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/ O) S ^ . A
Die Juden in Worms
Ein Vortrag
gehalten von
Benas Levy
Berlin
im Verein für jüdische Geschichte und Literatur E. V.
Verlag von M- Poppelauer, Berlin C. 2
1914
0- .
Die Juden in Worms.
Wormser Juden — frommß Juden, so lautete ein altes
Sprichwort. Die Wormser Juden haben das Beiwort fromm
verdient, denn sie haben für ihre Religion, ihre Lehre und
ihren Glauben gelebt, gelitten und gestritten, und sie haben ihr
Blut freudig hingegeben, als man sie zwingen wollte, einen
anderen Glauben anzunehmen.
Jahrhundertelang ist Worms der Sitz vieler bedeutender
Talmudlehrer gewesen, und auf dem Boden von Worms haben
sich so viele, für die Juden bedeutsame geschiditliche Ereignisse
abgespielt, dass diese uns ein Bild der Geschichte der Juden
in Deutschland im Kleinen darbieten.
Die Geschichte der Juden in Worms ist reich verwebt
mit Sagen, und wie die schönste deutsche Sage, die Nibelungen,
sich zum grössten Teil in Worms abspielt, so hat wohl kein
Ort im ganzen deutschen Reidi so viele jüdische Sagen,
wie Worms. Jiphtach Juspa, der im 17. Jahrhundert
Synagogendiener in Worms war, und der unter dem Namen
Rabbi Joseph Schames bekannt ist, erzählt in seinem Budi
„Maaseh-Nissim" 25 Wundergeschichten, die sich auf dem Boden
von Worms ereignet haben sollen.
Worms ist die älteste jüdische Gemeinde Deutsdilands.
Das hohe Ansehen, dessen diese Stadt im Mittelalter sich
erfreute, mag auch vielen Juden Veranlassung gegeben
haben, sich dort niederzulassen. Es wird behauptet, dass
gleich nach der Zerstörung des zweiten Tempels durch die
Römer, Juden in Worms eingewandert seien, doch stützt sich
diese Behauptung lediglich auf das Minhagbudi, welches 1625
von Loeb Kirchheim verfasst wurde. In ihm wurden die Er-
eignisse des Jahres 1615 beschrieben und genau erzählt, wie
die Juden aus Worms vertrieben worden sind. Hierbei
— 2 —
wird ausdrücklidi erwähnt, dass audi der jüdische Friedhof
beschädigt wurde und Grabsteine zertrümmert worden sind,
welche 1500 Jahre alt waren. Es müssten daher bereits im
Jahre 100 nach Christi Geburt, Juden in Worms gewesen
sein. Sicher ist, dass im 11. Jahrhundert Juden in Worms
gelebt haben, denn der älteste auf dem dortigen Friedhof
befindliche Leichenstein trägt das Datum 1071. Die Mauer,
die den alten Friedhof umgeben hat, sollte im Jahre 1278
niedergerissen werden. Durch Zahlung von 400 Pfund Heller
an die Stadt haben die Juden dies verhindert.
Auf dem alten Friedhof, der links von der Andreasstrasse,
vor der Stätte des ehemaligen Andreastores liegt, sind viele
berühmte Lehrer in Israel begraben, wie Rabbi Meir von Rothen-
burg, genannt Mahram, dessen Leben recht romantisch verlief. Er
zog mit seiner Familie nach Palästina, wurde aber unterwegs
von dem Grafen Meinhard von Goertz gefangen genommen
und dem Kaiser Rudolph von Habsburg ausgeliefert. Dieser
behielt ihn in Haft, doch durfte der Rabbi während dieser Zeit
seinen Talmud-Studien obliegen und seine Schüler unterrichten.
Er starb im Gefängnis im Jahre 1293, und wurde fern seiner
Heimat begraben. — Ein edler Mann, namens Süsskind
Wimpfen aus Frankfurt a. M. madite es sich zur Lebensauf-
gabe, die Gebeine des grossen Lehrers, der von seinen Zeit-
genossen wie ein Heiliger verehrt worden ist, nadi Worms zu
bringen, wo dessen Eltern ebenfalls begraben waren. Mit
Aufopferung von Gut und Blut gelang es Wimpfen nach
14 Jahren, den berühmten Rabbi in Worms zu bestatten.
Als einzigen Lohn bat er um die Gunst, neben ihm beerdigt
zu werden. Wenige Monate hierauf starb er und seine Bitte wurde
erfüllt. Von anderen grossen Lehrern, die in Worms gelebt
haben und daselbst beerdigt sind, seien noch erwähnt,
Rabbi Jakob ben Moses Halevi, mit dem Zunamen Mölln,
gewöhnlich Maharil genannt, gestorben 1427, der mehrere
Werke über den Ritus verfasst hat, die Rabbinen Bacharach,
von denen besonders Jair Chajim Bacharach sich durch seine
talmudischen Gutachten ausgezeichnet hat, ferner Elia Loanz,
der berühmte Kabbaiist und Rabbi Elieser bar Jehuda,
genannt Rokeach. Das Grab von Maharil ist nidit von Osten
— 3 —
nach Westen, sondern von Norden nach Süden gerichtet und
fällt hierdurch dem Besucher des Friedhofs sofort auf.
Die Wormser Judengasse hat sich bis zum heutigen Tage
erhalten. Sie zieht sich von der Kämmererstrasse beim Mainzer
Tor (früher Martinspforte) bis zum Hamburger Tor (früher
Judenpforte) hin. Auf der rechten Seite der Judengasse befindet
sich auf einem freien Platz die alte berühmte Synagoge.
Sie ist das älteste jüdische Gotteshaus in Deutschland und
war im Mittelalter der schönste jüdische Tempel. Fast alle
Fremden, die nach Worms kommen, besuchen den alten sehens-
werten Bau. Auch Kaiser Friedrich III hat als Kronprinz die
Synagoge besichtigt. Er hatte seinen Namen in das dort
aufliegende Fremdenbuch eingezeichnet, aber ruchlose Hände
haben das geschätzte Blatt entwendet.
