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Full text of "Die Juden in Worms; ein Vortrag gehalten von Benas Levy Berlin im Verein für jüdische Geschichte und Literatur E.V"

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/  O)  S  ^ . A 


Die  Juden  in  Worms 


Ein  Vortrag 
gehalten  von 

Benas  Levy 

Berlin 
im  Verein  für  jüdische  Geschichte  und  Literatur  E.  V. 


Verlag  von  M-  Poppelauer,  Berlin  C.  2 
1914 


0- . 


Die  Juden  in  Worms. 

Wormser  Juden  —  frommß  Juden,  so  lautete  ein  altes 
Sprichwort.  Die  Wormser  Juden  haben  das  Beiwort  fromm 
verdient,  denn  sie  haben  für  ihre  Religion,  ihre  Lehre  und 
ihren  Glauben  gelebt,  gelitten  und  gestritten,  und  sie  haben  ihr 
Blut  freudig  hingegeben,  als  man  sie  zwingen  wollte,  einen 
anderen    Glauben    anzunehmen. 

Jahrhundertelang  ist  Worms  der  Sitz  vieler  bedeutender 
Talmudlehrer  gewesen,  und  auf  dem  Boden  von  Worms  haben 
sich  so  viele,  für  die  Juden  bedeutsame  geschiditliche  Ereignisse 
abgespielt,  dass  diese  uns  ein  Bild  der  Geschichte  der  Juden 
in  Deutschland  im  Kleinen  darbieten. 

Die  Geschichte  der  Juden  in  Worms  ist  reich  verwebt 
mit  Sagen,  und  wie  die  schönste  deutsche  Sage,  die  Nibelungen, 
sich  zum  grössten  Teil  in  Worms  abspielt,  so  hat  wohl  kein 
Ort  im  ganzen  deutschen  Reidi  so  viele  jüdische  Sagen, 
wie  Worms.  Jiphtach  Juspa,  der  im  17.  Jahrhundert 
Synagogendiener  in  Worms  war,  und  der  unter  dem  Namen 
Rabbi  Joseph  Schames  bekannt  ist,  erzählt  in  seinem  Budi 
„Maaseh-Nissim"  25  Wundergeschichten,  die  sich  auf  dem  Boden 
von  Worms  ereignet  haben  sollen. 

Worms  ist  die  älteste  jüdische  Gemeinde  Deutsdilands. 
Das  hohe  Ansehen,  dessen  diese  Stadt  im  Mittelalter  sich 
erfreute,  mag  auch  vielen  Juden  Veranlassung  gegeben 
haben,  sich  dort  niederzulassen.  Es  wird  behauptet,  dass 
gleich  nach  der  Zerstörung  des  zweiten  Tempels  durch  die 
Römer,  Juden  in  Worms  eingewandert  seien,  doch  stützt  sich 
diese  Behauptung  lediglich  auf  das  Minhagbudi,  welches  1625 
von  Loeb  Kirchheim  verfasst  wurde.  In  ihm  wurden  die  Er- 
eignisse des  Jahres  1615  beschrieben  und  genau  erzählt,  wie 
die    Juden     aus    Worms    vertrieben    worden    sind.       Hierbei 


—     2     — 

wird  ausdrücklidi  erwähnt,  dass  audi  der  jüdische  Friedhof 
beschädigt  wurde  und  Grabsteine  zertrümmert  worden  sind, 
welche  1500  Jahre  alt  waren.  Es  müssten  daher  bereits  im 
Jahre  100  nach  Christi  Geburt,  Juden  in  Worms  gewesen 
sein.  Sicher  ist,  dass  im  11.  Jahrhundert  Juden  in  Worms 
gelebt  haben,  denn  der  älteste  auf  dem  dortigen  Friedhof 
befindliche  Leichenstein  trägt  das  Datum  1071.  Die  Mauer, 
die  den  alten  Friedhof  umgeben  hat,  sollte  im  Jahre  1278 
niedergerissen  werden.  Durch  Zahlung  von  400  Pfund  Heller 
an  die  Stadt  haben  die  Juden  dies  verhindert. 

Auf  dem  alten  Friedhof,  der  links  von  der  Andreasstrasse, 
vor  der  Stätte  des  ehemaligen  Andreastores  liegt,  sind  viele 
berühmte  Lehrer  in  Israel  begraben,  wie  Rabbi  Meir  von  Rothen- 
burg, genannt  Mahram,  dessen  Leben  recht  romantisch  verlief.  Er 
zog  mit  seiner  Familie  nach  Palästina,  wurde  aber  unterwegs 
von  dem  Grafen  Meinhard  von  Goertz  gefangen  genommen 
und  dem  Kaiser  Rudolph  von  Habsburg  ausgeliefert.  Dieser 
behielt  ihn  in  Haft,  doch  durfte  der  Rabbi  während  dieser  Zeit 
seinen  Talmud-Studien  obliegen  und  seine  Schüler  unterrichten. 
Er  starb  im  Gefängnis  im  Jahre  1293,  und  wurde  fern  seiner 
Heimat  begraben.  —  Ein  edler  Mann,  namens  Süsskind 
Wimpfen  aus  Frankfurt  a.  M.  madite  es  sich  zur  Lebensauf- 
gabe, die  Gebeine  des  grossen  Lehrers,  der  von  seinen  Zeit- 
genossen wie  ein  Heiliger  verehrt  worden  ist,  nadi  Worms  zu 
bringen,  wo  dessen  Eltern  ebenfalls  begraben  waren.  Mit 
Aufopferung  von  Gut  und  Blut  gelang  es  Wimpfen  nach 
14  Jahren,  den  berühmten  Rabbi  in  Worms  zu  bestatten. 
Als  einzigen  Lohn  bat  er  um  die  Gunst,  neben  ihm  beerdigt 
zu  werden.  Wenige  Monate  hierauf  starb  er  und  seine  Bitte  wurde 
erfüllt.  Von  anderen  grossen  Lehrern,  die  in  Worms  gelebt 
haben  und  daselbst  beerdigt  sind,  seien  noch  erwähnt, 
Rabbi  Jakob  ben  Moses  Halevi,  mit  dem  Zunamen  Mölln, 
gewöhnlich  Maharil  genannt,  gestorben  1427,  der  mehrere 
Werke  über  den  Ritus  verfasst  hat,  die  Rabbinen  Bacharach, 
von  denen  besonders  Jair  Chajim  Bacharach  sich  durch  seine 
talmudischen  Gutachten  ausgezeichnet  hat,  ferner  Elia  Loanz, 
der  berühmte  Kabbaiist  und  Rabbi  Elieser  bar  Jehuda, 
genannt  Rokeach.     Das  Grab  von  Maharil  ist  nidit  von  Osten 


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nach  Westen,  sondern  von  Norden    nach  Süden    gerichtet  und 
fällt  hierdurch  dem  Besucher  des  Friedhofs  sofort  auf. 

Die  Wormser  Judengasse  hat  sich  bis  zum  heutigen  Tage 
erhalten.  Sie  zieht  sich  von  der  Kämmererstrasse  beim  Mainzer 
Tor  (früher  Martinspforte)  bis  zum  Hamburger  Tor  (früher 
Judenpforte)  hin.  Auf  der  rechten  Seite  der  Judengasse  befindet 
sich  auf  einem  freien  Platz  die  alte  berühmte  Synagoge. 
Sie  ist  das  älteste  jüdische  Gotteshaus  in  Deutschland  und 
war  im  Mittelalter  der  schönste  jüdische  Tempel.  Fast  alle 
Fremden,  die  nach  Worms  kommen,  besuchen  den  alten  sehens- 
werten Bau.  Auch  Kaiser  Friedrich  III  hat  als  Kronprinz  die 
Synagoge  besichtigt.  Er  hatte  seinen  Namen  in  das  dort 
aufliegende  Fremdenbuch  eingezeichnet,  aber  ruchlose  Hände 
haben  das  geschätzte  Blatt  entwendet. 

