Arbeit übernehmen. Nicht selten wird durch mechanische
Eingriffe das Entweichen des Dämons unterstützt und erleichtert. Meistens
geschieht es mit Tjärm und Geschrei, um den Dämon zu erschrecken und ihm
Furcht einzujagen. Auch mit Beleidigungen wird es versucht, die nmnchmal
den bösen Geist bewegen, sein Oj)fer faliren zu lassen. Von grosser Wirkung
hält man bei einigen Völkern das Ausräuchern des bösen Geistes, und
manchmal gelingt auch die Befreiung des Kranken auf dem Wege der
Ueberlistung, oder der gütlichen ITeberredung. Wenn es nun nicht nur ge-
lingt, den bösen Geist zu vertreiben, sondern auch lutch ihn festzubannen
oder gar zu vernichten, so ist die Aufgabe des Medicin-Mannes in der aller-
vollkommensten AVeise gelöst.
Wenn bei den Koniagas eine Person krank wird, so Avird angenommen,
dass irgend ein böser Geist von ihr Besitz genommen hat, und es ist das
Geschäft des Schamanen, den Geist zu beschwören, zu bekämpfen und aus
dem Manne auszutreiben. Zu diesem Zwecke setzt er sich mit dem magischen
Tambourin bewaffnet zu dem Patienten und murmelt seine Incantationen.
Ein weiblicher Assistent l)egleitet ihn mit Aechzeii und Brummen. Sollte
dies erfolglos sein, so nähert sich der Schamane dem Bette und wirft sich
auf den Körper des Leidenden; dann den Dämon fassend, ringt er mit ihm,
überwindet ihn und wirft ihn hinaus, während die Assistenten schreien:
.,Er ist gegangen! Er ist gegangen!"
Auf den Luang- und Sermata-Inseln und bei den Topantuuuasu
in Selebes schlägt man bei gewissen Krankheiten auf den armen Patienten
ein. um auf diese Weise den bösen Geist aus ihm herauszuprügeln.
Auf Samoa giebt es bestimmte eingeborene Aerzte, welche in dem
Rufe stehen, dass sie die Schwändsucht, Mumu genannt, oder besser
gesagt, den Dämon, der sie verursacht, mit dem Speere durchbohren
können. Wenn solch ein Arzt gerufen wird, so setzt er sich vor den Kranken
nieder und singt:
„0 Munin! 0 Mumu!
Ich bin im Begriff, Dich zu spiessen ! "
„Dann springt er auf und sclnvingt den Speer über dem Haupte des
Kranken und verlässt darauf das Haus. Niemand darf während dieser
Ceremonie sprechen oder lächeln.*'
Auch auf den Nicoljaren erscheinen die Medicin-Männer häufig mit
dem Speere in der Hand bei dem Patienten, um den bösen Geist, den Iwi,
zu durchbohren, der die Krankheit verursacht hat.
Dieses Herausschrecken und A^erjagen der Krankheitsdänionen findet
in grossem Stile bei Epidemien Statt. Wir Avollen diese Maassnahmen hier
übergehen, weil wir sie später noch im Zusammenhange ganz ausführlich
zu besprechen haben.
Dass der von dem Medicin-Manne und seinen Gehülfeu hervorgebrachte
betäubende Lärm zum Zweck hat, den Krankheitsdämon zu erschrecken.
85. Das Ausräuchern der Ivrankheitsdämonen.
191
das liegt wohl deutlich auf der Hand. In einigen Schilderungen wird diese
Absicht aber auch noch besonders hervorgehoben,
Den Wunsch, den bösen Geist, der die Krankheit gebracht hat, zu
beschimpfen und zu beleidigen, finden wir bei den Australnegern von
Victoria und bei den Eingeborenen des Seranglao- und Gorong-
Archipeles.
85. Das Ausräucliern der Krankheitsdämonen.
Das Ausräuchern, namentlich bei bestimmten Erkrankungen, hat eben-
lalls eine räumlich sehr weite Verbreitung. Meist sind es wohl stark
schwälende Pflanzen, die gleichzeitig einen intensiven Geruch verbreiten,^
welche man zu diesen Ausräucherungen in Anwendung zieht. Auch Hörn
und Haare sind hierfür beliebt.
Fig. 85. Medicin-Maan der Mandan-Indianer, einen Kranken heilend.
Nach einer Handzeichnung von CaÜin. Im Besitz des Mus. f. Völkerkunde, Berlin.
Die Mi de der Chip i^eway-In dianer benutzen zum Ausräuchern der
Dämonen eine Cypressenart, weil sie glauben, dass die Xadeln der Zweige
die bösen Geister stechen und dass die "Wirksamkeit der Ausräucherung
hierdurch bedeutend erhöht werden würde. Auch bei den Central-
Amerikanern sind Ausräucherungen der Dämonen im Gebrauch, sowie
auch bei den Harrari in Afrika, bei sibirischen Völkern, in Laos und
auf verschiedenen Insel grup})en des malayi sehen Archipels. Die Samo-
jeden und Ostjaken verbrennen zu diesem Zwecke Rennthierhaare, Avonach
der Besessene in einen stundenlangen Schlaf verfällt. Auf den Kei-
Inseln werden Büffelhaare und abgeschnittene Haare der Papua-Sklaven
in Anwendung gezogen, und mit BüÖelhaaren räuchert man auch auf dem
Seranglao- und Gorong-Archipel den Schatten des Dämon aus dem
Kranken heraus. Bei den Indianern des centralen Mexico spielt für
diese Räuclierungen der Sal]>eter eine hervorragende Rolle. Aus seinen
Rückständen in der Asche sucht dann der Medicin-Mann irgend eine grosse
Ameise oder einen Wurm hervor, um sie als die ausgetriebenen Kraukheits-
1 92 XI. Die übernatürliche Krankenbehandlung.
Dämonen dem Patienten nnd seinen Angehörigen zu deren grosser Genug-
tliuung vorzustellen. Auf Keisar werden die zum Käuchern bestimmten
Holzarten unter der Lagerstätte des Kranken verbrannt.
Bei den Mosquito- Indianern entzündet man das Feuer neben dem
Kopfe des Patienten und der Medicin-Mann bläst ihm dann den Rauch
über sein Gesicht.
Am complicirtesten scheinen diese Maassnahmen bei den Laoten sich
zu gestalten. Aymonier berichtet darüber: ,,AVenn in Souren ein Mensch
von bösen Geistern besessen ist, so bringt man ihn an einen Kreuzweg und
umgiebt ihn mit einer Art von Pallisade, welche durch Pfosten gebildet
wird, die man in die Erde steckt. Darül)er gelegte Stäbe bilden das Dach,
so dass der Patient nun wie in einem Kähg sitzt, und zwar auf einem
kleinen Gestell, unter welches eine Schaale mit Tabak und spanischem
Pfeifer gestellt wird. Neben dem Käfig errichtet man eine kleine Pyramide
aus Holzscheiten in di'eissig Schichten. AVenn alles dieses vorbereitet ist,
werden glühende Kohlen in die Schaale geworfen, um den Patienten tüchtig
duiThzuräuchern und ihm die Geister auszutreiben. Fast erstickend ruft
der Kranke: „Aber ich bin ja nur ein Mensch!'' Die Medicin-Mäuner
lassen ihn schreien und wimmern ])is Alles in der Schaale verbrannt ist.
denn sie meinen, dass dieser Ausruf nur ein Kniff der bösen Geister ist.'"
Eine hervorragende Rolle spielen die Räucherungen der Patientinneu in
der Wochenbettpflege der uncivilisirten Völker (Fig. 60). Auch hier liegt zweifel-
los ursprünglich der Gedanke zu Grunde, dass ein böser Geist, der Geist
der Ea"ankheit, der Unreinigkeit auf diese Weise verjagt werden muss. Ich
habe über diese Verhältnisse an anderer Stelle ausführlich gehandelt.
86. Der Exorcismiis durch übernatürliche Grehülfen.
Dem Medicin-Mann wird sein Werk der Teufelsaustreibung um so besser
gelingen, wenn ihm übernatürliche Hülfskräfte zur Verfügung stehen. Darauf
zielt ja auch das Gebet und das Opfer ab in vielen Fällen, Avodurch man
die Gottheit veranlassen will, die Vertreibung der Krankheitsdämonen zu
übernehmen. Und darum müssen auch, wie auf Sumatra, in Ann am und
auf Keisar nach glücklich erfolgter Heilung Dankopfer dargebracht werden.
Bei den Toj)antunuasu sind es die Schutzgeister des Stammes, denen
geopfert wird, um die bösen Geister zu vertreiben, welche die Ki-ankheit
verursacht haben.
Dem Medicin-Manne der Annamiten hilft sein grosses Kriegsheer von
Geistern, dem Medicin-Manne der Indianer stehen seine Manidos zu
Gebote, der Schamane der sibirischen Volksstämme ruft seine Hülfsgeister
in die Trommel herab.
Der australische Medicin-Mann in Victoria beschAvört den ihn
schützenden Geist eines verstorbenen Medicin-Mannes, in den Körper des
Kj'anken hineinzufahren und die Krankheit herauszuholen. Auf N i a s sucht
der Medicin-Mann einen Hülfsgenius, der ihm dann behülflich ist, einen
Adü, einen Geist, aufzufinden, der die Rolle eines Vermittlers übernimmt.
Dieser letztere überredet nun den Dämon, welcher als Krankheit in den
Patienten gefahren ist, diesen wiederum freizulassen und dafür die Schweine
zu nehmen, die ihm geopfert worden sind. Aber auch noch eine andere
86. Der Exorcismus durch übernatürliche Gehülfen. 193
Methode giebt es auf Nias, welche Modigliani bei der Behandlung einer
alten, an Erbrechen und Hustenanfällen leidenden Frau mit ansah. Die
vorher geschilderte Heilungsart hatte keinen Erfolg gehabt, weil ein dem
Medicin-Manne feindlicher böser Geist ihn den richtigen Adii nicht hatte
finden lassen. Er rief sich nun einen Collegen zu Hülfe und mit vereinten
Kräften hatten sie bald den geeigneten Adii gefunden, „der dieses Mal durch
eine rohe Holzfigur mit nur einem ausgearbeiteten Arme dargestellt war.
Sie hatten ihn zuerst unter das Haus gebracht, dann hinein und schliess-
lich auf das Dach in verschiedenen Pausen, vielleicht damit er gut sehen
könne, welche und wie viele böse Geister hineingingen, und zuletzt wurde
er auf das Bett gelegt und mit einer aus Ringen von Cocosblättern ge-
fertigten Kette von 6 Meter Länge daselbst angebunden, welche auf die
Erde herabhiug. Im Inneren der Hütte waren andere gleiche Ringe an
dem Bilde des Adü Nüho und an der Matte, auf welcher die Kranke lag,
befestigt."
.,Um einen anderen, mächtigeren Sumunge zu erhalten, wurde noch ein
Huhn geopfert, in der Sorge, dass der böse Geist nicht befriedigt sei (Hab-
gier begleitet die Niasser in allen Lebenslagen); aber da die Absicht nicht
sofort erreicht wurde, so rief der Ere seinen Bela, seinen Beschützer, in-
dem er magische Worte wiederholte und grosse Schläge auf seine heilige
Trommel führte. Er tödtete darauf ein altes und sehr mageres Schwein,
indem er ihm ein langes Messer in die linke Schulter stiess und mit grosser
Geschicklichkeit bis in das Herz drang, und ihm einige Borsten ausreissend,
tauchte er dieselben in das Blut und bestrich dem Ädil das Gesicht. Dann
sengte er die anderen ab und zertheilte das Thier, ohne es abgehäutet zu
haben. Das Opferthier wurde darauf vertheilt, und was von dem Schweine
übrig blieb, wurde vor der Hütte gelassen unter der Kette, die vom Dache
herunterhing.'"
„Jetzt kam der letzte Theil der Ceremonie: alle Ausgänge des Hauses
wurden geschlossen, mit Ausnahme eines im Dache angebrachten Klapp-
fensters, durch welches ein Theil der Kette ging, um sich mit derjenigen
zu vereinigen, welche an dem Adü vor dem Hause hing; und alle Familien-
glieder fingen an zu heulen und zu toben, während der mit Lanze und
Messer bewaffnete Medicin-Mann einen Geist zu verwunden und in die
Flucht zu schlagen suchte, der in den Körper der Kranken gefahren war
und von ihm allein gesehen wurde."
Man nimmt nun an, dass „der in Schrecken gesetzte böse Geist durch
alle diese Zwangsmaassregeln immer durch den Adil, der von der Höhe
des Hauses her den Kj-anken beschützt, getrieben, auf irgend eine Weise
zu fliehen sucht, und keine andere Oeffnung als die Dachluke findet, an
der Kette in die Höhe klimmt und dann von dem Hause herabläuft, die
Ueberreste des kurz vorher geopferten Schweines entdeckt und sich auf
Letztere fallen lässt. Wenn er das Haus verlassen und das Schwein als
Gegenstand seines bösen Einflusses erwählt hat, so wird der Adü ihn daran
verhindern, zurückzukehren."
Eine ganz ähnliche Heilmethode wird von von Bosenberg ebenfalls aus
Nias beschrieben. AVir können sie hier mit Stillschweigen übergehen.
Bartels, Medicin der Naturvölker. l'J
19-1 XI. Die überuatürliclie Kraukenbehandlung.
87. Das Fangen, Festbannen und Vernichten der Krankheitsdäniouen.
In Yictori;! wohnte TJiomas einer Krankenbehandlung bei, welche
drei junge Männer betraf. Sie hatten im Freien überaachtet und be-
haupteten nun. von der Krankheit Tur-run befallen zu sein, welche darin
Itesteht, dass Zaul)erer ihnen dünne Baumzweige in die Augen gestossen
hätten. „Sie waren in Verzweiflung, und Muthlosigkeit breitete sich im
Volke aus und es herrschte grosse Verwirrung im Lager. Aber sogleich
erschienen neun weibliche Aerzte. Sie legten die jungen Männer an ein
ganz von Baumrinde entzündetes grosses Feuer, das sie speciell für sie be-
reitet hatten, und an einem angemessenen Platze abseits vom Hauptlager.
Jede der neun Frauen hielt in der einen Hand ein Stück brennender Binde
und in der anderen ein Bündel Zweige, die vom Pallee gepflückt waren.
Jede Frau berührte die Kranken mit den Z^veigen am Kopfe. Die weib-
lichen Aerzte gingen dann rings um das Feuer, wobei sie die Blätter der
Zweige an der Flamme gut erwärmten, und die heissen Blätter wurden
dann gegen die Brust der Kranken gerieben, und gegen die Stelle, wo der
Marm-bu-la (das Nierenfett) sitzt, und gegen den Nabel. Und sie be-
schleunigten ihre Schritte und erhitzten die Blätter mehr und mehr, und sie
rieben die Blätter gewaltsam, gegen die Augenbrauen, den Kopf und die
Hände der Kranken, wobei sie die ganze Zeit fremdartige Gesänge und
schreckliche Anzeichen von Betrübniss und Trotz wiederholten. Als das
gemacht Avar, warf jede der Frauen ihren Zweig in das Feuer. Sie nahmen
nächstdem Kun-nun-der (Kohlenpulver) und jeder weibliche Arzt machte
jedem Patienten einen schwarzen Strich vom Nabel bis zu der Brust, und
dann einen schwarzen Strich von jedem Mundwinkel bis zum Ohre. Als
das alles geschehen war, wurden die sichtlich sehr erschöpften Kranken
nach ihrer Hütte (Miam) zurückgebracht. Aber so gross war das Zutrauen
der Kranken zu dieser Behandlungsmethode, dass sie geheilt waren und
kui'z darauf ihren gewohnten Beschäftigungen nachgingen. V^ährend des
ExiDcrimentes, als die weiblichen Aerzte besonders beschäftigt waren, wurde
der Stärkste der drei Schwarzen ohnmächtig und wiu'de von der einen der
weiblichen Aerzte unterstützt und gehalten.''
Der Sinn dieser Cerenionie ist vermuthlich der, dass die Kj'anklieit in
die Zweige und Blätter gebannt wird, und wenn man sie nun in diesen
gefangen hält, dann wird sie mit den Zweigen in das Feuer geworfen und
sie muss dann natürlicher Weise verbrennen.
Hieran erinnert eine Procedur, welche von den Steinen mit einem
kranken AVeibe der Yuruma-Indianer vornehmen sah. „Die Frau lag
in der Hängematte; mit einem grünen Zweige rieb ihr der College Gesicht,
Hals, Brust und Bauch, mit beiden Fäusten aus Leibeskräften zudrückend,
und pustete, als Avollte er sich bei der Anstrengung die Seele auspressen.
Dann nahm er den Zweig in die hohlen Hände, vorsichtig, als ob er von
einer Flüssigkeit zu verschütten fürchte, und trabte hinaus, ihn fortzuwerfen,
immer aus dem tiefsten Inneren ächzend. Wiederkehrend unterwarf er den
Rücken der Frau derselben Procedur; er wedelte den Zweig, auf dem sie
gelegen, zuerst wie abstäubend und begann zu kneten; mit derselben wichtigen
Aengstlichkeit brachte er die gefangene Materie in"s Freie."
87. Das Fangen, Festbannen und Vernicliten der Krankheitsdämonen. 195
Aehulich ist auch die Methode der Papua von der Geelvinkbai in
Neu- Guinea, v. Hasselt schreibt: .,Mauchmal kueipt der Konorr (d. h.
der Zauberer) Daumen uud Zeigefinger der rechten Hand so zusammen,
als ob er ein Stück von dem Leibe des Kranken festhielte, bringt die
geschlossenen Finger an seinen Mund, pfeift und öffnet die Finger wieder,
um den vermeintlichen Swangie oder Manoin (Dämonen) fortfliegen zu
lassen."
Auf den Aaru-Inseln und im Babar-Archipel schlägt man Epilep-
tische mit gewissen Blättern, damit der böse Geist in dieselben fahre. Ist
das glücklich gelungen, dann werden sie fortgeworfen.
Von der Behandlung eines Kindes in Ko et ei in Borneo mit einer
AVunde am Beine berichtet Tromp. Der Medicin-Mann holte ein Blatt
hervor „und legte es, Beschwörungen murmelnd, mit allerlei fremdartigen
Geberden auf die eiternde Stelle. Als dann ein Fleck auf das Blatt kam.
so war dieses der böse Geist, der die Qual ver-
ursacht hatte; der Medicin-Mann guckte es einige
Zeit an, und entfernte sich dann mit ein Paar
Riesensprüngen plötzlich aus der Gesellschaft.
Das musste bedeuten, dass der böse Geist plötz-
lich in ilm gefahren war, und als er entfliehen
Avollte, ihn mitgeführt hatte. Der Medicin-Mann
wurde dann von einigen anderen nicht Dienst
thuenden Mediciu-Mänuern wieder zurückgeholt
und kam hinkend mit einem traurigen Gesichts-
ausdi'uck wieder, sehr passend, um anzuzeigen,
dass der böse Geist noch in ihm sei.. Aengstlich
])licken die Umstehenden umher, aus Furcht, dass
der böse Geist, der den Behabei sicherlich zu
verlassen sucht, in sie fahre, bis endlich das
Gesicht des Letzteren sich aufklärt und er wie-
dei" begann gut zu laufen zum Zeichen, dass der
gefährliche Geist gewichen sei. Wie diese Ent-
weichung stattgefunden hatte, wodurch sie ver-
ursacht war, wohin der Böse gegangen war, ohne
Jemanden aus der zahlreichen Gesellschaft zu
verletzen, das konnte ich nicht in Erfahrung bringen; vermuthlich wusste
man es selber nicht."
Auf Ambon und den Uliase-Inseln nimmt der Medicin-Mann ein
Pfeflerkorn und drückt mit diesem den Patienten an verschiedenen Stellen,
bis es schmerzt. So zwingt er unter Beschwörungen den Ki-ankheitsdämon
in das Pfefferkorn und dieses wird dann in einen Korb gelegt und an
einem bestimmten Orte fortgeworfen.
Bei den Annamiten bannt der Medicin-Mann den Ki-ankheitsdämon
in einen seiner Gehülfen oder auch in besondere kleine Puppen. Auf den
Inseln Romang, Dama, Teun. Nila und Serua fertigen die Medicin-
Männer ein Figürchen aus einem Palmblatte (Fig. 86) und stellen es über
den Kopf des Kranken. Davor legt man „als Opfer oder als Lockmittel
Sirih-Pinang und etwas Reis mit einer halben leeren Eierschale, wovon ein
Bischen von dem Inhalt auf die Stirn des Kranken gelegt wird. Der böse
13*
Fig. 86. Menschliche Figur aus
einem Koliblatt, in welche der
Krankheitsdämon gelockt wird.
Dama.
Nach Riedel.
196 XI. Die übernatürliche Krankenbehandlung.
Geist verlässt. durch das Stückcheu auf der Stirn augereizt, den Körper des
Xrankou. isst dasjenige, was auf der Stirn des Kranken liegt, und begiebt
sich darauf in das Bild, um den dargeboteneu Sirih-Piuang und Reis un-
gestört zu gemessen. Indessen betet und pfeift der Mediciu-Maun und ruft
den Dämon. Dann presst er in einem bestimmten Augeulilicke wüthend
das Bild und schlägt ihm den Kopf ab, damit der böse Geist, der in dem
Bilde ist, nicht mehr im Stande sei, zurückzukehren.''
AVährend hier der Krankheitsdämon in die Figur eines Menschen ge-
bannt wird, so findet es sich auch bisweilen, dass eine Thierfigur für diesen
Zweck hergestellt wird. Das ist besonders dann der Fall, wenn man auch
den bösen Geist, der die Krankheit verursacht, sich in der Gestalt eines
Thieres vorstellt. Auf Tanembar und den Timorlao-Inseln suchen alte
"Weiber die Epilepsie, welche man sich auf jenen Inselgruppen bisweilen
durch einen in dem Patienten sitzenden Vogel entstanden denkt, dadurch
zu heilen, dass sie eine Vogelfigur anfertigen. Dieser opfern sie dann am
Abend Reis und ein Huhn und schiessen nach ihr mit Pfeil und Bogen.
Auch bei den Dacota-Indiauern wird, wie wir sahen, sehr häufig
die Krankheit dadurch zu erklären gesucht, dass sie annehmen, der Geist
eines Thieres oder besser ein Geist in Thiergestalt, sei in den Körper des
Patienten gedi-ungen. Dann fertigt der Medicin-Mann aus Baumrinde das
Bild dieses Thieres und stellt es vor der Hütte des Kranken in eine
Schüssel, in welcher sich rothe Erde mit Wasser gemischt befindet. Mit
Avilden Bewegungen und mit Rasseln macht er sich um den Ki-anken zu
thun. Indessen stellt sich eine Frau mit gespreizten Beinen über die
Schüssel und hebt ihi-e Kleider bis zu den Knien in die Höhe, während
zwei bis di'ei Indianer mit geladeneu Gewehren bereitstehen. Es ist je-
doch nur Pulver und ein Baumwollenpfi-opf, aber keine Kugel in dem Ge-
wehr. Die Thür der Hütte ist geöffnet, damit die Indianer den Medicin-
Mann sehen können. Sowie dieser ihnen das Zeichen giebt, feuern sie auf
das Rindenthier, um es in Stücke zu zertrümmern. Dann tritt die Frau
bei Seite und der Medicin-Mann macht einen „Satz zu der Schüssel auf
seinen Händen und Knien und beginnt in dem Wasser zu blubbern, zu
singen und allerlei Lärm zu machen. Während dessen macht die Frau
einen Sprung auf den Rücken des Arztes und steht hier einen Augenblick.
Dann steigt sie herunter, und sowie er seine Beschwöruugsgesänge l)eendet
hat, packt ihn die Frau bei seinen Kopfhaaren und zerrt ihn in die Hütte
ziu'ück, aus der er hervorgesprungen war. Werden noch irgendwelche
Trümmer des Thieres gefunden, auf das geschossen wurde, so werden sie
sorgfältig verbrannt, und dann ist für diesmal die Ceremonie zu Ende.
Wenn dieses den Kj'anken nicht heilt, so wird eine ähnliche Ceremonie
vorgenommen, aber es wird eine andere Thierart geschnitzt und nach der-
selben geschossen."
88. Bas Bemalen und das Ummalen des Kranken.
Als weiter oben von der Behandlung der Australneger die Rede
war, dui'ch welche die Tur-run-Krankheit vertrieben wurde, da haben
wir es bereits erwähnt, dass die weiblichen Aerzte zum Schlüsse ihrer Heil-
88. Das Bemalen und das Ummalen des Kranken. 197
ceremonie den drei Patienten mit Kohlenpiilver einen schwarzen Strich vom
Nabel aufwärts bis zur Brust und einen von jedem Mundwinkel bis zum
Ohi-e malten. Dass dieses Bemalen in den Augen jener Leute eine be-
sondere Bedeutung besitzen muss, das liegt wohl auf der Hand; aber es ist
nicht leicht, sich eine klare Vorstellung davon zu machen, was sie nun
eigentlich damit bezwecken. Um so wichtiger ist es daher, dass wir uns
auf dem Erdkreise umblicken, ob diese Vornahme ganz vereinzelt dasteht
ohne Analogie, oder ob wir auch sonst noch irgendwo ähnliche Erschei-
nungen anzutreffen vermögen.
Da ist zuerst wieder ein Beschwörungsgesang der Klamath-Indianer
zu erwähnen, der als „der Frau Gesang" bezeichnet ist. Er hat den
AVortlaut:
„Bemalt bin ich am Körper,
Ich, eine Frau, ]:)in schwarz bemalt."
"Wir können allerdings nicht ersehen, ob sie eine kranke Frau vor-
stellen soll.
Den Australnegeru von Gippsland wird von den Medicin-Männern
häufig vorgeschrieben, dass, wenn sie krank sind, sie ihr Gesicht weiss be-
malen sollen. Die Miucopies auf den Andamanen fertigen eine ockerrothe
Farbe, Koi'ob genannt, aus Eisenoxyd, das sie mit dem Fett vom Schwein,
von der Schildkröte, bisweilen auch von einem Iguana oder von einem
Dugong mischen. Diese Farbe hat nicht nur kosmetische Bedeutung, sondern
sie wird auch zu Heilzwecken benutzt. Denn sie bemalen damit den Fieber-
kranken die Oberlippe und, wenn dieselben verheirathet sind, auch den Hals.
An der Loango-Küste sah Soyaux eine Patientin, welche an Schlaf-
losigkeit und an heftigen Schmerzen im rechten Arm und Beine litt. „Der
Zustand währte schon beinahe eine Woche, und verschiedene aus rotlien
und schwarzen und gelben Tupfen gebildete Figuren auf der Haut der
leidenden Körpertheile verrathen, dass ein N'ganga seine Zauberkünste
gegen die &ankheit versucht hat." Von der Insel Saleijer heisst es, dass
fiir die Behandlung von Fi eberanf allen den Kranken das Gesicht mit allerlei
Schminken bestrichen wird.
Haben wir nun in diesen Bemalungen eine Art der Weihung und
Heiligung zu erkennen, oder sollen sie den Dämon der Krankheit er-
schrecken, oder sind sie dazu bestimmt, ihm die Wege vorzuzeiclmen, auf
welchen er den Kranken verlassen soll? — ich weiss es nicht zu sagen.
Verständlicher werden uns aber diese Bemalungen schon, wenn sie mit
Opferblut ausgeführt werden. Dieses stammt in Nieder - Californien
von einer der nächsten weiblichen Verwandten; dieselbe muss sich in den
kleinen Finger schneiden und das Blut auf den kranken Theil des Patienten
träufeln lassen.
Bei den Betschuanen lässt der Medicin-Mann das Blut des Opfer-
thieres auf den Erkrankten fliessen. Die Mosquito-In dianer hegen auf
Anordnung ihrer Medicin-Männer Tage lang mit Blut beschmiert, allen
AVettern ausgesetzt, am Ufer, um ihre Wiederherstellung zu erwarten. Die
Ostjaken nehmen zwar nicht das Blut, aber das Fett des Opferthieres, um
damit des Patienten Stirn und seine kranken Glieder zu bestreichen.
Einer höchst interessanten Ceremonie hat Matthews in Arizona l)ei-
gewohnt. Man könnte diese Art der Heilungsmethode als das Sitzen auf
198
XI. Die übernatürliche Krankeubehamlluug.
dem Gemälde bezeiclmen. Es war ein grosser, schon einige Male erAvälmter.
Medicin-Tanz der Navajö, deren diese Indianer siebzehn besitzen sollen.
Er führt den Namen ..der Gesang gegen die Berge" und schildert die
Wanderungen eines ihrer Proj^heten durch die überirdischen Gefilde der
Welt. Neun volle Tage nimmt dieser Medicin-Tanz in Anspruch; die vier
ersten hatte man schon vor Monaten gefeiert; fünf Feiertage standen
noch aus.
Eine Medicin -Hütte (Fig. 87) wurde errichtet, von weit und breit
strömten die Stammesgenossen zusammen und ein reiches Rituale kam zur
Entwickeluug. Einzelnes daraus wurde früher schon erwähnt; es ausführ-
lich zu schildern fehlt hier der Raum. Uns interessiren an dieser Stelle
die an vier Tagen ausgeführten Trocken gern aide (dry paintings). Sie
werden durchaus nicht ohne Kunst und mit grosser Sorgfalt crefertifft.
Fig. 87. Medicin-Hütte der Navaju-Indianer.
Nach Mattheus.
Feierlich werden die Farben bereitet; rother, gelber und weisser Sand-
stein und Kohle werden zu feinem Pulver zerrieben. Sie bilden die Grund-
farben und sie sind gleichzeitig auch von einer heiligen Bedeutung. Schwarz
ist der Norden, weiss der Osten, gelb der Westen und der Süden blau.
Letzteres, sowie auch die anderen Mischfarben werden diu'ch Yermengung
der Pulver erzeugt. Die Schüler des Medicin-Maunes haben die Bilder zu
fertigen, je eines an einem Tag, vier an der Zahl. Da zu jedem der
siebzehn Medicin-Tänze vier Bilder gehören, müssen sie CS verschiedene
Zeichnungen auswendig kennen.
In den geebneten Boden wird die Zeichnung furchenartig eingekratzt
und in diese Furchen dann das färbende Pulver hineingestreut. Sorgfältig
überwacht der Medicin-Mann die Arbeit; ohne jedoch selber mit Hand an-
zulegen; aber hier und da, wo es ihm nöthig erscheint, ordnet er die Ver-
88. Das Bemalen und das ünamalen des Kranken.
199
hesserimg von Zeichenfelilern an. Denn die Zeichnung nuiss nach streng
ritueller Vorschrift gefertigt werden und jede willkürliche Abweichung da-
von würde ein Sacrilegiuni sein. Menschliche Figuren werden zuerst nackt
ausgeführt und danach erst die ihnen bestimmte Kleidung darüber gemalt.
Zwölf Männer hatten an einem der Bilder (Fig. 88) volle sieben Stunden
arbeiten müssen.
Auf einer bestimmten Stelle dieser Bilder muss der Patient sich nieder-
setzen (in diesem Falle war es eine Frau), und zu dem Rituale gehörte es
Fiff. 88.
Trockengemälde der Navajü-Indianer.
Nach Matthews.
unter anderem, dass der Medicin-Mann seine Hände mit Speichel befeuchtete,
sie gegen geeignete Punkte der Zeichnung anthiickte und dann die Patientin
damit bestrich. Das ist also auch eine Art der Bemalung des Kji'anken.
Zuerst nahm der Medicin-Mann auf die geschilderte Weise Staub von den
Füssen der gemalten Gottheiten und brachte ihn auf die Füsse der Patientin.
Dann nahm er nach der Keihe Staub von den Knien, vom Leibe, von der
Brust, von den Schultern und dem Kopfe der Figuren und applicirte sie
den betreffenden Theilen der Kranken, womit er jedesmal eine kräftige
200 XI. Die übernatürliclie Krankenbehandlung.
Massage verband. Hier liegt das Heiligende der Bemalung deutlich zu
Tage, denn die Körpertheile der Gottheiten werden hier allmählich in den
menschlichen Körper gebracht und das muss natürlicher Weise dann die
Krankheit zur schleunigsten Flucht veranlassen.
Von dieser Heilwirkung waren auch die Anderen überzeugt, denn als
die Patientin fortgegangen war, nahten sich mehrere Zuschauer dem Ge-
mälde und nahmen etwas von dem Farbenstaub der Figuren, um damit die
schmerzhatten Stelleu ihres Körpers zu betupfen. Wer ein Leiden au seinen
Beinen hatte, der nahm Staub von den Beinen des Götterbildes, und wer
an dem Kopfe litt, nahm Staub vom Kopfe u. s. w. Unter Rasseln und
Gesang wurden am Schlüsse der Ceremonie jedesmal die Bilder von dem
Mediciu-Manne verwischt, wobei er eine ganz besondere Reihenfolge einhielt.
An einem der Tage vorher hatte schon der Medicin-Mann eine Um-
malung der Patientin vorgenommen. Er hatte mit der Rassel die Zeich-
nung des Tages ausgelöscht; die kranke Frau wurde von zwei sie unter-
stützenden Weibern aufgerichtet und „da, wo die Zeichnung gewesen war,
auf die Seite gelegt mit dem Gesicht nach Osten. AVährend sie hier lag,
ging der Medicin-Mann singend um sie herum, schrieb bei ihren Füssen
mit dem Finger eine gerade Linie iu den Sand und kratzte sie mit dem
Fusse aus, schrieb bei ihrem Kopfe ein Kreuz und wischte es in gleicher
Weise aus, zog strahlenförmige Linien in allen Richtungen von ihrem Körper
aus und verwischte sie, gab ihr eine leichte Massage, pfiff über sie vom
Koj)fe bis zu den Füssen und rund um sie her und pfiff gegen das Rauch-
loch, als wenn er etwas fortpfiffe. Die letzte Operation war eine kräftige
Massage, bei welcher er ihr jeden Theil ihres Körjjers gCAvaltsam knetete und
ihre Gelenke heftig zog, wobei sie stöhnte und Zeichen von Schmerz äusserte.
Als dieses beendet war, stand sie auf Ein Blanket wurde nördlich vom Feuer
auf die Erde gebreitet, in dessen Nähe der Manu in Immergrün (einer der
Tänzer) verborgen war. Beim letzten Erscheinen desselben fiel die Frau um,
sichtlich paralysirt und an Athembeschwerden leidend; was alles vielleicht
erheuchelt war, aber als ein Zeichen betrachtet wurde, dass die richtige
Ceremonie oder das Heilmittel für ihre Leiden gefunden war und dass kein
anderes versucht zu werden brauche. Der Medicin-Mann rief sie zum Be-
wusstsein zurück, indem er Zickzacklinien von ihrem Körper nach Osten
und Westen und gerade Linien nach Norden und Süden zog, gleich ihren
Symbolen, den Ketten und Blitzstrahlen, wobei er in verschiedenen Rich-
tungen über sie hinwegschritt und rasselte."
Als sie nun gänzlich aufgewacht war, diiickte er mit Truthahnfedern
geschmückte Zauberstäbe gegen verschiedene Stellen ihres Körpers, und
danach trat eine Pause ein, welche die versammelten Zuschauer und Assi-
stenten mit Singen, Rasseln, Spielen und Rauchen ausfüllten.
89. Das Zurüekholeii der Seele oder des Schattens.
Die Methoden der ärztlichen Behandlung, welche wir bisher betrachteten,
haben uns sämmtlich den Beweis geliefert, dass sie auf das Engste zu den
Anschauungen in Beziehung stehen, welche die uncivilisirten Nationen sich
von der Natur und dem Wesen der Krankheiten gebildet haben. Wir
89. Das Zurückholen der Seele oder des Schattens. 201
hatten nun früher bereits gesehen, dass die Ki-ankheit auch dadurch ent-
stehen kann, dass ein Dämon dem Menschen die Seele entführt oder ihm
seinen Schatten raubt, und wenn der Kranke genesen soll, so muss der
Mediciu-Mann ihm das Entfühi'te wieder verschaffen. Diese Aufgabe ist
natürlich nicht leicht, denn erst muss gesucht werden, wer die Seele raubte,
oder wie sie sonst verloren ging; dann muss der Medicin-Mann den Platz
entdecken, avo der Dämon sie gefangen hält, oder wo sie sich verbirgt, und
endlich muss er den bösen Geist zwingen oder auf gütliche Weise ver-
anlassen, dass er ihm die Seele zum Zurückbringen überlässt.
Eine solche Entführung der Seele ist auf Sumatra und aufNias, auf
Ambon und den Uliase-Inseln bekannt, aber auch die Indianer Nord-
Amerikas glauben an dieselbe. Auf Ambon kann auch der Schatten ent-
führt werden. Bei den Twana-, Chemakum- und Klallam-Indianern
kann die Seele auf einem Lagerplatz zurückgelassen werden. Sehr ver-
breitet ist aber der Griaube bei den Indianern, dass die Seele in das
Geisterland auswandern könne. Dann verfällt der Kranke sichtlich in seinen
Kräften Lind sein Tod ist ganz unvermeidlich, wenn die Seele ihm nicht
zurückgebracht wird.
Bei den Topantunuasu auf Selebes vermag auch ein Sclireck die
Seele aus dem Körper des Menschen zu verscheuchen. Sie sind der Meinung,
dass dieses bei den Epileptikern der Fall ist. Die Kranken werden dann
mit Ruthen geschlagen, um das Mitleid der entflohenen Seele zu erregen.
Um ihrem Körper die Misshandlungen zu ersparen, kehrt sie dann willig
in denselben zurück.
Auf Ambon und den Uliase-Inseln bringen die bösen Geister die
von ihnen entführten Schatten und Seelen der Menschen in die Wälder
und an einsame Plätze. Hier sucht sie Nachts der Medicin-Mann auf, be-
waffnet mit „einem Feuerbrand, um dem Bösen Furcht einzujagen, nimmt
an der Stelle einen Zweig, gleichgültig von welchem Baume, schlägt damit
links und rechts, als ob er ihn fangen wollte, während er den Namen des
Ki-anken ruft, und kehrt damit nach Hause zurück. Wenn er dann zu
dem Kranken kommt, so schlägt er diesen mit dem Zweig, in welchen, wie
man sich vorstellt, der Schatten gefahren ist, auf den Kopf und den Körper
und bringt auf diese Weise den Schatten wieder in den Körper des Kranken
zurück."
Wenn auf Nias der Medicin-Mann von dem Ädü entsprechend unter-
stützt wii'd, dann sieht er, aber er nur allein, eine leuchtende Fliege. Diese
sucht er mit einem Tuche zu fangen, denn es ist der Schatten, welcher zimick-
kehrt. Hat er ihn erwischt, dann reibt er ihn in die Stirn und die Brust
des Patienten hinein und auf diese Weise wird jener gerettet.
Eine grosse Ceremonie bildet das Zurückholen der Seele bei den
Minangkabauer auf Sumatra. Der weibliche Arzt, welchem dieses ob-
liegt, lässt acht nach besonderer Yorschrift bereitete Opferingredienzien auf
eine erhöhte Stelle legen, und unter dem Verbrennen von Benzoe-Harz in
einer Kohlenpfanue ladet sie dann ihre Hülfsgeister ein, sie in dieser Ai'beit
zu unterstützen. Sie legt sich nieder und wird dicht mit Decken zugedeckt.
Ungefähr eine Viertelstunde später spürt man am Zittern ihrer Beine, dass
ihre Seele ihren Körper verlässt und sich auf der Reise nach dem Dorfe
der Djihins, der Geister befindet. Dort angelangt, erzählt sie ihren Freunden
202 XI. Die übernatürliche Krankenbehandlung.
und Freundinnen, was der Zweck ihres Besuches ist (dieses hört man aber
nicht), worauf die Aelteste der weiblichen Djihins, Mande Roehiah, mit
einigem Gefolge, worunter auch männliche, um dem Räuber der Seele
Respect einzuflösseu, die Gefangene suchen geht.
Manchmal, d. h. bei einem ernstlichen Krankheitsfall, verlangt der böse
Geist liir die Herausgabe ein Opfer, und. als Unterpfand für die Erfüllung
eines diesbezüglich abgelegten Gelübdes, ein Ai'mband, einen Bjis oder eine
andere Kostbarkeit. Diese Gegenstände werden dann auch öfters zu diesem
Zwecke an die Doekoen (die Medicin-Frau) abgegeben. Glückt es der
Mande Roehiah nicht, die Seele zurückzubekommen, dann ist kein Zweifel,
dass der Patient sterben wird. Wird sie ihr jedoch überlassen, dann bringt
sie sie unter dem Geleite von einem grossen Gefolge, das sie gegen die
Angriffe von neuen Räubern sicherstellen muss, zurück, und die Herstellung
des Patienten kann danach erwartet werden.
Die Ankunft der Djihins, welche den Lebensgeist zurückfiihren, wird
angekündigt durch neues Zittern in den Beinen der Aerztin, die selber
jedoch, d. h. ihre Seele, noch in der Geisteransiedelung zm-ückgeblieben
ist. Von dem Stimmengetöse, das sich unter der Decke hören lässt, wird
angenommen, dass es von den in die Aerztin gefahrenen Geistern herrühi'e.
Die Geister werden dann zu dem Speiseopfer eingeladen und der älteste
weibliche Geist befiehlt darauf seinen Genossinnen, die mitgeführte Seele
nun wieder in den Körper des Kranken zu bringen. Sie thun das unter
folgendem Gesang:
„Die Lakoep (eine wilde Mangga) trägt Früchte;
Sie trägt deren sieben und zwanzig.
Den Lebensgeist haben wir geholt,
Er hat seineu Sitz in dem Körper.
Die Lakoep trägt Früchte:
Sie trägt deren ein Körbchen voll.
Den Lebensgeist haben wir geholt,
Er hat seinen Sitz in dem Ringfinger.
Die Lakoep trägt Früchte;
Sie trägt deren ein Körbchen voll.
Den Lebensgeist haben wir geholt,
Er hat seinen Sitz im Daumen.
Die Lakoep trägt Früchte:
Sie trägt deren ein Körbchen voll.
Den Lebensgeist haben wir geholt,
Er hat seinen Sitz in der grossen Zehe.
Die Lakoep trägt Früchte;
Sie trägt deren ein und zwanzig.
Den Lebensgeist haben wir geholt,
Er hat seinen Sitz in der Pupille des Auges."
Dann wird an die Führeriu der Geister noch die Frage gerichtet, was
nun noch füi* den Ej-anken gethan werden soll. Sie bestimmt dann ein
Bad, ein Opfer oder dergleichen; in Bezug auf die Medicamente schreibt
sie aber vor, dass hierüber die Aerztin befragt werden müsse.
89. Das Zurückholen der Seele oder des Schattens.
203
Wir hatten gesehen, dass bei den Indianern die Seele in das Geister-
land entführt wird oder entflieht, nnd die Medicin-Männer der Haidah-
In dianer besitzen, wie schon früher gesagt wurde, besondere knöcherne
Instrumente, um die fliehende Seele des Patienten festzuhalten (Fig. 89).
In einem Beschwörungsgesange der Modoc-Indianer singt der Kranke:
„Als icli ankam in dem Geisterland,
Klagte die Erde und schrie.''
Bei den Canadiern versetzt der Medicin - Mann den Patienten in
magischen Schlaf. Dann bringt sein Hülfsgeist die Seele zurück, und nun
erweckt er den Kranken mit einem Schrei, dessen Heilung dann glücklich
vollendet ist. Die Twana-Indianer im Washington-Territorium führen
die Ceremonie, um die
verlorene Seele zurück-
zuholen , des Nachts
aus, weil diese der
Tageszeit in dem Gei-
sterlande entspricht.
Um die Rückkehr aus
dem Geisterlande mög-
lichst zu erleichtern,
muss die Erde ver-
schiedentlich aufge-
graben werden. Pan-
tomimisch führt der
Medicin -Mann seine
Reise auf, das Ueber-
setzen über Flüsse
u. s. w., bis er die
Wohnung der Geister
erreicht. Er überrum-
pelt sie und entreisst
die Gefangene, was die
Zuschauer mit einem
allgemeinen Lärme ])e-
gleiten. So di'ückt auch
der Schamane der si-
birischen Völker pantomimisch aus, wie er in die höhereu Himmel
eindringt, und deutlich hören die Zuschauer das Geräusch, wenn er die
Scheidewände zwischen je zwei Himmeln durchbricht.
Eine Wiederherstellung des Patienten kann hier, wie schon gesagt,
nur dann eintreten, wenn es die Seele zurückzubringen gelingt. Ist dieses
njcht ausführbar, dann stirbt der Kranke. Auf Ambou und den Uliase-
Inseln weiss der^Medicin-Mann aber hier auch noch Rath.
Zu diesem Zwecke geht er des Nachts aus, und wenn er vor die Woh-
nung eines Dorf-Genossen kommt, so fragt er. wer ist da? Ist man un-
v£i'sichtig genug, darauf zu antworten, so nimmt er einen Kloss Erde vor
der Thür dieser Wohnung auf. Hierin hat er dann die Seele des Autwort-
gebers gefangen und nun legt er den Kloss unter das Kissen des Kranken
Fig. 89. Knochenwerkzeuge der Medicin-Männer der Haidah-
Indianer, um die fliehende Seele des Patienten festzuhalten.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin. — Nach einem Aquarell.
204 XI. Die übernatürliche Krankenl^ehandlung.
und briugt die Seele in seinen Körper. Darauf giebt er zwei Schüsse ab,
um der Seele Fiu-cht einzujagen, damit sie nicht wieder zu ihrem vorigen
Besitzer zurückzukehren wagt.
90. Das Zurückbringen geraubter Körpertheile.
Eine Ursache der Erkrankung hatten wir endlich auch in dem Um-
stände zu erkennen, dass ein normaler Körperl)estandtheil des Menschen
seinen ihm zukommenden Platz verlässt, oder dem reclitmässigen Besitzen-
böswillig geraubt und entwendet wird. Von der in eine andere Region des
Körpers gewanderten Galle bei den Chippeway-Indianern ist schon oben
die Rede gewesen. Dieselbe soll aber nicht an ihre normale Stelle zurück-
kehren, sondern sie wird, wie wir gesehen haben, von dem Medicin-Manne
aus den Körpertheilen, in die sie gewandert ist, herausgesogen. Bei den
Indianern glaubt man aber auch an die Möglichkeit, dass das Herz aus
dem Körper herauswandere. Das können wir aus einem Beschwöruugs-
gesange der Modo es entnehmen, in welchem der Kranke singen niuss:
„Jetzt ist mein Herz zurückgekehrt."
Etwas Aehnliches kennt unsere Volksmedicin. Man glaubt besonders
in unseren Alpenländern, dass die Gebärmutter in der Gestalt einer Kröte
der schlafenden Frau zum Munde herauskriechen könne. Auf demselben
Wege kriecht sie zurück. Aber auch in wachem Zustande des weiblichen
"Wesens kann sie innerhalb des Körpers nach aufwärts wandern, sich heben,
wie der Yolksausdruck lautet. Das macht dann die erheblichsten Beschwerden,
die bis zu Krämpfen ausarten können. Eine kräftige Beschwörung bannt
dann wieder die „Hebmutter" an ihren ursprünglichen Platz.
Eine hervorragende Rolle aber spielt das Verlorengehen eines Körper-
theiles in der Pathologie der Eingeborenen von Australien. Es ist der
Verlust des Marm-bu-la, des Nierenfettes, der in Victoria schwere
Krankheiten erzeugt. Wenn ein Schwarzer allein, und fern von dem Lager-
platze ist, dann kommt es sehr häufig vor, dass der Geist eines wilden
Schwarzen ihm das Nierenfett raubt. Seine Kraft ist dann gebrochen, sein
Tod ist gewiss, wenn das Nierenfett ihm nicht zurückgebracht wird. Mühsam
nui' ist er noch im Stande, zu dem Lager zurückzukriechen. Thomas sah
einen solchen Ki-anken, ein Freund und sein Bruder stützten ihn in ihren
Armen und hielten ihm den Koj^f aufrecht, da eine plötzliche Schwäche
ihn übermannte. Rings um sie her nahmen die Männer Platz in di'ei Kreisen,
deren innersten die ältesten, deren äussersten die jungen Leute einnahmen.
Die Weiber hielten die Hunde in Ruhe; Todtenstille herrschte im Lager.
Ein kleines Feuer von qualmender Rinde, an dem aber keine Flamme her-
vorbrechen durfte, war zur Rechten und ungefähr 3 Yards von dem kranken,
sterbenden Mann bereitet; und in einer Entfernung von ungefähr 200 Yards
in der Richtung der Stelle, wo ihm das Fett genommen wurde, waren in
kiu'zen Abständen besondere schwälende Rindenstücke hingelegt, welche
auf dem Boden wie ungeheure Feuerfiiegen aussahen. Ein Mann wartete
die Rindenstücke ab und unterhielt ihr Glimmen, liess aber keine Flamme
aufkommen. Ein ])esonders geschickter Medicin-Mann, 3Idlcolm mit Namen,
91. Die sj^mpathetische Krankenbehandlung. 205
war gerufen und begann seine Arbeit. „Er verschwand in der Dunkelheit;
Zw'eige knackten, als er seinen vermeintlichen Flug durch die Bäume gen
Himmel begann. Malcolms Stimme wurde gehört. „Goo-goo-goo" war der
Ton, den man dui'ch die stille Nacht hörte, und der Mann, der den Körper
hielt, antwortete „Goo-goo-goo". Malcolm konnte nicht sogleich den wilden
Schwarzen finden, der das Nierenfett geraubt hatte, und er war daher, wie
die Schwarzen glaubten, gezwungen, einen langen Flug zu machen. Er
war ungefähr dreiviertel Stunde abwesend. Als durch das Rascheln der
Zweige Malcolms Rückkehr angezeigt wurde, schrie der alte Mann, der
neben dem Kranken sass:
„Komm, bringe zurück das Merenfett, mach' hurtig!"
Jede Silbe wurde betont und langsam und feierlich ausgerufen.
,,Malcolm erschien, und ohne ein Wort zu sprechen packte er den sterben-
den Manu und rieb ihn heftig, sein Augenmerk hauptsächlich auf die Seiten
des armen Menschen richtend, welche er unbarmherzig stiess und schlug."
Dann erklärte er die Heilung für glücklich vollendet und hell aufjauchzte
das ganze Yolk. Der Ki-anke erhob sich, zündete seine Pfeife an und
rauchte vergnügt in der Mitte seiner Freunde.
Kein einziger Schw^arzer zweifelt daran, dass ihr Arzt wü-klich durch
die Luft geflogen ist; ja Viele wollen sogar gesehen haben, dass, wenn er
von solchem Fluge ziu'ückkehrt, sein Körper dicht mit Federn bedeckt ist.
91. Die sympathetische Krankenbehandlung.
Wir hallen zum Schluss nun noch einen Blick auf die sympathetischen
Heilmethoden zu werfen. Im Ganzen ist ihre Zahl sehr gering, verschwindend
gegen die übrigen Behandlungsarten. Als eine sympathetische Heilmethode
müssen wir es aber betrachten, wenn die alten Central-Amerikaner, um
sich von eigener Krankheit zu befi'eien, ihre Sklaven und selbst ihre Kinder
füi' sich in den Tod gehen liessen. Eine sympathetische Heilmethode ist
es auch und im Grunde genommen nichts Anderes, als ein symbolisches
Menschenopfer, wenn bei den Indianern Nieder-Californiens ein Kind
oder eine Schwester des Kranken sich in den kleinen Finger schneiden
muss, um das daraus hervorrinnende Blut auf den Patienten tropfen zu
lassen.
Hierher gehört auch die oben besprochene Sitte der Australneger,
wo die Frau des Kranken ihr Zahnfleisch reiben muss, bis es blutet, und
wo der Patient dann dieses Blut als Medicin heruntertrinkt.
Auch das Unschädlichmachen einer Bezauberung durch die Anw^endung
eines Gegenzaubers, der die Krankheit dem böswilligen Anstifter in den
eigenen Körper zwnngt, ist unzweifelhaft auch eine sympathetische Behand-
lungsmethode. Sicherlich gehört aber eine Art der Heilung hierher, wie
sie die Dieyerie in Süd-Australien üben.
„Stösst hier einem Kinde irgend ein Unfall zu, so erhalten alle Ver-
wandten sofort Schläge mit Stöcken oder Bumerangs gegen den Kopf, bis
das Blut über die Gesichter fliesst. Von dieser chirurgischen Operation
nehmen sie an. dass sie die Schmerzen des Kindes lindere."
206 XI. Die übematürliclie Krankenbehaudlung.
Taplin erziihltvou deuNarriiiyori. welche ebeufalls in Süd-Australieu
wohnen, dass er Aviederholenthch graubärtige Leute fast naekeiid vor ihrem
erkrankten Sohn einen langen, feierlichen Tanz habe aufführen sehen und
dass sie hinterher fest davon durchdrungen waren, dass sie für die Wieder-
herstellung des Patienten etwas Erkleckliches geleistet hätten.
Dieser Tanz lässt nun allerdiiigs wohl auch noch eine andere Deutung
zu. Vielleicht hatten die alten Leute die Absicht, auf diese AVeise einen
Krankheitsdämon zu vertreiben.
Sympathetische Krankenbehandlung ist ohne allen Zweifel auch bei
den Akkadern und Assyrern im Schwange gewesen. Dies lehren uns
gewisse Stellen ilii'er Beschwörungs-Gesänge. Denn sicherlich sind die in
denselben geschilderten Vorgänge neben dem Hersagen der Beschwöiung
in Wirklichkeit auch ziu' Ausführung gekommen. So wird in einer Zauber-
formel, deren lateinische Uebersetzung wir Jensen verdanken, eine Dattel,
eine Blüthenhülle, eine WollHocke von dem Schaf und eine von der Ziege
nebst Knoblauchschalen in das Feuer geworfen. Jeder Act ist von einer
Beschwörung begleitet. Die für den Knoblauch bestimmte lautet:
„Wie dieser Knoblauch abgeschält und in das Feiier geworfen wird,
Die verbrennende Flamme hat ihn verbrannt,
In den Gemüsegarten wird er nicht gepflanzt werden,
An dem See oder Graben wird er nicht gesetzt werden.
Seine Wurzel wird den Boden nicht fassen,
Sein Stengel wird nicht hervorsprossen und die Sonne wird ihn nicht sehen,
Zur Speise der Gottheit oder des Königs wird er nicht genommen werden, —
So möge er diese Beschreiung herausreissen.
Und verjagen das Joch
Der Krankheit, der Pein, des Verbrechens, des Fehls, des Unrechts, des Frevels.
Die Krankheit, die in meinem Körper, in meinem Fleisch, in meinem Lager ist,
0 dass wie dieser Knoblauch sie abgeschält werde!
Die zu dieser Zeit verbrennende Flamme, o dass sie doch sie vei'brenne!
Die Beschreiung, o dass sie herausgehe und ich, o dass ich das Licht sehen
möge ! "
Aehnlich, nur um mehrere Verse küi'zer, sind die Formeln, welche sich
auf die anderen Gegenstände beziehen. Jedesmals ist dann der Wortlaut
für den Gegenstand passend abgeändert:
„Wie diese Schafsw^ollfiocke genommen und in das Feuer geworfen wird,
Die verbrennende Flamme hat sie verbrannt.
Auf ihr Schaf wird sie nicht wieder zurückkehren,
Für die Kleider der Gottheit oder des Königs wird sie nicht genommen
werden, u. s. w."
Unwillkürlich wird man hierbei an die sympathetischen Vornahmen
der europäischen Volksmedicin erinnert. Auf dieselben näher einzugehen,
muss ich mir hier aber versagen.
XII.
Einzelne Capitel der speciellen
Pathologie und Therapie.
92. Die Augenkrankheiten.
Es ist in eleu vorhergehenden Seiten wiederholentHch von allerlei Krank-
heiten die Rede gewesen, mit denen die Aerzte der imcivilisirten Völker
sich mehr oder weniger häufig beschäftigen müssen. Yielleicht ist es uns
aber nicht uninteressant, wenn wir hier noch ein Paar Krankheitsgruppen
herausgreifen, um sie ein Wenig eingehender zu besprechen. Mit den Augen-
krankheiten und den Ohrenleiden wollen wir den Anfang machen.
Der vielfache Aufenthalt am offenen Feuer und in rauchigen Hütten muss
bei vielen uncivilisirten Völkern eine häufige Gelegenheitsursache für allerlei
entzündliche Processe an den Augen abgeben.