Die Synagoge zerfällt in 3 Teile und die 3 aneinander ge-
bauten Räume sind zu verschiedenen Zeiten errichtet worden. Der
älteste Teil ist die auf Kosten des Jakob ben David und dessen
Ehefrau Rahel erbaute und im Jahre 1034 vollendete Synagoge
für die Männer. Die Bauart ist romanisch. Auf zwei
schönen Säulen, an deren reich geschmückten Kelchkapitälen
jüdische Buchstaben sich befinden, deren Bedeutung nicht mehr
zu entziffern ist, wölbt sich im Bogen das Dach. Auf dem
schönen Almemor liegen alte Gebetbücher mit reich verziertem
Druck, und das Allerheiligste ist eine aus Steinen errichtete
Lade. Schwere eiserne Türen mit grossen Riegeln
verschliessen das Allerheiligste, in dem sich viele sehr alte
Torarollen befinden. An eine derselben knüpft sich folgende
Sage. Eine Kiste schwamm einst auf dem Rhein, viele Schiffer
fuhren hinaus, um sich in ihren Besitz zu setzen. Sobald sie
aber in die Nähe der Kiste kamen, schlugen die Wellen hoch
auf, und die Kiste schwamm weit weg von ihnen. Es war
ihnen nicht möglich, derselben habhaft zu werden. Da machten
sich einige jüdische Männer auf, um die Kiste zu holen, und als
sie in die Nähe der Kiste kamen, schwamm sie ihnen von selbst
zu. Sie brachten sie ans Land, öffneten sie und fanden darin
eine Torarolle, die, wie die Sage erzählt, von Rabbi
Meir von Rothenburg geschrieben, und von ihm in den Rhein
versenkt worden ist, als man ihn gefangen nehmen wollte.
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Vor dem Allcrhciligstcn brennen hier im Gegensatz zu
anderen Synagogen, in denen nur ein ewiges Lidit unterhalten
wird, zwei Lichter. Sie dienen zur Erinnerung an zwei
Männer, die ihr Leben für die Juden von Worms geopfert
haben. Eine Prozession zog einst, wie berichtet wird, durch
die Strassen von Worms. Als sie durch die Judengasse kam,
entdeckte man, dass das Kruzifix besudelt sei. Die
Juden wurden angeklagt, die Entweihung des Kruzifixes
verübt zu haben. Das Volk war erbittert und drohte, alle
Juden niederzuschlagen, wenn sie die Schuldigen nicht heraus-
geben. Acht Tage Frist wurden ihnen bewilligt. Sieben Tage
waren bereits vergangen und der Schuldige hatte sich nicht
gefunden. Am achten Tage, zu früher Stunde klopfte es an
den Toren des Judenviertels. Zwei Männer, die niemand vorher
gesehen hatte, verlangten Einlass. Sie sagten, dass sie
gekommen wären, um die Juden zu erretten. Sie gaben sich
als die Missetäter aus und wurden in der grässlichsten Art
hingemordet und verbrannt. Das Volk hatte sich für das
entweihte Kruzifix gerächt, die Juden von Worms aber waren
aus der ihnen drohenden Gefahr errettet. Zum Andenken
an jene beiden Männer brennen noch heute in der
Synagoge zwei ewige Lichter.
An die Männer-Synagoge fügt sich als selbstständiger
Bau die in gotischem Stil erriditetc Frauen-Synagoge an, mit
der ersteren nur durch einen Durchgang verbunden. Da die
Frauen bei der weiten Entfernung dem Gottesdienste der
Männer nicht folgen konnten, hatten sie ihre eigenen Vor-
beterinnen. Von einer, mit Namen Urania, die 1275 gestorben
ist, kündet ein auf dem Friedhof befindlicher Leichenstein.
An die Frauen-Synagoge stösst die Raschi-Kapelle, wo
Rabbi Salomon ben Isaac, genannt Raschi, gelehrt haben
soll. Raschi ist in Troyes im Jahre 1040 geboren, und es ist
lange darüber gestritten worden, ob er sich überhaupt in Worms
aufgehalten habe. Es ist aber festgestellt worden, dass Rabbi
Isaac ha Levi in Worms sein Lehrer war und Raschi einige
Jahre in Worms unterrichtet hat. In der Kapelle befindet sidi eine
Nische in der Wand. Auf dem darin angebrachten hölzernen
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Sitz soll Raschi gesessen haben, davor stehen ein Tisch und
die Bänke, auf denen seine Sdiüler Platz genommen haben sollen.
Nach neueren Forschungen ist die Kapelle erst im Jahre 1624
von David Oppenheim erbaut worden. Es ist daher unmöglichi
dass Rasdii darin gelehrt haben kann.
Am Eingang zur Synagoge sind zwei Tafeln mit jüdischen
Inschriften, die darüber Äufsdiluss geben, dass die Frauen-
Synagoge im Jahre 1213 von Rabbi Meir, Sohn des Joel und
seiner Frau Judith, einem kinderlosen Ehepaare, erbaut worden
ist. Ein Teil der Inschrift, die sich hierauf bezieht, hat
folgenden Wortlaut: „Dieses Haus hat zu Ehren Gottes erbaut:
Rabbi Meir, der Sohn des Joel aus priesterlichem Geschlechte
im Jahre 4973 nadi Erschaffung der Welt (1213). Möge seiner
von Gott zum Guten gedacht werden und darauf Jeder, der
davon hört, „Amen" antworten. Dass dieses Gebäude zum
Bethaus für Frauen, die auf Gott und seine Güte vertrauen,
erbaut worden, sei mit eisernem Griffel für alle Zeiten hier
eingeschrieben." — Und darunter steht folgendes:
„Eine wohltätige Frau, die gleich einer Königstochter als
Gattin in dem Hause des Rabbi Meir aus der Priesterfamilie
waltete, die fromme Judith, hat, nachdem ihr Gott das hierzu
nötige Vermögen verliehen, dieses Gotteshaus zu seiner Ehre
erbauen lassen, damit man von hier aus täglich Lob-, Bitt-
und Dankgebete zu Gott emporsende. Dieses edle Werk,
durch welches sie wie eine Mutter erscheint, die sich des
Glückes ihrer Kinder erfreut, möge ihr Gott in Ehren und
Freuden gedenken".
Das Judenbad in Worms wurde erst im Jahre 1896 auf-
gedeckt. Es ist vermutlich im Jahre 1034 zugleich mit der
Männer-Synagoge erbaut worden.