Die  Synagoge  zerfällt  in  3  Teile  und  die  3  aneinander  ge- 
bauten Räume  sind  zu  verschiedenen  Zeiten  errichtet  worden.  Der 
älteste  Teil  ist  die  auf  Kosten  des  Jakob  ben  David  und  dessen 
Ehefrau  Rahel  erbaute  und  im  Jahre  1034  vollendete  Synagoge 
für  die  Männer.  Die  Bauart  ist  romanisch.  Auf  zwei 
schönen  Säulen,  an  deren  reich  geschmückten  Kelchkapitälen 
jüdische  Buchstaben  sich  befinden,  deren  Bedeutung  nicht  mehr 
zu  entziffern  ist,  wölbt  sich  im  Bogen  das  Dach.  Auf  dem 
schönen  Almemor  liegen  alte  Gebetbücher  mit  reich  verziertem 
Druck,  und  das  Allerheiligste  ist  eine  aus  Steinen  errichtete 
Lade.  Schwere  eiserne  Türen  mit  grossen  Riegeln 
verschliessen  das  Allerheiligste,  in  dem  sich  viele  sehr  alte 
Torarollen  befinden.  An  eine  derselben  knüpft  sich  folgende 
Sage.  Eine  Kiste  schwamm  einst  auf  dem  Rhein,  viele  Schiffer 
fuhren  hinaus,  um  sich  in  ihren  Besitz  zu  setzen.  Sobald  sie 
aber  in  die  Nähe  der  Kiste  kamen,  schlugen  die  Wellen  hoch 
auf,  und  die  Kiste  schwamm  weit  weg  von  ihnen.  Es  war 
ihnen  nicht  möglich,  derselben  habhaft  zu  werden.  Da  machten 
sich  einige  jüdische  Männer  auf,  um  die  Kiste  zu  holen,  und  als 
sie  in  die  Nähe  der  Kiste  kamen,  schwamm  sie  ihnen  von  selbst 
zu.  Sie  brachten  sie  ans  Land,  öffneten  sie  und  fanden  darin 
eine  Torarolle,  die,  wie  die  Sage  erzählt,  von  Rabbi 
Meir  von  Rothenburg  geschrieben,  und  von  ihm  in  den  Rhein 
versenkt    worden    ist,    als    man   ihn    gefangen  nehmen  wollte. 


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Vor  dem  Allcrhciligstcn  brennen  hier  im  Gegensatz  zu 
anderen  Synagogen,  in  denen  nur  ein  ewiges  Lidit  unterhalten 
wird,  zwei  Lichter.  Sie  dienen  zur  Erinnerung  an  zwei 
Männer,  die  ihr  Leben  für  die  Juden  von  Worms  geopfert 
haben.  Eine  Prozession  zog  einst,  wie  berichtet  wird,  durch 
die  Strassen  von  Worms.  Als  sie  durch  die  Judengasse  kam, 
entdeckte  man,  dass  das  Kruzifix  besudelt  sei.  Die 
Juden  wurden  angeklagt,  die  Entweihung  des  Kruzifixes 
verübt  zu  haben.  Das  Volk  war  erbittert  und  drohte,  alle 
Juden  niederzuschlagen,  wenn  sie  die  Schuldigen  nicht  heraus- 
geben. Acht  Tage  Frist  wurden  ihnen  bewilligt.  Sieben  Tage 
waren  bereits  vergangen  und  der  Schuldige  hatte  sich  nicht 
gefunden.  Am  achten  Tage,  zu  früher  Stunde  klopfte  es  an 
den  Toren  des  Judenviertels.  Zwei  Männer,  die  niemand  vorher 
gesehen  hatte,  verlangten  Einlass.  Sie  sagten,  dass  sie 
gekommen  wären,  um  die  Juden  zu  erretten.  Sie  gaben  sich 
als  die  Missetäter  aus  und  wurden  in  der  grässlichsten  Art 
hingemordet  und  verbrannt.  Das  Volk  hatte  sich  für  das 
entweihte  Kruzifix  gerächt,  die  Juden  von  Worms  aber  waren 
aus  der  ihnen  drohenden  Gefahr  errettet.  Zum  Andenken 
an  jene  beiden  Männer  brennen  noch  heute  in  der 
Synagoge  zwei  ewige  Lichter. 

An  die  Männer-Synagoge  fügt  sich  als  selbstständiger 
Bau  die  in  gotischem  Stil  erriditetc  Frauen-Synagoge  an,  mit 
der  ersteren  nur  durch  einen  Durchgang  verbunden.  Da  die 
Frauen  bei  der  weiten  Entfernung  dem  Gottesdienste  der 
Männer  nicht  folgen  konnten,  hatten  sie  ihre  eigenen  Vor- 
beterinnen. Von  einer,  mit  Namen  Urania,  die  1275  gestorben 
ist,  kündet  ein  auf  dem  Friedhof  befindlicher  Leichenstein. 

An  die  Frauen-Synagoge  stösst  die  Raschi-Kapelle,  wo 
Rabbi  Salomon  ben  Isaac,  genannt  Raschi,  gelehrt  haben 
soll.  Raschi  ist  in  Troyes  im  Jahre  1040  geboren,  und  es  ist 
lange  darüber  gestritten  worden,  ob  er  sich  überhaupt  in  Worms 
aufgehalten  habe.  Es  ist  aber  festgestellt  worden,  dass  Rabbi 
Isaac  ha  Levi  in  Worms  sein  Lehrer  war  und  Raschi  einige 
Jahre  in  Worms  unterrichtet  hat.  In  der  Kapelle  befindet  sidi  eine 
Nische  in  der  Wand.     Auf  dem  darin    angebrachten    hölzernen 


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Sitz  soll  Raschi  gesessen  haben,  davor  stehen  ein  Tisch  und 
die  Bänke,  auf  denen  seine  Sdiüler  Platz  genommen  haben  sollen. 
Nach  neueren  Forschungen  ist  die  Kapelle  erst  im  Jahre  1624 
von  David  Oppenheim  erbaut  worden.  Es  ist  daher  unmöglichi 
dass  Rasdii  darin  gelehrt  haben  kann. 

Am  Eingang  zur  Synagoge  sind  zwei  Tafeln  mit  jüdischen 
Inschriften,  die  darüber  Äufsdiluss  geben,  dass  die  Frauen- 
Synagoge  im  Jahre  1213  von  Rabbi  Meir,  Sohn  des  Joel  und 
seiner  Frau  Judith,  einem  kinderlosen  Ehepaare,  erbaut  worden 
ist.  Ein  Teil  der  Inschrift,  die  sich  hierauf  bezieht,  hat 
folgenden  Wortlaut:  „Dieses  Haus  hat  zu  Ehren  Gottes  erbaut: 
Rabbi  Meir,  der  Sohn  des  Joel  aus  priesterlichem  Geschlechte 
im  Jahre  4973  nadi  Erschaffung  der  Welt  (1213).  Möge  seiner 
von  Gott  zum  Guten  gedacht  werden  und  darauf  Jeder,  der 
davon  hört,  „Amen"  antworten.  Dass  dieses  Gebäude  zum 
Bethaus  für  Frauen,  die  auf  Gott  und  seine  Güte  vertrauen, 
erbaut  worden,  sei  mit  eisernem  Griffel  für  alle  Zeiten  hier 
eingeschrieben."  —  Und  darunter  steht  folgendes: 

„Eine  wohltätige  Frau,  die  gleich  einer  Königstochter  als 
Gattin  in  dem  Hause  des  Rabbi  Meir  aus  der  Priesterfamilie 
waltete,  die  fromme  Judith,  hat,  nachdem  ihr  Gott  das  hierzu 
nötige  Vermögen  verliehen,  dieses  Gotteshaus  zu  seiner  Ehre 
erbauen  lassen,  damit  man  von  hier  aus  täglich  Lob-,  Bitt- 
und  Dankgebete  zu  Gott  emporsende.  Dieses  edle  Werk, 
durch  welches  sie  wie  eine  Mutter  erscheint,  die  sich  des 
Glückes  ihrer  Kinder  erfreut,  möge  ihr  Gott  in  Ehren  und 
Freuden  gedenken". 