Auch die Fliegen verursachen in Australien und in Indien vielfach
Augenentzündungen und es wird besonders darauf aufmerksam gemacht,
wie ungemein lässig die Eingeborenen im Verjagen dieser Thiere sind.
Unter den 55 Medicinalpflanzen der Chippeway-Indianer finden wir
nicht weniger als 4, welche zu Waschungen erkrankter Augen gebraucht
werden; unter den G5 Medicinaldroguen von Harrär sind 5, welche für
Augenleiden berechnet sind. Paulitschke führt aber besonders an, dass die
Harrari neunerlei Methoden besitzen, um gegen die bei ihnen sehr häufigen
Augenleiden anzukämpfen. Die gebräuchlichste derselben ist, dass man
Gold- und Silbertheilcheu, sowie Kampfer, Moschus und Perlen pulverisirt
und das Gemenge in das kranke Auge einstäubt. Entschieden billiger Avar
das Vorgehen eines Medicin-Mannes am unteren Murray in Victoria.
Demselben hatte sich ein Colonist anvertraut, bei welchem eine hartnäckige
Augenentzündung den europäischen Mitteln nicht weichen wollte. Der
Schwarze riss einige Haare von seinem Kopfe, steckte sie in den Mund
und kaute sie nach und nach ganz klein. Dann stellte er den Kranken an
die Wand der Hütte, öffnete mit dem Zeigefinger und Daumen jeder Hand
dessen Augen und spie ihm die Haare aus seinem Munde hinein. Der
Kranke wälzte sich vor Schmerzen, aber seine Augen wurden schnell geheilt.
Die Klamath-Indianer in Oregon haben ebenfalls die Sitte, Augen-
pulver in Anwendung zu ziehen. Einer derselben erzählte Gatschet von der
Thätigkeit ihrer Medicin-Männer. In dieser Erzählung sagte er auch:
,.Die Augen aber, wenn sie geschwürig sind, in Blut Kohle mischend,
er schüttet es in die Augen, eine Laus noch dazu fühii er ein in das Auge,
das Weisse von dem Auge hervorkehrend, um auszuessen."
Die Twana-, die Chemakum- und die Klallam-Indianer, sowie
die Mittel- Sumatraner bedienen sich bei Augenentzündungen bestimmter
Bartels. Medicin der Naturvolker. 14
21') XII. Einzelne Capitel dei' speciellen Pathologie und Therapie.
Pflauzeniiut'güsse zum "Waschen der Auijeu. Das Gleiche gilt, Avie schon
gesagt, von den ChippeAvay. und auch hei den Aschanti und den Harrari
werden einige Pflanzen wahrscheinlich in ähnlicher AVeise angCAvendet. Die
Aschanti träufeln auch den Saft bestimmter Blätter in die Augen ein;
ebenso ist es auf dem Seranglao- und dem Gorong-Archipele gebräuch-
lich. Hier wird die betreffende Pflanze aber erst mit Milch gekocht und
durch ein feines Tuch geseiht, bevor mau den Saft in's Auge träufelt.
Die Eingeborenen von Mittel-Sumatra haben besondere Namen für
die Augeneutzündung, für die Kurzsichtigkeit und für die Blindheit. Die
Letztere macht wohl überall einen grossen Eindnick, und bei den Kla-
math -Indianern wird sie auch in den Beschwörungsgesängen der Medicin-
Männer erwähnt. Hier tritt „das blinde Medicin-Mädchen" auf und singt:
„Ich suche am Boden mit meinen Händen, finde hier die Federn des
Goldammers und verschlinge sie,"
Und ferner:
„Schnell, macht Augen für mich!"
Zum Schutze der Augen
treffen wir auch, wenn auch
nur vereinzelte Maassnahmen an.
Hier ist in allererster Linie der
Schneebrille (Fig. 90) Erwäh-
nung zu thun, wie sie bei den
Polarvölkern gebräuchlich ist.
Zwei durch einen Nasensteg ver-
Inmdene, convex ausgearbeitete
Holzdecken werden zum Schutze
gegen das blendende Beflexlicht
der endlosen Schneeflächen vor
die Augen gebunden. In jeder
Holzdecke befindet sich ein sehr
schmaler, quergestellter Schlitz,
welcher gerade soviel Licht eindringen lässt, wie zum deutlichen Sehen er-
forderlich ist. Bisweilen wird die Schneebrille ersetzt durch einen anderen
Augenschutz, der gewöhnlich als Jagdhut (Fig. 91) bezeichnet wird. Er ist
ebenfalls von Holz gefertigt; ein Hut ist das Ding aber nicht wohl zu
nennen, obgleich es auf dem Kopfe getragen wird. Es gleicht einer Mütze
mit grossem Schh'm, der aber der ganze Deckel fehlt. Ein hölzerner Keif
umgiebt den Kopf und an ihm hängt eine weit über die Augen vortretende
mützenschiimähnliche Holzplatte, welche für gewöhnlich mit geschnitzten
Knochenstücken vom Walross geziert ist. Fallas fand eine di'itte Schutz-
vorrichtung bei den Kalmücken. Dieselben banden sich, wenn sie am
Feuer sassen, einen schmalen Florstreifen über die Augen.
An eine besondere Art von Augenerki-ankung glauben die Austral-
neger von Victoria. Sie entsteht durch Fremdkörper, welche durch
Zauberkraft dem armen Opfer hinter die Augen gebracht sind. Die Krank-
heit führt einen besonderen Namen und befällt bisweilen mehrere zugleich.
Ein Mann war wegen einer Ophthalmie mehrere Wochen im Hospital,
Fig. 90. Schneebrillen. Alaska.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin. — Xach Photographie.
92. Die Augenkrankheiten.
211
und als er eutlassen wurde, kounte er uiclits sehen. Ein berühmter Wer-
raa]) (Medicin-Manu) des Goulhurn- Stammes zog ihm aus dem Kopfe
liinter den Augen mehrere verfaulte Strohhalme hervor, und am zweiten
Morgen danach konnte er die Schifte in der Bucht und am dritten die Berg-
spitzen sehen. Drei junge Männer hatten im Freien geschlafen, und als sie
erwachten, erklärten sie plötzlich, dass sie von dieser Tur-run genannten
KJrankheit befallen seien. Gewisse Zaul)erer hätten dünne Zweige einer
weiblichen Eiche ihnen in die Augen gestossen. Tiefe Verzweiflung hatte
sie befallen und grosse Verwirrung entstand im Lager. Neun weibliche
Aerzte Avurden herbeigerufen und diesen gelang es, die Ki-anken zu heilen.
Die Einzelheiten dieser Behaudluncc wurden weiter oben schon erwähnt.
Fig. 91. Jagdhut der Eskimo von Alaska.
Museum für Völkerkunde, Berlin. — Nach Photographie.
In Marokko sind allerlei Augenkrankheiten ein weitverbreitetes Vor-
kommniss und Erblindete trift"t man gar nicht selten. Man tröstet sich bei
einer Erkrankung der Augen, dass man sich in Gottes Hand befindet; bis-
weilen aber wird etwas in Wasser verriebener Alaun in die Augen ein-
geträufelt. Im Atlas -Gebirge und im Besonderen in der Gegend von
Da de SS giebt es besondere Staaroperateure, deren Kunst in den Familien
erblich ist. Sie führen diese Operation entweder „mit einem Spatel oder
mit einer Nadel" aus. Dobhert (Quedenfeldfs Gewährsmann) hatte Gelegen-
heit, einen derartig Operirten zu sehen. Die Linse war seitwärts umgelegt
und der Patient war völlig erblindet. Augenkranke und Erblindete triftt
man auch häufig in Persien an, obgleich die dortigen Kehäls oder Augen-
14*
212 XII. Einzelne Capitel der speciellen Pathologie und Therapie.
ärzte sich eines besonderen Rufes erfreuen und bis nach Arabien, der
Türkei und Indien und sogar l)is nacli Aegypten und Clnna ihre Praxis
ausgebreitet haben. Audi sie bissen sich, wie PolaJc berichtet, auf allerlei
Operationen an den Augen ein.
03. Die Ohrenkrankhoitcn.
Um nun zu den Ohrenkrankheiten überzugehen, so möge zuerst ein
eigenthümlicher Glaube der Annamiten hier seine Stelle finden. Ein
kleines Thier, Con räy genannt, hat das Ohr zu beschützen und wohnt in
demsell^en; das Ohrenschmalz sind seine Excremente. Wenn es mit anderen
Thieren oder mit Fremdkörpern kämpft, um ihnen das Eindringen in das
Ohr zu verwehren, so entstellt dadurch das Ohrenklingen. Der Yerlust
des Con räv ist eine der Ursachen für die Taubheit.
Die Annamiten glauben auch, dass beide Ohren mit einander in einer
directen Verbindung stehen. Wenn eine Ameise in ein Ohr eindringt, so
verschliesst man schnell das andere, weil man annimmt, dass sie nun keine
Luft zum Athmen habe und in Folge dessen eiligst wieder herauskriechen
müsse. Gegen Erkrankungen der Ohren nehmen sie E-äucherungen mit der
Haut einer nicht giftigen Schlange vor. Die Harrari besitzen eine Pflanze,
die sie gegen Ohrenschmerzen und Taubheit auf das kranke Ohr legen.
Die Aschanti pressen einen Saft aus und träufeln ihn gegen Ohren-
schmerzen in das Ohr. Auch die Mittel-Sumatraner bedienen sich der
Einträufelungen in die Ohren und zwar bei dem Ohrenlaufen ihrer Kinder.
Sie benutzten dazu den mit Klapperöl gekochten Milchsaft einer Cactus-
pflanze, welche, wie wir schon erwähnten, zu diesem Zwecke besonders
angepflanzt wird. Es spricht dieses w^olil unzweifelhaft dafür, dass die zum
Ohrenfluss führenden Mittelohrentzündungen der Kinder bei ihnen eine sehr
gewöhnliche Erscheinung sind. Gegen die Taubheit, welche sie mit einem
eigenen Namen bezeichnen, ist ihnen aber kein Mittel bekannt.
Bei den Marokkanern wird der Ohrenfluss in der Weise behandelt,
„dass der Aj^zt oder ein Bekannter des Kranken sich den Mund mit Oel
füllt und Letzteres dem Patienten geschickt in das kranke Ohr hinein-
spritzt."
94. Geisteskrankheiten und die Epilepsie.
Wenn wir aus der grossen Zahl der Erkrankungen, denen die Natur-
völker unterworfen sein können, hier auch nur wenige herausgreifen wollen,
so können wir doch unmöglich die Geisteskrankheiten übergehen. Ihnen
gebührt unstreitig eine besondere Betrachtung. Denn der Geistesgestörte
vor Allem muss für seine Umgebung den Eindruck erwecken, als ob ein
Anderer aus ihm spräche, als ob ein Anderer die unsinnigen und unzweck-
mässigen Handlungen mit seinen Gliedmaassen verrichtete, und dieser Andere
kann doch nur ein böser Geist, ein Dämon sein. Er hat die Seele des
Kranken verjagt oder sie in die Gefangenschaft al)geführt, er hat sich an
94. Geisteskrankheiten und die Epilepsie. 213
ilire Stelle gesetzt und er zwingt mm den armen Patienten, nach seinem
Willen zu handeln und zu reden. Das entspricht ja nun so ganz und gar
dem Bilde, das das Naturkind sich von einer grossen Zahl von Krank-
heiten zu nmchen 2:)flegt. Die vorigen Seiten haben dafür die mannigfachsten
Beweise geliefert. Es ist aber wold nur zu wahrscheinlich, dass gerade
die Geisteskrankheiten es waren, die den Menschen ganz plötzlich und
scheinbar unvermittelt, als einen ganz Anderen wie bisher, und als für die
nächsten Freunde und Angehörigen nicht selten schädlich und gefährlich
erscheinen lassen, dass, wie gesagt, die Geisteskrankheiten es gerade ge-
wesen sind, welche für sich selber sowohl, als für eine ganze Reihe von
anderen Erkrankungen zu der Annahme einer Besessenheit die Ursache
wurden.
Mit den Geisteskrankheiten gemeinsam müssen wir auch die Epilepsie
betrachten. Denn wenn der unglückliche Epileptiker, soeben noch gesund
und frisch, plötzlich besinnungslos zu Boden stürzt, scheinbar „entseelt",
dann ist der Glaube wohl l)egreiflicli, dass seine Seele ihm entfloh oder
aus seinem Körper vertriel^eu wurde. Und wenn nun die krampfhaften
Zuckungen folgen, Avenn der Schaum dem Patienten auf die Lippen tritt,
dann ist es der Dämon, welcher ihn schüttelt und seinen Mund ?um Schäumen
veranlasst.
Die Auffassung der Geisteskrankheiten und der Epilepsie als eine Be-
sessenheit ist nun, wie gesagt, die am meisten verbreitete. Wir finden sie
in allen Erdtheilen, und selbst bei uns ist bekanntermaassen diese An-
schauung noch nicht gänzlich ausgestorben. Je nach der Dämonologie der
betrefi'enden Völker ist die Art und Eigenschaft des bösen Geistes, der von
dem Kranken Besitz ergreift, natürlicher Weise eine verschiedene. Bei
Nationen, welche dem Monotheismus huldigen, muss selbstverständlich der
Teufel diese Function übernehmen. Bei anderen Völkern sind es die Geister,
welche den Luftraum unsicher machen. Die bösen Seegeister sind es auf
dorn Seranglao- undGorong-Archipele, welche die Epilepsie verursachen.
Auch dämonische Tliiere werden genannt, so der Geist eines Bockes auf den
Luang- und Sermata-Inseln, einer Ziege auf den Inseln Leti, Moa und
Lakor, beidemal bei Epilepsie. Auf Tänembar und den Timorlao-
Inseln macht die Besessenheit durch Geister, die sonst in Vögeln wohnen,
soAvohl epileptisch, als auch geisteskrank. Auf der Insel Eetar sendet der
böse Geist den Vogel Perliku in den Kopf des Krauken, um ihn epilep-
tisch zu machen. Wimner im Kopfe veranlassen in Harrär eine Art der
Geistesgestörtheit.
Die alleinige Ursache dieser Erkrankungen ist die Besessenheit aber
nicht. Bei den Topantunuasu auf Selebes ist es das Fliehen der Seele
allein, welches die Epilepsie bedingt. Ein Erschrecken der Seele ist die
Ursache hierfür.
Noch einer anderen Anschauung haben wir zu gedenken, welche bei
mohammedanischen Völkern namentlich vielfach verbreitet ist. Nicht ein
Dämon steckt in dem Kranken, sondern seine Seele weilt bei der Gottheit.
Still verloren in ihren Anblick, grübelnd über den Wahrheiten göttlicher
Oftenbarung und Lehre, abgekehrt von den irdischen Dingen, erscheint er
dem profanen, kurzsichtigen Volk wie ein Mensch mit umnachtetem Geiste.
Aber wie ein Heiliger wird er geachtet. Jegliches ist ihm zu thun erlaul)t
214 XII. Einzelne Capitel der speciellen Pathologie und Therapie.
und schon die blosse Berührung durch ihn hiiugt dem Beglückten Heil
und Segen.
AVirksanier Zauber von böswilliger Hand oder einem Verbotszeichen
einverleibt, kann den Irrsinn gleichfalls erzeugen. Letzteres glaubt man
auf Anibon und den UHase-Inseln, ersteres ebenfalls und ausserdem
noch aufSerang. Der Name des auserkorenen Opfers aufgeschrieben oder
eine Figur, die es vorstellen soll, in einen hohen Baum geschleudert oder
mit einem Kleiderfetzen des Betreffenden begraben, ist für diesen Zauber
ausreichend. Der Genuss von verbotenen Speisen verursacht auf der Insel
Eetar die Geisteskrankheiten.
]\Ianchen Natui'völkern ist es aber auch nicht entgangen, dass die Erb-
lichkeit bei diesen Krankheiten eine nicht unwichtige Rolle spielt. Neben
der Besessenheit machen sie daher für eine lleilic dieser Krankheitsfälle
auch die Vererbung verantwortlich. Dieses gilt für die Epilepsie auf Leti,
Moa und Lakor. auf Tanembar und den Timoriao -In sein, während
]nan auf den letzteren, sowie auf Buru und den Kei-Inseln an die Erb-
lichkeit der Geisteskrankheiten glaubt.
Dass man die Geisteskranken unter Umständen verehrt, haben wir soeben
bereits berichtet. Auf Buru, auf den Kei-Inseln und dem Seranglao-
und Gor ong- Archipel wird ihnen aber keine Verehrung gezollt, und
auf den Watubela-Iuseln Averdeu sie sogar mit Misstrauen behandelt.
AVeit entfernt sind auch viele Naturvölker, das No-restraint-System
zu befolgen. Auf Buru, auf Eetar und auf Selebes bindet man die
Geisteskranken an, wenn sie Schaden thun; auch auf Samoa werden sie,
wenn sie toben, an Händen und Füssen gebunden. Auf Sumatra wurde
eine tobsüchtige Frau von vier anderen Weibern festgehalten, bei den Anna-
mi ten werden sie sogar unter solchen Umständen an Ketten gelegt. Ver-
schiedene Arten der Geistesstörungen sind es, deren unsere Berichterstatter
Erwähnung thun. Ein Heilmittel gegen Trübsinn und Abgeschlagenlieit
der Glieder wird bei den Harrari erwähnt. Melancholischen Zuständen
unterliegen auch die Australneger von Victoria. „Sie träumen, sitzen
stumpfsinnig am Feuer, und mit der Zeit werden die Lungen oder andere
innere Theile befallen und sie sterben." Tödtliche Melancholie ist es ja
auch, wenn wir diese armen Naturkinder aus Furcht vor einer heimtückischen
Bezauberung oder vor dem bösen Blick, der sie traf, elendiglich zu Grunde
gehen sehen.
Von den Unruhigen sprachen Avir schon , aber auch wahre An-
fälle von Tol)sucht werden erwähnt. Thomas sah einen alten Austral-
neger in Victoria, der aus behaglichem Schlafe heraus ijlötzlich gegen
Mitternacht in einen Tobsuchtsanfall verfiel. Grosse Erregung herrschte
im Lager, Fackeln Avurden angezündet, alle Männer strömten zusammen.
„Der Alte tanzte, hatte Schaum vor dem Munde und bot jegliches Symptom
gefährlichen AVahnsinns." Thomas wollte ihn beruhigen, die Leute aber
litten es nicht und behaupteten, der l)öse Geist Krum-lu-dart-Buneif wäre
in ihn gefahren. Dreiviertel Stunden währte dieses wilde Umherspringen
des armen Besessenen; dann fiel er matt und erschöpft zur Erde und wurde
darauf von seinen Freunden in seine "Wohnung gel)racht. Nun trat Kühe
im Lager ein; bald lag alles im tiefen Schlafe; auch der Kranke war ein-
geschlummert und man hat von dem Dämon nichts mehr gehört.
94. Geisteskranklieiteu und die Epilepsie. 215
In Mittel-Siuiiatra kennt man eine Krankheit, welche von den Ein-
geborenen als Saki si-djoendai bezeichnet wird. Sie ist eine ausschliess-
liche Erkrankung des weiblichen Geschlechts. Die Weiber reissen sich
dann die Kleider A^om Leibe, raufen sich die Haare aus und sie glauben
in den Flaggen eine Person zu sehen, gewöhnlich einen Mann, der ihnen
die Krankheit zugefügt habe. Diesem wollen sie dann zu Leibe und sie
laufen dabei kreischend und scheltend und in den meisten Fällen gänzlich
nackend umher. Bemerkenswerth ist es, dass diese Psychose epidemisch
vorkommen soll. Ganz ähnliche Erscheinungen macht aber auch die 'als
Säki si-mabou-boengo bezeichnete Krankheit, jedoch ist ihr Auftreten
nicht epidemisch. Der Name Sfiki giloe bezeichnet daselbst ebenfalls eine
Geisteskrankheit, nähere Sj^mptome werden aber nicht erwähnt.
An die Säki-si-djoendai erinnert eine Psychose bei den Kat-
schi nzen. Avelche von Pallas beschrieben wurde. Auch sie befällt nur das
weibliche Geschlecht und ist unter den jungen Mädchen „sehr gemein ge-
worden. Sie beginnt hauptsächlich um die Zeit, wenn die Menstruation
sich einstellen will, und soll oft einige Jahre dauern. Sie laufen, wenn sie
ihre Anfälle bekommen, oft aus den Jurten weg. schreyen und stellen sich
ungebärdig, raufen sich die Haare aus und wollen sich erhänken oder sonst
das Leben nehmen. Die Anfälle dauern nur einige Stunden und stellen
sich ohne gewisse Ordnung bald wöchentlich ein, bald bleiben sie einen
ganzen Monath aus. Ich habe dergleichen Mädchen gesehen, die in den
Zwischenzeiten ganz vernünftig und ordentlich waren.'*
Eine krankhafte Schreckhaftigkeit, welche bis zu "Wuthanfällen sich
steigert, kommt bei vielen sibirischen Völkern vor, so bei den Samo-
jeden, den Ostjaken und Tungusen, bei den Kamtschadalen, den
Jakuten und Buräten, und bei den Jenesseischen Tataren. „Jede un-
vermuthete Berührung z. Ex. in den Seiten oder an anderen reizbaren
Stellen, unversehenes Zui'ufen und Pfeifen, oder andere fürchterliche und
schleunige Erscheinungen bringen diese Leute ausser sich und fast in eine
Art von TVuth." Bei den Samojeden und Jakuten „geht diese Wuth so
weit, dass sie, ohne zu wissen was sie thun, das erste Beil, Messer oder
andere schädliche Werkzeuge erhaschen und die Person, welche der Grund
ihres Entsetzens ist, oder jeden andern, der ihnen alsdann in den Wiu'f
kömmt, zu verwunden oder gar zu tödten suchen, wenn sie nicht mit Ge-
walt abgehalten und alle schädlichen Werkzeuge vor ihnen weggenommen
werden. Wenn sie alsdann ihre Wuth auf keine Art auslassen können, so
schlagen sie um sich, schreyen, wälzen sich und sind vollkommen wie
Rasende."
Ein ähnlicher LTsinn ist in Indonesien unter dem Namen des Amok-
Laufens bekannt.
Exorcismus in irgend einer Form ist natürlicher Weise das Haupt-
mittel gegen diese Geisteskrankheiten. Unter den Gö Medicinaldroguen von
Harrär finden Avir nicht weniger als sieben gegen Geisteskrankheiten und
eine unter diesen auch gegen Epilepsie. Sind dieses auch nur Medicamente,
so ersieht man doch aus der Art ihrer Anwendung, dass sie die Dämonen
austreiben sollen. Eins nur wird in Wahnsinnszuständen als eine Abkochung
getrunken. Die anderen werden in die Nase eingesogen, gepulvert und als
Riechmittel gebraucht, oder zum Ausräuchern genommen.
210 XII. Einzelne Capitel der .si)eciellen Pathologie und Therapie.
Um (Ion Exorcismns bcciueni und Aviederliolt ausüben zu können und
den geeigneten Augenblick nicht zu verpassen, bringt man bei den An na-
nnten die Geisteskranken gleich bei dem Medicin-Manne unter. Hier bei
dem Thay phap trifft man sie dann sehr häufig mit einer Kette am Fuss,
damit man sie rasch anschliessen kann, wenn ihre Wuthanlalle zum Aus-
l)rucli kommen. Ihre Familie aber sorgt dabei für ihren Unterhalt und für
ihre Ernähiung.
Bei der oben beschriebenen Tobsucht der Frauen in Sumatra giebt
der Arzt der Kranken ..einem '^{"'rank" von Wasser, gemischt mit der Asche
von verbranntem Papier, worauf Koransprüche geschrieben waren. Ausser-
dem werden ihre Nägel mit dem Nameu Allah beschrieben, wozu als Feder
eine zerl)rochene Nadel und als Tinte der Saft von einem Dasoen gebraucht
wird.
Van Hasselt sah eine an dieser Ki-ankheit leidende Frau, die so rasend
Avar, dass sie von vier Anderen gehalten werden musste. Während dessen
machte der Arzt seine medicamentösen Bespeiuugen und sprach mit un-
störbarer Ruhe seine Beschwörungsformeln her. Neben ihm stand ein
Käucherbecken, und anhaltend drehte er ein schnm-rendes Instrument, dessen
eintöniges Gebrumme von dem Kreischen der Ki'auken übertönt wurde.
Die übrigen Geisteskrankheiten behandeln die Sumatrauer in folgender
Weise. Dreimal täglich Averden die Kranken vom Medicin-Manne mit dem
Ausgekauten von bestimmten Medicameuten bespieen.
..Danach werden sie in den Fluss unter Wasser getaucht, solange sie es
nur eben, ohne zu sticken, aushalten können, und darauf beräuchert dadurch,
dass man sie über brennende Federn oder anderen thierischen Abfall hält,
so dass sie heftig zu husten beginnen, wonach dicht an ihrem Ohre ein Ge-
wehr abgeschossen wird."
Die Eäucherungen als Heilmittel gegen die Psychosen haben wir schon
von den Harrari erwähnt. Auch auf den Kei-Inseln räuchert man die
Kranken, oder besser gesagt, die in ihnen hausenden Dämonen mit Büffel-
liorn und Papuahaaren. Bei den oben geschilderten Wuthanfällen der Sa-
mojeden und der Ostjaken haben dieselben nach Pallas ein uufehll)ares
Mittel :
„Sie zünden nur ein Stück Renuthierfell oder einen Büschel Rennthier-
haare an und lassen dem Behafteten den Rauch davon in die Nase gehu;
davon verfällt derselbe sogleich in eine Mattigkeit und Schlummer, der oft
vier und zwanzig Stunden dauert und den Kranken bey völligen Sinnen
verlässt."
Als eine Art des Exorcismus müssen wir auch die folgende Methode
betrachten, welche auf dem Seranglao- und Gorong-Archipele bei der
Epilepsie gebräuchlich ist. Um den Kranken zu heilen. ..kämmt man das
Haar oder man drückt bis es blutet mit einem Cent, am liebsten aber mit
einer chinesischen Münze unter den Ohren, dem Kinn und den Achseln,
um den bösen Geist zu vertreiben."
Von der Art der Behandlung Epileptischer auf Tauembar und den
Timorlao-Inseln haben wir fi'üher bereits berichtet. Entsprechend der
Auffassung, dass ein Geist in Vogelgestalt in dem Kranken sitzt, wird eine
Vogelfigur gemacht und mit Pfeilen nach derselben geschossen.
94. Geisteskrankheiten nnd die Epilepsie. 217
Dass man in Selebes den Epileptiker schlägt, damit seine Seele, von
Mitleid ergriffen, in seinen Körper wieder zurückkehren soll, das haben wir
oben bereits gesagt. Das Schlagen der Epileptiker und der Geisteskranken
spielt überhaupt in Indonesien eine hervorragende Rolle. Abgesehen von
Selebes finden wir es auf den Babar- und Aaru-Inseln, aufTanembar
und den Timoriao- und auf den Luang- und Sermata-Inseln. Zum
Schlagen werden Baunizweige benutzt, und auf den Luang- und Sermata-
und den Aaru-Inseln müssen sie von bestimmten Baumarten sein. Die
Vorstellung, den bösen Geist im wahren Sinne des Wortes aus dem armen
Kranken herauszuprügeln, finden wir nur auf Selebes vor und auf den
Luang- und Sermata-Inseln. Auf Tauembar und den Timorlao-
Inseln, sowie auf den Babar- und Aaru-Inseln stellt man sich vor, dass
durch dieses Schlagen der böse Dämon veranlasst würde, in die Zweige
hineinzufahren. Hat man ihn hierin glücklich gefangen, dann werden die
Zweige behutsam und vorsichtig bei Seite gebracht und in geeigneter Weise
vernichtet.
Die Mincopies auf den Andamanen behandeln ihre Epileptischen
mit Besprengungen von kaltem Wasser, und darauf scarificiren sie ihnen
die Stirn.
Einer besonderen Nervenkrankheit müssen wir hier noch Erwähnung
tliun. welche in Java unter dem Namen Lata, in Malacca als Lattah
bezeichnet wird. Es ist. wie Virchoiv sich ausdrückt: .,eine Neurose, welche
dem Hypnotismus mit Neigung zur Suggestion nahe verwandt ist."
Vaughan Stevens macht von dieser Krankheit, wie er sie bei den Orang
utan in Malacca beobachtet hat, folgende Beschreibung:
„Wenn ich ein Lattah-Weib ansehe und plötzlich eine sprungweise
Bewegung, einen Schrei, oder eine Handlung vornehme, so wird sie das
wiederholen und nur eine wirkliche Buhepause wird ihr wieder die Herr-
schaft über ihre Nerven zurückgeben. Als ich eines Tages mit einem Weibe
ülier diesen Gegenstand sprach, fragte ich sie, wenn ich sie aufforderte, ihre
Hand in das Feuer zu stecken, würde sie es thun? Sie war bis dahin ganz
ruhig, aber nun begann sie zu schreien, und der alte Penglima, der bei mir
sass, ergriff sofort eine Cocosnussschale mit Wasser und schüttete es in
das Feuer. Das Weib ergriff* unmittelbar darauf mein Gefäss mit Curry
und Reis, welches zu meiner Mittagsmahlzeit bereit stand, und schüttete es
über das Feuer, in Nachahmung der gesehenen Handlung. Jetzt sprang
die Frau des Penglima auf und lief in das Jungle, indem sie die Arme
über den Kopf sclnvenkte. Das Weib ahmte ihr nach und rannte hinter
ihr her. Der Penglima erklärte mir nun den Vorgang. Das Weib hätte
sicherlich ihre Hand in das Feuer gesteckt, wenn er dasselbe nicht aus-
gelöscht hätte, und seine Frau habe das Weib in das Jungle gelockt, wo
sie wieder ruhig werden würde."
,,Der Mann zeigte mir an seinem Ellbogen drei lange Narben, welche
von einer Verletzung in seiner Kindheit herrührten. Damals kam ein Mann
zu seiner Mutter, setzte sich ihr gegenüber, plauderte mit ihr und nahm
fast gedankenlos ein Stück Zuckerrohr, das er mit seinem Parang spaltete,
um davon zu essen. Im nächsten Augenl)lick ergriff di(> Mutter gleichfalls
einen Parang und verwundete damit das Kind, das sie hielt, einigemal,
bevor der Mann es befreien konnte."
218 XII. Einzelne Ca})itel der speciellen Pathologie und Therapie.
..Wegen der Lattah verbergen sich die Weiber, die ein Kind an der
Brust haben, in der Hütte, sobald ein Fremder, namentlich ein ^Malaie,
die Niederlassung betritt oder seinen Weg durch dieselbe nimmt. Oft genug
sieht man auch eine Gesellschaft von Bleu das von einem Ort zu einem
anderen ziehen, wobei einzelne Männer Kinder tragen. Das geschieht, wenn
die Frau Lattah ist und in Besorgniss geräth, dass irgend ein ungewöhn-
licher Gegenstand dem Kinde Schaden zufügen würde. Fremden wird die
Existenz einer Lattah verheimlicht."
XIIL
Die Gesundheitspflege und die
Epidemien.
95. Die prirate Grcsuii(llieitsi>tlege.
Aeussere Ansicht.
Tief in das sociale Leben der Naturvölker einschneidend sind, wie man
sich wohl denken kann, die ansteckenden Krankheiten, die Epidemien, und
bei dem Ausbruche derselben
sehen wir sie nicht selten voll-
kommen den Kopf verlieren,
wie das ja in ähnlicher "Weise
auch bei civilisirten I^ationen
vorkommt. Aber auch man-
chem mehr oder weniger ge-
schickten Versuche, mit der
Epidemie den Kampf aufzu-
nehmen, begegnen wir bereits,
und wir haben hierin mit
gutem Rechte die Anlange
einer öffentlichen Ge-
sundheitspflege zu er-
kennen. Wollen wir daher
einen Einblick gewinnen, was
die Naturvölker sich über die
epidemischen Erkrankungen
für Vorstellungen machen, und
in welcher Weise sie dieselben
zu behandeln und zu heilen
und ihre Weiterverbreitung zu
verhindern bestrebt sind, so
können wir dabei die Be-
sprechung ihrer Hygieine nicht
gut umgehen. Es lässt sich
das Eine nicht ohne das An-
dere abhandeln.
In dem Verlaufe der vor-
liegenden Untersuchungen sind
wir auf hygieinische Maass-
regeln hier und da wohl schon
gestossen. Allerdings gehörten
dieselben meist der privaten Gesundheitspflege an. Absichthch heiwor-
gerufenes Erbrechen, um den überladenen Magen zu entlasten, Purganzen,
Innere Ansicht.
Fig. 92u. 93. Eespirator der Kwixpagmut in Alaska.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin. — Nach Photographie.
09O
XIII. Die Gesundheitspflege und die Epidemien.
um die Verdauung zu regeln, die Massage zur Bekämpfung der Ueber-
müdung, der (-Jebraucli von See- und Flussbädern und das Transi)iriren in
der Schwitzhütte haben wir in dieses Gebiet zu rechnen. Ferner sind hierher
zu zählen die Schutzvomchtungen arktischer Völker, um ihre Augen vor
zu greller Beleuchtung zu beschützen, d. h. ihre oben bereits erw'ähnton
Augenschinne (.lagdhüte) und Schneebrillen. Audi den bei den Kalmücken
gebräuchlichen Augeuflor, um den Rauch des Herdfeuers von den Augen al)-
zuhalten, dürfen wir nicht mit StillschAveigen übergehen.
In dieses Gebiet gehört aber auch eine Vorrichtung der Kwixpagmut.
eines Indianer- oder Eskimo- Stammes, über welche uns Jacobsen berichtet.
..Dieselbe besteht aus einer Art von Respirator (Fig. 92 u. 93), welchen diese
Leute bei ihren Schwitzbädern in den Mund nehmen, damit der Rauch
des Feuers nicht in ihre Lungen eiudi'ingen könne. Dieser Respirator wird
aus einem Geflecht von feinem Grase hergestellt, welches durch einen kleinen
hölzernen Pflock, der in den Mund gesteckt w'ird, testen Halt gewannt."
Fig. 94. Steinernes Amulet eines
Medicin - Mannes der Tschim-
sian-Indianer.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin.
Nach Photographie.
Fig. 95. Japanerin, deren Kücken mit Moxen-
Narben bedeckt ist.
Nach einem japanischen Holzschnitt.
Auch die Kauterisation und das Scarificii'en werden bei einzelnen Völker-
schaften aus hygieinischen Rücksichten ausgeführt. Beides benutzen wieder-
holentlich die Fullali in Ost- Afrika bei ihren Kindern, um sie vor
Krankheiten zu bewahi'en, wenn sie dereinst erwachsen sein werden.
Die Indianer im nördlichen Mexico pflegen, w^enn durch anstrengende
Märsche ihre Beine und Füsse ermüdet sind, diu'ch Scariticationen mit
scharfen Feuerstein - Splittern ihi'e Extremitäten wieder leistungsfähig zu
machen. „In den äussersten Fällen reiben sie dieselben auch noch mit dem
beissenden Blatte der Maguey ein, welches auf ihren abgehärteten Körper
wäe ein Emolliens w'irkt und ihi-e Leiden prompt erleichtert."
Die Eingeborenen der Oster-Insel bedienen sich gewisser Blätter als
Prophylaxe gegen bestimmte Krankheiten.
Eines besonderen vorbeugenden Heilmittels der japanischen Volks-
medicin haben Avir noch zu gedenken. Das sind die Moxen, deren An-
wendung, wie Wernieh sagt, walu-scheinlich japanesisches Eigenthum ist
und nicht von den Chinesen überkommen wurde. „Auch die Chinesen
95. Die private Gesundheitspflege.
223
keunen zwar das Brennen am Körper zu verschiedenen Zwecken: einmal
gehört bei den Bonzen dasselbe zu den Merkzeichen der abgelegten Ge-
lübde; es wird zu diesem Zweck gewöhnlich auf dem Schädel vorgenommen;
dann wenden sie es jetzt in ziemlich energischer Weise als Heilmittel gegen
Ki-ankheiteu au — vielleicht auch erst nachdem sie das geeignete Mittel
aus Japan überkommen haben. Denn es steht fest, dass die Artemisia
vulgaris s. Moxa, welche auf dem Ibuki- Berge in der japanischen
Landschaft Omi wächst, in Massen nach China exportirt wird.''
Die Moxa spielt nach Wernich in Japan nicht die Bolle eines Heil-
mittels, sondern überwiegend die eines Präservativs, und er fährt fort:
„Einen Japaner zu sehen, der nicht an den Waden und an der Wirbel-
säule Narben von Moxen hatte, gehörte mir in der Poliklinik zu den
seltensten Erfalirungen. An der ersteren Stelle bilden sie angebUch den
Fig. 96 Japaner und Japanerin, denen Moxen gesetzt werden.
Nach einem japanischen Holzschnitt.
besten Schutz gegen Kak-ke, auf dem Bücken angebracht, gewöhnlich zu
beiden Seiten der Processus spinosi in Zahl von einigen dreissig hinlaufend,
verhindern sie, dass Lepra und Gehirnkrankheiten das Individuum
befallen.*'
Unsere Figur 95 zeigt nach einem japanischen Holzschnitt eine
Japanerin bei den Geheimnissen ihi'er Toilette. Ihr Oberkörper ist vöUig
entblösst, und längs ihi-er Wirbelsäule erkennt man deutlich eine Anzahl
von Moxen -Narben.
„Noch andere Schutzpunkte sind: die Fusssohle gegen Krämpfe, der
Ellbogen bei Schulterrheumatismus, Brustbein und Schlüsselbeine gegen
Ausbruch von Brustkrankheiten u. s. ^\. Mau muss dabei, vielleicht
angeregt dui'ch die Empfindlichkeit einiger dieser Stellen, nicht an die
Schmerzhaftigkeit unserer Moxen denken. Die Blätter der Ai-temisia,
224
XIII. Die Gesundheitspflege uud die Epidemien.
■welche sich im Mai mit einem sammetartigeu Foment bedecken, werden
getrocknet, zu einer wolligen zunderähnlichen Masse zerstampft und aus
dieser dann kleine cylindrische Stäbchen gerollt, diese mit Speichel auf die
Haut geklebt und angezündet. Bis auf die Haut abgebrannt üben sie eine
sehr schwache cauterisireude "Wirkung aus. Diese aber wird auch nur ver-
langt, denn nicht Ableitung, noch weniger eine Entzündung an der ge-
brannten Stelle ist der Zweck des Heilverfahrens, sondern es muss die
Stelle für vielfache Wiederholungen, die am segensreichsten wirken, fi-ei
gehalten werden, und der unmittelbare Effect soll nicht sein, schädliche
Potenzen abzulenken, sondern die cauterisirte Stelle aus der Moxe frische
Lebenski-aft einsaugen zu lassen, damit der Körper dadiu'ch zu grösserem
Widerstände gegen die Krankheit gestärkt werde.''
Fig. 97 u. 98. Amulete eines Medicin-Mannes der Tschimsian-In dianer.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin. — Nach Photographie.
Ein solches Ansetzen der Moxen bei einem Manne und einem Weibe,
Avelche ihre? ganzen Erscheinung nach sicherlich dem niederen Volke an-
gehören, sehen wir auf der nach einem japanischen Holzschnitte ge-
fertigten Figui' 96. Das Geschäft des Moxen-Setzens ist nicht eine Obliegen-
heit der Aerzte, „sondern von Alters her niedriger Leute, bestimmter armer
Weiber oder der Familienmütter; die Aerzte werden nur um Bezeichnung
der günstigen Punkte angegangen, für die meisten prophylactischen Zwecke
stehen jedoch auch diese durch Tradition fest."
Führen wir nun noch die oben bereits ausführlich geschilderten Im-
pfungen an, sowie die Vorschriften der Diät und die unter bestimmten Ver-
hältnissen den Naturvölkern auferlegten Speiseverbote, so würde wohl so
ziemlich Alles besprochen sein, was der privaten Gesundheitspflege zuzu-
zählen wäre.
9G. Die Amulete.
T^ö
96. Die Amulete.
Einer in Bezug auf ihre weite Verbreitung hervorragenden Maassnahme
der privaten Gesundheitspflege müssen Avir aber allerdings noch gedenken.
Das ist das Tragen von Anmieten und Talismanen. Bekanntermaassen ist
dieses keines weges allein auf die uncivilisirten Nationen beschränkt; auch
bei den Kulturvölkern treffen wir es vielfach in einer oder der anderen
"Weise an. Die Begriffe des Talismans und des Amulcts haben sich all-
mählich derartig verschollen, dass sie jetzt gemeinhin beide für dieselbe
Sache angCAvendet werden, und dass eine strenge Trennung ihrer ursprüng-
lichen Bedeutung nur noch ein historisches Interesse beanspruchen könnte.
Beide Bezeichnungen werden aus dem Arabischen abgeleitet und zwar
Amulet von dem Worte Hamalet, Anhängsel, und Talisman von dem
AVorte Tilsam. im Pluralis Taläsim, Zauberbild. Für gewöhnlich werden
Flg. yy. Amulet eines Medicin-Mannes
der Tschimsian-Indianer.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin.
Nach Photographie.
Fig. 100. Igel aas Holz, Amulet der Giljaken
gegen Krankheit.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin.
Nach Photographie.
die Amulete an dem blossen Körper des Menschen angebracht. In manchen
Fällen sind sie aber auch an seinem Anzüge befestigt, oder an seinen
"Waffen, an seiner Lagerstätte oder inwendig oder aussen am Hause.
Der Sinn und die Bedeutung, welche diesen Anmieten zu Grunde
liegen, sind nicht in allen Fällen die Gleichen. Oft genügt der Name der
Gottheit allein, der in passlicher Form am Körper angebracht wird; bald
auch ist es ein angehängter Spruch, oder auch ein besonderes Gebet. Für
gewöhnlich al)er ist das Amulet ein symbolisches Zeichen, dem an und für
sich übernatürliche Kraft innewohnt (wie z. B. dem Symbolum der Gottheit),
oder dem durch besondere Weihe die erwünschte Wirksamkeit erst verliehen
werden muss.
Von unserem Standpunkte aus haben wir zwei Hauptgruppen der
Amulete zu unterscheiden, nämlich solche, welche vor dem Ausbruche der
Krankheit schützen, und solche, die nach ausgebrochener Krankheit noch
einen wirksamen Schutz zu gewähren vermögen. Auch sie schieben sich
aber vielfach durch einander, so dass die absolute Trennung nicht immer
mit Genauigkeit durchgeführt werden kann.
Bartels, Medicin der Naturvölker.
15
220 XIII. Die (.Tesundheitspflege und die Epidemien.
AV ollen wir uns nun den Sinn der Anmiete zu vergegenwärtigen suchen,
so müssen wir die Form derselben in etwas nähere Betrachtung ziehen.
Wir finden bei den Tschimsian im nordwestlichen Amerika kleine,
gewöhidicli menschliche Figürchen in Knochen oder Stein, welche als
Amulet der Medicin-Männer bezeichnet werden (Fig. 99). Das Museum
für Völkerkunde in Berlin besitzt zwei solche knöcherne Menschen-
figürcheu (Fig. 97 u. 98), von denen die eine einen grossen Schopf aus wirklichen
Haaren trägt. Ein in derselben Sammlung befindliches steinernes Amulet
besteht aus einem Yogelkopf und zwei Menschengesichtern (Fig. 94). Wie
haben wir diese Anmiete zu deuten? Wahrscheinlich ist es die Gottheit
selbst, die sich in diesen Figuren verköqDert hat; und somit wäre dieses
Amulet gleichsam als ein Fetisch zu betrachten.
Als von den Medicin-Steinen die Bede war, erw^ähnten wir auch einige
grössere, mit figürlichen Darstellungen versehene und zum Verschlucken
viel zu umfangreiche Steine der Medicin-Männer von Vancouver. Auch
diese werden wir, wie ich glaube, in die gleiche Kategorie einzuordnen
haben.
In manchen Fällen ist das Amulet nur ein Zeichen für die Gott-
heit oder für deren Boten, dass der Träger oder Besitzer zu den Aus-
erwählten gehört; daher darf ihm die Krankheit nicht gebracht w^erden.
Fig. 101. Tiger aus Stroh, in welchen die Krankheit gebannt wird. Golden
Mus. f. Völkerkunde, Berlin. — Nach Photographie.
Es ist das Amulet oder Abzeichen also eine Art von Freibriel, welchen er
fLihrt. So muss der Süd-Slave, der die Pestfrau in das Dorf getragen
oder gefahren hat, dieser zuerst seine Wohnung bekannt geben, damit sie
dieselbe verschonen kann. So mussten die Juden in Aegypten ihre
Häuser mit dem Blute des Passah-Lammes bezeichnen, als das Sterben der
Erstgeburt cbohte. Es heisst IL Mosis 12:
„Und sollt seines Blutes nehmen und beide Pfosten an der Thür und
die oberste Schwelle damit bestreichen an den Hävisern, da sie es innen essen.
Denn ich will in derselben Nacht durch Aegyptenland gehen und alle
Erstgeburt schlagen u. s. w.
Und das Blut soll Euer Zeichen sein an den Häusern, darin Ihr seid,
dass wenn ich das Blut sehe, für Euch über gehe, und Euch nicht die
Plage -widerfahre, die Euch verderbe, wenn ich Aegyptenland schlage."
Ist nun dieser Freibrief im Allgemeinen nur für ganz besondere Ver-
hältnisse nothwendig, da die Gottheit nicht immer zürnt und nicht immer
zu strafen beabsichtigt, so schwännen dagegen die bösen Geister dauernd
umher, auf Unheil bedacht. Ihnen gefeit gegenüber zu stehen, ist nun in
dem Leben aller Naturkinder ein unumgängliches Erforderniss. Aber auch
hier gewährt ihnen den Schutz das Zeichen, das ein Stärkerer über sie
wacht, dass sie die Kinder Gottes sind. Das Symbol der Gottheit ist ge-
90. Die Amulete.
227
nügeiul. um die Dämonen in Schranken zu halten. Denn in diesem Sym-
hohim steckt ein Theil von der Kraft und der Stärke der Gottheit selber,
vor der die Krankheits-Dämonen Hiehen müssen.
Diese Kraft, die Teufel zu verscheuchen, wohnt bekanntlich dem Kreuzes-
zeichen inue. Das Gleiche eiTeichen die muhammedanischen Völker dadurch,
dass sie einen wirksamen Spruch des Koran in einer Kapsel oder in einem
kleinen Täschchen an sich tragen. Bei den Assyrern und Babyloniern
waren es kleine Cylinder von Thon oder Stein mit Götterfiguren und heiligen
Inschriften. xA.uch der Fleck, den der fromme Brahmine sich täglicli auf
die Stirn malen lässt, hat eine ganz analoge Bedeutung.
Durch besondere Zaubermanipulationen oder durch die kraftvolle "Weihe
des Dieners der Gottheit kann aber auch jeglichem anderen Dinge, sei es
Fig. 10"2. Menschenkopf au.s Holz;
Amulet der Giljaken gegen alle
Krankheiten.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin.
Nach Photograiiliie.
Fig. 103. Menschen figürchen zwischen zwei
Holzstücken eingeklemmt; Amulet der Gol-
den gegen Brust- und Achseischraerzen.
Sammlung Umlauff, Hamburg. Xach Photographie.
ein Kunstproduct oder etwas Natürliches, solche Zauberki'aft einverleibt
werden. Das ist dann nun recht eigentlich das Amulet, und dieser Gruppe
sind auch die meisten der Amulete hinzuzurechnen, welclier sich die Natur-
völker bedienen. Vielfach sind sie höchst unansehnlich, ein Stein, eine
"Wurzel, ein Stück Holz, ein Knochen, eine Kralle u. s. w. Oft aber zeichnen
sie sich auch durch ihre phantastische Form, oder Avenn es Xatiu'producte
sind, durch die Seltenheit ihres Vorkommens aus. Ihre Herstellung ist ein
lucratives Geschäft der Medicin-Männer, Priester und Zauberer. Wie diese
Dinge wirken und augewendet werden, lehrt uns sehr gut die Vorschrift
einer ak k a d i s c h e n Beschwörungsformel :
„Von weissem Zeuge zwei doppelte lange Streifen
An das Bett und den Tritt
15*
228
XIII. Die CTesuiidlieit.spflege und die Epidemien.
Als Talisman zur rechten Hand er heftet;
Von schwarzem Zeuo-e zwei do]ipelte lange Streifen
Zur linken Hand er heftet.
Der böse Dämon, der böse Alal^ der böse Giffim,
Der böse Tcla/, der böse Gott, der böse Maskim,
Der Schreckgeist, das Gespenst, der Vampyr,
Die böse Zauberei, der Zaubertrank, das flüssige Gift,
Was Schmerzen verursacht, was heftig erregt, was bösartig einwirkt,
Ihr Haupt,
Auf sein Haupt,
Ihre Hand auf seine Hand,
Ihren Fuss auf seinen Fuss
Werden sie nimmer legen;
Sie werden nimmer zurückkehren!
Geist des Himmels, beschwöre sie!
Geist der Erde, beschwöre sie!"
Nun wird uns noch von eigentliümlichen Anmieten einiger sibirischer
Völker berichtet, welche wir eingehender besprechen müssen. Wir finden sie
besonders zahlreich und von sehr grosser Formverschiedenheit bei den Golden
in Sibirien. Aber auch bei den Giljaken kommen sie in mannigtachen
Fig. 104. Amulet der Golden gegen
Kückensehmerzen.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach Photographie.
Fig. 105. Hölzerner Bär; Amulet der
Giljaken gegen Krankheiten.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach Photographie.
Variationen vor. Eine reiche Samndung dieser Dinge hat Capitän Jacohsen
für das Berliner Museum für Völkerkunde erworben. Eine zweite
Sammlung, welche vielfache Ergänzungen zu der ersten bietet, wurde von
dem Hamburger Naturalienhändler Herrn Umlauff im Jalire 1892 in Berlin
ausgestellt. Diese Amulete gehören der Mehrzahl nach zu denjenigen,
welche einem besonderen Vorkommniss angepasst sind. Ein Theil derselben
wird als Amulet gegen Krankheit im Allgemeinen bezeichnet. Bei den
Giljaken ist es z.B. ein rohgeschnitzter Igel (Mepit) aus Holz (Fig. 100),
in einen Lappen eingewickelt, der „gegen Krankheiten in der Jurte be-
wahrt wird"; oder eine rohe hölzerne Menschenfigur (Fig. 102) mit einer
Kapuze aus Zeug, „als Amulet gegen alle Krankheiten dienend", und ein
kleiner, hölzerner Bär (Fig. 105), „vom Schamanen gefertigt, wenn ein Krank-
heitsfall eintritt und im AValde versteckt, bis die Krankheit vorüber ist".
Bei den Golden ist es ein Tiger aus Stroh (Fig. 101), oder etwas besser
ausgeführte Menschenfiguren aus Holz (Fig. 106), „in welche die Krankheit
gebannt wird".
Hierin haben wir nun wohl den Schlüssel zur Erklärung dieser Art
der „Amulete" gefunden. Die Krankheit soll in sie hineinfahren, oder sie
soll mit anderen Worten den Patienten verlassen und statt seiner diese
Thier- oder Menschenbilder in Besitz nehmen, als Ersatz für den nun frei-
9G. Die Amulete.
229
gelassenen Menschen. Wir treffen somit also hier auf die weitverbreitete
Anschauung, dass mau sich von einer Krankheit zu befreien vermöge da-
durch, dass man einen Ersatzmann stellt. In dem deutscheu Epos hat
dieser Glaube in der Geschichte des armen Heinrich seine Verherrlichung
gefunden und auch bei den alten Central-Amerikauern haben ähnliche
Ansichten geherrscht.
Nun verstellen wir auch eine Gruppe höchst primitiver Menschen-
ügürchen von der Insel Xias (Fig. 107), welchen bei Krankheiten geopfert
wird und die dabei mit Palmblättern gesckmückt Averden. "Wahrscheinlich
sind dieses ebenfalls nur Ersatzmänner für die erkrankten Personen. Bei
dem Kampfe gegen die Epidemien treffen wir auf ganz Aehnliches.
Fig. 106. Hölzerne Menschen-
figur der Golden, in welche
die Krankheit gebannt wird.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin.
Nach Photographie.
Fig. 107. Holzfiguren, denen in Krankheiten geopfert
wird. Nias.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin. — Nach Photogi'aphie.
Ein Theil dieser Amulete der Golden und der Giljaken lässt dui'ch
ihre äussere Erscheinung schon erkennen, in welchen Körpertheilen die Er-
krankung sitzt, gegen die sie Hülfe bringen sollen. Bei den Golden hilft
ein kiu'zes Stück Holz mit grossein nasenähnlichen Vorsprung (Fig. 108)
gegen Nasenübel, eine kleine männliche Gestalt mit dicken Genitalien gegen
(Treschlechtskrankheiten, ein hölzernes Herz (Fig. 109) gegen Herzleiden
und Brustschmerzen. Auch die Giljaken fertigen solch ein hölzernes
Herz (Fig. 110), das aber unten gespalten ist, und tragen es gegen Brust-
schmerzen am Halse. Ein Bär, dem ein anderer auf dem Rücken sitzt
(Fig. 125), ein Mensch, auf dessen Rücken ein fliegender Vogel geschnitzt
ist (Fig. 130), heilen Rücken- und Krenzschmerzen; eine ISrenschenfigur mit
einer Kröte auf der Brust (Fig. 113) hilft gegen Krankheiten der Brust
23U
XIII. Die Gebundheittspflege und die Epidemien.
und des Leibes. Ein Bär (Fig. 111). der sich in seine Brust l)eisst. soll
Brustschmerzeu vertreiljen; eine rohe Menschenfigur (Fig. 119) ohne Arme
und Beine, deren Leih von ol)en uach unten durchl)ohrt ist (die also einen
immer „offenen" Lei!) hat), beseitigt den Durchfall. Gegen Brust- und
Achselschmerzen liabeii die Golden auch eine kleine Menschenfigur
(Fig. lu;^) so an einem ßienien aufgehängt, dass sich jederseits ein daneben
häugender kleiner Balken fest an ihre Seiten presst.
Schmerzen im Kreuz und in den Gelenken scheinen eine weitverbreitete
Beschwerde zu sein. Wenigstens finden wir gegen diese Leiden bei den
(Jolden uud Giljaken mehrere Amiüete im Gebrauch. Von den ersteren
war ja schon die Bede: die Letzteren haben das Uebereinstimmende, dass
sie, als wenn sie ganze Menschen wären, oben in ein Menschengesicht aus-
laufen, wie die hölzerne Hand (Fig. 1B2), welche Beissen im Handgelenk
heilt. Audi die Figur mit durchbohrtem Bauche ist ja eigentlich nur ein
Fig. 108. Amulet der Golden
gegen Nasenübel.
Sammlung Umlauft', Hamburg.
Nach Photographie.
Fig. 109. Hölzernes Herz;
Amulet der Golden gegen
Herzleiden u.Brustscbmerzen.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin.
Nach Photographie.
Fig. 110. Hölzernes gespalt.
Herz; Amulet der Gilja-
ken gegen Brustschmerzen.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin.
Nach Photographie.
Bauch mit menschlichem Antlitz. Meistens ist in diesen Anmieten aber
auch noch eine Gelenkverbindung in der Weise ausgeschnitzt, dass die
Theile, wie zwei vereinigte Kettenglieder in einander greifen (Fig. 112,
133, 134). Es soll dieses wohl den Grad der Gelenkigkeit ausdrücken,
welchen das erkrankte Glied wieder zurückerhalten soll.
Für diese Anschauung sprechen auch die hölzernen Arme (Fig. 127),
welche als Anmiete gegen Steifigkeit im Bereiche der oberen Extremitäten
benutzt werden. Auch sie haben oben Menschengesichter, und mit ihnen
sind wir nun schon ganz nahe an der Opferung des erkrankten Theiles
in effigie, wie sie seit Jahrhunderten in Europa gebräuchlich ist. Es sei
hier an die Votivgaben erinnert, Avelche wir, meist aus Wachs gefertigt, an
den Altären unserer Alpenländer u. s. w. finden.
„Die kranken Leute bringen
Ihr dar als Opfcrspend"
OG. Die Amulete.
231
Aus Wachs gebildete Glieder,
Viel wächserne Füss' und Hand".
Und wer eine Wachshand opfert,
Dem heilt an der Hand die Wund',
Und wer einen Wachsfuss opfert,
Dem wird der Fuss gesund."