An der nadi der Synagoge führenden engen Strasse
befindet sich in der Wand eine etwas eingedrückte Stelle, an
die sich die folgende Sage knüpft: Die Mutter des Rabbi
Jehuda ben Samuel ging einst durch die enge Judengasse in
den Tempel. Da kam ein grosser Wagen um die Ecke ge-
fahren und der Führer trieb die Pferde absichtlich an, um die
Frau zu töten. Es gab für sie keinen Ausweg, und sie wäre
sicher von dem Wagen zermalmt worden. Da drückte sie sidi
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an die Wand, betete zu Gott, und die Wand gab nadi und
gewährte ihr einen Zufluchtsort und Rettung vor der ihr
drohenden Gefahr. —
Die Geschichte erzählt uns unendlich viele Greuel und
Missetaten, denen die Juden in Worms ihres Glaubens wegen
ausgesetzt waren. Man versperrte ihnen Licht und Luft, man
schnitt ihnen Weg und Steg ab und man versuchte durch
allerlei Zwangsmassregeln sie ihrem Glauben abspenstig zu
machen.
Am schlimmsten erging es den Juden in Worms zur Zeit
des ersten Kreuzzuges. Peter von Ämiens kam mit seiner
Schar von Trier her über Speyer, wo die Juden von ihm
ermordet wurden, nach Worms. Hier flüchtete ein grosser
Teil der Juden in den Palast des Bischofs, der ihnen Schutz
zugesagt hatte. Als aber die Kreuzfahrer nach Worms kamen,
lieferte der Bischof die Juden aus, da er einsah, dass sie sich
nicht taufen Hessen, wie er es vermutet hatte. Es entstand
ein schreckliches Würgen und Morden, das nach den Schilde-
rungen, die von Äugenzeugen überliefert wurden, unmenschlich
genannt werden muss.
Salomo bar Simeon erzählt darüber folgendes: „Am
23. Ijar 4856 — das ist am 18. Mai 1096 — über-
fielen die Kreuzfahrer die Juden von Worms in ihren Häusern
und schlachteten Männer, Frauen und Kinder, Jünglinge und
Greise, sie stürzten die Treppen (welche vor den Häusern sich
befanden) um, rissen die Häuser nieder, machten Beute und
plünderten. Sie nahmen die Tora-Rollen, traten sie in den
Kot, zerrissen und verbrannten sie. — Nach sieben Tagen
wurden auch diejenigen, die sich noch im bischöflichen Palaste
befanden, in Schrecken versetzt. Die Feinde misshandelten
sie schimpflich und übergaben sie dem Schwerte. Die Juden
heiligten, durch das von ihren Brüdern gegebene Beispiel ge-
stärkt, den göttlichen Namen, indem sie mutig dem Tode ent-
gegengingen. Sie boten ihren Hals dar, um sich für den
Namen ihres Schöpfers abschlachten zu lassen. Einige von ihnen
legten selbst Hand an sich. So töteten der eine seinen Bruder,
der andere seinen Verwandten, seine Frau und seine Kinder,
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der Bräutigam seine Braut, zärtliche Frauen ihre Lieblinge,
alle nahmen ungeteilten Herzens das himmlische Verhängnis
an, übergaben ihre Seelen ihrem Schöpfer, indem sie das
letzte Bekenntnis ausriefen: Höre Israel, der Ewige ist unser
Gott, der Ewige ist einzig!"
Ein anderer jüdischer Schriftsteller, Elieser ben
Nathan, erzählt bei Beschreibung der Greuel des zweiten
Tages noch folgendes: Ein Jüngling, namens Simdia Cohen
wurde in die Kirdie geführt und sollte zur Taufe
gezwungen werden. Nach seinem Eintritt in die Kirche zog
er ein Messer hervor und erstach einen Fürsten, einen Enkel
des Bischofs. Man zerhieb sogleich seinen Körper in Stücke. —
800 Wormser Juden wurden in jenen beiden Tagen erschlagen.
Auf diese für die Juden so unglückselige Zeit passt Lord
Byron's Spruch:
Ihr Stämme mit dem Wanderstab, ihr Müden,
Wo findet Ruhe Ihr hinieden?
Die wilde Taube hat ihr Nest,
Der Fudis die Kluft,
Der Mensch sein Vaterland,
Israel nur die Gruft.
/\us der Zeit der Kreuzzüge wird folgende Legende aus
Worms berichtet: Gottfried von Bouillon hatte von Raschi,
dem berühmten Lehrer in Israel gehört. Auf seinem Wege
nach Jerusalem zog er zu ihm, und frug den Rabbi, ob sein
Zug mit Erfolg gekrönt sein würde. Raschi weigerte sich lange,
ihm eine Antwort zu erteilen, sagte ihm aber sdiliesslich auf
sein wiederholtes Drängen, dass von seinem ganzen Heer nur
drei Mann und ein Pferdekopf nach Worms zurückkehren
würden. Gottfried von Bouillon, der zuerst siegreich auf seiner
Kriegsfahrt gewesen war, wurde später besiegt und seine
Armee wurde fast völlig vernichtet. Von seinen Truppen
kehrten nur vier Mann nach Deutschland zurück, und als sie
nach Worms durch das Tor ritten, wurde einer von ihnen
und ein Pferd durch einen Schlagbaum getötet. Der Pferde-
kopf fiel nach Worms, der Körper blieb ausserhalb liegen. —
So hatte sich die Voraussagung Raschi's wörtlich erfüllt! —
— 8 -
Bei Gelegenheit des zweiten Kreuzzuges im Jaiire 1146
wiederholten sidi die Verfolgungen der Juden, ohne jedoch
die Greuel des ersten Kreuzzuges zu erreichen. Wohl
fanden wieder Zwangstaufen statt, wohl wurden Juden
in Worms ermordet oder sdiladiteten sich selber, was sie
„Heiligung des göttlidien Namens" nannten, aber die Zahl der
Opfer war viel geringer als im Jahre 1096.
Schlimmer erging es den Juden im Jahre 1196, als Kreuz-
fahrer in Worms einfielen und viele Juden daselbst hinmordeten.