Das  Judenbad  in  Worms  wurde  erst  im  Jahre  1896  auf- 
gedeckt. Es  ist  vermutlich  im  Jahre  1034  zugleich  mit  der 
Männer-Synagoge  erbaut  worden. 

An  der  nadi  der  Synagoge  führenden  engen  Strasse 
befindet  sich  in  der  Wand  eine  etwas  eingedrückte  Stelle,  an 
die  sich  die  folgende  Sage  knüpft:  Die  Mutter  des  Rabbi 
Jehuda  ben  Samuel  ging  einst  durch  die  enge  Judengasse  in 
den  Tempel.  Da  kam  ein  grosser  Wagen  um  die  Ecke  ge- 
fahren und  der  Führer  trieb  die  Pferde  absichtlich  an,  um  die 
Frau  zu  töten.  Es  gab  für  sie  keinen  Ausweg,  und  sie  wäre 
sicher  von  dem  Wagen  zermalmt  worden.     Da  drückte  sie  sidi 


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an  die  Wand,  betete  zu  Gott,  und  die  Wand  gab  nadi  und 
gewährte  ihr  einen  Zufluchtsort  und  Rettung  vor  der  ihr 
drohenden  Gefahr.  — 

Die  Geschichte  erzählt  uns  unendlich  viele  Greuel  und 
Missetaten,  denen  die  Juden  in  Worms  ihres  Glaubens  wegen 
ausgesetzt  waren.  Man  versperrte  ihnen  Licht  und  Luft,  man 
schnitt  ihnen  Weg  und  Steg  ab  und  man  versuchte  durch 
allerlei  Zwangsmassregeln  sie  ihrem  Glauben  abspenstig  zu 
machen. 

Am  schlimmsten  erging  es  den  Juden  in  Worms  zur  Zeit 
des  ersten  Kreuzzuges.  Peter  von  Ämiens  kam  mit  seiner 
Schar  von  Trier  her  über  Speyer,  wo  die  Juden  von  ihm 
ermordet  wurden,  nach  Worms.  Hier  flüchtete  ein  grosser 
Teil  der  Juden  in  den  Palast  des  Bischofs,  der  ihnen  Schutz 
zugesagt  hatte.  Als  aber  die  Kreuzfahrer  nach  Worms  kamen, 
lieferte  der  Bischof  die  Juden  aus,  da  er  einsah,  dass  sie  sich 
nicht  taufen  Hessen,  wie  er  es  vermutet  hatte.  Es  entstand 
ein  schreckliches  Würgen  und  Morden,  das  nach  den  Schilde- 
rungen, die  von  Äugenzeugen  überliefert  wurden,  unmenschlich 
genannt  werden  muss. 

Salomo  bar  Simeon  erzählt  darüber  folgendes:  „Am 
23.  Ijar  4856  —  das  ist  am  18.  Mai  1096  —  über- 
fielen die  Kreuzfahrer  die  Juden  von  Worms  in  ihren  Häusern 
und  schlachteten  Männer,  Frauen  und  Kinder,  Jünglinge  und 
Greise,  sie  stürzten  die  Treppen  (welche  vor  den  Häusern  sich 
befanden)  um,  rissen  die  Häuser  nieder,  machten  Beute  und 
plünderten.  Sie  nahmen  die  Tora-Rollen,  traten  sie  in  den 
Kot,  zerrissen  und  verbrannten  sie.  —  Nach  sieben  Tagen 
wurden  auch  diejenigen,  die  sich  noch  im  bischöflichen  Palaste 
befanden,  in  Schrecken  versetzt.  Die  Feinde  misshandelten 
sie  schimpflich  und  übergaben  sie  dem  Schwerte.  Die  Juden 
heiligten,  durch  das  von  ihren  Brüdern  gegebene  Beispiel  ge- 
stärkt, den  göttlichen  Namen,  indem  sie  mutig  dem  Tode  ent- 
gegengingen. Sie  boten  ihren  Hals  dar,  um  sich  für  den 
Namen  ihres  Schöpfers  abschlachten  zu  lassen.  Einige  von  ihnen 
legten  selbst  Hand  an  sich.  So  töteten  der  eine  seinen  Bruder, 
der  andere  seinen  Verwandten,    seine  Frau  und  seine  Kinder, 


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der  Bräutigam  seine  Braut,  zärtliche  Frauen  ihre  Lieblinge, 
alle  nahmen  ungeteilten  Herzens  das  himmlische  Verhängnis 
an,  übergaben  ihre  Seelen  ihrem  Schöpfer,  indem  sie  das 
letzte  Bekenntnis  ausriefen:  Höre  Israel,  der  Ewige  ist  unser 
Gott,  der  Ewige  ist  einzig!" 

Ein  anderer  jüdischer  Schriftsteller,  Elieser  ben 
Nathan,  erzählt  bei  Beschreibung  der  Greuel  des  zweiten 
Tages  noch  folgendes:  Ein  Jüngling,  namens  Simdia  Cohen 
wurde  in  die  Kirdie  geführt  und  sollte  zur  Taufe 
gezwungen  werden.  Nach  seinem  Eintritt  in  die  Kirche  zog 
er  ein  Messer  hervor  und  erstach  einen  Fürsten,  einen  Enkel 
des  Bischofs.  Man  zerhieb  sogleich  seinen  Körper  in  Stücke.  — 
800  Wormser  Juden  wurden  in  jenen  beiden  Tagen  erschlagen. 
Auf  diese  für  die  Juden  so  unglückselige  Zeit  passt  Lord 
Byron's  Spruch: 

Ihr  Stämme  mit  dem  Wanderstab,  ihr  Müden, 

Wo  findet  Ruhe  Ihr  hinieden? 

Die  wilde  Taube  hat  ihr  Nest, 

Der  Fudis  die  Kluft, 

Der  Mensch  sein  Vaterland, 

Israel  nur  die  Gruft. 

/\us  der  Zeit  der  Kreuzzüge  wird  folgende  Legende  aus 
Worms  berichtet:  Gottfried  von  Bouillon  hatte  von  Raschi, 
dem  berühmten  Lehrer  in  Israel  gehört.  Auf  seinem  Wege 
nach  Jerusalem  zog  er  zu  ihm,  und  frug  den  Rabbi,  ob  sein 
Zug  mit  Erfolg  gekrönt  sein  würde.  Raschi  weigerte  sich  lange, 
ihm  eine  Antwort  zu  erteilen,  sagte  ihm  aber  sdiliesslich  auf 
sein  wiederholtes  Drängen,  dass  von  seinem  ganzen  Heer  nur 
drei  Mann  und  ein  Pferdekopf  nach  Worms  zurückkehren 
würden.  Gottfried  von  Bouillon,  der  zuerst  siegreich  auf  seiner 
Kriegsfahrt  gewesen  war,  wurde  später  besiegt  und  seine 
Armee  wurde  fast  völlig  vernichtet.  Von  seinen  Truppen 
kehrten  nur  vier  Mann  nach  Deutschland  zurück,  und  als  sie 
nach  Worms  durch  das  Tor  ritten,  wurde  einer  von  ihnen 
und  ein  Pferd  durch  einen  Schlagbaum  getötet.  Der  Pferde- 
kopf fiel  nach  Worms,  der  Körper  blieb  ausserhalb  liegen.  — 
So  hatte  sich  die  Voraussagung    Raschi's    wörtlich    erfüllt!  — 


—     8     - 

Bei  Gelegenheit  des  zweiten  Kreuzzuges  im  Jaiire  1146 
wiederholten  sidi  die  Verfolgungen  der  Juden,  ohne  jedoch 
die  Greuel  des  ersten  Kreuzzuges  zu  erreichen.  Wohl 
fanden  wieder  Zwangstaufen  statt,  wohl  wurden  Juden 
in  Worms  ermordet  oder  sdiladiteten  sich  selber,  was  sie 
„Heiligung  des  göttlidien  Namens"  nannten,  aber  die  Zahl  der 
Opfer  war  viel  geringer  als  im  Jahre  1096. 