Bei den Eömern waren diese Exvoto-Körpertheile meist aus ge-
branntem Thon hergestellt. Sie sind in grosser Menge gefimden, und nament-
lich halben die ßegulirungsarbeiten am Tiber in Rom an der Stelle, wo
die Cella dos einstigen Tempels des Aesculap in den Strom h inunter gestüi'zt
war, bei der Baggeruug eine reiche Ausbeute ergeben.
Die Ideenassociation ist bei einigen der uns beschäftigenden Amulete
nicht sehr deutlich ausgeprägt. Warum ein eidechsenartiges Wesen mit
Fig. 111. Hölzerner Bär, sich
in die Brust beissend; Amulet
der Giljakeu gegen Brust-
schmerzen.
M
Fig. 112. Hölzerue Menschenfigur
mit Gelenken in den Extremitäten;
Amulet der Golden gegen Eheu-
matismus.
Fig. llo. Rohe Menschenfigur
mit einer Kröte auf der Brust;
Amulet der Giljaken gegen
Krankh. der Brust u. desLeibes.
Museum für Völkerkunde, Berlin. — Nach Photographie.
tief eingeschnittenen Querfurchen gegen Geschlechtskrankheiten (Fig. 128).
ein Tiger gegen Brustschmerzen kleiner Kinder, ein Panther (Fig. 129)
gegen Schmerzen im Unterleibe, ein im Stalle aufgehängter Bogen mit zwei
kleinen Menschenfigürchen darunter (Fig. 131) gegen Augenkrankheiten
helfen soll, das ist nicht recht zu verstehen. Allenfalls kann man noch
folgen bei einem Menschenkopf mit umwickeltem Untergesicht (Fig. 120).
als Mittel gegen Zahnschmerzen, bei einem Thierkopf, der auf einen Fisch-
wirbel beisst (Fig. 104), (oder zwei solcher Köpfe), als Mittel gegen Rücken-
schmerzen.
Eine reiche Sammlung interessanter Amulete ist von Vaughan Stevens
unter den Orang Semang in Malacca für das Museum für Völker-
kunde in Berlin erworben worden. In ihrer allgemeinen äusseren Er-
scheinung sind sie sämmtlich ganz übereinstimmend. Sie bestehen Alle
232
XIII. Die Gesundheitspflege und die Epidemien.
aus einem annähernd Zweimarkstück-dicken Bambuscylinder, ungefähr von
einem Fuss Länge. Dieselben sind ganz überdeckt mit eingeschnittenen,
geometrischen Ornamenten. Keines stimmt mit dem Anderen überein und
jedes schützt vor einer bestimmten Erkrankung. Sie Averden ausschhessHch
von Männern benutzt und dienen als Ansatzstücke für die Pustrohre dieser
Leute. Je nach Bedürfniss werden sie crewecliselt.
^
Hinteransich t . Vorderansicht.
Fig. 114 u. 115. Hölzerne, abgezehrte Menschenfigur; Amulet der Golden gegen die
Auszehrung.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin. — Nach Photographie.
Durch die gleichen Ornamente werden aber auch die Weiber vor den
betreifenden Krankheiten bewahrt. Aber lür diese ist das Ornament in die
viereckige Platte eines grossen Bambuskammes eingeschnitten, der dann
mit seinen langen Zähnen in die Haare der Frau hineingesteckt wird. Die
Deutung und Erklärung dieser Ornamente ist ohne Schlüssel gar nicht
möglich. Denn dieselben sind in der Weise gebildet, dass man aus der
Figur, die man eigentlich meint, immer einzelne Strichgruppen besonders
9G. Die Amulete. 233
zeichnet uud diese Gruppen in regelmässigen Reihen unter einander setzt.
So kann natürUch kein iMensch ergründen, wie die Gruppen ursprünglich in
einander gehören. Figur 124 stellt einen solchen Fi-auenkamm dar. Es
Avird über diese höchst merkwürdigen Dinge aus der Feder des Professor
Albert Grünivedel in allernächster Zeit eine ausführliche Abhandlung er-
scheinen.
Ein Amulet der Golden verdient noch unser ganz besonderes Interesse,
da der Schamane sich sichtlich bemüht hat, in ihm die äussere Erscheinung
des Kranken zum deutlichen Ausdi'uck zu bringen. Es ist eine ganze mensch-
liche Figur (Fig. 114), wie fast alle diese Amulete in Holz geschnitten; eine
Anzahl querer Einkerbungen am Rücken soll zweifellos das starke Hervor-
treten der Dorufortsätze der Wirbel bezeichnen. Auch die Rippen (Fig. 115)
treten stark hervor, und da ein solches Amulet hergestellt wird, wenn Jemand
an der Schwindsucht erkrankt ist, so müssen wir in der ganzen Figur das
Jammerbild eines Schwindsüchtigen erkennen. Wir haben daher in dieser
Holzschnitzerei das höchst merkwürdige Beispiel einer pathologisch-anato-
mischen Darstellung vor uns. Aehnlich ist ein Amulet der Giljaken gegen
das Blutspeien. Es stellt eine rohe Menschentigur
dar, bei welcher oberflächlich eingeschnittene Linien ^ y^^.
am Brustkorbe die in Folge der Abmagerung hervor-
tretenden Rippen andeuten sollen. Man sieht, dass
auch diesem Stück der gleiche Gedanke zu Grunde
liegt. Diese Figiu'en verdienen um so mehr unsere
Beachtung, als sie fast vcillig vereinzelt dastehen. Denn
trotz der so sehr grossen Zahl der Bilder, Figuren,
Amulete u. s. av., Avelche wir als auf das Ki'anksein S°t iJecheu'(? nach^der
bezüglich besitzen, sind charakteristische Darstellungen Zeichauo"- auf einem Mu-
von Kranken doch die allergrössten Seltenheiten. sikbrett der Wabeno
Ausser unserem Tuberkulösen wüsste ich niu- noch ^'' "'ftraner!''''^'''
von einem Musikbrett der Indianer (Fig. 32) das Bild Nach Schooicraft.
eines Mannes (Fig. 116) anzuführen, welcher Blut-
erbrechen hat. und drei Masken der Singhalesen. Zu dem Indianer-
Bilde gehört der Gesang:
„Ich ringe um das Leben! — Wabeno! tödte es."
Von den Singhalesen-Masken stellen zwei die Dämonen Korasannijä
(Fig. 117) uud Ammukkusannijä, die Teufel der einseitigen Lähmung vor
und zeigen das charakteristische schiefe Gesicht einer Facialisparalyse.
Eine chitte Maske, ebenfalls von den Singhalesen, zeigt einen Verwun-
deten mit abgehauener Nase und gespaltener Lippe, den Helden Lascorin
(Fig. 118), welcher singt:
„Ich bin der Mann, der auszog zur Schlacht mit den Mala baren. Ich
focht brav; ich war gefangen. Obwohl ich meine Nase verlor und die Lippen
zerhauen sind, bin ich Dein Gatte, Dein Sclave."
Hier schliesst sich noch eine Vase an, welche einem altperuanischen
Gräberfelde entstammt. Sie zeigt einen Mann (Fig. 121), dessen Körper
über und über mit dicken Beulen ül)erdeckt ist. Sie müssen ilm erheblich
quälen; denn er ist eihüg bemüht, sich durch Ki-atzen Linderung zu ver-
234
XIII. Die Gesundheitspflege und die Epidemien.
SfliaÖC'ii, Damit ist aber nun auch der Voiratli (h'i'artiij;t'r Gej^cnstäude zu
Ende und es hat beinahe den Anschein, als ob die Xaturvölker es absicht-
lich vermieden, bildliche Darstellungen von den Kranken herzustellen.
Noch eine andere ^Merkwürdigkeit auf medicinischem Gebiete haben
wir bei den Golden zu verzeichnen. Es ist das der Umstand, dass sich
ihre Medicin-Männer für ihre Verordnungen besonderer Recepte bedienen.
"Was die Grösse der Letzteren anbetrifft, so gebühi-t ihnen vor den euro-
päischen der Vorrang, denn sie messen ungefähr einen halben Meter
im Geviert. Sie bestehen aus grobem chinesischen Papier, und auf dieses
zeichnet der Schamane mit Farbe diejenigen Gegenstände auf, welche für
die Herstellung des Kranken als Anmiete geschnitzt werden müssen.
Fig. 117. Holzmaske der sin schale 8 i-
6 eben Teufelstänzer, den Teufel der
einseitigen Lähmung darstellend.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin.
Nach Photographie.
Fig. 118. Singhalesische Maske, einen Ver-
wundeten darstellend.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin.
Nach Photographie.
Ein solches Golden-Recept (Fig. 122), das das Museum für Völker-
kunde in Berlin besitzt, zeigt unten zwei Tiger neben einer Pflanze und
oben eine rohe Menschenfigur, welche neben sich auf der einen Seite vier,
auf der anderen Seite fünf langgestreckte Gegenstände hat, die an schmale
Lanzenspitzen erinnern, aber oben eine kleine Raute tragen. Vielleicht
sollen das auch Menschen sein. Dieses Recept hilft gegen Kinderkrank-
heiten und das Museum besitzt auch die Stücke, Avelche nach demselben
geschnitzt Avorden sind. Sie sind in Figur 128 dargestellt; es sind dabei
noch zwei kleine Holzmenschen mehr. Einen Tiger, wie das Recept ihn
fordert, haben wir schon in Figur 101 kennen gelernt.
In der Ausstellung des Herrn Umlauf (in Berlin (1892) hatte Herr
Capitän Jacohsen die Güte, mich auf ein Bild aufmerksam zu machen, das
aus einem Tempel in Korea stammt. Es zeigt fast die gleichen Figuren,
wie unser Recept der Golden, so dass man sich nur schwer des Gedankens
Die öfFentliche Cxesundheitspflege.
235
erwehren kann, dass hier nicht gemeinsame Beeinflussungen zu Grunde
hegen sollten. Es ist das eine Sache, die noch ihrer genaueren Auf-
khlrung harrt.
97. Die öffentliche Gresimcllieitspflege.
Wir müssen es als einen Uel)ergang betrachten von der privaten zu
der öfientlichen Gesundheitspflege, wenn wir. um dem Ausbruch von Epi-
demien vorzubeugen, der Aufführung allgemeiner Tänze l)egegnen. Es ist
das von den Klamath-Indianern in Oregon weiter oben bereits be-
Fig. 119. Hölzerne Menschen- Fig. r20. Hölzerner Menschen- Fig. 121. Altperuanisches
figur mit durchbohrtem Leib; köpf mit umhüUter Wange; Thongefäss, einen mit Beulen
Amulet der Giljaken gegen Amulet der Giljaken gegen überdeckten Mann darstellend,
Durchfall. Zahnschmerzen. iler sieh juckt.
Museum für Völkerkunde, Berlin. — Nach Photographie.
richtet worden. Auch eine Ceremonie der Nez-Percez-Indianer gehört
hierher, denn auch sie steht nicht in dem Belieben des Einzelnen, sondern
sie muss zu bestimmter Zeit von sämmtlichen Männern des Stammes aus-
gefülu-t werden, welche sich zwischen dem 18. und dem 40. Lebensjahre
befinden. Diese Feierlichkeit findet Statt, um den Slawisch, den Geist der
Ermüdung zu überwinden. Jedes Jahr wird sie wiederholt und ihre Dauer
])eträgt 3 bis 7 Tage. „Sie besteht darin, dass "Weidenstöcke durch den
Schlund in den Magen gestossen werden, gefolgt von heissen und kalten
Bädern und der Enthaltung von Nahrung." Die Indianer sind fest davon
überzeugt, dass sie hierdurch ganz erhel)liche Körperkräfte und eine un-
gewöhnliche Ausdauer in Strapazen erwerben.
236
XIII. Die Gesundheitspflege und die Epidemien.
Wenn wir uns nun mit der öffentlichen Gesundheitspflege der uncivili-
sirteu Völker beschäftigen wollen, so sind es wohl namentlich folgende
Punkte, denen wir unsere besondere Aufmerksamkeit widmen müssen. Zu-
vörderst haben wir darauf zu achten, wie man sich vor der Berührung mit
dem Inficirten schützt. Darauf wären ihre Maassregelu zu besprechen, die
von der ansteckenden Krankheit Ergriffenen in geeigneter Weise unterzu-
bringen, um eine Weiterverschleppung der Seuche soviel wie möglich zu
verhindern. Es muss aber wohl als practisch erscheinen, dass wir an dieser
Stelle zugleich diejenigen Nachrichten zusammenstellen, welche uns über
ihre Unterbringung der Krauken im Allgemeinen Auskunft geben. Auch
Fig. 122. Kecept eines SchamaneQ der Golden.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin. — Nach Photographie.
wie man für den Kranken sorgt, in leiblicher wie in therapeutischer Weise,
müsste im Anschluss hieran besprochen werden.
Ferner inüssen wir ihre Versuche berücksichtigen, vor der Epidemie
zu entfliehen. Auch die Maassregeln sind zu beachten, welche sie ergreifen,
um der Seuche den Eintritt in die Ortschaft zu verwehren, oder wenn sie
bereits eingedrungen ist, sie aus der Ansiedelung wieder zu vertreiben.
Endlich müssen wir darauf achten, wie man mit der Beseitigung solcher
Leichen verfährt, welche an ansteckenden Krankheiten oder sonst unter
unnatürlichen Verhältnissen gestorben waren. Den Beschluss würde die
Untersuchung l)ilden, wie es die Naturvölker unternehmen, nach dem Er-
98. Der Schutz vor der Berühruiicr mit den Inficirten.
237
lösclieu der Epidemie oder nach der Evaciiirung des Ki'aukeu ihre Ort-
schaften sowohl, als auch die einzelnen "Wohnstätten wiederum zu assaniren
und von Neuem bewohnbar zu machen.
Dass uns bei allen diesen Manipulationen ebenfalls vielerlei Aberglaube
und manches Uebernatürliche entgegentritt, das kann uns nach dem bisher
Gesehenen nicht überraschen. Aber der Grund ist doch immerhin gelegt
für die Anfänge einer öffentlichen Gesundheitspflege.
Fig. 123. Hölzerne Gegenstände, welche nach dem
Schamanen-Kecepte geschnitzt sind.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin.
Nach Photographie.
Fig. 124 Weiberkamra der Orang
Semang; Amulet geg. Krankheit.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin.
Nach Photographie.
98. Der Schutz vor der Berührung mit den Inficirten.
Eine der wichtigsten Gesundheitsregeln bei ansteckenden Ki*anklieiten
bleibt es natürlich, dass man die Berührung und den näheren Verkehr mit
solchen Personen sorgfältig vermeidet, welche die Seuche bereits ergriffen
hat. Solch eine Vorsichtsmaassregel setzt aber doch immer schon ein Yer-
ständniss für die Thatsache voraus, dass es gewisse Erkrankungen giebt.
welchen die Eigenschaft innewohnt, dass, wenn sie einen Menschen befallen
haben, sie auch auf andere Personen übergehen, wenn diese in irgend einer
Weise mit dem Erkrankten in Berührung kommen. Diese Uebertrag-
barkeit der Krankheit von dem einen Menschen auf Andere bildet ja eben
2oS XIII. Die Gesundheitspflege und die Epidemien.
(las Wesen der Inl'cction. Und Avenn nun diese Einsicht gewonnen ist, so
liegt der zweite Schritt in dem Denken nicht fern, dass mau, um sich vor der
Ansteckung zu schützen, die Gemeinschaft mit dem Kranken vermeiden
müsse. Entweder geht man dann nicht zu ihm: man entfernt sich von ihm
und überlässt ihn seinem Schicksal, oder man bringt ihn aus dem Hause
und man untersagt ihm den Zutritt zur eigenen Wohnung.
Ehrenreich berichtet von den Karaya in Brasilien, dass bei ihnen
die Lungentuberkulose in steter Zunahme begriffen sei, und dass die Ein-
geborenen von der Tnfectiosität derselben vollkommen durchdrungen sind-
Naht sich ein fremder Besucher ihrer Hütte, so richten sie zuvor die Frage
au ihn: „Giebt es auch keinen Catarrh?" Und erst wenn dieses verneint
worden ist, wird ihm das Betreten der Hütte gestattet.
Etwas energischer ist die Abwehr, welche die Kirgisen ihren Inli-
cirten entgegensetzen. Wenn zu der Zeit einer Pockenepidemie ein Kranker
sich ihren Wohnungen naht, so macheu sie, wie Pallas schreibt, sich kein
Gewissen daraus, mit ihren Pfeilen auf ihn zu schiessen.
Harmand, welcher eine Expedition
nach dem Me-Khong in Hinter-
indien unternommen hatte, fand in
den Territorien der Khas, wohin die
Laoten uur selten vordringen, vor
allen Dörfern , welche die Cholera
einmal heimgesucht hatte, ein Holz-
Fig. 125. Ein Bär auf dem Rücken eines stück aufgehängt (Fig. 12G), das rechts
Anderen sitzend, liolzgeschnitzt; Amulet der ^^^^^ ünkg niit Einkerbungen von ver-
(riliaken gegen Rückenschmerzen. i • i r^ ■• i -rv
\, , ■? „ , , D T schiedener Grosse versehen war. Das
Mus. t. \ olkerkunde. Berlin. rr • i i -p
Nach Photographie. ist eine Art der Zeichenschrift, welche
Folgendes zu bedeuten hat: ..Wer
in den nächsten zwölf Tagen sich untersteht, in unsere Pallisade einzu-
dringen, Avird gefangen genommen und muss an uns vier Büffel und zwölf
Tical an Lösegeld bezahlen."
Die andere Seite der Einkerbungen soll die Anzahl der Männer, Frauen
und Kinder im Dorfe bezeichnen.
Vielfach begegnen w^ir der Gewohnheit, dass man den ansteckenden
Ki'anken entflieht j oder dass man sie aus der Ortschaft entfernt; beide
Maassregeln haben wir später noch zu besprechen.
Einen grossen Schritt vorwärts in der Rücksicht auf die Gesundlieit
des Nebenmenschen Avurde von Harmand ebenfalls auf seiner Reise am
Me-Khong gesehen, und zwar an Dörfern von Attapeu, welche denen
der Laoten benachbart waren. Hier waren bisw^eilen über den Fuss wegen
und an dem Thore des Dorfes Bambusstücke in Sternform mit Blätter-
büscheln daran aufgehängt, um die Aufmerksamkeit der Wanderer auf sich
zu lenken. Die Bedeutung dieser sonderbaren Zeichen ist die, dass in dem
Dorfe irgend eine Seuche entweder unter dem Vieh oder unter den Menschen
grassirt.
99. Die Unterbriiii'uuo; der ansteckenden Kranken.
239
99. Die Uiiterbriugiiiig- der austcekciKloii Kranken.
Das Fortscluiffen inficirter Patienten ist nicht bei allen Naturvölkern
in Gebrauch, wie wir oben bereits angedeutet haben. Al)er auch die-
jenigen Yolksstäiume, bei welchen solche Evacuatiouen stattzutiuden pflegen,
nehmen dieselben, wie es den Anschein hat, nicht gleich bei dem ersten
Erkrankungsfalle vor. Erst wenn die Anzahl der von der Seuche Er-'
fifrififeneu in raschem Ansteigen begriffen ist, nehmen sie zu dieser Maass-
it'gel ihre Zuflucht. Das bestätigt uns Modigliani von der Insel Nias,
dass bei vereinzelten Krankheitsfällen die Patienten ruhic; in ihren Häusern
Fig. 126. Bambusstück, vor
den Dörfern der Khäs in
Hinter in dien aufge-
hängt, um das Betreten zu
verbieten
Nach Ilarmand.
Fig. 127. Hölzerne Arme
mit Gelenken; Amulete der
Golden gegen Steifigkeit
im Bereiche der oberen Ex-
tremitäten.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin.
Nach Photographie.
Fig. 128. Holzthier (Ei-
dechse? Tiger?) mit ein-
gekerbtem Kücken; Amulet
der Golden gegen Ge-
schlechtskrankheiten.
Sammlung Umlanff, Hamburg.
Nach Photographie.
verbleiben; nimmt aber die Zahl der Erkrankungen zu, so bringt man sie
aus der Ortschaft heraus.
Es ist bereits manchen der Naturvölker zum Bewusstsein gekommen,
dass der Aussatz zu den ansteckenden Krankheiten gehört und dass man
also aus diesem Grunde den Verkehr mit den Aussätzigen zu meiden habe.
Auf der Insel Keisar begnügt man sich damit, den Aussätzigen das Hei-
rathen zu verbieten. Denn wunderbarer Weise ist man hier der Ansicht,
dass der Aussatz zwar auf dem Wege der Vererbung übertragen werden
könne, dass er aber nicht ansteckend sei. Umgekehrt ist es auf den Watu-
bela-Inseln. Hier glaubt man, dass eine Vererbung nur in den aller-
seltensten Fällen vorkomme, dass aber die Ansteckung möglich sei; und
aus diesem Grunde schickt man die Erkrankten nach Gorong, damit sie
dort medicamentös behandelt würden.
240 . XIII. Die Gesundheitspflegf und die Epidemien.
In Mittel- Sumatra wordon die Aussätzigen aus dem Dorfe verl)annt
und ziehen in den AVald. Hiei- hoffen sie, dass die Geister der Goenoeeng-
padang ihnen gnädi«;- sind und ihnen die Gesundheit Aviedergeben. Bevor
man sie dazu verurtheilt, sich in die AViklniss zu begeben, hält man eine
Berathung mit den Häuptern des Dorfes, sowie mit den Familiengliedern
der Kranken ab. Wird dann von diesen die Verbannung beschlossen, so
müssen sich die Patienten dem Urtheilsspruch fügen. Diese Art der Ver-
bannung führt den Namen Pai taraq, das heisst soviel, als „von den
"Wald- und Berggeistern Heilung erbitten."
In der Landschaft Kroe in Sumatra werden Aussätzige mit nur
leichten Affectioneu ruhig in der Ortschaft geduldet. Nimmt ihr Leiden
aber grössere Dimensionen an, dann zwingt man sie, das Dorf zu verlassen
und ihren Aufenthalt im Walde zu nehmen. Für diesen Zweck errichtet
man ihnen aber eine besondere kleine Hütte. Auch auf Bali herrscht der
Gebrauch, die am Aussatz Erkrankten aus dem Dorfe zu verweisen unt
zwar ohne Ansehung der Kaste, welcher sie angehören. Für gewöhnlich
werden sie nach dem Seestrande geschickt. Jacobs, welcher dieses berichtet,
ist der Ansicht, dass es sich hier nicht eigentlich um eine hygieinische
Maassregel handelt; denn manchmal sendet man die Kranken auch einfach
Fig. 129. Hölzerner Panther; Amulet der Golden gegen Schmerzen im Unterleibe.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin. — Nach Photographie.
nach einem anderen Dorfe. Hier liegt wahrscheinlich der Gedanke zu
Grunde, den Leidenden, dessen Krankheit eine langdauernde ist und den
man natürlicher Weise für bezaubert hält, dem Einfluss der bösen Zauberer
zu entrücken.
Eine besondere Art der Unterbringung von Pockenkranken finden wir
nur auf der Insel Nias. Es wurde schon erwähnt, dass hier das Fort-
schaffen der Patienten erst dann vorgenommen wird, wenn es sich nicht
mehr um vereinzelte Erkrankungen handelt, sondern wenn die Seuche be-
reits erheblich an Ausdehnung gewonnen hat. Dann werden die Ki-ankeu
aus dem Dorfe vertrieben und sie müssen auf dem freien Felde bleiben.
Es wird dann aber hier für sie ein besonderes Schutzdach errichtet. Wir
müssen hierin, wie man sieht, die primitiven Anfänge einer Unterbringung
der ansteckenden Kranken in einer für diesen Zweck besonders errichteten
und von den bewohnten Plätzen abgelegenen Seuchenbaracke erkennen.
Diese wohlgemeinte Schutzmaassregel verliert aber dadurch sehr an Wertli,
dass keine Spur einer Vorsicht herrscht in dem Gebrauche der inficirten
Kleider. Auch wohnen die Leute ohne Scheu in den Häusern, in denen
die Kranken bis zu ihrer Fortschaffung gelegen hatten. Und so wird es
wohl verständlich, dass trotz der Evacuation der Inficirten dennoch die
Pocken auf der Insel eine recht erhebliche Zahl von Opfern fordern.
100. Die Versomun^ der ansteckenden Ki-anken.
241
100. Die Versorgung- der aiisteckeudeii Kranken.
Die Versorgung dieser armen Ausgestosseneu wird auf sehr verschiedene
Weise gehandhabt. Wenn die Niasser ihre Pockenkranken unter das im
Felde für sie errichtete Schutzdach transportiren , so lassen sie ihnen zm*
Ueberwachuug und Pflege einen Stammesgenossen zurück, welcher früher
bereits die Pocken glücklich ül)erstandeu hatte. Derselbe sorgt dafür, dass
die Kranken täglich mehrmals in frischem Wasser baden, und er holt ihnen
auch die Speisen herbei, Avclche die Leute im Dorfe übrig gelassen halien.
Fig. 130. Hölzerne Menschenfigur
mit fliegendem Vogel auf dem
Rücken ; Amulet der Golden
gegen Kreuzschmerzen.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin.
Xach Photograpliie.
Fig. 131. Amulet der Golden gegen Augen-
krankheiten.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin.
Nach Photograpliie.
Auch auf dem Seranglao- und Gorong -Archipele lässt man die
an den Pocken Erkrankten fleissig baden und die Efflorescenzen mit Kaiapa-
Milch liefeuchten. Ausserdem verordnet man Abführmittel, unter denen das
Kaiapa- Wasser und die Wurzel der Curcuma longa ganz besonderes Ver-
trauen geniesseu.
Die Traos in Cochiuchina verlassen ilu'e Pockenkranken, aber sie
setzen ihnen Wasser und gekochten Reis an das Lager. Ganz ähnlich ver-
halten sich die Tungusen und die Buräten. indem sie ebenfalls den
Patienten, bevor sie dieselben verlassen, die nothwendigsten Nahrungsmittel
Bartels, Medicin der Naturvölker. 16
242
XIII. Die Gesundheitspflege und die Epidemien.
zurechtstellen. Auch die Indianer im nördlichen Mexico verlassen die
Ihrigen, wenn diese von ansteckenden Krankheiten befallen werden. Aber
sie stellen den Patienten Wasser und wilde Früchte hin, so dass sie die-
selben bequem erreichen können.
Die Auuamiten pflegen die Betten ihrer an den Pocken erkrankten
Kinder mit Netzen zu umstellen und die Patienten niemals allein zu lassen,
weil sonst die grosse Gefahr besteht, dass ein Dämon in der Gestalt eines
fremden Kindes sich zu ihnen schleicht und sich ihrer bemächtigt. Unter
dem Bette der Pockenkranken muss man einen grünen Fisch ohne Schuppen,
mit Namen Ca tre, liegen haben, weil derselbe die Eigenschaft besitzen
soll, das Gift der Krankheit an sich zu ziehen.
Den an dem Aussatze Leidenden auf Bali, welche,
Avie bereits erwähnt, zum Meeresstrande verbannt
werden, sendet mau dorthin regelmässig ihre Nahrung.
Wenn man in Mittel -Sumatra einen Aussätzigen
in die Wildniss treibt, so giebt man ihm zehn Maass
gestosseueu Reis, Sirih, Tabak u. s. w., ausserdem aber
ein Beil und ein Kappmesser mit. Wenn seine Nah-
rung aufgezehrt ist, so ist es ihm gestattet, wieder zu
kommen und sich neue Vorräthe zu holen; aber er
darf sich dann nicht länger, als durchaus nöthig ist,
im Dorfe aufhalten. In der Landschaft Lebang in
Sumatra müssen die Aussätzigen auch im AValde
ihren Aufenthalt nehmen. Sie werden daselbst mit
Lebensmitteln versehen, und ein einheimischer Arzt
besucht sie von Zeit zu Zeit und unterzieht sie seiner
Behandlung. Diese soll bisweilen die Heilung herbei-
führen.
Fig. 132. Hölzerne Hand
mit Menschengesicht;
Amulet der G i 1 j a k e n
gegen Eeissen im Hand-
gelenk.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin.
Nach Photographie.
101.
Die Unterbringung: der niclit ansteckenden
Kranken.
An die Erörterungen in den beiden letzten Ab-
schnitten werden wir am geeignetsten gleich die Be-
sprechung anschliessen können, wie die Naturvölker
ihre Patienten, die nicht an ansteckenden Ki*ankheiten leiden, unterbringen
und wie sie für dieselben sorgen. , Da finden wir als eine ganz besonders
häufige Maassregel erwähnt, dass man den Kranken, besonders dann, wenn
er im Fieberfrost sich befindet, möglichst nahe bei dem Herdfeuer lagert, oder
in manchen Fällen sogar direct unter seiner Lagerstätte ein Feuer ent-
zündet. Wir sprachen Aveiter oben bereits hiervon.
Die Weddah auf Ceylon suchen für ihren Kranken einen schattigen
Ort aus und sie legen ein Paar grosse Blätter über den Patienten. Die
Mincopies auf den An dam an en richten ein Lager her aus den Blättern
des Gü'gma (Trigonostemon longifolius).
Auf Mansinam in Neu-Guinea lebt nach van Hasselt „ein Papua-
Doctor, welcher um sein Haus herum eine Anzahl Hütten für die zu ihm
gebrachten Patienten aufgerichtet hat. Während sein Haus sehr solid ist,
lassen diese Hütten, was Dauerhaftigkeit anlangt, sehr zu wünschen übrig.''
10]. Die Uiiterbrinffuno- der nicht ansteckenden Kranken.
24-
Trotz dieser Mangelhaftigkeit der Constructiou verdient diese Anlage dennoch
in höchstem Maasse unsere Beachtung. Denn wir haheu hier ganz zweifellos
die primitiven Anfänge einer Krankenhausanlage vor uns, eine That-
saclie, welche, soweit meine Kenntnisse reichen, bisher ganz vereinzelt bei
den Naturvölkern dasteht.
Die nordanierikani sehen Indianer werden, wenigstens für den
wichtigsten Theil der ärztlichen Behandhing, wie wir gesehen haben, ge-
wöhnlich in ein besonderes BauAverk gebracht, in die Medicin-Hütte, welche
entweder ständig in der Ansiedelung sich befindet, oder welche eigens für
den besonderen Krankheitsfall errichtet wird. Bisweilen, wenn das Letztere
stattfindet, dürfen dann l)(>stimnite Bäume nicht die Pfosten liefern, weil
ihr Holz dem Patienten Schaden bringen würde. Vermaa; der Kranke
Fig. 133. Hölzerne Mensclientigürchen mit Gelenken
im Mittelkörper oder in den Extremitäten; Amulet
der Giljaken gegen Fuss- und Beinschmerzen.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin. — Nach Photographie.
Fig. 184. Hölzernes Mensehen-
figürchen mit Gelenk im Mittel-
körper; Amulet der Golden
gegen Fusskrankheiten.
Mus. f Völkerkunde, Berlin.
Nach Photographie.
nicht allein, oder von den Seinigen gestützt, zu der Medicin-Hütte zu kommen,
so trägt man ihn mit seinem Bett oder auf einer Ijesondereu Tragbahre
hinein. Er wird, wenn er zu gehen vermochte, auf einer Matte oder auf
einem Mantel, einem sogenannten Blanket, gelagert.
Gatschet erzählt von den Klamath-Indianern in Oregon, dass solche
Krankenljehandlung im Winterhause vorgenommen wird. Die Oeflfnung an
der Spitze der Hütte Avird dabei geschlossen, und die ganze Versammlung,
sowie der Medicin-Mann und der Patient, sitzen dann in tiefster Finsterniss.
Auf den Patienten, welcher in der Medicin-Hütte auf dem Blanket
gelagert ist, ])ezieht sich ein Beschwörungsgesang des Medicin-Mannes bei
den Dacota-lndianern, welchen sich das Volk als von einem ihrer Götter
gesungen zu denken hat:
16^
244 Xlll. Die CTeöuiidliuitsplle<j;e und die E])idemieu.
„Fliegend, gottgleicli umkreise icli die Himmel:
Ich erleuchte die Erde bis zu ihrem Mittelpunkt.
Der kleine Ochse liegt, sich windend, auf der Erde:
Ich lege meinen Pfeil auf die Sehne."
Der kleine Ochse ist der Patient: der Pfeil soll wahrscheinlich den
Kranklieitsdänion voniicliten. Bei länger dunernder Erkrankung werden die
Indianer in ihrer Wohnung behandelt, und in einigen Fällen werden dabei
ganz besondere Maassnahmen getroffen.
So wird nns von den Mosquito-Indianern berichtet, dass sie ilire
Patienten, wenn die gewöhnlichen Heilmethoden nicht sogleich die gewünschte
Besserung bringen, mit bemalten Stöcken einzuzäunen pflegen. Dabei wird
ein strenges Gebot ertheilt, dass Niemand dem Ki'anken sich nahen darf.
Der Medicin-Mann bringt ihm selber die Nahrung, wobei er „mit kläg-
licher Anstrengung flüstert und über den Patienten Beschwörungsformeln
murmelt, um den bösen Geist zu vertreiben.'" Selbst auch nur in die Nähe
der Hütte darf weder eine Schwangere kommen, noch auch ein Mann, der
kürzlich erst einen Freund oder Verwandten begraben hat. Auch muss
man es sorgfältig vermeiden, an der AVindseite der Hütte vorüber zu gehen.
weil das. dem Patienten den Athem benimmt. ,.Ein etwaiges Brechen
dieser Verbote lässt dem Medicin-Manne einen glücklichen Ausschlupf, im
Falle seine Heilmittel keinen Erfolg gehabt haben."
Von den Winnebago-In dianern wird eine ähnliche Sitte berichtet.
Dieselben umstellen Ijisweilen das Krankenlager mit Stöcken, auf denen
Schildkröten, Schlangen, Kröten und Eidechsen aufgesteckt sind, tmi den
bösen Geist zu vertreiben.
Eine Absperrung der Patienten findet auch bei den Laoten Statt. Die-
selben sind dann kelam, d.h. „im Zustande der Zurückgezogenheit."
Das Haus wird dabei mit einem dreifachen Strick, der aus Gras geflochten
ist, umgeben. An jeder Ecke des Gebäudes wird ein Pfosten aufgestellt
mit einem scheibenähnlichen, runden Geflecht von Bambusspähneu. Fremden
ist es streng verboten, in diese Umzäunung einzutreten. Sollten sie sich
an dieses Verbot nicht kehren, so müssen sie eine Strafe bezahlen, weil
sonst der Tod des Patienten in Folge der Störung seiner Zurückgezogenheit
unvermeidlich sein würde.
Hieran erinnert das Umstellen mit Netzen des Bettes von den pocken-
kranken Kindern, wie wir es bei den Annamiten kennen gelernt haben.
Auch von Nias wird berichtet, dass ein Kranker, dessen Zahnschmerz den
Bananen-Umschlägen nicht weichen will, einem bestimmten Geiste opfern
muss. Dabei lässt man ihn mehrere Tage eingeschlossen in seiner Hütte,
ohne dass es ihm gestattet ist, einen Besuch zu empfangen.
Bei den Laoten fanden wir in Suren den Gebrauch, die Besessenen
auf einem Kreuzwege auszuräuchern, nachdem man einen Bambuskäfig um
sie gebaut hat. Auch die Annamiten schliessen den Kranken bisAveilen
in solchem Käfig ein, wenn der böse Geist sich geäussert hat, welches Oj^fer
er verlangt. Innerhalb dieses Käfigs wird darauf ein kleiner Altar errichtet,
der zur Darbriugung des geforderten Opfers benutzt wird.
Eine merkwürdige Art, den Patienten unterzubringen, hat Ehrenreich
bei den Yamamadi-Iudianern in Brasilien beobachtet. Es handelte
sich nicht um eine ansteckende Krankheit; sondern der betreftcnde Mann
101. Die Uli t erbrill ff uno; der niclit ansteckenden Krani?eii.
245
-war vier Tage zuvor von einer giftigen Schlange gebissen worden und be-
fand sich schon auf dem Wege der Besserung. Von seiner Hütte hatte
man einen langen Zaun aus horizontalen Stangen weit in den Wald hin-
ausgel)aut. „Nach Angabe des uns begleitenden Ipurins sollte diese
Einrichtung dem Kranken ermöglichen, behufs Defäcation vor das Dorf zu
gelangen. Ob diese Erklärung richtig ist, steht dahin. Jedenfalls liegt eine
abergläubische Vorstellung vor. Entweder darf ein derartiger Kranker von
Niemand zur Hülfeleistung Ijerührt werden, oder wir haben einen analogen
(Tebrauch wie liei gewissen Stämmen am Orinoco, die nach alten Berichten
vom Hause eines Schwerkranken oder Moribunden aus eine Schnur in den
Wald hinausziehen, um der Seele den Weg
zu weisen."
Bei den Siamesen heiTscht der Glaube,
dass die verschiedenen Constellationen auf das
AVohl und Wehe des Patienten einen wesent-
lichen Einfluss ausül)en. Darum muss an kri-
tischen Tagen der Krankheit das Bett des
Patienten von einem Striche des Compass zu
einem anderen umgestellt werden, je nach dem
Thiere der Coustellation (Katze, Wiesel, Maus,
Elefant, Löwe u. s. av.), welches über den be-
treffenden Tag die Herrschaft besitzt.
Auf vielen Inselgruppen des malayi sehen
Archipels begegnen wir einer merkwürdigen
Sitte. Wenn hier eine Krankheit sich lange
hinschleppt oder einen bedrohlichen Charakter
annimmt, so muss der Patient seine Wohnung
verlassen und in das Haus anderer Leute
ziehen. Bisweilen thut er das aus eigenem
Antrieb oder von seinen Verwandten veran-
lasst; an anderen Orten aber wird dieser Um-
zug vom Medicin- Manne angeordnet. Die
Leute sind fest davon überzeugt, dass diese
Maassregel die bisher vergeblich angestrebte
Heilung herbeizuführen vermöge. Als der Be-
weggrund für dieses Verhalten wird nicht immer
das Gleiche angegeben. Auf den Inseln Leti,
Moa und Lakor geschieht es, weil bei der
Erbauung desjenigen Hauses, in welchem der
Ki-anke bisher seine AVohnung hatte, die durch den Ritus vorgeschriebenen
Vorsichtsmaassregeln nicht genommen worden sind. Auf den Watubela-
Inseln wird das Haus des Kranken als „zu warm" erklärt und er muss
es deshalb verlassen. Wir begegnen dieser Bezeichnung später noch wieder.
Die Annamiten bringen die sterbenden Pockenkranken, deren Bruder
gleichzeitig an der Krankheit darniederliegt, heimlich in eine andere Be-
hausung, damit, wenn bei Ersterem das Ende eintritt, er nicht seinen
Bruder mit sich nehme.
Der gewöhnlichste Grund dieses Wohnungswechsels und. wie mir scheinen
will, der ursprüngliche, liegt aber in einem anderen Gedanken. Der Kranke
Fig. 135. Korb mit daranhängen-
den Bambuscylindern, zum Speise-
uud Trankopfer für den Krank-
heits-Dämon. Bonerate
Mus. f. Völkerkunde, Berlin.
Nach Photographie.
240 XIII. Die Geisuudheit.spfiege und die Epidemien.
ist in der Däiiioneu GoAvnlt und darum kann er nicht wieder genesen. Ge-
lingt es nun. ihn den Dämonen zu stehlen, ihn heimlich aus ihrem Bereich
zu entfuhren und ihn vor ihnen verborgen zu halten, so nuiss der Schaden,
den sie ihm brachten, nicht ferner mehr auf ihn einwirken können. So
niuss dann die Krankheit von ihm weichen und die Gesundheit kehrt ihm
zurück.
Die weite Verbreitung diesei' Auffassung in den geiiannttMi Insel-
gebieten si)richt allein wohl schon daliir, dass wir hier den ursprünglichen
Gedanken vor uns haben. Denn die Eingeborenen von Buru, von Serang
und von Serauglao, von den Kei- und den Luang- und Sermata-
Inseln, von Eetar, von den Babar- und Aaru-Inseln und theilweise
auch von den AYatubela-Iuseln geben als Grund für diese Maassregel
übereinstimmend an, dass sie die bösen Geister irreführen wollen. Auf den
Aaru-Inseln Avird der Kranke dann auf Schleichwegen in die neue AVoh-
nung gebracht, und auf den Babar-Inseln nimmt man diesen Umzug erst
vor, nachdem man zuvor gewisse Zauberceremonien ausgeführt hat.
Bei den Mincoj)ies auf den Andamanen und bei den Samoanern
suchen die Freunde und Verwandten den armen Kranken möglichst ihre
Ijciden erträglicher zu machen. „Jegliche Berücksichtigung wird den Be-
düi-fuissen und Wünschen des Kranken zu Theil und die Freunde thun
alles, um die Heilung herbeizuführen," berichtet Man von den Mincopies,
und Turner schreibt von den Samoanern: „Die Behandlung des Kranken
war unwandelbar menschlich. Es fehlte ihm an keiner Nahrung, die er zu
haben wünschte, bei Tage oder bei Nacht, wenn es nur in der Macht seiner
Freunde stand, sie zu besorgen. Nahm die Krankheit eine gefährliche
Wendung, so wurden Boten zu den entfernten Freunden geschickt, dass
sie kommen möchten, um ihrem scheidenden Verwandten Lebewohl zu sagen,
(Je vornehmer, um so mehr Freunde.) Jeder brachte eine feine Matte oder
sonst ein werthvolles Geschenk als Abschiedsgabe für den Freund mit, als
Beisteuer für die Bezahlung der einheimischen Aerzte und Beschwörer und
zum Unterhalt für die versammelten Freunde,"
103. Das Schicksal der Schwerkranken, Siechen und Krüppel.
In diesem Verlegen der Patienten, sowie in ihrer Lagerung am Feuer-
platz u. s. w. haben Avir schon eine ganz unzweifelhafte Fürsorge für die
Kranken zu erkennen, und wiederholentlich wird uns auch bestätigt, dass
die Patienten von Seiten ihrer Angehörigen die nöthige Versorgung und
Verpflegung erhalten. Das berichtet Veih und van Uasselt von Mittel -
Sumatra, Riedel von den Watubela-, den Kei- und den Babar-Inseln,
sowie von Eetar und Selebes, Auch die Dacota-Indianer verpflegen ihre
Schwerkranken gut, besonders allerdings die Männer und die Knaben. Auf
den Aaru-Inseln überwachen die Frauen den Kranken im Hause, w^ährend
die Männer draussen verweilen und durch Schüsse den bösen Geist, der
die Krankheit bedingt, zu vertreiben suchen. Die Australneger vom Port
Lincoln bezeigen ein grosses Mitleid mit kranken Personen, namentlich
die Frauen, welche ihr Mitgefühl durch reichliche Thränen zu erkennen
geben. Auch bei den Loango-Negern gehört es zum guten Tone, dass
102. Das Schicksal der Schwerkranken, Siechen und Krüppel. 247
-1^-
eine grosse Zahl befreundeter Weiber den Patienten umlagert und ein
lautes Klagegeheul erschallen lässt.
Wir müssen uns aber die Frage vorlegen, ob wir denn nun bei allen
Naturvölkern diese aufmerksame Fürsorge für die Kranken antreffen. Leider
können wir es ja nicht leugnen, dass auch bei den civilisirten Nationen ein
schwer Erkrankter, dessen Leiden sich lange hinziehen, vielfach als eine
recht beschwerliche Last empfunden wird. Wenn das nun schon bei den
Trägern der Civilisation vorkommt, was soll man dann von den niederen
Yolksstämmen erwarten, zumal wenn sie nicht feste Wohnplätze besitzen,
sondern wenn sie als Nomaden- oder Jägervolk mit kurzen Unterbrechungen,
ja selbst von Tag zu Tage, neue Lagerplätze aufzusuchen gezwungen sind.
Man muss es sich nur vorstellen, wie ein solcher Auszug des ganzen
Stammes mit nicht unerhelilichen INEühseligkeiten und häufig auch mit
grossen Entbehrungen und
Gefahren verbunden ist. Man
male es sich aus, was es
heisst, unter solchen Ver-
hältnissen einen Schwer-
kranken, einen Siechen oder
einen unbehülflichen Ki'üp-
pel mit sich führen zu
müssen, und es wird dann
manche barbarische Maass-
regel der Naturvölker, wenn
auch vom Standpunkte der
Menschlichkeit aus nicht
natürlich und entschuldl)ar,
so doch wenigstens begreif-
lich erscheinen.
So heisst es von den
Eingeborenen Süd-Austra-
liens: „Wenn irgend Je-
mand seinem Stamm zur
Last fällt durch Krank-
heit oder chronisches Siech-
thum, so wird er von sei-
nen Genossen verlassen und dem Tode preisgegeben." Auch von den
Queniult-Indianern in NordAvest-Amerika heisst es, dass sie die Alten,
die Kranken und die Krüppel im Stiche lassen, damit sie den Tod finden.
Noch grausamer gehen die Nieder-Californier vor: Sie vernachlässigen
ihre alten Invaliden und verweigern ihnen die Abwartung. wenn ihre letzte
Krankheit lange dauert und die Heilung unwahrscheinlich erscheint. Li
manchen Fällen wird aber auch der Patient durch Ersticken aus dem Leben
befördert.
Ehrenreich erzählt von den Ipurina-Indianern:
„Die bei Naturvölkern vielfach geübte Tödtung hoffnungsloser Kranker,
bei denen sich alle Künste der Zauberer unwirksam erweisen, scheint auch
bei den Ipurina im Schwange zu sein. Es sprechen hierfür folgende Er-
mittelungen, in denen der Einfluss der Suggestion seitens verschmitzter
Fig. 136. Häuschen mit Opfergaben geiüUt, zur Be-
sänftigung der Krankiieits-Dämonen. Süla Besi.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin. — Nach Photographie.
248 XIII. Die (-resundlioitspllef^e und die Epidemien.
Schamanen auf das Gemütli des Xatnrnieuschen sich in besonders charakteri-
stisclier AVeise bekundet. Man vertraut solche Patienten der Obhut der
Inhisi. ..der grossen AVasserschLange'' an, die in der Ipurina-AIythologie
überhaupt eine wichtige Rolle spielt. Ihr Ijiebliugsaul'enthalt soll bei den
grossen Steinmassen im Flusse unterhalb Hyutanaham sein, wo sie ge-
legentlich Kanus in den Grund zieht."
.,Sind Kranke da, die in ihrem verzweifelten Zustande nur noch von
der Schlange Hülfe erwarten, so geht einer der Schamanen an den Fluss,
um den ,,Wass ergeist'' zu rufen. Nachdem sich alle Begleiter entfernt,
erscheint derselbe und ffagt zunächst nach den mitgebrachten Geschenken.
Ist er damit zufrieden, so erklärt er sich zur Aufnahme dos Kranken bereit.
Dieser wird nun mit Tabak betäubt und in den Fluss geworfen, auf dessen
Grund er „mit dumpfem Knall" niederfällt und erwacht. Der Wassergeist
nimmt ihn in sein Haus auf und stellt ihn wieder her. Die Art der Cur
wurde leider so unklar geschildert, dass sich die Erzählung nicht wieder-
geben lässt, die Genesenen bleiben dann für immer im Reiche der Wasser-
schlange und leben dort herrlich und in Fi-euden, ohne das YerlangeUj
wieder an die Oberwelt zu kommen. Auch die zufällig Ertrunkenen finden
daselbst Aufnahme, wogegen bereits auf der Erde Gestorl)ene zurückgewiesen
werden. Moribunde Leute sollen nicht selten von den Zauberern durch
Keulenschläge ins Jenseits befördert werden."
103. Die Flucht vor der Seuche.
Wenn die Naturvölker in der vorher geschilderten Weise mit ihren
Patienten verfahren nur aus dem Grunde, weil sie ihnen hinderlich und
lästig sind, so kann es kaum verwunderlich erscheinen, dass sie sich nicht
besonders th eilnehmend um die Patienten kümmern, wenn zu dieser Un-
bequemlichkeit sich auch noch für ihr eigenes Leben die directe Gefahr
hinzugesellt, oder mit anderen Worten, wenn der Kranke von einer an-
steckenden Krankheit befallen wurde. Wenn sie es sehen, wie die Krank-
heit, oder ihren Anschauungen entsprechend, der Krankheitsdämon rasch
hinter einander gleich eine grössere Zahl ihrer Stammesgenossen darnieder-
wirft und dahinrafft, so leben sie in der gerechten Furcht, dass er es auch
auf ihr Leben abgesehen hat und dass er nur einen günstigen Augenblick
abAv artet, um sie selber auch in seine Gewalt zu bekommen. Nur in einer
schleunigen Flucht erblicken sie dann die wirksame Hülfe. Denn wenn es
ihnen glücklich gelingt, aus dem Machtbereiche des bösen Geistes zu ent-
rinnen, dann glauben sie natürlich fest, dass nun ihr Leben gerettet sei.
Dass in einer grossen Reihe von Fällen sie den Krankheitskeim bereits
mit sich nehmen, davon haben sie ebenso wenig einen Begriff, wie die un-
glücklichen Oholeraflüchtlinge civilisirtor Staaten, von denen wir erst in
allerjüngster Zeit so viele traurige Beispiele zu sehen vermochten.
Die Flucht der Buräten und Tungusen vor den Pockenkranken haben
wir oben bereits erwähnt, und ebenso auch diejenige der Kirgisen, sowie
die der Traos in Cochinchina. Hier flieht die gesammte Einwohner-
schaft; „eine Mutter lässt ihr Kind im Stich, eine Frau ihren Gatten; die
Furcht entschuldigt Alles."
103. Die Flucht vor der Seuclie.
249
Aelinlich klingt van HasseWs Bericht aus Mittel-Sumatra, an den
Grenzen des holländischen Gebietes. „Jeder flüchtet, um sein eigenes
Lel)en zu retten; Kinder lassen ihre Eltern, Eltern ihre Kinder der Seuche
zur Beute. Die Dörfer sind allein von den Kranken bewohnt; Jeder der
noch zu gehen vermag, sucht ein Versteck in der Wildniss, Aber auch
dort findet ihn der unerbittliche Ninieq.^^
Auch auf Aml)on, den Uliase- und "Watubela-Inseln, sowie auf
Serang und Sei ei) es ist bei dem Ausbruch einer Pockenepidemie diese
Flucht in die Wälder gebräuchlich. Die Eingeborenen von Serang
schwärmen dann Monate lang in den unzugänglichsten "Walddistricten um-
her, um nicht mit dem Pockengeiste in Berührung zu kommen. AYenn die
Fig. 137. Idol, das die Pocken vom
Dorfe abhält. Nias.
Nach Modigliani.
Fig. 138. Hölzerne Menschenköpfe, zur Abwehr von
Epidemien dienend. Süla-Besi.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin. — Nach Photographie.
Watubela- Insulaner auf diese Weise in die AVälder geflohen sind, so wird
die grösstmögliche Stille beobachtet, um den „Herrn Seuche'' in den
Glauben zu bringen, dass alle Menschen gestorben sind.
In der Gegend von Atopeu am Me-khong in Hinterindien hat
Uarmand wiederholentlich solche verlassene Dörfer angetroffen. In einem
derselben fand er zwei Greise, eine elende Frau und einen armen Blinden,
welche, von ihren nächsten Angehörigen verlassen und umringt von Cholera-
leichen, dem sicheren Hungertode preisgegeben waren. „Nichts vermag eine
A'orstellung zu gebeu von der Ergebenheit dieser unglücklichen, welche das
Ende ihrer Leiden erwarteten und welche ihr Schicksal hinnahmen als eine
Sache, die sich von selbst versteht."
2r)0 XIII. Die CTesundheitspflege uud die Epidemien.
104. Die (xreiizsi)erre für die Seuelie.
Unter den wilden Stämmen am Me-khong hal)en wir bereits eine
Maassregel kennen gelernt, um zu der Zeit epidemischer Krankheit Fremden
den Zutritt zu der Ortschaft streng zu verwehren. AVenn es nun auch den
Anschein hat, als wenn es hier, analog wie bei uns, der Mensch wäre, den
mau als vielleicht schon Inticirten fürchtet, so ist, wie ich wohl glauben
möchte, die Auffassung dieser Naturvölker wahrscheinlich doch eine andere.
Der herannahende Fremdling bringt ihnen Gefahr, weil er den Krankheits-
Dämon mitl)ringen könnte. Derselbe kann ja bereits in den AVanderer
hineingefahren sein, oder, auf ihm hockend, von ihm mitgebracht werden.
Er könnte auf der Jagd nach dem Fremden, diesem unmittelbar auf dem
Fusse folgend, gemeinsam mit ihm die Umzäunung des Dorfes passiren.
So fassen die Süd-Slaven die Seuche auf Es sind die Pestfrauen,
welche heranziehen, Dämonenweiber, die aber nicht zu Fuss die auserwählte
Ortschaft zu betreten pflegen, Sie lassen sich von einem Einwohner tragen,
um vor den Hunden sicher zu sein, oder sie steigen auf seinen Wagen,
Vor sein Haus geht es dann zuerst, damit sie dasselbe kennen lernen, und
dieses verschonen sie aus Dankbarkeit für den geleisteten Liebesdienst,
Dass der hereindringende Dämon es ist, den man fürchtet, das zeigte
schon das eben besprochene Fliehen zum AValde, Aber auch andere Maass-
nahmen noch liefern uns für diese Anschauung den Beweis, Auf Nias
werden vorsorglich die Fusswege schlecht gemacht und Gräben im Dorfe
aufgeworfen. Auf den Aaru-Inseln gräbt man Zaubermittel in die Erde
und bringt den Schutzgeistern Opfer dar. Das ist die Aufgabe der Dorf-
ältesten, Sühnopfer für begangenes Unrecht sind auch auf Nias, auf
Eetar und den AVatubela-Ius ein gebräuchlich; es betheiligt sich bei
denselben die gesammte Einwohnerschaft,
Auf den Luang- und Sermata-Inseln bringt man den Geistern
Opfer dar, um sie zur Hülfeleistung zu zwingen. Bei den Topantunuasu
auf Selebes schlachtet man in Epidemien einen weissen Büffel, dessen
Kopf zuerst als Opfer für die Gottheit in den benachbarten Bach geworfen
wird. Darauf wird das Tliier geviertheilt und jeder Theil wird an einer
Stange, entsprechend den vier Himmelsrichtungen, aufgehängt.
Aber man sucht sich auch wohl mit dem Opfer an die Krankheits-
dämonen selber zu wenden. Die Lamponger in Kroe auf Sumatra be-
zeigen dem bösen Geiste Roehan, dem Briuger der Epidemien besondere
Ehrfurcht. Auf Bonerate versorgen sie ihn mit Speise uud Trank, Sie
hängen dazu einen Korb (Fig, 13ö) vor dem Hause auf und legen in diesen
die Opfer hinein. An demselben hängen mehrere Cylinder von Bambus,
welche mit Wasser angefüllt werden. Dieses trinkt der Dämon dann aus.
Die Tungusen und die Buräten setzen beim Ausbruch von Pockeu-
epidemien Milch und Thee und auch Fleischspeisen vor ihre Jurten und
bitten die Krankheit flehentlich und mit andächtigen Verbeugungen, an ihrer
Wohnung vorüber zu gehen. Die Winnebago- In dianer hängen für die
Krankheitsdämonen eine Menge Averthvoller Opfergaben an Bäumen und
Stangen in der Nähe ihrer Dörfer auf. Hier sind Hunde ein bevorzugtes
Opferthicr, Auf Süla-Besi stellt man ein Häuschen (Fig, 13ü), das man
I(i4. Die Greuzsperre für die Seuche.
251
mit Opfergaben füllt, vor das Dorf, um die Kraukheits-Dämoneu zu be-
sänftigen.
Um gewaltsam den Dorfeiugang zu sperren, stellen die Niasser an
demsel])en ein Standbild des Adi< Fangiiru auf (Fig. 137). Dieses Idol, das
3Iodigliani noch an einem Dorfeingang stehen sah, war roh aus einem
Cocosstamm geschnitten, es zeigte schlecht ausgeführte menschliche Formen,
und in die Augenhöhlen waren, um es monströser erscheinen zu lassen oder
vielleicht, um das Weisse im Auge bei einem, der in krampfhaften Zu-
^»S3>
Fig. 139. Menschenfigürchen aus Palmblättern, an
eiaem Einge schwebend, zum Schutze gegen Epi-
demien gebraucht. Saleijer.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin. — Nach Photographie.
Fig. 140. „Talisman" zur Abwehr von
Epidemien. Tschittagoug.
Mus. f. Völkerk., Berlin. Nach Photographie.
sammenziehungen stirbt, darzustellen, zwei sehr weisse Steincheu eingesetzt.