Zwei Kreuzfahrer drangen in das Haus des berühmten Rabbi
Eleasar bcn Jehuda, genannt Rokeach, ein, töteten seine beiden
Töchter Belette und Hanna, verwundeten ihn, seinen Sohn
Jakob und seine Sdiüler. Seine Gattin Dolza entfloh, wurde
aber von den Kreuzfahrern verfolgt und ermordet. Einer der
Mörder wurde gefangen genommen und bestraft.
Die Leiden der Juden in Worms wiederholten sidi noch
oft. Im Jahre 1349 herrschte in Deutschland die Pest, der
schwarze Tod, und forderte unzählige Opfer. Man schob den
Juden die Schuld daran zu und verbreitete, sie hätten die
Brunnen vergiftet. Der Papst Clemens VI nahm in einer Bulle für
die Juden Partei und bewies, dass die Pest auch in Ländern
wütete, wo Juden überhaupt nicht wohnten, aber auch das
half nichts. In Worms wütete der schwarze Tod; das
Volk stürmte gegen die Juden los und der Rat der Stadt beschloss,
sie alle dem Tode zu überliefern. In ihrer höchsten Not sandten
die Juden ihre 12 Vorsteher zum Rat der Stadt; sie sollten um
Mitleid und Aufhebung des gefassten Beschlusses bitten. Die
Ratsherren aber waren unerbittlich, und als die Vorsteher sahen,
dass all ihr Flehen umsonst sei, verriegelten sie die Türen
des Saals, zogen die Waffen, die sie unter den Kleidern
verborgen hatten und erschlugen sämtliche Ratsherren. Dann
zogen sie vereint nach dem jüdischen Begräbnisplatz, töteten
sich gegenseitig und wurden daselbst in einem gemeinschaft-
lichen Grab bestattet. „12 Parnasim ruhen hier", — das ist
alles, was auf dem Leichenstein steht.
Die Folge dieser Tat war, dass die Juden von Worms
zu Hunderten hingemordet wurden, wobei mehr als
— 11 —
der Stadt Worms 20000 Goldguldcn als Zwangsdarlehen in Raten
zu zahlen, weil sie, wie es wörtlich heisst, „in dem Streite gegen
den Grafen Emiko von Leiningen die Bürger nicht unterstützt
haben, wie zu tun es sich geziemt hätte, ferner um die
Ausgaben und den Schaden der Bürger zu ersetzen und für
die grossen Gnadenerweisungen, die die geehrten
und weisen Männer, der Bürgermeister und der Rat der Stadt
Worms, ihnen erzeigt hätten, sich dankbar zu beweisen'*.
„Falls die Juden nicht im Stande sein sollten, pünktlich zu
zahlen (was Gott verhüten möge, so steht es wörtlich dabei!),
so ist der Rat von Worms berechtigt, bei Juden oder Christen
in Mainz das Geld auf Kosten der Wormser Juden aufzubringen,
und nach 2 Monaten nach dieser Aufnahme ist der Rat er-
mächtigt und befugt, alle Juden in Worms an Leib und
Vermögen anzugreifen, bis zu der Frist, da Kapital und Schaden
bezahlt sein werden."
Erst sperrte man die Juden in das Ghetto, beschränkte
ihnen den Erwerb, dann peinigte man sie mit Steuern, und
zwang sie in den Schuldverschreibungen, in welchen sie Gut
und Blut verpfänden mussten, auch noch ihren Peinigern zu
erklären, wie dankbar sie ihnen seien, und dass sie ihre
Pflicht den Bürgern gegenüber nicht erfüllt hätten!
Im Anfang des 16. Jahrhunderts sollten die Juden aus
Worms, Mainz und Frankfurt vertrieben werden. Der Erz-
bischof von Mainz berief eine Versammlung von Delegierten
aus den genannten Städten nach Frankfurt zum 7. Januar 1516.
Die Juden wandten sich an den Kaiser Maximilian um Hilfe,
und er verhinderte, dass die Geistlichkeit irgend welche Schritte
gegen die Bedrohten einleitete.
Kurz darauf hotte die Geistlichkeit mit ihren eigenen
Angelegenheiten sich zu beschäftigen. Martin Luther kam
nach Worms und hatte sich dort im April 1521 vor dem
Reichstage zu verantworten.
Die Reformation hatte ihren Anfang genommen, die Geist-
lichen wie die Bürger, die Katholiken und die Anhänger der
neuen Lehre hatten keine Zeit, mit den Juden sich abzugeben.
Martin Luther, der sich in seinem Alter sehr feindlich den
— 12 -
Juden entgegen stellte, nahm sidi zuerst ihrer an, und sdirieb
damals unter anderem im Jahre 1523:
„Unsere Narren, die Papisten, Bischöfe, Sophisten und
Mönche, die groben Esels, haben bisher also mit den
Juden verfahren, dass, wer ein guter Christ gewesen, hätte
wohl mögen ein Jude werden. Und wenn ich ein Jude ge-
wesen wäre und hätte soldic Tölpel und Knebel den Christen-
glauben regieren und lehren gesehen, so wäre ich eher eine
Sau worden, als ein Christ. Denn sie haben mit den Juden
gehandelt, als wären es Hunde und nicht Mensdien, haben
nichts mehr gekonnt tun, denn sie schelten und ihr Gut
nehmen, wenn man sie getauft hat. Drum wäre meine
Bitt' und mein Rat, dass man säuberlich mit ihnen umgehe
und aus der Schrift sie unterrichtet. Will man ihnen helfen,
so muss man christlicher Liebe Gesetz an ihnen üben, sie
freundlich annehmen, mit lassen werben und arbeiten, damit
sie Ursache und Raum gewinnen, bei uns und um uns zu sein."
Aber nicht Luther allein verwandte sich um die damalige
Zeit für die Juden, sondern noch ein anderer lutherischer
Geistlicher trat für sie ein in einer Schrift betitelt „Ein
Judenbüchlein", in welcher die Juden zum ersten mal gegen
die lügenhafte Beschuldigung, dass sie Kinder schlachteten, um
Blut für ihren Ritus zu haben, verteidigt wurden.
Aucii der Rat der Stadt Worms war seit der Reformation
den Juden freundlich gesinnt. Er sicherte ihnen Schutz und Schirm
zu und schloss mit ihnen im Jahre 1557 einen Vertrag auf 4 Jahre.
Die hierüber vorhandene Urkunde ist recht interessant.