Schlimmer  erging  es  den  Juden  im  Jahre  1196,  als  Kreuz- 
fahrer in  Worms  einfielen  und  viele  Juden  daselbst  hinmordeten. 
Zwei  Kreuzfahrer  drangen  in  das  Haus  des  berühmten  Rabbi 
Eleasar  bcn  Jehuda,  genannt  Rokeach,  ein,  töteten  seine  beiden 
Töchter  Belette  und  Hanna,  verwundeten  ihn,  seinen  Sohn 
Jakob  und  seine  Sdiüler.  Seine  Gattin  Dolza  entfloh,  wurde 
aber  von  den  Kreuzfahrern  verfolgt  und  ermordet.  Einer  der 
Mörder  wurde  gefangen  genommen  und  bestraft. 

Die  Leiden  der  Juden  in  Worms  wiederholten  sidi  noch 
oft.  Im  Jahre  1349  herrschte  in  Deutschland  die  Pest,  der 
schwarze  Tod,  und  forderte  unzählige  Opfer.  Man  schob  den 
Juden  die  Schuld  daran  zu  und  verbreitete,  sie  hätten  die 
Brunnen  vergiftet.  Der  Papst  Clemens  VI  nahm  in  einer  Bulle  für 
die  Juden  Partei  und  bewies,  dass  die  Pest  auch  in  Ländern 
wütete,  wo  Juden  überhaupt  nicht  wohnten,  aber  auch  das 
half  nichts.  In  Worms  wütete  der  schwarze  Tod;  das 
Volk  stürmte  gegen  die  Juden  los  und  der  Rat  der  Stadt  beschloss, 
sie  alle  dem  Tode  zu  überliefern.  In  ihrer  höchsten  Not  sandten 
die  Juden  ihre  12  Vorsteher  zum  Rat  der  Stadt;  sie  sollten  um 
Mitleid  und  Aufhebung  des  gefassten  Beschlusses  bitten.  Die 
Ratsherren  aber  waren  unerbittlich,  und  als  die  Vorsteher  sahen, 
dass  all  ihr  Flehen  umsonst  sei,  verriegelten  sie  die  Türen 
des  Saals,  zogen  die  Waffen,  die  sie  unter  den  Kleidern 
verborgen  hatten  und  erschlugen  sämtliche  Ratsherren.  Dann 
zogen  sie  vereint  nach  dem  jüdischen  Begräbnisplatz,  töteten 
sich  gegenseitig  und  wurden  daselbst  in  einem  gemeinschaft- 
lichen Grab  bestattet.  „12  Parnasim  ruhen  hier",  —  das  ist 
alles,  was  auf  dem  Leichenstein  steht. 

Die  Folge  dieser  Tat  war,  dass  die  Juden  von  Worms 
zu      Hunderten      hingemordet     wurden,      wobei     mehr     als 


—  11  — 

der  Stadt  Worms  20000  Goldguldcn  als  Zwangsdarlehen  in  Raten 
zu  zahlen,  weil  sie,  wie  es  wörtlich  heisst,  „in  dem  Streite  gegen 
den  Grafen  Emiko  von  Leiningen  die  Bürger  nicht  unterstützt 
haben,  wie  zu  tun  es  sich  geziemt  hätte,  ferner  um  die 
Ausgaben  und  den  Schaden  der  Bürger  zu  ersetzen  und  für 
die  grossen  Gnadenerweisungen,  die  die  geehrten 
und  weisen  Männer,  der  Bürgermeister  und  der  Rat  der  Stadt 
Worms,  ihnen  erzeigt  hätten,  sich  dankbar  zu  beweisen'*. 

„Falls  die  Juden  nicht  im  Stande  sein  sollten,  pünktlich  zu 
zahlen  (was  Gott  verhüten  möge,  so  steht  es  wörtlich  dabei!), 
so  ist  der  Rat  von  Worms  berechtigt,  bei  Juden  oder  Christen 
in  Mainz  das  Geld  auf  Kosten  der  Wormser  Juden  aufzubringen, 
und  nach  2  Monaten  nach  dieser  Aufnahme  ist  der  Rat  er- 
mächtigt und  befugt,  alle  Juden  in  Worms  an  Leib  und 
Vermögen  anzugreifen,  bis  zu  der  Frist,  da  Kapital  und  Schaden 
bezahlt  sein  werden." 

Erst  sperrte  man  die  Juden  in  das  Ghetto,  beschränkte 
ihnen  den  Erwerb,  dann  peinigte  man  sie  mit  Steuern,  und 
zwang  sie  in  den  Schuldverschreibungen,  in  welchen  sie  Gut 
und  Blut  verpfänden  mussten,  auch  noch  ihren  Peinigern  zu 
erklären,  wie  dankbar  sie  ihnen  seien,  und  dass  sie  ihre 
Pflicht  den  Bürgern  gegenüber  nicht  erfüllt  hätten! 

Im  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  sollten  die  Juden  aus 
Worms,  Mainz  und  Frankfurt  vertrieben  werden.  Der  Erz- 
bischof von  Mainz  berief  eine  Versammlung  von  Delegierten 
aus  den  genannten  Städten  nach  Frankfurt  zum  7.  Januar  1516. 
Die  Juden  wandten  sich  an  den  Kaiser  Maximilian  um  Hilfe, 
und  er  verhinderte,  dass  die  Geistlichkeit  irgend  welche  Schritte 
gegen  die  Bedrohten   einleitete. 

Kurz  darauf  hotte  die  Geistlichkeit  mit  ihren  eigenen 
Angelegenheiten  sich  zu  beschäftigen.  Martin  Luther  kam 
nach  Worms  und  hatte  sich  dort  im  April  1521  vor  dem 
Reichstage  zu  verantworten. 

Die  Reformation  hatte  ihren  Anfang  genommen,  die  Geist- 
lichen wie  die  Bürger,  die  Katholiken  und  die  Anhänger  der 
neuen  Lehre  hatten  keine  Zeit,  mit  den  Juden  sich  abzugeben. 
Martin  Luther,    der    sich    in    seinem  Alter    sehr    feindlich   den 


—    12    - 

Juden  entgegen  stellte,  nahm  sidi  zuerst  ihrer  an,  und  sdirieb 
damals  unter  anderem  im  Jahre  1523: 

„Unsere  Narren,  die  Papisten,  Bischöfe,  Sophisten  und 
Mönche,  die  groben  Esels,  haben  bisher  also  mit  den 
Juden  verfahren,  dass,  wer  ein  guter  Christ  gewesen,  hätte 
wohl  mögen  ein  Jude  werden.  Und  wenn  ich  ein  Jude  ge- 
wesen wäre  und  hätte  soldic  Tölpel  und  Knebel  den  Christen- 
glauben regieren  und  lehren  gesehen,  so  wäre  ich  eher  eine 
Sau  worden,  als  ein  Christ.  Denn  sie  haben  mit  den  Juden 
gehandelt,  als  wären  es  Hunde  und  nicht  Mensdien,  haben 
nichts  mehr  gekonnt  tun,  denn  sie  schelten  und  ihr  Gut 
nehmen,  wenn  man  sie  getauft  hat.  Drum  wäre  meine 
Bitt'  und  mein  Rat,  dass  man  säuberlich  mit  ihnen  umgehe 
und  aus  der  Schrift  sie  unterrichtet.  Will  man  ihnen  helfen, 
so  muss  man  christlicher  Liebe  Gesetz  an  ihnen  üben,  sie 
freundlich  annehmen,  mit  lassen  werben  und  arbeiten,  damit 
sie  Ursache  und  Raum  gewinnen,  bei  uns  und  um  uns  zu  sein." 

Aber  nicht  Luther  allein  verwandte  sich  um  die  damalige 
Zeit  für  die  Juden,  sondern  noch  ein  anderer  lutherischer 
Geistlicher  trat  für  sie  ein  in  einer  Schrift  betitelt  „Ein 
Judenbüchlein",  in  welcher  die  Juden  zum  ersten  mal  gegen 
die  lügenhafte  Beschuldigung,  dass  sie  Kinder  schlachteten,  um 
Blut  für  ihren  Ritus  zu  haben,  verteidigt  wurden. 