Zum Schutz vor Krankheiten stellen, wie Herold in der Berliner Gesell-
schaft für Erdkunde berichtete, die dem Ewe- Stamme angehörenden
Buschneger im Togo -Lande kleine rohe Thonliguren vor ihren Dörfern
auf. welchen sie als "Waffe gegen die Dämonen Stöcke in die Hände geben.
Wahrscheinlich haben auf Süla-Bcsi in Niederländisch Indien die
Fa-nap genannten hölzernen Menschenköpfe (Fig. 1.B8) eine ganz ähnliche
Bedeutung. Sie werden l)ei grassirendeu Krankheiten von der gesammten
252 XIII. Die Gesundheitspflege und die Ejjidemien.
Einwohnerschaft in ein kleines Häuschen ausserhall) des Dorfes gehracht,
um die Seuche ah/uwehi-en.
AVenn auf den Andamanen eine Ejjideniie ansl)richt, so schwingt der
Mediciu-Muun der Mincopies „ein brennendes Holzscheit und bittet den
bösen Geist, dass er sich in der Entfernung halte; bisweilen pflanzt er als
eine fernere Vorsichtsmaassregel wenige Fuss hohe Pfähle vor jeder Hütte
auf, welche in Streifen mit schwarzem Bienenwachs (tö.bul-pid) bemalt
sind. Der Geruch des Letzteren ist dem Dämon (Namens EWem-chäu.
gala) besonders unangenehm und veranlasst schleunigst seine Entfernung
aus ihrer Mitte.
Auf der Insel Klein Kei fand Jacohsen als Schutz gegen epidemische
Krankheiten einen eigenthümlicli geschnitzten Pfahl mit angesetzten Seiten-
sparren, an denen eine reichliche Anzahl grösserer Schneckenhäuser an-
gebracht wai". Eine kleine holzgeschnitzte Ahnenfigur, der Schutzgeist des
Doifes, ist ebenfalls sitzend daran angebracht. Diese Pfosten werden auf
der das Dorf umschliessenden Steinmauer, und zwar beim Eingaugsthore,
aufgestellt, und bei dem Ausbruch von Epidemien werden dem Schutzgeiste
hier Opfer dargebracht.
Ebenfalls zur Abwehr von Epidemien dienen die Tau-Tau-likol)alla
auf der Insel Saleijer, die „tanzenden Puppen" (Fig. 139). Es sind das
fünf kleine Menschenfigürchen aus Palmblättern, welche an einem horizon-
talen Bambusringe an feinen Fäden aufgehängt sind und schon bei dem
allerleisesten Luftzuge sich tanzend liewegen. (3b sie nach Art der Vogel-
scheuchen wirken sollen, oder ob sie mit übernatürlicher, abwehrender Macht
begabt sind, oder ob sie den dummen Teufeln als Ersatzmänner unter-
geschoben werden, das ist zur Zeit noch nicht zu entscheiden.
Es möge hier ein allerdings etwas verstümmelter Zauberspruch der
Akkader seine Stelle finden, welcher uns die Bestätigung liefert, dass
schon in uralter Zeit ganz analoge Anschauungen gangbar waren:
.,Zur Erhebung Euerer Hände habe ich mich in einen dunkelblauen Schleier
gehüllt ;
Ich habe ein vielfai'biges Kleid angelegt; — - — —
Ich habe die Zauberbinde vervollkommnet, ich habe sie gereinigt, ich habe
mich mit Glanz umhüllt!
Stelle zwei an einander gebundene Bilder, untadelhafte Bilder, welche die
bösen Dämonen verjagen,
Neben den Kopf des Kranken, zur Rechten und Linken.
Stelle das Bild des Gottes Unyal-nirra (iVergal), der nicht seines Gleichen
hat, an die Umzäunung des Hauses.
Stelle das Bild des Gottes, der- im Glänze der Tapferkeit strahlt, der nicht
seines Gleichen hat. —
Und das Bild des Gottes Narudi des Gebieters der mächtigen Götter,
Auf den Boden unter das Bett.
Zur Abhaltung alles nahenden Ungemachs stelle den Gott — — — und
den Gott Lutarak an die Thür.
Zur Abweisung alles Uebels stelle als Scheuche an die Thür — — —
Unter den Thorweg stelle den streitbaren Helden, der von Kriegsruhm strahlt.
Auf die Schwelle der Thür stelle den streitbaren Helden, der seine Hand
dem Feinde entgegenstreckt.
I(i4. Die Cirenzsperre für die Seuche.
253
Stelle ihn zur Rechten und Linken.
Stelle die wachsamen Bilder des Ea und Silik-mulu-kln s unter den Thorweg;
Stelle sie zur Rechten und Linken!
— — — Die Zauberkraft Silih-mulu-khi's^ die dem Bilde innewohnt.
0, die Ihr dem Ocean entsprossen, ihr Glänzenden, Kinder des Ea^
Esset, was mundet, trinket, was süss schmeckt.
Dank Euerem Schutz, kein Ungemach eindringe!"
Bei den Hügelstämmen von Tschittagong hat JRiebecli Folgendes
gefunden. Sie stellen, um sich vor Krankheiten zu schützen, eigentliümliche
Gegenstände in ihrem Dorfe auf. Das Eine (Fig. 140) ist ein schräg auf-
gestellter Stab, an welchem, in besonderer Weise aufgehäugt, fünf dütenartig
zusammengerollte Blätter hängen,
aus denen je ein Bausch von roher
Baumwolle heraussieht. Der andere
Gegenstand (Fig. 141) ist scheinbar
eine nach unten zugesj)itzte Palmen-
blattrippe, an der man noch die
Spuren von den Ansätzen der Seiten-
])lätter bemerkt. Ein peitschenartig
auslaufender Stal) kreuzt diesen in
schräger Eichtung, und au dem
Ende der Peitscheuschnur hängt
ein aus weissen und rothen Baum-
wollentäden über zwei sich kreu-
zende Stäbe geflochtenes Quadrat.
Was haben Avir uns unter die-
sen Dingen vorzustellen? Ist das
eine Art von Talisman? Ich glaube
nicht, dass man es so deuten darf.
Mir Avill es scheinen, als hätten
wir an eine andere Erklärung zu
denken. Es schweben mir dabei
die Ver])otszeichen vor, mit denen
die Insulaner des malayi sehen
Archipels ihre Anpflanzungen zu schützen j^flegen. Sollten diese zui' Zeit
einer Seuche errichteten Apparate nicht vielleicht auch derartige Verbots-
zeichen sein? Das Verbot gilt natürlich den Krankheits-Dämouen. und
durch die kräftigen Beschwörungsformeln ist, wie die Eingel)orenen wahr-
scheinlich glauben, den ungehorsamen Uebertretern des Verbots, auch
wenn sie Geister sind, die dem Verbotszeichen anhaftende Schädigung un-
ausbleiblich.
Einen ganz ähnlichen Sinn haben wahrscheinlich auch die kleinen
weissen Flaggen, welche Jacobs auf Bali au Bandjusstangen befestigt, an
dem Eingange von fast allen Grundstücken sah. wenn Epidemien herrschen.
Angeblich sollen sie ein Zeichen für den Vorühergehenden sein, dass hier eine
böse Krankheit herrscht. Aber unsere obige Erklärung halte ich für viel
wahrscheinlicher.
Fig. 141. „Talisman" zur Abwehr von Epidemien.
Tschittagong.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin. — Nach Photographie.
254
XIII. Die Gesiindheitspflege und die Epidemien.
105. Das Vertreibeil der Epidemien.
Ist es den Krankheitsdämonen mm dennoch gelnngen, in eine Ort-
schaft den Eintritt zn erzwingen, so entspriclit es vollkommen den herr-
schenden Anschannngen, dass man sie wieder vertreihen muss. Dieses ge-
schieht zum Theil mit (irewalt, theils aber auch durch freundliche Ueber-
redung und durch das Darbieten einer Entschädigung. Niemals ist das
ein privates Unternehmen, sondern es wird in allen Fällen als eine An-
gelegenheit der ganzen Gemeinde betrachtet. Bevor man zu diesen Maass-
nahmen schreitet, wird von den Aeltesten Eath gehalten. Auf Buru ver-
fertigt man dann ein Boot, eine sogenannte Prauw, sechs Meter lang und
einen halben Meter breit, und rüstet sie mit den nöthigen Rudern, mit
Segeln und Ankern u. s. w. aus. Am Vorder- und am Hintersteven wird
eine Flagge aufgehisst. Das ist gewöhnlich die holländische, und hierin
liegt eine Anspielung, dass die Dämonen der Epidemie als von den Hol-
ländern ausgeschickt betrachtet w'erden. Der Bord der Prauw wird mit
Fig. 142. Schiffsmodell von Süla-Besi zum Vertreiben von Epidemien.
Museum f. Völkerkunde, Berlin. — Nach Photographie.
jungen Kaiapablättern verziert und eine Matte und ein Stück weisser Kattun
wird auf ihrem Boden ausgebreitet. Nun kommen allerlei Lebensmittel
hinein, von bestimmter Art und in grosser Menge. „AVenn dieses alles am
Strande bereit ist, so wird eine Nacht und einen Tag auf entsetzliche Weise
auf der Tuba, Trommel, Gong und Buku musicirt, wälu"end die Bewohner
der befallenen Dorfschaft allerlei Sprünge machen, welche unter den Namen
Epkiki und Tjeval bekannt sind, um dem bösen Geiste Furcht einzujagen
und ihn in das Boot zu treiben. Am folgenden Morgen werden zehn
kräftige junge Männer ausgesucht, w^elche mit Rotan-, Kaiapa- und Ai'eng-
Zweigen, die in ein irdenes Gefäss voll Wasser getaucht werden, auf die
Anwesenden schlagen. Darauf begeben sie sich springend an den Strand
und legen die Zweige mit in die am vorigen Tage bereitgestellte Prauw."
Sie haben nun also die Krankheits-Dämonen glücklich in den Zweigen ge-
faugen. Jetzt binden sie noch einen lebendigen Hahn in dem Schiffe fest
und sie bringen dann in aller Eile eine andere Prauw in das Wasser und
bugsiren die mit Lebensmitteln beladene Prauw in das Meer hinaus. Wenn
sie auf das Meer gekommen sind, so wird djas Fahrzeug losgelassen. Einer
105. Das Vertreiben der Epidemien.
255
der zeliu Ruderer spricht dabei ein lautes Gebet. Der lebende Halm muss
Sorge tragen, dass die nun im Boote sitzenden Dämonen den Ruderern
keinen Schaden zufügen. Sind sie zum Strande zurückgekehrt, so nehmen
sie Alle, und mit ihnen auch die gesammte Bevölkerung, Männer, Frauen
und Kinder gemeinsam, ein Bad in der See, damit sie die Krankheit nicht
wieder befalle.
Die ausführliche Schilderung dieses einen Beispiels genügt im All-
gemeinen auch für die Uebrigen. In der Auswahl der Opfergaben kommen
allerlei Yerschiedenheiten vor; auch in den Grössenverhältnissen der Prauw
linden sich mancherlei Unterschiede. Es sind dieselben aber doch füi' uns
von untergeordneter Bedeutung. Wechselnd ist auch die Form des Schiffs-
modells, das der See überantwortet wird. Unsere Figuren 142 und 143
zeigen sie von Süla-Besi und Timoriao.
Fig. 143. Flossmodell von Timoriao, zum Vertreiben von Epidemien.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin. — Nach Photographie.
Auf den Luaug- und Sermata-Inseln wird das Boot mit zwanzig
bis dreissig in Holz geschnitzten menschlichen Figuren bemannt, „welche
die Ki-anken darstellen sollen". Auch auf den Tanembar- und Timor-
lao-Inseln kommen dergleichen hölzerne Menschen in die Prauw, welche
von denjenigen Familienhäuptern geschnitzt werden müssen, deren An-
gehörige erkrankt sind. Das sind natürlicher AVeise Ersatzmänner, welche
die Dämonen in ihrer Dummheit für wirkliche Menschen ansehen sollen.
Die den Figuren umgehängten Körbchen dienen dazu, die Oj)fer auf-
zunehmen.
Solche Schiffchen werden auch in Sumatra und in Slam den Flüssen
übergeben. Von den Siamesen wird dann ebenfalls eine Menschentigur
in das Schiffchen gesetzt, van Hasselt schreil)t von Mittel-Sumatra:
„Auf den Nebenflüssen sieht man des Abends häufig kleine aus einem Blatt
gemachte Prauwen (Boote), oder auch Häuschen, worin ein Licht brennt,
auf einem Floss treiben. Auch das ist eins der vielen bei Krankheiten
angewendeten Mittel, um die bösen Geister zu verjagen/^ Diese Dinge
256 XIII. Die Gesuudlieitspflege und die Epidemien.
bleiben einen Tag und eine Naclit in der Woluning des Erkrankten stehen
und sind in dieser Zeit mit Heilmitteln gefüllt, die vor der Aussetzung
herausgenommen und von dem Kranken dann nach Vorschrift angcAvendet
werden. Dieses Stehen im Hause des Kranken hat, wie ich mir denke,
den tieferen Sinn, dass die Kraukheitsdämoneu von ihm weichen und in
die Häuschen oder die Scliifichen übersiedeln. Vielleiclit liat es einen ähn-
lichen Zweck, wenn auf Eetar in das Boot ein Kahi})atopf gesetzt wird,
in welchen alle Erki^ankten im Dorf liineingespieen haben müssen.
Die Gebete, welche der Dorfälteste spricht, oder der Priester oder einer
der Kuderer, wenn das Zauberfahrzeug in die See bugsirt wird, haben im
Prinzipe viel Aelmlichkeit unter einander. Man geht mit der Krankheit
im Ganzen sehr höflich um; „Herr Seuche", sagt man auf den Watu-
bela-Inseln, „Herr Grossvater Krankheit" auf der Insel Buru u. s. w.
Man macht ihr auf Tanembar- und den Timorlao-Inseln freundliclie
Vorstellungen :
,.0h (Krankheit)! ziehe von hier fort! kehre zurück! Was thust Du
hier in diesem armen Lande!"
Mau redet ihr auf den "SVatubela-Inseln zu, sich bessere Weide-
plätze zu suchen :
„Herr Seuche! am Strande habt Ihr jetzt keine Wohnung mehr! Die
Wohnung ist in Staub zerfallen! Zieht fort von hier nach einem günstigeren
und besseren Orte!"
Auf der Insel Buru giebt man der Krankheit zu verstehen, dass die
Mittel der Bevölkerung erschöpft sind:
„Herr Grossvater Pocken! Geht weg! geht gutwillig weg! geht und
besucht ein anderes Land! Wir haben Euch Speisen für die Reise zurecht
gelegt! Wir haben jetzt nichts mehr zu geben!"
Aber man kann hier auch recht deutlich sehen, wie eine künstlich auf-
gepfi^opfte Cultur althergebrachte Gebräuche zwar nicht ohne Weiteres
vernichten, al)er wohl das Verstäudniss für die betreffende Maassnahme
auszulöschen im Stande ist. Das Gerippe bleibt, doch der Geist geht ver-
loren. Die zum Islam bekehrte Bevölkerung vom Seranglao- und Gorong-
Archipel übt nach wie vor den alten Gebrauch bei dem Verjagen der
Epidemien aus. Das Schiffchen wird gefertigt, die Opfer werden dar-
gebracht und auch das Gebet muss gesi^rochen werden ])ei dem Ablassen
des kleinen Fahrzeuges in die See. Aber wie anders klingt dieses Gebet:
„.4l/ah ist gross! Al/ah ist gross! Ich bezeuge, dass kein Gott ist, als
Allah! Ich bezeuge, dass Muhhamad der Gesandte Gottes ist! Kommt zu
dem Gebet! Kommt zu dem Heil! Allah ist gross! Allah ist gross! Es
giebt keinen Gott als Allah l'-^
Wo ist nun da das Verständniss geblieben? Was hat Allah mit dem
Schiffclien zu thun, welchem die Seuche aufge})ackt worden ist? Soll es
ein Opfer für ihn darstellen? Das wird man doch wohl nicht annehmen
wollen! Die ganze Sache ist eben Nichts, als ein Ueberlebsel aus heid-
nischer Zeit. ]\[an erinnert sich noch sehr wohl des gesammten Eituale.
lOG. Die Todten.
257
und da ein Gebet uocli dazu gehört, so kann es nur an Allah gerichtet
sein. Das ist Nichts, was uns verwundern darf. Haben sich doch auch
mancherlei Feste der christhchen Kirche in einer ganz analogen Weise als
eigentlich für heidnische Gottheiten bestimmt erkennen lassen.
Noch ein zweites Ueberlebsel. das sich auf unseren Gegenstand bezieht, hat
Jacobsen auf West- Allor gefunden (Fig. 144). Man fertigt auch hier eine
kleine Prauw und stattet sie mit hölzernen Menschen aus. Diese sind aber
nicht mehr die Ersatzmänner fih- die Krankheit, sondern sie sind mit Schild
und Schwert bewaffnet und ebenen dazu, Krankheit und Unglück abzuwehren.
Das Boot wird auch nicht mehr ins Meer geschickt, sondern es hat im
Hause seinen Platz. Xiu' ein Schatten der ursprünglichen Idee tritt uns
also hier entgegen, und im Grunde genommen ist nichts mehr geblieben,
als die allgemeine äussere Form.
Hieran können wir nun noch anschliessen, wie man auf den Kei-
Inseln verfährt, üni eine Epidemie zu vertreiben, begiebt sich die Be-
Fig. 144. Schiffsmodell zur Abwehr von Epidemien. West- Allor.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin. — Nach Photographie.
völkerung an den Strand. Hier wird ein besonderes Gestell errichtet und
Speisen und Getränke darauf niedergelegt. Dann spricht der Priester die
Beschwörung aus. und sofort flüchtet Alles dann im schnellen Lauf in das
Dorf und in die Wohnungen zurück.
Jagt man in Xias die Seuche aus dem Dorf, so bewachen die Ki'ieger
ihre Häuser, damit die Dämonen nicht in diese hinein schlüpfen. Auch in
den benachbarten Ortschaften sind die Medicin-Männer dann an der Arbeit,
dass sie den flüchtenden Dämonen den Zugang zu ihren Dörfern sicher
versperren.
106. Die Todten.
Bei den vielfachen Vorsichtsmaassregeln dem lebenden Inficii'ten gegen-
über muss es interessant erscheinen, zu sehen, wie man sich gegen die
Todten verhält. Ein Todter ist ein unheimlicher Kumpan und schon, wenn
er eines gewöhnlichen Todes stirbt, müssen allerlei Ceremonien beobachtet
ßartel-s. Medicin der Naturvölker.
17
258 XIII. Die Gesundheitspflege und die Epidemien.
werden, damit seine Seele kein Unheil anstiftet. Um so vorsichtiger niuss
man mit ihm verfahren, wenn er unter a])Sonderlichen Verhältnissen stirbt.
Die gewöhnliche Art der Beisetzung ist für ihn dann nicht angebracht.
Allerlei wichtige Vorsieh tsmaassregelu müssen sein Wiederkommen ver-
hindern. Sie alle hier näher aufzuführen, müssen wir uns jedoch versagen.
Aber von einigen Todteu soll doch an dieser Stelle die Rede sein, nämlich
von solchen, welche das Opfer einer Epidemie geworden sind.
In Boeleleng und Djembrana auf Bali darf man die Leiche eines
an den Pocken Verstorbenen nicht verbrennen. Man legt sie in ein offenes
Grab und lässt sie in dieser AVeise liegen. Es düi'fen daselbst übrigens
auch am Aussatz Gestorbene nicht verbrannt werden, wenigstens nicht sofort
Man begräbt sie zuerst und nach einiger Zeit werden sie wieder ausgegraben
und dann verbrannt.
Harmand fand in den fi"ülier schon erwähnten Dörfern am Me-khong,
welche die Einwohner wegen einer Seuche verlassen hatten, die Todten noch
in ihren Häusern liegen. Die Tliüren aber hatten die Leute vor ihrer Flucht
noch verbarrikadirt und die Mauern und die Dächer mit einer Unzahl von
Bambusspiessen besteckt, so dass sie an grosse Nadelkissen erinnerten. „Der
Zweck dieses Gebrauches, sagt Harmand, ist ohne Zweifel, die Leichen vor
den Angriffen der Raubthiere zu schützen." AVohl möglich ist es, dass er
hierin Recht hat; ich halte es aber nicht für walu'scheinhch. Die Absicht
ist, wie ich vermuthen möchte, eine vollkommen andere. Nicht der Ge-
storbene soll vor den Raubthieren geschützt werden, sondern die lebenden
Flüchtlinge vor den Todten. Den Seelen der Todten und den in ihren
Körpern noch sitzenden Krankheitsdämonen soll die Verfolgung ihrer Dorf-
genossen unmöglich gemacht werden. Darum sind sie gefangen in ihrem
Hause, und darum verrammelt man Thüren und Fenster. Und sollte es
ihnen dennoch gelingen, üe so ausgeführte Blockade zu brechen, so sollen
die Stacheln auf dem Dach und den Mauern das weitere Entkommen un-
möglich machen.
Einer höchst ekelhaften Sitte gedenkt Engehard von der Insel Saleijer.
AVeun hier Jemand an den Pocken gestorben ist, dann nehmen die Leute
unter dem Sterbehause ein Sturzbad mit dem Wasser, womit man die Leiche
gewaschen hat. Das betrachten sie als ein untrügliches Mittel, um sich vor
der Ki'ankheit zu sichern.
Es muss uns in hohem Grade überraschen, sogar die primitiven An-
fangsgründe einer pathologischen Anatomie zu entdecken. Turner be-
richtet von Samoa:
„Wenn eine Person an einem Leiden starb, das auf einige andere
Familienglieder überging, so öffneten sie die Leiche, „um die Krankheit zu
suchen". Traf es sich, dass sie irgend eine entzündete Substanz fanden, so
nahmen sie sie heraus und verbrannten sie, in dem Glauben, dass dieses
dem Uebergreifen der Krankheit auf andere Familienglieder vorbeugen
würde. Dies geschah, wenn der Leichnam im Grabe lag."
I
107. Die As.sanimng der Wohnplätze. 259
107. Die Assaiiiruii};- der Wohiiplätze.
Es bleibt luis mm iiocli zu l)etrn(liteii übrig, was für Anstalten die
Xaturvülker treffen, wenn e))i(leniiselie Erkrankungen in ihren Hänsern ge-
wüthet haben. Das ist ihnen ja sehr wohl Ijekannt, dass in dem Hause
etwas stecken muss, was immer wieder die neuen Erkrankungen hervor-
gerufen hat. Dieses schadenbringende Agens nniss man nun zu vernicliten
suchen. Wir haben weiter oben schon erwälint, dass dann auf den Watu-
l)ela-Tnseln das Haus als ein „warmes" bezeichnet wird. Diesen Be-
griff des ., warmen", oder des „zu warmen Hauses" finden wir auch auf
mehreren anderen Inselgruppen des malayischen Archipels. Eigentlich
heisst das natürlich niclits Anderes, als dass in dem Gebäude irgend etwas
steckt, das den Einwohnern Krankheiten bringt. Ist es in Annam ein
magischer Nagel, den böswillige Menschen in den Hauspfosten schlugen,
sind es auf Serang Zaubergeräthe, die der feindliche Nachbar unter
die Hausschwelle grub, so wird für gewöhnlich das Haus doch „warm"
sein, weil die Krankheitsdämonen Quartier darin nahmen. Und auch wenn
man uns berichtet, das Haus ist „Avarm", weil bei seiner Erbauung die
feststehenden Vorschriften vernachlässigt worden sind, so heisst das doch
eigentlich nichts Anderes, als dass eine Schutzmaassregel unterblieben ist,
welche, wenn man sie ausgeführt hätte, den bösen Geistern den Eintritt in
das Haus verwehrt haben würde.
Dass ein warmes Haus zum Bewohnen nicht mehr als geeignet er-
scheint, das liegt unter diesen Umständen natürlicher Weise auf der Hand.
Es muss von den Einwohnern verlassen werden und in erster Linie von
den Patienten. Es war davon ja schon die Rede. Auf Ambon und den
Uliase-Inseln wird dann das Haus mit geweihtem Wasser besprengt;
auf der Insel Serang besprengt man in gleicher Weise innen das Haus;
aussen aber schlägt man die Wände mit Kaiapablättern, um so die
Krankheitsdämonen zu fangen und sie aus dem Dorfe zu entfernen. Auf
den Kei-Inseln hält man es für ausreichend, vier verschiedene Wurzel-
arten, welche allein die Altbetagten kenneu, an dem Mittelpfosten des
Hauses zu befestigen, und auf Keisar schlachtet der Priester, ohne dass
Jemand daliei sein darf, ein Schaf auf eine ganz besondere W^eise. Das
muss hinter dem Hause geschehen und zwar an der West- und Südseite
desselben.
Svoboda berichtet von den Xicobarcni. dass die für gewölmlich im
Walde hausenden und den das Jungle Durchwandernden Kranklieiten brin-
genden Seelengeister, die Iwis, bisweilen auch in die Wolmimgen gelangen.
Man sucht sich ihrer daim daselbst „durch einen sehr complicirten x\pparat
zu entledigen. Solange sie Niemanden angreifen, ist man recht tolerant mit
ihnen. Wenn aber Erki'ankungen vorkommen, oder man sonst Ursache hat,
ül)er den unheilvollen Einfiuss der bösen Geister zu klagen, so muss die Hütte
davon befreit werden."
.,]\ran tiifft also Vorbereitimgen wie zu einem Feste, und ladet die Freimde
dazu ein (zum Teufelsfeste). AVährend gegessen, getrunken und geraucht
wird, beginnen die Weiber ein Klagegeheul , opfeni ihre Geräthe, Lebens-
mittel, indem sie alles zerstören und vor che Hütte in den Fluthbereich werfen.
17*
260 XI l[. Die (Tesuii(llieits}iile<'-e und rlio Kpidomieii.
Brim CJn>tiii;ililc weiden die l)(•^t(■ll Stücke voll eiiiein Schweine .■luti^etrageii.
Alliuählich i;eratlieii die Manloeiie (die Zauberärzto) diucli den .ircnossoiieii
Paliinveiii in Autre.u'uiiij,' und herinnen die Bcsclnvüruuj;". Ihr (Icsiclit ist
roth mit Schwciiiehlut ani;('stricheii. ihr Kcli-pei' mit Oel ciii^ericheii. ]\lit
tiefen Truien stimmen sie ein K'hiuelied an. lauten wiM hin und hei', (h'iiii
sie "Wollen den Iwi taiiiicii. um ihn auf ein hereitstelieiides JJoot zu hriiiuen.
Erst schiiH'iclieiu sie ihm. dann aher schelten uml l)eschim))fen sie ihn i^an/
ordentlich, und während die \\'eil)er immer mehr heulen, entwickelt sich ein
tingirter Kampf. Man rin.ut mit ihm. bis er erwischt ist, s(jcUuin bringt man
ihu iu den (i(eisteik(ub und darin in das Geisterschiff."
„Einige junge licute bemannen ein Canoe. nehmen das Geisterseliifl' in'>
Schlepptau und rudein im l'iiumph recht weit hinaus; dann, so])al(l sie an-
uehnieu, dass Wind und Strömung es nicht mehr /urückbringen. überlassen
sie es mit dem iwi seinem Schicksale, auf dass er baldigst umkomme."
Es kommt also schliesslich auf etwas Aehnliclies heraus. AVie bei dem
o1)en geschilderten \'ertreiben der ansteckenden Ki-ankheiten aus den ( )rt-
schafteii.
Wenn nun aber alle diese Maassregeln den ei'hoftten Erfolg nicht l)ieteii
wollen, dann geht mau auch noch energischer vor. AufSerang wird unter
solchen rniständen das Haus einfach verlassen und eine neue Wohnung
muss errichtet werden. Ja sie gehen hier auch noch einen Schritt weiter:
sie verlassen das warme Haus und reissen es vollständig nieder. Wenn die
Mosquito -In dianer von einer Epidemie heimgesucht werden, dann brennen
sie bisw^eilen eine ganze Ortschaft ab. Jedenfalls ist das Mittel prol)at. und
eine wirksamere Desinfektion vermag wohl kaum gedacht zu werden.
Das Yerbreunen der gesammten Habe des Todten Avird auch bisAveilen
angeordnet, und dem Verstorbenen seinen Besitz an (lerätheu, Schmuck
und Kleidung u. s. w. mit auf den Scheiterhaufen oder in das Grab zu
geben, ist ein nicht ungewöhnliches Verhalten. Bei den Sporkanes-
Indianern iu Nord-Amerika soll aus diesem Grunde die Verpflegung
der Schwerkranken sehr vernachlässigt werden.
Dass Schinutz und Unsauberkeit der Wohnstätten und Ortschaften in
einer bestimmten Beziehung steht zu der Ausbreitung epidemischer Er-
krankungen, und dass man durch die Beseitigung dieser Uebelstä,nde eine
Abnahme der Seuche zu erzielen vermag, das sind Gesichtspunkte. Avelche
erst seit Kurzem in den Kulturstaaten sich Anerkennung verschafften. I'm
so interessanter muss es erscheinen, dass wir auch bei den Naturvölkern
vereinzelte Maassregeln vorfinden . welche auf ähnliche Anschauungen
schliessen lassen.
Um ein Haus von den schädlichen Agentien, welche die Erkrankungen
hervorriefen, zu befreien und es wieder bewohnbar zu machen, muss man
auf Eetar unter dem Hause allen Kehricht zusammenfegen. Er wird dann
in einem Korbe gesammelt und folgende Opfergaben legt man darauf: ein
Ei, etwas Reis, Sirih-Pinang und Tabak. So versorgt, wird nun der Müll-
korb aus dem Dorfe hinausgetragen und am Eusse eines Berges unter (ie-
beten niedergesetzt und daselbst zurückgelassen.
Eine Strassenreinigung lernen wir in dem Seranglao - Archipele
kennen. AVenn hier die männliche Einwohnerschaft das Boot, dem die Seuche
aufgepackt -wurde, hinunter zu dem Strande schafft, um es dem Meere zu
107. Die Assaiiirung der Wolmplätze. 261
ül)ergel)eii, dann müssen die "NVeiber zu derselben Zeit die Strassen des
Dorfes reinigen und allen Kehricht seewärts fegen.
Beiläufig wollen wir hier noch iKMuerken, dass auf Tanenibar und
den Timorlao-Inseln eine liochgradige und wohlberechtigte Scheu be-
steht, solch ein Epidemieboot an ihrem Strande antreiben zu lassen. Sorg-
fältig wird die Landung verhindert, und sollte es dennoch einer AVelle ge-
Hngen, dasselbe unversehens auf das l fer zu werfen, dann ist man eiligst
bei der Hand, das Boot und Alles, was sich darauf befindet, sofort am
Strande zu verbrennen.
Die Ewe-Neger im Togo-Lande benutzen, wie Herold jüngst l)e-
lichtet, einen l)estimmten Platz voi' dem Dorfe gemeinsam für die Defäkation.
J )er einzige gut gehaltene Weg, den die Dorfbewohner anzulegen sich heralt-
lassen, führt zu dieser wichtigen Stelle.
Auch von den Buschnegern in Surinam hel)t Joest diese Einrich-
tungen rühmend hervor. Er sagt:
„Die Buschneger besassen, wenn auch etwas ursprüngliche, so doch
durchaus zweckentsprechende und reinliche Verschlage, hinter welche der
Sterbhche sich zurückziehen konnte, wenn er allein zu sein wünschte : im Ur-
wald dicht beim Dorf eine Wand von Pahnblättern, dahinter eine kleine
(ilru])e, eine einfache Sitzvorrichtimg, ein Haufen Sand und mehrere Kale-
])assen mit AVasser, Sapieiiti sat."
Deiselbe Beiseude erzählt von den Karail)en und Arowaken in Su-
rinam: ..Zur Befriedigmig seiner Bedürhiisse entfernt sich der Indianer von
dem Dorf, scharrt eine kleine Grulie in den Boden und wirft dieselbe später
wieder sorgfältig zu, nachdem er sich mit Sand gereinigt; die am AV asser
Lebenden begeben sich zu diesem Zweck in den Fluss.'*
lieber die Karayä- Indianer sagt Ehrenreich:
..Von kulturhistorischem Interesse und liezeichnend für das Anstands-
gefühl dieser Wilden ist die Art ihrer Defäkation. Dieselbe geschielit mög-
lichst weit al)seits vom Dorfe. Es wird ein Loch in den Sand gemacht. Das
Individuum setzt sich mit ausgestreckten Beinen darauf, den Oberkörper
hinter einer« Matte verl)ergend. Die Excremente werden stets sorgfältig ver-
graben."
Wir konnten diese wichtigen Punkte der öffentlichen Gesundheitspflege
nicht mit Stillschweigen übergehen und wir werden nicht anstehen kömien,
diesen A\'ilden unsere volle Anerkennung zu zollen. Ihre Maassnahmeu stehen
ungleich liöhei-, als Vieles, das wir auf demselben Gebiete in unseren Dörfern
und kleinen Städten antreffen, und das in nicht geringem Alansse zur A'er-
lireitung mancher Epidemien l)eizutragen geeignet ist.
XIV.
Die kleine Chirurgie.
108. Das Bliitsaugcn.
Das niedicinische AVisseu imd Können der Naturvölker, wie es uns
in den vorhergehenden Abschnitten entgegengetreten ist, musste uns mit
Recht in vielen Fällen sehr bedenklich und fragwürdig erscheinen. Einem
grossen Irrthuni verfielen wir aber, wenn wir ihre chirurgischen Fähigkeiten
nach dem gleichen Maassstabe beurtheilen wollten. Mancher zweck-
entsprechenden Maassnahme, zielbewusst und wohlüberlegt, begegnen wir
hier, und selbst von manchem kühnen Eingrifte erfahren wir, der ein grosses
Können, eine scharfe Ueberlegung und ein nicht alltägliches Handgeschick
erfordert. Dass aber auch ihr chirurgisches Handeln in vielen Beziehungen
geleitet Avird von ihren allgemeinen Anschauungen über die Natur und das
Wesen der Krankheiten, das muss uns Avohl natürlich erscheinen, und dieser
Einfluss tritt besonders häufig bei der kleinen Chirurgie zu Tage.
Immerhin ist es wohl zu begreifen, dass der stete Kampf mit der um-
gebenden Natur, mit den Raub- und Jagdthieren und mit den feindlichen
Nachbarn den Naturvölkern manche Verletzung bringen muss, deren un-
mittelbare Ursache ihnen klar und deutlich vor Augen liegt. Hier bedarf
es nicht der Anschauung, dass eine Bezauberung oder Yerfluchung, dass
eine Besessenheit das Kranksein bedinge; nun ist es nicht ein unbekannter
Feind, mächtig, gewaltsam und übernatürlich, mit dem der schwache Mensch
den Kampf aufnehmen soll; wohlbekannt ist die Aetiologie und muthvoU
Avird die Behandlung begonnen. Und mit der Häufigkeit der Verletzungen
wuchs auch unstreitig das chirurgische Geschick; mit dem bei Naturvölkern
meist sehr günstigen Verlauf vermehrte sich aber auch der chirurgische
Muth, und so werden Avir Operationen begegnen, die man in den grossen
Kliniken Europas noch vor wenigen Jahrzehnten nur mit Zagen unternahm.
AVir wollen uns in unseren Betrachtungen zuerst der kleinen Chirurgie
zuwenden, von der wir übrigens in den vorhergehenden Abschnitten bereits
die eine oder andere Maassnahme angetroffen haben.
Ungemein weit verbreitet finden Avir die Gewohnheit, dem erkrankten
Körper Blut zu entziehen. Man thut Avohl nicht unrecht, Avenn man die
Blutentziehuugen als ein Gemeingut des gesammteu ]\[enscliengeschlechts
betrachtet. In der Art der Ausführung derselben bestehen jedoch mancherlei
Unterschiede und besondere Vorschriften. Bald geschieht dieses ohne vor-
herige Verletzung der Haut, bald Averden irgendAvo am Körper Einschnitte
oder Eiukratzuugon gemacht, also eine Art von Scarificationen, bald sind
es regelrechte Venaesectiouen, bald unserem Schröpfen verAvandte Processe.
2GG XIV. Die kk-iue Chirurgie.
Die scliiiic'rzl)('rulii!ii;ende Wirkiiuif des Speichels und der Zunge ist dea
Naturkindern wohlhckjinnt. Der arme Lazarus, dem die Hunde die Seliwäreu
lecken, Sigurd der Drachentödter, der den in Fafnirs Blut verbrannten Finger
in jähem Schmerze zum Munde führt, finden überall in der AVeit ihre viel- '
fachen Analogien. Von Einreibungen mit Speichel ist weiter oben schon
die Rede gewesen. Auch das Saugen an dem sclimei-zhaften Theile haben
wir bereits kennen gelernt. Dass seine Wirkung eine energische ist, das
wurde ebenfalls schon gesagt. Liegt dieser Procedur nun auch der Gedanke
zu Grunde, den bösen Geist, das dämonische Thier oder den in den Körper
hiueingezauberten Fremdkörper aus dem Patienten zu entfernen, so darf
man doch niclit unberücksichtigt lassen, dass solch ein energischer Sauge-
process mindestens wie ein trockener Schröpfkojjf wirkt. Musste man
dieses auch schon a priori annehmen, nach den Schilderungen, die wir
von diesem Saugen besitzen, das nicht selten stundenlang fortgesetzt wird,
so liegen uns doch ausserdem auch noch ganz bestimmte Bestätigungen
hierfür vor.
Gihhs hat l)ei den Nord-Californiern solch eine Saugecur beschrieben.
Bei derselben hatten erst vier junge und, als diese ermattet waren, vier
alte Weil)er au dem Patienten herumgesogen, bis sie über seinem ganzen
Körper Beulen hatten aufschiessen lassen. Das klassische Gebiet dieses
schröpfenden Saugens ist Australien und Amerika. Von Afrika ist
mir bisher keine derartige Angabe bekannt gew^orden. und aus Asien wird
solches Aussaugen nur von einigen Inseln Indonesiens, z. B. von den
Andamanen berichtet.
Aber nicht als blinder Schröpfkopf allein, sondern auch als Ijlutiger
wirkt dieses Saugen. Denn gar nicht selten heisst es in den Berichten, dass
dem Patienten Blut ausgesogen wird. Ausnahmsweise nur wird dabei an-
gegeben, dass der Medicin-Maun ihn zuvor scariticirte ; und da es anderer-
seits dann heisst, dass Letzterer das ausgesogene Blut ausgespien habe, so
kann ein Zweifel nicht bestehen, dass es sich nicht nur um ein Zuführen
des Blutes in die Haut, sondern um eine Blutentziehung im w^ahren Sinne
des Wortes handelt. Von den 0 nk an ag an -In dianern in Bri tisch -
Columbien wird uns dieses noch extra bestätigt. Der Berichterstatter
sagt, er habe sie oft ganze Mund voll Blut aussaugen sehen, ohne dass an
der Haut ßine Spur zu erkennen war. Auch in Californien saugen sie.
bis das Blut fliesst, und das Gleiche gilt von den Klamath und Karoks,
sowie von den Eingeborenen Australiens. Aus dem malayi sehen
Archipel wird nun dieses Blutaussaugen von dem Serauglao- und
Gorong - Archipel und von den Kei- und Aaru- Inseln berichtet;
auf den Letzteren wird diese Methode direct als eine Art des Aderlasses
bezeichnet.
Als einen Uebergang zu der vorausgeschickten Scarificatiou haben wir
es wahrscheinlich zu betrachten, wenn uns von den Keisar-Insulanern
berichtet wird, dass sie auf die zu saugende Stelle vorher Kawi-Blätter
auflegen. Die Menge des ausgesogenen Blutes lieträgt dann manchmal
zwei volle Kalapa-Schalen.
Das Aussaugen der blutenden Wunden ist nach Bissen und Stichen
giftiger Thiere, z. B. von Schlangen und Scorpionen u. s. w. bei sehr vielen
Yolksstämmen im Gebrauch. Die Opoates im nördliclien Mexico üben
109. Das Scarificiren.
267
dieses Aussauj^en auch uacli Pl'eilscliussverletzuiigeii aus, und die Austral-
iieger von Victoria haben die Gewohnheit, überhaupt aus jeder frischen
AVunde das Bhit ansznsaui>;en.
109. Das Scarificiren.
AVeit verbreitet ist der Gebrauch, den Körper bei allerh'i Beschwerden
zu scarificiren. Die Scarificationen werden je nach dem Bildungsgrade
des betreffenden A^olkes entweder mit ihren gewöhnlichen Messern oder mit
scharfen Splittern von Muscheln, von Feuerstein oder von 01)sidian, mit
Glasscherben, Dornen und Fischgräten ausgefiüirt. Der scharfe Stein-
sphtter als Scarificationsinstrument wird uns von den Indianern Nieder-
Oaliforniens und des nördlichen Mexico, sowie von den Flatheads und
den Mincopies l)estätigt. Die Dacota, die Creek- und die "Winue-
bago-Indianer, sowie die Eingeborenen von Alaska und die Karaya-
Indianer in Brasilien be-
dienen sich ihrer Steimnesser
hierzu. Die A u s t r a 1 -
n e g e r i n n e n aus Vi c-
toria und die Mincopies
bringen sich mit Glas-
scherben Schnitte bei. Bei
den Mincopies pflegt die-
ses Scarificiren von AVeibern
ausgeführt zu werden. Ent-
weder thut es die Frau des
Erkrankten, oder eine an-
dere weibliche A^erwandte.
Die Süd-Mexicaner und
die Mosquitos scarificiren mit Fischgräten, und die alten Mexicaner
wendeten für diesen Z^veck Dornen an.
Die Karayä-Indiauer in Brasilien fertigen sich aber zum Scarifi-
ciren auch noch ganz besondere Instrumente, welche sie i-saura nennen.
Solch Ai)i)arat l)esteht nach Ehrenreich „aus einem drei- oder viereckigen
Stückchen Cnyen-Schale (Fig. 145), dessen eine Fläche mit einer centimeter-
dicken AVachs- oder Harzschicht beschwert ist, während der andere eine
Reihe scharfer Fischzähnchen trägt. Solche Schröpfer w^erden paarweise
£iufbewahrt, indem die convexe Kratzfläche des Einen auf der concaven des
Anderen liegt. Die Zähnchen schützt mau durch dazwischen gelegte
Baumwolle.'"
„AVährend der Patient sich krampfhaft an einen Pfahl festklammert,
drückt man ihm die Spitzchen tief in die Haut des leidenden Körpertheils
ein und ritzt dieselbe mit raschen Zügen nach verschiedenen Eichtungen
hin auf. Das Blut wird mit Palmblattstreifen abgekratzt, die AVunden im
Bade mit Sand abgerieben. Nicht selten soll zur Erliöhung der ableitenden
AVirkung gestossener Pfeft'er aufgelegt werden."
Die Aschanti schlagen die Stelle, welche sie scarificiren wollen, mit
dem stachlichen Blatte einer bestimmten Pflanze.
Fig. 145
Scarificationsinstrumente aus Fischzähnen.
Karayä-Indianer.
Mus. f. Völkerkunde, ßei'lin. — Nach Photographie.
2G8
XrV. Die kleine ('liiiuririe.
Bei den Eiiigclxirenon der AVatu1)ela-Iiis('hi im inalayisclicii Ar
cliii^el Avird vor dem searifieirendeii Eiuschuitt an der ausgewählten Stelle
mit (Miier besonderen Band)uszange eine Hautt'alte in die Höhe genommen.
Bisweilen müssen die Einschnitte eine bestimmte geometrische Figur
bilden, so z. B. b(>i den Lappen diejenige eines kleinen gleicharmigen
Kreuzes. Hiervon konnte ich mich selbst überzeugen, als ich einmal einem
Lappen eine Luxatio subcoracoidea zu reponii-en hatte. Er gehörte einer
Hagenbeck' ^v\w\\ Truppe an.
Bei den Dacota-Indianern und denjenigen von Canada macht der
Medicin-Mann dem Patienten bisweilen P^inschnitte in die Haut, damit er
ihm an diesen Stellen um so befjuemt'r
das Blut aussaugen könne.
!■'»
I
110. Der Aclerlass.
Wir l)egeguen aber auch bei den
Naturvölkern der kunstgerechten Venae-
section. Die Aderlass-Lancette fertigen
sich die nordamerikanischen Indi-
aner aus einer Messerspitze oder aus
einem Feuersteinsplitter, womit sie einen
Holzgriö' armireu, und die sie nur soweit
aus diesem hervorragen lassen, als er
in die Vene eindringen soll. Entweder
stechen sie dann freihändig in die Vene
ein, oder sie setzen das Instrument
auf dieselbe auf und führen mit einem
Stück Holz einen Schlag auf den Hand-
griff desselben aus, so dass die Spitze
in die Ader eindringt.
In ganz analoger "Weise Avurde der
Aderlass auch bei den alten Peru-
anern ausgeführt, von Tschudi sagt:
„Das Instrument dazu bestand in
einem zugespitzten, scharfen Steinsplitter, der in ein gespaltenes Hölzchen
eingeklemmt und festgebunden wurde. Beim Aderlasse wurde ein leichter
Schlag auf den am gehörigen Orte aufgesetzten Splitter gegeben, ähnlich
wie es die Thierärzte beim Aderlassen von Pferden, Kindvieh u. s. w. machen."
Einen Muschelscherben oder ein Stück Bergkrystall wenden die Eiu-
gel)orenen von Australien an.
Die Kwix})agmut an der Mündung des Yukon in Alaska benutzen
eiserner Messerchen zum Aderlass (Fig. 14G).
Einer originellen Art, die Vene zu öffnen, bedienen sich angeblich die
Isthmus-Indianer. ,.Der 0])erateur schiesst einen kleinen Pfeil mit einem
Bogen in verschiedene Theile des Körpers von dem Patienten, bis zufällig
eine Vene eröffnet wird. Der Pfeil wird in kurzem Abstände von dem
Punkte gehalten, um einem zu tiefen Eindringen vorzubeugen." Jedenfalls
steht diese Methode vollständig vereinzelt da: nirgends in der Welt findet
Fig. 146. Aderlass-Messer der Kwixpagraut
in Alaska.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin.
Nach Photographie.
111. Das Schröpfen.
269
sich; wie ich glauhe. hierfür irgend eine Analogie, und das Verfahren zeugt
ohne Zweifel von sehr geringen anatomischen Anschauungen.
Der Aderlass an den Armveuen scheint auch von den Naturvölkern
bevorzugt zu werden. Er wird uns von verschiedenen Theilen Australiens,
sowie von mehreren Indianer-Stämmen berichtet. Um Kopfschmerzen
zu bekämpfen, machen die Karayä in Brasilien den Aderlass an der
Stirnvene. Die Indianer in Honduras machen die Venaesection am
Ober- oder Unterschenkel oder an der Schulter, und die Eingeljorenen von
Central-Californien venaeseciren am rechten Arme, wenn die Erkrankung
im Rumpfe sitzt, und am linken Arme, wenn die Extremitäten befallen sind.
Die alten Peruaner machten den Aderlass an den Venen der Nasenwurzel.
In Victoria und Süd-Australien ist der Aderlass ein Vorrecht der ver-
heiratheten Männer. Die Junggesellen und das weibliche Geschlecht dürfen
auch nicht einmal Augenzeugen dieser feierliclien Handlung sein.
Fig. 147. Medicin-Mann der Chippeway-Indianer, die Krankheit aussaugend.
Nach Iloffman.
Von den persischen Chirurgen oder Badern wird der Aderlass häuhg
ausgeübt; der Aj'zt hält ihn unter seiner "Würde. „Die Ader wird mittelst
einer sehr feineu pfriemenartigen Lancette (nischter) geöffnet, nachdem
vorher der 01)erarm mit einem dünnen Lederbändchen festgeschnürt und
dem zu Operirenden, damit er die Finger bewege, eine Kugel in die Hand
gegeben worden. Man hat besondere Anzeichen für die bäsilik (vena
basilica), die keifäl (v. zephalica), die säfen, die salvatella und ramina.
An Tagen, an welchen es nach der Berechnung der Astrologen besonders
gut ist. zur Ader zu lassen, fliesst in der Rinne vor den Barbierstuben das
Blut buchstäbUch in Strömen."
• 111. Das Schröpfen.
Eine ganz ausserordentlich weite Verbreitung hat l)ei den Naturvölkern
auch das Schröpfen gefiuulen; die Art der Ausführung ist aber für gewöhn-
lich in hohem Grade verschieden von der bei uns gebräuchlichen. Als
Schröpfkopf fuugii-t direct oder indirect gewöhnlich der Mund des Mediciu-
270
XIV. Die kleiiio ('hinir<rie.
1
Mjtimes. AVir liabeii ihre Methoden des directen Saugens an den be-
troffenen Stellen ja oben bereits ausluhrlich besprochen und brauchen darauf
nicht wieder zurückzukoninien. Hier interessiren uns nur solche Eingriffe,
wo ein besonderes Hnlfsinstrument in Anwendung kommt, wenn auch im
üebrigen des Medicin-]\r:innes ]\[und den Haupttheil der Arbeit zu leisten hat.
B(!i den Navajo-lndianern in Arizona und einigen ihnen benach-
barten Stämmen bedient sich der dem Mi de- Orden angehörende Medicin-
Manu zum Aussaugen der Krankheit eines besonderen knöchernen Rohres,
das er ähnlich einem Stethoscop auf die erkrankte Stelle setzt. Die gleiche
Afetliodo ist bei den Mi de der Chippeway-Indianer (Fig. 147) ge-
bräuchlich. In Alaska nimmt man hierzu die Tibia oder den Flügel-
knochen eines Adlers. Wir müssen hierin bereits den Uebergang zu einem
wirklichen Schröpf-Iustrumente erkennen.
Diejenigen Völker nun, welche sich zum Schröpfen eines besonderen
"Werkzeuges bedienen, benutzen dazu gewöhnlich ein Ochsen- oder Büffel-
horn, beziehungsweise das obere Ende eines solchen. Die Spitze ist mit
einem kleinen Loche dui'chl^ohrt; an ihr ward gesogen, um einen luftleeren
Raum herzustellen, und wenn dieses ge-
schehen ist, so wird die kleine Oeffnung
schnell mit einem Stückchen Wachs
verschlossen. Diese Methode üben z. K.
die Haussa in Nord-Afrika (Fig.
148) und die Kaffern und Basutho
in Süd -Afrika, die Eingeborenen
der Luang- und Sermata-Inseln
und der Inseln Leti, Moa und
Lakor im malayischen Archipel,
und auch die Winnebagos, die
Creek- und die Dacota-Indianer
in Nord-Amerika.
Von den Marutse in Süd -Afrika schreibt Holub: „Oertliche Blut-
entziehungen mit Metall-, Hörn- und Knochenmessern bewirkt, und das
Blut mit Hornsaugröhren ausgesogen, fand ich wie unter den Betschuanas
gemein und gewöhnlich an den Schläfen, Wangen, Oberarmen, der Brust
und an den Schultern applicirt. Es soll Schmerzen an diesen Körpertheilen
mildern; wie ich bemerken konnte, meinte man hiermit Neuralgien sowohl
als Entzündungsschmerzen der betreffenden oder der Nachbarorgane."
Aus Marokko hat Max Quedenfeldt einen Schröpf köpf (Fig. 149) mit-
gebracht, welcher das gleiche Princip in vervollkommneter Weise darstellt.
Der Schröpf köpf ist aus Messing und hat die Form eines hohen, aber nur
sehr schmalen Bechers; seine Höhe beträgt ungefähr 12 cm. bei einem
Durchmesser von höchstens 4 cm. Aus seinem unteren Drittheil geht seit-
lich in horizontaler Richtung ein schmales, leicht gebogenes Rohr hervor,
länger als die Höhe des Schröpfkopfs. Wenn der Schröpfkopf aufgesetzt
ist, so muss der Scliröpfeude an dem Ende dieses Messingrohres saugen,
um so die Luft im Schröjjfkopf zu verdünnen. Der Name dieses Instru-
mentes ist el-korära. hi Marokko sind. aber auch gläserne Schröpfköpfe
im Gebrauch, die ganz nach Art der unsrigen mit Hülfe brennender Papier-
streifen luftleer gemacht werden.
7ig. 148. Schröpfkopf der Haussa.
Museum f. Völkerkunde, Berlin.
Nach Photographie.
112. Die Ritual-Operationen.
271
Der imblutige Scliröpfkopf bei den Persern wird mit dem Namen
Kuze, d. h. Krug, bezeichnet: „Man drückt einen Teig glatt auf die be-
treffende Körjj erstelle, legt ein angezündetes Kerzeben oder ein Stück Baum-
wolle darauf und lässt dieses unter einem darüber gestürzten Krug von
H — 4 Zoll Mündungsweite verbrennen."
Auf den Inseln Leti, Moa und Lakor wird die ausgewählte Stelle
zuerst blind geschröpft, dann scarificirt und darauf das Schröpfhorn noch
einmal aufgesetzt, um nun das Blut zu entziehen.
Ausser der vorher erwähnten Methode des blinden haben die Perser
auch noch das blutige Schröpfen, für welches sie als Schröpf köpf (hed-
schämeh) sich ebenfalls eines Hornes l)edienen. Auch hierüber erstattet
uns Polak Bericht: ..Zwischen den Schulterblättern ist der Körper fast
jeden Persers ganz mit Striemen durchfurcht. Anfangs glaubte ich, die-
selben rührten von Rutheustreichen her, bis ich sah, dass Streiche aus-
schliesslich nur auf die Fusssohlen ertheilt wurden, und nun Schröpf-
narben in den Striemen erkannte. Das Verfahren ist im ganzen Orient
noch dasselbe, wie zu den älte-
sten Zeiten der Aegypter.
Man macht die Schnitte mit
einem Easirmesser und stülpt
ein Hom darüber, wodurch das
Blut herausgezogen Avird. Mit
Bezug auf dieses Verfahren
lautet daher die Ordination
des Ai'ztes „ein l)is drei Hörn
Blut".
113. Die Ritual-Operationen,
Fig. 149. Schröpfkopf aus Marokko.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin. — Nach Photographie.
Wir dürfen an dieser Stelle
auch die rituellen Operationen
nicht unerwähnt lassen, denn sie gehören zum grösseren Theile in das Gebiet
der kleinen Chirurgie, und meistens ist es auch nicht der eigentliche Medicin-
Mann, sondern nur ein niederes Heilpersonal, welches sich mit ihnen be-
schäftigt. Die Operateure für das weibliche Geschlecht sind, wo wir diese
Operationen antreffen, wohl durchgehends bestimmte Weiber. Bei dieser so-
genannten Beschneidung der Mädchen handelt es sich auf einigen Inseln
des malayischen Archi2iels nur um das Abschneiden eines Stückchens
von dem Praeinitium clitoridis. Bei den ostafrikanischen Völkern aber
werden Theile des Mons Veneris sowie der grossen Labien excidirt, ge-
meinhin mit schmutzigen Rasirmessem. Durch passende Lagening mit ge-
schlossenen Beinen, oder selbst bisweilen durch eine Xath wird eine Ver-*
Schmelzung der beiden Wundflächen und dadurch auch ein Verschluss der
Vulva erzielt. Ein eingelegtes Röhrchen sorgt dafür, dass die Verwachsung
keine vollkommene wird, so dass eine Oeffnung für die Entleerung des Urins
zurückbleibt. Das liezeiclmet man als die Iufi])ulation. Für die Ver-
heirathung wird die Verwachsung zum Theil und später für die Entbindung
vollständig auf l)lutigom AVege wiederaufgetrennt. Nach glücklich über-
272
X I \'. Die kleine Chirurgie.
1
standeueiu Woclienhett wird häutig die lutibulatiou wiederholt. Ausführ-
liches über diesen (xegeustaud habe ich iu meiner Bearbeitung des P/oss'schen
Werkes: Das AVeil) in der Natur- und Völkei'kunde zusammengestellt
lieber die allbekannte Beschneidung der Knaben braucht hier nur wenig
gesagt zu werden, im nördlichen und centralen Afrika und bei den moliani-
medanischen Vülksstämmeu Asiens wird sie ebenfalls meist mit Rasir-
messern ausgeführt. Die alttestamentarischen Juden schei-
nen Feuersteiumesser dazu l)enutzt zu haben. In dem
malayischen Archipel pflegt ein scharfer Bambusspalm
als Operationsinstrument zu dienen.
In dem letztgenannten Inselgebiet hat man aber zwei
Methoden der Beschneidung. Die eine besteht in der all-
bekannten Art. in der circuläreu Al)tragung des Präputium.