In den einzelnen Artikeln heisst es:
„Zwei Privathäuser, welche bis dahin von Juden in Worms
erbaut worden sind, dürfen Ihnen verbleiben. Andere Häuser
dürfen die Juden nicht bauen, sondern sie müssen in gemieteten
Räumen wohnen Diese ihre Wohnungen werden alljährlich
revidiert, und was der Bürgermeister und 2 Baumeister als
der Renovierung bedürftig bezeichnen, muss sofort von den
Juden auf ihre Kosten gemacht werden.
Das Gärtlein hinter der Schul (Synagoge), darf zum
Spaziergang benutzt werden. Die Schul, Schulhof, Tanz-
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400 Juden umgekommen sein sollen Ihre Habe wurde
den Rittern gegeben. Diese verlangten Entschädigung für den
Nachteil, den sie durch die Juden erlitten zu haben behaupteten.
Vereinzelt nahmen sich auch Christen der schwer
bedrängten Juden an und schützten sie in ihren
Häusern gegen die Wut der Menge. Aber auf jedes Haus.
in welchem Juden versteckt wurden, flog, wie die Sage erzählt,
eine verzauberte Gans und verriet die Juden. Ein Geistlicher,
der die Juden schützen wollte, nahm unbemerkt einen gelehrten
Juden mit sich in die Kirche. Dort sprach dieser, als Prediger
verkleidet, mit zündenden Worten gegen die Verblendung der
Menge und führte aus, dass sie töricht sei, einer Gans
Glauben zu schenken. Inzwischen hatte die Gans auf die
Kirche sich niedergelassen. Der Prediger wies die
Betörten darauf hin und sagte ihnen, wenn die Gans auf
die Kirche sich niederlässt, in der kein Jude sich befindet,
so ist es doch klar, dass die Vermutung des Volkes eine
falsche und der Gans nicht zu glauben sei. Diese Beweis-
führung hatte Erfolg, und die Menge beruhigte sich wieder. —
Wohl kamen auch nach dieser Zeit oft genug Ueberfälle gegen
die Juden vor, aber es waren nicht mehr Massenmorde, die
gegen sie verübt wurden. Man behandelte sie als Leibeigene,
oder als ein sehr brauchbares Steuerobjekt. Das letztere machte
die Juden manchem hohen Herrn im Mittelalter recht begehrens-
wert, und so finden wir, dass die Fürsten sich oft bei den
Kaisern darum bewarben, Juden halten zu dürfen, um von
ihnen immer neue Abgaben und Geldstrafen zu erpressen. Die
Juden waren im Mittelalter dreien Herren dienstbar, dem
Kaiser, dem Bischof und der Stadt, in der sie wohnten.
Im Jahre 1312 gehörten die Juden in Worms dem Bischof
Emmerich, und dieser gab sie den Dalberg's zu Lehen,
die sie in jeder Weise schützten. Bischof Emmerich
schloss mit den Juden von Worms einen Vertrag, der
folgende Bestimmungen enthält:
„12 Männer hatten den „Judenrat" zu bilden, einen von
ihnen, den Vorsitzenden, der den Titel „Judenbischof" auf
Lebenszeit führte, ernannte der jeweilige Bischof, und erhielt
dafür eine besondere Abgabe von ihm. Die 12 Vorsteher über-
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nahmen abwechselnd das Amt des Judenbischofs und leisteten
den Eid in die Hände des Bischofs. Starb einer der „Rats-
hcrren", so wählten die übrigen einen neuen und zahlten dem
Bisdiof eine Abgabe von 60 Pfund Heller. Sie hatten die
Berechtigung, alle Streitfälle nach jüdischem Rechte abzuurteilen.
Nur Kriminalfälle unterlagen der allgemeinen Gerichtsbarkeit.
Im Jahre 1342 wurde den Juden in Deutschland von
Ludwig dem Bayer folgende Steuern auferlegt. Jeder Jude
und jede Jüdin, die über 12 Jahre alt waren und 20 Gulden
besassen, mussten eine Kopfsteuer von 1 Gulden jährlich zu
Weihnachten bezahlen. Das war der „goldene Opferpfennig",
oder die „Weihnachtssteuer". Ferner mussten die Juden für
das Wohnrecht „die Judensteuer" zahlen. Hiervon erhielt die
eine Hälfte die Stadt, die andere Hälfte wurde an die königliche
Kammer abgeführt. Aus dieser letzteren Verpflichtung entstand
die für die damaligen Juden eingeführte Bezeichnung „könig-
liche Kammerknechle" — und diese leidige „Kammerknechtsdiaft"
brachte ihnen die Verpflichtung, dem König und dem Reich
immer wieder neue Steuern zu bezahlen.
Schon nach 36 Jahren, im Jahre 1348, trat eine
unheilvolle Wandlung für die Juden von Worms ein. Der
Kaiser Karl IV. war den Bürgern von Worms zu Dank ver-
pflichtet, und bewies ihnen seine Anerkennung dadurch, dass
er ihnen die Juden ihrer Stadt, sowie all ihr Hab und Gut
zu Geschenk machte.
Hieraus entstanden für die Juden von Worms die unglaub-
lichsten Bedrückungen, und die deutschen Kaiser und die
Bischöfe mussten die Juden oft gegen die Bürger schützen,
da sie das ihnen gewährte Recht zum Nachteil der Juden aus-
nutzten. Neid und Missgunst waren die leitenden Motive
des Hasses gegen die Juden, dazu kam der religiöse
Fanatismus, und im Jahre 1349 die Aufregung infolge der
Verleumdung, die Juden hätten die Brunnen vergiftet.
In welcher Abhängigkeit die Juden von Worms den
Bürgern der Stadt gegenüber lebten, beweist eine vorgefundene
Urkunde vom Mai 1377, die von 36 Gemeindemitgliedern
unterzeichnet ist. In derselben verpflichten sich die Juden,
1
— 13 —
haus und Bad müssen rein und sauber gehalten werden und
nicht wie bisher unlustig und unsauber aussehen."
(Ausser diesen Häusern besassen die Juden auch das
Backhaus, hinter der St. Martinskirche gelegen. In demselben
wurden die Osterbrote hergestellt. Am 28. Mai 1354 ver-
kauften die Bürger von Worms das Backhaus an Reinhold
von Sonsheim für 80 Pfund Heller.)