Aucii  der  Rat  der  Stadt  Worms  war  seit  der  Reformation 
den  Juden  freundlich  gesinnt.  Er  sicherte  ihnen  Schutz  und  Schirm 
zu  und  schloss  mit  ihnen  im  Jahre  1557  einen  Vertrag  auf  4  Jahre. 
Die  hierüber  vorhandene  Urkunde  ist  recht  interessant. 

In  den  einzelnen  Artikeln  heisst  es: 

„Zwei  Privathäuser,  welche  bis  dahin  von  Juden  in  Worms 
erbaut  worden  sind,  dürfen  Ihnen  verbleiben.  Andere  Häuser 
dürfen  die  Juden  nicht  bauen,  sondern  sie  müssen  in  gemieteten 
Räumen  wohnen  Diese  ihre  Wohnungen  werden  alljährlich 
revidiert,  und  was  der  Bürgermeister  und  2  Baumeister  als 
der  Renovierung  bedürftig  bezeichnen,  muss  sofort  von  den 
Juden  auf  ihre  Kosten  gemacht  werden. 

Das  Gärtlein  hinter  der  Schul  (Synagoge),  darf  zum 
Spaziergang     benutzt    werden.      Die    Schul,    Schulhof,    Tanz- 


-     9      - 

400  Juden  umgekommen  sein  sollen  Ihre  Habe  wurde 
den  Rittern  gegeben.  Diese  verlangten  Entschädigung  für  den 
Nachteil,  den  sie  durch  die  Juden  erlitten  zu  haben  behaupteten. 

Vereinzelt  nahmen  sich  auch  Christen  der  schwer 
bedrängten  Juden  an  und  schützten  sie  in  ihren 
Häusern  gegen  die  Wut  der  Menge.  Aber  auf  jedes  Haus. 
in  welchem  Juden  versteckt  wurden,  flog,  wie  die  Sage  erzählt, 
eine  verzauberte  Gans  und  verriet  die  Juden.  Ein  Geistlicher, 
der  die  Juden  schützen  wollte,  nahm  unbemerkt  einen  gelehrten 
Juden  mit  sich  in  die  Kirche.  Dort  sprach  dieser,  als  Prediger 
verkleidet,  mit  zündenden  Worten  gegen  die  Verblendung  der 
Menge  und  führte  aus,  dass  sie  töricht  sei,  einer  Gans 
Glauben  zu  schenken.  Inzwischen  hatte  die  Gans  auf  die 
Kirche  sich  niedergelassen.  Der  Prediger  wies  die 
Betörten  darauf  hin  und  sagte  ihnen,  wenn  die  Gans  auf 
die  Kirche  sich  niederlässt,  in  der  kein  Jude  sich  befindet, 
so  ist  es  doch  klar,  dass  die  Vermutung  des  Volkes  eine 
falsche  und  der  Gans  nicht  zu  glauben  sei.  Diese  Beweis- 
führung hatte  Erfolg,  und  die  Menge  beruhigte  sich  wieder.  — 
Wohl  kamen  auch  nach  dieser  Zeit  oft  genug  Ueberfälle  gegen 
die  Juden  vor,  aber  es  waren  nicht  mehr  Massenmorde,  die 
gegen  sie  verübt  wurden.  Man  behandelte  sie  als  Leibeigene, 
oder  als  ein  sehr  brauchbares  Steuerobjekt.  Das  letztere  machte 
die  Juden  manchem  hohen  Herrn  im  Mittelalter  recht  begehrens- 
wert, und  so  finden  wir,  dass  die  Fürsten  sich  oft  bei  den 
Kaisern  darum  bewarben,  Juden  halten  zu  dürfen,  um  von 
ihnen  immer  neue  Abgaben  und  Geldstrafen  zu  erpressen.  Die 
Juden  waren  im  Mittelalter  dreien  Herren  dienstbar,  dem 
Kaiser,  dem  Bischof  und  der  Stadt,  in  der  sie  wohnten. 

Im  Jahre  1312  gehörten  die  Juden  in  Worms  dem  Bischof 
Emmerich,  und  dieser  gab  sie  den  Dalberg's  zu  Lehen, 
die  sie  in  jeder  Weise  schützten.  Bischof  Emmerich 
schloss  mit  den  Juden  von  Worms  einen  Vertrag,  der 
folgende  Bestimmungen  enthält: 

„12  Männer  hatten  den  „Judenrat"  zu  bilden,  einen  von 
ihnen,  den  Vorsitzenden,  der  den  Titel  „Judenbischof"  auf 
Lebenszeit  führte,  ernannte  der  jeweilige  Bischof,  und  erhielt 
dafür  eine  besondere  Abgabe  von  ihm.     Die  12  Vorsteher  über- 


-     10    - 

nahmen  abwechselnd  das  Amt  des  Judenbischofs  und  leisteten 
den  Eid  in  die  Hände  des  Bischofs.  Starb  einer  der  „Rats- 
hcrren",  so  wählten  die  übrigen  einen  neuen  und  zahlten  dem 
Bisdiof  eine  Abgabe  von  60  Pfund  Heller.  Sie  hatten  die 
Berechtigung,  alle  Streitfälle  nach  jüdischem  Rechte  abzuurteilen. 
Nur  Kriminalfälle    unterlagen    der  allgemeinen   Gerichtsbarkeit. 

Im  Jahre  1342  wurde  den  Juden  in  Deutschland  von 
Ludwig  dem  Bayer  folgende  Steuern  auferlegt.  Jeder  Jude 
und  jede  Jüdin,  die  über  12  Jahre  alt  waren  und  20  Gulden 
besassen,  mussten  eine  Kopfsteuer  von  1  Gulden  jährlich  zu 
Weihnachten  bezahlen.  Das  war  der  „goldene  Opferpfennig", 
oder  die  „Weihnachtssteuer".  Ferner  mussten  die  Juden  für 
das  Wohnrecht  „die  Judensteuer"  zahlen.  Hiervon  erhielt  die 
eine  Hälfte  die  Stadt,  die  andere  Hälfte  wurde  an  die  königliche 
Kammer  abgeführt.  Aus  dieser  letzteren  Verpflichtung  entstand 
die  für  die  damaligen  Juden  eingeführte  Bezeichnung  „könig- 
liche Kammerknechle"  —  und  diese  leidige  „Kammerknechtsdiaft" 
brachte  ihnen  die  Verpflichtung,  dem  König  und  dem  Reich 
immer  wieder  neue  Steuern  zu  bezahlen. 

Schon  nach  36  Jahren,  im  Jahre  1348,  trat  eine 
unheilvolle  Wandlung  für  die  Juden  von  Worms  ein.  Der 
Kaiser  Karl  IV.  war  den  Bürgern  von  Worms  zu  Dank  ver- 
pflichtet, und  bewies  ihnen  seine  Anerkennung  dadurch,  dass 
er  ihnen  die  Juden  ihrer  Stadt,  sowie  all  ihr  Hab  und  Gut 
zu  Geschenk  machte. 

Hieraus  entstanden  für  die  Juden  von  Worms  die  unglaub- 
lichsten Bedrückungen,  und  die  deutschen  Kaiser  und  die 
Bischöfe  mussten  die  Juden  oft  gegen  die  Bürger  schützen, 
da  sie  das  ihnen  gewährte  Recht  zum  Nachteil  der  Juden  aus- 
nutzten. Neid  und  Missgunst  waren  die  leitenden  Motive 
des  Hasses  gegen  die  Juden,  dazu  kam  der  religiöse 
Fanatismus,  und  im  Jahre  1349  die  Aufregung  infolge  der 
Verleumdung,  die  Juden  hätten    die  Brunnen  vergiftet. 

In  welcher  Abhängigkeit  die  Juden  von  Worms  den 
Bürgern  der  Stadt  gegenüber  lebten,  beweist  eine  vorgefundene 
Urkunde  vom  Mai  1377,  die  von  36  Gemeindemitgliedern 
unterzeichnet    ist.     In    derselben    verpflichten    sich    die    Juden, 


1 


—    13    — 

haus  und  Bad  müssen  rein  und  sauber  gehalten  werden  und 
nicht  wie  bisher  unlustig  und   unsauber  aussehen." 