Bei der anderen, z. B. auf der Insel Serang gebräuchlichen
Art zieht ein alter Mann dem Jünglinge, der beschnitten
werden soll, das Präputium so weit wie möglich vor und
schiebt ein Stück Holz iu die Oeffnung hinein. Darauf
setzt er ein Messer in der Längsrichtung auf die Vorhaut
und schlägt auf dieses mit einem anderen Stück Holz. Auf
diese Weise wird dann nur eine Längsspaltuug der Vor-
haut, aber nicht eine circuläre Abtragung derselben aus-
geführt. Die Blutstillung nach den Besclmeidungen wird
meistens mit sehr einfachen Mitteln, entweder durch eine
Art der Tamponade, oder durch Bestreuen mit styptischen
Pulvern iu zufriedenstellender Weise herbeigeführt.
113. Kosmetiselie Operiitioncii.
AVir haben hier noch einer Anzahl anderweitiger o[)era-
tiver Eingriffe zu gedenken, welche in den allermeisten
Fällen sich auch in den Händen besonderer, nicht eigent-
lich medicinisch geschulter Specialisten befinden. Es sind
das die kosmetischen Operationen. Dieselben dienen be-
kanntlich dazu, den Körper je nach den herrschenden
Schönheitsbegriifen in seiner äusseren Erscheinung zu ver-
vollkommnen. Die Ausführung der Operation ist gewöhnlich
mit einem Feste verbunden und entweder wird das kindliche
Alter oder das Alter der Pubertät als der Zeitpunkt für das
Operiren gewählt. Das ist besonderen Gesetzen unterworfen.
Die Art und Weise des Operireus soll hier nicht näher geschildert
werden; sie ist ja auch hinreichend bekannt und vielfach schon erörtert
forden. Auch liegt, wde das ja bereits betont worden ist, keiner einzigen
von diesen Operationen ein eigentlicher Heilzweck zu Grunde, sondern alle
sind sie ausschliesslich nur dazu bestimmt, die körperliche Schönheit zu er-
höhen. Es sind nur die Rücksichten der Vollständigkeit, welche für ihre
Aufzählung an dieser Stelle die Veranlassung abgeben.
Zuerst sind zu nennen die schmückenden Einschnitte, mit denen an
bestimmten Körperstellen iu regelmässiger Weise die Haut durchtrennt wird.
Fig. 150. Instru-
ment der Ha 118 sa,
zum Ausziehen von
Dornen.
Mus. f. Völkerkunde,
Berliu.
Nach Photograpliie.
113. Kosmetische Operationen.
273
Die nach dieser Operation zurückbleibenden Narben bilden dann ein helles,
oft geometrisches Muster auf den gewöhnlich dunkelfarbigen Körpern der
so Yerschönerten. In vielen Fällen ist es erwünscht, diese Narben erhaben
erscheinen zu lassen. Die sofortige Verheilung der fiischen Einschnitte wird
dann auf das Sorgfältigste verhindert und in die Wunde streut man noch
besondere Irritantia ein, um eine möglichst massige Narbe entstehen zu
lassen. Das giebt dann die leistenförmig oder knopfförmig hervorspringenden
Narben Wülste, nach langer schmerzhafter Leidenszeit ein grosser Schmuck
für den viel beneideten Besitzer,
Zahlreiche kleine Verletzungen mit stechenden Instrumenten, welche
zuvor in einen Farbstoff «getaucht wurden, bilden bekanntlich das Wesen
der Tätto wirung. Diese Art der Verschönerung hat ja auch unter den
sogenannten civilisirten Nationen eine nicht geringe Zahl von Verehrern,
Fig. 151. Kleines Operations- Fig. 152. Scheeren vom Heu- Fig. 153. Instrument der Da-
messer der Haussa (West- schreekenkrebsz. Eröffnen v.Ge- yaken (Borneo), zum Eröff-
Afrika). schwüren, aufYap (Carolinen). nen von Abscessen,
Mus. f, Völkerkunde, Berlin. Mus. f. Völkerkunde, Berlin. K.k.Naturhist. Hofmuseum.Wien.
Nach Photographie. Nach Photographie. Nach Photographie,
Mit nadelartigen Instrumenten, von denen entweder ein einzelnes oder
mehrere mit einander vereinigte zur Anwendung kommen, werden die Ein-
stiche freihändig gemacht. In der Südsee befolgt man aber eine etwas
andere Methode. Hier haben sie ganz kleine, einem Miniaturkamm ähn-
liche Instramente, welche rechtwinklig an einem Handgriffe befestigt sind,
Ihre Zinken werden in den Farbstoff getaucht und dann auf die auserwählte
Körperstelle aufgesetzt; ein Schlag mit einem hölzernen Schlägel treibt nun
das Instrument in die Haut hinein.
Zu erwähnen ist nun auch noch die Herstellung von jenen Dui'ch-
bohrungen, in welche Schmucksachen hineingesteckt oder eingehängt werden
sollen. Primitive Messer, spitze Knochen und Domen dienen als Opera-
tionsinstramente. Solche Durchbohi'ungen bringen sie an in der Nasen-
scheidewand und im Nasenflügel. Ersteres ist in Neu-Caledonien und
in Australien und Letzteres in Indien eine weitverbreitete Sitte, Die
Bartels, Medicin der Naturvölker. 18
274 XIV. Die kleine Chirurgie.
Olirniuscliel muss auf verschiedene Weise herhalten, und sie wird bisweilen
über den ganzen Helix hin mit einem System von Durchbohrungen verziert.
Auch die Ober- und Unterlippe entgeht nicht diesem Triebe der Ver-
schönerung. Manchmal ist es ihr mittlerer Tlieil, bisweilen aber auch die
beiden Seiten, in deren künstlich gemachte Löcher dann Schmuckknöpfe
oder Schniuckzapfen hineingesteckt werden. Aus den kleinen Stichöiihungen
verstehen die Wilden, durch die Federkraft zusammengerollter Blätter u. s. w.,
von denen immer grössere hineingesteckt werden, allmählich Löcher von
enormem Durchmesser zu erzeugen. Auch hierüber findet der Leser Ge-
naueres in meiner mehrfach citirten Bearbeitung des AVerkes von Heinrich
Ploss über das Weib.
Diu"chbohrungeu der Glans penis werden von einigen Naturvölkern
ebenfalls vorgenommen. Man schiebt in dieselben zu erotischem Zwecke
dann besondere kleine Heizapparate ein. In ähnlicher Absicht machen
Andere einen Einschnitt in die Rückenhaut des Penis und schieben kleine
Steine und andere Fi^emdkörper unter dieselbe, um sie daselbst einheilen
zu lassen. Die Heimath dieser bestialischen Gebräuche ist der malayische
Archipel.
,„i „^t^^i^^i^wi ^^-, V. Mikluclio-Maclay berichtet,
''^^^^^^^^^^^^s-"^ (jgj. Harnröhrenmündung aus eine
Fig. 154. Zahuzange der Haussa (West-Afrika), mediane Spaltung der Glans penis
Mus. f. Völkerkunde, Berlin. - Nach Photographie. ^j^ i^j-er Unterseite vorgenommen
wird. Auch diese Operation wird
ausgefühi't, um das Wollustgefühl beim Coitus zu erhöhen. Dieselbe ist
aber nicht zu verwechseln mit der Mika-Operation, auf die wir noch zu-
rückkommen müssen.
114. Die Entfernung- fremder Körper und die Behandlung der
Abseesse.
Kaum als chirurgische Operation zu bezeichnen ist die Entfernung klei-
ner Fremdkörper aus der Haut, wie Dornen, Stacheln, Splittern, s. w.,
oder kleiner Insekten, z. B. der so unbequemen und nicht selten sogar ge-
fährlichen Sandflöhe. Auch der Medina-Wurm ist hier anzuschliessen.
Hiervon befi-eit wohl fast Jeder sich selbst und nur in seltenen Ausnahme-
fällen wird dafür fachmännische Hülfe beansprucht. Als Instrument dient
irgend ein Dorn oder sonst ein scharfspitziger Gegenstand. Bei den Ka-
rayä-Iudianern in Brasilien sind dafür scharfe Fischzähne im Gebrauch.
Der Absonderlichkeit wegen mag eine Sitte aus Cambodja hier an-
geführt werden. Man hält daselbst für das einzige Mittel, um eine in
der Kehle steckengebliebene Fischgräte zu entfernen, das Trinken desjenigen
Wassers, in welchem sich Jemand die Füsse gewaschen hat, der mit den
Füssen voran geboren wurde.
Die Haussa im nordwestlichen Afrika haben zum Dornausziehen eine
eiserne Pincette (Fig. 150) mit kurzen Armen und mit einem sehr langen
Stiele, welcher dicht mit einem Lederstreifen umwunden ist.
114. Die Entfernung fremder Körper und die Behandlung der Abscesse. 275
Die Behandlung von Abscessen fällt aber meistens sachverständigen
Händen zu. Ganz ähnHch, wie bei uns, pflegt das erste Mittel, zu dem
gegriffen wird, ein Kataplasmiren der befallenen Stelle zu sein. Wir finden
dieses in Australien, auf der Osterinsel, aufEngano, bei den Aschanti
und bei mehreren Indianer-Stämmen in Nord-Amerika. Heisse oder
zerquetschte Blätter, oder andere schmierige und breiige Substanzen liefern
das Material dazu. In Süd-Californien und in Victoria werden auch
Waschungen der erkrankten Stelle, bei den Dacota-Indianern Einsal-
bungen und in Süd-Australien und bei den Aschanti Pflaster an-
gewendet. In Australien und auf Engano legt man auch heisse Asche
auf, und bei den Bilqula und anderen
Indianer-Stämmen wird die Stelle auch
wohl cauterisirt.
In Nieder- Californien pflegt der
Medicin-Mann das Greschwür durch Saugen
zu zersprengen. An dem Frazer Biver in
Nordwest- Amerika wird das Geschwür
mit plumpem Messer scarificirt. Auch die
Bilqula schneiden dasselbe mit einer Reihe
paralleler Incisionen ein, und die Austral-
neger von Victoria öffnen hartnäckige
Abscesse mit ihrem Knochenmesser.
Die Südsee-Insulaner von Tahiti,
Samoa, Tonga und den Loyalitäts-
Inseln eröfi'nen ihre Geschwüre und Fu-
runkel und sogar tiefsitzende Abscesse mit
denselben rohen Werkzeugen, wie sie sie
auch zur Blutentziehung benutzen, d. h.
mit scharfen Steinsplittern, mit Glas- und
Muschelscherben, mit grossen Dornen und
mit Haitischzähnen. Hamilton sah auf den
Nicobaren, wie die Unterkinnlade eines
Fisches mit scharfen Zälmen auf eine Ge-
schwulst aufgesetzt und dann mit einem
Stocke darauf geschlagen wurde. Es er-
folgte eine heftige Blutimg, danach aber
baldige Heilung. Auf der Karolinen-
Insel Yap ist zum Eröffnen von Ge-
schwüren die gezahnte Scheere eines Heuschreckenkrebses, einer Squilla
im Gebrauch (Fig. 152).
Von den Haussa wird für diese Zwecke der kleinen chirui'gischen
Operationen ein kleines Messer (Fig. 151) benutzt. Es hat die Form einer
kleinen Lancette, deren Spitze abgeschliffen ist. Mit seinem Talon steckt
es fest in einem Holzgriff, welcher ungefähr die fünffache Länge von der
kleinen eisernen Klinge besitzt. Dieser Griff ist aber noch vollständig mit
einem groben Stofl" umwickelt, so dass von ihm gar nichts zu sehen ist.
Die Dayaken in Borneo bedienen sich zum Erötfnen von Fmnmkeln
und Abscessen einer holzigen Wurzel (Fig. 153), welche sie Pinjampo nennen
und der sie durch Zuschneiden und Glätten eine Form gegeben haben, die
18*
Fig 155. Zahnärztliches Besteck der
Haussa.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin.
Nach Pliotogi-aphie.
'6
XI \'. Die kleine Chirurorie.
au eineu grossen Angelhaken erinnert. Das Instrument bietet eine ganz
gute Handhabe und der kleine widerhakenartige Fortsatz dient vermuthlich
dem Daumen zur Stütze, wenn die Faust den Griff umklammert, um die
Spitze in den Abscess einzusenken. Auch zur Behandlung schmerzhafter
Körperstellen bedienen sie sich desselben Instramentes ; diese werden ki'äftig
damit betupft, weil die Dayaken glauben, dass sie auf diese "Weise den
Schmerz aus dem Körper herausziehen könnten.
Von den Kirgisen berichtet Pallas, dass sich l)ei ihnen harte Ge-
schwülste entwickeln. Es kann nach der Beschreibung keinem Zweifel unter-
liegen, dass dieses Milzbrandcarbunkel sind. Die Behandlung schildert er
folgendermaassen : ..Die unter dem gemeinen Volke übliche Cur, da nämlich
die harte und fast knorpligte Ge-
schwulst mit einer langen Nadel
verschiedentlich diu'chstochen und
mit einer Vermischung von Ta-
bak mit Salmiak eingerieben, dem
Kranken aber alles kalte Getränk
und gewisse Speisen aufs schärfste
verboten werden."
Von den Australnegern
in Victoria werden bisweilen
die Geschwüre einfach umbunden.
Bei den Fullah vom RioNunez
legt man bei Geschwüren an den
Extremitäten feste Umbindungen
oberhalb derselben an. Sie glau-
ben auf diese Weise zu verhin-
dern, dass das schlechte Blut zum
Herzen gelangen könne. Corre
fand dort eine Ulceration durch
Compression mit einer Kupfer-
platte in Behandlung.
Fig. 156. Mann der Bawenda, dem beim Aus-
meisseln eines Zahnes der Kiefer durch die Wange
getrieben wurde.
Nach Photographie.
115. Die Zahnhellkunde.
Sollen wir die kleine Chirurgie
vollständig behandeln, so müssen
w^ir im Anschluss an die Abscesse auch noch von der Zahnheilkunde ein Paar
Worte sagen. In den Berichten über die Naturvölker ist sehr häufig auch
von den Zähnen die Rede, da es nicht selten bei ihnen gebräuchlich ist,
an ihren Zahnreihen dm'ch Ausfeilungen, Ausmeisselungen oder durch
Ausschlagen sogenannte Verschönerungen vorzunehmen. Von diesen zu
sprechen ist hier nicht der Ort, da sie nicht zu Heilzwecken ausgeführt
werden. Es muss uns aber überraschend sein, dass wir, gerade da so viel-
fach die Emailschicht der Zähne verletzt und zerstört wird, so wenig über
Zahnoperatiouen und Ki^ankheiten der Zähne hören.
Die Behandlung der Zahnschmerzen bei den Australnegern Victo-
rias haben wir oben bereits besprochen. Sie bestand in Bananen-Umschlägen
llö. Die Zahnheilkunde. 277
oder in tagelanger EinspeiTung des Kranken. Ein Amulett, das Zahn-
schmerz vertreibt, hatten wir von den Giljaken kennen gelernt. Es ist in
Fig. 120 abgebildet. Wir sehen da einen kleinen Menschenkopf in roher
Ausführung in Holz geschnitzt, dessen ganze untere Gesichtshälfte durch
einen herumgelegten Lappen eingehüllt wird.
Aus Sokotö von den Haussa hat Robert Flegel Instrumente zur
Zahnoperation mitgebracht. Das Eine derselben, mit Namen Massassaki,
wird zum Lockern des Zahnfleisches benutzt. Die anderen Instrumente
sind Zangen, Awarteki genannt (Fig. 154), mit welchen die Zähne aus-
gezogen werden. Füi^ dieses Armamentarium besitzen sie ein besonderes
kleines Lederfutteral (Fig. 155).
Sehr roh ist die Behandlung kranker Zähne bei den Bawenda im
nördlichen Transvaal. Sie suchen sie mit ihren Assegaien-Spitzen oder mit
Meisselschlägen aus dem Kiefer zu entfernen. Mit welcher Gewalt sie dabei
zu Werke gehen, das zeigt die Photographie eines armen Patienten (Fig. 156),
dem bei einer solchen Gelegenheit ein grosses Stück des horizontalen Unter-
kiefer-Astes durch die Weichtheile der Wange hindurchgetrieben wurde.
XV.
Die grosse Chirurgie.
116. Allgemeines.
Ein Capitel, das von der grossen Chirurgie der uncivilisirten Volks-
stämnie handelt, kann, wie sich das wohl von selbst versteht, nur eine sehr
geringe Ausdehnung besitzen. Denn es muss uns ja nur mit Verwunderung
erfüllen, dass sich über diesen Gegenstand überhaupt etwas berichten lässt.
"Wir stehen hier einem Probleme gegenüber, dessen Lösung wohl kaum
je gelingen wird. Ueberrascht uns bei den Naturvölkern gewöhnlich die
Indolenz, selbst schweren Erkrankungen gegenüber, wofür nur eine ihnen
innewohnende hochgradige Unkenntniss der normalen und pathologischen
Lebensvorgänge die einzige Erklärung zu bieten scheint, so liegen wiederum
andererseits Avohlbeglaubigte Fälle von Operationen vor, welche überhaupt
nur erdacht werden können, wenn die Vorstellungen von dem anatomischen
Bau des Körpers und von den physiologischen Eigenschaften seiner einzelnen
Organe doch schon ziemlich hochentwickelte sind, immerhin, wie wir es nur
gestehen wollen, höhere, als wir sie unter den civilisirten Nationen selbst
bei gebildeten I^aien voraussetzen dürfen. Ausserdem gehört zu diesen
Operationen ein nicht unbedeutender chirurgischer Muth und ein Vertrauen
auf das eigene Können, das durch die unvermeidlichen Schwierigkeiten,
welche bei jedem grösseren operativen Eingriff unvorhergesehen hervortreten
können, sich auch nicht in dem geringsten Maasse aus der Ruhe und
Fassung bringen lässt.
Wie dieses ßäthsel zu lösen ist, vermögen wir, wie gesagt, bisher noch
nicht anzugeben. Wir stellen hier nm* diese merkwürdige Thatsache fest
und wir wollen sofort dazu schreiten, an der Hand der uns vorliegenden
Berichte die chirurgischen Maassnahmen der Naturvölker einer genaueren
Betrachtung zu unterziehen.
Das, was für den Chirurgen natürlicher Weise in allererster Linie in
Frage kommen muss, das ist die Behandlung seiner Stammesgenossen, wenn
sie eine Verwundung erlitten haben. Darum wollen wir die Besprechung,
wie diese Leute die Wunden behandeln, auch den übrigen Dingen voraus-
gehen lassen.
282 XV. Die grosse Chirurgie.
117. Die Wundbehandlung.
lieber die Wundbeliaudlung der Natui'völker sind die uns zur Ver-
fiigunfT stehenden Nachrichten nicht sehr aiisgiel)ig. Es hat den Anschein,
als wenn sie im Ganzen sehr wenig ITiiistände damit machen. Sie verlassen
sich dabei wahrscheinlich auf ihre glückliche Heilfähigkeit, die diese Natur-
kinder fast ausnahmslos vor den civilisirteu Nationen auszeichnet. Und so
bekümmern sie sich entweder gar nicht um ihre Wunden, wie die Flathead-
Indianer, die Süd-Australier und die Eingeborenen von Neu-Guinea.
oder sie bedecken sie mit einer Art von Kataplasmen, die aus allerlei Blättern
oder aus dem saftigen Baumbast gefertigt werden. Dieses letztere Verfahren
wird von den Karok- und von den Dacota-Indianern, von den Süd-
Californiern, den Eingeborenen von Tanembar und den Timorlao-
Inseln und dem Seranglao- und Gorong- Archipel, sowie von den
Asch an ti angewendet.
Die Leute von Selebes legen Msche Blätter auf und das Gleiche wird
uns von den Samoanern, von den Mincopies auf den Andamanen.
sowie von den Singhalesen, den Tamilen und den Weddah auf Ceylon
berichtet. Dass die Letzteren es von den Singhalesen gelernt hätten,
haben wir, wie fi^üher schon betont worden ist, durchaus nicht nöthig. an-
zunehmen, da, wie wir eben gesehen haben, auch andere Völker dasselbe
Verfahren selbstständig erfanden.
Die Kara3'ä in Brasilien bestreuen die Wunde mit Kohlenpulver,
und die Engano-Lisulaner bedecken sie mit warmer Asche und mit er-
hitzten Baumblättern. In Wunden der Kopfhaut blasen die S am o an er
den Rauch von verbranntem Wallnussholz. In Süd-Californien sind auch
Salben gebräuchlich, in Alaska Pflaster aus Cedernharz, und in Süd-
Australien wird die Wunde bisweilen mit einem Thonklumpen zugeklebt.
Auch die Harrari wenden bei Brandwunden medicamentöse Pflaster an.
Die Australneger in Victoria sollen, wie gesagt, die AVunden aus-
saugen, und sie setzen das so lauge fort, bis kein Blut mehr entleert werden
kann. Kommt auf diese Weise nur wenig Blut aus der Wunde heraus,
dann glauben sie, dass nicht Alles richtig sei. Dann bringen sie den
Patienten in eine solche Lage, die ihrer Meinung nach den Abfluss des
Blutes befördern muss, und durch Compression der gegenüber liegenden
Theile suchen sie denselben auch noch zu unterstützen. Führt das aber
Alles noch nicht zum Ziel, dann sondiren sie die Wunde mit einem scharfen
Instrument, das sie aus einem Knochen gefertigt haben. Wenn die Wunde
sich völlig gereinigt hat, so legen sie einen Harzklumpen darauf. Sie haben
aber ein gutes Verständniss für die schädliche Wirkung verhaltener Wund-
sekrete, und wenn in dieser Beziehung nicht Alles in Ordnung ist, so
machen sie die Wunde wieder auf
Die Central-Amerikaner pflegen die Wunden zu cauterisiren, um
Entzündungen vorzubeugen.
DieDacota und die benachbarten In dianer- Stämme sorgen nicht selten
durch eingelegte Wieken von weichem Baumbast für den Abfluss des Eiters,
und sie benutzen sogar ein besonderes Verfahren, um die Wunden auszu-
117. Die Wundbehandlung. 283
spritzen. Hierzu bedienen sie sich dann einer Blase oder Federspuhle,
welche die Funktion der Spritze übernehmen müssen.
Die Opoates-In dianer sind dafür berühmt, ausgezeichnete Wund-
balsame anzufertigen. Rosmarin ist in denselben ein sehr gebräuchlicher
Bestandtheil. Wasser verbieten sie ihren Verwundeten streng, aber sie
haben für dieselben mehrere vegetabilische Tränke.
Ausserordentlich selten begegnet man dem Versuch, die Wunden sofort
zum Verschluss zu bringen. Allerdings wird von südaustralischen Stämmen
berichtet, dass sie zuweilen eine Art Compressiv- Verfahren auAvendeu, um
die Wundi'änder einander zu nähern. Um so bemerkenswerther ist daher
die Angabe Schoolcraft's, dass die Indianer der Vereinigten Staaten
bisweilen Schnittwunden mit Fäden aus Lindenbast oder aus den langen
Schenkelsehnen von Thiereu zunähen und die Suturen nicht vor dem sechsten
Tage entfernen. Auch FelJcin sah eine Wundnaht in Central- Afrika, durch
welche der Leib nach einem glücklich ausgeführten Kaiserschnitte geschlossen
wurde. Es war eine Sutura circumvoluta (Fig. 157). Auch bei der In-
fibulation der Mädchen im nordöstlichen Afrika wird
bisweilen eine Naht angewendet.
Die Winnebago - Indianer lassen eine böse
Wunde fast niemals prima intentione heilen, sondern
sie halten sie sorgfältig offen, dass sie von unten
herauf heilen kann.
Unter dem uns vorHegenden chirurgischen Materiale
der Indianer haben vnr auch Höhlenwunden an-
getroffen. Ein Indianer-Häuptling hatte einen Stich
vorn zwischen der vierten und fünften Rippe erhalten,
der ihm die Brusthöhle öffnete. Eine reichliche Blutung
war eingetreten. „ , ^ ,
o 1 T r 1 • • 1 Ä- TT 4. i- 11 11- 1 Fig. 157. Vernähte Bauch-
.,öchliesslich m emem heltigen Hustenantall blieb wunde einer Frau in
ein Lappen der Lunge in der AVunde stecken. Dieses Uganda, bei welcher der
Ereigniss stillte die Blutung, setzte aber die Facultät Kaiserschnitt ausgeführt
war.
des Dorfes in Verlegenheit. Eine Consultation wurde j^^ch Feikin.
abgehalten, in welcher entschieden wurde, dass die Lunge
nicht reponirt werden dürfe, um fernerem Blutverluste vorzubeugen, und dass
das herausgetretene Stück der Lunge abgeschnitten, gekocht und von dem
Häuptling gegessen werden müsse. Das wurde in verabredeter Weise aus-
geführt. Granulationen bildeten sich unverzüglich auf der Schnittfläche der
Lunge, der Process der Eiterung in der äusseren Wunde begann sofort
nach Befreiung der strangulirten Lunge, welche an ihren Platz in der Brust
zurückkehrte. Die Hautdecken schlössen sich über dem Intercostalraum,
aber die Muskelsulistanz blieb verlagert,'' sodass eine Lungenhernie ent-
stand, die bei jedem Hustenstosse sich stark hervorwölbte.
Ein anderer Indianer hatte zwei Tatzenschläge von einem Grizzly-
Bären erhalten. Der eine ging ihm links über das Gesicht, hatte ihm Ohr
und Wange zerrissen und das linke Auge vernichtet. Der andere hatte
ihm an zwei Stellen die linke Thoraxhälfte eröffnet. Blut und Luft drang
daraus hervor.
Als man ihn auffand, hielt man ihn für todt. Er wurde in seine Hütte
getragen, und in eine solche Lage gebracht, dass Blut und Eiter frei aus
284 XV. Die grosse Chirurgie.
der Brust ausfliesseu konnten. Seine Wunden wm'den emsig mit schleimigen
Decocten gewaschen und in wenigen Monaten war er im Stande, die Reise
nach der Agency at Sault Ste. Marie zu unternehmen.
Ueber eine perlbrirende Bauchwunde bei einem Weddah auf Ceylon
liegt uns ein Bericht von Baker vor. Der Weddah wurde auf einer Jagd
plötzlich von einem grossen Eber überrascht. Dieser stellte sich sofort, und
der Weddah ging mit Bogen und Pfeilen zum Angriff vor. „Aber kaum
hatte er die Bestie verwundet, als er mit grosser Wuth attackirt wurde. In
einem Augenblick war der Eber an ihm und im nächsten Moment lag der
Weddah auf dem Boden mit seinen Eingeweiden aussen. Glücklicher
Weise war ein Begleiter mit ihm, welcher die Eingeweide zurückplacirte
und ihn verband. Ich sah den Mann einige Jahre später; er war völlig
wohl, hatte aber eine schreckliche Geschwulst vorn am Bauch, welcher
quer durchzogen Avar von einer breiten blauen Narbe von ungefähr 8 Zoll
Länge."
Ob hier von dem Gefährten eine Bauchnaht angelegt wurde, geht aus
dieser Geschichte nicht hei'vor. Immerhin aber müssen wir dem Erfolge der
Operation imsere volle Anerkennung zollen, obgleich, wie das bei der Schwere
der Verletzmig nicht übeiTaschen kann, ein grosser Bauchbruch (die „schreck-
liche Geschwidst'") sich ausgebildet hatte.
118. Die Behandlung der Schusswunden.
Wohl muss es uns verwunderlich erscheinen, dass wir so wenig darüber
erfahren, wie sich die uncivilisirten Völker mit ihren Schusswunden abzu-
finden pflegen. Bei ihren Kämpfen mit Bogen und Pfeil, mit dem Wurf-
spiess und mit dem europäischen Gewehre kann es an derartigen Ver-
letzungen doch nicht fehlen. Und dennoch finden wir in den uns zu Gebote
stehenden Berichten dieselben nur ganz vereinzelt erwähnt.
Aus den Pfeil wunden saugen, wie wir früher schon sagten, die 0 p o a t e s -I n d i-
aner in Mexico sobald wie möglich das Blut heraus. Dann streuen sie Peyote-
Pulver ein. „Nach zwei Tagen wird die Wunde gereinigt und mehr von dem-
selben Pulver applicirt; diese Operation wird jeden zweiten Tag wiederholt
und schliesslich wird gepulverte Lechugilla-Wiu'zel angewendet. Bei diesem
Vorgehen werden die Wunden, nachdem sie vollständig geeitert haben, ge-
heilt. Aus den Blättern der Maguey, Lechugilla und Date-palm, wie von
dem Rosmarin machen sie ausgezeichnete Balsame zur Heilung von Wunden.
Sie haben verschiedene vegetabilische Substanzen, um den Durst verwundeter
Personen zu löschen, während Wasser als schädlich betrachtet wird."
Von den Dacota-Indianern wird angegeben, dass sie die Schuss-
wunden meist der Natm- überlassen. Und so scheint es auch dem 42 Jahre
alten Kiowa -Häuptling Sitamore ergangen zu sein, der in einem Gefechte
mit den Pawnee-Indianern einen Pfeilschuss in die rechte Hinterbacke
erhielt. Der Schaft wurde herausgezogen, die eiserne Pfeilspitze aber konnte
nicht entfernt werden, weil sie zu tief in den Körper eingedrungen war.
Unmittelbar nach der Verletzung entleerte der Kranke blutigen Urin. Seine
Wunde heilte und sechs Jahre hindurch vermochte er wieder die Büftel zu
jagen. Dann zwangen ihn zunehmende Urinbeschwerden, die Hülfe eines
119. Die Blutstillung. 285
amerikanischeu Militärarztes aufzusuchen. Dieser fand einen sehr grossen
Blasenstein, den er durch einen glücklich verlaufenden Seitensteinschnitt
extrahirte. Der Stein war eiförmig, aus Triplephosphaten bestehend, und
enthielt als Kern die vier Ceutimeter lange Pfeilspitze. Er ist in dem
amerikanischen Kriegsberichte abgebildet.
Geschickter pflegen die Winnebago-Indianer mit den Schusswunden
umzugehen.
„An erster Stelle reinigen sie die Wunde vollständig, und wenn es ein
Gewehrschuss ist, so extrahiren sie, wenn es ausführbar ist, die Kugel, dann
setzen sie den Mund auf die Wunde und extrahiren durch lange fortgesetztes
Saugen geronnenes Blut und fremde Stoffe, welche in die Wunde hinein-
gekommen sein mögen; danach machen sie Verljände, um die Entzündung zu
mildern und Eiterung hervorzurufen. Gemeinsam mit der guten Constitution
unterstützt gewöhnlich das Temperament des Kranken die Heilung. Die
Indianer verlassen sich, wenn sie verwundet sind, selber auf ihre Wider-
standskraft und sie ertragen Entbehrungen und Schmerzen, ohne an den
nervösen Erregungen zu leiden, welche häufig die Genesung der Weissen
verzögern."
Die Karok-Indianer verschliessen ihre Pfeilschusswunden mit dem
Theer von der Pinus edulis.
Bowditch führt von den Aschanti an, dass Schusswunden an den Ex-
tremitäten gewöhnlich bei ihnen zum Tode führen, sobald ein Knochen zer-
schmettert ist, oder ein grosses Blutgefäss zerrissen wurde. Im letzteren
Falle tritt der Tod durch Verblutung ein, weil sie es nicht verstehen, das
blutende Gefäss zum Verschluss zu bringen.
Das chirurgische Können der Eingeborenen in dem Gebiete des Quango
scheint dagegen ein wesentlich Höheres zu sein. Wolff' berichtet von seiner
Expedition dorthin:
„Unterwegs hatte ich Gelegenheit, die chirm^gische Kunst der Neger
zu bewundern. Einem Neger war im Kriege durch eine Kugel das Schien-
bein zerschmettert worden; zu ihm gerufen, fand ich den Unterschenkel in
einem festen gefensterten Verbände, der, aus an einander gebundenen Binsen-
stäben verfertigt, sich oben an dem Knie und unten an den Knöcheln stützte.
Er stellte das gebrochene Glied fest und übte zugleich eine Extension aus,
that also Alles, was wir von einem festen Verbände verlangen können.
Gegenüber der Wunde war der Verband ausgeschnitten, damit der Eiter
und das Wundsekret abfliessen konnte."
Die Mincopies auf den Andamanen pflegen die Schusswunden mit
Blättern zu verbinden; und von den Samoanern hören wir dui'ch Turner:
„Um einen mit Widerhaken versehenen Speer aus dem Arm oder dem Bein
zu ziehen, schneiden sie das Glied an der entgegengesetzten Seite ein und
stossen ihn gerade durch. Amputation wird nie ausgeführt."
119. Die Blutstillung.
Das Stillen von Blutungen macht den Naturvölkern meist sehr erheb-
liche Schwierigkeiten. Für gewöhnlich wissen sie gar nichts damit anzu-
fangen. Die Haidah-Indianer und diejenigen von iVlaska benutzen
286 XV. Die grosse (.-hirurgie.
zur Blutstilluug Adlerdaunen, die Dacota- und Winnebago-Tndianer
wenden pflanzliche und mineralische Styptica an, und die Karaya in Bra-
silien verstehen sich sogar auf das Abbinden der Glieder. Auch die blut-
stillenden Pulver einiger nordamerikanischer Indianer-Stämme werden
in der Weise angewendet, dass die blutende Wunde vollkommen mit ihnen
ausgestopft wird und dass sie ausserdem noch durch eine fest herumgelegte
Binde das Pulver an seiner Stelle zu halten suchen. Es ist also sicherlich
der circuläre Druck, der bei dieser Art der Blutstillung besonders wirk-
sam ist.
Die Eingeborenen von Manahiki oder der Humphreys-Insel in der
Südsee wenden gegen Blutungen aus Venen oder Arterien Verbände mit
dem schwammigen Kerne einer alten Cocosnuss an.
In Marokko ist das Abhacken von Gliedmaassen als Justizmaassregel
im Gebrauch. Durch circuläre Umschnürung des Stumpfes sucht man der
Blutung Herr zu werden. Wenn das aber nicht zum Ziele führt, so steckt
man die Wunde in heisses Pech.
Wenn in Mittel-Sumatra Jemand verwundet ist, und man kann das
ausströmende Blut nicht stillen, dann glauben sie, dass der Palasieq, ein
dämonischer Mensch, an der Wunde gesogen habe und dass sie dadurch
unheilbar wird und dass der Verletzte daran sterben müsse.
Von den Südsee-Insulanern, und zwar von den Eingeborenen von
Tahiti, Samoa. Tonga und den Loyalitäts-Inseln berichtet Ella, dass
sie eine plumpe Art von Tourniquet in Anwendung ziehen, um den Versuch
zu machen, starke Blutungen zum Stehen zu bringen. Dazu benutzen sie
zahlreiche Lagen von der Tapa, dem einheimischen Kleiderstoff, welcher
aus der Rinde des Papiermaulbeerbaumes gefertigt wird.
Um starkes Nasenbluten zu stillen, wird von den Indianern Nord-
Amerikas feingepulverte und heissgeniachte Kohle in die Nasenlöcher
hineingestopft. Die Harrari haben Medicamente, welche sie dabei in die
Nase einschlürfen.
Wenn ein Kind auf Nias Nasenbluten hat, so ist das für den Vater
eine Strafe, weil er während der Schwangerschaft seiner Frau ein Schwein
geschlachtet hat. Um das Nasenbluten zu stillen, ist er dann gezwungen,
dem Add Famo ni amahoo ein Opfer zu bringen.
120. Das Olühen.
Einer ganz ausserordentlichen Beliebtheit erfreut sich dieCauterisation.
Die Behandlung mit heissen Blättern und mit heisser Asche sind ja eigent-
lich schon in dieses Gebiet zu rechnen. Davon war oben bereits die Rede.
Die Mincopies auf den An dam an en wenden zur Erleichterung der
Beschwerden bei Hautkrankheiten eine Form des Glühens an. Sie nehmen
einen grossen, flachen Stein, erwärmen denselben sorgfältig am Feuer und
legen ihn dann auf den befallenen Körpertheil.
Aber auch noch energischere Cauterien werden dabei herangezogen.
Das finden wir bei den Choctaw-In dianern und bei den Indianern
von Nicaragua. Die Letzteren werden durch diese Procedur nur in ge-
120. Das Glühen.
287
ringem Grade angegriffen. Bei den Bilqula wird die Cauterisation mit
Schiesspulver oder mit Baumrinde ausgeführt.
Die Twana-, Chemakum- und Klallam-Indianer wenden die
Cauterisation zur Bekämpfung rheumatischer Affectionen an. Auch sie be-
nutzen dazu die Cedernrinde, häufig aber auch ein rothglühend gemachtes
Eisenstück.
Auf den Gilbert -In sein ist nach Finsch das Cauterisiren diu'ch Auf-
legen kleiner Stückchen gUmmeuder Cocusnussschale gebräuchlich.
Auch hartnäckige Geschwüre pflegen einige Indianer-Stämme Xord-
Amerikas mit dem Cauterium actuale zu behandeln, und die Süd-Cali-
fornier legen bei frischer Syphilis eine glühende Kohle auf die indurirte
Stelle, um sie so zur Heilimg zu bringen.
Als eine Art der Cauterisation müssen wir natürlicher Weise auch
die Behandlung der Wunden und Blutungen mit heisser Asche und erhitzten
Blättern betrachten, und dass die Indianer in Cen-
tral-Amerika die Wunden direct cauterisiren, das
wurde oben schon gesagt. Auch ist bereits die pro-
phylaktische Cauterisation derFullah in Ost-Afrika
besprochen worden.
In Marokko ist das Cauterisiren eine sehr ge-
wöhnliche Maassnahme. Es werden hierzu besondere
Glüheisen (Fig. 158) gebraucht, die in einem irdenen
Kohlenbecken erhitzt werden. Ein kleiner Handblase-
balg dient dazu, die Gluth gehörig anzufachen. Drei
Formen von Glüheisen sind hier im Gebrauch, ein
messei-fbrmiges, ein spatenförmiges und ein münzen-
förmiges. Man sieht auf den marokkanischen
Märkten, sowie in Tunesien und in Tripolis, die
Heilkünstler in ihren dachförmigen Wanderzelten sitzen,
mit den Glüheisen zu sofortiger Anwendung bereit.
„Man brennt, sagt Quedenfeldt^ nicht allein Wunden
und Geschwüre aus, sondern rückt auch einer schlecht
geheilten VeiTenkung, Rheumatismen, Magencatan-hen,
kurz allen rebellischen Krankheiten, sogar Milz- und
Lebertumoren damit zu Leibe. Der Operateur er-
liält eine Okia (Unze, ungefähr fünf Pfennige) für
das Brennen als geringstes Honorar; Reiche aber zahlen bis zu einer
Peseta, und im Falle, dass das Glüheisen post hoc oder propter hoc Heilung
gebracht, geben sie noch einen Hammel, ein Paar neuer gelber Lederschuhe
und dergleichen drauf."
Ganz ähnlich klingen die Schilderungen, welche lloore von der ärzt-
lichen Thätigkeit der Eingeborenen von Rad seh put an a entwirft. Hier scheinen
sich besonders die Bheels eines hervorragenden Vertrauens zu erfi-euen.
Das bei den verschiedenartigsten innerlichen und äusseren Leiden in An-
wendung gezogene Glüheisen, der Dhag, ist gewöhnlich ein am Ende ab-
geflachtes Eisenstück, welches in dem Augenblick auf die Haut aufgesetzt
wird, wenn es stark rothglühend geworden ist.
In einigen Gegenden von Radschputana, nämlich in den Districten
der Bheels, wird häufig die Application des Glüheisens als Specialität von
Fig. 158. Glüheiseu aus
Marokko.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin.
Nach Photographie.
288
XV. Die grosse Chirurgie.
einem Weibe betrieben. Die Brandscliorfe werden linienförmig. kreuzweise
oder in der Form eines Rostes angelegt, oder auch fleckweise, von der
Grösse eines Zwei-Anna-Stückes bis zu der einer Rupie. Gebrannt wird
alles, was eine Anschwellung macht, sei es eine entzündliche Schwellung,
ein Tumor, eine Cyste, eine Hernie oder ein ven-enkter Schulterkopf. Diese
unvorsichtige Anwendung des Glüheisens richtet vielfach erheblichen Schaden
an. So war z. B. eine Hydi'ocele auf diese Weise zur Verjauchung und
der Testikel zur Gangrän gebracht. Die Zahl der applicirten Glüheisen
richtet sich nach der Grösse der Geschwulst. Einen lipomatösen Tumor
hat Moore mit fünfzig Brandschorfen bedeckt gesehen.
Auf chinesischem und japanischem Gebiet wird das Glüheisen durch
die Moxa ersetzt. Wir haben früher schon hiervon gesprochen. Sie war
vor wenigen Jahrzehnten in etwas energischerer Form auch bei uns noch
im Gebrauch und bedarf hier keiner näheren Beschreibung.
An den milden Reiz der jaf)anischen Moxen erinnert ein Veifahren
der Mincopies auf den Andamanen: „Bei Phthisis oder wenn irgend ein
Fig. 159. Krankentragstuhl, Sumatra. Fig. 160. Stuhl für einen gelähmten Knaben, Sumatra.
Nach van Hasselt. Nach ran Hassclt.
inneres Organ erki'ankt ist, so werden von den Freunden des Kranken
Schritte gethan, um die Machinationen des bösen Geistes, dem die Leiden
des Opfers zugeschrieben werden, zu Nichte zu machen. Zu diesem Zwecke
werden ein oder mehrere Knochen-Halsbänder (Fig. 62) erst fest auf der Stelle
des Schmerzes befestigt, darauf wird ein Stück Bienenwachs tö-bul-pid
über ein Feuer gehalten, bis es tropft, und dieses wird dann auf das
Fleisch schnell applicirt. Das anhaftende Wachs wird nicht entfernt, aber
es fällt in einigen Tagen von selber ab."
Erwähnen müssen wir aber noch, dass auch auf Tahiti, Samoa.
Tonga und den Loyalitäts-Inseln das Glüheisen bisweilen angewendet
wird. Auf Tonga und Samoa wird es manchmal auch durch eine zer-
quetschte Weinrebe ersetzt, deren scharfer Saft dem Aetzkali nicht un-
ähnlich wirkt. Ella sah sie bei einer Lähmung der Beine anwenden. Der
Kranke collabirte mehr in Folge dieser Behandlung, als durch seine ur-
sprüngliche Krankheit.
121. Knocheubrüclie luid Verrenkungen.
289
131. Knocheubrüclie und Verrenkungen.
Dass die uncivilisirteu Völker sich auch mit Knochenbrücheu und Ver-
renkungen beschäftigen müssen, das ist bei ihrer Lebensweise selbstverständ-
lich. Der Mechanismus der Luxationen scheint ihnen aber nur selten zu
vollem Bewusstsein zu gelangen. Wenigstens sind unsere Nachrichten hier-
über von einer überraschenden Dürftigkeit. Bei den Hindu und bei den
Marokkanern wird, wie gesagt, auch gegen diese Verletzung mit dem Glüh-
eisen vorgegangen, und sogar die inveterirten Fälle hoffen sie auf solche
Weise zu heilen. Die Aschanti mischen den Brei einer bestimmten Pflanze
mit Pfeffer und legen ihn auf das verrenkte Glied.
\r\\
Fig. 161. Kranken-Tragbahre der Maori, Neu-Seeland.
Nach Thompson- Longmore.
Ueber eine Einrenkung nach den Regeln der Kunst fand ich nur eine
einzige Angabe. Dieselbe stammt von der Insel Nias. Man hält daselbst
ausschliesslich solche Personen für befähigt, Luxationen wieder einzurenken,
welche mit den Füssen voran geboren worden sind. Allerdings ist es anderen
Leuten erlaubt, den für die Einrenkung nothwendigen Zug an dem luxirten
Gliede auszuül)en, aber nur diese durch die Eigenart ihrer Geburt Bevor-
zugten dürfen mit ihren Händen den Rücktritt des verrenkten Gelenkkopfes
in die Gelenkhöhle dirigiren.
Ein geschicktes Einrichten und Bandagiren gebrochener Glied maassen
wird uns von verschiedenen Naturvölkern berichtet. Sie benutzen zu diesem
Zwecke ftir gewöhnlich Schienen, welche sie aus Holz oder aus Baumrinde
fertigen und die durch sorgfältig angelegte Bandagen an dem frakturii'ten
Gliede befestigt werden. Das wird namentlich von vielen Indianer-
Stämmen gemeldet von der Nordwestküste an bis südlich zu den
wilden Stämmen Brasiliens. Ihre Befähigung ist aber nicht gleich, denn
Bartels, Medicin der Naturvölker. 19
290 XV. Die gi-osse Chirurgie.
während niaii z. B. von den Creeks und von den Winnebagos die ge-
schickte Handhabung derartiger Verbände rülunend liervorhebt, werden die
ihnen benachbarten Dacota als ungeschickt im Anlegen von Schienen
bezeichnet.
Die Schienen sind von Holz oder von Rinde, Letzteres z. B. bei den
Bilqula-Indianern. Einige Stämme lassen die Verletzten in dem Schienen-
verbande liegen, bis die Consolidation der gebrochenen Knochenenden er-
folgt ist. Die Heilresultate bei einigen nordamerikanischen Indianer-
Stämmen werden als nicht sehr günstige geschildert, weil sie es unter-
liessen, die nothwendige Extension anzuwenden.
Auch die Eingeborenen von Manahiki oder der Humphreys-Insel
verstehen sich auf das Anlegen von Schienenverbänden bei Knochenbrüchen,
und die Mincopies auf den Andamanen legen auch hierbei Blä,tter-
verbände au.
Die Winnebago-Indianer wagen sich aber sogar an die compli-
cirteu Fracturen heran. Diese sow^ohl, als auch die einfachen Knochen-
brüche bandagiren sie nach erfolgter Einrichtung mit Schienen, und sie binden
dann die Extremität in extendirter Lage fest. In dieser Verfassung muss
der Verletzte verbleiben, bis die Fragmente sich vereinigt haben.
Von den Hi ndu-Aerzten in Eadschputana berichtet Moore, dass
sie zwar die gebrochenen Glieder mit Bambusstücken schienen und banda-
giren, dass sie aber keine E.ej)Osition der verschobenen Fragmente vor-
nehmen und dass daher sehr häufig eine Unbrauchbarkeit des Gliedes entsteht.
Auch werden die Bandagen oft zu fest augelegt, und in Folge dessen sieht
man Druckgescliwüre gar nicht selten.
Die Eingeborenen der Insel N i a s bandagiren das gebrochene Glied
mit einem Baumwollenstoff oder mit dünn und weich gemachter Baumrinde.
Wenn Schmerzen eintreten oder Entzündung, so wird das Glied mit dem
ganzen Verbände zur Kühlung in einen fi'isch ausgehöhlten Bananenstamra
gelegt, welcher je nach Bedürfniss mehrmals gewechselt wird. Nach dem
Verlaufe von vier Wochen entfernen sie den V^erband, weil sie den Glauben
haben, dass in diesem Zeitraum die Heilung glücklich erfolgt sein müsse.
„Wenn dann das Glied von Neuem bricht, oder wenn der Patient lahm
bleibt, so wird die Schuld nicht dem Arzte zugeschrieben, denn, wie sie
sagen, wer kann sehen, was im Inneren eines Menschen vorgeht!"
Am originellsten und für uns überraschendsten ist unstreitig die Be-
handlungsmethode eines im Uebrigeu besonders tief stehenden Volkes, näm-
lich der Eingeborenen von Süd-Australien. Auch hier werden zwar von
einigen Stämmen die Fracturen geschient, aber bei einigen Anderen werden
die Glieder nach erfolgter Geradestreckung in eine Umhüllung von Thon
eingebettet. Dieser erhärtet dann und schützt die Bruchenden vor erneuter
Verschiebung.
Bei einem Knaben, welcher durch einen Sturz vom Pferde eine Fractur
des Kiefers erlitten hatte, bedeckten sie sein ganzes Gesicht mit einer dicken
Maske von Thon. Die Heilung war eine ausgezeichnete. In einem Falle
hatten sie einem verunglückten Manne den gebrochenen Schenkel mit
Schienen und Bandagen verbunden. Als sie ihn dann aber zu dem Lager
der Seinigen bringen wollten, nahmen sie ihm den Schienenverband al) und
122. Der Krankentransport.
291
ersetzten denselben durch solch einen Verband von erhärtendem Thon.
Auch hier war die Heilung eine vollkommene, ohne eine Spur von Diffor-
7iiität oder Lahmheit zurückzulassen.
133. Der Krankentransport.
Es wird vielleicht am passendsten sein, wenn wir ein dieser Stelle
gleich folgen lassen, was wir über den Krankentransport der Naturvölker
erfuhren, van Hasselt fand bei der niederländischen Expedition nach
Mittel-Sumatra für die Beförderung der Kranken und Verletzten Hänge-
matten im Gebrauch, welche meistens aus Baumrinde hergestellt werden.
Fig. 162. Kranken-Tragbahre der Dacota-Indianer.
Nach Schoolcraft.
Man benutzt dort aber auch einen besonderen Stuhl (Fig. 159), der nach Art
einer sogenannten Kraxen, wie sie bei uns in den Alpen gebräuchlich sind,
auf dem Rücken getragen wurde. Auf einem ähnlichen Stühlchen (Fig. 160)
wui'de auch ein sechsjähriger Knalle getragen, welcher angeblich durch den
Dämon Isjtanah vollständig lahm war. Der Stuhl hat eine kleine Lehne,
einen schmalen Sitz, und die schräg nach hinten gerichteten vorderen Füsse
stützen sich gegen die hinteren Füsse des Stuhles.
Von den Maori auf Xeu- Seeland wird eine Art Hängematte zum
Transporte benutzt, welche sie mit dem Namen Amoo (Fig. 161) be-
zeichnen. Sie hängt an zwei parallelen Tragestangen, welche auf den
Schultern der Träger ruhen und vorn und hinten durch ein Querholz ver-
bunden sind. Zu den Stangen benutzt man passende Baumäste, und das
Netzwerk der Hängematte improvisirt man aus dem wilden Flachs, welcher
19*
292 XV. Die grosse Chirurgie.
fest und haltbar ist, eine Höhe von mehreren Fuss erreicht und überall
wächst. Diese Tragen sind so practisch befunden , dass sie auch von den
Aveisseu Occupationstruppen adoptirt werden sind. Uebrigens gilt das
Letztere auch von den verschiedenen Arten der Hängematten und Trage-
einrichtuugen, wie sie im Himalaja und von den verschiedenen Stämmen
Indiens in i^nwendung gezogen werden.
Die Dacota- und Winnebago-Iudianer construiren für ihre Ver-
wundeten in sehr geschickter Weise Sänften (Fig. 1G2), und sie kommen
damit sclmeller zu Stande, als das bei den Weissen der Fall zu sein pflegt.
„Zu diesem Zwecke nehmen sie zwei Stangen, 4 oder 5 Fuss länger,
als die zu befördernde Person, und legen sie parallel auf die Erde 2 oder
3 Fuss von einander entfernt. Quer darül)er in passender Entfernung
werden zwei kurze Stangen gelegt, rechtwinklig zu den ersten und hier mit
ledernen Riemen festgebimden. lieber die Stangen wird ein Blanket oder
ein Büifelkleid gelegt, das ausgespannt und in gleicher Weise festgebunden
wii'd. Hierauf ^ard der Kranke gelagert. Zwei Tragriemen werden nun an
die Enden der langen Stangen gebimden, in der Weise, dass, wenn die Träger
zwischen ihnen stehen, die Mitte des Riemens fest oben auf ilirem Kopfe
liegt, und sie bequem mit den Händen die Enden der Stangen fassen können.
Wenn sie aufbrechen, so kauert sich eine Person an jedem Ende der Trage
nieder, und weim sie den Riemen über ihren Kopf gelegt haben, fassen sie
mit den Händen die Stangen und richten sich auf, wenn nöthig, von einigen
Beistehenden unterstützt, imd dann brechen sie auf und halten Schritt mit
einander, imd auf diese Weise werden Ki-anke und Yerwimdete manchmal
sicher ^^ele Meilen an einem Tage befördert in einer Gegend ohne irgend
einen Weg füi' Wagen oder Pferde." Bisweilen werden auch, wenn es das
Terrain ffestattet. die beiden Träger durch zwei Pferde ersetzt.
123. Amputationen.
Lassen sich die uucivihsirten Völker auch auf Amputationen ein? Das
ist eine Frage, deren Erörterung wir noch zu imtemehmen haben. Ueberall
dort, wo man ims berichtet, dass die Eingeborenen weder von der Behand-
lung schwerer Wunden, noch auch von einer Stillimg der Blutung irgend-
welche Ahnung besitzen, werden wir es nicht erwarten können, dass sie sich
an Amputationen wagen. Ja sogar von solchen Volksstämmen, welche in
Bezug auf ihr chirurgisches Können immerliin schon eine leidliche Ent-
wickelungsstufe erstiegen haben, wird es uns manchmal ausdrücklich berichtet,
dass sie Amputationen nicht imternehmen. So hören wir von den Creek-
Indianern, dass sie niemals amputiren. Das Gleiche gilt von den Winne-
bago-Indianern, und der Berichterstatter fügt hinzu: „Ihre Praxis lehrt,
dass die Amputation nicht immer nothwendig ist, wenn die weissen Chh'urgen
dieses erklären."
Den Dacota-Indianern wird nachgesagt, dass sie „selten" ein Glied
amputiren. Wir müssen hieraus die Folgerung ziehen, dass es doch bis-
weilen vorkommen muss.
Ein Insulaner der Loj^alitäts-Insel Uvea wollte sich von einem
Panaritium befreien. Er holte einen Meissel aus der Werkstatt, setzte ihn
123. Amputationen.
293
;iuf den Finger und Hess diu'ch einen Hamniersclilag sich von einem Freunde
den Finger aniputiren. Es musste eine Nachamputation gemacht werden.
Die Amputation der einen oder beider Hände wird, wie bekannt, bei
manchen Stämmen als eine Schartrichteroperation zum Zweck der Bestrafung
ausgefiüirt. Quedenfeldt berichtet, dass in solchen Fällen oft mit heissem
Pech die Blutung gestillt wird. "Wir hatten das oben bereits erwähnt.
AVahrscheiulich dürfen wir aber auch annehmen, dass in diesen Ländern,
Avo man hier und da den glücklichen Ausgang einer solchen Strafamputation
zu beobachten vermag, man wohl auch bei
Zerschmetterungen der Finger und Hände
ein ähnliches Yerftihren versuchen wird.
Corre sah einen Füll ah vom Rio
Nuiiez, dem man wegen Diebstahls die
Hand abgehackt hatte. Der Amputations-
stumpf war „tres regulier" und in voll-
kommenster Weise vernarbt.
Capello imd Ivens erzählen von ihrer
Reise in das Yacca -Gebiet von West-
Afrika, dass Fälle von amputirten Schenkeln
bei den Negern gewöhnlich waren, veran-
lasst durch die Zerstörungen, welche der
Sandfloh in ihren TJnterextremitäten hervor-
gebracht hatte. Die Schwarzen „hatten es
zugelassen, die Beute dieses schlimmen In-
sektes zu werden, so dass dann schliesslich
jegliche Behandlimg, abgesehen von der
Amputation, immöglich ist, weil der be-
fallene Theil buchstäblich von den Thieren
wimmelt". Es geht aus dieser Angabe nicht
mit Sicherheit hervor, wer denn nun die
Amputation ausgeführt hat; ob sie von den
Negern imternommen wurde, oder ob die
armen Leute von Europäern amputirt
Avorden sind.
Krücken und prothetische Apparate sind
im Ganzen wohl den Naturvölkern unbekannt.
Wir haben ja schon gehört, dass das lahme
Kindchen in Mittel- Sumatra auf einer
stuhlfönnigen Trage auf dem Rücken beiör-
dert wurde; Krücken oder stützende Stöcke
scheint dasselbe nicht besessen zu haben.
Bei den Buschnegern in Guyana traf Crevaux ein Kind und ein
junges Mädchen, welche beide lahm waren in Folge einer Hüftgelenks-
entzündung. Auch hier war der Gebrauch der Krücken unbekannt; die
Kranken schleppten sich mühsam Aveiter, indem sie sich mit einem grossen
Stocke stützten.
Pallas hat bei den Sagajern am grossen Syr von einem berühmten
Schamanen in Erfahrung gel)racht, dass ihm die Geister schon den einen
Fuss unbrauchbar gemaclit hätten. Er sollte aber im Stande sein, „mit
Fig. 163. Fetisch vou Beiiguela (Cen-
tral-Afrika) mit einem Nabelbruch.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin.