In der Urkunde heisst es ferner:
„Die Juden dürfen einen Hochmeister, das ist einen
Rabbiner, einen Sänger und einen Stecher (Schächter) halten,
doch darf der Hochmeister bei Strafe von 20 Gulden
keine Geldstrafen verhängen.
Die Juden verpflichten sich, nirgends anders hinzuziehen
und dem Bürgermeister, dem Rat und der Gemeinde treu zu
bleiben, dem Rate der Stadt und der Polizei gehorsam zu
sein und getreulich die Steuern zu bezahlen.
Die Juden dürfen kein Geld auf Kirchengeräte und Waffen
leihen, auch sollen sie keine solche annehmen und kaufen. Sie
dürfen keinen Minderjährigen und keiner Frau ohne Wissen
und Willen des Mannes Geld borgen, auch nichts auf liegende
Güter ohne Anzeige bei Gericht borgen, sonst verlieren sie
das ganze ausgeliehene Geld. Zinsen dürfen sie vom Gulden
nur einen Pfennig wöchentlich nehmen.
Fremde Juden dürfen in Worms nur dann aufgenommen
werden, wenn sie 10 Gulden jährlich Steuern bezahlen. Als
Gast darf ein fremder Jude nur dann beherbergt werden, wenn
dem Bürgermeister hiervon Anzeige gemacht und 4 Pfennig
für jede Nadit bezahlt wird.
Alle Juden und Jüdinnen sollen ihr gewöhnliches Zeichen
tragen, nämlich einen Mantel mit einem gelben Ring, eine Hand
breit, und einen spitzen Hut, und ohne Genehmigung des
Bürgermeisters dürfen sie gegen einen Goldgulden Strafe in
der Karwoche, Ostern, Pfingsten, Wcihnaditen und an allen
Sonntagen nicht ausgehen. An solchen heiligen Festen, Sonn- und
Feiertagen sollen sie beide Tore des Ghettos samt ihren Läden
geschlossen halten. Doch soll ihnen das Verkaufen der alten
Kleider in den Häusern an diesen Tagen erlaubt sein.
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Es sollen weder Juden noch Jüdinnen Handel oder
Gewerbe treiben mit Kaufen oder Verkaufen, garnidits aus-
genommen, und dadurch unsern Bürgern, Gewerken, Kaufleuten
und Handwerkern in ihrem Geschäft oder Handwerk hinderlich
sein, schaden, Abbruch oder Nachteil zufügen, gegen eine
Strafe von 10 Gulden. Besonders soll es ihnen verboten sein,
Tuch, Wolle und Seide nach der Elle auszumessen und aus-
zuschneiden, auch keine neuen Kleider und Schuhwerk dürfen
sie anfertigen oder anfertigen lassen oder feil halten, damit
den Handwerkern und Zünften kein Schaden entsteht.
Die Juden und Jüdinnen dürfen nicht vor ihren Häusern
herumstehen und diejenigen, die etwas zu versetzen oder zu
verpfänden haben, hereinrufen, sondern müssen jeden, der
etwas versetzen will, frei gehen lassen, wohin er will. Aber
auch vor der Münze und auf dem Markt dürfen sie nicht
spazieren gehen, dürfen auch dort nicht herumsitzen oder
herumstehen, sondern wenn einer dort etwas zu tun hat, soll
er es schnell ausrichten und wieder heimgehen, und den Mantel
darf er nicht zu weit überschlagen, damit das gelbe Zeichen
nicht bedeckt wird. Sonst hat er einen Gulden Strafe zu zahlen.
Ein lediger fremder Jude darf in die jüdische Gemeinde
aufgenommen werden, wenn er sich mit einer Jüdin aus Worms
verheiratet, ein Witwer darf nidit aufgenommen werden."
Das ist im grossen Ganzen der Inhalt des Vertrages.
Als die 4 Jahre, auf weldie Zeit der Vertrag abgeschlossen
war, abgelaufen waren, genügten den Bürgern von Worms
alle diese Zwangsmassregeln gegen die Juden nicht mehr. Die
Juden sollten aus der Stadt vertrieben werden, aber Bischof
Dietrich stellte sich auf die Seite der Bedrückten, und die
Bürger wandten sich mit einer Beschwerde an den Kaiser
Ferdinand. Dieser forderte die Bürger auf, die Juden un-
bclästigt zu lassen und ernannte eine Kommission, bestehend
aifs Philipp, Landgraf zu Hessen, Daniel, Erzbischof zu Mainz,
Grafen zu Katzenellenbogen und den Meister und Rat zu
Strassburg, sie sollten entscheiden, ob die Bürger oder die
Juden im Recht wären.
Die Angelegenheit blieb aber trotzdem in der Sdiwebe,
bis Kaiser Ferdinand starb. Erst sein Nachfolger, Kaiser
:
— 15 —
Maximilian IL, wies den Rat der Stadt Worms im Jahre 1570
in einem energischen Schreiben an, dass die dort wohnenden
Juden nicht gekränkt und bedrückt werden dürfen, da sie
kaiserlidie Privilegien besitzen.
Unter Kaiser Matthias 1612 wurden von neuem Unter-
handlungen begonnen, und der Kaiser ermahnte die Bürger,
die Angriffe gegen die Juden zu unterlassen. Eine neue
Kommission wurde eingesetzt, zu der Friedrich, Pfalzgraf zu
Rhein und Philipp Christoph, Bischof zu Speyer, gehörten.
Die Bürger von Worms warteten die Entscheidung der
Kommission nicht ab, sondern verjagten alle Juden nebst
Frauen und Kindern aus der Stadt.
Der berüctitigte Lebkuchenbäcker Vinzenz Fettmilch, der
sich selbst den Namen „der neue Haman" beilegte, hatte in
Frankfurt a M. den Hass gegen die Juden geschürt und ihre Ver-
treibung bewirkt. Als die Kunde davon nach Worms drang,
fand sich auch hier ein Aufwiegler in der Person des Advokaten
Dr. Chemnitius. Von ihm und Hans Georg Kern, Valentin
Tomas und Nicolai Spitz wurde gegen die Juden bei den
Zünften agitiert und diese ergriffen Gewaltmassregeln gegen
die Juden. Kurfürst Friedrich von der Pfalz, der Patron der
Stadt Worms, schützte jedoch die Juden, und sandte
Dr. Chemnitius seiner Umtriebe wegen nach Heidelberg ins
Gefängnis.