(Ausser  diesen  Häusern  besassen  die  Juden  auch  das 
Backhaus,  hinter  der  St.  Martinskirche  gelegen.  In  demselben 
wurden  die  Osterbrote  hergestellt.  Am  28.  Mai  1354  ver- 
kauften die  Bürger  von  Worms  das  Backhaus  an  Reinhold 
von  Sonsheim    für  80  Pfund    Heller.) 

In    der  Urkunde    heisst  es  ferner: 

„Die  Juden  dürfen  einen  Hochmeister,  das  ist  einen 
Rabbiner,  einen  Sänger  und  einen  Stecher  (Schächter)  halten, 
doch  darf  der  Hochmeister  bei  Strafe  von  20  Gulden 
keine  Geldstrafen  verhängen. 

Die  Juden  verpflichten  sich,  nirgends  anders  hinzuziehen 
und  dem  Bürgermeister,  dem  Rat  und  der  Gemeinde  treu  zu 
bleiben,  dem  Rate  der  Stadt  und  der  Polizei  gehorsam  zu 
sein  und  getreulich  die  Steuern  zu  bezahlen. 

Die  Juden  dürfen  kein  Geld  auf  Kirchengeräte  und  Waffen 
leihen,  auch  sollen  sie  keine  solche  annehmen  und  kaufen.  Sie 
dürfen  keinen  Minderjährigen  und  keiner  Frau  ohne  Wissen 
und  Willen  des  Mannes  Geld  borgen,  auch  nichts  auf  liegende 
Güter  ohne  Anzeige  bei  Gericht  borgen,  sonst  verlieren  sie 
das  ganze  ausgeliehene  Geld.  Zinsen  dürfen  sie  vom  Gulden 
nur  einen  Pfennig  wöchentlich  nehmen. 

Fremde  Juden  dürfen  in  Worms  nur  dann  aufgenommen 
werden,  wenn  sie  10  Gulden  jährlich  Steuern  bezahlen.  Als 
Gast  darf  ein  fremder  Jude  nur  dann  beherbergt  werden,  wenn 
dem  Bürgermeister  hiervon  Anzeige  gemacht  und  4  Pfennig 
für  jede  Nadit  bezahlt  wird. 

Alle  Juden  und  Jüdinnen  sollen  ihr  gewöhnliches  Zeichen 
tragen,  nämlich  einen  Mantel  mit  einem  gelben  Ring,  eine  Hand 
breit,  und  einen  spitzen  Hut,  und  ohne  Genehmigung  des 
Bürgermeisters  dürfen  sie  gegen  einen  Goldgulden  Strafe  in 
der  Karwoche,  Ostern,  Pfingsten,  Wcihnaditen  und  an  allen 
Sonntagen  nicht  ausgehen.  An  solchen  heiligen  Festen,  Sonn-  und 
Feiertagen  sollen  sie  beide  Tore  des  Ghettos  samt  ihren  Läden 
geschlossen  halten.  Doch  soll  ihnen  das  Verkaufen  der  alten 
Kleider  in  den  Häusern  an  diesen  Tagen  erlaubt  sein. 


—    14   — 

Es  sollen  weder  Juden  noch  Jüdinnen  Handel  oder 
Gewerbe  treiben  mit  Kaufen  oder  Verkaufen,  garnidits  aus- 
genommen, und  dadurch  unsern  Bürgern,  Gewerken,  Kaufleuten 
und  Handwerkern  in  ihrem  Geschäft  oder  Handwerk  hinderlich 
sein,  schaden,  Abbruch  oder  Nachteil  zufügen,  gegen  eine 
Strafe  von  10  Gulden.  Besonders  soll  es  ihnen  verboten  sein, 
Tuch,  Wolle  und  Seide  nach  der  Elle  auszumessen  und  aus- 
zuschneiden, auch  keine  neuen  Kleider  und  Schuhwerk  dürfen 
sie  anfertigen  oder  anfertigen  lassen  oder  feil  halten,  damit 
den  Handwerkern  und  Zünften  kein  Schaden  entsteht. 
Die  Juden  und  Jüdinnen  dürfen  nicht  vor  ihren  Häusern 
herumstehen  und  diejenigen,  die  etwas  zu  versetzen  oder  zu 
verpfänden  haben,  hereinrufen,  sondern  müssen  jeden,  der 
etwas  versetzen  will,  frei  gehen  lassen,  wohin  er  will.  Aber 
auch  vor  der  Münze  und  auf  dem  Markt  dürfen  sie  nicht 
spazieren  gehen,  dürfen  auch  dort  nicht  herumsitzen  oder 
herumstehen,  sondern  wenn  einer  dort  etwas  zu  tun  hat,  soll 
er  es  schnell  ausrichten  und  wieder  heimgehen,  und  den  Mantel 
darf  er  nicht  zu  weit  überschlagen,  damit  das  gelbe  Zeichen 
nicht  bedeckt  wird.    Sonst  hat  er  einen  Gulden  Strafe  zu  zahlen. 

Ein  lediger  fremder  Jude  darf  in  die  jüdische  Gemeinde 
aufgenommen  werden,  wenn  er  sich  mit  einer  Jüdin  aus  Worms 
verheiratet,  ein  Witwer  darf  nidit  aufgenommen  werden." 

Das  ist  im  grossen  Ganzen  der  Inhalt  des  Vertrages. 

Als  die  4  Jahre,  auf  weldie  Zeit  der  Vertrag  abgeschlossen 
war,  abgelaufen  waren,  genügten  den  Bürgern  von  Worms 
alle  diese  Zwangsmassregeln  gegen  die  Juden  nicht  mehr.  Die 
Juden  sollten  aus  der  Stadt  vertrieben  werden,  aber  Bischof 
Dietrich  stellte  sich  auf  die  Seite  der  Bedrückten,  und  die 
Bürger  wandten  sich  mit  einer  Beschwerde  an  den  Kaiser 
Ferdinand.  Dieser  forderte  die  Bürger  auf,  die  Juden  un- 
bclästigt  zu  lassen  und  ernannte  eine  Kommission,  bestehend 
aifs  Philipp,  Landgraf  zu  Hessen,  Daniel,  Erzbischof  zu  Mainz, 
Grafen  zu  Katzenellenbogen  und  den  Meister  und  Rat  zu 
Strassburg,  sie  sollten  entscheiden,  ob  die  Bürger  oder  die 
Juden  im  Recht  wären. 

Die  Angelegenheit  blieb  aber  trotzdem  in  der  Sdiwebe, 
bis    Kaiser    Ferdinand    starb.      Erst    sein    Nachfolger,    Kaiser 


: 


—    15   — 

Maximilian  IL,  wies  den  Rat  der  Stadt  Worms  im  Jahre  1570 
in  einem  energischen  Schreiben  an,  dass  die  dort  wohnenden 
Juden  nicht  gekränkt  und  bedrückt  werden  dürfen,  da  sie 
kaiserlidie  Privilegien  besitzen. 

Unter  Kaiser  Matthias  1612  wurden  von  neuem  Unter- 
handlungen begonnen,  und  der  Kaiser  ermahnte  die  Bürger, 
die  Angriffe  gegen  die  Juden  zu  unterlassen.  Eine  neue 
Kommission  wurde  eingesetzt,  zu  der  Friedrich,  Pfalzgraf  zu 
Rhein  und  Philipp  Christoph,  Bischof  zu  Speyer,  gehörten. 
Die  Bürger  von  Worms  warteten  die  Entscheidung  der 
Kommission  nicht  ab,  sondern  verjagten  alle  Juden  nebst 
Frauen  und  Kindern  aus  der  Stadt. 