Nach Photographie.
294 XV. Die grosse Chirurgie. I
soinom hölzernen Fasse die besten Zauberspifuigc zu verrichten". Es ist
im liöchsten Grade bedauerhch, dass die von Fallas abgeschickten Boten
d(^n AVnndennann nicht zn Hause trafen. Er hatte sich jedenfalls aus dem
Staube gemaclit. um vor Pallas nicht seine Zaid)erkünste zeigen zu müssen.
"Wir kommen aber dadui'ch um die INIöglichkeit. über die gewiss recht interes-
santen Einzelheiten dieses »Stelzfusses etwas (genaueres in Erfahrung zu
bringen.
134. Die Bruclischädcn.
Von den Unterleibsbrüchen stehen bei den Naturvölkern in Bezug auf
ihre Anzahl und Verbreitung die Nabelbrüche bei "Weitem obenan. Es liängt
dieses mit der Art zusammen. Avie der Nabelstrang von dem Kinde getrennt
wird und wie die Mütter und die helfenden AVeiber nachher mit dem Nalx'l
Fig. 164. Bruchband, Marokko. Aeussere Ansicht.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin. — Nach Photographie.
des Kindes verfahren. Ausführliches über dieses Thema findet man in
meinem mehrfach citirten "Werke zusammengestellt. Namentlich sind es die
afrikanischen Völker, bei welchen grosse Nabelbrüche zu den ganz alltäg-
lichen Erscheinungen gehören. Dieses ist ihnen so zum Bewusstsein ge-
kommen, dass sie sehr häufig sogar ihre in Holz geschnitzten Fetischfiguren
(Fig. 1G3) mit einer grossen Nabelhernie darstellen. Das gilt für viele
ihrer weiblichen Figuren sowohl, als auch für männliche. Es muss daher
bei uns die Vermuthung erw(^cken, dass sie solch einen Nabelbruch entweder
für eine grosse körperliche Schönheit ansehen, oder dass sie ihn sogar als
zur normalen mensciilichen Form geh()rig betrachten.
Hiernach lässt es sich wohl begreifen, dass von Schutz Vorrichtungen
«xler von Maassnahmen, um einer allmählichen Wrgrösserung der Nabel-
brüche zuvorzukommen, bei diesen Volksstämmen nirgends die Rede ist
Allerdings ist mir abei- auch keine Angabe bekannt, dass bei dieser Art
der Missbildungen bedrohliche Erscheinungen gesehen worden wären.
124. Die Bruchscliäden.
295
Was die Leiste iil)rüclie aubetriÖt. so ist von diesen nur selten die Rede.
In Harrär haben sie ein Medikament, Avelches den Namen Martäss führt
nnd ..zerstossen, mit Eindssuppe genossen, gegen den Leistenbruch" gebnuicht
wird. Auf der Lisel Bali behandeln die Siiecialärzte für Bauchkrankheiten
auch die Leistenbrüche mit ilii'er Massage.
Gefährlicher ist schon ein Eingriff, dessen Endergebniss Moore bei einem
Inder in Radschputana sah. Der einheimische Arzt hatte ihm das Glüh-
t'isen auf einen eiugekleuiuiten Leistenbruch gesetzt, sicherlich ohne irgend
welche Ahnung von dem Wesen der Erkrankung zu lial)en.
Ein Eingeborener der Loyalitäts -Insel Uvea operirte sich selbst
eine Schenkelhemie. Er ging an dieser Operation zu Grunde.
Von den Indianer-Stämmen der Vereinigten Staaten g\ehi School-
craft an. dass sie bei einer Kinkleiiiimnig der Leistenbrüche allerdings rathlos
Fig. 165. Bruchband, Marokko. Innere Ansicht.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin. — Nach Photographie.
daständen, für die nicht eingeklemmten Brüche al)er fertigen sie eine Bandage,
welche den Bruch zurückdrängt imd in der That eine wirksame Hülfe leistet.
Ein sclion ziemlich vollkommenes imd ganz sinnreich constrmrtes Bruch-
band hat Quedenfeldt aus Marokko mitgebracht.
Aelmlich wie bei unseren Bruchbändern geht eine mit rothein Leder
überzogene Feder im Halbkreis um die eine Körperhälfte; ein langer Riemen
an dem hinteren Ende und eine Schnalle an dem vorderen gestatten es. den
Verschluss zu vollenden. Am vorderen Ende der Feder ist ein Zahnrad,
gegen welches ein vertikaler Stab sich anstennnt. Er trägt an seinem untei'en
Ende die Mitte eines horizontalen Eisenstabes, mid an den freien Enden
des Letzteren sitzt wiederum ein verticaler Stab, der unten die Pelotte
trägt. Dieses System von Stäben mit den l)eiden Pelotten ei-innert in der
Form an eine kleine Waage mit aufgekippten Wiegeschalen. Die Pelotten
29(3 XV. Die grosse Chirurgie.
bilden flache Kugelschaleii mul sind cljeiifalls mit rothein Leder bekleidet.
Das Bruchl)an(l ist für nnou doppelseitigen Leistenbruch bestimmt (Fig. 164
und 1G5).
125. Operationen an den niäunliehen Harn- und Oeschlcchtsorganen.
Blutige Oi)eratiüiU'n an den niännliclicn (jcsclilechtstheilen werden seit
uralten Zeiten ausgeführt. Von den leichteren derselben, den Beschnei-
dungen u. s. ^\^., haben wir früher bereits g('s])r()chen. Ei'innert soll hier
auch nur werden, ohne dass wir näher auf den Gegenstand eingehen, an die
bei orientahschen Völkern so weit verbreitete Castration.
Die Castration führen übrigens auch die Eingeborenen von Tahiti,
Samoa, Tonga und den Loyalitäts- Inseln aus zur Beseitigung der
Hydrocele imd zur Behandlung von Hodenentzihidungen.
Einer näheren Betrachtung müssen wir aber einige andere Operationen
unterziehen. Wir nennen hier zuerst die Lithotomie.
Die Steinbeschwerden sind einzelnen der uncivilisirten Völker wohl-
bekannt. Lnter dem Heilscliatze der Asclianti befindet sich nach Bowditch
das Neeöndoo, „die Arzney, die sie am höchsten halten. Vier Nüsse
wachsen in emer Hülse auf einem sehr grossen Baum vom härtesten Holze;
sie werden begierig gekauft, da sie nur an den Grenzen von Empoöngwa
wachsen, und die mit dem Steine Behafteten gebrauchen sie mit vielem
Erfolge".
Nach Fleming Carroiv wird von den Chinesen gegen die Stein-
beschwerden die Moxa oder das Glüheisen angewendet. In Laos fand Bock
eine grosse Anzahl von Steinki-anlvcn, er unterlässt es jedoch, anzugeben, wie
man ihre Beschwerden zu lindem sucht. Auch in Indien kommt der Blasen-
stein in einer ganz erstaunlichen Häufigkeit vor. Jetzt suchen die Inder in
nelen Fällen in den Eegieruugshospitälem Hülfe, und dass der Beistand der
einheimischen Aerzte nicht immer ein sehr befriedigender ist, das beweisen
Fälle, wie sie Moore in üadschputana gesehen hat, wo schliesslich der in
den Blasenhals eingekeilte Blasenstein aus einem Abscess am Damm sich
entleerte. Eine Reihe der einheimischen Aerzte wagt sich aber auch an
den »Steinschnitt heran. Es sind dieses meistens Specialisten, älmlich yäe
die europäischen Steinschneider fi^üherer Jahrhunderte. Auch ihre Opera-
tiousmethode scheint im x\llgemeinen die gleiche zu sein. Ein Finger wird
in den After geführt und vom Mastdarm aus der Stein fest gegen das
Perinäum angedrückt, bis sich dort eine Eihöhung hervorwölben lässt. Daim
wii'd mit einem gewöhnlichen Rasirmesser ein tiefer Einschnitt in den Damm
gemacht, bis auch die Wände der Harnblase durchtrennt sind, imd danach
wird der Stein mit einer Zange entfernt.
Die Aelmhclilveit zwischen diesen indischen Lithotomisten und den
alten Steinsclmeidern Europas wird durch den Umstand noch erhöht, dass
auch die Ersteren, Praxis suchend, im Lande umherziehen. Uebrigens haben
sie nach der Angabe von Keelan in Hyderabad auch innerhche Mittel
gegen den Stein. Unter diesen Medicamenten, Avelchen man die Fähigkeit
zuschreibt, die Steine innerhalb der Harnblase aufzulösen, spielen gei)ulverte
Perlen eine hervorragende Eolle. Diese, sowie auch werthvoUe Steine werden
125. Operationen an den männlichen Harn- und Geschlechtsorganen. 297
in Gegenwart der Patienten zerstossen imd. dem einzelnen Fall entsprechend,
iJmen darauf eingegeben. Diese kostbare ]\Iedicin nehmen sie mit vollem
Vertrauen ein.
Unter den Matakau- oder Yerbotszeichen von der Insel Serang findet
sich auch eins (Fig. 16G), das demjenigen, Avelcher das Verbot übertritt, ein
Bluturiniren anzaul)eni soll. Es giebt ja nun bekanntlich allerdings gewisse
Malaria-Erkraukuugen , bei welchen blutiger Uiin gelassen wird. Hierher
gehört das namenthch an der Goldküste Afrikas sehr geAvöhnhche Black-
wate r-Fever. Aber bei unserem Matakau ist doch höchst Avahrscheinlich an
Steinbescliwerden gedacht worden. Es b<^steht aus einem horizontalen Holzstück,
auf welchem, von Domen oder Spähnclieu getragen, fimf ringförmig zusammen-
gerollte Blätter sich finden. Die Blattstreifen sind aber derartig zusammen-
gebogen, dass sie in eine vordere Spitze auslaufen. Wie ich vermuthe. soll
jedes Blatt einen spitzen Blasenstein repräseutireu. dessen Spitze die Schleim-
haut verletzen und die Blutung hervorrufen soll.
Eine eigenthümhche Operation an den mämilichen Genitalien wird uns
\()n V. MiJclucho-Maclai/ imd einigen Anderen berichtet. Sie ist bisher eine
unbestrittene Domäne gewisser Stämme von Australien und Avird im All-
gemeinen mit dem Namen jNIika, von dem am Coopers Creek wolmenden
Dieyerie-Stamme mit dem Namen Kulpi
bezeichnet. Sie besteht in einer vollständigen
Aufschlitzimg der Hanu'ölu'e auf der Untei'-
seite des Penis, von dem Orificium cutaneum
in der Eichel bis zu dem Hodensack hin-
Diese absonderliche Operation wird bei fast
allen Jünglingen der betreffenden Stämme
1 • \ u "ir Fig. 166. Verbotszeichen von Serangr,
vorgenommen und zwar un Alter von zwölf ^^- ^^^ Uebertreter Blutharnen ver^
bis Aäerzehn Jahi'en. Wenigstens hat man ursacht.
gerade Knaben dieses Alters mit noch ent- Nach Riedel.
zündeten oder fiisch vernarbten Wunden ge-
sehen. Nach überstandener Operation dürfen sie wie die erwachsenen Männer
ohne das bei KJnaben übliche Schamtuch umlier gehen.
Nach Taplin wird die Operation in folgender Weise ausgeführt. Ein
passend gearbeiteter Känguru-Knochen (vom Walibi) wii^d in die Harm'öhre
eingeführt bis zum Ansätze des Scrotum, und dann wird er hier so hervor-
gedrängt, dass er durch die Weichtheile zu Tage tritt. Schliesslich nimmt
darauf der Operateur die Aufschlitzung mit einem Steinmesser vor. Nach
einem anderen Berichte wird der Einschnitt auch ohne die Leitimgssonde
.lusgefühi't; es wird jedoch dazu der Penis auf ein Stück Baumrinde auf-
gelegt. Die Nasims am Golf von Carpentaria sollen sich zum Operiren
ausser des Quarzsplitters auch Avohl einer scharfen Muschel becüenen. v. Mik-
lucho-Maclaij Inldet ein zur jMika-Operation dienendes Messer von den Ein-
geborenen am Herbert-Flusse ab. .,Dasselbe ist ein Quarzitsphtter mit
einem Stiel, Avelcher aus dem (durch Fettzusatz) gehärteten Safte des Gras-
baumes (Xanthorrhoea) hergestellt ist" (Fig. 167). Bei den Dieyerie wird
gleich nach der 0]){M'ation ein Baumrindenstück so auf der Wunde befestigt,
dass sie sich Jiiclit wieder schliessen kann. Die Nasims legen ein Stöckchen
oder einen dünnen KJnochen in die frische Wunde, um sie an sofortiger Ver--
klebunc: zu hindern.
298
XA'. Die grosse Chirurgie.
IcIxT die Wirkung dieser Harnrcihienspaltuug erfahren wir dann noch
Folgendes. Die Urethra liihlet nun natürlich keine Eöhi-e. sondern nur eine
flache TJiinie auf der T^nters(Mte des Gliedes. I"nd die äussere Oeffnung der
Haiiir(ihi'e lietindet sich hart vor dem Hodensack. Der Urin wird wie von
den australischen AVeihern mit breitgestellten Beinen im Stehen entleert.
..Wenn die Wunde geheilt ist. erscheint (bei den Nasims) der Penis sehr
zusammengt^zogen. und hat iin coUabnten Zustande das Aussehen eines
grossen Knopfes.'' *) ..Bei dei' Erection soll der o])erirte Penis sehr breit und
flach werden und das Sperma bei der Ejacnlation ausserhalb der Vagina
ausfliessen." Was mit dieser Operation bezweckt wird, lässt sich aus letzterer
Angabe ersehen. Es handelt sich wohl zweifellos um eine Beschränkung der
Nachkommenschaft, und die Eingeborenen vom Hei'bert-Elusse geben dies
auch ohne AVeiteres als den Bew^eggrund hierfür an. Die Stämme vom Port
Lincoln sagen allerdings, dass sie es nur tliäten,
weil ihre Väter es so gemacht hätten. Aber auch
die Nasim-AVeibei- bestätigen, dass solche Män-
ner sie nicht zu befruchten vermöchten.
Es ist nun sehr bemerkensw^erth, dass einzehie
Alänner im Stamme ausgespart Averden, denen der
Penis nicht verstümmelt ist. Im Allgemeinen
scheinen dieses besonders klüftige Leute zu sein.
Nur bei den Nasim ist es umgekehrt: „Es
scheint, dass die stärksten jungen Leute vorzugs-
Aveise für die Operation gewählt werden, welche
Wahl bei diesem Stamme als eine Ehre angesehen
Avird." Allerdings giebt der Berichterstatter an,
dass sie von den AVeibern bevorzugt Averden.
Wenn nun auch die Eingeborenen Austra-
liens, soAveit bis jetzt unsere Nachrichten reichen,
mit dieser kosmetischen, oder, wenn man will, mit
dieser nationalökonomischen Operation, eine völhg
isolirte Stellung einnehmen, so gilt doch nicht das
Gleiche auch von der Urethrotomia externa
überhaupt. Für diese ward uns eine Analogie
von Karl von den Steinen mitgetheilt. Bei seiner
Xingu -Expedition in Brasilien traf er bei den Bakairi im Wasser
Candirüs. d. h. ..ein hier 2 cm langes transparentes Fischchen mit gelber
Iris, das gern in die ihm zugänghchen Körperhöhlen eindringt. AVenn das-
selbe, wie häufig vorkommen soll, in die Urethra schlüpft, ist die Lage Avegen
der gleich Haken sich in die Schleimhaut einbohrenden Flossen sehr laitisch ;
gehngt es nicht durch ein warmes Bad den Störenhied herauszuschaffen,
bleibt nui' die Operation übrig. Es soll sich der Sertanejo alsdaim auch
nicht besinnen, die Urethrotomie auszuführen und in vielen Fällen an diesem
lieroischen AVrfaliren zu Grunde gehen.'*
Fig. 167. Steiamesser der
Australneger vom Her-
bert-Fluss für die Mika-
Operation.
Aus Zeitschr. f. Ethnologie.
Bd XIV.
*) Die sehr gute Photogi'aphie eines solchen Operirten hat kürzlich die
Berliner anthropologische Gesellschaft von Herrn JB. H. Pur cell in Melbourne
erhalten.
126. Operationen am Halse und Trepanationen.
299
126. Operationen am Halse und Trepanationen.
Die Operationen au dem Halse würde ich uiclit mit in das Bereich
dieser Besprechuiigeu gezogen haben, wenn nicht gerade von ihnen ein paar
interessante Beis])iek^ genu4det würden. Der Eine wurde in Persien PolaJc
von einem emheimischen Chirurgen mitgetheilt. Der Letztere fand bei einem
Patienten am Halse eine grosse Anschwelhmg. Er wollte den Mann davon
befreien, aber schon nach den allerersten Schnitten trat eine profuse Blutimg
ein. Nun erst durchschaute ei' den Ernst der Situation. Er erklärte dem
Fig. 168. Eiserner Haken Fig. 169. Eiserner Haken und Fig. 170. Hohlmeisselartiges
für Halsoperationen, Spatel für Halsoperationen, Instrument f. Haisoperationen.
Haussa. Haussa Haussa.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin. — Nach Photographie.
Patienten imd dessen Angehörigen, dass er eiligst nach seinem Hause müsse,
um noch einige Instrumente zur Blutstilkmg zu holen. Er eilte ibii: imd
floh aus der Stadt, den Kranken seinem Schicksal ül)erlassend.
Man kann aus dieser Geschichte ersehen, wie ausserordentlich wenig
i die persischen Chirargen von der Gefährlichkeit solcher Operationen am
Halse wissen. Wahrscheinlich hat unser Operateur sich die Verhältnisse
' vorgestellt ungefähr wie bei einem Blutgeschwür.
Da scheinen die Medicin-IVIänner der Fullah im Gebiete des Rio
Nunez doch einen bedeutend hciheren Grad von Geschicklichkeit zu be-
300 XV. Die grosse Chirurgie.
sitzeu. Dieselben l)ekämi)feu die so äusserst gefährliche Schlafkrankheit
durch eine Ausschälung der geschwollenen Drüsen am Halse. Corre hat
solch einen Füll ah gesehen, der die Operation in seiner Kindheit durch-
gemacht hatte. Er zeigte an jeder Seite des Halses eine Narbe von ausser-
ordenthcher Grösse.
Unter den chirurgischen Tnstrunieuten, Avelehc Robert Flegel von den
Haussa mitgebracht hat. betinden sich auch einige, Avelche bei einer Hals-
krankheit in Anwendung kommeUj die mit dem Namen Beli bezeiclmet wird.
Sie soll unserer Bräime ähnlich sein und es sollen mit den Instrumenten
schleimige Haute aus dem Halse herausgeholt werden. Es sind zwei kleine
eiserne Haken (Fig. 168, 109), deren unigebogcMies Ende aus einem flachen
Eisenstück bestellt; feiner gehört dazu ein spatelähnliches Instrument (Fig. 169),
das ^delleicht zum Niederhalten der Zimge benutzt wird. Das vierte Stück end-
lich erinnert an einen Hohlmeissel (Fig. 170), an dessen gedi-ehtem Stiel eine
kleine Schelle hängt, nebst ein Paar kleinen Ringen. Ein Zeugstreifen ist
um den Stiel gebunden. Diese Instrumente gehören in ein kleines wurst-
förmiges Besteck von Leder (Fig. 171).
Als oben von den Ejiochenbrüchen die Bede war, hatten wir bereits
den Fall berichtet von dem Indianer, welclieni nach einer Verletzung durch
Fig. 171. Lederfutteral für ein chirurgisches Besteck der Haussa.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin. — Nach Photographie.
einen Grizzly-Bären Knochensplitter aus dein Gehirn gezogen wui'den. Es
ist das ja nicht eigentlich eine Trepanation, sondern eine Operation, wie die
Noth sie vorschrieb.
Aber auch von wahren Trepanationen hegen uns genaue Be-
lichte vor. Samuel Ella lebte lange Zeit unter den Eingeborenen der
Loyalitäts-Insel Uvea, welche sich noch in der Steinzeit befinden, deren
Culturstufe also ungefähi- derjenigen entspricht, auf welcher einst die Euro-
päer während der neolithi sehen Periode standen. Ella schi-eibt nun von
den Uvea-Insulanern: ..Eine wahrhaft überraschende Operation wird hier
ausgefülu-t. Hier herrscht die Ansicht, dass Koi)fschmerz, Neiu'algie, Schwindel
imd andere Gehimaflectionen durch einen Spalt im Kopfe oder durch Druck
des Schädels auf das Gehirn verursacht würden. Das Heilmittel hierfür
besteht darin, dass sie die Weichtheile des Kopfes mit einem — |— - oder "j"-
Schnitte dm-chtrennen und mit einem Stück Glas den Schädel sorgfältig und
liehutsam schaben, bis sie in den Knochen in ungefährer Ausdehnung eines
Kronenstückes ein Loch bis auf die Dura niater gemacht haben. Manchmal
wird die Schabe-Operation durch einen uugescliickten Operateur oder in
Folge der Ungeduld der Freunde bis auf die Pia mater ausgedehnt, und
dann ist der Tod des Patienten die Folge."
126. Operationen am Halse und Trepanationen.
301
.,Im besten Falle stirbt die Hälfte von denen, die sich dieser Operation
unterziehen; jedoch ist aus Aberglauben und Sitte dieser barbarische Ge-
brauch so heiTschend geworden, dass nur sehr wenige erwachsene
JNIänner ohne dieses Loch im Schädel sind. Es ist mir berichtet
worden, dass bisweilen der Versuch gemacht würde, die so exponirten Mem-
branen im Schädel durch das Einsetzen eines Stückes Cocosnussschale imtei-
die Kopfhaut zu decken. Für diesen Zweck wählen sie ein sehr dauer-
haftes und hartes Stück der Schale, von dem sie die weichen Theile ab-
schaben und es ganz glatt schleifen, und sie bringen dann eine Platte hiervon
zwischen die Kopfhaut imd den Schädel." ,
„Früher war das Trepanations-Iiistrument einfach ein Haifischzahn, jetzt
wird aber ein Stück zerbrochenes Glas für geeigneter angesehen. Die für
gewöhnhch gewählte Stelle des
Schädels ist die Gegend, wo die
Sagittalnaht mit der Ki^anznaht
sich verbindet, oder etwas weiter
oben, gemäss der Amiahme, dass
hier ein Schädelbruch bestehe."
Diese interessante Angabe
wird auch von George Turner
bestätigt. Er sagt: „Auf Uea
bestand die Behandlung von Kopf-
schmerzen darin, den Schmerz aus
der Höhe des Kopfes durch folgen-
den schreckhchen chirurgischen
Eingrifi" herauszulassen. Die Kopf-
haut wurde aufgeschlitzt und um-
geschlagen und der Schädelkno-
chen mit einer feinschneidigen
Muschel durchgeschabt, bis die
Dura mater erreicht war. Man
duldete nur den Austritt von
sehr wenig Blut. In manchen
Fällen wurde die geschabte Oeff-
uung mit einem dünnen Stück
Cocosnussschale bedeckt; anderen-
falls wurde die dui'chschnittene
Kopfhaut einfach an ihre alte Stelle gebracht. Diese Cur hatte manch-
mal den Tod, meistens aber Heilung zm* Folge. Dieses IVIittel gegen Kopf-
schmerzen hatte eine solche Ausbreitung erlangt, dass die scharfspitzigen
Keulen ganz eigens zu dem Zweck gefertigt wurden, um diese weiche Stelle
auf der Höhe des Kopfes zu treffen und den unmittelliaren Tod zu ver-
ursachen."
Da diese Notiz von Turner sich in seinem Werke über Sani oa befindet,
so ist dui'ch unvollständiges Citiren verbreitet worden, dass auch bei den
Samoanern solche Trepanationen gebräuchlich wären. Das ist nicht der
Fall und es handelt sich hier ehifach um eine Verwechselung.
Wenn wir nun hören, dass die Medicin-^Nfänner der Uvea- Insulaner
von ihren in so primitiver Weise Operirten noch die Hälfte am Leben er-
Fig. 172. Trepanirter Schädel einer Mumie aus
Neu-Caledonien.
Sammlung TJmlauff, Hamburg. — Nach Photographie.
302 XV. Die ^i-Dsse Chirurgie.
luilteu, st) kann uns ilicses ausgezeiclincti' Resultat iiiclit geuu}^ mit Be-
wunderung erfüllen. Denn fragen wir, was bei den civilisirlen Völkern iu
den Händen der geschicktesten Opei'ateure die ^Prepanation fiii- Erfolge bot,.
i)evor die Einführung dei' antiseptischen ^Nfethode die Wundeiterungen aus-
zuschliessen vermochte, so fällt der Verghnch im höchsten (Irade ungünstig
für die Culturvölker aus. Der berühmte Dieffenhach schreibt in seiner ..opera-
tiven Ohirurgie (11. 17):
..Seit vielen Jahren hal)e ich die l\ej)anation mehr gescheuet, als
<lie Kopfverletzungen, welche mir vorkamen; sie ist mir in den meisten
Fällen als ein sicheres INlittel erschienen, den Kranken umzubringen, und
unter den vielen Hundei'ten von Kopfverletzungen, bei welchen ich nicht
trepauirte, wäre der Ausgang, während ich so nui' verhältnissmässig wenige
Kranke verlor, wahrscheinlich bei einer grösseren Zalil ungünstig gewesen,
wenn ich in der Trepanation ein Heilmittel zu linden geglaubt hätte. In
früheren Jahren, avo ich nach empfangenen Grundsätzen vielfach trepauirte,
war der Tod bei Weitem in der Älehrzahl d(M- Fälle der Ausgang."
in dem Besitze des Herrn Umlauff' in Hamburg befindet sich die
Mumie eines Neu-Caledoniers (Fig. 172), welcher einer Trepanation er-
legen ist. Ich schliesse dieses aus dem Umstände, dass die Operation nicht
ganz vollendet wurde. AN^dirscheinlich also starb der Patient unter den
Händen seiner Operateure. Dass er die Operation nicht überlebte, zeigt
auch der Mangel jeglicher entzündlichen Reaction au den Rändern der
Knochenwunde; und dass es nicht eine Trepanation sein kann, die man an
eintMU eben Verstorbenen ausführte, etwa um der Seele einen Ausweg zu
schaffen, das wird wiederum dadurch bewiesen, dass die Operation unvoll-
endet blieb. Denn wenn der Mann bereits eine Leiche war, so ist es natür-
lich nicht einzusehen, warum man die Operation nicht zu Ende führte.
Die Trepanatiouswunde hat ihren Sitz auf der Höhe des rechten Stirnbeins,
ungefähr entsprechend dem Tuber frontale. Sie bildet eine fast kreisrimde
Oefftiung von der ungefähren Gröss(> eines grossen Zwauzigpfemiigstücks.
Der Knochen ist in senkrechter Richtung durchschnitten, doch man erkennt
deutlich an den Rändern dei' Knochenwunde, dass nicht ein circulär schneiden-
des Instrument, ähnlich einer Trei)ankrone. den Knochen durchtrennte, sondern
dass diese Durchschneidung freihändig mit kui'zen Zügen stattgehabt hatte.
Diese immerhin nicht kleine Oefthung ist dem Oi)erateur nun sicherhch
nicht als vollkommen hinreichend erschienen, deim er hat den Versuch ge-
macht, dieselbe noch nach hinten zu vergrössem. Mtm sieht, dass er um
ein halbmondförmiges Stück die Tre])anationsöffiiung noch erweitern wollte.
Der Schädel war schon so tief eingeschnitten, dass man die Form und Aus-
dehnung der Nacho])eration ganz klar und deutlich erkennen kann; aber die
Schnitte sind noch nicht durch die ganze Dicke des Schädels gegangen und
so haftet das umschnittene Stück noch unverrückt an seinem ursprünglichen
Platze. Nur an der lateralen Spitze durchsetzt der Schnitt schon die ganz(^
Dicke des Knochens, imd von dem für die Entfernung bestimmten Stück ist
die äussere Knochenlamelle heruntergesprengt.
Die Trepanationen des Schädels gehören zu den allerältesten Opera-
tionen der Menschheit. An verschiedenen Stellen Europas haben sich
unter Skeletten der neolithischen Periode, der sogen;uniten jüngeren Stein-
zeit, mehrfach Schädel vorgefunden, welche ohne allen Zweifel trepanirt
12(i. Operationen am Halse und Trepanationen.
303
Avorden waren. Audi die lierausgesclmittenen Kiiocheiischeiben hat initii
wiederholeutlich entdeckt, nnd es konnte nachgewiesen werden, dass dieselben
;ils Amulete getragen worden sind. Als den Entdecker dieser Thatsache
müssen wir Prunieres bezeichnen; ganz eingehend ist dieselbe darauf von
Faul Broca studirt. Ein Theil der Schädel war ganz bestimmt erst nach
dem Tode der Trepanation unterworlen worden, bei anderen aber bewies
deutliche Veiiiarbuug an den Jiändern des kiuisthchen »Schädeldefektes, dass
die alten Chirurgen der Steinzeit nicht nur am Lebenden operirt hatten,
sondern auch dass der Patient die Operation auf lange Zeit überlebte. Auf
die hypothetischen Erörterungen, wai'um man zu thesen Operationen schritt,
können wir hier nicht näher eingehen. Sie sind in der Abhandlung von Till-
manns in l)equeniei- Weise zusammengestellt woi'den. Als eine Regel wird
Fig. 173. Trepanirter Peruaner-Schädel, Pisac.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin. — Nach Photographie.
es bei diesen prähistoiischen Trepanationen hingestellt, dass sie niemals im
Stirnbein ihren Sitz haben.
Bei dem oben erwähnten Neu-Caledonier der Sammlimg ümlau/f'
sass aber, wie sich der Leser erinnern wird, die Trepanationsööiiimg gerade
im Stiiiibein; und diis Gleiche hatte Statt an einem alten Peruaner-Schädel
;ius einem präcolumbischen Ciräberfelde in Yucay, welcher von Squier
abgebildet wurde. Die Form der Trepanatious-Wimde ist hier eine un-
gewöhnliche und Squier stellt die Vermuthimg auf, dass diese Operation mit
einem Meissel ausgeführt worden sei. Man sieht auf dem reciiten Stimbehi
dieses Schädels zwei Paar pai'allele Linien, welche sich rechtwinklig schneiden.
Sie sind tief in den Ejiochen eingedrimgen und das kleine, quadratische Feld,
das sie uraschliessen, ist aus der ganzen Dicke des Schädels entfernt. Das
304 XV. Die gx'osse ('hirurgie.
Präpjiiat hat Nelaton voigelegeu. Derselbe gab seine Ansieht dahin ab. dass
der Operirte die Trei)anation \nu imgefähr 14 Tage überlebt haben müsse.
Dem Mnseum für A'^ölkerkunde in Berlin ist dnich Hettner aus
einem alten Grabe von Pisac in Peru eltcntalls ein trej)anirter Schädel
(Fig. 173) zugegangen. Die grosse Trepmiati(msöftiumg hat in der Seiten-
fläche des linken Stiiiibeins ihren Sitz; mit ihrem hinteren Rande greift sie
sogar noch ein ganz klein Wenig in das linke Scheitelbein hinein, da der
untere Theil der Sutura coronaria mit hinweggenomnien Avurde. Der untere
Rand liegt nur ganz wenig oberhalb der oberen Grenze der Schläfenbein-
schu])pe, und von dem grossen Keilbeinflügel ist das oberste Ende noch mit
entfenit.
Die Form der Knochenwimde lässt es vermuthen, dass, ganz älmUch
wie bei dem Neu-Caledonier-Schädel, der Oi)erateur es für nöthig ge-
halten hat, die Trepanationsöfiinmg nachträglich noch um ein gewisses Stück
zu vcrgrössern. Das primär tre])anirte Stück, dem hinteren Theile der Wimde
entsprechend, hatte nahezu die Form eines Quadi'ats, dessen obere Seite etwas
convex ist. Bei einer Länge von 28 mm hat sie eine Höhe von 26 mm.
Dieses ausgeschnittene Stück hat nun sicherlich nicht ausgereicht, um
den angestrebten Zweck zu erfüllen, mid so hat dann der Operateur die
Wmide nach vora um ein mii'egc^mässig dreiseitiges Feld vergrössei"t. Dabei
ist die obere vordere Ecke des ursprimglichen Quadrates als ein in die
Knochenöfiiiimg einspringender Yorsprung stehen geblieben, imd er legt nun
Zeugniss ab für diese nachträghche Erweiterimg der Wimde. Das secimdär
entfernte Ejiochenstück hatte an seinem hinteren Rande eine Höhe von 17 mm,
wähi'end es vorn nur 8 mm hoch war; seine Llhige betrug 9 mm. Somit
hat also der gesammte künstliche Knochendefect eine Länge von 37 mm.
An der operirten Stelle ist der Schädel sehr dünn gewesen, was die Operation
ohne Zweifel nicht imwesenthch erleichtert hat. Mit was lür einem Instru-
mente dieselbe vorgenommen wurde, das lässt sich aus der Knochenwunde
nicht ersehen. Aber darüber kann kein Zweifel herrschen, dass der Operii'te
die Trepanation giückhch überstanden hat imd dass er lange Zeit nach der-
selben, wahrscheinlich Jahre laug hinterher, sich noch am Leben befunden
hat. Das lehren deutlich die Ränder der Knochenwimde, welche vollständig
übemarbt und mit neuer Knochenrindensubstanz bedeckt sind, welche die
Ränder wie zugeschärft erscheinen lässt. Nur der dem grossen Keilbeinflügel
angehörende Theil zeigt eine massige ostitische Verdickung. Auch die den
Rändern benachbarten Knochentheile lassen die Reste entzündlicher Reaction
erkemien. Dieses Reactionsfeld hat nach vom eine Ausdelmimg von 3 mm,
nach imten eine von 5 — 6 mm, und am oberen Rande begleitet es die Wunde
in der Ausdehnimg eines ganzen Centimeters.
Wir hatten oben von den Trepanationen der Uvea-Ius ulaner Bericht er-
stattet. Dieselben trep^miren aber ausser dem Schädel auch noch die Extre-
mitätenknochen. Auch hierüber erfahren wir Näheres durch iJ/?a. Derselbe
sagt von diesen Eingeborenen der Loyalitäts-Inselu: „Dieses Mittel der
Ejiochenausschabimg wird bei dem alten Volke in. ähnlicher Weise bei Rheuma-
tismus angewendet. Die Haut wird in der Längsrichtung eingeschnitten und
darauf die Mitte der Ulna oder des Schienbeins blossgelegt. Dann Avird die
Oberfläche des Knochens mit Glas geschabt, bis ein grosses Stück der äusseren
Ijamelle entfenit ist."
-7^
12 (. Der Bauchschnitt oder die Laparotomien. 305
Wir sehen, dass es an chirm^gischeni ]Muth diesen Xaturkindeni nicht
gebricht, imd immer muss es ims mit Bewimdermig enüUen, dass solche Avahr-
hch kühnen Eingriffe doch schhessKch noch zu Heilimgen führen. Allerdings
wird der angestreifte Zweck nur imvollkonnnen oder gar nicht erreicht. Denn
Ella sagt: „Ich hal)e niemals Jemanden gefunden, der sich dieser Operation
unterzogen hatte, welcher angegeben hätte, dass sie in der angestrel)ten Ab-
sicht wirksam gewesen sei. Sie Avaren rhemnatisch gebheben mid litten
ausserdem noch grosse Pein durch die im Verlaufe des Vernarb migsprocesses
zu Stande kommende Fixirmig der Haut an den Knochen."
137. Der Bauchschnitt oder die Laparotomien.
Sogar an das Aufschneiden des Leibes, an die Lai)aroton)4en, wagen
sich die Natiu'völker heran. Bancroft berichtet von einem Onkanagan-
Indianer, den sein Gewähi'smami operiren sah. Es wm'de ihm mit einem
, Messer der Bauch aufgeschnitten imd aus dem Lmeren desselben eine grosse
' Menge Fett herausgezogen. Darauf wurde die Wimde zugenäht imd der
Medicin-Mann stellte den Operirten vollständig AN-ieder her.
Auch von einem Chippeway- In dianer wird berichtet, dass er an seiner
schwangeren Frau mit glücklichem Erfolge den Kaiserschnitt ausfühi-te.
Das Kind kam ebenfalls mit dem Leihen davon. In
, U g a n d a in Central - A fr i k a hat Felkiti einem Kaiser-
i schnitt beigewohnt. Es war in Kahura im Jahre
1879. Er gab eine Skizze von der Operation, sowie
von dem convexen Messer (Fig. 174), mit welchem Kg. 174.
der Medicin-Mimn sie ausführte, imd auch von der Operationsmesser, Uganda,
vernähten Wimde (Fig. 157). Ueber die Ausfükrimg Nach Feikin.
dieser Laparotomie äusserte er sich folgendermaassen :
„Die Frau, eine 20 jährige Erstgebärende, lag auf einem etwas geneigten
Bette, dessen Kopfseite an der Hüttenwand stand (Fig. 175). Sie war diu'cli
Banana-AVein in einen Zustand von Halbbetäubimg versetzt worden. Völhg
nackt war sie mit dem Thorax dm-ch ein Band an das Bett befestigt, während
ein anderes Band von Baumrinde ihre Schenkel nieder- imd ein Mann ihre
Knöchel festhielt. Ein anderer, an ihrer rechten Seite stehender Mann
tixiiie ihi'eu Unterleib. Der Operateur stand zm* linken Seite, hielt das Messer
in seiner rechten Hand imd miu'melte eine Incantation. Hierauf wusch er
t seine Hände sowie den Unterleib der Patientin mit Bauana- Wein, und als-
\ dann mit Wasser. Nachdem er dami einen schrillen Schi-ei ausgestossen,
L der von einer ausserhalb der Hütte versammelten Menge erwidert Aviirde,
) machte er pliitzlich einen Schnitt in die Mittellmie, ein wenig ol)erhall) der
■ Schamverbindmig beginnend, bis kurz imter den Nabel."
„Die Wand sowohl des Bauches, als auch der Gebärmutter war durch
diese Incision getrennt und das Fruchtwasser stürzte hervor. Blutende Stellen
I der Bauchwand wurden von einem Assistenten mittelst eines rothglühenden
Eisens touchirt. Der Oi)erateur beendete zunächst schleunig den Schnitt in
die Uteruswand; sein Gehülfe hielt die Bauchwände bei Seite mit beiden
Händen, und sobald (he LTterinwand getrennt war, hakte er sie mit zwei
• Fingeni aus einander. Nun wurde das Kiiul scluiell hei-ausgenommcn und,
Bartels, Medicin der Naturvölker. 20
306
XV. Die grosse Chirurgie.
iuk'IkU'ih es einem Assisteuteii übergeben wurdeu war, durebschnitt man den
Xabelstrang.''
.J)ei' Operateur legte das Messer w(^g, i'ieb den Uterus , der sich zu-
sammenzog, mit l)eiden Händen und (bnickte ihn ein oder zwei Mal. Zu-
nächst führte er seine rechte Hand duicli die Incision in die Uterinliöhle,
imd mit zwei oder drei Fingern erweiterte er den Gebärmutter-Cervix von
innen nach aussen. Dann reinigte er den Uterus von Gerinnseln, imd die
Placenta, die inzwischen gelöst war, Avurde von ihm durch (he Bauchwunde
entfernt. Der Assistent bemühte sich ohne rechten Erfolg, den VorfaU der
Därme diu'ch die Wmide zu verhüten. Das rothglühende Eisen benutzte
man noch zur Stillung der Blutung an der Bauclnvunde, doch wui'de dabei
sehi' schonend verfahren."
„Wähi'end dem hatte der Hauptarzt seinen Druck auf den Uterus bis
zur festen Zusammenziehimg desselben fortgesetzt; Nähte wm'den au die
Uteruswände nicht angelegt. Der Assistent, welcher die Baiichwände gehalten
hatte, Hess dieselben mm los, und man legte eine poröse Gras-Matte auf die
"Wimde. Die Bande, welche die Frau fesselten, wurden gelöst, sie selbst auf
den Bettrand gewendet und dann in
den Armen eines Assistenten auf-
gerichtet, so dass die Flüssigkeit aus
der Bauchhöhle auf den Fussboden
abfliessen konnte. Dami wmxle sie
Avieder in ihre frühere Lage gebracht
und, nachdem man die Matte hin-
weggenommen, che auf der Wunde
lag, wurden die Bänder der "Wunde
d. h. der Bauchwand an einander ge-
legt mid mittelst sieben dünner, wohl-
l^olirter eiserner Nägel, die den Acu-
pressur-Nadeln ghchen, mit einander
verlnrnden. Dieselben wmxlen mit
festen Fäden aus Bindenstofif umwmiden (Fig. 157). Sclihesslich legte man über die
AVimde als dickes Pflaster eine Paste, die durch Kauen von zwei verschiedenen
AVurzeln und Ausspucken der Pulpa in einen Topf hergestellt war, bedeckte
das Ganze mit einem erwärmten Bananeublatte imd vollendete die Operation
durch eine feste, aus Älbugu-Bast bestehende Bandage."
„Während des Anlegens der Nadeln hatte die Patientüi keinen Schrei
ausgestossen, mid eine Stunde nach der Operation befand sie sich ganz
wohl. Die Temperatm* der Kranken stieg in den nächsten Tagen nicht be-
deutend (in der zweiten Nacht 101 F.), der Puls auf 108. Zwei Stimden
nach der Operation Avmxle das Krnd angelegt. Am dritten Morgen wiu-de die
AVunde verbunden imd man entfernte einige Nadeln, die übrigen am fünften
und sechsten Tage. Die Wimde sonderte wenig Eiter ab, den man mittelst
einer schwammigen Pulpa entfernte. Am elften Tage Avar die Wimde geheilt."
Muss uns hier der chirurgische Muth überraschen, so muss dies ausserdem
auch noch die physiologische Einsicht dieser Naturvölker, wenn wir erfaliren,
dass sie sogar Ovariotomien imteinehmen imd zAvar in der vollbeAvussten
Absicht, das der Operation imterworfene Mädchen füi- die Fortpflanzimg un-
taughch zu machen. Solche Person Hixh Roberts in Indien: sie Avar imgefähr
Fig. 175. Kaiserschnitt in Uganda.
Nach Felkin.
127. Der Bauchsclinitt oder die Laparotomien. 307
25 Jakre alt, gi^oss, muskulös imd voUkonunen gesund. Die Fettentwickelimg
au dem Körper war eine hinreichende, nm' an den Hinterbacken imd an der
Schamgegend war das Fettpolster sehr gering. Pubes hatten sich nicht aus-
gebildet imd die Menstruation fehlte vollkommen. Am CapYork in Austra-
lien hat Mac Gillivray eine Stimime gesehen, an welcher, wie die Narben
in der Leistengegend auch bestätigten, die eingeborenen Medicin -Männer die
Exstirpation der Eierstöcke ausgeführt hatten. Als Grimd füi" die Operation
gaben sie an, sie hätten es vermeiden wollen, dass die Unglückhche stimime
Kinder gebäre.
Ebenfalls imter den Eingeborenen Australiens imd zwar am Para-
pitshuri-See traf Hotsh „ein eigenthümhch aussehendes Mädchen, welches,
die Gesellschaft von Fi-auen meidend, immer bei den jimgen Männern des
Stammes, mit welchen es che Beschäftigimg imd Strapazen theilte, sich auf-
hielt. Das Mädchen zeigte eine sehr geringe Ent^dckelung der Brüste und
des Fettpolsters überhaupt; die mageren Hinterbacken imd einige am Kinn
wachsende Haare gaben ihr ein knabenhaftes Aussehen. "Wenn auch das
Mädchen den Weibern aus dem "Wege ging, so zeigte es doch keine be-
sondere Neigung zu den jimgen Männern, zu deren geschlechthcher Behiedigimg
sie bestimmt war. Auf zwei länghche Narben in der Leistengegend deutend,
erklärte einer der Eingeborenen, welcher etwas Englisch sprechen konnte,
dass das Mädchen „all same spayed cow" wäre. Rotsh hatte auch gesagt, dass
dieses Mädchen nicht das einzige Exemplar dieser Art sei, dass diese Operation
von Zeit zu Zeit an Mädchen vorgenommen wird, um den jungen Leuten eine
specieUe Ai-t von Hetaira, welche nie Mutter werden kann, herzustellen."
"Wenn Anr die Berichte von diesen grossen Operationen lesen, so müssen
sie uns mit vollem Hechte in ein nicht geringes Erstaimen versetzen. Sie
alle gehören denjenigen operativen Eingriffen an, welche in den civihsirten
Ländern von den allerberufensten Händen doch niu- so selten, wie niu' irgend
möghch, imd niu' mit einer gewissen Scheu unternommen wiu'den, bevor man
durch das antiseptische Yerfahi'en dahin gekommen war, mit euiem hohen
Grade von Wahi-scheinhchkeit die gi'ossen Gefahi-en des "Wimdverlaufes , das
Wimdfieber, die Eiterimgen imd vor allen Dingen die septische Lifection,
die ..Blut- imd Eitervergiftimg'', auszuschhessen. Diese Methoden beheiTschen
(he NatiuTÖlker nicht. An schmutzigen Patienten, mit schmutzigen oder ganz
imgenügend desinficü-ten Händen iind mit sicherhch oft höchst imsauberen
Instrumenten fühi'en sie diese gefähi^hchen Operationen aus, imd dennoch
sterben ihnen nicht niu- nicht aUe ihi-e Operii'ten, sondern sie bringen über-
laschender Weise sogar eine grössere Zahl üu'er Kranken diu"ch, als das
imter den geordneten Yerhältnissen wohleüigerichteter Khniken und Kranken-
häuser der Fall war. Dieser Widerspruch ist nicht anders zu erklären, als
dass wir annehmen, die Natiu'völker besitzen einen bedeutend höheren Grad
von Widerstandsfähigkeit gegen die Angriffe der Erreger der Wundcomjjhca-
tionen, als die hoch civihsirten Nationen. Ich habe dies an einer anderen
Stelle in ausiühi-hcher Weise darzulegen versucht.*)
*) Max Bartels: Culturelle und Rassenunterschiede in Bezug auf die
Wundkrankheiten. Zeitschrift für Ethnologie. Jahrgang XX. Berlin 18;SS.
S. 169—183.
20*
l
Schlusswort.
I
Lassen wir mm zimi Scliliiss noch eimnal die Medicin der Natm'volker
an imserem Auge vorül)erziehen, so finden "vsdr ein absonderliches Gemisch
von Unverstand und überlegtem Handehi, von falschen Voraussetzungen und
logischen Folgerimgen, von Aberglauben imd Gespensterlmcht imd von prak-
tischen Fälligkeiten Einzelner. BeheiTscht auch ihre Dämonologie scheinbar ihr
gesammtes medicinisches Können, so stosseu wir doch auch andererseits auf
manche gute Kenntniss imd Maassnahme. Die genaue Bekanntschaft mit
der sie mngebenden Pflanzenwelt, die richtige Bem'theilmig ihrer Heilwirkungen
Avird uns vielfach von den Naturvöllveni gepriesen.
Von der Kraft des beschwörenden Wortes haben wir häufig Ijerichten
müssen, ähnlich wie in imserer Yolksmedicin die Besprechungen reichlich in
AnAvendung kommen. In der Yolksmedicin wii'd bekannthch die verstümmelte
imd imverstandene Fonnel oft fiii' besonders wirksam gehalten. Auch imter
den Beschwörungsgesängen der Klamath-Indianer in Oregon finden sich
manche alterthümliche Fonnen, deren Erklärung den Indianern bereits schon
einige ScliANderigkeiten venu'sacht. Das Geheimmittel ist, wie wir sahen, bei
den Medicm-Mämiem der nordamerikanischen Indianer vielfach im
Gebrauch. Ihre Medicamente werden gepulvert imd mit "«-irkimgslosen
Dingen gemischt, nur um sie nach Geruch imd Aussehen für den Patienten
unkennthch zu machen. Kostbares, Seltenes und Ekelhaftes wird in der
INIedicin der Natmwölker, wie in der Volksmechcin hochgeschätzt.
AV)er auch noch viele andere Analogien finden wir ZAN-ischen diesen lieiden
Gruppen der piimitiven Medicin. Es soll hier nm- an die Eäucherimgen und
die Schwitzcuren, an die schablonenhaft ausgeübte Hydi'otherapie, an das ein-
schläfenade Magnetisiren, an che purgirendeu Heiltrankcuren imd an das
Streichen eriimert werden. Jedermann weiss, welch hervoiTagende Rolle diese
Methoden bei imserem Volke spielen; und bis in Avelche Schichten der Be-
völkerimg dieses „Volk" auch noch heutigen Tages hinaufreicht, davon geben
auch in Europa täghche Beispiele deutlich Kimde.
Selbst für das Erbrechen des Methcin-Mannes findet sich eine interes-
sante Parallele. Ein berühmter „Magnetiseur' in Frankfurt am Main,
dem jetzt die erleuchtete Büi-gerschaft zuströmt, streicht dem dyspeptischen
Kranken den Magen, wird dann von heftigem Erbrechen befallen imd der
Leidende ist geheilt.
Piiester, Beichtvater imd Arzt zugleich, versteht es der Medicm-Mann,
das rehgiöse Bedüi-fiiiss imd die seehschen Empfindungen seiner Gemeinde
312 Schlusswort.
s(Mnoii ärztlichon Yeronliuuigou auzupasseu. Furcht \<)r der (xottlieit, Opfer
1111(1 Busse, sowie die beänffstigende Nähe der Dämonen, deren Kommen und
Gehen imd deren Sprechen er durch des Medicin-lMannes Bauchrethierkmist
mit seinen gespannt lauschenden Ohren deutlich zu vernehmen vermag, üben
auf das überreizte NeiTensystem des Patienten einen g(> waltig suggestiven
Einfluss aus. Vorsichtige Sorge für die Entleerung des überfüllten Magens
und Dannes, Regelimg der Diät und kfiipeiliche Hebung werden ebenfalls
in Anwendung gezogen.
Operative Eingriffe erzwingt bisweilen die Noth des AugenbHcks. Waren
sie melmnals von Erfolg gekrönt, so entwickelt sich der chirurgische Muth.
Und ist nmi diese Kühnheit im Oi)eriren auch oft nur die Kühnheit des
I^nverstandes, welcher von den dix^henden Gefalu-en auch nicht die leiseste
Yorstellimg besitzt, so geht aus solcher Külmlieit doch allmählich die chirur-
gische Gewandtheit hervor, und dieser folgt dann uaturgemäss allmählich
zielbewusstes Können.
Gilt dieses flu' die Naturvölker allein? Keineswegs, denn auch dem
Gliedersetzer imd dem Renkdoktor imseres Landvolkes kommt das Selbst-
bewusstsein auf gleiche "Weise. Aber auch mancher hochangesehene Sclmeid-
arzt, mancher Bruchschneider, Steinschneider oder Staarstecher hat m ver-
flossenen Jahi'hundei-ten bei uns eine ganz ähnliche Entwickelung dm'chlaufen.
Möge es hiennit genügend sein. Ist es doch, glaube ich, liim-eichend
bewiesen, dass ein gemeinsames, festes Band sich dmx'h diese Ideen hindm'ch-
schlingt, das die Naturvölker imter einander, sowie mit den Völlieni des
Alterthiuns imd mit unseren niederen Volksschichten verbindet. Und so
sind wir denn gezwimgen, in diesen Gedankengängen gleichsam eine noth-
wenchge Function des ijrimitiven Menschengehinies zu erblicken, imd somit
dokmnentii'en sie sich als dasjenige, was wir in der Einleitung behauptet
haben, als echte und wahre Völker gedanken.
Anhang I.
Erklärung der Abbildungen.
Seite
^ Fig. 1. Mahäkola Ydksclia mit seinen 18 ihn begleitenden Ki-auk-
heits - Dämonen. Holzschnitzerei der Singhalesen (Ceylon). (Be-
sprochen S. 13. 14.) — Geschickt von Freudenberg. Mus. f. Völker-
kunde, Berlin. Nach photographischer Aufnahme des Verfassers ... 14
I Fig. 3. Holzmaske der Teufelstänzer der Singhalesen (Ceylon).
den Nagäsannijä darstellend, den Teufel, Avelcher Schmerzen verursacht,
die denen des Bisses der Brillenschlange gleichen. (Besprochen S. 14.)
— Mus. f. Völkerk., Berlin. Nach photograph. Aufnahme des Verfassers 15
1 Fig. 3. Holzmaske der Onondaga -In dianer. einen der bösen
' Geister Hondoi darstellend, welche die K!i'ankheiten bringen und dui'ch
Tänze, Speise- und Tabaksopfer versöhnt werden. (Besprochen S. 14.)
— Mus. f. Völkerk., Berlin. Nach photograph. Aufnahme des Verfassers 15
Fig. 4. Holzmaske der Onondaga-In dianer, wie Fig. 3. (Be-
sprochen S. 14.) — Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach photographischer
Aufnahme des Verfassers 15
Fig. 5. Lilyi, die Schleimige, weiblicher Krankheits-Dämon der
Zigeuner, welcher Catarrhe und Ruhr verursacht. (Besprochen S. 15,
16.) — Nach H. V. Wlislocki: Aus dem inneren Leben der Zigeuner.
Berlin 1892. S. 27 Fig. 6 16
Fig. 6. Poreskoro, der Geschwänzte, Ki-ankheits-Dämon der Zi-
geuner, welcher die Epidemien verursacht. — Nach H. v. Wlislocki,
wie Fig. 5. S. 10 Fig. 2 16
Fig. 7. ülar naga, Gottheit der Alloresen [S. 16 imd in der
Unterschrift irrthümlich als von den Kei -Inseln stammend bezeichnet),
aus Holz gefertigt, welcher zur Abwehr von Epidemien geopfert wird.
(Besprochen S. 16, 17.) — Mitgebracht von Adrian Jacohsen. Mus. f.
Völkerkunde, Berlin. Nach photographischer Aufnahme des Verfassers 17
Flg. 8. Lederriemen mit Krallen und Fellstückchen besetzt, welche
der Medicin-Mann scheinbar aus dem ki-anken Körpertheile heraussaugt.
Klamath-Indianer. — Mus. f. Völkex'kunde, Berlin. Nach photo-
graphischer Aufnahme des Verfassers 24
Fig. 9. Guri-guri, Topf mit einem geschnitzten Deckel, behängt
mit Schweinshaueru. gefüllt mit Arznei von den B attakern in Sumatra.
Anhang I. ■
316
Seite
Dieselbe ist nngeblich :ius einem stark giftigen Präparate von Menscheu-
fleiscli gefertigt und soll so hochgradig giftig sein, dass schon der Ge-
ruch eine Vergiftung verursacht. — Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach
photographisclier Aufnahme des Verfassers 30
Fig. 10. Seelenfänger (Soul-catcher) der Hervey-Insulaner.
— British Museum, London. Nach C. W. Pleyte. Verh. d. Berliner
anthrop. Ges. Zeitschrift f. Ethnologie Bd. XIX S. 20. Berlin 1887 . 38
Fig. 11. Alte Erbstücke der Fürsten von Pasimpai, Mittel-
Sumatra; 1. a. b. goldener Pfeilring, saloei karijs nan doeno bale ?
taije genannt, getrieben und innen mit Harz gefüllt. — 2. eisernes
Schwert mit hölzernem Knopf und hölzerner, mit Rotanbändchen ge-
bundener Scheide. Es heisst tjoerieq si niandang giri, soembiing
saratoejs sanibilan poeloew, zu deutsch: das Schwert si mandang
giri mit den 190 Scharten. Es wird in vielen alten TJeberlieferungen
genannt. — 3. u. 4. Steinchen, manlikö, die früher am Leibe klebten
und Ki-ankheiten heilen konnten. — Der Anblick dieser Gegenstände
bringt den Kindern Krankheiten; das "Wasser, mit dem man sie über-
giesst, heilt Krankheiten. (Besprochen S. 41.) — Nach Ä. L. van Hasselt.
Ethnograph. Atlas van Midden-Sumatra. PI. XXXI. Leiden 1881 . 40
Fig. 13. Kleine Hand von blauem Glase, Amulet der Türken in
Consta ntinopel gegen den bösen Blick. — Mitgebracht von Dr. Lud-
wig Aschoff. Im Besitze des Verfassers. (Vierfach vergrössert.) Nach
einer Zeichnung von Erl. Julie Schlemm 43
Fig. 13. Hand von Messing, Amulet der Juden in Marokko
gegen den bösen BHck. Es wird den Knaben an die Mütze geheftet.
— Mitgebracht von Max Quedenfeldt. Mus. f. Völkerkunde, Berlin.