Nach 3 Monaten wurde er entlassen, nachdem er ver-
sprochen hatte, nichts mehr gegen die Juden zu unternehmen,
widrigenfalls er eine Strafe von 1000 Gulden zu zahlen ver-
pflichtet sein soll. Aber kaum war Dr. Chemnitius wieder in
Worms, so wiegelte er die Zünfte noch schlimmer wie vorher
auf. Am 10. April 1615, das war am siebenten Tage des
Pessachfestes 5375, erging an die Juden die Aufforderung,
die Stadt Worms innerhalb einer Stunde zu verlassen.
Wohl widersetzten sich der Rat der Stadt Worms diesem
aufrührerischen Treiben, aber er war ohnmäditig gegen den
Ansturm der Bürger. Diese braditen die Juden an den
Rhein und setzten sie selbst über den Strom, da die Schiffer
sich weigerten, die Ueberfahrt zu bewirken. Die Bürger jagten
die jüdisdien Männer während des Gottesdienstes aus der
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Sijnagogc, und triGbcn die Frauen und Kinder aus ihren
Wohnungen. Sic schonten weder die Greise noch die Kranken.
Die Vertriebenen blieben in den umliegenden Dörfern und
Städten. Sie hatten ihr Hab und Gut dem wütenden Pöbel
überlassen müssen, und dieser zerstörte alles, was er vorfand.
Nicht einmal die Synagoge und der Friedhof blieben unbeschädigt.
Die Sammelbüchsen für die Armen wurden erbrodhen und die
Torarollen vv^urden zerrissen.
Die Juden sandten ihren Vorsteher Loeb Oppenheimer
zum Kaiser Matthias, um seine Hilfe zu erflehen. Der Kaiser
nahm sich der schwer Bedrängten an, und Hess die Juden am
9. Januar 1616 unter Begleitung kaiserlicher Soldaten wieder
nach Worms in ihre Wohnungen bringen.
Die Rädelsführer der Aufwiegler, Kern, Tomas und Spitz
wurden zur Strafe vom Scharfrichter mit Ruten über den
Markt zum Andreastor aus der Stadt gestäupt und aus dem
Reiche verwiesen. Dr. Chemnitius wurde wieder ins Gefängnis
gebracht, musste die verwirkte Strafe von 1000 Gulden bezahlen,
und wurde seines Amtes als Advokat entsetzt. Vincenz Fettmildi
wurde gehängt, und seine Familie wurde aus dem Lande getrieben.
Die Juden von Worms hatten fast ein ganzes Jahr ausser-
halb ihrer Häuser bleiben müssen, und als sie in die Stadt
zurückgekehrt waren, stellten sie zuerst die arg zerstörte
Synagoge und dann erst ihre eigenen Häuser wieder her. Es
hat lange Jahre gedauert, bis sie sich von dem ihnen zu-
gefügten Schaden erholen konnten. Es war dies um so
schwerer, als den Juden immer neue Steuern auferlegt wurden.
Sie hatten ausser den Steuern, welche sie dem Bischof und
dem Kaiser zu zahlen hatten, an die Stadt Worms zu ent-
richten: Hauszins, Kaufgeld, Einschreibgeld, Schlossgeld, Metzel-
geld, Schutzgeld, Schanzengeld und Nicolaigelder. Da die
Juden alles dies aufzubringen nicht im Stande waren, wandten
sie sich an den damaligen deutschen Kaiser Ferdinand III., der
eine neue Judenordnung, wie die Verfügung heisst, erliess.
Sic datiert vom Jahre 1641 und unterscheidet sich von dem
Vertrag von 1557 in folgenden Punkten:
Das Gebot, den gelben Ring im Mantel beizubehalten, ist
geblieben, dagegen sind ausserdem alle Juden und Jüdinnen
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verpflichtet, Schilder an ihren Häusern anzubringen und darauf
ihre Namen zu verzeichnen, damit es deutlich zu sehen sei,
wo Juden wohnen. Auf diesen Schildern wurden Figuren an-
gebracht, und hiernach die Bewohner genannt. Am Anfange
des 16. Jahrhunderts wurden 43 Häuser im Judenviertel von
Worms gezählt, von denen 24 mit Schildern versehen waren.
Die Bezeichnungen sind überliefert worden für die Häuser
Nr. 2 zur Flasche
„ 3 zum Stern
„ 4 zum halben Mond
„ 5 zur Rose
„ 6 zum Hirschhorn
„ 10 zur Kante
„11 zum Ross
„ 12 zur Sichel
„ 14 zum Teufelskopf
„ 18 zum Hasen
„ 19 zum Kessel
„ 24 zum Rad
„ 25 zur Heppen
„ 26 zum Hirsch
„ 27 zum Rebstock
„ 28 zum Wolf
„ 32 zum Blech
„ 34 zum Krug
„ 35 zur Büchse
„ 36 zum Eichhorn
„ 37 zum Grünbaum
„ 40 zur Gans
„ 41 zum Affen
„ 42 zum Born.
Die Juden durften vor 8 Uhr morgens nidit auf den Fisdi-
markt gehen, dagegen konnten sie im Sommer und Winter von
morgens, sobald die Torglocken läuten, bis zum Abendläuten
ausserhalb des Ghettos sich aufhalten. Blieb einer länger aus,
so musste er 1 Gulden Strafe zahlen. Die Juden mussten
an Sonntagen und christlichen Feiertagen ihre Toten im Sommer
um 4 Uhr, im Winter um 3 Uhr nachmittag begraben.
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Der Handel wurde den Juden teilweise freigegeben.