Der  berüctitigte  Lebkuchenbäcker  Vinzenz  Fettmilch,  der 
sich  selbst  den  Namen  „der  neue  Haman"  beilegte,  hatte  in 
Frankfurt  a  M.  den  Hass  gegen  die  Juden  geschürt  und  ihre  Ver- 
treibung bewirkt.  Als  die  Kunde  davon  nach  Worms  drang, 
fand  sich  auch  hier  ein  Aufwiegler  in  der  Person  des  Advokaten 
Dr.  Chemnitius.  Von  ihm  und  Hans  Georg  Kern,  Valentin 
Tomas  und  Nicolai  Spitz  wurde  gegen  die  Juden  bei  den 
Zünften  agitiert  und  diese  ergriffen  Gewaltmassregeln  gegen 
die  Juden.  Kurfürst  Friedrich  von  der  Pfalz,  der  Patron  der 
Stadt  Worms,  schützte  jedoch  die  Juden,  und  sandte 
Dr.  Chemnitius  seiner  Umtriebe  wegen  nach  Heidelberg  ins 
Gefängnis. 

Nach  3  Monaten  wurde  er  entlassen,  nachdem  er  ver- 
sprochen hatte,  nichts  mehr  gegen  die  Juden  zu  unternehmen, 
widrigenfalls  er  eine  Strafe  von  1000  Gulden  zu  zahlen  ver- 
pflichtet sein  soll.  Aber  kaum  war  Dr.  Chemnitius  wieder  in 
Worms,  so  wiegelte  er  die  Zünfte  noch  schlimmer  wie  vorher 
auf.  Am  10.  April  1615,  das  war  am  siebenten  Tage  des 
Pessachfestes  5375,  erging  an  die  Juden  die  Aufforderung, 
die  Stadt  Worms  innerhalb  einer  Stunde  zu  verlassen. 
Wohl  widersetzten  sich  der  Rat  der  Stadt  Worms  diesem 
aufrührerischen  Treiben,  aber  er  war  ohnmäditig  gegen  den 
Ansturm  der  Bürger.  Diese  braditen  die  Juden  an  den 
Rhein  und  setzten  sie  selbst  über  den  Strom,  da  die  Schiffer 
sich  weigerten,  die  Ueberfahrt  zu  bewirken.  Die  Bürger  jagten 
die    jüdisdien    Männer    während    des    Gottesdienstes    aus    der 


—    16    - 

Sijnagogc,  und  triGbcn  die  Frauen  und  Kinder  aus  ihren 
Wohnungen.  Sic  schonten  weder  die  Greise  noch  die  Kranken. 
Die  Vertriebenen  blieben  in  den  umliegenden  Dörfern  und 
Städten.  Sie  hatten  ihr  Hab  und  Gut  dem  wütenden  Pöbel 
überlassen  müssen,  und  dieser  zerstörte  alles,  was  er  vorfand. 
Nicht  einmal  die  Synagoge  und  der  Friedhof  blieben  unbeschädigt. 
Die  Sammelbüchsen  für  die  Armen  wurden  erbrodhen  und  die 
Torarollen  vv^urden  zerrissen. 

Die  Juden  sandten  ihren  Vorsteher  Loeb  Oppenheimer 
zum  Kaiser  Matthias,  um  seine  Hilfe  zu  erflehen.  Der  Kaiser 
nahm  sich  der  schwer  Bedrängten  an,  und  Hess  die  Juden  am 
9.  Januar  1616  unter  Begleitung  kaiserlicher  Soldaten  wieder 
nach  Worms  in  ihre  Wohnungen  bringen. 

Die  Rädelsführer  der  Aufwiegler,  Kern,  Tomas  und  Spitz 
wurden  zur  Strafe  vom  Scharfrichter  mit  Ruten  über  den 
Markt  zum  Andreastor  aus  der  Stadt  gestäupt  und  aus  dem 
Reiche  verwiesen.  Dr.  Chemnitius  wurde  wieder  ins  Gefängnis 
gebracht,  musste  die  verwirkte  Strafe  von  1000  Gulden  bezahlen, 
und  wurde  seines  Amtes  als  Advokat  entsetzt.  Vincenz  Fettmildi 
wurde  gehängt,  und  seine  Familie  wurde  aus  dem  Lande  getrieben. 

Die  Juden  von  Worms  hatten  fast  ein  ganzes  Jahr  ausser- 
halb ihrer  Häuser  bleiben  müssen,  und  als  sie  in  die  Stadt 
zurückgekehrt  waren,  stellten  sie  zuerst  die  arg  zerstörte 
Synagoge  und  dann  erst  ihre  eigenen  Häuser  wieder  her.  Es 
hat  lange  Jahre  gedauert,  bis  sie  sich  von  dem  ihnen  zu- 
gefügten Schaden  erholen  konnten.  Es  war  dies  um  so 
schwerer,  als  den  Juden  immer  neue  Steuern  auferlegt  wurden. 
Sie  hatten  ausser  den  Steuern,  welche  sie  dem  Bischof  und 
dem  Kaiser  zu  zahlen  hatten,  an  die  Stadt  Worms  zu  ent- 
richten: Hauszins,  Kaufgeld,  Einschreibgeld,  Schlossgeld,  Metzel- 
geld, Schutzgeld,  Schanzengeld  und  Nicolaigelder.  Da  die 
Juden  alles  dies  aufzubringen  nicht  im  Stande  waren,  wandten 
sie  sich  an  den  damaligen  deutschen  Kaiser  Ferdinand  III.,  der 
eine  neue  Judenordnung,  wie  die  Verfügung  heisst,  erliess. 
Sic  datiert  vom  Jahre  1641  und  unterscheidet  sich  von  dem 
Vertrag  von  1557  in  folgenden  Punkten: 

Das  Gebot,  den  gelben  Ring  im  Mantel  beizubehalten,  ist 
geblieben,  dagegen   sind   ausserdem   alle    Juden   und    Jüdinnen 


4 


—    17   — 

verpflichtet,  Schilder  an  ihren  Häusern  anzubringen  und  darauf 
ihre  Namen  zu  verzeichnen,  damit  es  deutlich  zu  sehen  sei, 
wo  Juden  wohnen.  Auf  diesen  Schildern  wurden  Figuren  an- 
gebracht, und  hiernach  die  Bewohner  genannt.  Am  Anfange 
des  16.  Jahrhunderts  wurden  43  Häuser  im  Judenviertel  von 
Worms  gezählt,  von  denen  24  mit  Schildern  versehen  waren. 
Die  Bezeichnungen  sind  überliefert  worden  für  die  Häuser 

Nr.  2  zur  Flasche 

„    3  zum  Stern 

„    4  zum  halben  Mond 

„    5  zur  Rose 

„    6  zum  Hirschhorn 

„  10  zur  Kante 

„11  zum  Ross 

„  12  zur  Sichel 

„  14  zum  Teufelskopf 

„  18  zum  Hasen 

„  19  zum  Kessel 

„  24  zum  Rad 

„  25  zur  Heppen 

„  26  zum  Hirsch 

„  27  zum  Rebstock 

„  28  zum  Wolf 

„  32  zum  Blech 

„  34  zum  Krug 

„  35  zur  Büchse 

„  36  zum  Eichhorn 

„  37  zum  Grünbaum 

„  40  zur  Gans 

„  41  zum  Affen 

„  42  zum  Born. 
Die  Juden  durften  vor  8  Uhr  morgens  nidit  auf  den  Fisdi- 
markt  gehen,  dagegen  konnten  sie  im  Sommer  und  Winter  von 
morgens,  sobald  die  Torglocken  läuten,  bis  zum  Abendläuten 
ausserhalb  des  Ghettos  sich  aufhalten.  Blieb  einer  länger  aus, 
so  musste  er  1  Gulden  Strafe  zahlen.  Die  Juden  mussten 
an  Sonntagen  und  christlichen  Feiertagen  ihre  Toten  im  Sommer 
um  4  Uhr,  im  Winter  um  3  Uhr  nachmittag  begraben. 