Nach photographischer Aufnahme des Verfassers 43
Fig. 14. Glasfluss, äusserster Ring blau, der folgende gelb, der
mittelste weiss mit schwarzem Mittelpunkt, au das Bild eines Auges
erinnernd, Amulet der Cyprioten gegen den bösen Bhck. — Mit-
gebracht von Dr. Ludimg Äschoff'. Im Besitze des Verfassers. Nach
einer Zeichnung von Frl. Julie Schlemm 43
Fig. 15. Ein Mi de nach der Darstellung auf einem Musikbrette
der Chippeway -In dianer. Er ist mit höherer Kraft erfüllt, was durch
die Hörner auf seinem Kopfe angezeigt wird. Die von seinen Ohren
ausgehenden Linien bezeichnen, dass er hört. Der hierzu gehörige Ge-
sang lautet: „Ich höre den Geist reden zu uns!" — Nach W. J.
Ho ff man: The Mide-wiwin or Grand Medicine Society of the Ojibwa.
Seventh Annual Report of the Bureau of Ethnology (Separat -Abdruck).
Washington 1892. p. 196 63
Fig. 16. Ein Mi de nach der Darstellung auf einem Musikbrette
der Chippeway -In dianer. Sein Körper, d. h. sein Herz, ist mit
Kenntniss von den heiligen Medicinen der Erde erfüllt. Der hierzu ge-
hörende Gesang lautet: „Ich habe die Medicin in meinem Herzen."
— Nach Hoff'man, wie Fig. 1.5. p. 196 63
Fig. 17. Medicin -Tanz der Winnebago - Indianer in Nord-
Amerika. — Nach Henry R. Sclioolcraft: History, Condition and pro-
Erklärung der Abbildungen. 317
Seite
ipects of tlie Indian Tribes of the United States. Philadelphia
1851—55. Part III Plate 31 64
Fig. 18. Maske des Medicin -Mannes der Ätna -Indianer in
Südwest- Alaska. (Besprochen S. 72.) — Mitgebracht von Adrian
Jacobsen. Mus. f. Völkerk\;nde, Berlin. Nach einem Aquarell von Frl.
Jtilie Sciäemm 65
Fig. 19. Maske des Medicin-Mannes der Ätna -In dianer, Alaska.
(Besprochen S. 72.) — Mitgebracht von Adrian Jacobsen Mus. f. Völker-
kunde, Berlin. Nach einem Aquarell von Prl. Julie Schlemm .... 66
Fig. 20. Medicin-Mann (Zauberer) der Basutho in Transvaal,
i Süd-Afrika. (Besprochen S. 69.) — Nach einer Photographie im Be-
sitze des Verfassers 67
Fig. 21. Medicin-Mann der Ätna- In dianer in Alaska. Nach
der Figur des Museum für Völkerkunde, Berlin. Vorderansicht. (Be-
sprochen S. 71 — 73.) — Nach photographischer Aufnahme von Fräu-
lein Julie Schlemm 68
Fig. 22. Maske des Medicin-Mannes der Atna-Indianer, Alaska.
(Besprochen S. 72.) — Mitgebracht von Adrian Jacobsen. Mus. f Völker-
kunde, Berlin. Nach einem Aquarell von Frl. Julie Schlemm . . . . 69
Fig. 23. Medicin-Mann der Atna-Indianer in Alaska. Nach
der Figur des Museum für Völkerkunde, Berlin. Hinteransicht. (Be-
si)roclien S. 71 — 73.) — Nach einem Aquarell von Frl. Julie Schlemm . 70
Fig. 24. Mütze des Medicin-Mannes der Haidah-Indianer, aus
Wieselfellen und Fuchsschwänzen, mit Knochenstäben behangen. (Be-
sprochen S. 72.) — Mitgebracht von Adrian Jacobsen. Mus. f Völker-
kunde, Berlin. Nach einem Aquarell von Frl. Julie Schlemm . . . . 71
Fig. 25. Medicin-Mann der Schwarzfuss-Indianer am Yellow-
stone-River. (Besprochen S. 73.) — Nach George Catlin: Die In-
dianer Nord-Amerikas. Brüssel, Leipzig, Cient 1851 72
Fig. 26. Maske des Medicin-Mannes der Haidah-Indianer, ein
Fabelthier darstellend. (Besprochen S. 72.) — Mitgebracht von Adrian
Jacobsen. Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach einem Aquarell von Frl.
Jtdie Schlemm 73
Fig. 27. Halsring des Medicin-Mannes der Haidah-Indianer.
Die l)eiden mittleren Knochenstäbe haben die Form einer Fischotter.
(Besprochen S. 72.) — Mitgebracht von Adrian Jacobsen. Museum füi-
A'ölkerkunde, Berlin. Nach einer photograph. Aufnahme des Vei"fassers 74
Fig. 28. Knöcherner Kopfkratzer des Medicin-Mannes derHaidah-
Indianer. (Besprochen S. 73.) — Mus. £ Völkerkunde, Berlin. Nach
photographischer Aufnahme des Verfassers 76
Fig. 29. Ajami, hölzerne nienscliHche Figur mit Glasaugen und
Fellbekleidung. Sie stellt den Candidaten der Schamanen würde dar
und wird von dem idtesten Schamanen der Golden in Sibirien ge-
fertigt. Ist sie vollendet, so hat der Caudidat die Scharaanenwürde er-
langt. (Besprochen S. 83.) — Mitgebracht von Adrian Jacobsen. Mus.
f. Völkerkunde, Berlin. Nach ])hotographischer Aufnahme des Verfassers 82
318 Anhang I.
Seite
Fig. 30. Ajami, hölzerne Fi'auenfigur, unbekleidet. Sie stellt die
Candidatin der Schaniiinenwürde dar und wird von dem ältesten Scha-
manen der Golden in Sibirien gefertigt. Ist sie vollendet, so hat die
Candidatin die Scliamanenwürde erlani^'t. — Mitf^ebracht von Adrian
Jacohsen. Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach photographischer Auf-
nahme des Verfassers . 83
Fig. 31. Einführung eines Mide-Candidaten bei den nord ameri-
kanischen Indianern. (Besprochen S. 83 — 8G.) — Nach Schoolcraft,
wie Fig. 17, Part V Plate 33 85
Fig. 32. Musikbrett der Waben o der nordamerikanischen In-
dianer: SB
1. Eine Hand des Wabeno, einen Zauberstab haltend. Dieses ist
das Zeichen für die Eröffnung des Medicin-Tanzes und es gehört dazu
der Gesang:
„Ich spreche zum grossen Geiste, dass er mein Leben schütze
durch dieses Zeichen (den Zauberknochen) imd dasselbe wirk-
sam mache zu meinem Schutze und Erfolg.
Ich. bin es nicht, der es gemacht hat, sondern Du, grosser Geist.
der diese Welt und alle Dinge darin gemacht hat.
Höre mich und sieh erbarmungsvoU aut mein Sclireien!"
Dann singt der Chor:
„Ich bin ein Freund der Wabeno."
2. Ein Baum, der übernatürhches Getöse macht, bisweilen Gewehr-
schüssen ähnlich; er gilt füi- den Aufenthaltsplatz des grossen Geistes.
Der Chor singt:
„Ich (der Baum) lärme für mein Leben, wie ich stand."
Dazu wird gerasselt und dann erheben sich die Indianer und be-
ginnen den Tanz.
3. Ein Wabeno-Hund springt seinem Herrn entgegen. Dazu der
Gesang :
„Ich soll zu ihm laufen, welcher mein Köri)er ist."
4. Ein Wabeno, Blut auswerfend. Dazu der Gesang:
„Ich ringe um mein Leben, Wabeno, tödte es." »
5. Tabakspfeife mit Federn. Sie war von einem Uebehvollenden mit
„schlechter Medicin" gefüllt, und wurde ahnimgslos geraucht, der Eaucli
trat in die Lunge des Opfers und dieses welkt dahin. Dazu der Gesaug:
„Den Mide ich fürchte — die Pfeife ich fürchte, welche Fedeni
an sich hat."
6. Der Wurm Mösa, welcher faules Holz frisst und lärmendes Ge-
räusch macht. Dazu der Gesang:
„Des Wurmes Haut benutze ich — - des Wurmes Haut be-
nutze ich."
7. Ein zu Hülfe gerufener Wabeno-Geist. Dazu der Gesang:
„Wer ist das, der hier steht?
Ein Wabeno-Geist steht hier!"
8. Ein hungriger Wabeno-Jäger mit Bogen und Pfeil hat eine
Elchspur entdeckt. Den Urin des Thieres vermischt er mit Medicin und
Erklärung der Abbildungen. 319
bestreicht damit eineu seiner vier Pfeile, den er nun in die Spui" schiesst.
Der Elch wird darauf von Strangurie befallen; er muss in Folge dessen
hinter dem Eudel zurückbleiben und nmi vermag ihn der Indianer ein-
ziüiolen und zu tödten. Dazu der Gesaug:
„Ich schoss weit über die Erde."
9. Das Spnbol des grossen Geistes, den Himmel mit seiner Gegen-
wart füllend. Dazu der Gesang:
„Wo ich sitze reicht mein Haupt bis zum Mittelpunkt des Himmels."
Hier folgt eine Pause im Tanze; die Ausübenden setzen sich, er-
heben sich aber nach einiger Zeit wieder und beginnen unter Rassel-
begleitung die Umgänge von Neuem.
10. Der Himmel mit Wolken. Dazu der Gesang:
„Die Wolke, die in meinem Himmel ist."
11. Bewölkter Himmel mit dem langgeschwänzten Fabelthier „der
weisse Tiger", der die Wolken jagt und nach oben, d. h. in die Zu-
kunft blickt. Dazu der Gesang:
„Er wünscht zu blicken in den Himmel,
In den Himmel wünscht er zu blicken."
12. Der Wolf Mhotvha, gehörnt, um seine übernatürliche Ki'aft
darzustellen. Mystische Medicin ist ihm an Kopf und Schwanz gethan,
um ihn zum Jagen für die Wabeno zu veranlassen. Dazu der Gesang:
„Ich soll die Beute jagen,
Dieser Wolf von mir."
Die hier folgenden beiden verticalen Balken zeigen eine Pause an.
Nach dieser beginnt unter Trommelschlag der Tanz von Neuem.
13. Der Ki'iegsadler Kanieu, der über dem Kampfplatze schwebt
und sofort nach der Schlacht die Gefangenen frisst. Seine Federn sind
des Kriegers ehrenvollster Schmuck. Dazu der Gesang:
„Sieh, wie ich schiesse!"
14. Wünscht der Wabeno ein Thier zu erlegen, so fertigt er dessen
Bild aus Gras oder Cattun, hängt dasselbe im AVigwam auf und schiesst
unter Absingung obigen Beschwörungsgesanges auf dasselbe. Trifft der
Pfeil, so ist das ein Zeichen, dass er das Thier in den nächsten Tagen
erlegen wird. Der Pfeil "v\^ird ausgezogen und verbrannt.
15. Ein Mide, auf der Erdkugel sitzend, hält mit einer Hand den
Himmel, dessen gelbhche Endigung Wolken bezeichnen soll. Er zieht
Kunde vom Himmel ein zum Wohle der Menschheit. Dazu der Gesang:
„AVas sehe ich? was sehe ich?
Meinen Himmel, den ich richte."
10. Die Sonne, als Symbol des grossen Geistes, auf den Indianer
herabblickend und die Ceremonien annehmend. Dazu der Gesang:
„Warum blickst Du auf mich?"
17. Bogen mit abwärts gerichtetem Pfeil auf der Mitte der Sehne,
zum Zeichen, dass er bezaubert ist; vor der Pfeilspitze tiinf Kiesel in
einer Reihe. Diese alle durchschiesst der Pfeil und reiht sie auf seine
Spitze auf.
18. Junger Mann, phallisch, mit Federschmuck am Kopfe und mit
Trommel und Trommelstock in den Händen. Dieses bedeutet, dass er
den Gegenstand seiner Wünsche erlangen wird. Dazu der Gesang:
320 Anhang I.
Seite
„Höre nieiue Trommel, höre meine Trommel!
(Solltest Du auch sein) au der anderen Seite der Erde, höre
meine Trommel!"
Nach SchooJcraft, wie Fig. 17.
Fia:. 33. IMedicin-Hütte, vom grossen Geiste erfüllt. Von einem
Musikbrett der Mi de der nordamerikanischen Indianer. — Nach
Schoolcraft, wie Fig. 17. Part. I Plate 51 Fig. 1 89
Fig. 34. Matakoko, Verbotszeichen oder Matakau von der
Insel Serang, um den Uebertreter blind werden zu lassen. (Besprochen
S. 100.) — Nach J. G. F. Riedel, De Sluik en kroesharige Rassen
tuschen Selebes en Papua. s'Gravenhage 1886. Taf. XIII Fig. 18 97
Fig. 35. Sasakene, Verbotszeichen oder Matakau von der Insel
Serang. um dem Uebertreter Ichthyosis zu verursachen. (Besprochen
S. 100.) — Nach Riedel, wie Fig. 34. Taf. XIII Fig. 6 07
Fig. 30. Ädii Folagi Höro. Schutzgeist gegen Leibschmerzen. Nias.
— Nach Modigliani: Un viaggio a Nias. Milano 1890 98
Fig. 37. Anamata, Verbotszeichen oder Matakau von der Insel
Serang, um dem Uebertreter die Kiefer versteifen zu lassen. (Be-
sprochen S. 101.) — Nach Riedel, wie Fig. 34. Taf. XIII Fig. 1 . . 98
Fig. 38. Verbotszeichen oder Matakau von der Insel Leti; der
Uebertreter soll einen geschwollenen Leib bekommen. (Besprochen S. 100.)
■ — Mus. f Völkerk., Berlin. Nach photograph. Aufnahme des Verfassers 99
Fig. 39. Mätto la tjürtjuri, Verbotszeichen oder Matakau von
der Insel Luang; dem Uebertreter sollen die Eingeweide verdreht
werden. (Besprochen S. 100.) — Mus. £ Völkerkunde, Berlin. Nach
photographischer Aufnahme des Verfassers 99
Fig. 40. Tiasusuu, Verbotszeichen oder Matakau von der Insel
Serang, um dem Uebertreter Blutdiarrhoe zu verursachen. (Besprochen
S. 100, 101.) — Nach Riedel, wie Fig. 34. Taf XIII Fig. 5 . . . .100
Fig. 41. Sakorea, Verbotszeichen oder Matakau von der Insel
Serang, um dem LTebertreter Schmerzen in den Gliedmaassen zu ver-
ursachen. (Besprochen S. 101.) — Nach Riedel, wie Fig. 34. Taf. XIII
Fig. 8 101
Fig. 42. Tahulupu oder Lasepoota, Verbotszeichen oder Ma-
takau von der Insel Serang, um dem Uebertreter Schwellung der
Testes zu verursachen. — Nach Riedel, wie Fig. 34. Taf XIII Fig. 3 101
Fig. 43. Potole, Verbotszeichen oder Matakau von der Insel
Serang, um dem Uebertreter böse Schwären zu verursachen. — Nach
Riedel, Avie Fig. 34. Taf XIII Fig. 4 101
Fig. 44, Medicin-Büchse in Holz geschnitzt. Bonerate. [Im
Text S. 112 irrthümlich als aus Keisar stammend bezeichnet.] — Mus.
f. Völkerkunde, Berlin. Nach photographischer Aufnahme des Verfassers 105
Fig. 45. Purminakuu, Ziegenhorn mit Arznei. Den Deckel bildet
eine menschliche Figur, Ganagana genannt, welche auf einer anderen
reitet. Von den B attakern in Sumatra. (Besprochen S. 112.) —
Mus. f Völkerkunde, Berlin. Nach photograph. Aufnahme des Verfassers 1.06
Erklärung der Abbildungen. 321
Seite
Fig. 46. IMedicin-Löffel der Singhalesen. (Besprochen S. 113.) ^-
Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach photograpk. Aufnahme des Verfassers 107
Fig. 47. Batu bawi, Stein, der angeblich aus dem Gehini des
Stachelschweines stammt; Medicin gegen Kopfschmerzen von der Insel
Flores. — Mitgebracht von Adrian Jacohsen. Mus. £ Völkerkunde,
Berlin. Xaeh photographischer Aufnahme des Verfassers 107
Fig. 48. Purminakun. Ziegenhorn mit Arznei. Den Deckel bildet
eine menschliche Figur, Ganagana genannt, welche auf einer Anderen
reitet. Von den Battakern in Sumatra. (Besprochen S. 112.) —
Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach photograph. Aufnahme des Verfassers 108
Fig. 49. Chuletü, Stäbchen mit zwölf Stückchen Calmuswurzel,
von dem Schamanen der Golden verabfolgt, um einen Heiltrauk für
AVöchneriuneu daraus zu kochen. (Besprochen S. 113.) ^ Mitgebracht
von Adrian Jacohsen. Mus. £ Völkerkunde, Berlin. Nach photograph.
Aufnahme des Verfassers 109
Fig. 50. Umflochtenes Büffelhorn, Dasän tandok hadangan
genannt, von KwfilaKapuas in Borneo. Aus demselben müssen die
von den Sangiang, den Luftgeistem, Besessenen Tuak (Ai'ak) trinken.
(Besprochen S. 112.) — Mus. £ Völkerkunde, Berlin. Nach photo-
gi-aphischer Aufnahme des Verfassers 110
Fig. 51. Medicin-Sack der Indianer aus dem Missouri-Gebiet;
Fischotterbalg mit Stachelschweinstacheln besetzt. — Mus. £ Völker-
kunde, Berlin. Nach photographischer Aufnahme des Verfassers . . .111
Fig. 52. Halsband der Zulu-Kaffern in Xatal, das als Amulet
u^id gleichzeitig als Apotheke dient. Es besteht aus erbseugrossen,
gelben Perlen, zwischen denen sich in kurzen Abständen Pfianzentheile,
Rinden- und Wurzelstücke, ein Entenschnabel und Antilopenhörner be-
finden. Letztere waren einst mit Medicin gefüllt und mussten ebenso
wie die Wiu'zeln für bestimmte Krankheiten die Medicamente liefern.
(Besprochen S. 113.) — Mitgebracht von Herrn Missionar A. Prozesky.
Im Besitze des Verfassers. Nach photographischer Aufnahme des Ver£ 112
Fig. 53. Medicin-Löffel der Singhalesen aus Nautilusschale.
— Mus. £ Völkerk., Berlin. Nach photograph. Aufnahme des Verfassers 113
Fig. 54. Perminakan, Vase mit sehr zauberkräftiger Medicin,
welche augeblich aus Menschentleisch gefertigt ist. Auf dem Deckel
sitzt zu Pferde der Geist der Medicin Pangtdu halang. You den
Battakern in Sumatra. (Besprochen S. 113.) — Mus. £ Völkerkunde,
Berlin. Nach photographischer Aufnahme des Verfassers 114
Fig. 55. Ring aus Gelbholzstücken von der Insel Flores, gegen
Fieber und Kopfschmerzen gebraucht. — Mitgebracht von Adrian
Jacohsen. Mus. f. Völkerkvinde, Berlin. Nach photographischer Auf-
nahme des Verfassers 120
Fig. 56. Kalebasse, als Klystierspritze für Kinder dienend, mit
einem Loch zum Einblasen der Flüssigkeit. Liberia. (Besprochen
S. 120.) — Nach J. Büttihofer, Reisebilder aus Liberia. Lej'den
1890. Band II p. 327 121
Bartels, Medicin der Naturvölker. " 21
322 Anliang I.
Seite
Fi;^. 57. Angekohlte Stücke von Taquara-Holz, Idziua genannt,
zum Einfiilu'en in den Schlund, um Morgens Erhrechen hervorzurufen.
Karaya-Indianer am Rio Araguya (Goyaz) in Brasilien. (Be-
sprochen S. 121.) — Mitgebracht von Paul EJirenreich. Mus. f. Völker-
kunde, Berlin. Nach iihotographischer Aulhalnne des Verfassers . . . 122
Fig'. 58. Schwitzhütte, nach der Zeichnung auf einem Musik-
brett der Wabeno der nordamerikanischen Indianer. Die Zacken
sollen den entweichenden Dampf andeuten. Dazu gehört der Gesang:
„Ich gehe in das Bad — ich mache meinen Bruder kräftig."
— Nach ScJwolcraff, wie Fig. 17. Part. I Plate 51 Fig. 5 137
Fig. 59. Tuh, Schwitzhütte der Indianer von Tactic in Gua-
temala. — Nach 0. StoU, Gruatemala. Leipzig 188G 138
Fig. 60. Wöchnerin der Rouquouyennes- Indianer in Süd-
Amerika im Dampfbade. (Besprochen S. 140.) — Nach Crevaux, Von
Cayenne nach den Anden. Globus XI 8. 70. Braunschweig 1881 . 139
Fig. 61. Massage. Nach einem japanischen Holzschnitt. ■ —
Im Besitze des Mus. f. Völkerkunde, Berlin 145
Fig. 62. Tschon-gä-täh, Halsband der Mincopies auf den
Andamaneu-Inseln, aus Menschenknochen hergestellt (im vorliegen-
den Falle aus zwei kindlichen Schlüsselbeinen, einer ersten Rippe und
der oberen Hälfte eines kindlichen Speichenknochens, Radius). Die
Knochen sind durchbohrt, theilweise mit Lappen umwickelt und auf
einem Bindfaden aufgezogen, an dessen Enden zwei Schneckenhäuser
(helix sp.) hängen. Das ganze ist mit schniutzigrother Farbe bestrichen.
In Ki-ankheitsfällen umwickelt man mit solchem Halsband den schmerz-
haften Theil, um den Schmerz zu vertreiben. — Mus. f. Völkerkunde,
Berlin. Nach iDhotographischer Aufnahme des Verfassers 147
Fig. 63. Medicin-Mann der Schwarzfuss - Indianer, einen
Kranken behandelnd. (Besprochen S. 148.) — Nach einer Handzeich-
nung von George Catlin^ im Besitze des Mus. f. Völkerkunde, Berlin . 140
Fig. 64. Bambuszweig mit daran befindlichen Opfergaben, der
ins Feuer gehalten wird, um zu sehen, ob ein böser Geist an einer
Erkrankung schuld ist. Insel Flores. — Mus. f. Völkerkunde, Berlin.
Nach photographischer Aufnahme des Verfassers 162
Fig. 65. Consultation des Medicin-Mannes der Sioux -In dianer.
Die Hülfsgeister des Medicin-Mannes, die Manidos, fliegen in die
Medicin-Hütte, vor welcher der den Medicin-Mann um Rath Fragende
steht. (Besprochen S. 164.) — Nach Sclioolcraft^ wie Fig. 17. Part. V
Plate 32 163
Flg. 66. Die Medicin-Hütte des Medicin-Mannes (Jes'sakkid)
der Chippeway-Indianer, zu welcher die Thiergeister (Manidos)
fliegen. Senkrecht über der Medicin-Hütte schwebt der Dounervogel,
der besonders hoch verehrt wird. Die als Unterhändler zwischen den
Geistern und dem Medicin-Manne dienende Schildkröte befindet sich
im Inneren der Hütte. Nach der Zeichnung auf einem Musikbrette
von Birkenrinde. — Nach Hoff'man, wie Fig. 15. p. 252 Fig. 28 . . 165
Erklärung der Abbildungen. 323
Seite
Fig. 67. Scliamanentrommel der Burjäten. Aeussere Ansicht.
(Besprochen S. 176.) — Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Xach photograph.
Aufnalime des Verfassers 174
Fig. 68. Schamanentrommel der Burjäten. Innere Ansicht.
(Besprochen S 176.) — Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Xach photograph.
Aufnahme des Verfassers 174
Fig. 69. Schamanentrommel mit dem Bilde des Adlers, des
Donuervogels und des Walfisches. Von den Indianern in Portland,
Oregon. (Besprochen S. 176.) — Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach
einem Aquarell von Frl. Julie Schlemm 17.5
Fig. 70. Flache, tambourinartige Trommel der Indianer des
^Missouri-Gebietes zum Beschwören der Krankheit. — Mus. f. Völker-
kunde, Berlin. jSTach einem Aquarell von Frl. Julie Schlemm . . . .176
Fig. 71. Rückseite von Fig. 70. — Nach einem Aquarell von Frl.
Julie Schlemm 177
Fig. 72. Rassel des Medicin-Mannes der Indianer von Port-
land, Oregon, bestehend ans einem Stabe, der mit Federn geschmückt
und mit den Hufen von Hirschen und den Schnäbeln von Seepapageien
behängt ist. (Besprochen S. 179.) — Mus. f. Völkerkunde, Berlin.
Nach einem Aquarell von Frl. Julie Schlemm 178
Fig. 73. Medicin-Mann der Dacota- Indianer, zur Heilung
eines Ki'anken rassebid. — Nach Schoolcraft, wie Fig. 17. Part. I
Plate 46 179
Fig. 74. Rassel des Medicin-Mannes, aus einem Kürbis her-
gestellt. Indianer von Holamux. (Besj)rochen S. 179.) — Mitgebracht
von DiecJc. Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach einem Aquarell von
Frl. Julie Schlemm 180
Fig. 75. Hölzerne Rassel des Medicin-Mannes der Haidah-
ludiauer, in der Gestalt des Raben, des Lichtbringers, mit der Kohle
im Schnabel; auf seiner Brust ist das Bild der Sonne. Auf dem Rücken
trägt er die Figur des Wolfes, der das Feuer und den Tod symbolisirt.
Der Vogel ihm gegenüber ist wahrscheinlich die Eule, oder die Nacht.
Ihr Schopf ist dm^ch Stilisirung aus dem Schwänze des Raben ent-
standen. Der Frosch im Maule des Wolfes ist das Sinnbild des Wassers
und der Dunkelheit. Das Beissen in die Zunge bedeutet „Medicin".
(Bes])rochen S. 179, 180.) — Mitgebracht von Adrian Jacobsen. Mus.
f Völkerkunde, Berlin. Nach einem Aquarell von Frl. Julie Schlemm . 181
Fig. 76. Kokomen, kupferne sackförmige Rassel eines Medicin-
Mannes der Nutka-Indianer in Britisch-Columbien. mit Leder-
bast verziert; zum feilen von Ki-anken und zum Heranlocken der
Fische an die Küste gebraucht. (Besiu'ochen S. 180.) — Mus. f. Völker-
kunde, Berlin. Nach photographischer Aufnahme des Verfassers . . .181
Fig. 77. Mi de der nordamerikanischen Indianer zeigen sich
im Walde in der Pause eines Medicin-Tanzes den geheimnissvollen
Inhalt ihrer Medicin-Säcke. (Besprochen S. 180, 181.) — Nach School-
craft, wie Fig. 17. Part. V Plate 5 182
21*
324 Anhang I.
Seite
Fig. 78. Mi'gis. Mediciu - Steine der Mide der Cliippeway-
Indiauer. kleine, rotli oder rotli und grün bemalte Hornstücke. typisch
für den vierten Grad (die beiden ersten Stücke oben). Pur])ur])erle für :;5l
den dritten Grad (das dritte Stück <tben). Schnecke für den dritten
Grad (das vierte Stück oben). Längliche Perle für den zweiten Grad
(das erste Stück unten). Schnecke, Cyprea moneta (das zweite und dritte
Stück unten). Schnecke, Helix (das vierte Stück unten), beide dem Ober-
priester der Mide-Gesellschaft von Leech Lake, Minnesota, ge-
hörig. (Besprochen S. 181.) — Nach Hoffman, wie Fig. 15. PI. XI . 183
Fig. 79. Medicin-Stein des Medicin-Mannes, auf dem ein Schwert-
wal und ein abwärts gekehrtes, untertauchendes Menschengesicht ein-
geschnitten ist. West-Vancouver. (Besprochen S. 183.) — Mus. f.
Völkerkunde, Berlin. Nach photographischer Aufnahme des Verfassers . 184
Fig. 80. Alter, sculptirter Stein mit zwei Gesichtern, angeblich
eine Fischotter darstellend, aus West-Vancouver. (Besprochen S. 183.)
— Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach photographischer Aufnahme des
Verfassers 185
Fig. 81. Medicin-Stein des Medicin-Manues mit zwei geschnitzten
Köpfen, augeblich Frosch und Fisch. West-Vancouver. (Besprochen
S. 183.) — Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach photographischer Auf-
nahme des Verfassers 186
Fig. 82. Tongrusmut-tschnchei, sehr rohe hölzerne Figur,
welche den Haupthülfsgeist des Schamanen der Giljaken vorstellt.
Er verfügt über sieben Untergeister, welche auf seinem Kopfe dar-
gestellt sind. (Besprochen S. 183.) — Mitgebracht von Adrian Jacobsen.
Mus. f. Völkerk., Berlin. Nach photograph. Aufnahme des Verfassers . 187
Fig. 83. Ein Medicin-Manu (Jes'sakkid) der Chippeway-
Indianer einen vor ihm liegenden Kranken heilend. Er hält die
Rassel in der Hand und die von seinem Auge zu dem Körper des
Patienten laufende Linie bedeutet, dass er den Sitz des Ki^ankheits-
Dämons hier gefunden hat und dass er nun seine Beschwörung be-
ginnt. Nach der Zeichnung auf einem Musikbrett von Birkenrinde. (Be-
sprochen S. 186, 189.) — Nach Hoffman, wie Fig. 15. p. 255 Pig. 32 . 188
Fig. 84. Ein Medicin-Mann (Jes'sakkid) der Chippeway-
Indianer, welcher eine Frau heilt.' Der seinen Kopf umgebende con-
centrische Kreis bedeutet einen mehr als gewöhnlichen Bestand von
Kenntnissen; der von dem Munde ausgehende Strich soll das Eohr zum
Aussaugen der Krankheit bezeichnen. In der Hand hat er eine Rassel.
Nach der Zeichnung auf einem Musikbrett von Birkenrinde. — Nach
Hoffman, wie Fig. 15. p. 255 Fig. 31 189
Fig. 85. Medicin-Mann der Mandan-Indianer, einen Kranken
behandelnd. (Besprochen S. 189.) — Nach einer Handzeichnung von
George Catlin, im Besitze des Mus. f. Völkerkunde, Berlin 191
Fig. 86. Menschhche Figur aus einem Koliblatt, in welche der
Krankheits-Dämon hineingelockt und dann vernichtet wird; von der
Insel Dania. — Nach Biedel, wie Fig. 35. Tafel XLIII Fig. 7 . . .195
Erklärung der Abbildungen. 325
Seite
Fig. 87. Medicin-Hütte für den Medicin-Tanz „der Gesang
gegen die Berge" der Navajö -Indianer in Arizona. — ^N'ach
WasJiington llatthews, The Mountain chant etc. Fifth Annual Report
of the Bureau of Ethnology. Washington 1887. PL X 198
Fig. 88. Trockengemälde der Navajo-Indianer in Arizona,
zu dem grossen Medicin-Tanze: „der Gesang gegen die Berge'' ge-
hörig. Es soll die Malerei vorstellen, welche ihr Prophet Dsilyi Neyäni
in dem Heim der Bären in den Carrizo-Bergen gesehen hatte.
Eine Wasserschüssel, mit schwarzem Pulver bestreut, steht in der Mitte
des Bildes; Sonnenstrahlen und vier sogenannte Sonneuflösse sind regel-
mässig um dieselbe geordnet. Auf jedem der Letzteren steht eine Gott-
heit, Yay, den vier Himmelsgegenden entsprechend. Rothes Sonnen-
licht und Sonnenstrahlen umgürten ihre Lenden; Blitze auf schwarzer
Regenwolke sind auf ihren Vorderarmen und Schenkeln dargestellt. Ohr-
gehänge, Halsbänder und Armringe, blau und roth, Türkis und Koralle,
die geheiligten Juwelen bezeichnend, und reich gemusterte Taschen,
Ornamente von Stachelschweinstacheln vorstellend, schmücken sie. Mit
einer Schnur au der rechten Hand l)efestigt trägt jede Gottheit einen
Korb, ein Amulet und eine Medicin-Manns-Rassel; die linke Hand ist
gegen eine stylisirte Pflanze hingestreckt, welche der Gottheit geheiligt
ist. Zu dem weissen Gott des Ostens gehört im Südosten der weisse
Getreidehalm. zu dem blauen Gott des Südens im Südwesten der
blaue Bohnenstengel, zu dem gelben Gott des Westens im Nord-
westen die gelbe Kürbisranke und zu dem schwarzen Gott des
Nordens im Nordosten die schwarze Tabaks pflanze. Die Pflanzen
strecken jede fünf Wurzeln der centralen Wasserschüssel entgegen. —
Uim-ahmt wird das Bild zu drei Viertel seines Umfanges von einer
langgestreckten, im Kreise gebogenen, menschlichen Gestalt. Es ist der
Regenbogen, dessen weibliches Geschlecht durch die viereckige Form
des Kopfes bezeichnet wird. Seine Hände sind leer und auf dieselben
wird die Kalebasse mit der Medicin gestellt, welche Patientin und
Medicin-Mann einnehmen müssen. Li der Lücke der Umrahmung im
Osten stehen zwei Blauvögel (Sialia arctica) mit ausgestreckten
Flügeln. Sie halten Wache an dem Thore des Hauses, in welchem diese
Gottheiten wohnen. Von den Navajö werden sie Qoli genannt, da sie
mit ihrem Rufe i^o\\ coli in der Morgendämmerimg den Tag begrüssen.
Sie werden als die Herolde des Morgens für heilig gehalten und ihre
blauen Federn bilden ein nothwendiges Zubehör zu allen Federstickereien
der Navajo-Indianer. — Auf dem Kopfe jedes Yay sieht man eine
horizontal liegende Adlerfeder und eine gleiche befindet sich auf den
Körben, welche von den Gottheiten gehalten werden. Ihre Richtung
ist derjenigen des Sonnenlaufes entgegengesetzt. — Nach Matthews^ wie
Fig. 87. Plate XVIII 199
Fig. 89. Instrumente der Medicin-Männer der Hai d ah -Indianer,
um die fliehende Seele des Kranken zu halten; aus Kjiochen und Iris-
muscheln. Mitgebracht von Adrian Jacobsen. Mus. f Völkerk., Berlin.
Nach einem Aquarell von Frl. Julie Schlemm 203
326 Anhang I.
Seite
Fig. 90. Schneebrillen der Eskimo. Kwixpagniiit in Alaska;
— Miis. f. Völkerkunde. Berlin. Xacli photographischer Aufnahme des
Verfassers 210
Fig. 91. dagdluit der Eskimo a-ou der Mündung des Yukon
in Alaska, mit Federbuseli und V^'alrosszahiiornamenten gesclimiukt.
Walrossköpfe, Yogellvöpfe n. s. w. darstellend. (Besprochen S. 210.) —
Mitgebracht von Adrian Jacohsen. Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach
photographischer Aufnahme des Verfassers 211
Fig. 92. Schalenförmiges Geräth, aus einem dichten Grasgeflecht
hergestellt, von den Kwixpagmut, einem Indianer- oder Eskimo-
Stamme an der Mündung des Yukon, als Resi:)irator benutzt, um in
den Sclnvitzhütten ihre Athmungsorgaue vor der Belästigung durch den
Wasserdampf zu schützen. Aeussere Ansicht. (Besprochen S. 222.) —
Mitgebracht von Adrian Jacohsen. Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach
photographischer Aufnahme des Verfassers 221
Fig. 93. Dasselbe wie Fig. 92. Innere Ansicht. Man sieht einen
horizontal gestellten hölzernen Vorsprung, an welchem der Respirator
mit den Zähnen festgehalten wird. (Besprochen S. 222.) — Nach photo-
graphischer Aufnahme des Verfassers 221
Fig. 94. Amulet des Medicin-Mannes der Tschim si an -In dianer
in Britisch Columbien, einen V^ogelkopf und zwei Menschenköpfe
darstellend. (Besprochen S. 226.) — Mitgebracht von Adrian Jacohsen.
Mus. f. Völkerk., Berlin. Nach photograph. Aufnahme des Verfassers . 222
Fig. 95. Japanerin bei der Toilette. Auf ihrem entblössten
Rücken sieht man eine Eeihe Moxen-Narben. (Besprochen S. 222, 223.)
- — Nach einem japanischen Holzschnittwerke, im Besitze des Museum
f. Völkerkunde, Berlin 222
Fig. 96. Japaner und Japanerin, denen Moxen gesetzt werden.
(Besprochen S. 222, 22.3.) — Nach einem japanischen Holzschnitt-
werke, im Besitze des Mus. f. Völkerkunde, Berlin 223
Fig. 97. Amulet des Medicin-Mannes der Tschimsian-Indianer
in Britisch-Columbien; in Knochen geschnitzt, mit Haarscho^jf. (Be-
sprochen S. 226.) — Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach photograph.
Aufnahme des Verfassers . . . . ' 224
Fig. 98. Steinernes Amulet des Medicin-Mannes der Tschimsian-
Indianer in Britisch - Columbien. zum Heilen gebraucht. (Be-
sprochen S. 226.) — Mus. f. Völkerk., Berlin. Nach photographischer
Aufnahme des Verfassers 224
Fig. 99. Steinernes Amulet eines Medicin-Mannes der Tschim-
sian-Indianer in Britisch-Columbien, zum Heilen von Kranken
gebraucht. (Besprochen S. 226.) — Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach
photographischer Aufnahme des Verfassers 225
Fig. 100. Mepit, hölzerner Igel, mit Zeug umhüllt, Amulet der
Giljaken, das zum Schutz vor Krankheiten in der Jurte aufbewahrt
wird. (Besprochen S. 228.) — Mitgebracht von Adrian Jacohsen. Mus.
f. Völkerkunde, Berlin. Nach photographischer Aufnahme des Verfassers 225
Erklärung der Abbildungen. 327
Seite
Fig. 101. Tiger aus Stroh geflochten, Amulet der Golden, in
"welches die Ki-ankheit gebannt wird. (Besprochen S. 228.) — Mit-
gebracht von Adrian Jacohsen. Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach
photographischer Aufnahme des Verfassers 226
Fig. 102. Mökr, holzgeschnitzter und mit Zeug umhüllter Menschen-
kopf, Amulet der Giljaken, gegen alle Krankheiten helfend. (Be-
sprochen S. 228.) Mitgebracht von Adrian Jacohsen. Mus. £ Völker-
kunde, Berlin. Nach photographischer Aufnahme des Verfassei-s . . . 227
Fig. 103. Xox Fit, armloses hölzernes Mensch enfigürchen zwischen
zAvei Holzstücken an einem Lederriemen, Amulet der Golden gegen
Brust- mid Achselschmerzen. (Besprochen S. 2.30.) — Sammlung Um-
lauffi Hamburg. Nach photographischer Aufnahme des Verfassers . . 227
Fig. 104. Kaso, hölzerner Thierkopf mit einem Fischwirbel im
Maul; Amulet der Golden gegen Rücken- und Ki'euzschmerzen. (Be-
sprochen S. 231.) — Mitgebracht von Adrian Jacohsen. Mus. f. Völker-
kunde, Berlin. Nach photographischer Aufnahme des Verfassers . . . 228
Fig. 105. Tschotz, Bär aus Holz, der von den Schamanen der
Giljaken gefertigt wird, wenn ein Krankheitsfall eintritt und der dann
im "Walde „versteckt'- wird, bis die Krankheit vorüber ist. (Besprochen
S. 228.) — Mitgebracht von Adrian Jacohsen. Mus. f. Völkerkunde,
Berlin. Nach photographischer Aufnahme des Verfassers 228
Fig. 106. Sewö, hölzerne Menschenfigur der Golden, in welche
der Krankheits-Dämon übergeht. (Besprochen S. 228.) — Mitgebi-acht
von Adrian Jacohsen. Mus. f. Völkerk., Berlin. Nach photographischer
Aufnahme des Verfassers 229
Fig. 107. Rohe Holzfiguren von der Insel Nias, die in Krank-
heiten mit Palmenblätteru geschmückt werden und vor denen man
dann opfert. — Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach photographischer
Aufnahme des Verfassers 229
Fig. 108. Hölzernes Amulet der Golden gegen Nasenübeh (Be-
sprochen S. 229.) — Sammlung Umlauff , Hamburg. Nach photo-
graphischer Aufnahme des Verfassers 230
Fig. 109. Hölzernes Herz, Amulet der Golden gegen Herzleiden
und Brustschmerzen. (Besi^rochen S. 229.) — Mitgebracht von Adrian
Jacohsen. Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach photographischer Auf-
nahme des Verfassers 230
Fig. 110. Tschamlüt-nif, hölzernes, an der Spitze gespaltenes
Herz; Amulet der Giljaken; wird gegen Brustschmerzen am Halse
getragen. (Besprochen S. 229.) — Mitgebracht von Adrian Jacohsen.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach photographischer Aufnahme des
Verfassers 230
Fig. 111. Pomöro-mot-tschotz, hölzerne Menschenfigur mit
einem Bärenkopf, der sich in die Brust beisst; Amulet der Giljaken
gegen Brustschmerzen. (Besprochen S. 230.) — Mitgebracht von Adrian
Jacohsen. Mus. f. Völkerkunde. Berlin. Nach photograpliischer Auf-
nahme des Verfassers 231
328 ■ Anhang I.
Seite
Fig. 112, Kolke !•('», hölzerne ]\rensclieiitigur mit Geleuken in den
Armen und Beinen, Amulet der Golden gegen Eheumatismus. (Be-
sprochen S. 230.) — Mitgebracht von Adrian Jacohsen. Mus. f. Völker-
kunde, Berlin. Nach photographischer Aufnahme des Verfassers . . 231
Fig. 118. Sitzende Meuschenügur von Holz mit einer Kröte auf
der Brust; von den Schamanen der Giljakeu gefertigt als Amulet
gegen Krankheiten der Brust und des Leibes. (Besprochen S. 229.) —
Mitgebracht von Adrian Jacohsen. Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach
photographischer Aufnahme des Verfassers 231
Fig. 114. Umsemama, hölzerne Menschentigur, einen an der
Auszehrung Leidenden mit vorstehenden Dornfortsätzen der Wirbel
darstellend; Amulet der Golden, zur Vertreibung der Auszehrung im
Hause aufgestellt. Hinteransicht. (Besprochen S. 233.) — Mitgebracht
von Adrian Jacohsen. Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach photo-
graphischer Aufnahme des Verfassers 232
Fig. 115. Umsemama, hölzerne Menschenfigur, einen an der
Auszehrung Leidenden mit vorstehenden Rippen darstellend, Amulet
der Golden, zur Vertreibung der Auszehrung im Hause aufgestellt.
Vorderansicht. (Besprochen S. 233.) — Mitgebracht von Adrian Jacohsen.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach photographischer Aufnahme des
Verfassers 232
Fig. 116. Ein Kranker, welcher Blut bricht; Zeichnung auf einem
Musikbrett der "Wabeno der nordamerikanischen Indianer. (Man
vergleiche Fig. 32.) — Nach Schoolcraft wie Fig. 17. Part. I Plate 51
Fig. 4 233
Fig. 117. Holzmaske der Teufelstänzer der Singhalesen, den
Korasannijd, den Teufel der Lähmung darstellend. (Besprochen
S. 233.) — Mus. f. Völkei-kunde, Berlin. Nach photographischer Auf-
nahme des Verfassers 234
Fig. 118. Maske des Lascorin, mit "Wunden an Stirn, Nase und
Lippe, von den Singhalesen, Ceylon. (Besprochen S. 233.) —
Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach photographischer Aufnahme des
Verfassers 234
Fig. 119. Tschnchei-moitr-chu, hölzernes Menschenfigürchen
ohne Extremitäten mit durchbohrtem Leib, Amulet der Giljaken gegen
Dui'chfall. (Besprochen S. 230.) — Mitgebracht von Adrian Jacohsen.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach photographischer Aufnahme des
Verfassers 235
Fig. 130. Matschka-mökr, hölzerner Menschenkopf mit Zeug
umwickelt, Amulet der Giljaken gegen Zahnschmerzen. (Besprochen
S. 231.) — Mitgebracht von Adrian Jacohsen. Mus. f. Völkerkunde,
Berlin. Nach photogi^aphischer Aufnahme des Verfassers 235
Fig. 131. Altperuanisches Thongefäss, einen mit Beulen
überdeckten Mann darstellend, welcher sich mit Hülfe eines in der
Hand gehaltenen Gegenstandes juckt. (Besprochen S. 233.) — Mus. f.
Völkerkunde, Berlin. Nach einem Aqiiarell von Fräulein Julie Schlemm 235
Erklärung der Abbildungen. 329
Seite
Fig. 132. Recept eines Schamanen der Golden mit schwarzer
Farbe auf Papier gemalt. Die aufgemalten Gegenstände müssen in
Holz oder Stroh gefertigt werden, damit der Kraukheits-Dämon in die-
selben hineingebannt werden kann. (Besprochen S. 234.) — Mitge-
bracht von Adrian Jacohsen. Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach
photographischer Aufnahme des Verfassers 23 S
Fig', 133. Holzgeschnitzte Amulete der Golden, welche nach
dem Recepte des Schamanen (vergl. Fig. 122) geschnitzt worden sind.
Sie helfen gegen Kinderkrankheiten. (Besprochen S. 234.) — Mitge-
bracht von Adrian Jacohsen. Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach pho-
tographischer Aufnahme des Verfassers 237
Fig. 134. Weiberkamm der Orang Semang, Malacca, als
Amulet gegen eine bestimmte Krankheit dienend. (Besprochen S. 232, 233.)
— Geschickt von Vaughan Stevens. Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach
photographischer Aufnahme des Verfassei-s 237
Fig. 125. Kirsmu-tschotr-ku, hölzerner Bär mit einem kleinen
Bären auf dem Rücken; Amulet derGiljaken gegen Rückenschmerzen.
(Besprochen S. 229.) — Mitgebracht von Adrian Jacohsen. Mus. f. Völker-
kunde, Berlin. Nach photographischer Aufnahme des Verfassers . . . 288
Fig. 126. Bambusstück mit eingeschnittenen Zeichen, in Cholera-
Zeiten vor den Dörfern der Khäs im Gebiete des Me-Khong in
Hinterindien aufgehängt, um Fremden den Eintritt in das Dorf zu
verwehren und Zuwiderhandelnden bestimmte Strafen anzudi'ohen.
(Besprochen S. 238.) — Nach Harmand: Les races Indo-Chinoises.
M6moires de la Societe d'Anthropologie de Paris, tome III. IL Serie.
Paris 1875 239
Fig. 137. Hölzerne Arme mit Gelenken und einem Menschen-
gesicht, Amulete der Golden gegen Gelenkschmerzen und Versteifimgen
der oberen Extremitäten. (Besprochen S. 230.) — • Mitgebi-acht von
Adrian Jacohsen. Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach photographischer
Aufnahme des Verfassers ■ 239
Fig. 128. Abolo Xeron, hölzernes Thier (Eidechse oder Tiger?)
mit gespaltenem Schwanz und mehrfach eingekerbtem Rücken; Amulet
der Golden gegen Geschlechtskrankheiten. (Besprochen S. 231.) —
Sammlung Umlauf, Hamburg. Nach photographischer Aufnahme des
Verfassers 239
Fig. 129. Jergä. Panther aus Holz, mit schwarzen Flecken,
Amulet der Golden, gegen Schmerzen im Unterleibe. (Besprochen
S. 231.) — Mitgebracht von Adrian Jacohsen. Mus. f. Völkerkunde,
Berlin. Nach photographischer Aufnahme des Verfassei'S 240
Fig. 130. Poinga-kurr-tü-tschnchei, hölzerne Menschenfigur ,
mit fliegendem Vogel auf dem Rücken; Amulet der Giljaken gegen
heftige Kreuzschmerzen. (Besprochen S. 229.) — Mitgebracht von
Adrian Jacohsen. Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach photographischer
Aufnahme des Verfassers 241
830 Anhang I.
Seite
Fig. 131. Siitsclika, zwei hölzerne Menschenfigürchen in einem
hinten mit Zeug bespannten Holzbogen, Amulet der Golden gegen
Augenkrankheiten. (Besprochen S. 231.) — Mitgebracht von Adrian
Jacohsen. Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach photographischer Auf-
nahme des Verfassers 241
Fig. 132. Tamke-tress-tschöff, holzgeschnitzte Hand mit
Menschengesicht; Amulet der Giljaken. (Besprochen S. 230.) —
Mitgebracht von Adrian Jacohsen. Mus. f. Völkerkunde, Berlin, Nach
photographischer Aufnahme des Verfassers 242
Fig. 133. Holzgeschnitzte Menschenfigürchen mit Gelenken, Amulet
der Giljaken gegen Fuss- und Beinschmerzeu. (Besprochen S. 230.)
— Mitgebracht von Adrian Jacohsen. Mus. f. Völkerkunde, Berlin. ,
Nach photographischer Aufnahme des Verfassers 243
Fig. 134. Njerä-sewö, hölzernes, armloses Menschenfigürchen
mit einem Gelenke im Mittelkörper, Amulet der Golden gegen Fuss-
krankheiten. (Besprochen S. 230.) — Mitgebracht von Adrian Jacohsen.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach photographischer Aufnahme des
Verfassers 243
Fig. 135. Pomali, flacher Korb mit vier daran hängenden Bam-
buscylindern. Diese werden mit "Wasser gefüllt, in den Korb werden
Opfer gelegt, das Ganze wird, um dem bösen Geiste Nahrung zu gewähren,
vor dem Hause aufgehängt. Dieser wird dadui'ch günstig gestimmt
und verschont die Bewohner mit Ki-ankheit. Insel Bonerate. (Be-
sprochen S. 250.) — Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach photographischer
Aufnahme des Verfassers 245
Fig. 136. Uma bomoki, Häuschen, das bei Epidemien auf
Süla-Besi gefertigt und mit Opferspeisen gefüllt wird, um die Krank-
heits-Dämonen zu besänftigen, oder auch um die guten Geister zur
Bekämpfung derselben geneigt zu machen. (Besprochen S. 250.) —
Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach photographischer Aufnahme des
Verfassers 247
Fig. 137. Adü Fangüru, hölzernes Idol von der Insel Nias,
das zui' Abwehr der Pocken dient. (Besprochen S. 251.) — Nach
Modigliani^ wie Fig. 34 249
Fig. 138. Fa-nap, holzgeschnitzte Menschenköpfe, welche auf
der Insel Süla-Besi beiEindemien von der gesammten Dorf bevölkerung
zur Abwehr in ein kleines Haus ausserhalb des Dorfes gebracht werden.
(Besprochen S. 251.) — Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach photo-
graphischer Aufnahme des Verfassers 249
Fig. 139. Tau-Tau-likoballo, „tanzende Puppen", Menschen-
figürchen aus Palmblättern so an einem horizontal hängenden Reifen
aufgehängt, dass der leiseste Lufthauch sie in Bewegung bringt. Sie
dienen zum Schutze gegen Epidemien. Insel Saleijer. (Besprochen
S. 252.) — Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach photographischer Auf-
nahme des Verfassers 251
1
I
Ei'klärung der Abbildungen. 331
Seite
Fig. 140. Stab mit [ßlättertüten und Baumwolleulnischeln, als
Talisman zur Abwehr von Ki'ankheiten im Dorte aufgesteckt. Aus
Luschai in Tscliittagong. (Besprochen S. 253.) — Mitgebracht von
Rieheck. Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Xaeh photographischer Aufnahme
des Verfassers 251
Fig. 141. Talisman zui' Abwehr von Krankheiten im Dorfe auf-
gesteckt. Aus Luschai in Tschittagong. — Mus. f. Völkerkunde,
Berlin. Nach photographischer Aufnahme des Verfassers 253
Fig. 142. Lotta-gah, kleines Boot, das bei dem Ausbruch von
Epidemien in Siila-Besi gefertigt und mit Speisen beladen der See
übergeben wird. (Besprochen S. 255.) — Mus. f. Völkerkunde, Berlin.
Nach photographischer Aufnahme des Verfassers • . 254
Fig. 143. Leor, Modell eines Falirzeuges, wie Letzteres bei Epi-
demien in Timoriao verfertigt und unter Gebeten den Wellen über-
lassen wird. Die menschlichen Figui'en werden von denjenigen Fa-
niilieuhäuptern geschnitzt, deren Angehörige erkrankt sind. Die den
Figiu'en umgehängten Körbchen dienen zur Aufnahme der Opfergaben.
— Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach photogi-aphischer Aufnahme des
Verfassers 255
Fig. 144. Kor a -Kor a, kleines Boot von "West-Allor, dem
Nitu oder Henarah geweiht, mit menschlichen, zum Theil mit Schild
und Schwert bewaffneten Figuren, im Hause aufgestellt, um Krankheiten
abzuhalten. — Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach photographischer
Aufnahme des Verfassers 257
Fig. 145. T-saura, Scarificationsinstrument der Karayä-ln-
dianer am Rio Araguya (Goyaz) in Brasilien; in eine auf der
Rückseite mit Harz oder Wachs beschwerte Cuyen-Schaale sind Fisch-
zähnchen eingesetzt. — Mitgebracht von Faul Ehrenreich. Mus. f.
Völkerkunde, Berlin. Nach photographischer Atifnahme des Verfassers 267
Fig. 146. Eiserne Messerchen mit hölzernem Griff zum Aderlass
von den Kwixpagmut, einem Indianer- oder Eskimo-Stamm von der
Mündung des Yukon in Alaska. - — Mitgebracht von ^cZn'aw Jaco&sew.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach photograph. Aufnahme des Verfassers 268
Fig. 147. Jes'sakkid, Mediciu-Mann der Chippeway-Indianer
einem Patienten mit Hülfe eines knöchernen Rohres die Krankheit aus-
saugend. (Besprochen S. 270.) — Nach Hoffman, wie Fig. 15 . . . 269
Fig. 148. Oberes Ende eines Kiihhorns mit durchbohrter Spitze,
Schröpf köpf der Haussa. — Mitgebracht von Staudinger. Mus. f.
Völkerkunde, Berlin. Nach photographischer Aufnahme des Verfassers 270
Fig. 149. Schröpfkopf von Messing aus Marokko. (Besprochen
S. 270.) — Mitgebracht von Max Quedenfeldt Mus. f. Völkerkunde,
Berlin. Nach photographischer Aufnahme des Verfassers 271
Fig. 150. Eisernes, pinzettenähnliches Instrument der Haussa
(Nordwest- Afrika) mit Leder umflochten. Es wird zum Ausziehen
von Dornen u. s. w. benutzt. (Besprochen S. 274.) — Mitgebracht von
332 Anhang I.
Seite
Robert Flegel. Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach photographischer
Aufnahme des Verfassers 272
Fig:. 151. Kleines eisernes Älesser mit umwickeltem Griff, von
einem Medicin-iNInini der Haussa in Ganda (Nordwest- Afrika) zum
Operiren und Tättowiren beuutzt. (Besprochen S. 275.) — Mitgebracht
von Staudinijer. Miis. f. Völkerkunde, Berlin. Nach photographischer
Aufnahme des Verfassers 273
Fig:. 153. Scheeren eines Heuschreckenkrebses (S(iuilla) zum Offneu
von Pusteln u. s.w. von der Carolinen-Insel Yap. (Besprochen S. 275.)
— Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach photographischer Aufnahme des
Verfassers 273
Fig. 153. Pinjaniix), geglättete und bearbeitete holzige "Wurzel
aus Borneo, von den Dayaken zum Offnen von Abscessen und zum
Herausziehen des Schmerzes aus dem Körper ])enutzt. (Besi)rochen
S. 275, 276.) — Mitgebracht von Felix Isidor Baczes. K. K. Natur-
historisches Hofmuseum in Wien. Nach einer durch Herrn Custos
Franz Heger freundlichst übersendeten Zeichnung 273'
Fig. 154. Eiserne Zahnzange (Awarteki) der Haussa von
Sokoto in Nordwest- Afrika. (Besprochen S. 277.) — Mitgebracht
von Robert Flegel. Mus. f. Völkei'kunde, Berlin. Nach photograph.
Aufnahme des Verfassers 274
Fig. 155. Eiserne Zahnzange (Awarteki) der Haussa von
Sokoto (Nordwest- Afrika) im Lederfutteral. (Besprochen S. 277.) —
Mitgebracht von Robert Flegel. Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach
photographischer Aufnahme des Verfassers 275
Fig. 156. Junger Mann der Bawenda aus Ha Tschewasse,
Transvaal, welchem beim Herausmeisselu eines Zahnes ein Stück
des Unterkiefers durch die Wange getrieben wurde. (Besprochen S. 277.)