Es wurde bestimmt, was sie fabrizieren durften, womit sie zu
handeln hatten und wieviel Zinsen sie berechnen durften, wenn
sie Geld ausliehen. Dafür aber wurden sie mit folgenden
neuen Steuern belastet:
Wenn Zwei sich verheirateten, kostete es 6 Goldgulden
Steuer. Eine ledige Person, die sich nach Worms verheiratete,
bezahlte 12 Goldgulden. Ein Witwer oder eine Witwe, die
einen Wormser Juden oder Jüdin heiratete, musste 20 Gold-
gulden erlegen- Eine jüdische Familie, die nach Worms ziehen
wollte, musste mindestens 500 Gulden besitzen, und hatte
60 Goldgulden zu bezahlen.
Die Juden mussten ferner 1 Reichstaler Schutzgeld für
jedes Mitglied der Familie, für Studenten und Fremde jährlich
20 Reichstaler Schutz- und Nachtgelder, für die Synagoge,
das Tanzhaus, Spital, Backhaus, Friedhof und Bad jährlich
40 Gulden bezahlen. Ferner Hauszins, sowie Vermögens-
steuer von jeden 100 Gulden V2 Gulden. Sogar die Erb-
schaftssteuer war in Worms für die Juden bereits eingeführt.
Ausser den ihnen früher bereits gestatteten Hochmeister oder
Rabbiner, Sänger und Schächter wurde den Juden fortan
erlaubt, einen Wächter zu halten."
Das sind die Grundzüge der Stätigkeit, die den Juden von
Worms auch von allen nachfolgenden Kaisern erteilt worden
ist, bis auf Kaiser Joseph II. Er gab ihnen die Erlaubnis,
ihren Vorstand selbst zu wählen, so dass von dieser Zeit an
der sogenannte „Judenbischof" nicht mehr existierte.
Der 30jährige Krieg hatte auch der Stadt Worms gewal-
tigen Schaden gebracht. Die Häuser wurden durch Feuer
zerstört und die Bürger wurden von den Soldaten geplündert.
Die Folge hiervon war, dass ein grosser Teil der Einwohner
Worms verliess. Die Stadt, die in den früheren Jahrhunderten
grossen Aufschwung genommen hatte und bereits 70000 Ein-
wohner zählte, verlor von Jahr zu Jahr an Grösse und an Bedeutung.
Als Ludwig XIV. von Frankreich im Jahre 1689, um die Pfalz
zu erobern, auch die Stadt Worms besetzte, sollen mit Ein-
schluss der Juden nur etwa 5000 Bürger in der Stadt gewesen
sein. Die Franzosen brandschatzten Worms, sie zerstörten
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alle Tore und Türme, nahmen den Bürgern all ihr Hab und Gut
und warfen am 31. Mai 1689 die Brandfackeln in die Stadt. An
allen Ecken und Enden schlugen die Flammen empor und
innerhalb weniger Stunden war ganz Worms in Äsche gelegt.
Nur der Dom, die Synagoge und die Liebfrauenkirche blieben
erhalten.
In dem Bestreben, die zerstörte Stadt wieder aufzubauen,
wandten die Bürger sich auch an die Juden und baten sie,
in die Stadt zurückzukehren und ihnen zu helfen, die Häuser
wieder aufzubauen. Sie versprachen ihnen alle möglichen
Erleichterungen und Freiheiten, und schlössen mit ihnen im
Jahre 1699 einen Vertrag, in dem ihnen die weitgehendsten
Zugeständnisse gemacht wurden.
Die Vorsteher der jüdischen Gemeinde von Worms,
David zur Pulverflasche, Loeb zum halben Mandl, Isaac zum
grünen Hut und Aaron zur goldenen Gans, schlössen mit dem
Rat der Stadt Worms den Vertrag, durch den die Leib-
eigenschaft der Juden (die 1348 von Karl IV. eingeführt war)
aufgehoben wurde. Die Juden brauchten sich nicht mehr wie
bisher „Leibesangehörige" zu nennen, sondern durften sich
„untertänig gehorsamste Juden oder Schutzverwandte oder
Hintersassen" unterzeichnen. Sie durften ihre eigenen Häuser
bauen, und gegen eine einmalige Zahlung von 1200 Gulden
wurde ihnen der Hauszins erlassen. Dagegen verpflichteten
sie sich alljährlich zu Pfingsten 60 Gulden zu entrichten. Der
Vertrag verlor sofort seine Giltigkeit, wenn sie sich weigern
sollten, diese Abgabe zu bezahlen.
Eine Uebersidit der von den Juden zu zahlenden Steuern
finden wir in einem Voranschlag der Einnahmen der Stadt
Worms vom Jahre 1751.
Die Juden waren veranlagt zur Zahlung von:
Gulden Kreuzer
Judenmetzgerakzise ..... 311 47
Von den Juden, so Taglödier in
den Mauern haben 2 30
Uebertrag 313Guld.77 Kr.
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Gulden Kreuzer
Uebertrag 313 77
Von den Juden, so auswärts wohnen 91 —
Fremden Juden Zoll 349 52
Judenschaft Nikolai Gelder . . . 270 —
Wegen Erlassung der Juden-
leibeigenschaft 60 —
Juden Nachsteuer 185 —
Juden-Grund- und Bodenzins
Schutz und Schirm 1037 —
Judeneinnahme wegen Einzug von
fremden und einheimischen in
hiesige Gemeinde 84 —
insgesamt 2390Guld.29 Kr.
Seitens der deutschen Kaiser Karl VI. und Karl VII.
wurden den Juden weitere Freiheiten bewilligt. Es wurden
ihnen 1714 und 1742 Privilegien gewährleistet und der Kaiser
Gnade, Schutz, Schirm und Sicherheit zugesichert.
Unter den veränderten Lebensbedingungen und unter
dem Schutze der Freiheit und der Gerechtigkeit kamen die Juden
in Worms schrittweise immer weiter voran. Die Tore des
Ghettos waren gefallen, und die Juden konnten ihre Kräfte
freier entfalten. Sie bewährten sich auf allen Gebieten der
Wissenschaft und des Handels und heute finden wir die Juden
in Worms, deren Zahl sich auf ca. 2000 beläuft, in allen Berufs-
arten vertreten. Sie erfreuen sich der Achtung ihrer Mitbürger
und beteiligen sich an der Förderung der Stadt, die von Jahr
zu Jahr weiter fortschreitet.
Nur die enge Judengasse, die alte Synagoge und der
Begräbnisplatz erinnern an die finsteren und trüben Zeiten,
die auch für die Wormser Juden längst vergangen sind.
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PLEASE DO NOT REAAOVE
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UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY
DS Levy, Benas
135 Die Juden in Worms
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