-   18   — 


Der  Handel  wurde  den  Juden  teilweise  freigegeben. 
Es  wurde  bestimmt,  was  sie  fabrizieren  durften,  womit  sie  zu 
handeln  hatten  und  wieviel  Zinsen  sie  berechnen  durften,  wenn 
sie  Geld  ausliehen.  Dafür  aber  wurden  sie  mit  folgenden 
neuen  Steuern  belastet: 

Wenn  Zwei  sich  verheirateten,  kostete  es  6  Goldgulden 
Steuer.  Eine  ledige  Person,  die  sich  nach  Worms  verheiratete, 
bezahlte  12  Goldgulden.  Ein  Witwer  oder  eine  Witwe,  die 
einen  Wormser  Juden  oder  Jüdin  heiratete,  musste  20  Gold- 
gulden erlegen-  Eine  jüdische  Familie,  die  nach  Worms  ziehen 
wollte,  musste  mindestens  500  Gulden  besitzen,  und  hatte 
60  Goldgulden  zu  bezahlen. 

Die  Juden  mussten  ferner  1  Reichstaler  Schutzgeld  für 
jedes  Mitglied  der  Familie,  für  Studenten  und  Fremde  jährlich 
20  Reichstaler  Schutz-  und  Nachtgelder,  für  die  Synagoge, 
das  Tanzhaus,  Spital,  Backhaus,  Friedhof  und  Bad  jährlich 
40  Gulden  bezahlen.  Ferner  Hauszins,  sowie  Vermögens- 
steuer von  jeden  100  Gulden  V2  Gulden.  Sogar  die  Erb- 
schaftssteuer war  in  Worms  für  die  Juden  bereits  eingeführt. 
Ausser  den  ihnen  früher  bereits  gestatteten  Hochmeister  oder 
Rabbiner,  Sänger  und  Schächter  wurde  den  Juden  fortan 
erlaubt,  einen  Wächter  zu  halten." 

Das  sind  die  Grundzüge  der  Stätigkeit,  die  den  Juden  von 
Worms  auch  von  allen  nachfolgenden  Kaisern  erteilt  worden 
ist,  bis  auf  Kaiser  Joseph  II.  Er  gab  ihnen  die  Erlaubnis, 
ihren  Vorstand  selbst  zu  wählen,  so  dass  von  dieser  Zeit  an 
der  sogenannte  „Judenbischof"  nicht  mehr  existierte. 

Der  30jährige  Krieg  hatte  auch  der  Stadt  Worms  gewal- 
tigen Schaden  gebracht.  Die  Häuser  wurden  durch  Feuer 
zerstört  und  die  Bürger  wurden  von  den  Soldaten  geplündert. 
Die  Folge  hiervon  war,  dass  ein  grosser  Teil  der  Einwohner 
Worms  verliess.  Die  Stadt,  die  in  den  früheren  Jahrhunderten 
grossen  Aufschwung  genommen  hatte  und  bereits  70000  Ein- 
wohner zählte,  verlor  von  Jahr  zu  Jahr  an  Grösse  und  an  Bedeutung. 
Als  Ludwig  XIV.  von  Frankreich  im  Jahre  1689,  um  die  Pfalz 
zu  erobern,  auch  die  Stadt  Worms  besetzte,  sollen  mit  Ein- 
schluss  der  Juden  nur  etwa  5000  Bürger  in  der  Stadt  gewesen 
sein.     Die    Franzosen    brandschatzten    Worms,    sie    zerstörten 


—    19   — 

alle  Tore  und  Türme,  nahmen  den  Bürgern  all  ihr  Hab  und  Gut 
und  warfen  am  31.  Mai  1689  die  Brandfackeln  in  die  Stadt.  An 
allen  Ecken  und  Enden  schlugen  die  Flammen  empor  und 
innerhalb  weniger  Stunden  war  ganz  Worms  in  Äsche  gelegt. 
Nur  der  Dom,  die  Synagoge  und  die  Liebfrauenkirche  blieben 
erhalten. 

In  dem  Bestreben,  die  zerstörte  Stadt  wieder  aufzubauen, 
wandten  die  Bürger  sich  auch  an  die  Juden  und  baten  sie, 
in  die  Stadt  zurückzukehren  und  ihnen  zu  helfen,  die  Häuser 
wieder  aufzubauen.  Sie  versprachen  ihnen  alle  möglichen 
Erleichterungen  und  Freiheiten,  und  schlössen  mit  ihnen  im 
Jahre  1699  einen  Vertrag,  in  dem  ihnen  die  weitgehendsten 
Zugeständnisse  gemacht  wurden. 

Die  Vorsteher  der  jüdischen  Gemeinde  von  Worms, 
David  zur  Pulverflasche,  Loeb  zum  halben  Mandl,  Isaac  zum 
grünen  Hut  und  Aaron  zur  goldenen  Gans,  schlössen  mit  dem 
Rat  der  Stadt  Worms  den  Vertrag,  durch  den  die  Leib- 
eigenschaft der  Juden  (die  1348  von  Karl  IV.  eingeführt  war) 
aufgehoben  wurde.  Die  Juden  brauchten  sich  nicht  mehr  wie 
bisher  „Leibesangehörige"  zu  nennen,  sondern  durften  sich 
„untertänig  gehorsamste  Juden  oder  Schutzverwandte  oder 
Hintersassen"  unterzeichnen.  Sie  durften  ihre  eigenen  Häuser 
bauen,  und  gegen  eine  einmalige  Zahlung  von  1200  Gulden 
wurde  ihnen  der  Hauszins  erlassen.  Dagegen  verpflichteten 
sie  sich  alljährlich  zu  Pfingsten  60  Gulden  zu  entrichten.  Der 
Vertrag  verlor  sofort  seine  Giltigkeit,  wenn  sie  sich  weigern 
sollten,  diese  Abgabe  zu  bezahlen. 

Eine  Uebersidit  der  von  den  Juden  zu  zahlenden  Steuern 
finden  wir  in  einem  Voranschlag  der  Einnahmen  der  Stadt 
Worms  vom  Jahre  1751. 

Die  Juden  waren  veranlagt  zur  Zahlung  von: 

Gulden      Kreuzer 

Judenmetzgerakzise       .....      311  47 

Von  den  Juden,    so   Taglödier    in 

den  Mauern  haben 2  30 


Uebertrag       313Guld.77  Kr. 


—   20    - 

Gulden      Kreuzer 

Uebertrag  313  77 

Von  den  Juden,  so  auswärts  wohnen  91  — 

Fremden  Juden  Zoll 349  52 

Judenschaft  Nikolai  Gelder    .     .     .  270  — 

Wegen  Erlassung  der  Juden- 
leibeigenschaft              60  — 

Juden  Nachsteuer 185  — 

Juden-Grund-  und  Bodenzins 

Schutz  und  Schirm 1037  — 

Judeneinnahme  wegen  Einzug  von 
fremden  und  einheimischen  in 
hiesige  Gemeinde 84  — 

insgesamt    2390Guld.29  Kr. 

Seitens  der  deutschen  Kaiser  Karl  VI.  und  Karl  VII. 
wurden  den  Juden  weitere  Freiheiten  bewilligt.  Es  wurden 
ihnen  1714  und  1742  Privilegien  gewährleistet  und  der  Kaiser 
Gnade,  Schutz,  Schirm  und  Sicherheit  zugesichert. 

Unter  den  veränderten  Lebensbedingungen  und  unter 
dem  Schutze  der  Freiheit  und  der  Gerechtigkeit  kamen  die  Juden 
in  Worms  schrittweise  immer  weiter  voran.  Die  Tore  des 
Ghettos  waren  gefallen,  und  die  Juden  konnten  ihre  Kräfte 
freier  entfalten.  Sie  bewährten  sich  auf  allen  Gebieten  der 
Wissenschaft  und  des  Handels  und  heute  finden  wir  die  Juden 
in  Worms,  deren  Zahl  sich  auf  ca.  2000  beläuft,  in  allen  Berufs- 
arten vertreten.  Sie  erfreuen  sich  der  Achtung  ihrer  Mitbürger 
und  beteiligen  sich  an  der  Förderung  der  Stadt,  die  von  Jahr 
zu  Jahr  weiter  fortschreitet. 

Nur  die  enge  Judengasse,  die  alte  Synagoge  und  der 
Begräbnisplatz  erinnern  an  die  finsteren  und  trüben  Zeiten, 
die  auch  für  die  Wormser  Juden  längst  vergangen  sind. 


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DS     Levy,  Benas 

135      Die  Juden  in  Worms 

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