— Nach photographischer Aufnahme im Besitze des Verfassers . . . 27&
Fig. 157. Vernähte Bauchwunde einer Frau in Uganda (Central-
Afrika), bei welcher der Kaiserschnitt ausgeführt war. — Nach Robert
W. FelJcin: Ueber Lage und Stellung der Frau bei der Geburt auf Grund
eigener Beobachtung bei den Neger- Völkern der oberen Nil-Gegenden.
Marburg 1885. Taf II Fig. 18 283
Fig. 158. Ein beilförmiges und ein spateiförmiges Glülieisen aus
Marokko. — Mitgebracht von 3Iax Quedenfeldt. Mus. f. Völkerkunde,
Berlin. Nach photographischer Aufnahme des Verfassers 287
Fig. 159. Tragestuhl von Band)us für eine Kranke in Si-BelaboeAV
in Mittel-Sumatra, auf dem Rücken getragen. (Bes|)roclien S. 291.)
— Nach van Hasselt, wie Fig. 11, PL XXXVII, Fig. 2 288
Fig. 160. Stuhl von Bambus für einen gelähmten Knaben aus
Soeroelangoen in INfittel-Sumatra. (Besprochen S. 291.) — Nach
van Hasselt, wie Fig. 11, PL XXXVII, Fig. 5 288
Fig. 161. Amoo, Kranken-Tragbahre der Maori auf Neu-
seeland. (Besi)rochen S. 201.) — Nach Thomson- Longmore Fig. XXII 289
Erklärung der Abbildungen. 333
Seite
Fig. 163. D a CO ta- Indianer einen Verwundeten transportirend.
{Besprochen S. 292.) — Nach Schoolcraft, wie Fig. 17, Part. II plate 25 291
Fig. 163. Hölzerner Fetisch mit ächten, verfilzten Haaren, einen
grossen Nabelbruch zeigend, Benguela (Central- Afrika). (Besprochen
S. 294.) — Mus. f. Völkerk., Berlin. Nach photograph. Aufnahme d. Verf. 293
Fig. 164. Bruchband für doppelseitigen Leistenbruch aus M arokko.
Aeussere Ansicht. (Besprochen S. 295, 296.) — Mitgebracht von 3Iax
Quedenfeldt. Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach photographischer Auf-
nahme des Verfassers 294
Fig. 165. Dasselbe, wie Fig. 104. Innere Ansicht. (Besprochen
S. 295, 296.) — Nach photographischer Aufnahme des Verfassers . .295
Fig. 166. Walama, Verbotszeichen oder M atakau von der Insel
Serang, um den Uel)ertreter Blut uriniren zu lassen. — Nach Riedel,
wie Fig. 34, Taf. XIII Fig. 7 ! 297
Fig. 167. Steinmesser der Australneger vom Herbert-Flusse
für die Mika-Operation, Quarzitsj)litter in einem Griff, der aus dem
gehärteten Safte des Grasbaumes (Xauthorrhoea) hergestellt ist. Vorder-
seite und Rückseite. Nach Photographie und Schematischer Quer-
schnitt des Quarzitsplitters. (Besprochen S. 297.) — Aus N. von MiJducho-
3Iaclay: Bericht über Operationen australischer Eingeborener. Zeitschrift
für Ethnologie. Band XIV. S. 28. Berlin 1SS2 298
Fig. 168. Eiserner Haken der Haussa von Sokotö (Nordwest-
Afrika) zur Entfernung von „schleimigen Häuten" bei einer Beli ge-
nannten, der Bräune ähnlichen Halskrankheit. (Besj)rochen S. 300.) - —
Mitgebracht von Hobert Flegel. Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach
photographischer Aufnahme des Verfassers 299
Fig. 169. Spatelartiges Instrument und eiserner Haken der Haussa
aus Sokoto (Nordwest- Afrika) zur Entfernung von „schleimigen
Häuten" bei einer Beli genannten, der Bräune ähnlichen Halskrankheit.
(Besprochen S. 300.) — Mitgebracht von Staudinger. Mus. f. Völkerk.,
Berlin. Nach photographischer Aufnahme des Verfassers 299
Fig. 170. Hohlmeisselartiges Instrument der Haussa aus Sokotö
(Nordwest-Afrika), von Eisen, mit einer Schelle und Ringen am
Griff, zur Entfernung von „schleimigen Häuten" bei einer Beli ge-
nannten, der Bräune ähnlichen Halskrankheit. (Resi)rochen S. 300.) —
Mitgebracht von Staudinger. Museum f. Völkerkunde, Berlin. Nach
photographischer Aufnahme des Verfassers 299
Fig. 171. Ledernes Futteral der Haussa aus Sokotö (Nordwest-
Afrika) für ein chirurgisches Besteck. — Mitgebracht von Staudinger.
Mus. f. Völkerkunde, Berlin. Nach photograph. Aufnahme des Verfassers 300
Fig. 172. Schädel einer Mumie aus Neu-Caledonien mit einer
niu' theilweise vollendeten Trepanationswunde auf dem rechten Stirn-
bein. Der Gesichtstheil des Schädels wird durch die angezogenen Kniee
verdeckt und ist deshalb im Holzschnitt fortgelassen worden. (Besi)roclien
S. 302.) ■ — Sammlung Umlauff, Hamburg. Nach photographischer
Aufnahme des Verfassers 301
334 Anhang I. Erklärung der Abbildungen.
Seite
Fig. 173. Trepauirter Schädel aus einem altiieruanischen Grabe
in Pisac. (Besprochen S. 304.) — Mitgebracht von Hettner. Mus. f.
Völkerkunde, Berlin. Nach photograph. Aufnahme des Verfassers . . 303
Fig. 174. Operatiousmesser, wie es die Eingeborenen in
Kahura (Uganda, Central-Afrika) zur Ausführung des Kaiser-
schnittes benutzen. — Xach FelJiW^ wie Fig. 157. Taf II, Fig 19 305
Fig. 175. Kaiserschnitt, von Eingeborenen in Kahura
(Uganda, Central-Afrika) ausgeführt. — Nach Felhin^ wie Fig. 157.
Taf. II, Fig 17 30G
Anhang II.
Verzeichniss der benutzten Schriften.
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Wissmann, Hermann. Unter deutscher Flagge quer durch Afrika von
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Hermann Wissmann. BerHn 1889.
Wlislocki, Heinrich von. Aus dem inneren Leben der Zigeuner. Ethno-
graphische Mittheikingen. BerHn 1892.
Woheser, H. v. Serpa Pintos Wanderung (juer durch Afrika vom At-
lantischen zum Indischen Ocean durch bisher grösstentheils gänz-
lich unbekannte Länder, die Entdeckung der grossen Nebenflüsse des
Zambesi nach des Reisenden eigenen Schilderungen frei übersetzt.
Leipzig 1881.
Woldt^ August. Capitaen Jacobsens Reise an der Nordwestküste
Amerikas. Leipzig 1884.
Wolff. Reise von San Salvador zum Quango. Verhandlungen d. Ges.
f. Erdkunde. Berhn 188G. Band Xlll S. 63.
Anhang III,
/M
yoi'zeicliiiiss der geographischen und Yölkernaiiieii.
Die in [ ] gesetzten Eigennamen bezeichnen die Autoren, denen die im Texte
gemachten Angaben entnommen sind. Die betreffenden Werke sind in An-
hang II aufgeführt worden. M. V. bedeutet, dass die Angaben den Er-
klärungen entnommen sind, welche sich in den Akten des kgl. Museums für
Vcilkerkunde in Berlin finden. Die Ziffern bedeuten die Seitenzahlen des
Textes, auf welchen die Namen vorkommen. Schräg gedruckte Seitenzahlen
zeigen Abbildungen an.
Aarii- Inseln (Aru-Inseln, Arru-Inseln), südlich von Neu- Guinea.
[Riedel?[ 21, 24, 24, 28, 30, 35, 42, 42, 47, 53, 56, 58, 185, 195, 217,
240, 246, 246, 250, 266.
Aeinam, FIuss in Brasilien. [Ehrenreich^ 185.
Adelaide [Aiistralia, South-]. (Süd-Australien.) 106.
Aegypten, 212, 226, 271.
Akkader [Lenormant-Jensen\. Dieses Volk wird von den heutigen Assyrio-
logen als Sumerier bezeichnet. Der Name Akkader ist gleich-
bedeutend mit Babylonier. Die Sumerier waren aber die nicht
semitischen Yorgänger der Babylonier und Assyrer in dem Euphrat-
Tigris-Gebiete. 12, 27, 34, 35, 175, 206, 227, 228, 252, 253.
Alahanpandjang, Mittel-Sumatra, [van Hasselt^ Veth.] 88.
Alaska, Nordwest- Amerika. [Bancroft, Niblack, M. F.] 11, 57, 61, 109,
122, 127, 147, J210, 211, 221, 221, 268, 268, 270, 282, 285. Siehe auch
Ätna, Eskimo, Koniaga, Kupferfluss, Kwixpagmut, Yukon
River.
Alor (Allor), Insel im malayischen Archipel zwischen Timor und
Flores. [Riedel, M. F.] 16, 17, 17, 41, 257, 257.
Alpen, 36, 204, 230.
Altai, östliches West- Sibirien. [Radioff.] 17, 18, 70, 80.
Altai-Tataren, West-Sibirien. [Radioff.] 70, 177, 177, 178.
Aml)On, Insel im östlichen malayischen Archipel, südlich von Serang.
[Riedel] 19, 28, 28, 28, 30, 35, 35, 38, 41, 128, 162, 195, 201, 201,
203, 204. 214, 249, 259.
Amur-GreMet, Ost- Sibirien. [M. F.] 98.
348 Anhang III.
Aiidai, Nordwest- Neu -Guinea. \von Bosenberg.] 11, 49.
Aiidamaneii. \31an.] 2(50. Siehe auch Miucopies.
Aniiam, Hinterindien. \Landes.] 12, 18, 19, 19, 21, 31, 35,37,42,50,52,
53, 54, 55, 56, 5G, 57, GO, 63, 06, 66, 67, 80, 81, 87, 88, 96, 97, 106,
106, 107, 107, 113, 113, 114, 148, 148, 154, 154, 154, 160, 161, 162,
166, 166, 166, 169, 192, 195, 212, 214, 216, 242, 244, 244, 245, 259.
Aiiiiainiteii, siehe Annam.
Aueiteiim, Insel der Neu-Hebriden-Gruppe. [Turner.] 175.
Arabien. 212.
Arizona, Nord-Amerika. 59, 160, 180, 197, 198, 198, 199, 199, 200, 270.
S. a. Navajö, Pueblos.
Arowaken, Indianer in Surinam. [Joest] 261.
Asclianti, Negerstamm in Ober-Guinea, Afrika. \Botvditch.] 52, 53,
106, 123, 123, 124, 128, 134, 210, 210, 212, 267, 275, 282, 285, 289,
296. S. a. Empoöngwa.
Assyrer. [Lenormant, Jensen.] 12, 34, 35, 175, 206, 227.
Atlas-OeMrge, Marokko. [Quedenfeldt] 211.
Atna-Indianer in Alaska. [M. V.] 65, 66, 68, 69, 70, 71, 72, 73.
Atopeu in Co eh in China. [Harmand] 238, 249.
Australien, s. a. Adelaide, Australien Nordwest-, Australien Süd-,
Coopers Creek, Dieyerie, Gippsland, Goulbourn, Herbert-
Fluss, Kukuta, Maclay River, Murray - Fluss, Narrinyeri,
Nasim, Parapitschuri-See, Queensland, Victoria.
Australien, Süd-, [Äustralia, South-, Taplin.] 24, 24, 24, 24, 47, 53, 63,
86, 92, 106, 106, 119, 133, 134, 140, 148, 186, 186, 188, 205, 206, 209,
247, 269, 275, 282, 282, 290, 291.
Australien, Nordwest-, [von MiJducho- Maclay.] 274.
Aynthia, in Siam. [Bastian.] 134.
Azteken. [Stoll] 137.
Babar-Inseln (Babber-Inseln), im östlichen malayischen Archipel,
nahe der Westküste von Timoriao. [Biedel] 35, 134, 168, 195. 217,
246, 246, 246.
Bal)ylonier. 227.
Bakairi-Indianer, Brasilien. [Ehrenreich, von den Steinen.] 24, 298.
Bali, kleine Sunda-Insel, östlich an Java grenzend. [Jacobs.] 39, 39,
52, 53, 62, 88, 127, 128, 173, 240, 242, 253, 258, 295. S. a. Boele-
leng, Djembrana.
Basntlio, Betschuanen-Stamm im südöstlichen Afrika, besonders in
Transvaal. [Wangemann.] 28, 67, 69, 112, 181, 270.
Battaker (Battah), Volk in Sumatra. [M. F.] 30, 30, 106, 108, 112,
113, 114.
Verzeiclmiss der geographischen und Völkernamen. 349
Bawenda, Volk in Transvaal, Süd- Afrika. 276, 277.
Beiig-uela (Benguella), Nieder-Guiuea, AVest-Afrika. [M. V.\ 293.
Betsehiiaiieii, Südost- Afrika. [Mott'at Holuh.\ 30, 55, 57, 57, 69, 75,
80, 110, 197, 270.
Bheels, Volk in Radschpiitana, nordwestliches Indien. \Moore.] 40,287, 288.
Bilqula-Indianer in Canada. [Report] 24. 76. 78, 120, 120, 275, 275,
287, 290.
Blakfeet s. Schwarzfuss-Indianer.
Bleiidas s. Orang Blendas.
Boeleleng (Buleleng), auf Bali. [Jacobs.] 258.
Bonerate, kleine Insel, südöstlich von Saleijer. [M. F.] 105. 245, 250.
Bonito in Neu-Mexico. [Bancroft.] 139.
Boriieo. [Tromp, Veth, M V.] 11, 19, 52, 53, 55, 63, 110, 112, 128, 149,
183, 195, 273, 275. S. a. Dayaken, Kapoeas, Koetei.
Bowditcli-Iiisel, s. Fakaofo.
Brasilien. [Ehrenreich, von den Steinen.] S. Acinam, Araguya, Bakairi,
Goyaz, Hyutanaham, Ipurina, Karaya, Purus, Sertanejo,
Xingu, Yanimaniadi, Yuruma.
Brück, Schloss bei Lienz in Tirol. 27.
ßürgersdorf bei Weh lau, Provinz Preussen. 10.
Burjäten (Buräten), Volk in der Gegend von Irkutsk in Süd-Sibirien.
[Pallas, M. V.] 134, 1.34, 174, 174, 176, 215, 241, 248, 250.
Buru, Insel im malayisclien Archipel, zwischen Serang und Selebes.
[Riedel] 11, 28, 28, 38, 41, 42, 67, 134, 160, 180, 180, 214. 214. 214.
246, 254, 255, 256, 256.
Buschneger in Surinam und Guyana. [Martin, Crevaux.] 128, 261, 293.
Busclmeger in Togo, West-Afrika. [Herold.] 251.
€alitornien, Indianer von. [Bancroft.] 22, 50, 51, 53, 53, 58, 60, 60, 64,
87, 106, 106, 119,- 124, 124, 124, 133, 134, 135, 140, 155, 186, 188,
197, 205, 247, 266, 266, 267, 269, 275, 275, 282. 287. S. a. Karok,
Meewoc, Schasta.
Cambodja, Hinterindien. [Äymonier, Bastian.] 42, 53, 109, 146. 274.
S. a. Hatien, Me Khong, Schaudoc.
Canada, Indianer von. [Report, Petitot.] 24, 76, 81, 106, 100, 127, 101,
203, 268. S. a. Bilqula.
Caquingue, Central-Afrika. [Serjja Pinto.] 49. S. a. Ganguella-Neger.
Cariben (Karaiben), Indianer in Surinam und der Nachbarschaft.
[Joest.] 120, 261.
Carolinen-Inseln s. Karolinen-Inseln.
Carpentaria-GrOlf, Xord- Australien, [von Milducho-3Iaclay.\ 297.
Cascade Bange, im Washington-Territorium und Oregon, westliches
Nord- Amerika. [Gatschet.] 87.
350 Anhang III.
Cayuse-Indianer, Oregon. \Schoolcraft] 43, 75, 78, 8G.
Celebes s. Selebes.
Ceram s. Serang.
Ceylon. [Sarasin^ Tennent, M. V.\ S. Singhalesen, Tamilen, Weddah.
Chaudoe s. Scbaudoc.
Cliemakum - Indianer im "Washington - Territory, westUches Nord-
Amerika. [Eells.\ 22, 28, 23, 25, 59, 106, 201, 209, 287.
Chettro Kettle iu Neu-Mexiko. [Bancroft] 139.
Chikasaw-Indianer (Chickasaw) in Alabama. [Swan, Schoolcraft.] 25.
China. [Lockhart, Jacobs, Carrow, Wernich.] 40, 05, 128, 129, 154. 212,
222, 223, 288, 29G.
Chippeway-Indianer (Ojibwa) im Nordosten von Minnesota. [ScJiool-
craft, ^Hoffman.] 11. 36, 50, 63, 63, 69, 106, 106, 125, 133, 153, 163,
165, 179, 181, 182, 183, 185, 186, 188, 189, 189, 191, 204, 209. 210,
269, 270, 305.
Clioctaw-Indiancr im Staate Mississippi. [Schoolcraft] 25, 25, 29, 73, 74.
Cliorotegan-Indianer (Tschorotegas) in Nicaragua. [Bancroft] 120, 248.
Coloml>ia, Indianer von, Süd-Amerika. [Bancroft\ 133.
Columbien, Britisch-. [Bancroft.] 11, 24, 55, 59, 60, 66, 68, 86, 134,
147, 180, 187, 188, 266. S. a. Haidah, Frazer River, Nutka,
Onkanagan, Sahaptin, Tschimsian.
Congo, Afrika. 120.
Coopers Creek, Australien, [von MiJclucho-Maclay.] 297.
Copper River s. Kupferfluss.
Creek-Indianer in Alabama. [Schoolcraft.] 25, 29, 53, 56, 57, 60, 100,
125, 133, 163, 185, 267, 270, 290, 292.
Cypern. 42, 43.
Dacota-Indianer in Nordamerika. [Schoolcraft.] 18, 21, 21, 22, 23, 49,
51, 53, 57, 58, 59, 77, 92, 106, 120, 120, 121, 123, 124, 125, 133, 133,
134, 134, 136, 139, 140, 153, 154, 179, 179, 184, 186, 196, 243, 246,
267, 268, 270, 275, 282, 282, 284, 286, 290, 291, 292, 292.
Dad^ss im Atlas-Gebiet, Marokko. [Quedenfeldt] 211.
Dania (Damme), Insel im östlichen mal ayi sehen Archipel, zwischen
Timor und Timoriao. [Biedel.] 162, 195, 195, 196.
Dayaken, Eingeborene von Borneo. 273, 275, 276.
Dieyerie, Volksstamm in Süd-Australien. [Australia, South-, vonMihlucho-
Maclatj.] 76, 86, 92, 106, 186, 205, 297, 297.
Djailolo (Djilolo oder Halmahera), Insel der Molukken - Gruppe.
19, 19.
Djenibrana auf der Insel Bali. [Jacobs.] 258.
Dorej (Doreh), nordwestliches Neu-Guinea. [von Bosenberg.] 11, 47, 47,
61, 133, 135.
Verzeichniss der geographischen und Völkernamen. 351
Ecuador, Indianer von. [Bancroft.] 121.
Ketar (Wetter), Insel im östlichen malayischen Archipel, nördlich von
Timor. [Biedel] 22, 22, 24, 24, 24, 28, 29, 31, 32, 41, 99, 127, 1G2'
213, 214, 24G, 246, 250, 256, 260.
Emcliseili in Kafferland, Süd-Afrika. [Johl] 51. S. a. Petersberg.
Empoöiiswa, an der Grenze der Aschanti, "West- Afrika. [Bowditch.\ 296.
Eilgano, Insel im malayischen Archipel, an der Südwestküste von Su-
matra, [von Bosenberg.] 119, 275, 275, 282.
Erromaiiga, Insel der Neu-Hebriden-Gruppe. [Ella.] 36.
Eskimo von Alaska. [Jacobsen.] 211, 331, 221.
Ewe-Neg-er im Togo-Gebiete, West-Afrika. [Herold.] 19, 20, 251, 261.
Fakaofo (ßowditch-Insel), südlichste Insel der Tokelau-Gruppe in
der Südsee, südöstlich von der Duke of York Insel, nördlich von
Samoa. [Turner.] 146.
Flathead-Indianer (Flachkopf- Indianer) in Oregon. [Bancroft] 133,
267, 282.
Flores, eine der kleinen Sunda-Inseln. [M. V.] 107, 107, 120, 120,
162, 162.
Frankfurt am Main. 311.
Frankreich. [Broca, Prunieres.] 303.
Frazer ßiyer, Fluss in Britisch-Columbien. [Jacobsen.] 275.
Fullah, Volk am Rio N'unez in West- Afrika (auf S. 222 u. 287 ist irr-
thümlich Ost -Afrika genannt). [Corre.] 222, 276, 287, 293, 299.
Oalla, Volk im östlichen Central-Afrika. [PaulitschJce.] 53.
Ganguella-Xeger in Caquingue, Central-Afrika. [SeriM Pinto.] 49, 58,.
67, 106, 110, 160.
Greelyink-Bai im nordwestlichen Neu-Guinea. [J. L. van Hasselt.] 18^
167, 168, 195.
Grilbert-lnseln, nordöstlich von Neu-Guinea, südlich von den Marshall-
Inseln. [Finsch.] 168, 287.
Giljaken, Volk an der Mündung des Amur in Ost- Sibirien und im
nördlichen Sachalin. . [M. V.] 98. 183, 187, 225, 227, 228, 228, 228,
229, 229, 230, 230, 231, 231, 233, 235, 235, 238, 242, 243, 277.
Gippsland in Victoria, Australien. [Brough Smith.] 26, 49, 197.
Golden, Volk im Amur-Gebiet in Ost-Sibirien. [M. V.] 81, 82, 82, 83,
98. 109, 113, 226, 227. 228, 228, 228, 229, 229, 230, 230, 230, 230, 231,
232, 232, 233, 234, 234, 234, 236, 237, 239, 239, 240, 241. 241, 243.
Goldküste, Neger der, West- Afrika. 297.
Goron§^-Inseln im östlichen malayischen Archipel, zwischen Serang
und Neu- Guinea. [Riedel] 11, 12, 19, 27, 30, 30, 32, 38, 42, 42,
106, 109, 110, 114, 134, 161, 162. 173, 191, 191, 210, 213, 214, 216,
239, 241, 256, 266, 282.
352 Anhang III.
ixOulbourn-Stamm im südliclieu Australieu. \Australia, South-.\ 211.
Oraudeiiz. -^2.
•
€1 riechen, alte. 2G.
Oriechen, neue. 19.
Ouatemala, Indianer von. [Stoll] 137. 138, 138. S. a. Tactic.
Criiyana ((ruayana), Indianer von. [Bastian, Crevaux.] 126, 293,
Haidah-Tndiaiier in Britisch-Columbien. [Bancroß, M. V.] 00, 71,
73, 74, 76, 121, 134, 179, 180, 181, 203, 203, 285.
Harar (Harrär), Stadt im östlichen Central - Afrika. Die Einwohner
heissen Harrari. [Paulitschke.] 12, 21, 44, 53, 89, lOG, 120, 123, 123,
123, 191, 209, 210. 212, 213, 214, 215, 216, 282, 286, 295.
Hatieii in Cambodja. 53.
Ha Tschewasse in Transvaal, Süd-Afrika. 270, 277.
Haussa, Volk im nordAvesthchen Afrika. [Staudinger, M. F.] 270, 270. 272,
273, 274, 274, 275, 275, 277, 299, 299, 299, 300, 300.
Herbert-Fluss in Nord-Queensland, Australien, [von Miklucho-Maclay.]
297, 298, 298.
Hervey-lnselii, südöstlich von Samoa, zum Raratonga- oder Cooks-
Archipel gehörig. [Fleyte.] 38, 38.
Himalaya. 292.
Hindu. [Wise, Moore.] 289, 290. S. a. Inder.
Holamux in Oregon. [31. F.] 179, 180.
Hollaender. 249, 254.
Honduras, Indianer von. [Bancroß.] 133, 154, 269.
Humphreys-Iusel (Manahiki), westhche Insel der Penryn-Gruppe, nord-
östhch von Samoa. [Turner.] 280, 290.
Huna, Portland in Oregon. [M. V.] 179.
Hyderabad (Haidarabad), Yorder-Indien. [Keelan.] 290, 297.
Hyutanaham in Brasilien. [Ehrenreich.] 248.
Ibuki-Berge in Japan. [Wernich.] 223.
IffOr roten, Volk auf den Philippinen. [Jagor.] 47.
Inder, alte. [Wise.] 14, 109.
Inder, neue. [Keelan, Moore.] 19, 05, 209, 212, 227, 273, 289, 290, 292,
295, 300, 307. S. a. Bheels, Ceylon, Himalaya, Hindu, Hydera-
bad, Radschputana, Tschittagong.
Ipurina-Indianer am oberen Kio Purus (Amazonas), Brasilien. {Ehren-
reich.] 24, 25, 29, 49, 53, 59, 78, 92, 120, 153, 181, 185. 245,
247, 248.
Irland. [Nilsson.] 26.
Verzeichniss der geographischen und Völkernamen. 353
Istliimis-Indiaiier, Central-Amerika. \Bancroft.\ 24, 57, 185, 1S5, 2G8.
Italien. 43.
Jakuten, Volk in West-Sibirieu. \Fallas.\ 215, 215.
Japan. [Wernich] 58, G5, GG, 75, 91, 145, 145, 222, 222,233, 223.224,288.
Java. 19, 217.
Jemez in Neu -Mexico. \Bancroft.\ 139.
Jenessei-Tataren in Sibirien. \Fallas.\ 125, 215.
Juden. 13, 22, 2G, 2G, 27, 28, 37, 43, 4:!. 22G, 272.
Kaffern in »Süd- Afrika. [Jolil, 3fattheivs.\ 51, 181, 270.
Kafferu von Natal. [Prozesh/.\ 57, 112, 113. S. a. Xosa - Kaffern,
Emdiseni, Petersberg, Zulu.
Kaliura, Ortschaft in Uganda, in Central-Afrika. [FelIä7Z.\ 305. 305,
300. 3i)G.
Kalmücken in Sibirien. [Pallas.] 124, 210, 222.
Kamatseliinzen (Kamaschinzen), Volk in Sibirien. [Pallas.\ 71.
Kambodja s. Cambodja.
Kanitscliadalen. [Pallas.\ 215.
Kapoeas (KajDuas), Fluss im westlichen Borneo. [M. V.] 112.
Karaiben s. Cariben.
Karayä-Indianer in Brasilien. [Ehrenreich.] 11, 42, 53, 79, 121. 121,
J22. 123, 238, 2G1, 267, 209, 274, 282, 28G.
Karen, Volk in Siam. [Bastian.] 23.
Karok-Indianer in der Hupa-Reservation in Californien. [3fason.\
22. 22, 04. lOG, 119, 123, 2G6, 282, 285.
Karolinen-Inseln. [31. F.] 273. 275. S. a. Yap.
Kasaken. [Pallas.] 125, 125.
Katscliinzen, YoUc in Sibirien. [Pallas.] 71, 180, 215.
Kei-Inseln (Keei'-Inseln, im östlichen malayischen Archipel, zwischen
Xeu-Guinea und Timoriao. [Biedel, Müller, M. F.] 11, 16, 19, 19.
24. 24, 24, 24, 28, 28, 29, 30, 42, 42, 42, 191, 214, 214, 21G, 246, 246.
252. 257, 259, 266.
Keisai* (Kisser), eine der kleinen Sunda-Inseln nördlich von Timor.
28, 28, 42, 42, 109, 114, 123, 124, 162, 192, 192, 239, 259, 266.
Klia, wilde Stämme in Laos. [Harmand.] 238, 239.
Kiowa-Indianer in Nord-Amerika. [Otts.] 284, 285.
Kirgisen. [Pallas, Badloff.] ry2, 53, 57, 59, 64, 74, 80, 179, 180. 238. 248, 276.
Klallam-Indianer im AVashington-Territory, westKches Nord-Amerika.
\Eells.\ 22. 23, 23, 25, 59, 106, 185, 201, 209, 287.
Klaniath-Indianer in Oregon. [GatscheU M. V.\ 22, 22, 22. 22, 23, 24.
2L 41, 43, 44, 51, 55, 87, 87, 133, 13G, 140, 141, 153, 163. 165. 16G.
179, 184, 184, 186, 189, 197, 209, 210, 235, 24.3, 266, 311.
Bartels, Medicin der Naturvölker. 23
354 Anhang III.
Koiiiaffa-Iiidiaiier im westlichen Alaska. \Bancroft.\ 11. ä;}. öii, .">(;, (iii. liiu.
Koetei (Kutci). in Borneo. \Tronn).] OB, 109, 12S. 195.
Koibaleii. YoWi in Sil)iri('n. \ Pallas.] 125.
Korea, iü.
Kroe (Krohe). Landschaft im südöstUchcu Sumatra. \Helferich.\ los. i:5H,
U8, 240, 250.
Kiikuta, Yülksstamm in Australien. \Brough Smith.] '>'■'>.
Kupfortluss (Copper River), in Alaska. \Jacohsen.\ 110.
Kwixpagmiit, Eskimo- oder Indianer-Stamm in Alaska. \3I. V.\ 221,
221. 222, 268, 268.
I^akor, Insel im östlichen nialayischen Archipel, zwischen Timor und
Timoriao. [Iiiedel.\ 23, 24, 24, 24, 24, 28, 28, 42, 42, 53, 154, IST,
213. 214, 245, 270. 271.
Lampoiiiu:, im südöstlichen Sumatra. \van Hasselt.] 250.
Laos, Hinterindien. \Aynionier, Bastian.] 23, 43, 107, 107, 14(). IGG,
192. 238. 238. 244. 244, 296. S. a. Kha.
Lappen. [Nilsson.] 26. 268.
Lebailg, Landschaft in Sumatra. \van Hasselt.] 242.
Leeeh Lake in Xord - Amerika, Sitz der Chippeway- und Sioux-
Indianer. [ScJioolcraft., Hoffman.] 155, 164, 165, 183.
Leti (Letti), Insel im östHchen malayischen Archipel, zwischen Timor
und Timoriao. [Riedel] 23, 24, 24, 24, 24, 28, 28, 28, 42. 42. 53,
99, 100, 154, 187, 213, 214, 245, 270, 271.
Lil)eria, Westküste von Afrika. [Büttiliofer.] 49, 50, 57, 63, 75, 120,
120, 121.
Lieiiz, Stadt in Tirol 27,
Lincoln, Port, in Australien, [von MiJdticho-Maclay.] 53, 147, 148,
240, 298.
Loango, West-Afrika. [Bastian, Soyaux.] 20. 29, 31, 38, 39, 52, 52, 54,
58, 62, 62, 66, 69, 69, 77, 78, 80, 81, 90, 90, 91, 97, 109, 112, 161,
180, 180, 197, 246,
Loyalitäts-Inseln, östlich von Australien, zwischen Neu-Caledonien
imd den Neu-Hebriden. [Ella, Turner.] 275. 286, 292, 293, 295, 296.
S. a. L^vea.
Luang-Inseln, im östHchen malayischen Archipel, zwischen Timor und
Timoriao. [Riedel] 23, 31. 41, 42, 99. lOo. 163. 190. 213, 217, 240,
250, 255, 270.
Lnl)uku, Central- Afrika. [Wissmann, Pogge.] 52, 63, 69,
Mabuncle, Volksstamm des Marutse-Reiches am Zambesi, Süd-Afrika,
[Holuh.] 68, 86,
Maelay-River in Queensland, Australien. \Brougli Smith.] 106, lo7.
Malabaren, Vorderindien. [M. F.] 233.
■(
Verzeichniss der geographischen und Völkernamen. 355
Malacca. \Vaughan Stevens, VircJiow.] 217, 218, 231, 232, 233. S. a. Orang
Blendas, Orang Utan, Orang Semang.
Maiialiiki s. Humphreys -Insel.
3Ian(laii-Iii(liaiier in Dacota, Nord-Amerika. [Catlin.] 189, 191.
Maiiindjau in Mittel-Sumatra, [van Hasselt, Veth.\ 88.
Maiisiiiam in Neu-Guinea. [van Hasselt.] 242, 243.
Maori, Eingeborene von Neu-Seeland. [Thomson, Longmore.] 134, 2S9,
291, 292.
Marokko. [Quedenfeldt, M. V.] 12, 30, 43, 43, 56, G5, 153, 155, 211, 212,
270, 271, 28G, 287, 2S7, 289, 293, 294, 295, 295, 29G. S. a. Atlas,
Dadess.
Mauren. [Bowditch.] 128.
Maya. [Bancroft] 28, 53, 57, 59, 120, 161, 168.
Me Khoiig, Fluss in Siam und Cambodja. [Harmand.\ 238. 238. 249,
250, 258.
Meiitaye.j, Insel an der Westküste von Sumatra, [von Bosenberg.] 11. 47.
Mexico. [Bancroft.] 20, 21, 22, 53, 120, 125, 126, 134, 160, 162, 168. 191,
222, 242, 266, 267, 267. S. a. Miclioacan, Opoates, Pimas.
Meewoc-Iiidiaiier in Californien. [Bancroft.] 50.
Michoaeaii in Central-Mexico. [Bancroft.] 168.
Minangabauer, Yollvsstamm in Sumatra, [van den Toorn.\ 110, 163, 201 202.
Mincopies, Volk auf den Andamanen. [Man.] 51, 61, 121, 146, 147, 147,
148, 197, 217, 242, 240, 252, 267, 267, 282, 285, 286, 288, 290.
3Iissoiiri-Grel)iet, Indianer desselben. [M. V.] 111, 176, 176, 177.
Moa, Insel im östlichen malayischeu Archipel, zwischen Timor und
Timoriao. [Biedel.\ 23, 24, 24, 24, 24, 28, 28, 28, 42, 42, 53, 154,
187, 213, 214, 245, 270, 271.
Modoc-Indianer in Oregon. [Gatscliet.\ 203.
Montenegriner. [Krauss^, 20.
Moqui-Indianer, östlich vom mittleren Laufe des Little Colorado River.
[Bancroft.\ 133, 133.
Mosquito-Indianer in Honduras. [Bancroft\ 12, 54, 59, 69, 192. 197,
244, 260, 267.
Murray-Fluss, in Victoria, Australien. [BrougJi Smith.] 209.
Xarrinyeri, Volksstamm in Süd-Australien. [Äustralia, South-, Taplin.\
30. 32, 33, 34, 36, 63, 140, 148, 206.
Xasim, Volksstamm am Golf von Carpentaria, Nord- Australien.
[von 3Hlducho-3Iaclay.\ 297, 297, 298, 298.
Natal-Kaffern s. Kuffern.
Navajo-Indianer in Arizona. [Mattheics.\ 59, 66, 67, 115, 122. 123. 160,
174. 18(t. 197, 198, 198, 199, 199, 2U(i, 270.
Neu-Caledonien, Inselgruppe östlich von Australien. 273, 301, 302. 303.
23*
35(J Anhang III.
Xeildorf bei Inaudt'iiz. 22.
>ieu-(iluiiiea. [von lioncnberg, van IJusscIf.] Is. 47. 4ii. 1;!;^. ir,;. l(;s. lon,
2S2. S. a. Aiulai, Dorej. Gcclvinkbai. Maiisiuani.
^'cu-Ueln'iden, Juselgruppo zwischen Vit i und Neu-Caledoiiien. \Tumer,
is/Za.| 33. 3(J, 17;"). S. a. Aueittim. Erronuinga, Tamoia. Tana.
Neil-Mexico. \Bancroft.\ 13S, 154.
Xeu-Seelaiid s. Mauii.
Nez Percez-Indiaiicr. {Bancroft.} 75. 78. 78. 134, 139. 235.
Nias, Insel an der "Westküste von Sumatra. \Modt(jliam, von Bosenhcrg.\
11. 19. 19. 24. 2S. 28. 29, 38, 39, 49, 53, 54, 59. (i2. 75, 80, Ul. HS. 9S,
li»7. 102. 1U3. H)7. ISO, 192. 193, 2(ll, 2(il. 229, 229. 239. 24i>. 241,
244. 249. 250, 251. 257, 2S(), 289, 290.
Nicaragua, Indianer von. \Bancroft.\ 286.
Nicobareii. [Sivoloda.] 190. 259, 200, 275.
Nila, Insel im östlichen malayisclien Archipel, nordwestlich von Timor-
iao. [Biedel] 102, 195, 190.
Nimez, Rio. West- Afrika. [Corre.] S. Füll ah.
Nutka, Indianer in Britisch-Columbien. [M. V.] 180. ISI.
Ojibwa s. Chippeway,
Oiikanagau-liidiaiier in Britisch-Columbien. [Bancroft.] 80.135.200,305.
Onondago-Iiidiaiier im Missouri-Gebiete. [M. F.] 14, 15. 15.
Opoates-Indiaiicr in Mexico. [Bancroft.] 283, 284.
Oraiig- IJlendas, Volksstamm in Malacca. [Stevens., Virchow.] 218.
Oraiig Utaii, Volksstamm in Malacca. [Stevens., Vircliow.] 217, 218.
Orang Semaiig', Volksstamm in Malacca. [Stevens., Viral ton.] 231. 232,
233, 237.
Oregon. [Alvord, Schoolcraft, Gatschet, M. V.] 55, 55, 00, 00. CO, si, 82,
\S0, 133, 140, 141, 105, 100, 175, 170, 178, 179, 179, 179. 2(i9. 235. S. a.
Cascade Bange, Cayuse, Flatliead. Holamux, Huna, Klamath,
Modoc. Portland, AValla AValla, Wascows.
Oriiioco. 245.
Osterinsel. [Thomson.] 90, lo5, 145, 148. 222, 274.
Ostjaken, in West-Sibirien. [Balkis.] 00, 107, 107. 191. 197, 215. 216.
Parai)itscliuri-See in Australien. [Botsh, von MUducho-Maclay.] 307.
Pasimi)ai in Mittel-Sumatra. \van Hasselt.] 40, 41.
Pawnee-Iiidiaiier in Nebraska. [Otis.] 284.
Perser. [Bolak.] 54, 50, 57, 00, Ol, 05, 74, 81, IOC, 120. 121, 124, 129,
134, 145, 154, 211, 209, 271, 271, 299.
Peru, [von Tschudi, Squier.] 51, Ol, 04. 233, 235. 208, 209, 303. 303, 304
S. a. Pisac, Yucay.
Petersberg in Britisch-Kafferland. \JoM.] 51. S. a. Emdiseni.
Verzeichniss der geographischen und Yulkernamen. 357
Philippinen. [Jagor.] 47. S. a. Igorroten.
Pimas-Iiuliaiicr in Neu-Mexico. [Bancroft.] 53, 133.
Pisae, Ort in Peru. [M. F.] 303, 304.
Pokoiiclii-Iiidiaiier in Guatemala. [Stall] 138.
Pommorii. 20.
Portlaiid in Oregon. [31. F.] 175. 170. 178. 179.
Prcusseii. Provinz. [Frischhier.] HG. S. a. Bürgersdorf, Graudenz,
Neudorf, Weh lau.
Prot Satr in Siam. [Bastian.] 134.
Pueblos-Iiidiaiier in Arizouti und Neu-Mexico. [Bancroft.] 133, 138, 14o.
QuaiiffO-Neg-er in Central- Afrika. [Wolff'.] 285.
(Queensland, Australien. 106, 107.
(^ueniult-lndianer, Nordwest-Amerika, [Rejwrt.] 247.
(^uiclie-Indianer in Guatemala. [Stoll] 137.
»adsehputana in Vorderindien. [3Ioorc.] 40, 287, 287, 288, 290, 295, 290.
Rio Nufiez s. Nunez.
Römer, alte. 43, 231.
Romang (Roma), Insel im östlichen malayischen Archijjel, nordöstlich
von Timor. [Riedel] 1G2, 195. 196.
Rouquouyennes-lndianer in Guyana. [Crevaux.] 139, 140.
Russen. [Pallas.] 134.
Sagajer. [Pallas.] 71. 293, 294.
Sahaptin-Indianer in Britisch- Columbien. [Bancroft.] 43, 51, 55, 75.
Saleijcr, Insel an der Südküste von Selebes. [EngelJtard.] 133, 197, 251,
252, 258.
Sambesi s. Zambesi.
Samoa, Inselgruppe nördhch von den Tonga-Inseln. [Turner.] 49, 62,
125, 128, 155, 160. 161, 167, 173, 174, 174, 190, 214, 246, 258, 275,
282, 282, 285, 286, 288, 296, 301.
Samojeden im nordwestlichen Sibirien. [Pallas.] 191, 215, 215, 216.
Sault Ste, Marie, am Lake Superior in Ontario. 284.
Scliasta-Indianer in Nord-Californien. [Bancroft.] 140, ls6.
Seliaudoc (Chaudoc), in Cambodja. 53.
Sclior, \v\k in Sibirien. \Radloff.] 70.
Schwarzfuss- Indianer (Blackfeet), zwischen dem Missouri und dem
Yellowstone Piver. [Catlin.] 72, 73, 148, U9, 189.
Scliwarzwald-Tataren in Sibirien. [Radloif.] 70.
Sclavenküste, AVe st- Afrika. 19.
Selaru, Insel im östlichen malayischen Archipel, zu den Tanenibar-
und Timorlao-Inseln gehörig. [Riedel] 30.
358 Anhang III.
Selebes (Celebes). [Riedel] 19, 21, 24, 24, 28, 29, 88, 52, 58, 119, 189,
201, 214, 217, 24ü, 249, 250, 282. S. a. Topantunuasu.
Seraiig (Ceram). südöstliche Lisel der Mol ukken- Gruppe, \liiedel.] 11,
28, 28, 30, 31, 31, 31, 42, 42, 97, 97, 98, 100, 100, 100, 101, 101, lOl,
189, 214, 246, 249, 259, 259, 260, 272, 297, 297.
Seranglao-Iiiselii (Ceram La'ut), im östlichen malayischen Archipel,
zwischen Serang und Neu -Guinea. [Riedel] 11, 12, 19, 27, 30, 30,
32, 38, 42, 42, 106, 109, 110, 114, 134, 161, 162, 173, 191, 191, 210,
213, 214, 216, 241, 246, 256, 260, 261, 266, 2S2.
Serbien. [Krauss.] 19.
Sermata-Iiiseln (Sermatan), im östlichen malayischen Archipel, zwischen
Timor und Timoriao. [Riedel] 23, 31, 41, 42, 163, 190, 213, 217,
246, 250, 255, 270.
Sertaiiejo, am Xingu in Brasilien, [von den Steinen.] 298.
Seriia, Insel im östlichen malayischen Archipel. [Riedel] 162, 195, 196.
Siani. [Bastian.] 11, 11, 11, 12, 19, 19, 21, 22, 23, 24, 24, 58, 63, 88, 91, 92,
110, 129, 134, 146, 154, 167, 245, 255. S. a. Karen, Prot Satr, Suren.
Si Belaboew in Mittel-Sumatra, [van Hasself, Veth.]
SiMrieii. [Pallas, Radioff', M. F.] 51, 52, 75, 76, 77, 81, 91, 113, 170,
177, 179, 191, 215. S. a. Altai, Amur, Burjäten, Giljaken, Golden,
Jakuten, Jenessei-Tataren, Kalmücken, Kamatschinzen, Ka-
saken, Katschinzen, Kirgisen, Koibalen, Ostjaken, Sagajer,
Samojeden, Schor, Schwarzwald - Tataren, Syr, Tataren, Te-
leuten, Tungusen, Uigureu, Wald-Tungusen.
Sin^lialeseii in Ceylon. [Tennent, Sarasin, Freudenberg, Balier, M. V]
12, 13, 14, 15, 47, 48, 74, 107, 113, 113, 233, 233, 233, 334, 234, 282.
Sioux-Iiidiaiier in Nord-Amerika. [Sc^lOolcraft^i 21, 22, 23, 59, 163,
163, 164, 165.
Skagit-Iiidiaiier in Columbia. [Bancroft] 133, 147.
Slayeii. [Krauss^^ 226, 250.
Soeroelagoen (Surulagun), in Mittel-Sumatra, [van Hasselt, Veth.]
Sokoto, Hauptstadt des Haus s,a - Landes im nordwestlichen Afrika.
[M. V.] 277.
Spanier. 20.
Sporkanes-Indianer. [Bancroft.] 260.
Steiermarlf. [Fossel.] 62.
Süd-SIaven. [Krauss^] 2u.
Sula Besi, Insel der Molukken-Gruppe, zwischen Serang undSelebes.
[M. V.] 247, 249, 250, 251, 264, 255.
Sumatra, [van Hasselt, Veth, van den Toorn.] 11, 19, 20, 21, 38, 53, 57,
50, 59, 79, 88, 97, 100, 108, 112, 113, 119, 120, 125, 127, 127, 127,
133, 133, 134, 134, 135, 147, 148, 154, 103, 108, 192, 201, 202, 209,
210, 212, 214, 215, 216, 216, 240, 240, 242, 242, 246, 249, 250, 255,
Verzeichniss der geographischen und Völkernamen. 359
250, 28G, 288, 288, 291, 293. S. a. Alahanpandjang, Battaker,
Kroe, Lampong, Lebang, Manindjau, Minangkabauer, Pasim-
pai, Si Belaboew, Soeroelagan.
Suren (Souren), in Laos. [Aymonier.] 192, 244.
Surinam. [Martin.'] 128.
Syi", grosser Fluss in Sibirien. [Fallas.] 293, 294.
Tactic in Guatemala. [Stoll\ 138.
Tahiti. [ElU:] 275, 286, 288, 290.
Tamilen, Volk in Ceylon. [Tennent, Sarasin.] 33, 34, 47, 48, 49, 89, 282.
Tamoia, Insel der Neu-Hebriden-Gruppe. [Ella.] 30.
Tana, Insel der Neu-Hebriden-Gruppe. [Turner.] 33, 34.
Taneml)ar-Inseln (Tenimber), im östlichen malayischen Archipel, nord-
westlich von Timoriao. [Biedel] 11, 22, 30, 31, 42, 42, 108, 190,
213, 214, 210, 217, 255, 250, 201, 282.
Tataren in West-Sibirien. [Pallas, Radloif.] 123, 125, 215. S. a. Altai-
Tataren, Jenessei-Tataren, Schwarzwald-Tataren.
Telcutcn in West- Sibirien. [Iladloff.] 70.
Teun (Teon), Insel im östlichen malayischen Archipel, westlich von
Tiniorlao. [Biedel] 102, 195, 190.
Tiber in Rom. 231.
Tibet. [Fallas.] 124.
Timorlao-Inseln (Timorla'ut), im östlichen malayischen Archipel, zwi-
schen Timor und Neu-Guinea. [Biedel] 11, 22, 30, 31, 42, 42, 42,
108, 190, 213, 214, 210, 217, 255, 255, 255, 250, 201, 282.
Tirol. 27.
Togo, Landschaft in West- Afrika. [Herold.] 251, 201.
Tonga-Inseln, östlich von Viti. 125, 275, 280, 288, 290.
Tonkin (Tongking), [Brousmiche.] 107.
Topantunuasu, Volk in Central-Selebes. [Biedel] 53, 189, 190, 192,
201, 213, 250.
TransTaal, Süd- Afrika. [Wangemann.] 09, 270, 277. S. a. Basutho,
ßawenda, Ha Tschewasse.
Traos, Volk in Cochinchina. [Neis, Septans.] 241, 248.
Tripolis. [Quedenfeldt] 50, 287.
Tschimsian-Indianer in Britisch-Columbien. [31. V.] 222, 221. 224,
225, 220.
Tscllittagong in Indien. [M. V., Biehech] 251, 253. 253.
Türken. [Badloff.] 42, 43, 43, 140, 212.
Tungusen in Ost-Sibirien. [Badloff.] 07, 71, 79, 81, 215, 241, 248, 250.
S. a. AVald-Tungusen.
Tunis. [Quedenfeldt.] 50, 287.
300 Anhang III.
T>vaua-Iiulijuier im Wushington - Territory, im westlichen Nord-
Amerika. \EeUs.\ -J-J, 2;}, 2H, 25, r»!), I0(i, 122, 201, 2(j;5. 2i)9, 287.
Uganda, Landschaft in Central- Afrika. \Fel/cin.\ 12"). 3,sP,. 2s:i, 305,
30."), 306, 30(J. S. a. Kahura.
Uigurcii, türkischer Volksstamm. [Bgdloff.\ 42, (iö.
Uliase-liiscln (Uliasser-lnseln). im östlichen malayischen Archipel,
südlich von Serang und Amboina. [liiedel.] 11, 12. 10. 28, 28, 30,
35, 35. 38, 41. 128, l(j2, 195, 201, 201, 203, 204, 214, 240. 250.
Utail s. Orang Utan.
Uvea (Uea), Insel der Loyalitäts-Gruppe. [Ellis, Turner^] 202, 203,
205, 300, 301, 801, 302, 304.
Vaiicouver, Nordwest-Amerika. [M. F.] 25, 53, 74, 183, 184, 185,
186, 186, 220.
Alctoria in Australien. [Brough Smith, Hnghan, Thomas.] 11. 11, 24,
24, 24, 24, 24, 31. 34, 35, 35, 35, 30, 37, 40, 40. 50, 50, 51. 52, 54, 0.0,
50, 50, 75, 70, 78, 87. 02, 00. 112, 119, 124, 127, 127, 127, 133, 133,
134, 134, 135, 137, 147, 148, 148, 140, 153, 101, 100, 181. 180, 101,
102, 194, 100, 204, 205, 200, 210, 211, 214, 214, 200, 207, 200, 275,
275, 270, 270, 282.
Wald-Tuiiguseii in Ost-Sibirien. [Radioff.] 71.
Wales. 20.
Walla-Walla-Iiuliaiier in Oregon. [Schoolcraft] 43, 75, 78, 80, 154.
Washington -Territory im westlichen Nord-Amerika. 00, 203. S. a.
Che makum -Indianer, Kl allam -In dianer, T w au a-In dianer.
"Waskow-Indiaiier in Oregon. [Schoolcraft] 43, 51, 53, 75, 78. 81. 80.
Watubela-Inseln (Watubello), im östlichen malayischen Archipel, in
der Mitte zwischen Serang, Tiniorlao und Neu-Guinea. [Piiedel.]
28, 20, 38, 154. 155, 214, 230, 245, 240. 240. 240. 240, 250. 250, 250,
250, 208.
Weddab, Volk in Ceylon. [Sarasin, Baker.] 47, 47, 48, 48, 242, 282, 284.
Weliiau, Provinz Preussen. 10.
Winnebago-Indianer in Wisconsin. [Schoolcraft.] 50, 53, 58, 50, 64,
100, "121, 125, 133, 103, 180, 182, 185, 244, 250, 207, 270, 282, 285,
280, 200, 200, 292, 202.
Xingu (Schingu), Fluss in Brasilien, [von den Steinen.] 208.
Xosa-Kaftern im Capland, Süd- Afrika. [Kropf.] 21, 21, 22, 22, 24,
57. Ol. 02, 70. 78, 70, 81, 00, Ol, 188.
Yacea in Afrika. [Capello, Ivens.] 203.
Yaki-Indianer. 188.
Yaiiiniamadi- Indianer am Rio Purus (Amazonas) in Brasilien.
[Ehrenreich.] 120, 148, 188, 180, 244, 245.
Yap, westhche Insel der Karolinen-Gruppe. [M. V.\ 273, 275.
Verzeichniss der geogx'aphisclien und Völkernamen. 361
Yellowstone-RiYer, Nord-Amerika. [Catlin.] 73.
York, Cap, iu Australien. [3Iac Gillivray, von Milducho-Maclay.'] 307.
Yukay in Peru. [Squier.] 303, 304.
Yukoii-ßiver in Alaska. [Jacobsen.] 147, 268.
Yiiruma-IiHliaiier in Brasilien, [von den Steinen.] 194.
Zamlbesi, Fluss in Central-Afrika. [Ser2)a Pinto.] 160.
Zigeuner, [von WlislocJcl] 15, 16, 16, 16.
Zulu, Süd- Afrika. [Matthews.] 28, 49, 50, 52, 56, 59, 75, 81, 113, 113.
S. a. Kaffern.
Im gleichen Verlage erschien u. a.:
mmm Wmih
in der Natur- und Völkerkunde.
Anthropologische Studien "von Dr. H. Ploss.
Dritte umgearbeitete und stark vermehrte Auflage.
Nach dem Tode des Verfassers bearbeitet und herausgegeben von Dr. Max Bartels.
Mit 10 lithographischen Tafeln (je 9 Frauentypen enthaltend) und 203 Holzschnitten im Text.
Zwei starke Bände, gross Lexikon-S".
Preis: brochirt 24 Mark, in Halbfranzbänden 29 Mark.
Auszüge aus Besprechungen dieses Werkes:
Dr. Ploss, dem v?ir das trefl'liche Buch über das Kind verdanken, hat uns ein nicht
minder umfassendes Buch über das „Weib" geschenkt, das wir mit Fug und Eecht ein
Standardwerk, einen Stolz der heimischen Literatur nennen dürfen.
lieber Land und Meer.
Auf die Anregung des Präsidenten der Deutschen anthropologischen Gesellschaft,
Kudolf Virchow, übernahm M. Bartels, der bekannte Berliner Arzt, die Bearbeitung der
zweiten Auflage des obengenannten Werkes Alle die tausend Beziehungen des
Weibes ausserhalb des Kreises des Geschlechtslebens im engeren Sinne waren unberücksichtigt
geblieben, und hier tritt Bartels vornehmlich ein. Sein Streben, das Bild zu vervollständigen
und ein in sich zusammenhängendes und soweit nur möglich abgeschlossenes Bild des Weibes
im Lichte anthropologischer Forschung zu geben, kann als ein nach allen Eichtungeu
geglücktes bezeichnet werden. . . . War schon der ersten Auflage mit Kecht nachgesagt
worden, dass keine Literatur der Welt ein Werk wie das vorliegende aufzuweisen hat, so gilt
das für die Neubearbeitung desselben um so mehr. Deutsche medicinische Woclienschrlft.
Li neuem Gewände, reich vermehrt durch die gründlichsten Studien und eine staunens-
werthe Anzahl der interessantesten und seltensten neuen Abbildungen tritt das berühmte
Werk des hochverdienten Anthropologen und Arztes: öanitätsrath Dr. Bartels, hier wieder
in die Oeffentlichkeit. Es ist nicht nöthig, das Publikum und die Fachmänner von Neuem auf
diese prächtige Gabe hinzuweisen — aber das muss ausgesprochen werden, dass das Werk,
obwohl die Bescheidenheit des Autors noch immer den Namen Ploss an die Spitze stellt,
doch schon in der zweiten, aber vollkommen jetzt in der dritten Auflage das Werk von Bartels
geworden ist, dessen exakte wissenschaftliche Darstellung nun aus jeder Zeile des Buches uns
entgegenleuchtet. Correspondenzblatt für Anthropologie.
Selten findet man eine so reiche Fülle culturhistorischer und ethnologischer, physio-
logischer und psychologischer Daten vereinigt, wie in dem Werke von Ploss. Die Anthro-
pologie des Weibes ist mit einer geradezu staunenswerthen Kenntniss aller einschlägigen Ver-
hältnisse behandelt und zeigt uns den Verfasser mit der diesbezüglichen Literatur in einer
Weise vertraut, die nur ein langjähriges Studium mit sich bringt. — Von wissenschaftlicher
Grundlage ausgehend, und im Verlaufe der ganzen Arbeit an diesem Standpunkte festhaltend,
weiss der Verfasser in gleicher Weise seinen Stoff derartig zu verarbeiten, dass auch der
gebildete Laie, vorausgesetzt, dass er von jeder Prüderie absieht, das Buch mit Vergnügen
lesen, und bereichert an seinen Kenntnissen aus der Hand legen wird. Wir braiichen dem
Werke keinen Geleitsbrief nachzugeben. Wiener medicinische Zeitung.
Dadurch wird seine Arbeit ungemein belehrend und anziehend für jeden höher gebil-
deten Mann, namentlich für den Freund der Völkerkunde. Es ist bewundernswerth , welche
reiche Fülle etc. Rundschau für Geogr. u. Statistilc.
So ist das „Weib" zu einer Encyilopädie für alles geworden, was sich auf die Frau
in irgend einer Lebenslage bezieht. — Sie ist einzig in ihrer Art. tllobus.
Date Due
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Library Bureau Cat. No. 1137 ^
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Accession no.
, 3884
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